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Fünftes Kapitel

Am frühen Morgen lief Ruprecht in den Garten hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen und der Himmel war heller geworden. Im Westen war sogar ein Stück einer klaren, kalten Bläue zu sehen und die Wolken standen um die Öffnung mit zackigen Rändern, wie die Felsen um eine Höhle aus blauem Eis. Man konnte ganz tief in den Himmel sehen. Und dort ganz hinten saß ein Dämon auf einem Thron aus gefrorener Luft und spielte eine milde, brünstige Melodie. Ein Dämon, der wie ein Erzengel aussah und unter dessen Gewändern sich heißes, begehrliches Fleisch nach Umarmungen sehnte.

Die Blätter an den Bäumen waren braun und zusammengekrümmt. Sie zitterten an den Zweigen wie in Todesangst.

Auf den aufgeweichten Wegen ging Ruprecht mit starken Schritten durch den ganzen Garten. Eine braune Brühe spritzte um seine Schuhe, Klumpen von Erde hingen sich an die Absätze. Vor einem Beet mit hochstengeligen, roten Blumen blieb Ruprecht stehen. Die meisten der Blüten waren von dem Sturm des gestrigen Tages zerrissen und geknickt. Die großen fleischigen Blütenblätter hingen welk und wie verbrannt zur Seite. Die schilfigen Stengel zeigten gelbe und braune Flecke, die Anzeichen der beginnenden Verwesung. Nur eine der Blüten stand hoch und aufrecht, auf einem straffen Stengel, eine brennend rote Blume, in deren Grund gelbe Staubfäden beisammen waren.

Als ob sie dieser Nacht entsprossen wäre, dachte Ruprecht. Dieser Nacht! Diesem großen, schweren Brausen voll von dröhnenden Schlägen und allen Wundern des Chaos. Wie sollte man diese Nacht benennen: – schreckliche Seligkeit! Oh – und ganz, ganz fern diese Stimmen, das Kreischen der Wetterfahnen und das Heulen und Wimmern der alten Marianne, bis sie von Lorenz zur Ruhe gebracht worden war.

Ruprecht hatte sich eben an einem Rasenstreifen die Schuhe ein wenig abgeputzt. Aber jetzt trat er gleich wieder in die feuchte, schwarze, klebrige Erde des Blumenbeetes und brach die stolze, brennende Blüte ab. Er wollte sie Helmina bringen.

Dann ging er an dem alten Turm vorbei und durch ein hallendes Torgewölbe, an dessen Wänden rostige Ketten hingen, auf den Hof hinaus.

Der Gutsverwalter Augenthaler war eben eingeritten und vom Pferd abgestiegen. Er stand im Gespräch mit dem Schaffer. Augenthaler war der erste, der sich in das Unvermeidliche gefunden hatte und Ruprecht als neuen Herrn anerkannte. Ein Gespräch über den Hochzeitstisch hatte ihn gestern belehrt, daß Helminas Gatte in Dingen der Landwirtschaft Fachmann war. Es war nötig, sich um seine Gunst zu bewerben und den Widerstand aufzugeben.

Mit verbindlichem Gruß näherte er sich Ruprecht. Der Schaffer trat ein wenig zurück.

Ruprecht bemerkte, daß der Verwalter verlegen war, wie einer, der etwas sagen soll und nicht weiß, wie er es vorzubringen hat. »Was haben Sie?« fragte er.

»Es ist keine gute Nachricht,« drückte Augenthaler hervor, »am Morgen nach … also nach der Hochzeit sollte man nur gute Nachrichten …«

»Also reden Sie … reden Sie doch«, drängte Ruprecht. Was die Leute als ein schreckliches Unglück ansehen, ist oft nichts als ein kleiner Unfall, ein Mißgeschick, das bald behoben werden kann. Ruprecht lächelte: nicht bloß das Glück, auch das Unglück ist für jedermann etwas ganz anderes.

»Jaaa!« sagte Augenthaler und klopfte mit seiner Reitgerte die trocknenden Kotspritzer von seinen Ledergamaschen, »wenn einer von den Hochzeitsgästen … die Leute sagen, das bedeutet etwas …«

»Ich bitte Sie, Verwalter, ich verstehe kein Wort.«

»Nun … der Baron Kastelli hat sich heute nacht erschossen.«

»Erschossen?«

»Ja – mit einem Armeerevolver, ganz glatt durch die Schläfe.«

Ruprecht sah den Baron vor sich, sein zuckendes Gesicht, wie er gestern seinen Glückwunsch darbringen wollte. Dann hatte er an der Hochzeitstafel eine scherzhafte Rede gehalten. Oh – ein grauenhafter Scherz vor der Mündung eines Revolvers. Da hatte also gestern der Tod mitgefrühstückt. Wer das gewußt hätte! Der Baron hatte mit seiner hohen Stimme, häufig durch sein Lispeln gestört, eine jener lustigen Reden gehalten, die man eben bei solchen Gelegenheiten abzubrennen pflegt. Seine Schultern hatten gebebt wie unter Peitschenhieben. Sein Gesicht war eine Maske gewesen.

