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Nach dem Fett des weißen Paradiesvogels soll sich ein Kaiser Chinas gesehnt haben zeitlebens. Unerfüllbar war seine Sehnsucht: denn es gibt keinen weißen Paradiesvogel.
Die Sehnsucht hob ihn empor, hob ihn aus der dumpfen Masse der Sehnsuchtslosen heraus. Mehr wert ist Sehnsucht als ihre Erfüllung.
Erfüllung ist Untergang: die reife Frucht fällt vom Baum.
Auch die Welterlösung ist ein ewig fernes Sternbild. Doch unselig das Volk, das nicht nach Sternen langt, unselig der Mensch, der keine Gedanken für Sterne hat.
Es kommt nur auf den Weg an, auf den Weg zu den Sternen. Alles andere ist für des Leibes Notdurft.
Freilich, des Leibes Notdurft kann Lehrmeisterin sein, kann zu hungern, zu dürsten und zu lechzen lehren. Irrwege und Umwege können zum Sternenweg führen. Die Armen und Unterdrückten in Anahuac waren es vornehmlich, die auf den Heilbringer, den Sohn der Sonne, gehofft hatten.
Erhebung war die Erwartung gewesen, Enttäuschung wurde die Erfüllung.
Die Reichen und Satten, Montezuma und der Adel Mexicos, hatten kein Ziel gekannt, außer noch reicher und satter zu werden. Nicht jeden verzehrt der Hunger nach dem Fett des weißen Paradiesvogels.
Nun aber waren auch sie Geknechtete. Und sie lernten zu lechzen, nach Erlösung zu lechzen. Über sich selbst erhoben sie sich durch die Gier nach heiliger Rache.
Denn auch Rache ist heilbringend und heilig, wenn sie der Erlösung den Weg ebnet.
Jubel herrschte in Tlascala: kampflos war der Erzfeind zusammengestürzt und lag geknebelt am Boden, unfähig, sich je wieder zu erheben! Recht hatte Tlascala getan, sich auf die Seite der Christen zu stellen, der Triumph des Kreuzes war der Triumph des Pfeiles!
Die Nachrichten übergipfelten sich: Gefangennahme Montezumas! Hinrichtung des Schwelenden Holzes und des Blitzenden Schildes! Der Herr der Welt in Ketten!
Und dann kam die freudigste Kunde: die Grenze war offen! Tlascala war nicht mehr eine Wachtel im Käfig! Endgültig erledigt war der Blumenkrieg! Ein Edikt Montezumas drohte für die Antastung eines weißen Mannes oder eines Tlascalteken die Todesstrafe an.
Jetzt stand es jedem Tlascalteken frei, ohne Waffen mexikanisches Gebiet zu durchziehen, auf den Märkten Anahuacs Handel zu treiben, als Gast in der Königin aller Städte und in den anderen Wunderorten des Drei-Städte-Bundes zu weilen, welche seit der Hinrichtung der Smaragd-Lingam, der Mutter des Edlen Traurigen, bloß tlascaltekische Opfersklaven hatten betreten dürfen.
Die erste Folge dieses Umschwunges war, daß Kreideschmetterling, nachdem er mit Kleinodien seine Wärter bestochen, aus dem Tecpan des Prinzen Kriegsmaske entfloh, in der Hoffnung, nach Tenuchtitlan zum Feldherrn Piltecatl, seinem Beschirmer, gelangen zu können.
Gleich nach Entdeckung seiner Flucht brach Kriegsmaske nach Tenuchtitlan auf, jagte in einer von Schnelläufern getragenen Sänfte dem Hermaphroditen nach.
Kriegsmaske hätte sich auch ohne diesen Anlaß – wenngleich wohl später erst – nach Tenuchtitlan begeben. Nicht nur, weil er es seiner Schwester Dona Maria Luisa-Rabenblume und seinem Schwager Pedro de Alvarado in Aussicht gestellt hatte. Montezuma – der gefangene Montezuma – hatte eine Einladung an den Prinzen Kriegsmaske und den Fürsten Fichtenzweig gesandt und sie aufgefordert, den Abschluß des Blumenkrieges an dem nunmehr befreundeten Hofe von Tenuchtitlan zu feiern. Kriegsmaske hatte zugesagt zu kommen.
