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Rodolino, der Sohn König Ludwigs von Ungarn, liebt Violante, die Tochter des Schneiders Domitio. Als Rodolino gestorben, wirft sich Violante in der Kirche über seine Leiche und stirbt gleichfalls.
Ludwig, König von Ungarn, hatte einen einzigen Sohn namens Rodolino, der schon in seiner frühen Jugend die glühenden Stachel der Liebe zu spüren bekam. Als der Knabe eines Tages an einem Fenster seines Gemaches lehnte und allerlei Dinge, die ihm Vergnügen machten, in seinem Geiste bewegte, gewahrte er zufällig ein junges Mädchen, die Tochter eines Schneiders. Und weil sie schön, bescheiden und anmutig war, verliebte er sich so heftig in sie, daß er keine Ruhe mehr fand. Das Mädchen, Violante mit Namen, versah sich der Liebe Rodolinos wohl und erglühte nicht minder für ihn, wie er für sie, und wenn sie ihn nicht sah, glaubte sie zu sterben. Wie nun beider Zuneigung in gleichem Maße zunahm, bewirkte Amor, der treue Leiter und das wahre Licht jedes edlen Herzens, daß der Knabe es wagte, mit ihr zu sprechen. Als nämlich Rodolino, der sich über die Gegenliebe vollkommen im klaren war, die Violante ihm entgegenbrachte, eines Tages am Fenster stand, sagte er: »Violante, wisse, daß meine Liebe zu dir so groß ist, daß nur der finstere Tod sie auszulöschen vermag. Die allen Lobes würdige und anmutige Art, wie du dich gibst, dein züchtiges und edles Benehmen, die schönsten sternengleichen Augen und die anderen Vorzüge, die ich an dir in Blüte sehe, haben mich in eine so glühende Liebe zu dir versetzt, daß ich niemals ein anderes Weib als dich zur Ehe nehmen werde.« Hierauf antwortete Violante, die trotz ihrer großen Jugend gewitzt war, daß, wenn er sie liebte, sie ihn noch weit mehr liebe, daß seine Liebe mit der ihrigen nicht zu vergleichen sei, denn der Mann liebe nicht lauteren Herzens, seine Liebe sei vielmehr unbesonnen und ohne Bestand und stürze in den meisten Fällen die Frau, die mit der. ganzen Kraft ihres Herzens liebe, ins Verderben. »O sprich nicht so, geliebte Seele!« rief Rodolino, »würdest du nur den tausendsten Teil der Leidenschaft empfinden, die mich erfüllt, so würdest du so etwas nicht aussprechen. Und wenn du es nicht glaubst, so stelle mich auf die Probe, dann wirst du sehen, ob ich dich liebe oder nicht.« Nun geschah es, daß König Ludwig, der Vater Rodolinos, eines Tages hinter die Leidenschaft seines Sohnes kam. Diese Entdeckung verursachte ihm keinen geringen Schmerz; denn er fürchtete sehr, es möchte leicht ein Fall eintreten, der seinem Reich zur Unehre und Beschämung ausschlagen würde. Ohne ihm etwas von seinen Sorgen mitzuteilen, wollte er ihn daher in ferne Länder senden, damit die Zeit und die Entfernung ihn seine Leidenschaft vergessen ließen. Und so rief er ihn eines Tages zu sich und sprach zu ihm: »Mein lieber Sohn Rodolino, du weißt, daß wir keine anderen Söhne haben außer dir, noch solche haben werden, und daß nach unserem Tode die Herrschaft dir als unserem rechtmäßigen Nachfolger zufallen wird. Damit du nun ein verständiger und kluger Mann werdest und seinerzeit dein Reich weise regieren könntest, habe ich beschlossen, dich nach Österreich zu senden, wo Lamberico, dein Oheim mütterlicherseits, weilt. Dort gibt es hochgelehrte Männer, die dich aus Liebe zu uns unterweisen werden, und unter ihrer Leitung wirst du klug und weise werden.« Als Rodolino den König so sprechen hörte, erschrak er heftig und vermochte kein Wort hervorzubringen, dann aber faßte er sich und sagte: »Lieber Vater, obwohl es mir schmerzlich und leidvoll ist, mich von Euch zu entfernen, weil ich mich dadurch Eurer und meiner Mutter Gegenwart beraube, werde ich Euch doch, da es nun einmal Euer Wille ist, gehorchen.