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Während das Christenheer längs einem schaumweißen, donnernden Gebirgsbach die Straße am schroffen Gefels der Kordilleren aufwärts klomm, stolzierte der Kämmerer Rodrigo Rangel neben dem Rappen Romo einher und stellte, nach Luft schnappend, diese Betrachtungen an:

»Euer Liebden wissen, daß unsere Freunde, die Totonaken, ihre Beute aus Cholula nicht fortzuschleppen vermochten und sich einige hundert Lastträger von den Cholulteken ausbitten mußten. Spät einen Gedanken zu fassen, ist besser, als ihn gar nicht zu fassen, vorausgesetzt, daß ein Gedanke faßbar ist: die Mehrzahl nämlich der Gedanken sind glatte Aale (wenn sie nicht Blindschleichen oder Giftnattern sind, die anzurühren nicht immer rätlich sein mag). Hätten nun die Totonaken früher zugegriffen und ihre gleitenden Gedanken beim Schwanzende erwischt – was wäre erfolgt? Sie hätten sich die Lastträger von vornherein ausgebeten und wären der Menschheit vorbildlich geworden durch eine solche Tat! Eine welterlösende Tat – für eine Welt, die sich erlösen lassen will! Nur daß die Menschheit – genau wie die Totonaken – ihre guten Einfälle meistens zu spät, wenn überhaupt, einzufangen versteht. Alle Kriege von den Zeiten der seligen Semiramis bis auf unsere Tage hätten sich verhüten lassen, wäre man stets so human verfahren, die Gegner um Tlamamas zu bitten, damit sie einem die Beute nach Hause tragen! Schleppte nicht auch der Erlöser sein Kreuz nach Golgatha? ... Aber die Völker machen's just umgekehrt: erst lassen sie sich kreuzigen und tragen dann hinterher ihr Kreuz! ...«

So sprach Rodrigo Rangel.


Die Ebene jenseits der ersten Gebirgskette war erreicht. Die beiden schneeigen Riesen, der Rauchende Berg und die Weiße Frau, erhoben sich nahe und bedrohlich vor den besorgten Blicken des Heeres, standen schutzbereit vor Mexico, versperrten den Zugang ins Tal der Verheißung, zwei ungeschlachte kosmische Wächter. Doch ein Kampf mit feuerschnaubenden Riesen war ja das unerhörte Abenteuer, wonach Diego de Ordas zeitlebens gelechzt hatte. Das größere der beiden Ungetüme, der Vulkan Popocatepetl, war von ihm seit Wochen zum Widersacher ausersehen. Ihm wollte und mußte er den Fuß auf den Nacken setzen, ihm den Goldhort abgewinnen, von dessen Dasein er kürzlich durch den Grenzwächter an der Großen Mauer erfahren hatte.

Ordas verließ die Vorhut und ritt an Cortes heran.

»Löst Euer Versprechen ein, Don Hernando! Wir stehen am Fuß des Vulkans. Und damals vertröstetet Ihr mich ...«

»Ja, ich entsinne mich. Damals meinte ich, die Glut würde verraucht sein ... Was erhofft Ihr Euch eigentlich davon, Don Diego?«

Sein Geheimnis hatte Ordas bisher eifersüchtig gewahrt. Jetzt durfte er es preisgeben.

»Dort oben ist ein See aus purem flüssigem Golde, Don Hernando!«

»Den wollt Ihr ausschöpfen?! ... Alle Wetter!«

»Oh, das weiß ich wohl, daß ich einen See nicht ausschöpfen kann! Aber einen stattlichen Goldklumpen hoffe ich Euch als Probe mit herabzubringen. Hernan Martin hat mir einen eisernen Eimer und eine Eisenkette dafür geschmiedet. Was schmunzelt Ihr? Glaubt Ihr, ich werde auf halbem Wege umkehren?«

»Nein, nein – Ihr tut nichts halb, Don Diego! ... Versucht's nur. Es wird immerhin Aufsehen erregen in Mexico, daß ein weißer Gott sich dort hinaufgewagt hat, wo die höllischen Kessel brodeln!«

Acht Tlascalteken, geübte Bergsteiger, erhielt Ordas als Begleiter. Außerdem nahm er den alten Musketier Heredia – den bocksgesichtigen, einbeinigen Zauberer von Tzimpantzinco – mit, welcher einst, ebenso wie er, ein Bediensteter im Hause des Gobernadors von Kuba gewesen war. Und um sich mit den Tlascalteken verständigen zu können, veranlaßte er auch Dona Elvira Farfan, des Weißhändigen Gattin, an der Ersteigung des Vulkans teilzunehmen.

