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Der von Coyoacan nach Tenuchtitlan führende Steindamm traf mit dem Damm von Itztapalapan – etwa eine halbe Meile vor dem Stadttor und unfern des letzten Dammdurchstiches, der Brücke Xoluco – an einem, Acachinanco genannten, der Wasserstadt vorgelagerten und mit hohen Wehrtürmen versehenen Bollwerk zusammen. Durch je eins der zwei südlichen Festungstore eintretend, verschmolzen die beiden Dammwege innerhalb des Bollwerkes und verließen es als einer durch das eine, Tenuchtitlan gegenüberliegende Tor. Einst hatte die erste Begegnung zwischen Montezuma und Cortes hier stattgefunden.
Das siegreiche Geschwader ankerte vor der Brücke Xoluco. Die Mexikaner hatten einen Angriff an dieser Stelle nicht erwartet, wohl auch nicht für denkbar gehalten: daher war der Damm hier überhaupt nicht bewacht. Ohne Widerstand zu finden, landeten die Christen, und in Ruhe konnten die Artilleristen Alonso de Mesa, Juan Catalan und der Levantefahrer Arbenga die kupfernen Kanonen, die Feldschlangen und das Pulver ausbooten. Dann stellte sich Cortes an die Spitze seiner Truppe neben den Fahnenträger Corral und stürmte das Bollwerk Acachinanco. Der aus hundert Mann bestehenden Besatzung kamen – zu spät benachrichtigt und noch verwirrt von der Niederlage der Flotte – die Azteken aus dem Stadttor herausstürmend zu Hilfe, vermochten jedoch ohne Boote das Schicksal der Festung nicht mehr zu wenden. Gegen Abend wurde die Kreuzfahne auf den Türmen des Bollwerkes gehißt. Die zurückweichenden Azteken verfolgte die Schwarze Blume bis ans Stadttor. Doch Cortes wollte in Tenuchtitlan noch nicht eindringen und ließ zum Rückzug blasen.
Als die Nacht einbrach, sandte er Alonso de Mesa und die Artilleristen nach Itztapalapan und lieh sich von Sandoval Pulver aus. Durch die Unvorsichtigkeit des Feuerwerkers Bartolomé de Usagre war die Munition bei der Brücke Xoluco in die Luft geflogen.
Von diesem Mißgeschick abgesehen, konnte Cortes mit den Erfolgen des ersten Kampftages zufrieden sein. In den Kanälen Tenuchtitlans und rings auf der Lagune schwammen zwar fünfzigtausend Kanoes, die meisten jedoch waren sogenannte Tiamicacalli, »Marktboote«, zum Verfrachten von Waren erbaute, ungelenke, flache Nachen. Von den schwarz und blau gestreiften Kriegsbooten mit den blauen Rudern hatten die schnellsten und besten an der Seeschlacht teilgenommen, und nur Trümmer von ihnen schaukelten jetzt auf den Wellen. Mochten auch die Bootsbauer neue Kampfkanoes zimmern – das erforderte viel Zeit, und den Belagerten konnte der Erfolg kaum mehr zustatten kommen. Durch die Seeschlacht waren die Mexikaner grausam belehrt worden, daß die Seeungeheuer, die Brigantinen, zu bekämpfen aussichtslos war. Und so gelähmt und erschüttert hatte sie der Verlust ihrer Flotte, daß sie an die Verteidigung des Bollwerkes Acachinanco erst dachten, als es sich nicht mehr retten ließ.
Eine halbe Meile vor Tenuchtitlans Tor, am Treffpunkt zweier Dammwege, hatte Cortes sich festgesetzt. Dem Eingreifen höherer Mächte glaubte er dieses glückhafte Gelingen zuschreiben zu müssen, so überraschend schien es ihm selbst. Seine Absicht war gewesen, nach der Seeschlacht seine Truppen mit dem Heere Olids zu vereinigen und das Hauptquartier in Coyoacan zu errichten. Jetzt entschloß er sich, in der Festung Acachinanco zu bleiben und von hier aus die Belagerung zu leiten.