Zugesagt hatte er nach einer erregten Aussprache mit Fichtenzweig. Dieser sah in der Aufforderung eine Falle, gelegt von den weißen Göttern: der gefangene Weltherr, meinte er, könne sich schwerlich aus eigenem Antriebe darum bemühen, seine ärgsten Widersacher als Gäste zu bewirten – es sei denn, er wolle sie den Christen in die Hände spielen. Kriegsmaske hatte die Vorsicht des Freundes verlacht.
Obgleich er in Eilmärschen nach Anahuac jagte, gelang es ihm jedoch nicht, des Hermaphroditen habhaft zu werden.
Fichtenzweig hatte abgelehnt, blieb in Tlascala. Menschenscheu und verbittert mied er die Sitzungen des Rates der Alten, wo die Sammelnde Biene und das Offene Gesicht Lobreden auf den Grünen Stein hielten, er nahm an den Festreigen des verblendeten Volkes auf dem großen Marktplatz nicht teil, denn er wußte, daß Tlascala eine tanzende Leiche war. Ein Einsamer, saß er trauerverzehrt in seinem Tecpan und schlürfte weißen Pulque, um den Jubel der Stadt und die mahnenden Stimmen in seinem Innern nicht zu hören.
Schwärzer denn je war seine Seele. Nur der Pulquerausch befreite ihn von den Vorwürfen seines ermordeten und immer wieder aus dem Grabe steigenden Kindes.
Unerträglich war ihm der Anblick der Als-Schlange-Lebenden, der Mutter des Kleinen Pfeiles. Ihr verhärmtes Gesicht war eine furchtbare Anklage. Er faßte den Entschluß, sich ihrer zu entledigen.
Den Hetzreden ihrer Nebenbuhlerin Smaragd-Puppe gab er willig Gehör – obgleich eine heimliche Stimme ihm sagte, daß kein Verrat zu befürchten war, außer wenn er sich selbst verriet. Er ließ sich von Smaragd-Puppe einreden, die Als-Schlange-Lebende frohlocke über die Erfolge der Sonnensöhne und trage sich mit der Absicht, für die Tötung des Kleinen Pfeiles Strafe zu fordern.
Fichtenzweig dang zwei seiner Diener, um die lästige Mitwisserin zu beseitigen, und er verschaffte ihnen ein getrocknetes Jaguarherz, wie es die Leute, deren Beruf Meuchelmord war, stets bei sich zu tragen pflegten.
Eines Abends schickte er die Als-Schlange-Lebende in einer Sänfte nach seinem an der Südostgrenze gelegenen Felsenschloß Atlihuetza, dem »Wasserfallschloß«.
Kreideschmetterling hatte richtig vermutet, daß Prinz Kriegsmaske – im Glauben, er sei geradeswegs zu Piltecatl nach Tenuchtitlan geflohen – ihm auf der westlichen Heerstraße nachsetzen werde. Um seine Spur zu verwischen, hatte er sich daher ostwärts ins Gebirge gewandt. Nachdem er einen Tag umhergeirrt war, suchte er ein Nachtlager in einer Felsenhöhle, zu welcher ein Klippenpfad emporführte. Eintretend, gewahrte er einen weißen Gott, niedergekniet und in Gebet versunken vor einem roh geschnitzten Holzkreuz. Kahlköpfig war der Mann, hatte einen langen grauen Bart; seine hänfene Kutte war um die Lenden mit einem Strick gegürtet. Es war jener Soldat Gaspar Lencero, den das Gemetzel von Cholula zum Eremiten gemacht hatte.
Erschreckt wollte Kreideschmetterling sich wieder hinausschleichen, doch Gaspar Lencero hatte ihn erblickt und hielt ihn zurück. Das Licht der untergehenden Sonne fiel schräg in die Höhle hinein und zeigte ihm, welch ein märchenhaft schöner Gast ihn besuchen kam. Rätselhaft war, was ein so vornehmes, reichgekleidetes Mädchen zu abendlicher Stunde in die Wildnis, in die Berghöhle getrieben haben mochte. Sie schien verfolgt zu sein, schien Schutz zu suchen. Mitleid und Neugier veranlaßten ihn, ihr Schutz zu gewähren. Auch war er trotz der Kutte ein Mann, hatte erst vor wenigen Wochen der Welt entsagt, hatte sich noch nicht gewöhnen können an die Abgeschiedenheit, an das qualvolle Schweigen bei Tag und Nacht. Einen Hund hatte er sich zuweilen gewünscht, um zu einem Wesen reden zu können. So war ihm dann an diesem Abend die Nähe eines menschlichen Wesens willkommen – mochte es auch ein Mädchen, mochte es eine Verlockung Satans sein. Er hielt sich für stark genug, Satan zu widerstehen ...