Der Popocatepetl trug unterhalb seiner blaugeschlitzten Schneemütze einen Gürtel aus brandschwarzem Lavakies, darunter ein smaragdgrünes Band leuchtender Alpenmatten, seine unterste Zone aber war dunkelgoldgrün, ein Waldgebirge urwüchsiger Zypressen und Zedern. Nach jahrhundertelanger Ruhe hatte der Vulkan erst vor zweihundert Jahren mit einer neuen, nicht abreißenden Kette von Eruptionen begonnen. Bis dahin war er Der-den-Sand-Erhebende genannt worden.

Ordas hatte seine Eisenhosen, Eisenpanzer und Helm zurückgelassen, nur auf die Hieb- und Stichwaffen hatte er nicht Verzicht geleistet: die baumlange Ritterlanze wollte er als Bergstock brauchen. Nach einstündigem Aufwärtsklettern jedoch entledigte er sich nach und nach auch seines ockergelben Flausmantels, seines Lederwamses, seines Kappkragens, seines Schwertes nebst Schwertgehenk und bebürdete die tlascaltekischen Begleiter damit, welche ohnedies mit Mundvorräten, dem eisernen Eimer und der Eisenkette beladen waren.

Einer der Tlascalteken zeigte den Weg an. Er kannte sich gut aus im Waldgebirge. Einst war er mit einigen Kriegern in einer der vielen Schlachten des Blumenkrieges von seinem Truppenteil abgesprengt worden und hatte im Gebiet des Rauchenden Berges längere Zeit als Flüchtling gelebt. Alte Überlieferungen von der Liebe der Weißen Frau zum Rauchenden Berge hatte er damals in Erfahrung gebracht.

Mit Hilfe Dona Elviras teilte er Ordas mit, warum das Herz des Berges nicht zur Ruhe kam und warum die dreizehn Felssteine in seinem Innern den Tanz der tausend Füße tanzten.

Die zwei Erstgeborenen der Erde, die Brüder Xiuhnel und Mimich, hatten zwei Hirsche aus dem Blau des Himmels auf eine Wiese herniederfallen sehen, und sie verfolgten die Tiere, ohne sie erlegen zu können. Als aber die Nacht hereinbrach, warfen die Hirsche ihr Geweih und ihr Fell ab und standen still da in Gestalt von zwei wundersam schönen Mädchen. Sie forderten die Jäger auf, bei ihnen in einem Zelte zu schlafen. Xiuhnel, der ältere der beiden Brüder, widerstand der Verlockung nicht und trank vom Blut, das ihm das Mädchen in einer buntbemalten Schale aus gebranntem Ton darreichte, und während er bei ihr schlief, nagte sie ihm das Herz aus der Brust. Mimich aber, der jüngere Bruder, floh vor seiner Verführerin. Und das Mädchen verfolgte ihn mit Wurfbrett, Speer und Schild, bis er in einem Kugelkaktus und dann in den Flammen einer brennenden Waldschlucht Zuflucht suchte. Und als das Mädchen ihm auch in den feurigen Schlund hinab mit Schild, Wurfbrett und Speer nacheilte, begannen dreizehn Felsenblöcke den Tanz der tausend Füße zu tanzen, und gezwungen war das Mädchen, im Wirbel der Steine mitzuhüpfen, so daß der Jüngling ihr entkommen konnte. Da beschloß sie, ihn auf andere Weise zu fangen. Traurig lächelnd kam sie, da er ermüdet ruhte, an sein Graslager heran, demütig legte sie ihr Wurfbrett, ihren Speer und ihren Schild vor ihm ins Gras nieder, ließ ihren Rock fallen und zeigte ihm ihre berückende Nacktheit. Er jedoch, der wußte, daß sie ein Tzitzimitl, ein böser Sterndämon war, ergriff Pfeil und Bogen und schoß nach ihr. Der erste Pfeil ging fehl. Den zweiten Pfeil fing sie mit der Hand auf. Mit dem dritten Pfeil traf er sie in den Schlitz. So laut schrie sie auf, daß die Sterne es hörten. Nicht zulassen wollten die Sterngötter ihre Bezwingung durch ihn, darum verwandelten sie das Mädchen in die Weiße Frau und den Jüngling in den Rauchenden Berg, und sie verpflanzten die dreizehn Steine in den feurigen Schlund, damit sie auch fürderhin den Tanz der tausend Füße tanzten. Des abgeschiedenen Mädchens hingebettete Leiche ist immerdar unter der langgestreckten Schneehülle der Weißen Frau als Schattenriß sichtbar. Des Jünglings Schicksal aber war es, am Leben zu bleiben und ewig den Leichnam der Erschossenen vor Augen zu haben ...