Die folgenden Tage hatten die Christen wütende Gegenstöße abzuwehren. Den Azteken war es zum Bewußtsein gekommen, daß der Verlust von Acachinanco den Verlust des Südtores sowie der Stadtteile Teopan und Moyotla bald nach sich ziehen mußte, und nun wollten sie – koste es, was es wolle – das Bollwerk zurückhaben. Sie griffen gleichzeitig Sandoval in Itztapalapan und Olid in Coyoacan an, in der Hoffnung, Cortes vom Festland abschnüren zu können. Wie sehr sie sich auch vergeudeten, erreichten sie doch nichts gegen Cortes, der im Schutz der Brigantinen kämpfte und die Feste zur uneinnehmbaren Festung ausbaute: aber Sandoval und Olid hatten große Mühe, die besetzten Brückenköpfe zu halten, da in Itztapalapan sowohl wie in Coyoacan die Lagune von bemannten Ruderkähnen wimmelte, deren Pfeilregen sich mit Feuerwaffen nicht bannen ließ. Sandoval war schließlich gezwungen, sich in die oberen amphitheatralisch auf einem Hügel gelegenen Stadtteile Itztapalapans zurückzuziehen, während er die untere Stadt – soweit sie nicht beim ersten Rekognoszierungszug durch die Feuersbrunst und den Dammbruch zerstört war – den Azteken überlassen mußte: ohne eigene Flotte konnte er sich in den Kanälen der weit in die Lagune hinausragenden Stadt auf die Dauer nicht halten. Olid saß zwar fest in Coyoacan, kam aber auf der Dammstraße nicht vorwärts und hatte so große Verluste, daß er genötigt war, Cortes um Hilfe anzugehen. Nicht besser erging es Alvarado in Tlacopan: dort war jetzt der Damm bis zur ersten Dammlücke in den Händen der Christen und war rasenden Überfällen ausgesetzt. Gegen ihre Gewohnheit kämpften die Mexikaner auch bei Nacht – die Kastilier kamen nicht aus den Kleidern. Sie siegten immerwährend, doch vergebens, da ohne Unterbrechung mit jeder geglückten Abwehr eine neue Abwehr begann und die Brücke über den Dammdurchstich doch nicht geschlagen werden konnte. Der Erfolg war wie eingefroren.
Darum nahm am dritten Kampftage Cortes eine Teilung seines Geschwaders vor. Zwei Brigantinen erhielt Sandoval, vier Alvarado, vier Olid, und drei Brigantinen blieben bei der Brücke Xoluco. Damit war das Schicksal der drei Dämme entschieden. Nachdem nunmehr in Itztapalapan Sandoval sich mit Hilfe der Brigantinen der unteren Stadt und der Dammstraße bemächtigt hatte, begab er sich mit der Hälfte seines Heeres auf Cortes' Wunsch, am Westufer der Lagune entlangziehend, über Coyoacan–wo er fünfzig seiner Pikeniere Olid überließ– nach Tlacopan zu Alvarado und ermöglichte es diesem, alle Hindernisse des Dammes von Tepeyacac zu überwinden und bis an das nördliche Tor von Tenuchtitlan vorzurücken. Inzwischen war Olid durch seine vier Brigantinen instand gesetzt worden, sein Heer mit der Truppe des Cortes zu vereinigen.
Jetzt fühlte sich Cortes stark genug, in den Südteil von Moyotla Bresche zu legen. Am Morgen des vierten Kampftages, nachdem Pater Olmedo – vor Himmel und Wasser und Heer – eine ergreifende Messe gelesen hatte, erstürmten Cortes, Olid und die Schwarze Blume das letzte Stück der Dammstraße, das Südtor und das dichtbei befindliche Haus der Speere, das Arsenal Tenuchtitlans. Dann trennten sie sich: Cortes – mit der Schwarzen Blume an der Seite – suchte, auf der breitesten Verkehrsader der Stadt, der Straße der blauen Erdscheibe vorrückend, die Schlangenbergpyramide zu erreichen, weil dort das Herz Mexicos pulsierte, seine Kastilier folgten ihm freudig, fand doch die neuerdings aufgetauchte Legende unter ihnen Glauben: die Kalkverkleidung des Sanktuars sei mit Goldstaub und Goldkörnern gemischt, so daß eine Handvoll Kalk, durch ein Goldsieb geschüttet, Feingold im Werte eines Dukaten ergebe ... Olid aber wandte sich gegen das westliche Moyotla, – sein Ziel war der Palast des Königs Wassergesicht und der Huei-Tecpan mit dem dort vermuteten Goldschatz des Herabstoßenden Adlers.