Ruprecht stieg nachdenklich zum Frühstückszimmer hinauf. Das war wirklich eine unangenehme Nachricht. Eine abscheuliche Geschichte! Wie sollte er sie Helmina beibringen. Sollte er es dem Verwalter nachmachen und zuerst wie die Katze um den heißen Brei herumgehen. Ach – Helmina war stark genug, um standhalten zu können.

Er fand sie schon im Zimmer. Die Balkontür war eben erst geschlossen worden, und der große, grüne Kachelofen hatte die Luft noch nicht genug durchwärmt. Helmina saß fröstelnd am Tisch, in jenem grünen Kimono; sie hatte die Arme übereinander geschlagen und die Hände versteckt. Als Ruprecht eintrat, gähnte sie wie eine Katze und zeigte einen rosigen Rachen.

»Guten Morgen, Liebste«, sagte Ruprecht. Er trat zu ihr und küßte sie leicht auf die Stirn. »Ich bringe dir eine Blume. Ich war schon im Garten unten. Es ist die allerletzte.«

»Ich danke dir«, sagte Helmina und legte die Blüte auf das schneeweiße Tischtuch. Wahrhaftig, wie ein Blutfleck auf dem Linnen, dachte Ruprecht. Und er gab sich einen Ruck: er wollte keine Umschweife machen.

»Ich bitte dich, erschrick nicht. Es ist eine traurige Geschichte. Der Baron Kastelli hat sich heute nacht erschossen.«

Helminas Augen wurden starr und weit. Sie blickte Ruprecht an. Er schaute in ein grünes Leuchten. Dann erhob sie sich, mit straffen, starken Gliedern, als wollte sie etwas ausrufen. Ihre kleine Faust lag neben der roten Blume auf dem Tischtuch. Der Kimono hatte sich oben geöffnet, daß ein Stück ihres weißen Halses hervorkam. Sie fror nicht mehr.

»Ah … also doch!« sagte sie.

»Wie denn, hast du es denn erwartet?«

Ihr Gesicht war bleich. Ihre Haare schienen sich ringelnd zu bewegen! Medusa! dachte Ruprecht. Sie lächelte jetzt.

»Erwartet? … Ach, erwartet gerade nicht. Aber er hat doch immer davon gesprochen, daß er es tun würde. Ich habe ihn ausgelacht.«

»Sage, hat er Verwandte?«

»Ich glaube einen Onkel und eine verheiratete Schwester. Übrigens …,« Frau Helmina trat zum Ofen und wandte Ruprecht den Rücken zu, »übrigens, hat er ein … Testament hinterlassen? Man hat wohl noch nicht gesucht?«

»Der Verwalter hat mir nichts davon gesagt.«

»Ich möchte … ich möchte ihn doch noch einmal sehen. Ich werde nach dem Frühstück hinüberreiten. Kommst du mit?«

Ruprecht fand es ein wenig sonderbar, daß Helmina diesen Wunsch hegte. Alle Welt wußte, daß der Baron sie geliebt hatte. Ein solcher Schritt mußte zu kühnen Vermutungen und Gerüchten anstacheln. Indessen: Ruprecht wollte nicht kleinlich und beschränkt erscheinen. Die Welt mochte reden.

Nach dem Frühstück ließ Helmina satteln und ritt mit Ruprecht nach Rotbirnbach. Der Himmel strahlte in einem reinen, hochgewölbten, klingenden Weiß. Die letzte Schönheit des Herbstes war unter diesem Gewölbe gefangen, in einer Vergeistigung und Verfeinerung aller Kräfte der Erde. Helmina plauderte, als ob es zu einem Picknick ginge. »Oh … sie haben ihn schon immer unter Kuratel stellen wollen, seine Verwandten. Jetzt hat er ihnen einen Streich gespielt. Er ist ihnen ausgerissen. Er hat ihnen zuviel Geld verbraucht. Es wird ja auch wirklich nicht viel da sein, aber doch immerhin etwas … Der alte Kastelli hat ja ein Riesenvermögen gehabt.«

