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Guerrino, der einzige Sohn Filippo Marias, Königs von Sizilien, befreit einen Waldmenschen aus der Gefangenschaft seines Vaters. Die Mutter schickt den Sohn aus Furcht vor dem König ins Exil, und der zu einem schönen Jüngling gewordene Waldmensch befreit Guerrino aus vielen schrecklichen Gefahren.
Sizilien ist eine vortreffliche fruchtbare Insel und übertrifft an Alter ihrer Geschichte alle anderen, und auf ihr gibt es viele Städte und Burgen, die sie noch schöner machen als sie schon ist. Diese Insel beherrschte in vergangenen Zeiten König Filippo Maria, ein weiser, freundlicher und ausgezeichneter Mann, der eine sehr liebenswürdige, anmutige und schöne Gemahlin und von ihr einen einzigen Sohn namens Guerrino hatte. Der König hatte ein größeres Vergnügen an der Jagd als irgendein anderer Fürst; denn er war ein starker und kräftiger Mann, dem eine solche Beschäftigung sehr zusagte. Als er sich nun einmal mit verschiedenen seiner Barone und Jäger auf der Jagd befand, sah er plötzlich aus dem Dickicht einen sehr großen, plumpgebauten Waldmenschen, der keinem an Kräften nachstand, hervorspringen, und so mißgestaltet und häßlich war er, daß sich aller eine nicht geringe Verblüffung bemächtigte. Der König machte sich kampfbereit und griff ihn mit zweien seiner besten Barone mutig an. Nach einem langen, hartnäckigen Kampfe überwand er ihn, ließ ihn binden und führte ihn mit sich nach seinem Palaste. Nachdem er einen für ihn geeigneten, wohlverwahrten Raum gefunden, schloß er ihn hinein und befahl, daß man ihn aufmerksam bewache. Und da dem König soviel an ihm gelegen war, wollte er die Schlüssel allein der Königin anvertrauen, und es verging kein Tag, ohne daß er sich den Zeitvertreib machte, ihn in seinem Gefängnis zu besuchen. Nach einigen Tagen wollte der König wieder auf die Jagd gehen, er bereitete alles dazu vor und zog mit einem stattlichen Gefolge von dannen, nachdem er zuerst der Königin den Schlüssel des Kerkers anvertraut hatte. Während nun der König auf der Jagd war, bekam der Knabe Guerrino große Lust, den wilden Mann zu sehen und ging allein mit seinem Bogen, an dem er ganz besonderes Gefallen fand, und mit einem Pfeil in der Hand an das Gitter des Gefängnisses, wo das Ungeheuer weilte, betrachtete es, und fing an ganz vertraulich mit ihm zu sprechen. Während er so plauderte und der wilde Mensch ihm schmeichelte und ihn liebkoste, wußte er ihm auf geschickte Weise den Pfeil, der reich gearbeitet war, aus der Hand zu nehmen. Darüber fing der Knabe an bitterlich zu weinen, konnte sich gar nicht zufrieden geben und wollte durchaus seinen Pfeil wieder haben. Der Waldmensch aber sprach: »Wenn du mir mein Gefängnis öffnen und mich befreien willst, gebe ich dir deinen Pfeil zurück, sonst bekommst du ihn nimmermehr.« Darauf sagte der Knabe: »Wie kann ich dir denn aufmachen und dich herauslassen? Ich weiß ja gar nicht, wie ich das anstellen soll.« »Wenn du geneigt wärst«, antwortete der Waldmensch, »mich aus diesem engen Käfig zu befreien, so will ich dir wohl das Mittel dazu angeben, wie du mich schnell losmachen könntest.« »Wie denn?« fragte Guerrino, »so sage mir das Mittel!