Um in Verbindung mit der Festung Acachinanco zu bleiben, hatte Cortes die indianischen Bundesgenossen dazu angestellt, sämtliche Durchstiche des Itztapalapan-Dammes mit Steinen aufzufüllen bis zur Höhe der Dammstraße. In verhältnismäßig kurzer Zeit führten die Hilfstruppen den schwierigen Auftrag aus, ebneten den Weg und machten ihn fahrbar für Pferde und Geschütze. Am späten Nachmittag rollten die Kartaunen und Feldschlangen durch das eroberte Südtor und nahmen Stellung in der von zwei schmalen Kanälen eingefaßten Straße der blauen Erdscheibe. Dort waren die Kastilier bis zu einem die Straße querenden großen Kanal vorgedrungen, dessen Brücke entfernt und dessen jenseitiges Ufer von einem eben erst aufgemauerten Steinwall geschützt war. Hinter dem Steinwall, den Musketenkugeln fast unerreichbar, schossen die Azteken aus den Schießscharten Pfeile und Speere, hinderten stundenlang Cortes, den Kanal zu überschreiten. Dieser Hemmung machten Alonso de Mesa, Catalan und Arbenga ein Ende – ihre Kartaunen rissen den Steinwall nieder. Und während die Kastilier den Kanal überbrückten und vorwärts stürmten, verrichteten die Krieger der Schwarzen Blume das erste Verwüstungswerk. Weil herab von den Tlapantli oder Dachterrassen auf die Christen geschossen wurde, zerstörten die Acolhuaken Haus für Haus zu beiden Seiten der Hauptstraße. Viele der reichsten und schönsten Gebäude Tenuchtitlans wurden in Trümmer gelegt.
Inzwischen hatte Olid im westlichen Teil des Stadtviertels Moyotla als Mordbrenner gehaust. Nach hartnäckigen Kämpfen war er bis an den Tecpan des Königs Wassergesicht – das einstige Quartier der weißen Götter – herangekommen. Als er sich schließlich den Eintritt erzwang, fand er im unterirdischen Schatzhause das erhoffte Gold nicht vor. Zwar war der von Perlenfischern nach der Nacht der Schrecken aus der Seetiefe heraufgeholte Schatz Montezumas in die königlichen Schatzkammern zurückgetragen worden – aber Ohrring-Schlange und der Durch-Zauber-Verführende, denen die Verteidigung der beiden Königspaläste anvertraut war, hatten Zeit gefunden, als sie nach verzweifeltem Widerstand von Gasse zu Gasse vor den Feuerwaffen zurückweichen mußten, sowohl alle im Palast des Königs Wassergesicht wie ebenfalls die im Huei-Tecpan aufbewahrten Kostbarkeiten, Juwelen und Goldbarren an die nördlichste Spitze Tenuchtitlans in den einstigen Palast der Könige von Tlatelolco, den später Montezumas vom Tode auferstandene Schwester Prinzessin Papan bewohnte, schaffen zu lassen. Wütend über die ihnen bereitete Enttäuschung, setzten Olids Soldaten den Palast des Königs Wassergesicht in Brand.