« Als der König ihn willfährig fand, schrieb er sogleich an seinen Schwager Lamberico, teilte ihm den Grund mit, weshalb er seinen Sohn außer Landes schicke, und legte ihm ans Herz, auf sein Kind zu achten wie auf sein eigenes Leben. Nachdem Rodolino seinem Vater die bereitwillige Zusage gegeben hatte, tat es ihm hinterdrein sehr leid, da es sich aber mit seiner Ehre nicht vertrug, sie wieder zurückzunehmen, ergab er sich darein. Doch bevor er Abschied nahm, fand er Gelegenheit, mit seiner Violante zu sprechen, um sie zu unterrichten, wie sie sich bis zu seiner Rückkehr verhalten müsse, damit eine so große Liebe wie die ihre nicht in die Brüche ginge. Als sie sich also getroffen hatten, sagte Rodolino: »Violante, um meinem Vater gefällig zu sein, entferne ich mich von dir mit dem Leibe, aber nicht mit dem Herzen, und überall, wo ich auch sein werde, werde ich stets deiner gedenken. Doch bitte ich dich bei jener Liebe, die ich zu dir empfunden habe, empfinde und empfinden werde, solange der Geist diese Gebeine beherrscht, daß du dich auf keinen Fall verheiratest, denn sowie ich zurückkehre, werde ich dich ganz gewiß zu meinem rechtmäßigen Weibe machen, und zum Zeichen meiner Lauterkeit und Treue nimm diesen Ring und halte ihn wert.« Als Violante die traurige Kunde vernahm, wollte sie vor Schmerz vergehen, nachdem sie aber die Herrschaft über sich wiedergewonnen hatte, antwortete sie: »Herr, wollte Gott, ich hätte Euch nie gekannt, dann wäre die bittere Herzenspein, die ich nun leiden muß, mir erspart geblieben. Da der Himmel und mein Geschick es jedoch so wollen, daß Ihr mich verlaßt, so sagt mir wenigstens, ob Euer Fernsein von kurzer oder langer Dauer sein wird, denn wenn letzteres der Fall ist, werde ich dem Willen meines Vaters nicht Widerstand leisten können, wenn er mich etwa verheiraten wollte.« Hierauf sagte Rodolino: »Gräme dich nicht, Violante, sei vergnügt; denn bevor das Jahr zu Ende geht, werde ich wieder hier sein, sollte ich aber nicht binnen Jahresfrist zurück sein, so gebe ich dir die Freiheit, dich zu verheiraten.« Und nach diesen Worten nahm er unter Tränen und Seufzern Abschied von ihr. Am andern Morgen stieg er in aller Frühe zu Pferde und ritt mit stattlichem Gefolge nach Österreich zu und wurde, als er dort eingetroffen, von seinem Oheim Lamberico ehrenvoll empfangen. Rodolino brachte nun seine Tage in großem Herzeleid hin, weil er seine Violante hatte verlassen müssen und wußte sich durch nichts zu erheitern, und obwohl seine Altersgenossen sich alle Mühe gaben, ihm jedes erdenkliche Vergnügen zu bereiten, hatten sie doch keinen oder nur wenig Erfolg. Während also Rodolino zu seinem großen Mißvergnügen in Österreich weilte und stets nur an seine geliebte Violante dachte, verging, ohne daß er es merkte, das Jahr. Als er dessen aber innegeworden war, bat er den Oheim um Erlaubnis, heimzukehren, um Vater und Mutter wiederzusehen, und Lamberico gab sie ihm bereitwillig. In das väterliche Reich zurückgekehrt und aufs freudigste von seinen Eltern empfangen, erfuhr Rodolino, daß Violante, die Tochter des Schneiders Domitio, sich verheiratet hatte. Der König empfand darüber die größte Freude, Rodolino dagegen war todunglücklich und machte sich die bittersten Vorwürfe, daß er diese Heirat selbst verschuldet habe, und da der Arme in dieser Qual seines Herzens kein Mittel gegen seine Liebesleidenschaft zu finden wußte, wollte er vor Leid vergehen. Doch Amor, der seine Jünger nicht verläßt und jene züchtigt, die ihre Versprechungen nicht halten, richtete es so ein, daß Rodolino mit Violante zusammentraf. Denn ohne Wissen Violantes verbarg sich Rodolino in ihrer Schlafkammer, und als sie mit ihrem Gatten im Bett lag, schlich er leise in den Raum zwischen Bett und Wand, lüftete dann sacht die Decke und legte ihr die Hand auf die Brust. Als Violante, die nichts von seiner Anwesenheit wußte, sich von jemand berührt