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Dreizehntes Buch

Der Herr des Dornenhauses – der blaue Planet Quetzalcoatl – schleuderte seinen Speer auf die wunderschöne, in ein Gewand aus Nephritperlen gekleidete Wassergöttin. Er, der die Könige schießt und die kleinen Kinder und die Jünglinge und die Jungfrauen, als wären sie fliehende Hirsche – er, der Abendstern Quetzalcoatl, durchbohrte Mexicos Wassergöttin mit seinem brennenden Speer. Nun lag sie da erbleichend, die Augen geschlossen, zu Tode verwundet. Sofort hob aus den Wellen des Schilfsees die rote Korallenschlange, das Sinnbild des Blutes, den Schuppenkopf mit den zwei bleckenden Sichelzähnen, und zu ihr hernieder stieg vom Sternendach die feurige Türkisschlange der Hungersnot. Beide Giftnattern umringelten einander, wurden zum unentwirrbaren Knäuel. Da entstand »Wasser und Brand« –: der Krieg.

Quetzalcoatl, der Bringer des Friedensreiches, hatte seinen Speer in den See geschleudert und den Weltbrand entzündet. Denn er, der auch ein Gott des Geistes, des Himmelsäthers und des Windes war, blähte die Segel der dreizehn hohen Wasserhäuser, führte ihre grausige majestätische Phalanx an Tenuchtitlan heran, so daß sie die Inselstadt umschließen, einschließen, von der Außenwelt abschließen konnten. Die Wassergöttin aber, Mexicos mächtigste Beschützerin, schlief todwund auf dem Boden des Sees, und ihre grüne Edelsteinschale war entzweigesplittert ...


Ein aus Holz geschnitzter, gepanzerter Gelbhaariger stand jetzt vor dem »Altar«, dem kleinen Heiligtum Tezcatlipocas inmitten des Marktplatzes von Tlatelolco. Jüngst hatten die drei jungen Könige, ihre Obsidianmesser in die Brust des weißen Mannes stoßend, beim Namen der Sonne und Unserer Frau der Erde geschworen, in ihrem Haß nie nachzulassen. Ihr Beispiel ahmten nun die Adler und Jaguare nach und schworen, die Schlangenbergstufen mit dem Blut der vornehmsten Christen rot zu färben. Ein anderes, erst vor kurzem vollendetes Schnitzbild eines Hirschungeheuers befand sich auf dem Platz vor dem Hauptportal des Huei-Tecpan. Und nicht nur junge Krieger, auch die noch mit Kindergesichtsbemalung umherlaufenden Kinder – Knaben und Mädchen – übten ihre Kampflust am Tiermenschen, gewöhnten sich an seinen Anblick, überwanden ihr heimliches Grauen. Wie phantastische Kakteen, wie bedeckt mit einer Stachelhaut waren nach einigen Tagen die beiden hölzernen Feinde von waagerecht abstehenden Pfeilschäften und Wurfspeeren umstarrt.

Doch mochten auch Tausende an diesem Kampfspiel teilnehmen – die Mehrzahl der Bewohner Tenuchtitlans sah den Krieg gleichmütig und sorglos herannahen. Die von Untergang gesprochen hatten, die Mutlosen, die Entrechteten, die Sklaven, sie alle waren – geführt vom Roten Jaguar – in die Ferne gezogen, dem Feuerbaum des Südens zu. Liebte der Adel Yaotl, den Dämon des Krieges, so fürchteten ihn die Händler nicht, verdankte doch Mexico den Kriegen seinen unermeßlichen Reichtum: immer noch hatte, nach schweren Zeiten, die durchlittene Not sich bestens bezahlt gemacht ... Gewiß, Chalco war verloren, Itztapalapan und Xochimilco waren verbrannt und verwüstet. Aber ein ähnliches Geschick konnte Tenuchtitlan nicht bedrohen. Eine Inselfestung war Tenuchtitlan, unantastbar, unbetretbar, unzerstörbar, immerdar beschirmt von der Wassergöttin, deren Gewand glasgrüne Perlen sind ...