Von dort zog Olid vor den Huei-Tecpan. Den Widerstand, den die Könige von Tlacopan und Tezcuco ihm dort entgegensetzten, konnte er erst nach langwierigem Gefechte brechen. Es war Nacht geworden, als er in den Großen Palast einzog. Auch hier ließ er das Gebäude seine Enttäuschung über die entgangene Beute büßen. Von festgenommenen Haus-Erleuchtern in den Raum geführt, wo die Fackeln aufbewahrt wurden, bewaffnete er sich und seine Soldaten mit lodernden Harzlichtern. Dann rasten sie, eine Horde von staub- und blutbedeckten Dämonen, durch die nachtfinsteren Prunksäle, entzündeten die Wandteppiche aus Federwerk, die geschnitzten Wandtäfelungen, die Perlenvorhänge der Türen, Thronhimmel und Betthimmel, das Zederngebälk der Saaldecken und die über die Höfe gespannten buntgewirkten Zeltdächer. Am schnellsten verwandelte sich das Amoxcalli – die Bibliothek mit ihren Schätzen aus Agavepapier – in eine wütend hüpfende Lohe. Bald bedurfte das Feuer keiner Feuerung mehr, es suchte sich selbst seinen Weg, gleichsam ein aus dem Bett getretener Flammenstrom, drang es überall hin, in Höhen und Tiefen, brandete an den steinernen Palasttürmen empor, flutete in die Götterkammern, in die Schlafsäle und fraß sich durch bis in die unterirdischen Räume, die bis vor kurzem den Goldhort Mexicos geborgen hatten. Das Hauptgebäude mit den Seitenflügeln, das Haus der Vierhundert Frauen, das schöne Ballspielhaus, wo Montezuma mit dem Herrn des Fastens um die drei Truthähne gespielt hatte, das schwarze Haus der Trauer und alle Nebengebäude und Pavillons wurden ein einziger Brandherd, umtobt von einer tanzenden Feuerwindhose.
Als das kleine Haus der Trauer in sich zusammenstürzte, verschonten wunderbar die fallenden Mauern den in ihrer Mitte stehenden Steinaltar, und unversehrt ragte der kristallene Totenschädel über die Trümmer hinaus, Myriaden von daseinslustigen, hüpfenden Feuerschmetterlingen in seinen wasserklaren Tiefen widerspiegelnd, nachdenksam und gefühllos grinsend – der Tod, der allein dem Tode entging.
Die Christen mußten vor der Wut des Elementes, das sie gerufen hatten, weichen. Die Hitze im Palastgebäude wurde unerträglich. Von den Türmen sprang ein knisternder Funkenregen hinab auf das Blätterdach der Palmen und Ceiba-Bäume, auf die Rosenbäume, Azaleen und Opuntien. Die langsamen Faultiere, die nicht wie die Papageien und Rollschwanzaffen hatten fliehen können, stürzten brennend aus dem Baumgeäst Die tausendjährigen Zypressen Montezumas erflackerten wie riesenhafte Kerzen. Die Silberlilien und alle einzigartigen Blumen Montezumas brannten. Der rote Blütenbaum von Yuquana ward Kohle und Asche. Das Wildfeuer in den Prachtsälen des Hauptgebäudes lechzte nach frischer Luft und sprengte daher das Gemäuer, das krachend zusammenbrach. Da werde eine Reihe von sechzehn steinernen Säulen sichtbar, die großen Rubinen ähnlich die Glut überglühten ...
Ein neues Feld der Tätigkeit bot sich der Zerstörung des Feuers und der Menschen dar in dem an den Palastgarten sich anschließenden, einst von Montezuma prachtvoll angelegten Tierpark. Dort gab es turmartige und erzvergitterte Zwinger für Raubtiere – Pumas, Luchse, Jaguare, Bären –, Käfige für Katzenfrette, Cocatli-Wiesel, Baumstachelschweine, Füchse, für Vampire, Hufeisennasen, Plattnasen und andere, Quimichpatlan genannte, Blumennektar saugende Fledermäuse. Eingepfercht in Hürden waren Präriewölfe, Stinktiere, Ameisenbären, Rotwild, Kaninchen und auch jener junge Büffel, den Tangaxoan, der König von Michuacan, dem Behandschuhten als Geschenk für Guatemoc mitgegeben hatte. Ferner gab es dort eingezäunte Wasserbecken für Seelöwen und für drachenlange Alligatoren, in morastigen Schmutztümpeln wälzten sich Tapire und Nabelschweine. Eines der Häuser war ein Terrarium, wo jederart schädliche und unschädliche Schlangen gesondert in Käfigen lebten und ebenso kleine und große Iguaniden: Taque oder mexikanische Singeidechsen, große Kammeidechsen, Felsen- und Baumeidechsen, grüne Leguane, schwarze Leguane, giftige Krustenechsen, außerdem Wabenkröten, Beutelfrösche, milchweiße augenlose Kolbenmolche – deren Weibchen menstruiert wie ein menschliches Weib – und allerhand Schlammschildkröten, Seeschildkröten und Landschildkröten. In einem anderen Hause schwammen in unzähligen Wasserbehältern alle See- und Flußfische Mittelamerikas, Seesterne, Polypen und Muscheln. An Farbenseligkeit wetteiferten sie mit den stummen Bewohnern eines Schmetterlingshauses und den in drei geräumigen Vogelhäusern nistenden Schwirrvögeln, Kolibris und Honigsaugern, langgeschweiften goldgrünen Quetzalen, Türkisvögeln, Buschreihern, Blauraben und Tangaren.