Kreideschmetterling hatte alsbald erkannt, daß dies ein christlicher Heiliger sein müsse, von dem keine Gefahr drohte und der möglicherweise ihm behilflich sein konnte, Tenuchtitlan zu erreichen. In Tränen ausbrechend, erzählte er dem Eremiten erlogene Abenteuer, begründete damit seine Schutzbedürftigkeit. Gaspar Lencero verstand nichts außer den Worten »unversehrte Jungfrau« und »das Tränken der Götter«. Das übrige ergänzte seine erregte Phantasie. Ihm stand es fest, daß die heidnischen Götter mit dem Edelsteinwasser dieser unversehrten Jungfrau getränkt werden sollten, – und das zu verhindern war er als Christ verpflichtet.
Er lud das schöne Mädchen ein, bei ihm zu bleiben. Und er setzte ihr als Nachtmahl das Rippenstück eines Hirsches vor, den er mit seiner Armbrust erlegt hatte. Weit von seiner Lagerstätte entfernt, am andern Ende der Höhle, breitete er Maisstroh für sie hin und hieß sie sich niederlegen.
Er selbst lag die ganze Nacht schlaflos da, mit offenen Augen ins Dunkel starrend. Das berückende Bild wich nicht von seinen Augen, wie sie im Abendsonnenschein am Eingang der Höhle gestanden hatte, umspielt vom kecken Bergwind, der ihr das zerzauste Haar an die Wangen schlug und am seitwärts flatternden Mädchenrock so stark zerrte, daß die überfeinen Linien der Schenkel, des Knies und der zartgeschweiften Waden sich bildhaft wundervoll gegen das gelbfunkelnde Sonnengold abhoben. Toll machte ihn das Bild. Er hatte Satans Macht unterschätzt. Er hatte Satan in seine Klause geladen. Und er nahm sich vor, auf der Hut zu sein.
Bei Tagesanbruch kniete er vor dem Kreuz und züchtigte seinen Rücken mit Geißelhieben.
Der Felswand – wo in beträchtlicher Höhe sich das gähnend schwarze Loch des Höhleneingangs befand – ragte eine andere, nicht minder hohe und schroffe Felswand gegenüber. Zwischen den beiden Felsmauern aber dehnte sich eine ziemlich breite Schlucht. Kein Weg führte durch die Schlucht, kein Mensch und kein Tier hätten sich dort Bahn schaffen können, denn der Boden war mit Kakteen bewachsen, mit phantastischen baumgroßen Opuntien, mit Erdkaktus, Orgelpfeifenkaktus, Stachelkaktus. Es war eine Kakteenwüste, eine Urwildnis von Kakteen.
Der diesseitige Felspfad wand sich unterhalb der Eremitenhöhle hin. Der obere Teil des Felsens trat an jener Stelle ein wenig zurück, und ein Wiesenhang erstreckte sich, sanft abfallend, vom Höhleneingang bis zum Pfad. Ein neben der Höhle rieselnder Quell bildete in dem Wiesenhang einen Tümpel, wo Gaspar Lencero sich täglich zu waschen pflegte.
Als Kreideschmetterling bald nach Sonnenaufgang erwacht war, ging er zum Tümpel hinaus, sich zu waschen. Dabei entblößte er den Oberkörper. Und der Eremit erblickte die jungen, birnenförmigen, spitz aufwärts geschweiften Mädchenbrüste und erschrak vor sich selbst, fürchtete der Sünde zu erliegen. Darum verjagte er das Mädchen.
Doch das Mädchen kehrte wieder, bettelte und schluchzte. Da ergrimmte er und warf einen Stein nach ihr. An der Schläfe traf sie der Stein, schlug ihr eine klaffende Wunde. Ohnmächtig war das Mädchen hingestürzt. Gaspar Lencero trug sie in die Höhle, verband ihr die Wunde.