« Da sprach der Waldmensch: »Geh zur Königin, deiner Mutter, und wenn du sie in der Mittagszeit schlummern siehst, so suche behutsam unter dem Kopfkissen, auf dem sie ruht, nach, entwende ihr sacht, ohne daß sie es merkt, die Schlüssel des Gefängnisses, bring sie her und öffne mir, und sobald du geöffnet hast, gebe ich dir gleich deinen Pfeil zurück. Vielleicht werde ich dir diesen Dienst bald vergelten können.« Begierig, seinen vergoldeten Pfeil wieder zu haben, dachte Guerrino nach Kinderart nicht an die Folgen, sondern lief unverweilt zu seiner Mutter, fand sie süß schlafend, nahm ihr vorsichtig die Schlüssel fort, kehrte damit zum Waldmenschen zurück und sprach zu ihm: »Hier sind die Schlüssel! Wenn ich dir aufgeschlossen habe, so lauf, soweit deine Füße dich tragen; denn bekäme mein Vater, der ein geschickter Jäger ist, dich wieder in seine Gewalt, so könnte es leicht sein, daß er dich töten ließe.« »Sei unbesorgt, mein Sohn!« erwiderte der Waldmensch; »denn sobald du das Gefängnis geöffnet hast und ich mich in Freiheit sehe, gebe ich dir deinen Pfeil zurück und fliehe so weit von hier, daß weder dein Vater noch sonst jemand mich jemals antreffen soll.« Guerrino, der schon Manneskraft besaß, bemühte sich so lange, bis er endlich das Gitter geöffnet hatte. Da gab ihm der Waldmann den Pfeil zurück, sagte ihm Dank und eilte davon. Dieser Waldmensch war früher ein sehr schöner Jüngling gewesen, der aus Verzweiflung, sich von einer heißgeliebten Jungfrau verschmäht zu sehen, den Liebesgedanken und den Freuden des Stadtlebens entsagt hatte, um in den dunkeln Wäldern mit den Tieren zu leben und sich wie diese von Kräutern zu nähren und Quellwasser zu trinken. Von dieser Lebensweise hatte der Unglückliche ganz grobes Haar, eine dicke, harte Hand und einen dichten, sehr langen Bart bekommen, und weil er nichts als Kräuter aß, waren ihm Haar, Bart und Haut so grün geworden, daß er einen ungemein grotesken Anblick gewährte. Als die Königin erwachte, fuhr sie mit der Hand unters Kopfkissen, um die Schlüssel hervorzuholen, die sie sonst immer an der Seite zu tragen pflegte. Da sie sie aber nicht fand, verwunderte sie sich sehr, kehrte das ganze Bett danach um – doch vergeblich, worauf sie wie eine Verrückte zum Gefängnis lief. Und da sie es offen und den Waldmenschen nicht darin fand, wollte sie vor Schmerz vergehen. Sie durcheilte den Palast nach allen Seiten und befragte jeden, der ihr begegnete, wer die Verwegenheit und Anmaßung gehabt habe, ihr heimlich die Schlüssel des Gefängnisses wegzunehmen. Alle beteuerten, nichts davon zu wissen. Da traf Guerrino auf die Mutter, und als er sie ganz außer sich vor Zorn sah, sagte er: »Mutter, beschuldigt keinen der Öffnung des Gefängnisses; denn wenn jemand Strafe verdient, so muß ich sie erleiden, denn ich habe das Gefängnis geöffnet.« Dieses Geständnis verursachte der Königin noch weit größeren Schmerz, da sie befürchtete, wenn der König von der Jagd nach Hause komme, werde er den Sohn in seinem Zorn töten; denn er hatte ihr die Schlüssel ans Herz gelegt, als hinge sein ganzes Wohl daran. Um nun einen kleinen Fehler gutzumachen, beging die Königin einen weit größeren. Ohne Aufschub berief sie zwei getreue Diener, empfahl ihnen aufs dringendste, Sorge für ihren Sohn zu tragen, versah diesen mit einer Menge Juwelen und Gold und prächtigen Pferden und sandte ihn, von den beiden begleitet, auf gut Glück in die Welt. Guerrino hatte seine Mutter noch nicht lange verlassen, da kam der König von der Jagd zurück in den Palast und ging, sobald er vom Pferde gestiegen, zum Gefängnis, um seinen