Die Steinmetzen, Gärtner und Wärter Montezumas hatten in jahrzehntelangem Mühen ein Tierparadies geschaffen, die Mordbrenner Olids schufen in wenigen Augenblicken eine Tierhölle. Gräßlich wie die Flammenqual von Menschen ist die von Tieren – sie ist vielleicht noch gräulicher, weil dem Tier das Gebet fehlt oder das Ehrgefühl, welches Schmerz zur Schmerzenswollust sublimieren kann, weil das Tier niemals ein Märtyrer oder ein bewußter Selbstzerstörer oder ein heiliger Selbstopferer sein kann. Der Trost mancher Qual, sei es Buße, sei es Flammenläuterung zu sein, ist der stummen Kreatur versagt – um so furchtbarer ist die Anklage gegen Gott, der sich selbst so sinnloses Leiden auferlegt. (Wozu? Um sich selbst zu läutern? ...)
»Die Fische schrien«, heißt es in einem alten Liede vom Jüngsten Gericht ...
In Tenuchtitlan schrien die Fische und Schlangen und Schmetterlinge nicht – so wenig wie die Bäume und Blumen und Steine verlodernd schrien. Doch ihre stumme Anklage stieg zum Himmel so gellend wie die der brüllenden Tiere. Auch diese hatten ja nur blöde Schreie, aber keine Sprache, Flüche oder Gebete emporzusenden. Und Menschen waren es, Olid und seine Soldaten, die gleich den mit Zangen und Haken bewehrten Teufeln in Dantes Hölle die Feuerbecken der Tierhölle schürten.
Nicht alle Tiere kamen in den Flammen um. Der junge Büffel zerbrach, toll vor Schrecken, die Balken seiner Umzäunung, rannte gegen ein Zwinggitter, das zerschellte, und trat stampfend mehrere Hürden nieder. Die dadurch befreiten Tiere – Puma, Ameisenbär, Kaninchen, Luchs, zwei Hirsche – folgten ihm wie eine zahme Herde, ohne einander anzufallen. Sie erreichten einen vom Brand noch verschonten Teil des Gartens, zerrissen und zerstampften mehrere ihnen in den Weg kommende Kastilier, gewannen einen Ausgang am Lagunenufer und trotteten gemächlich durch die Gassen von Tenuchtitlan. An der Spitze der Tierprozession trabte hochfeierlich der Bison, mit grau vertrockneter Schlammkruste an den zottigen Kruppen- und Flankenhaaren, einem Gott der Finsternis ähnlich, den schwarzbärtigen, mähnigen Riesenkopf niedergesenkt, das Weiße um die böse funkelnden Gazellenaugen von grellrotem Geäder geschwellt ...
Alle Bewohnerinnen des Hauses der Vierhundert Frauen, die alten und die jungen Prinzessinnen, die Königin Silber-Reiher mit ihrem Gefolge und auch die von ihnen gefangengehaltene alte Mutter des Spinners hatte König Ohrring-Schlange aus dem Huei-Tecpan wegführen lassen, lange bevor Olid eindrang. Sie waren mit etlichen Habseligkeiten, Edelsteinkästen, zahmen Affen und Papageien in einem Yacacalco genannten Gebäude, einer Erziehungsanstalt für adlige Mädchen, untergebracht. Dieses Bauwerk stand unweit des südlichen Tores des Schlangenbergtempels in einem verborgenen, der großen Straße der blauen Erdscheibe parallel laufenden Gäßchen.