Zwei Wochen lang pflegte er sie. Obgleich er vom Lager der Todkranken nicht wich, bemerkte er doch nicht, daß sie ein Knäblein war.
Als es ihr besser ging, behandelte er sie rauh und abweisend. Er fürchtete sich vor ihr. Doch er verbot ihr nicht, bei ihm zu bleiben.
In einer Mondscheinnacht, als die Höhle bläulich durchhellt war, stieß das Mädchen einen durchdringenden Schrei aus. Er näherte sich ihrem Lager, glaubte er doch, ihre Wunde habe sich wieder geöffnet. Sie war emporgesprungen, und sie zeigte entsetzt auf einen spannenlangen Tausendfuß am Kopfende ihres Strohbettes. Mit einem Holzscheit hatte sie das Tier zerquetscht. Und noch immer flatternd vor Angst klammerte sie sich an den heiligen Mann, schlang die Arme um seinen Hals.
Er machte ihr Vorwürfe: grundlos sei ihre Angst, und unrecht habe sie getan, Gottes Kreatur zu töten.
Sie fing zu weinen an. Und er tröstete sie und streichelte sie wie ein Kind. Da küßte sie ihn auf den Mund.
Einen flüchtigen Augenblick lang trank er den Kuß wie ein süßes todbringendes Gift. Dann ergrimmte er maßlos. Und er trieb sie hinaus in die Nacht.
Nach zwei Stunden war sie wieder da. Er hatte inzwischen mit Gebet und Kasteiung den Teufel überwunden und war seelenruhig eingeschlafen. Sie weckte ihn. Verändert, ernst, besorgt sah sie aus. Er müsse ein Verbrechen hindern, rief sie. Und atemlos erzählte sie, was sie draußen gesehen hatte.
Während ihres wochenlangen Krankseins hatte sich sein Ohr an das mexikanische Idiom gewöhnt, so daß er jetzt einigermaßen imstande war, ihren Bericht zu verstehen.
Sie ergriff seine Hand, zerrte ihn hinaus vor die Höhle und zeigte auf die jenseitige Steilwand, wo auf dem schmalen Fußpfade eine Frau und vier Männer gingen. Sie kenne diese Männer, flüsterte sie, es seien Diener des Fürsten Fichtenzweig, und die Frau sei dessen Gemahlin, die Als-Schlange-Lebende. Vorhin habe sie beobachtet, wie die Diener eine Sänfte, die sie getragen hatten, niedersetzten und ihre Herrin auszusteigen zwangen und sie – trotz ihres Sträubens – zwangen, zu Fuß den Weg fortzusetzen. Gewiß hätten sie vor, der Frau ein Leid anzutun.
Der Eremit ging zurück in die Höhle, gürtete seinen Degen um die Kutte, nahm seine Armbrust und seinen Jagdspieß. Als er heraustrat, bedeckte sich Kreideschmetterling ächzend das Gesicht, als wolle er ein Grausiges nicht sehen. Drüben hatte sich ein Kampf entsponnen: mit ihren Mördern rang die Als-Schlange-Lebende.
Gaspar Lencero rief die Mörder an, spannte die Armbrust, drohte zu schießen. Doch schon wurde die Frau in die Tiefe hinabgestoßen. So senkrecht war die Felswand drüben, daß der fallende Körper nur zweimal an Felsvorsprünge anstieß und dann wie Blei hinabschnellte in die Kaktuswüste.
Der Eremit schoß etliche Bolzen auf die Diener ab, obgleich die Entfernung für Pfeilschüsse zu groß war. Die Diener rannten weg und verschwanden hinter Weißtannen.
Inzwischen war es Tag geworden. Gaspar Lencero und der Hermaphrodit stiegen ins Tal hinab, um die Leiche der Als-Schlange-Lebenden zu bergen. Bald mußten sie es indes aufgeben. Die Kaktuswildnis war undurchdringlich.
Im Begriff, zur Höhle wieder emporzusteigen, blickten sie in ein anderes Tal, durch welches die Heerstraße – vom östlichen Tor der Großen Mauer her – führte. Und sie sahen dort christliche Männer westwärts ziehen. Da gingen sie ihnen entgegen. Denn dem Eremiten lag daran, Pater Olmedo vom Vorfall in Kenntnis zu setzen. Er wußte, daß die Als-Schlange-Lebende von allen Bewohnern Tlascalas die erste gewesen war, die den Wunsch ausgesprochen hatte, sich taufen zu lassen, und ihm war auch bekannt, daß Pater Olmedo für diese Frau und ihre drei Kinder – vor allem für den Kleinen Pfeil – stets eine besondere Teilnahme gehegt hatte.