Dann erreichten sie Rotbirnbach und ritten ins Schloß ein. Alles war in Verwirrung. Eine alte Magd stand weinend neben dem Trog, aus dem die Schweine fraßen. Sie rieb sich mit den schmutzigen Fäusten die Augen und hatte graue, feuchte Streifen über das ganze Gesicht. Ein Diener mit nur halb geschlossener Livreeweste führte die Besucher in das Schlafzimmer, in dem man den Baron einstweilen aufgebahrt hatte. Man hatte in der Eile das Bett unter seinem Seidenhimmel hervorgehoben und mitten ins Zimmer gestellt. Auf zwei Stühlen am Kopfende des Bettes brannten lange Kerzen in silbernen Leuchtern. Die Kerzen waren zu dick für diese Leuchter gewesen und man hatte sie am Ende abschaben müssen. Die abgeschabten Wachsstückchen lagen noch da, rund um den Fuß der Leuchter. Unter einem Leinentuch, das man über das Bett gebreitet hatte, waren die Formen eines menschlichen Körpers zu erkennen. Dort, wo der Kopf sein mußte, hatte das Leintuch einen blutigen Fleck.

Mit gleichmäßigem Schritt war Helmina bis an das Bett herangetreten. Nun zögerte sie ein wenig. Dann schlug sie das Tuch zurück, senkte den Kopf und starrte den blutigen, verunstalteten, zertrümmerten Schädel an.

Ruprecht stand hinter seiner Frau und sah ihren Rücken. Um die feinen Ohren wehten ein paar Härchen im Zug der frischen Luft, die bei den offenen Fenstern hereinkam. Ihre großen Boutons, die sie nicht vergessen hatte anzulegen, funkelten und sandten lange, dünne, nadelspitze Strahlen von Blau und Grün nach dem Hintergrund des Zimmers. – Was ging in dieser Frau vor, fragte Ruprecht. Welche Gefühle hatte sie beim Anblick eines Mannes, der sich ihretwegen umgebracht hatte? Mächtiger als alles Mitleid, alles Grauen vor dem Tod, alle diese rein weiblichen Empfindungen schien offenbar der Stolz, daß sie jemandem Verhängnis gewesen war, die Befriedigung ihrer Eitelkeit. Da stand sie und starrte den Toten an. Der Anblick dieses zerschossenen Kopfes schien ihr ein Genuß zu sein. Wie hatte der Bauer damals gesagt? … Man nannte sie eine Trud, das ist eine Art Vampir …

Ruprecht sah sich im Zimmer um. An den Wänden zeigte eine Anzahl von gewagten Bildern, von frivolen Nacktheiten, den Geschmack des Barons. Das wirkte, angesichts dieses blutigen Kopfes, mit grotesker Abscheulichkeit. Am traurigsten aber wirkte die leere Stelle unter dem seidenen Betthimmel. Man sah auf dem Fußboden und an der Wand deutlich, wo das Bett gestanden hatte. Leichte, graue Staubflocken auf einem schmutzigen Rechteck des Parketts bewiesen, daß die Reinigung hier nicht sehr gründlich vorgenommen war.

Das war der Eindruck, den das ganze Schloß auf Ruprecht machte.

Helmina legte den Zipfel des Leintuches wieder über den Kopf des Toten. Auf ihrem Mittelfinger war eine leichte Blutspur zurückgeblieben. Sie zog das Taschentuch hervor und rieb die klebrige Röte ab.

»Haben Sie die Verwandten verständigt?« fragte sie den Diener.

»Wir haben dem Onkel und der Frau Schwester telegraphiert, und wir erwarten sie nachmittag.«

»Hat der Herr Baron etwas Schriftliches zurückgelassen? Einen Brief oder sonst etwas … Ein versiegeltes Paket?«

»Wir haben nichts gefunden. Aber der gnädige Herr haben gestern abend etwas geschrieben. Es wird wohl im Schreibtisch eingeschlossen sein. Den Schlüssel hat der Herr Bürgermeister mitgenommen, bis die Kommission kommt.«

