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Francesco Sforza, der Sohn Lodovico Moros, Herzogs von Mailand, verirrt sich bei der Verfolgung eines Hirsches von seinen Begleitern und gerät in das Haus einiger Bauern, die sich verabreden, ihn umzubringen. Ein kleines Mädchen verrät die Verschwörung, und er rettet sich. Die Bauern aber werden lebendig zerrissen.
Es lebte in unseren Tagen zu Mailand der Herr Francesco Sforza, Sohn Lodovico Moros, Herzogs von Mailand, der sowohl zu Lebzeiten seines Vaters wie nach dessen Tode von dem neidischen Schicksal viele Verfolgungen zu erdulden hatte. Herr Francesco war in seinen Jugendjahren schön von Gestalt und von edlen Sitten und sein Antlitz verriet eine heitere Gemütsart. Als er dann das blühende Jünglingsalter erreicht hatte, gab er sich nach den Studien und anderer ersprießlicher Tätigkeit dem Turnieren, Speerwerfen und der Jagd hin, die ihm ein ganz besonderes Vergnügen bereitete. Wegen seiner angenehmen Sitten und seiner Tapferkeit liebten ihn seine Altersgenossen sehr und er liebte sie nicht minder, und es gab keinen Jüngling in der ganzen Stadt, der nicht reichlich von ihm belohnt worden wäre. Eines Tages versammelte Herr Francesco zu seinem Vergnügen eine große Anzahl von Jünglingen um sich, von denen noch keiner das zwanzigste Jahr vollendet hatte, stieg zu Pferde und ritt mit ihnen auf die Jagd. Und als sie an ein Gehölz gekommen waren, das dem Wild zum Aufenthalt diente, umstellten sie es. Da brach an der Stelle, wo Herr Francesco aufmerksam ausspähte, aus dem Dickicht ein Hirsch und ergriff, als er der Jäger ansichtig wurde, die Flucht. Sowie der Herr, der das Herz eines Löwen hatte und fest im Sattel saß, den Hirsch blitzschnell abgehen sah, gab er dem Pferd die Sporen und setzte ihm beherzt nach. Und er verfolgte ihn so weit, daß er seine Begleiter aus den Augen verlor und vom richtigen Wege abirrte, so daß er, als ihm der Hirsch schließlich entkommen war und er die weitere Verfolgung aufgegeben hatte, nicht wußte, wo er sich befand, noch wohin er ritt. Als er sich nun so allein und fern von der Landstraße sah und den Rückweg nicht zu finden wußte und zudem die Nacht hereinzubrechen begann, befiel ihn eine gewisse Unruhe und er fürchtete, es möchte ihm irgend etwas Unangenehmes begegnen, wie es denn auch geschah. Als Herr Francesco auf gut Glück weiter ritt, kam er an ein kleines, strohgedecktes, in schlechtem Zustande befindliches Haus, stieg im Hof vom Pferde und band es eigenhändig an einen nahen Zaun. Dann trat er ins Haus und fand dort einen Greis vor, der mindestens neunzig Jahre alt war, und bei ihm saß eine junge, recht hübsche Bäuerin, die ein Mädchen von ungefähr fünf Jahren auf den Armen hielt und fütterte. Der Herr grüßte den Alten und die Bäuerin freundlich, setzte sich neben sie und bat sie, ohne sich jedoch zu erkennen zu geben, um eine Unterkunft für diese Nacht. Da der Alte und die Frau, die seine Schwiegertochter war, sahen, daß der junge Mann reich gekleidet und schön anzusehen war, nahmen sie ihn sehr gerne auf, doch entschuldigten sie sich, daß sie keinen Raum hätten, der für seine Person angemessen wäre. Der Herr dankte ihnen sehr und ging dann hinaus, um nach seinem Pferde zu sehen, und nachdem er es versorgt hatte, kehrte er wieder zurück. Das Mädchen, welches zutraulich war, machte sich an den Herrn heran und umschmeichelte ihn, worauf er es gleichfalls liebkoste und küßte. Während der Herr, der Alte und die Schwiegertochter im Gespräch begriffen waren, erschien Malacarne, der Sohn des Greises und der Gatte der jungen Frau und erblickte, als er das Haus betrat, den Herrn, der mit dem Alten sprach und das Kind liebkoste. Man tauschte den Gutenabendgruß aus und er trug seiner Frau auf, für das Abendessen zu sorgen. Dann trat er an den Herrn heran und fragte ihn, was ihn in diese unbewohnte und wilde Gegend geführt habe. Der Herr antwortete ihm, sich entschuldigend: »Bruder, kein anderer Umstand hat mich hierhergeführt, als daß ich allein unterwegs war und von der Nacht überrascht wurde, und als ich infolge meiner schlechten Kenntnis dieser Gegend nicht wußte, wohin mich wenden, fand ich zu meinem Glück dieses kleine Haus, wo mich dieser Greis und diese Frau freundlich aufnahmen.