Die Kastilier, denen der Eremit und Kreideschmetterling entgegengingen, waren der alte Richter Moreno Madrano aus Vera Cruz und – inmitten einer Eskorte von zehn Musketieren – zwei Gefangene: Alonso de Grado und Pedro d'Ircio. Dem Richter hatte Sandoval, als neuernannter Stadtkommandant der Hafenfestung, den Auftrag erteilt, die beiden Übeltäter nach Mexico zu bringen, da Cortes sie zur Rechenschaft ziehen wollte. Zwei Schmiede und einige fünfzig Tlamamas zogen mit ihnen ins Land der Seen.
Gleich nach der Gefangennahme Montezumas nämlich hatte Cortes den Entschluß gefaßt, zwei Brigantinen bauen zu lassen, um auf ihnen, falls bei kriegerischen Verwicklungen die Holzbrücken von den Dammdurchstichen entfernt würden, sein Heer über den Schilfsee schaffen zu können. Montezuma gegenüber war es so dargestellt worden, als sollten die Brigantinen zu seinem Vergnügen und zu seiner Zerstreuung dienen, indem er auf den Schiffen, deren Größe seine königliche Galeere um ein Zehnfaches überträfe, Lustfahrten werde unternehmen, seine Schlösser an der Lagunenküste und seine Jagdgefilde werde besuchen können. Mexikanische Werkmeister, Zimmerleute und Holzschnitzer waren von Montezuma zur Verfügung gestellt worden, und sie schufen die mächtigen Schiffsgerippe nach den Anweisungen des Schiffbaumeisters Martin Gutierrez – jenes Wachtpostens, durch welchen Cortes auf dem Kordillerenpaß zwischen dem Rauchenden Berg und der Weißen Frau beinahe erschossen worden war. Früher, als er damals hatte ahnen können, erfüllte sich nun dem Schiffbaumeister der Wunsch, durch eine verdienstvolle Tat sein nächtliches Mißgeschick wettzumachen.
Um die Brigantinen, sobald sie vom Stapel liefen, ausrüsten zu können, hatte sich Cortes von Sandoval zwei an der Küste zurückgebliebene Schmiede sowie das Takelwerk der elf in Brand gesteckten Karavellen ausgebeten. Die fünfzig mit Moreno Madrano, Grado und d'Ircio ziehenden Tlamamas schleppten Ambosse, Blasebälge, Anker, Kompasse, Segel, Werg, Pech und schwere Schiffsketten nach Tenuchtitlan.
Nachdem der Eremit den Richter begrüßt und vom Mord in Kenntnis gesetzt hatte, berieten sie, was zu tun das klügste wäre, damit die Untat nicht ungesühnt bliebe. Den Urwald von Kakteen auszuholzen, um an die Leiche zu gelangen, ging nicht an, da Madrano von Sandoval Befehl hatte, möglichst bald Mexico zu erreichen. Auch würde es, meinte Madrano, Aufsehen im Lande machen und die Verbrecher zur Flucht oder zu bewaffnetem Widerstand veranlassen. Ein mächtiger Fürst wie Fichtenzweig werde sich nicht freiwillig dem Gericht stellen. Er müsse überrumpelt werden zu einer Zeit, wo er keinen Angriff erwarte. Doch das auszuführen sei nur Cortes imstande, vorausgesetzt, daß er einen Teil des kastilischen Heeres in Tenuchtitlan entbehren könne. Im Augenblick ließe sich nichts anderes machen, als Cortes und Pater Olmedo zu benachrichtigen und ihnen die Zeugin zuzuführen, welche in den vier Mordgesellen Diener des Fürsten Fichtenzweig erkannt haben wollte.