Waldmann zu besuchen. Als er es aber offen und den Waldmann entwischt fand, geriet er in eine solche Wut, daß er fest entschlossen war, den umzubringen, der sich ein solches Vergehen hatte zuschulden kommen lassen. Er ging zur Königin, welche er traurig in ihrem Gemach fand, und fragte sie, wer der unverschämte und tollkühne Frevler sei, der es gewagt habe, das Gefängnis zu öffnen und die Flucht des Waldmenschen zu veranlassen. »O zürnt nicht, König«, sprach die Königin mit zitternder, schwacher Stimme. »Guerrino hat, wie er mir eingestanden, dieses Unheil verübt.« Hierauf teilte sie dem König zu seinem nicht geringen Verdruß mit, was ihr Guerrino erzählt hatte und fügte dann hinzu, sie habe ihn aus Furcht, er werde ihn töten, in ferne Lande gesandt, begleitet von zwei treuen Dienern, die reichlich mit Gold und Kleinodien für ihren Bedarf versehen seien. Bei dieser Nachricht, die Leid zum Leide fügte, geriet der König ganz außer sich und es fehlte nicht viel, so wäre er zu Boden gefallen und hätte den Verstand verloren, – ja, wenn ihn nicht die Hofleute zurückgehalten hätten, so würde er in diesem Augenblick seine Frau umgebracht haben. Als der arme König wieder zu sich selbst gekommen war und sein Zorn sich gelegt hatte, sprach er zu der Königin: »Wie konnte es Euch einfallen, o Frau, unseren Sohn nach unbekannten Ländern zu schicken? Glaubtet Ihr denn, daß mir mehr an jenem Wilden gelegen sei, als an meinem eigenen Fleisch und Blut?« Und ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er viele Kriegsleute zu Pferd steigen und befahl ihnen, sich in vier Haufen zu teilen, und alles daranzusetzen, ihn wiederzufinden. Ihre Bemühungen waren aber fruchtlos; denn Guerrino und seine Diener wählten ganz verborgene Wege und ließen sich von niemand erkennen. So ritt nun der gute Guerrino mit seinen Dienern dahin, hatte schon viele Täler, Berge und Flüsse passiert, sich bald hier, bald dort aufgehalten und war endlich sechzehn Jahre alt und so schön geworden, wie eine frisch aufgeblühte Rose. Da verfielen seine Diener plötzlich auf den teuflischen Gedanken, Guerrino zu töten, seine Schätze und sein Geld zu rauben und unter sich zu teilen. Sie kamen aber nicht zur Ausführung; denn durch göttliche Fügung konnten sie niemals miteinander einig werden. Da geschah es, daß zum Glück für Guerrino ein schöner, anmutiger Jüngling auf einem prachtvollen, reichgeschmückten Pferde des Weges kam, Guerrino mit höflicher Neigung des Kopfes grüßte und ihn anredete: »O edler Ritter, wenn es Euch nicht unangenehm ist, so erlaubt mir, Euch zu begleiten.« Guerrino erwiderte: »Ein Anstand wie der Eure gestattet mir nicht, Eure Gesellschaft auszuschlagen, vielmehr weiß ich Euch für dieses Anerbieten Dank und bitte Euch ganz besonders, mit uns zu kommen. Wir sind hier fremd und kennen die Wege nicht; Ihr werdet die Güte haben, sie uns zu zeigen, und während des Reitens können wir einander etwas von unseren Erlebnissen erzählen, um uns die Reise angenehmer zu machen.