« Bei diesen Worten des Herrn und beim Anblick seiner reichen Kleidung mit der goldenen Kette, die ihm vom Hals herniederhing, schoß Malacarne ein Plan durch den Kopf, und er war fest entschlossen, ihn zu töten und zu berauben. Um nun seinen teuflischen Vorsatz auszuführen, rief er seinen alten Vater und seine Frau, nahm das Kind auf den Arm und verließ mit ihnen das Haus. Sie begaben sich abseits, berieten sich und beschlossen, den Jüngling zu ermorden, ihn seiner reichen Gewänder zu berauben und ihn auf dem Felde zu verscharren, in dem Wahne, daß kein Mensch erfahren würde, was aus ihm geworden sei. Der gerechte Gott ließ aber nicht zu, daß ihre böse Absicht zur Tat wurde, sondern enthüllte ihre Verschwörung auf eigentümliche Weise. Nachdem der verruchte Anschlag verabredet war, überlegte sich Malacarne, daß er ihn nicht allein ausführen könne, war doch sein Vater alt und schwach und seine Gattin eine Frau und wenig beherzt, während der Jüngling allem Anschein nach sehr mutig war und sich mit Leichtigkeit verteidigen und entfliehen konnte. Er beschloß daher zu einem nicht weit entfernt gelegenen Gehöft zu gehen, dort drei Freunde zu holen und mit ihrer Hilfe sein Vorhaben auszuführen. Als die Freunde vernommen hatten, worum es sich handelte, waren sie in ihrer Gier nach Beute voller Freude bereit, ergriffen ihre Waffen und begaben sich zum Hause Malacarnes. Das kleine Mädchen hatte unterdessen den Alten und die Mutter verlassen und war zu Herrn Francesco zurückgekehrt, an den es sich noch liebevoller schmiegte denn zuvor. Als der Herr die große Zutraulichkeit des Kindes sah, nahm er es auf den Arm und liebkoste und küßte es zärtlich. Die Kleine, welcher der Glanz der goldenen Kette in die Augen spielte, fand Gefallen daran, legte, wie alle Kinder es zu tun pflegen, die Hand darauf und wollte sie sich um den Hals hängen. Als der Herr bemerkte, wie das Mädchen sich an der Kette erfreute, fragte er sie unter Liebkosungen: »Möchtest du, daß ich sie dir schenke, mein Töchterchen?« Und damit legte er sie ihr um den Hals. Da antwortete die Kleine, welche die Verschwörung mit angehört hatte, ohne weiteres: »Ich werde sie schon bekommen; denn mein Vater und meine Mutter wollen sie Euch wegnehmen und Euch erschlagen.« Als Herr Francesco, der ein kluger und geistesgegenwärtiger Mann war, die unheilverkündenden Worte der Kleinen gehört hatte, nahm er sie nicht auf die leichte Achsel. Als kluger Mann schwieg er aber, erhob sich mit dem Kind auf dem Arm von seinem Sitz und legte das mit der Kette Geschmückte auf ein kleines Bettchen, worauf es, da es schon spät war, sofort einschlief. Hierauf schloß sich Herr Francesco in das Haus ein und verbaute die Tür mit zwei großen Schränken und wartete nun mannhaft ab, was die Bösewichter tun würden. Dann zog er eine kleine Büchse hervor, die er an der Seite trug und die fünf Läufe hatte, die gleichzeitig und einzeln abgeschossen werden konnten. Als die Begleiter des Herrn ihren Anführer vermißten und nicht wußten, wo er geblieben war, begannen sie in ihre Hörner zu stoßen und Rufe erschallen zu lassen, aber niemand antwortete ihnen. Die jungen Leute befürchteten daher, das Pferd möchte im Lauf einen steilen Abhang hinabgestürzt, samt seinem Herrn zerschmettert und von den Raubtieren verzehrt worden sein. Als sie in solcher Angst und Sorge nicht wußten, wozu sie sich entschließen sollten, sagte einer von ihnen: »Ich sah ihn auf diesem Pfad einen Hirsch verfolgen und die Richtung nach dem Tal zu halten, und da sein Gaul ein besserer Renner ist als der meine, konnte ich ihm nicht folgen und so habe ich ihn in kaum einer Stunde aus dem Gesicht verloren und nicht erfahren können, wohin er geraten ist. Als die übrigen seinen Bericht vernommen hatten, machten sie sich auf und verfolgten die ganze Nacht die Spur des Hirsches, entschlossen, ihren Herrn lebend oder tot aufzufinden. Während die Jünglinge auf der Suche waren, erschien Malacarne von seinen drei verbrecherischen Freunden begleitet vor seinem Hause, doch während sie ungehindert eintreten zu können meinten, fanden sie die Tür verschlossen. Da pochte Malacarne mit dem Fuße dagegen und rief: »He, Kamerad, öffne! Was soll das heißen, daß du nicht öffnest?