Und nach wie vor glitten plätschernd die schwimmenden Gärten und die achtzigtausend Boote Mexicos durch die schattigen, hochwandigen Kanäle, brachten ungezählte Ladungen von Früchten, Blumen, Nutzholz, Webereien, Töpfereien auf die Marktplätze, auf den Ananasmarkt, auf den Kopalmarkt, auf den Wasservögelmarkt ... Nach wie vor priesen ihre Waren an, wägten dar und feilschten einander überschreiend die Tlacanamacaque oder Sklavenhändler, die Verkäufer von Zierpflanzen, von Krebsen und Fischen, von in Erdlöchern gerösteten Kaninchen, von Schlangenhäuten, Pumafellen, Schilfmatten, von flüssigem Amber, Meerschaum, Indigo und roter Erde, von Honigweinkrügen und bemalten Gesichtsurnen, von Rasselstäben, Lackarbeiten, Bilderhandschriften, Ohrpflöcken, Kämmen, von Käfigen mit lebenden Vögeln und von Schüsseln voll Tenacayo – d. h. Menschenfleisch ... Nach dem hölzernen Standbild schossen Kinder und Jünglinge mit Schleudern, Wurfbrettern, Blasrohren, Bogen, und nicht selten schaute einer der drei Könige zu, feuerte an, lobte und belohnte; rings um sie her aber brandete das farbenselige, grellschimmernde Alltagsleben, lärmend und kummerlos wie in Friedenszeit, und behaglich schritten die wohlgenährten Bürgerfrauen, von Fächerträgerinnen begleitet, unter den Säulengängen aus rotem Porphyr oder zwischen den Ständen und Buden, betasteten die Waren, markteten und nahmen aus ihren Xoquipillitaschen Kakaobohnen, um zu bezahlen.

Da wurde eines Tages bekannt, was der Vorsteher der Kundschafter soeben voll Entsetzen dem Herabstoßenden Adler gemeldet hatte: dreizehn hohe Wasserhäuser waren gleich trunkenen Riesen vom Ufer in den See getaumelt, und statt sie zu verschlingen, trug der See sie auf seinem blauen Rücken, jetzt ließen sie bleibeschwerte Schnüre hinab, die Tiefen und Untiefen zu messen ...

Jäh schlug die Zuversicht in Verzagtheit um. Die Inselfestung war nicht mehr unantastbar und unbetretbar. Der Alltag erstarb, und es herrschte Feiertag hinfort – ein bleibender, nie mehr weichender, todesdüsterer, bußhafter Feiertag.

Das Menschengetümmel auf den Gassen schwand nicht, wohl aber verwandelte es sich, und es schwoll an, vermehrt durch Flüchtlinge aus den Pfahldörfern und Uferstädten. Ohne von den Priestern aufgefordert zu sein, ging das Volk in einer unabsehbaren Bußprozession, welcher sich bald die Opferer, die Tempelsänger, die Adligen und die Könige anschlossen. Sie verzehrten giftige Pilze, um sich in einen Rauschzustand zu versetzen. Flöten und Trommelschläge und Wehrufe mengten sich, stiegen himmelwärts mit Staubdunst und Kopalwolken und brausten aufschrillend durcheinander. Das Edelsteinwasser – das Kasteiungsblut – floß in Strömen: mit Aloedornen, Obsidianmessern und Knochendolchen durchbohrten sich viele der Schreitenden die Lippen, die Zungen, die Ohren, die Lenden und zogen Schilfblätter oder aus Malinalligras gedrehte Schnüre durch das durchlöcherte Fleisch hin und her, vor fanatischer Erregtheit unempfindlich für die Schmerzen. Sie fingen das sickernde Blut mit Tannenzweigen auf, um diese nach beendetem Umzug dem schwarzen hinkenden Tezcatlipoca zu weihen.