Der alte Heredia vermochte den verliebten Bergen wenig Anteilnahme abzugewinnen, nur den Anfang der Erzählung hatte er mit angehört, war dann hinterherkeuchend immer weiter zurückgeblieben, und als die Waldzone überstiegen war, ließ er sich nicht blicken. Tlascalteken wurden zurückgesandt, ihn zu suchen. An den Armen ihn mehr tragend als stützend, schleppten sie ihn endlich vor Ordas. Schweißtriefend erklärte der alte Musketier, er könne nicht weiter, er habe seine Kräfte überschätzt.

Es war bereits Nachmittag, und da der Aufstieg bis zum Kraterrand sich doch am selben Tage nicht hätte ausführen lassen, beschloß Ordas, dort auf einer Wiese Rast zu machen. Von gleitenden weißen Nebelwolken wurden die Schlummernden überkrochen und überhuscht.

Gleich nach Sonnenaufgang brachen sie auf. Die Täler unter ihnen waren teils noch schwarz, teils dunstblau, nur die Schneespitzen und Felsköpfe loderten durchsichtig goldenrot. Schwieriger als tags zuvor wurde es, die Felsungeheuer zu bezwingen. Höllenkahle Geröllhalden, Steilschluchten und Schroffen mußten überwunden werden. Als schließlich die Region des Lavasandes erreicht war, brach Doña Elvira Farfan erschöpft zusammen, und Heredia behauptete von neuem, er könne nicht mehr, er sei am Ende seiner Kräfte.

Ordas fluchte.

»Gebt auch Ihr es auf, Señor Capitan!« meinte Heredia, aufdringlich grinsend. »Es wäre doch schade ...«

»Was wäre schade?«

»Wenn der Teufel Euch droben holte!«

»Aha! Und der Respekt vor ihm ist Euch in die Knochen gefahren? Das also ist's?« grollte Ordas.

»Ich habe ein junges Weib, Senor. Könnt Ihr wünschen, daß sie Witwe wird und mich beweint?«

»Euch?! ...« Ordas, der sonst nie lachte, mußte hell auflachen. Doch das sah er wohl ein, daß er den eigensinnigen Alten nie bis zum Krater hinaufbringen werde. Er hieß ihn bei Dona Elvira bleiben und auf seine Rückkehr dort warten.


Mit den Tlascalteken klomm Ordas weiter hinauf, gelangte zum ewigen Schnee. Die Indianer wanden sich Baumwolltücher um die Füße und umwickelten auch seine Sohlen, obgleich er sich anfangs gesträubt hatte. Der feste, von Sonnenstrahlen gebackene Schnee hielt stand. In den Augen flammte das betäubende Licht, flackerte bei jedem Augenaufschlag als karminenes Glutenmeer. Die Schneeschatten färbten sich dunkelviolett.

Nach Westen hin wurde der Ausblick frei auf das Land der Seen, den Garten Anahuac, auf Tezcuco und Tenuchtitlan. Doch die geblendeten Augen gewahrten nicht mehr als ein rotes Schimmern. Und hätte Ordas auch sehen können, er hätte doch nichts gesehen: als Sklave seiner Traumziele war er für Naturschönheit blind.

Die Kälte der Eiswelt verbrannte die Haut, und die Sonne brannte wie ein überheizter Eisenofen. Die Bergkrankheit umnebelte die Sinne, brauste in den Ohren, dörrte den Gaumen aus, erschwerte das Atmen. In immer kürzeren Abständen mußte der Aufstieg unterbrochen werden, mußte das rasend stürmende Herz sich matt laufen.

Endlich stand Ordas auf dem siebzehntausendachthundert Fuß hohen Kraterrande. Eine Weile lang in dunkles Gestein starrend, gewöhnte er sein Auge daran, wieder Bilder aufzunehmen. Er hatte es nach Möglichkeit geschont, war ganze Strecken mit geschlossenen Lidern gestiegen. Das rote Flimmern verlor sich allmählich. Nun konnte er in den Krater blicken.

Über die gelbgrünen Schwefelfelsen und grauen Lavaklötze des Kraterrandes – überharscht von Schneeflaum und gletscherblau überfroren – hingen mannsdicke Eiszapfen in die brodelnde Tiefe hinab. Dort unten aber brandete das metallene Meer. Sturmgepeitscht rollten die haushohen Metallwogen, brachen sich aufschäumend und zischend am Felsenufer. Ein See von mehr als tausend Fuß Durchmesser war es, leuchtend, obgleich kein Sonnenstrahl hindrang, leuchtend von eigenem Licht. Rudern und segeln hätten irdische Schiffer nicht können auf diesen Fluten aus purem geschmolzenem Gold ...