« Der Herzog schwieg und antwortete nicht. Er blickte aber durch eine Öffnung und sah Malacarne mit einem Beil auf der Schulter und seine drei Helfer gleichfalls wohl bewaffnet. Da er seine Büchse bereits geladen hatte, zauderte er nicht lange, sondern steckte sie durch ein Loch in der Mauer, schoß einen der Läufe ab und traf einen der drei Kumpane in die Brust, so daß er, ohne seine Sünden zu bekennen, tot zu Boden stürzte. Als Malacarne dies sah, fing er an, mit seinem Beil auf die Tür einzuhauen, um sie zu zertrümmern, richtete aber nichts aus, denn sie war gut verrammelt. Der Herzog drückte unverzüglich den zweiten Lauf ab und mit dem Erfolge, daß er einen anderen der Mordgesellen tödlich in den rechten Arm traf. Da warfen sich die überlebenden ergrimmt mit aller Wucht gegen die Tür, um sie zum Weichen zu bringen und vollführten dabei einen derartigen Lärm, daß es schien, als wollte die Welt zugrunde gehn. Aber der Herzog, der nicht ohne Furcht war, befestigte die Tür mit Bänken und Schemeln und anderen Gegenständen. Und da die Nacht um so stiller ist, je heller und klarer sie ist, so daß man auch aus größerer Entfernung jedes Wort vernimmt, wurde der Lärm von den Begleitern des Herzogs gehört. Sie schlossen sich daher zusammen, ließen die Pferde laufen, was sie laufen wollten und erreichten im Umsehen den Ort des Getöses und sahen dort die Übeltäter, welche sich abmühten, die Tür zu zertrümmern. Da rief sie einer von der Gesellschaft an: »Was hat der Kampfeslärm und das Getöse zu bedeuten?« Da erwiderte Malacarne: »Ich will es Euch sagen, Ihr Herren: als ich diesen Abend ganz müde nach Hause kam, fand ich einen jungen Krieger, der über große Kraft verfügte, vor. Und da er meinen alten Vater töten, mein Weib vergewaltigen, mein Mädchen rauben und mir meine Habe fortnehmen wollte, ergriff ich die Flucht, weil ich mich nicht verteidigen konnte. In dieser üblen Lage eilte ich in das Haus einiger Freunde und Verwandten und bat sie, mir zu helfen. Als wir dann zurückkehrten, fanden wir die Tür verschlossen und von innen fest verrammelt, so daß wir nicht eintreten konnten, solange die Tür nicht zerstört war. Und nicht zufrieden mit der Vergewaltigung meiner Frau, hat er mir auch den einen meiner Freunde mit der Büchse getötet, wie Ihr seht, und den anderen tödlich verwundet. Da ich einen solchen Schimpf nicht ertragen konnte, wollte ich ihn tot oder lebend in meine Gewalt bekommen.« Als die Begleiter des Herzogs den Bericht vernahmen und er ihnen wahrscheinlich erschien, weil sie den Toten auf der Erde liegen und seinen Genossen schwer verwundet sahen, wandelte sie Mitleid an und sie stiegen von ihren Pferden und machten sich daran, die Tür einzuschlagen, wobei sie mit lauter Stimme riefen: »Ha Verräter! Ha Feind Gottes! öffne die Tür! Was zögerst du? Du wirst der Strafe für dein Verbrechen nicht entgehen!« Der Herzog gab keine Antwort, sondern war mit allem Eifer und aller Kunst darauf bedacht, die Tür zu befestigen, ohne jedoch zu merken, daß seine Genossen es waren, die also riefen. Während die jungen Leute den Kampf gegen die Tür führten und sie mit keiner Gewalt zum Weichen bringen konnten, trat einer von ihnen abseits und gewahrte ein Pferd, das im Hofe an den Zaun gebunden stand. Er näherte sich ihm und erkannte, daß es das Roß des Herzogs war, da rief er mit lauter Stimme: »Gebt Frieden, Ihr Herren Ritter und laßt ab von der Tür; denn unser Herr befindet sich dort im Hause!« Und er zeigte ihnen das an den Zaun gebundene Pferd. Als die übrigen das Pferd gesehen und erkannt hatten, waren sie überzeugt, der Herzog befinde sich in dem verschlossenen Hause und riefen hocherfreut seinen Namen. Als der Herzog sich rufen hörte, wußte er sofort, daß seine Begleiter es seien und legte, über sein Leben beruhigt, die verbarrikadierte Tür frei und öffnete sie. Als die jungen Leute den Grund erfuhren, weshalb er sich in das Haus eingeschlossen hatte, ergriffen sie die Übeltäter und brachten sie gefesselt nach Mailand. Dort wurden sie zuerst mit glühenden Zangen gezwickt und dann bei lebendigem Leibe von je vier Pferden in vier Teile gerissen. Das kleine Mädchen – Verginea mit Namen – das den verruchten Anschlag verraten hatte, wurde vom Herzog der Obhut der Frau Herzogin übergeben, damit sie es erziehe. Und als es das heiratsfähige Alter erreicht hatte, wurde es zum Dank für die Errettung des Herzogs mit sehr reicher Mitgift ehrenvoll an einen edeln Ritter verheiratet. Und außerdem schenkte ihr der Herzog das Kastell von Binasio, zwischen Mailand und Pavia, das heutzutage infolge der beständigen Kriege so gründlich zerstört ist, daß kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Auf diese Weise endeten also die Verruchten und Unseligen ihr Leben, während das Mädchen mit ihrem Gatten eine lange Reihe glücklicher Jahre verlebte.