»Gehen wir«, sagte Helmina zu Ruprecht. Sie gingen die Treppe hinab, wo einige Leute eben begannen, die Wände mit schwarzem Tuch zu bespannen. Im Flur unten standen zwei Weiber mit Schürzen aus grober Sackleinwand, die im Begriff schienen, den Boden aufzuwaschen. Draußen auf dem Hof hatte der Kutscher, der etwas angetrunken war, den Polizisten des Dorfes bei einem seiner Uniformknöpfe gefaßt und sprach mit Nachdruck auf ihn ein. »Ja … sehn S', Was is der Mensch? Ich bin viel herum'kommen, ich kenn' die ganze Welt. Was ist der Mensch? Ein bissel Pulver und eine Kugel … und hin is er! Hin is er! Hin is er! Was is der Mensch? Gar nichts! Gar nichts! Da müssen S' nur mich fragen. Ich kenn' die ganze Welt …«

Auf dem Heimritt sprach Helmina von der Todesart des Barons. Sie glaube, daß Erschießen immerhin noch die beste Manier sei, sich aus der Welt zu schaffen. Dann gab sie eine genaue Schilderung der Zerstörung, die jene Kugel angerichtet hatte, als ob es ihr Vergnügen mache, sich alle Einzelheiten noch einmal zu vergegenwärtigen. Seltsame Gespräche für einen Hochzeitsmorgen, dachte Ruprecht. Und er konnte sich endlich nicht enthalten zu fragen, ob Helmina denn von dieser Sache gar kein unangenehmer Eindruck zurückgeblieben sei.

Helmina sah ihn prüfend an. »Gewiß, so etwas ist doch schrecklich. Aber was soll man machen: Geschehen ist geschehen.«

Nein, es berührte sie wahrhaftig nicht tief. Er wird ihr lästig gewesen sein, dachte Ruprecht, einem Lästigen gegenüber empfindet das Weib kein Mitleid.

Das Begräbnis ging bei schlechtem Wetter vor sich. Der Onkel, ein pensionierter General mit weißen Haaren und rotem Gesicht, und die Schwester, eine elegante schlanke Dame mit einem dichten schwarzen Schleier, gingen hinter dem Sarg. Die Gutsbesitzer der ganzen Umgebung hatten sich eingefunden. Ruprecht fand, daß man gegen ihn und seine Frau eine kühle, vornehme Zurückhaltung zeigte. Es war klar, daß man Helmina nicht von aller Schuld frei sprach. Und bei diesem Anlaß fiel Ruprecht auch auf, daß sich bei seiner Hochzeit keiner der Herren als Gast eingefunden hatte. Trotzig setzte ihnen Ruprecht eine gleiche Zurückhaltung entgegen. So gab es also wenigstens keinen Verkehr zwischen ihnen, keine langweiligen Besuche und Rücksichtnahmen.

Zwei Tage nach dem Begräbnis erhielt Helmina eine Einladung zum Notar in Gars. »Irgend etwas Geschäftliches,« sagte sie, »ich weiß aber nicht, um was es sich handelt.« Es war ihr indessen anzumerken, daß sie doch wenigstens eine Vermutung hatte, weshalb sie der Notar berief. Ruprecht ließ sie allein fahren. Er blieb bei den Kindern und baute ihnen ein Theater. Bei der Ausübung solcher kleinen Fertigkeiten, die er aus seiner Jugendzeit gerettet hatte, fand er nun ein neues Vergnügen.

Gegen Abend kam Helmina zurück.

»Denke dir nur,« sagte sie gleich bei ihrem Eintritt atemlos, »Baron Kastelli hat mich zur Erbin eingesetzt.«

Ruprecht legte Zange und Hammer hin: »Er hat dich zur Erbin eingesetzt?«

»Nun ja! Es ist ja nicht viel da! Das Gut ist ziemlich verschuldet, aber wenn man die Geschichte mit einigem Kapital angreift, die Hypotheken ablöst und eine rationelle Wirtschaft einführt, so kann noch immer etwas daraus werden. Man muß nur Geld haben.«

Ruprecht dachte eine Weile nach. Dann schickte er die Kinder hinaus. »Du denkst also im Ernst daran, diese Erbschaft anzunehmen?« fragte er.

»Warum denn nicht? Die Verwandten werden das Testament anfechten. Darauf hat mich der Notar schon aufmerksam gemacht. Es wird einen Prozeß geben. Aber ich werde siegen. Ich glaube, daß das Testament in ganz legaler Form gemacht ist. Rotbirnbach ist kein Majorat. Der Baron konnte darüber frei verfügen.«

Sie stand vor dem großen venezianischen Spiegel, der ihre Gestalt, umgeben von einem Halbkreis elektrischer Flammen, zeigte. Ruprecht hielt den Samiel aus dem »Freischütz« in der Hand und betrachtete die Züge des wilden Jägers aus Papier.