Die Straße der blauen Erdscheibe war die Verlängerung des Dammes von Itztapalapan, unterbrochen durch das große Gelände des Schlangenberges, setzte sie sich jenseits des Tempels fort und endete als Damm von Tlacopan (oder Tepeyacac). Die von Cortes befehligte Heeresabteilung war – nach Überschreitung des Kanales – bis in die Nähe des Schlangenberges gelangt, ihr Vorrücken wurde aber dann von neuem gehemmt, trotz der aufgefahrenen Kanonen. Diese hatten einen Wall von Steinen niederreißen können, waren aber machtlos gegen einen Wall von Aztekenleichen, den jeder ihrer Schüsse vergrößerte. Und der Wall lebender Leiber war noch schwerer zu überwinden. Oft in Nachtfinsternis getaucht, oft umpurpurt vom Flackerschein der brennenden Paläste, glichen die Heerscharen einem Geisterheer, das unermüdlich auf nächtlichem Schlachtfelde den Kampf der Lebenden fortsetzt, durch Zaubersprüche immer wieder vom Tode erweckt.
Die Verteidigung der Straße leitete der Herabstoßende Adler. Es war zum erstenmal, daß Cortes und der König von Mexico so nah einander gegenüber fochten. Hatte Cortes Blitz und Donner zur Verfügung, so besaß Guatemoc den Zauber, die Toten ins Leben zurückzurufen: fiel ein Mexikaner, so kamen zehn andere auf den Plan. Und Cortes geriet in Nachteil durch die Zerstörungswut Olids. Während Olid gegen Steine, Bäume und Tiere raste, vereinigten die Könige von Tlacopan und Tezcuco ihre Truppen mit denen des Herabstoßenden Adlers, um das hehrste Stadtheiligtum zu schützen. Der Kampf begann für die Christen aussichtslos zu werden.
Da erhielt Cortes durch einen tlascaltekischen Spion Kunde davon, daß die aus dem Huei-Tecpan geretteten Frauen in einer benachbarten Gasse untergebracht seien. Sofort erkannte er die Tragweite dieser Nachricht. Wenn die Prinzessinnen in Gefahr kämen–sagte er sich–, so werde Guatemoc sie nicht preisgeben, und beim Versuch, ihnen zu Hilfe zu kommen, werde er seine Verteidigungsstellung entblößen und schwächen. Darum sandte Cortes die Hauptleute Francisco Hernandez und Andrés de Tapia in diese Gasse und trug ihnen auf, die im Yacacalco befindlichen Frauen festzunehmen.
Als das Gebäude umstellt war und die Christen sich Eingang verschaffen wollten, fanden sie alle Tore verrammelt. Die Frauen waren wehklagend auf das flache Dach hinaufgeflüchtet, wo sie – viele Hundert – eng aneinandergepfercht standen und um Hilfe kreischten, ihre Papageien und Affen übergellend. Tapia befahl Brennholz herbeizuschaffen, er hoffte, die Frauen würden sich ergeben und die Tore öffnen, sobald sie die Anstalten zur Brandstiftung gewahrten. Doch noch bevor die Scheite geschichtet waren, geschah etwas Entsetzliches. Die Dachterrasse hielt die Last der vierhundert Frauen nicht aus, das einstürzende Dach riß die Mauern des Gebäudes mit sich und begrub alle Weiber – Prinzessinnen, Dienerinnen, Palastmädchen, kindjunge und altersgraue – unter einem Berg von Quadern, Mörtel und Schutt.
Eine Stunde später erreichte Cortes den großen Platz der Steinernen Schildkröte, wo einst vor der Nacht der Schrecken die unablässigen Angriffe der Azteken gegen den – jetzt durch Brand zerstörten – Palast des Königs Wassergesicht erfolgt waren. Die Widerstandskraft des Feindes war bereits gebrochen, als die Christen mit den Geschützen auf dem Platz gegenüber der Schlangenmauer Stellung nahmen. Den Schild mit der Linken, das Schwert mit der Rechten hoch emporhaltend, rief Cortes: »Santiago und los auf sie!« Und er selbst focht in der vordersten Reihe. Der Anblick des gefürchteten Grünen Steines und seine umherschwirrende Speere und Pfeile aus der Flugbahn lenkende Unerschrockenheit entmutigte vollends die Mexikaner. Sie schwanden fluchtartig und suchten Schutz im Gassengewirr des nördlichen Stadtteils Cuepopan.