Jedoch auf den ernsten Zügen des Ritters Ordas prägte sich keine Verblüffung aus wie auf den entsetzten Gesichtern seiner indianischen Begleiter. Er war gefaßt, war vorbereitet auf diesen Anblick. Sachlich, ernst und methodisch ging er ans Werk. Und nachdem er einen überhängenden Schwefelfelsen ausfindig gemacht hatte, ließ er den eisernen Eimer an der langen Eisenkette und dem noch viel längeren Hanfseil hinunter in das metallene Meer.

Viel Zeit erforderte das Hinabgleitenlassen des Eimers und ebenso das Emporziehen. So viel Zeit währte es, daß der heiße kostbare Inhalt des Eimers – an den säulendicken Eiszapfen entlang aufsteigend – erkaltete. Als schließlich der Eimer oben angelangt war, hatte sich das Gold in graue Lavaschlacke verwandelt.

Die Tlascalteken kicherten. Ordas aber stieß mit einem Fußtritt den Eimer in den See von Gold. Wie werden erst die Kastilier sich vor Lachen schütteln dachte er und drehte schwermütig an seinem langen Schnurrbart. Er war es gewohnt, daß das Schicksal ihn narrte ...


Einen der riesigen Eiszapfen nahm Ordas mit, um Cortes wenigstens etwas Brauchbares mitzubringen. Vier Tlascalteken mußten den baumlangen Eiszapfen tragen.

Den Abstieg erleichterte sich Ordas, indem er es Quetzalcoatl, dem toltekischen Gotte, gleichmachte, welcher sich vom Krater des Popocatepetl bis in die Ebene hatte hinabgleiten lassen. Von Marina hatte er davon gehört, und längst war es sein Vorsatz gewesen, die Tat des Gottes nachzuahmen. Nur leider war sie unnachahmlich, wie er bald merkte, als er auf seinem ausgebreiteten Flausmantel eine Schneehalde hinabschlitterte, – auf halbem Wege trennten sich Mensch und Mantel, und mit dem Kopf voraus verschwand Ordas im Schnee, mußte von seinen Tlascalteken ausgegraben werden. Bei der zweiten und dritten Schneehalde erging es ihm nicht besser, bis er es aufgab.

An der Stelle, wo er Doña Elvira Farfan zurückgelassen hatte, traf er diese allein an. Der alte Heredia hatte sich aus dem Staube gemacht, vorschützend, er höre deutlich ein unterirdisches Rollen und habe nicht Lust, sich von seinem jungen Weibe betrauern zu lassen.

Der lange Eiszapfen wurde ins Gras gelegt, die Mundvorräte wurden ausgebreitet. Ordas, Doña Elvira und die acht Tlascalteken setzten sich auf umherliegende Lavablöcke, das Mittagsmahl einzunehmen.

Während sie aßen, fragte Ordas den Führer aus über den weißen König der Tolteken. Er wisse von Malintzin, daß der Gott ein Ballspielhaus auf dem Kraterrand erbaut habe, doch sei droben nichts davon zu entdecken gewesen.

Der Tlascalteke entgegnete, die Trümmer des Ballspielhauses befänden sich noch auf dem Krater, wären aber, durch Eis und Schnee überwuchert, den Blicken der Erdgeborenen entzogen. Und hieran anknüpfend erzählte er eine seltsam schöne Sage vom Auszug des Gottes aus Tula:

An einem Spinnenfaden hatte sich der unheimliche Tezcatlipoca vom Himmel herabgelassen, den Büßergott zu verderben. Wein überbrachte er ihm, den er als Trank der Unsterblichkeit anpries. Und nicht nur Quetzalcoatl, auch seine Feldherren und Höflinge tranken vom Wein, durch einen Rohrstiel ihn einsaugend. Ihrer fünf und immer wieder fünf schlürften und berauschten sich. Und einer der Höflinge sprach:

»O großer König und Herr, befiehl, daß man singe! Siehe, ich weiß das wollüstige Lied, das Lied, das dir gefallen wird!«

Und als der Büßerkönig nickte, sang der Höfling:

»O Palast, glitzernd von Quetzalen,
O Palast meiner geliebten Vögel,
O Palast der Türkise,
O Palast, rieselnd von Smaragden,
Nie werde ich aufhören, dich zu verschönen!
An ya, an ya!«

Und der trunkene Gott unterbrach das Lied, glückselig rief er aus:

»Man bringe mir meine Schwester Quetzalpetlatl! Berauschen will ich mich mit ihr!«

Da eilten mehrere Höflinge in den Palast von Nonohualco, wo die Prinzessin lebte.