Gaspar Lencero war erfreut über diesen Vorschlag, der es ihm ermöglichte, in seiner Höhle zu bleiben. Nur ungern hätte er seine Bußübungen unterbrochen. Dem Schutz des alten ehrsamen Richters konnte er ohne Bedenken Kreideschmetterling übergeben. Sich selbst befreite er von einer Gefahr damit und erwies auch Kreideschmetterling einen Gefallen. Hatte dieser doch oft geäußert, er müsse nach Tenuchtitlan wandern, getraue sich nur nicht der Räuber und der wilden Tiere wegen. Und der Eremit fühlte sich schuldig gegen seine schöne Hausgenossin, seitdem er sie mit dem Steinwurf nahezu getötet hatte, und war froh, im Frieden von ihr zu scheiden, da es ihm zweifelhaft war, ob er die Kraft gefunden hätte, ein zweites Mal einen Stein gegen sie zu erheben.
Der alte Richter übernahm es, Kreideschmetterling zu Cortes zu bringen.
Die Reise ging ohne Zwischenfall vonstatten. Moreno Madrano schützte Kreideschmetterling vor den Zudringlichkeiten der Mitreisenden. Er verbot Pedro d'Ircio, der schönen Jungfrau Kußhändchen zuzuwerfen.
In Tenuchtitlan angelangt, baten de Grado und d'Ircio um die Erlaubnis, sich vor Cortes rechtfertigen zu dürfen. Doch sie wurden nicht vorgelassen. Der zürnende General-Kapitän ließ sie einkerkern. Umsonst verfaßte Alonso de Grado Bittschrift auf Bittschrift.
Cortes entsann sich sofort Kreideschmetterlings, als ihn Moreno Madrano ihm zuführte. Der erste Abend in Tlascala und die Verfolgung des Mädchens durch die wütende Volksmenge stand ihm noch deutlich vor Augen, und wie um die – unweit von der Flußbrücke – aus den Wellen Gerettete ein Streit entbrannt war zwischen Kriegsmaske und Piltecatl. Daß er damals das Mädchen dem Prinzen zugesprochen hatte, war ihm seitdem leid geworden. Unzuverlässig, ein verkappter Feind war der Prinz, Piltecatl dagegen hatte sich als der treueste Freund der Christen erwiesen.
Pater Olmedo war zugegen, als Kreideschmetterling mit Hilfe Marinas seine Zeugenaussage machte. Der kleine Gerichtsschreiber Guillén de la Loa nahm sie zu Protokoll.
Olmedo sagte zu Cortes:
»Don Hernando, ich will jetzt aussprechen, was ich bei der Taufe in Tlascala nicht auszusprechen wagte, obgleich ich es damals schon vermutete. Der Kleine Pfeil ist als Märtyrer gestorben. Sein eigner Vater, der Fürst Fichtenzweig, hat ihn getötet und hat nun ein zweites Verbrechen begangen aus Furcht, daß das erste Verbrechen durch die Mutter des Kindes verraten werde. Entsinnt Ihr Euch, was ich damals von Kain, dem Gezeichneten, sprach?«
»Padre, Ihr mögt recht haben«, erwiderte Cortes. »Wir werden der Sache auf den Grund gehen ... Dies Mädchen aber will ich Piltecatl übergeben, der Ansprüche auf sie erhebt. Kriegsmaske soll sie nicht erhalten, er ist befreundet mit Fichtenzweig, und vor seiner Rachsucht muß diese wichtigste Zeugin beschützt werden. Von der weißen Schlange wollte er sie ja damals totbeißen lassen, als Isabel Rodriguez an ihrer Stelle starb. Wir hätten sie ihm schon damals abnehmen sollen!«
Durch zwei Soldaten ließ Cortes Kreideschmetterling zu Piltecatl führen. Kriegsmaske, der bereits seit Wochen in Tenuchtitlan weilte, erfuhr es und kam zu Cortes gestürzt wie ein Besessener, forderte tobend und brüllend die Herausgabe seines Eigentums. Cortes entschuldigte sich: Kreideschmetterling habe Piltecatl als seinen Herrn bezeichnet. Und als Kriegsmaske zu rasen nicht aufhörte, wurde ihm erklärt, es fehle die Handhabe, Piltecatl zur Rückgabe zu zwingen. Cortes bot dem Prinzen mehrere Sklavinnen zum Entgelt an. Doch der Prinz lehnte die Annahme ab. Er wurde still und entfernte sich, – denn plötzlich hatte er begriffen, daß ihm nur noch eine Freude auf der Welt geblieben war: die Rache.
Und er blieb in Tenuchtitlan und wartete geduldig das Heranreifen seiner Rache ab.