»Ich kann nicht zugeben, daß du die Erbschaft annimmst«, sagte er, indem er Samiel zu Agathe und Kaspar in die Pappschachtel warf.

»Ach!« Es war ein spöttischer Klang in dem Laut.

»Ja!« Und Ruprecht trat näher an Helmina heran: »Verzeih', wenn ich dich frage, ob du zu dem Baron in intimerer Beziehung gestanden bist.«

Helmina wandte sich um. Ihr Lächeln war kalt und überlegen: »Das ist eine merkwürdige Frage.«

»Du sollst mich nicht mißverstehen. Ich bin weit davon entfernt, dir Vorwürfe zu machen. Ich finde, es ist lächerlich, auf die Vergangenheit seiner Frau eifersüchtig zu sein. Aber ich möchte gern in diesem Fall zur vollen Klarheit kommen.«

Mit einer geringschätzigen Handbewegung warf Helmina die papierenen Theaterfiguren durcheinander: »Ich könnte dir die Antwort verweigern. Aber du sollst zur Klarheit kommen. Es hat nichts zwischen uns gegeben. Gar nichts. Du glaubtest doch, daß ich dir die Wahrheit sage. Ich bin dir ja nicht Rechenschaft schuldig über das, was früher geschehen ist.«

Es hatte also nichts gegeben. Das war gut; trotz seiner vorurteilslosen Auffassung fand Ruprecht, daß dies sehr gut sei. Und er fuhr milder fort: »Ich glaube dir. Aber die Leute werden es sich nicht nehmen lassen, daß er dein Geliebter gewesen ist. Du wirst zugeben: es sieht danach aus.«

»Oh, dein großer Geist verträgt das nicht? Du kümmerst dich um das, was die Leute sagen werden?«

Ärgerlich fuhr ihr Ruprecht entgegen: »Ach was, sonst kümmere ich mich wahrhaftig nicht darum. Die Leute … lächerlich. Aber es ist mir peinlich, daß man denken könnte, ich bin mit einer Sache einverstanden, die nicht ganz … nicht ganz sauber ist.«

»Wir wollen von andern Dingen sprechen!«

Oh, Helmina leistete Widerstand. Sie empörte sich. Die Rebellion mußte niedergeworfen werden. »Nein,« sagte Ruprecht, »wir wollen nicht von andern Dingen sprechen. Ich werde es nicht zugeben.«

»Du wirst es zugeben müssen, Lieber. Es ist doch dein eigener Wunsch gewesen, daß unsere Güter getrennt bleiben. Du verwaltest dein Vermögen, ich bin für meins verantwortlich. Der Baron Kastelli hat mich unglücklich geliebt. Er erschießt sich und hinterläßt mir sein Schloß, damit ich immer an ihn erinnert werde. Das ist ganz einfach. Ich sehe von allen Sentiments ab, streiche die Gefühlsseite und behandele das Ganze als Vermögensangelegenheit, als Finanzoperation. Ich bin so unbefangen als nur möglich.«

Plötzlich brach sie ab und lachte hell auf. Ein klares Lachen, das den Raum wie Licht erfüllte. Sie lief auf Ruprecht zu und küßte die Entgegnung von seinen Lippen: »Unser erster Zwist« rief sie. »Was geht das dich an? Was mischst du dich in meine Angelegenheiten? Ist es nicht wie ein Gespenst. Der Baron ist tot und doch noch imstande, zwischen uns Streit zu erregen. Wir wollen doch keine Gespenster dulden. Vielleicht ist das seine Absicht gewesen? Wir streiten! Dem Lebenden wäre das niemals gelungen … Also, weg damit …!«

Sie lachte wieder und warf sich ganz nach hinten. Der Kopf lag im Nacken, die Arme sanken nieder, so daß Ruprecht sie halten mußte, wenn sie nicht zu Boden fallen sollte. Er fühlte die Last ihres Körpers. Sie lachte wie eine Bacchantin. Ihr Haar hatte sich gelöst, eine der trockenen, spröden Flechten stand im Bogen ab, wie eine Schlange, die sich krümmt. Sie wurde schwer in Ruprechts Armen. Er mußte sie an sich ziehen … fühlte ihren heißen Körper … ach, was waren alle Bedenken, alle Rücksichten gegen dieses Stück unmittelbarer Schönheit und schrankenlosen Genusses …

Am Abend dieses Tages hatte Ruprecht einen Katzenjammer. Er fühlte sich einer Gefahr gegenüber, und zum erstenmal in seinem Leben hatte er nicht die unbedingte Sicherheit, ihr gewachsen zu sein.


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