Und Cortes nahm Besitz vom nicht mehr beschirmten Schlangenberg. Eine der großen Kartaunen wurde durch das südliche Portal der Schlangenmauer in das Tempelgebäude gefahren. Kein bewaffneter Mexikaner ließ sich mehr blicken.
Mit der Schwarzen Blume, Don Juliano de Alderete, Antonio de Carajaval und Antonio de Quiñones, dem Hauptmann seiner Leibwache, klomm Cortes die steile, vom Ewigen Feuer droben und von brennenden Palästen drunten taghell erleuchtete, mit Flugasche bestäubte Marmortreppe der Pyramide empor. Das rötliche Flackerlicht schnitt von den sieben Terrassen schmale, scharf begrenzte, sich verjüngende Lichtstreifen nach Süden zu ab – um so schwärzer nachteten dahinter die Terrassen und ließen nicht erkennen, ob Menschen sich darauf befanden. Ein seltsamer Gesang ertönte von irgendwoher.
Als Cortes und seine Begleiter die oberste Terrasse, den Menschenwürgeplatz, betraten, gewahrten sie einige zwanzig schwarz geschminkte, filzhaarige Priester. Diese hockten am Boden und sangen uraltheilige Lieder, unbeweglich, unbekümmert, als wüßten sie nichts von Krieg und Lebensgefahr. Keines Blickes würdigten sie die Eindringlinge, die sich erkühnten, ihre hehren Kreise zu stören. Einer nach dem anderen wurde niedergestochen und von der Pyramidenspitze in die schwarze Tiefe hinabgeschleudert, die anderen ließen sich nicht stören und sangen ihr heiliges Lied, bis auch an sie die Reihe kam.
Cortes und die Schwarze Blume wollten das Allerheiligste des Kriegsgottes betreten. Vor dem Eingang zum Sanktuar prallten sie zurück – ein hochgewachsenes weibliches Wesen, gespensterhaft, eine Nachtfrau mit einer alttoltekischen Goldmaske vor dem Gesicht, vertrat ihnen den Weg. Es war die Frauenköpfe-sammelnde-weiße-Frau, die furchtbare Priesterin. Durch die Schwarze Blume wußte Cortes die Bedeutung der inkrustierten Goldmaske: sie war nach der Nacht der Schrecken von Perlenfischern aus dem Schilfsee gefischt worden, und der Überwältiger hatte sie als Palladium und Wahrzeichen der wiedererlangten Freiheit Mexicos auf den Altar des Kriegsgottes niedergelegt.
Mit zornbebender Stimme rief die Priesterin durch den gerundeten Mund der Maske die Fluchworte, mit welchen der Überwältiger den Räuber der Maske bedroht hatte. Einen Augenblick zauderte Cortes: er hatte noch nie eigenhändig ein Weib getötet. Doch dann, plötzlich von ihrem Zorn zu Zorn entflammt, riß er sein Schwert aus der Scheide und trennte mit einem Hieb den Kopf der alten Priesterin vom Rumpfe.
Und fast im selben Augenblick verstummte Huitzilopochtlis große Kriegstrommel. Antonio de Carajaval hatte die beiden Trommelschläger im Sanktuar niedergemacht und die heilige Trommel zertrümmert. Ihr letzter Dröhnlaut toste zu den Nachtgestirnen empor wie ein menschlicher Ruf, wie der Angstschrei eines sterbenden Volkes ...
Da trat Cortes an den Rand des Menschenwürgeplatzes, an die oberste der Pyramidenstufen, und mit weit vor sich hingestrecktem Arm zeigte er den Mexikanern drunten den weißhaarigen, mit der Goldmaske noch verlarvten Kopf der Priesterin, als wollte er Tenuchtitlan mit dem Anblick versteinern. Ein Aufschrei von Tausenden und aber Tausenden war die Antwort. Die Mexikaner hatten das Symbol ihrer Freiheit in der Hand des Todfeindes erkannt.