»O Prinzessin«, sprachen sie, »der königliche Priester Quetzalcoatl erwartet dich, um sich an dir zu berauschen.«

»Ich bin bereit, euch zu folgen!« sagte die Königstochter.

Darauf sangen die Höflinge:

»O liebliche Schwester, freue dich,
O Quetzalpetlatl!
Wir jauchzen vor Freude,
Wir singen dir, wir singen dir.
Der Geliebten Quetzalcoatls!
An ya, an ya!«

Seitdem konnte Quetzalcoatl nicht mehr sagen: »Ich bin ein Heiliger!« Er badete nicht mehr mitternachts im Schloßbrunnen, seines Bleibens war nicht mehr im Lande. Und er dichtete dieses Lied:

Meine Mutter, meine würdige Mutter
Blickte mich an in meiner Trunkenheit.
Sie sagte: »Ich erkenne meinen Sohn nicht!
Er ist der göttliche Herr nicht mehr!
Unglücklicher! Ich weine! Wehe!«

Und im krummen Spiegel, den der schwarze Tezcatlipoca ihm gebracht hatte, sich betrachtend, sah Quetzalcoatl, daß er ein hundertjähriger Greis war – obgleich er ewig jung erschien –, und hinweg zog er mit allen Singvögeln Tulas ...

Da fragte Ordas, woran das gelegen habe, daß der König ewig jung erschien, obgleich sein Antlitz die Züge eines Greises trug.

Das habe daran gelegen, erwiderte der Tlascalteke, daß er nachts im Schloßbrunnen badete, der ein Brunnen der Verjüngung war.

Die müden Züge des Ritters spannten sich. Ein neues Ziel leuchtete vor seinem Tatendurst auf.

Wo der Verjüngungsbrunnen sei, fragte er.

Unter den Trümmern des Silberpalastes von Tula, gab der Tlascalteke zur Antwort. Doch niemand wisse mehr, wo das alte Tula gestanden. Mehrere Orte nannten sich so. Doch gebe es auch viele Trümmerhügel in Anahuac – eine jener Schuttstätten müsse wohl die Stadt der Silberpaläste gewesen sein ...

Ordas ließ sich von Doña Elvira Farfan Verschwiegenheit schwören. Er ganz allein wollte den Jugendbrunnen ausfindig machen, ihn dem Kaiser schenken ... Alle Greise und Greisinnen Europas würden nach Tula gepilgert kommen ...

»Auch Euch, Doña Elvira, werde ich Jugend und Schönheit wiedergeben!« schloß er.

Grausam war seine Zerstreutheit. Doña Elvira war eine indianische Hure gewesen und war sich ihres verwüsteten Aussehens stets bewußt.

»Wozu!« sagte sie düster. »Ich möchte mir es nicht wünschen, noch einmal zu leben. Schon so ist es allzu lang ...«

Während des Mahles und der darauffolgenden Siesta war die Sonne vom Meridian weit nach Westen gewandert. Als Ordas den Abstieg ins Tal fortsetzen wollte, stellte es sich heraus, daß der große Eiszapfen verschwunden war.


Gegen den Rat der Kaziken aus Huexotzinco und Tepeaca hatte sich Cortes für den mittleren der drei Wege, für den Engpfad zwischen der Weißen Frau und dem Rauchenden Berge entschieden, nachdem er sich mit eigenen Augen davon überzeugt hatte, daß gefällte und hoch übereinandergeschichtete Baumstämme die breite südliche Straße bedeckten, während die nach Chalco und Tezcuco führende Straße durch herangewälzte Syenitblöcke verstopft war. Nur noch ein letzter Sattelkamm, allerdings der am schwersten zu übersteigende, trennte das Heer vom Tal der Verheißung.

Am Scheidewege verabschiedete sich die Schwarze Blume, nachdem es ihm nicht geglückt war, Cortes zu einem Besuch Tezcucos zu überreden. Im Waldgebirge hatte der junge König eine heimliche Zusammenkunft mit seinem Bruder Ohrring-Schlange, dem Herabstoßenden Adler und dem Roten Jaguar gehabt, die – alle drei noch immer als Jäger verkleidet – dort seinethalben umherstreiften. Durch einen hörigen Landarbeiter hatten sie ihn in ihre Waldhütte bitten lassen, dringend hatten sie ihn mahnen lassen, er möge der notwendigen Verständigung nicht ausweichen, sie selbst würden ihn aufgesucht haben, scheuten sie nicht eine Begegnung inmitten des Christenheeres. Die Schwarze Blume war der Aufforderung willig gefolgt, – teils, weil der gemeinsame Haß gegen Montezuma frühere Gegensätze überbrückte, teils aber auch, weil seine Treulosigkeit nach einem neuen Widerhalt suchte. Die Kirchenbuße des Paters Olmedo hatte einen Stachel hinterlassen.