Der Spinner war kein Freund der Menge – er pflegte ihr auszuweichen, als wäre sie ein Raubtier. Diesmal hatte er eine Weile dem tollen Gespensterzug der Selbstpeiniger zugeschaut, ohne Zutrauen zur Macht der Schmerzen über das Schicksal. Dann schlich er bedrückt davon und begab sich in den Huei-Tecpan, wo seine Mutter in einem von Königin Silber-Reiher bewohnten Palastflügel als Geisel lebte.

Die großen Empfangssäle, sonst mit Höflingen, Kriegern oder Bittstellern gefüllt, waren heute leer. Da der Herabstoßende Adler, Ohrring-Schlange und der Durch-Zauber-Verführende unter den Sichkasteienden schritten, hatten auch alle dem Herrscherhause verwandten Prinzen – die man die Türkisgebürtigen nannte – und die Hofbeamten sich der Prozession angeschlossen. Zurückgeblieben waren nur die Torhüter, einige greise Diener und der Vorsteher des Hauses der Teppiche, welcher eine eben erst aus dem fernen Xoconochco angelangte Gesandtschaft empfing. Der Spinner sah auch, daß ein zapotekischer Dolmetscher die Reden der drei Gesandten übersetzte, doch ohne auf den Sinn der Reden zu achten, eilte er weiter zum Gemach seiner gefangenen Mutter.

Den Gesandten war vom Vorsteher des Hauses der Teppiche mitgeteilt worden, daß der Herabstoßende Adler sie nicht empfangen könne, da er am Bußgang des Volkes teilnehme. Darauf baten sie um die Erlaubnis, die für den König mitgebrachten Geschenke in einem der Palastsäle aufstapeln zu dürfen – ihre Tlamamas stünden vordem Tor und brauchten nur hereingerufen zu werden. Nach einigem Zögern gestattete es der Beamte. Die Tlamamas luden ihre Lasten im Saal der Botschaften ab, während die Gesandten sich die schönsten der Prunksäle zeigen ließen. Dann entfernten sich die Gesandten mit den Lastträgern, in der Absicht, sich die rasende, ächzende und schmerzberauschte Menge anzuschauen.

Mit dem Nähen einer schwarzen Hinterhauptschleife beschäftigt, kniete die Mutter des Spinners in ihrer königlichen Kammer, auf einem gelben, blaugetüpfelten Kissen. Als der junge Dichter durch den Perlenvorhang bei ihr eintrat, sah sie von ihrer Arbeit nicht auf. Auch ohne Wärter war sie eine Gefangene.

Scherzend suchte er sie zu trösten: sie habe es gut und sauber hier wie eine Cihuapilli von fürstlichem Geblüt. Doch mürrisch schüttelte sie den Kopf: sie lebe hier zwischen Skorpionen, Nesseln und Dornen. Seinen Vorschlag, mit ihm zu entweichen, weil der Palast beinahe leer sei, lehnte sie schreckhaft ab. Drohungen der Königin Silber-Reiher hatten sie eingeschüchtert. Daß ihr Sohn Mitwisser eines Geheimnisses sei, wußte sie, wenn auch nicht, welches Geheimnisses. Danach hatte sie ihn niemals zu fragen gewagt. Aber wie bei jedem seiner Besuche forderte sie auch jetzt das Versprechen von ihm, daß er ihretwegen schweigen werde.

»Mein Sohn, du hast eine Schwalbenzunge – sie zwitschert immerwährend ... Die böse Königin von Tezcuco wird deine alte Mutter zu Tode martern, wenn du redest ...«

Er beschwichtigte ihre Angst, er schwor zu schweigen: selbst die vierhundert Pulquegötter könnten sein Geheimnis ihm nicht entreißen .... Und als er von ihr Abschied nahm, erbat er sich ihren Segen.


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