Für Cortes war es einer der großen Momente seines Lebens. In den Wolken stand er, ein Lichtheld – die Mächte der Finsternis krümmten sich niedergeblitzt zu seinen Füßen, und er hielt ihr Verderben – ihre geraubte Freiheit – in der Hand.
Und jetzt sah er plötzlich dicht neben sich auf der obersten der Pyramidenstufen eine kleine bucklige Gestalt sitzen, die er bis dahin nicht bemerkt hatte.
»Wißt Ihr, wo wir uns befinden, Don Hernando? Auf dem Menschenwürgeplatz! Ich wollte nur daran erinnern!« sagte der kleine Bucklige.
»Wie kommt Ihr hierher, Mensch?« fragte Cortes erbleichend.
»Da ist nichts Wunderbares daran!« sprach der Bucklige. »Mir ward nämlich hier oben die Brust aufgeschnitten. Doch seitdem sind anderthalb Jahre ins Land gegangen, und so was vergißt sich. Ich bin nämlich Madrid, der Narr. Ihr könnt mich aber getrost Mensch nennen. Es ist zwar ein Schimpfwort, aber doch nicht immer. Vielleicht bin auch ich ein Mensch trotz meiner Giftzunge. Eines ist freilich gewiß, daß ich ein Narr war, als ich Euch haßte.«
»Ich erkannte Euch nicht gleich in der Dunkelheit«, entschuldigte sich Cortes.
»Ich nehme es nicht übel«, lachte Madrid. »Die Namen der Toten verlernen sich bald – selbst wenn man Cäsars Gedächtnis hat –, es sind ihrer zu viele ... Was sich aber nicht verlernt, ist das Menschenwürgen. Und daran wollte ich eben erinnern.«
»Woran, Madrid? ...«
»Ihr macht es wie alle Weltverbesserer. Ihr schafft Menschenwürgeplätze ab, indem Ihr Menschenwürgeplätze einrichtet. Ihr beseitigt das Morsche, indem Ihr grüne Pflaumen an seine Stelle setzt, und Eure grünen Pflaumen heißen Ich, Ich, Ich und abermals Ich. Mich fuchst es nicht mehr. Ich ward ein abgeklärtes Gespenst. Ich weiß, daß die Welt sich nicht ändern läßt. Aber Ihr Weltbeglücker wißt es nicht!«
Das bucklige Gespenst entschwand. Hart von Antonio de Quinones am Arm gepackt, wurde Cortes aus seinem Sinnen wachgerüttelt und die Tempeltreppe hinabgezogen. In großen Sätzen sprangen die Feldobristen und die Soldaten der Leibwache die ellenhohen Stufen hinunter, von Panik gehetzt. Guatemocs Heerscharen, rasend über den Raub der Maske, waren aus den Gassen Cuepopans vorgebrochen und füllten den Platz der Steinernen Schildkröte. Kaum schien Flucht noch möglich. Die große Kartaune im Tempelgebäude wurde dem Feinde preisgegeben.
Nach unsäglichen Mühen gelang es Cortes, sich bis zur Hauptstraße durchzuschlagen. Beim großen Kanal kam ihm Olid zu Hilfe, so daß die regellose Flucht in einen geordneten Rückzug gewandelt werden konnte. Sie erreichten, als der Morgen dämmerte, den Dammweg von Itztapalapan, sie erreichten das Bollwerk Acachinanco.
Als Flüchtlinge und doch als Sieger zogen sie in ihr Quartier ein: das Palladium Mexicos war ihre unschätzbare Beute. Durch das Festungstor reitend, hielt sich Cortes die Goldmaske vors Gesicht.
»Quetzalcoatl! Weißer Gott und Lichtbringer! Im Dunkel ist Wachstum – Licht versteinert und erstarrt das Leben! Die Goldmaske entlarvt dich und dein Ziel!« kicherte ihm wieder Madrids Stimme in die Ohren. Zusammenfahrend schaute er sich um – doch diesmal blieb der Bucklige unsichtbar ...