Seit dem Bruderkrieg vor den Toren Tezcucos war dies das erste Wiedersehen der Brüder. Damals war durch mexikanische Vermittler der Friede zuwege gebracht worden, dem Edlen Traurigen war die Hauptstadt Tezcaco und ein Streifen am See, der Schwarzen Blume das umfangreiche Gebirgsland zugefallen. Doch schon gleich nach dem Waffenstillstand hatte sich Prinz Ohrring-Schlange zu seiner Mutter nach Tenuchtitlan begeben und war mit seiner Schwester und dem Durch-Zauber-Verführenden auf der schwimmenden Insel gefahren, während die Schwarze Blume noch in Tezcuco verhandelte.

Jetzt stürzten sich die Brüder weinend in die Arme, und gleich nach den ersten Worten spürten sie eine Wärme der Vertrautheit und eine schrankenfreie Nähe, als hätten sie sich nie mit Speer und Schild gegenübergestanden. Aber auch der Herabstoßende Adler, der Feind Quetzalcoatls, und die Schwarze Blume, der jüngst Getaufte, fanden Gefallen aneinander, trotz vielem, was sie schied. Prächtige Vertreter waren beide einer raubtierhaften Zuchtrasse, stählern ihre Glieder, stählern ihre Herzen.

Es galt, sich zusammenzuschließen, für alle, die grollend abseits standen und der Politik des Huei-Tecpan die Gefolgschaft verweigerten. Mit jedem Tage wurde die Handlungsweise Montezumas rätselhafter.

Sogar das niedere Volk, sonst immer knechtisch untertänig, gewohnt, in ihm einen Gott zu sehen und anzubeten, hatte bereits begonnen, ihn wegen seiner schmachvollen Verschrecktheit zu verachten, und die höheren Kasten wurden zur Raserei gebracht durch seine launischen Willkürbefehle. Die neueste, eben aus Tenuchtitlan herübergekommene Nachricht lautete: der Zornige Herr habe die Prinzessin Perlmuschel eingekerkert und wolle sie opfern lassen, falls sie nicht einwillige, das Weib des kecken Ehebrechers aus Huexotzinco zu werden!

Die Schwarze Blume tobte. Und als im Auftrage seiner Mutter, der Herrin von Tula, ihn Prinz Ohrring-Schlange aufforderte, mit nach Tezcuco zu kommen, war er bereit dazu.

Er begab sich zurück zum Christenheer – noch hatte dieses den Weg zwischen den beiden Vulkanen nicht eingeschlagen –, und dort an der Wegscheide nahm er von Cortes und den Hauptleuten Abschied. Er versprach, am Seeufer wieder zum Heere zu stoßen.


Ohne den Herabstoßenden Adler – denn dieser und sein Sklave hatten sich in den Schluchten des Nordwestabhanges der Weißen Frau schon von ihnen getrennt – langten Prinz Ohrring-Schlange und die Schwarze Blume gegen Abend in Tezcuco an.

Festjubel scholl ihnen am Stadttor entgegen. Tezcuco, in dessen Mauern noch vor wenigen Tagen ein erbitterter Volksaufstand gewütet hatte – Tezcuco prangte im Schmuck der Lilien und Standarten. Das ausgesöhnte Volk feierte die Errettung, die glückliche Flucht der Prinzessin Perlmuschel aus dem »Ort der Schergen«, der Richtstätte Tenuchtitlans.

Da Ohrring-Schlange und die Schwarze Blume am Stadttor erfuhren, Perlmuschel und die Herrin von Tula befänden sich in Tezcotzinco, dem außerhalb Tezcucos gelegenen einstigen Lustschloß des Herrn des Fastens, begaben sie sich geradewegs dorthin, ohne die Stadt zu betreten.

Auf einer felsigen, wie ein Kap in die Lagune hinausragenden Landzunge rauschten die Wasserfälle, die Springbrunnen und dunklen Baumwipfel von Tezcotzinco, rings verbrämt vom silbrigen, plätschernden Schaumstreifen des Schilfsees. In die mit schwarzen Moospolstern getigerten Felswände sah man Symbole und Embleme gemeißelt – ein brennendes Haus, zwölf Köpfe von Fürsten und Königen, zwei flammenatmende Jaguare –, versteinerte Lobgesänge auf die Großtaten des Herrn des Fastens und seiner Vorfahren. Dort, hinter den turmhohen Steinmauern des wunderalten Parkes, hatte er, abgeschieden von der Welt, das letzte Halbjahr seines Lebens verbracht, nächtens Zwiesprache gehalten mit dem gestirnten Himmel und unter kahlköpfigen Zypressen die Tage vertrauert mit kreischenden Papageien und lärmenden Affen, mit stummen Kunstfelsen und schweigsamen Fischteichen, mit geschwätzigen Springbrunnen und zwei gebeugten Greisen – von denen der eine, der Alte Wickelbär, nach des Königs rätselvollem Hingang, in Tenuchtitlan als Zauberer gelebt und sich Zacatzin genannt hatte ...