fühlte, der nicht ihr Gatte war, wollte sie einen Schrei ausstoßen, aber Rodolino verhinderte sie daran, indem er ihr mit der Hand den Mund zuhielt und gab sich zu erkennen. Als die junge Frau erkannt hatte, daß es Rodolino war, geriet sie in heftige Bestürzung und fürchtete, ihr Gatte könne ihn hören; sie wehrte ihn daher milde aber fest von sich ab und ließ nicht einmal zu, daß er sie küsse. Als Rodolino sich von dem geliebten Wesen ganz und gar verlassen und offen zurückgewiesen sah und keine Möglichkeit erblickte, sein verzehrendes Leid zu heilen, flüsterte er: »O du Stolze, Allzugrausame, ich sterbe, und du darfst zufrieden sein, daß du nicht mehr die Last meines Anblicks zu ertragen brauchst, aber wenn später Mitleid in dein Herz einkehrt, wirst du gewaltsam gezwungen werden, deine Härte zu bereuen. Weh mir! wie ist es möglich, daß die ausdauernde Liebe, die du mir einst entgegengebracht hast, jetzt ganz und gar dahin ist?« Und damit umschlang er seine Violante heftig und küßte sie, ob sie wollte oder nicht, und da fühlte er auch schon, wie sein Herz den Dienst versagte, ein Schauer durchfuhr ihn, seine Glieder lösten sich und mit einem tiefen Seufzer gab der Arme an ihrer Seite den Geist auf. Als die Unglückliche erkannte, daß er aufgehört habe zu leben, war sie zuerst wie geistesabwesend, dann aber überlegte sie sich, wie sie es anstellen solle, daß ihr Gatte nichts merke. Sie ließ den Toten leise vom Lager in den Raum zwischen der Bettstatt und der Wand hinabgleiten, tat dann als träumte sie und stieß einen gellenden Schrei aus. Ihr Gatte erwachte sofort und fragte sie nach der Ursache ihres Schreies, worauf sie ihm am ganzen Leibe zitternd und voll Entsetzen erzählte, es habe ihr geschienen, als ob Rodolino, der Sohn des Königs, bei ihr gelegen habe und in ihren Armen gestorben sei. Darauf sprang sie aus dem Bett und fand neben dem Lager den Leichnam ausgestreckt liegen, und er war noch warm. Als der Gatte das schreckliche Geschehnis in seiner ganzen Tragweite begriffen hatte, packte ihn Bestürzung und er fürchtete für sein Leben. Schließlich aber faßte er Mut, lud den Leichnam auf die Schultern und legte ihn, ohne von jemand gesehen worden zu sein, auf die Schwelle des königlichen Palastes nieder. Als der König die traurige Kunde vernahm, wollte er vor Schmerz und Zorn Hand an sich selbst legen, als er dann aber seine Fassung wieder errungen hatte, schickte er zu den Ärzten, damit sie den Toten in Augenschein nähmen und die Todesursache feststellten. Die Ärzte untersuchten getrennt den Leichnam und erklärten übereinstimmend, Rodolino sei weder durch Dolch oder Gift, sondern an gebrochenem Herzen gestorben. Als der König dies vernommen hatte, befahl er, das Leichenbegängnis vorzubereiten, ließ den Leichnam in die Kathedrale tragen und öffentlich verkünden, daß alle Frauen der Stadt, wes Standes sie auch seien, bei Strafe seiner Ungnade an der Bahre zu erscheinen und seinen toten Sohn zu küssen hätten. Infolgedessen strömte eine große Anzahl Frauen herbei, die ihn mitleidvollen Herzens durch reichliche Tränen ehrten, und unter anderen kam auch die unglückliche Violante und wollte ihn, dem sie bei seinen Lebzeiten nicht einen einzigen Kuß hatte gönnen wollen, im Tode wenigstens sehen, warf sich über den Leichnam und hielt in Gedanken daran, daß er aus Liebe zu ihr entseelt dalag, den Atem solange an, daß sie, ohne einen Laut von sich zu geben, aus diesem Leben schied. Als die übrigen Frauen das unvorhergesehene Ereignis sahen, eilten sie herbei, um ihr zu helfen, aber sie bemühten sich vergeblich; denn die Seele hatte den Körper verlassen und war ausgezogen, die ihres heißgeliebten Rodolino zu suchen. Der König, der um die Liebe Violantes und seines Sohnes wußte, hielt sie geheim und befahl, beide in einem und demselben Grabe beizusetzen.