Auf den hüpfenden Wellen des Schilfsees spiegelte sich roter Fackelschein. Das einem Kastell ähnliche, am Rand der Kuppe des schroff in die Lagune abstürzenden Vorgebirges erbaute kleine Lustschloß war festlich erhellt. Ein indianischer Ball, ein strahlendes Tanzfest wurde in den mit Federmosaik-Teppichen behängten Räumen veranstaltet. Märchenschimmer war das Farbenspiel der Kolibrigewänder und der am Fackellicht erglühenden Kostbarkeiten. Die tanzenden jungen Männer prangten in Jaguarfelle gekleidet. Die Mädchen und jungen Frauen hielten, reigend, große elfenbeingelbe Wasserrosen in den Händen.

Nach stürmischer Begrüßung mit Mutter und Schwester und nachdem Tränen der Rührung und Freude vergossen waren, folgten die Schwarze Blume und Ohrring-Schlange der Herrin von Tula in einen Saal, wo, wie sie geheimnisvoll andeutete, ihrer eine Überraschung harrte. Es war der Schlangensaal, an dessen weitgeöffnetem Tor einst – nach dem damals noch verborgen gehaltenen Tode des Herrn des Fastens – das geängstigte Volk Tezcucos vorbeigepilgert war, den Thronenden zu erblicken, der, ein lebloses Steinbild, mit lautem Gepolter dann auf die Marmorfliesen stürzte, als ihm die Schwarze Blume die Stirnbinde aus Türkismosaik vom Haupte riß.

Jetzt war der Saal mit zweihundert überschlanken jungschönen Frauen gefüllt, die alle kniend auf ihren Fußhacken saßen. Und inmitten seiner Frauen, kauernd auf einem niedrigen Schemel, lauschte der Edle Traurige seinem Musikmeister, welcher, zum Gesang eines Knabenchores und begleitet von drei mit Huhehuhetl-Tamburinen und perlmutternen Rasseln den Takt angebenden Trommlern, in eine Menschenarm-Trompete blies. Am durchbohrten, entfleischten Menschenarm befanden sich noch – mit silbernen Bändern verbunden und weit auseinandergespreizt – die fünf Knochenfinger, und jeder Finger war auf einen anderen Ton abgestimmt.

Der Edle Traurige erhob sich und hieß die Musik verstummen, als er die Herrin von Tula und seine Brüder eintreten sah. Er war zur Aussöhnung bereit. Die auf dem See bei der Liebesinsel erhaltene Schulterwunde hatte er seinem Bruder Ohrring-Schlange verziehen. Und auch gegen die Schwarze Blume fühlte er, seitdem die Waffen ruhten, keinen Groll mehr. Längst hatte er sich nach einer Verständigung gesehnt, und nur sein Stolz hatte ihn bisher abgehalten, den ersten Schritt zu tun. Der Herrin von Tula und Perlmuschel war es nicht schwergefallen, ihn zu der Zusammenkunft zu überreden.

Die jüngsten Geschehnisse in Tenuchtitlan hatten einen Gesinnungswechsel in ihm bewirkt. Zwar war und blieb er, obwohl er die Krone Tezcucos trug, ein Vasall Tenuchtitlans und fühlte sich mehr als Mexikaner denn als Acolhua – zu lange hatte er die Luft des Huei-Tecpan geatmet, und die Kindheitseindrücke ließen sich nicht auswischen: die Herrin von Tula war seine Mutter nicht, er war ein Sohn jener hingerichteten zwölfjährigen Ehebrecherin Smaragd-Lingam, der mit Blumengewinden erdrosselte Pflanzer-des-Weidenbaumes war sein leiblicher Bruder gewesen. Aber liebte er Mexico noch immer – Montezuma liebte er nicht mehr. Seine an Anbetung grenzende Verehrung hatte der Zornige Herr sich verscherzt durch den Kleinmut gegenüber dem Schicksal, durch die Heimtücke, die Unwahrhaftigkeit seiner Handlungen sowohl wie seiner Worte. Die enttäuschte Liebe des Edlen Traurigen war im Begriff, sich in Abscheu und Feindschaft zu wandeln.

Wie Guatemoc so war auch Cacama um Maisblüte betrogen worden, und auch an seinem Herzen nagte – nicht minder qualvoll als an dem des Herabstoßenden Adlers – ein nie zu verwindender Schmerz. Mit Prinzessin Silber-Reiher, der reizlosen zweiten Tochter des Zornigen Herrn, führte er keine glückliche Ehe – nicht um ihretwillen hatte er den Hort von Tezcuco nach Mexico gebracht.

Es reute ihn, daß er das getan hatte. Er konnte sich die Übereiltheit nicht verzeihen, mit der er dem Zornigen Herrn das Gold seiner Ahnen ausgeliefert hatte, ohne den Preis des Handels – die Geliebte – in Händen zu halten. Vor der Schwarzen Blume, der doch eines Blutes mit ihm war, hatte er geglaubt den Schatz retten zu müssen, – und nun war er nicht fähig, ihn vor der Habgier Montezumas zu retten. Kein Geheimnis war es geblieben, daß der Herabstoßende Adler als Vorsteher des Hauses der Edelsteine sich geweigert hatte, das Gold Tezcucos antasten zu lassen, und daß er deshalb in Ungnade gefallen und verbannt war. Das Mexikaner-Priesterchen im Schlangenberg brüstete sich bereits, der Sternhimmel am Huitzilopochtli-Turm werde bald mit einer dicken Schicht von Edelgestein und Edelmetallen überzogen werden, und deutete an, daß Montezuma hierfür das Erbe des Herrn des Fastens gestiftet habe, um den Kriegsgott, den Wunderbaren, zu besänftigen.

Aber noch andere Gründe hatte der Edle Traurige, Montezuma zu grollen. Die Blutschande des Vom-Himmel-Gestiegenen, der frevelhafte Mißbrauch der Kleidung Tezcatlipocas waren ungesühnt geblieben. Seinen mißratenen Sohn hatte der Zornige Herr nicht gestraft, hatte ihm sogar, heiliger Sitte entgegen, die Schwester zur Frau gegeben. Und auch nicht vom König, sondern vom Herabstoßenden Adler war der Schönling Coxtemexi, der bis vor kurzem noch als der Anstifter des Unheils galt, gezüchtigt worden. Seiner Nase hatte ihn Guatemoc beraubt, hatte ihn widerrechtlich im Huei-Tecpan gefangengehalten. Jetzt aber, nach der Verbannung seines Peinigers befreit aus der Haft, deckte Coxtemexi vor allen Prinzen, Höflingen und Edelleuten Tenuchtitlans den wahren Sachverhalt auf und bezichtigte den Tempel-Feger als den Hauptschuldigen – wohl in der Hoffnung, daß es dem Herabstoßenden Adler zu Ohren kommen werde, und um ihn gegen einen unüberwindlich scheinenden schlangenglatten Feind zu hetzen. Was heute jedermann in der Wasserstadt wußte, mußte auch Montezuma bekannt sein. Doch weit entfernt, den Tempel-Feger zur Verantwortung zu ziehen, hatte er ihm Prinzessin Perlmuschel, seine – des Edlen Traurigen – Schwester, versprochen. Ja, er hatte sogar, nicht scheuend, ihre Einwilligung mit Gewalt zu erzwingen, sie zu einer Verzweiflungstat veranlaßt ...

Prinz Ohrring-Schlange ahnte, was in der Seele Cacamas vorging. Er selbst bereute die Verwundung des Bruders, wie jener die Überantwortung des Goldhortes bereute. Vernarbt war die Schulterwunde, indes auch das väterliche Erbe war noch nicht vergeudet. Verloren war nur die Liebe des Volkes von Tezcuco – doch selbst die ließ sich vielleicht zurückgewinnen, wenn sich der Hort zurückgewinnen ließ. Und das war immer noch möglich, freilich nur möglich, wenn die Geschwister zusammenhielten und bei dem täglich näher androhenden Umschwung in Tenuchtitlan eines Sinnes waren. Denn Montezuma schien ein Verlorener, ein Gezeichneter, ein von den Sterngöttern im Stich Gelassener, gewiß, seine Tage waren gezählt. Daß Cacama sich von ihm abwenden werde, mochte er ihn einst auch wie einen Vater verehrt haben, war letzthin oft von Ohrring-Schlange erhofft worden. Nun hatte die unerhörte Kränkung der Schwester den inneren Abfall beschleunigt.

Der Edle Traurige und Ohrring-Schlange umarmten sich.

Doch die Schwarze Blume wies die dargereichte Hand ab.

»Erst soll mein Bruder unser leeres Schatzhaus wieder füllen!« rief er und eilte zornig in den Garten hinaus.

Perlmuschel eilte ihm nach. Über eine Stunde währte die Aussprache zwischen Bruder und Schwester.


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