« Dieser Jüngling war aber niemand anderer als der Waldmensch, den Guerrino aus der Gefangenschaft seines Vaters, des Königs Filippo Maria befreit hatte. Er hatte verschiedene Länder und fremde Gegenden durchstreift, da hatte ihn zufällig eine sehr schöne aber kränkliche Fee erblickt und über sein ungestaltes, wunderliches Aussehen so herzlich gelacht, daß ein lebensgefährliches Geschwür an ihrem Herzen aufgebrochen war. Von diesem Augenblicke an fühlte sie sich völlig geheilt und war gesund und wohl, als hätte ihr niemals etwas gefehlt. Die schöne Fee wollte eine solche Wohltat nicht mit Undank lohnen und sprach: »O du jetzt so mißgestalteter und häßlicher Mensch, der du meine langersehnte Genesung bewirktest, geh hin, ich mache dich zum schönsten, edelsten, weisesten und anmutigsten Jüngling, den man finden kann. Und an aller Macht und Gewalt, womit die Natur mich begabte, gebe ich dir Anteil, daß du nach deinem Willen alles machen und zunichte machen kannst.« Nach diesen Worten beschenkte sie ihn mit einem herrlichen, gefeiten Roß und entließ ihn, damit er hingehe, wohin ihm beliebe. Als nun Guerrino mit dem Jüngling, den er nicht erkannte, wohingegen dieser ihn wohl erkannt hatte, fürbaß ritt, kam er endlich an eine sehr feste Stadt, Irlanda mit Namen, welche damals der König Zifroi beherrschte. Dieser König Zifroi hatte zwei Töchter, hold anzuschauen, von edeln Sitten und reicher mit Schönheit begabt, als Venus. Eine derselben hieß Potentiana, die andere Eleuteria, und sie waren dem König so teuer, daß er durch keine anderen Augen sah, als durch die ihrigen. Als nun Guerrino mit dem unbekannten Ritter und den Dienern in die Stadt Irlanda gekommen war, stieg er bei einem Wirte ab, dem witzigsten Manne von Irlanda, von dem sie auf das beste behandelt wurden. Am andern Tag tat der Unbekannte, als wolle er abreisen, nahm Abschied von Guerrino und sagte ihm vielen Dank für seine gute Gesellschaft. Allein Guerrino, der ihn liebgewonnen hatte, wollte ihn durchaus nicht ziehen lassen und bat ihn so lange, bis er einwilligte, bei ihm zu bleiben. Im irlandischen Gebiet hausten aber damals zwei furchtbare, erschreckliche Tiere, ein wilder Hengst und eine wilde Stute, die so gewalttätig und furchtlos waren, daß sie nicht allein die angepflanzten Felder gänzlich verwüsteten, sondern auch alle Tiere und Menschen, die ihnen nahe kamen, aufs grausamste umbrachten. Das Land war durch diese Bestien in einen so traurigen Zustand versetzt worden, daß kein Mensch mehr dort wohnen wollte. Die Bauern verließen ihre Besitzungen und ihre teuren Behausungen und zogen in fremde Gegenden, und niemand war stark und mutig genug, daß er es wagte, sich ihnen zu widersetzen oder gar, sie zu töten. Als der König das ganze Land von Lebensmitteln, Vieh und Menschen entblößt sah und doch kein Mittel wußte, dem Übel abzuhelfen, war er sehr betrübt und verwünschte beständig sein hartes und grausames Geschick. Die beiden Diener Guerrinos, die unterwegs ihren grausamen Plan nicht hatten ausführen können, teils weil sie nicht unter sich einig geworden waren, teils wegen der Dazwischenkunft des unbekannten Jünglings, kamen nun wieder auf den Gedanken, Guerrino ums Leben zu bringen und sich seiner Kleinodien und seines Geldes zu bemächtigen. »Wir wollen sehen«, sagten sie unter sich, »ob wir unserm Herrn nicht irgendwie den Tod bereiten können.« Da sie aber keine anderen Mittel und Wege fanden, die ihnen brauchbar schienen – denn wenn sie ihn selbst umbrachten, waren sie in Todesgefahr – beschlossen sie, heimlich mit dem Wirte zu sprechen und ihm zu erzählen, welch ein mutiger und tapferer Jüngling ihr Herr sei und wie oft er sich ihnen gegenüber gerühmt, er könne jeden wilden Hengst töten, ohne daß jemand dabei zu Schaden käme. Dieser Bericht, dachten sie, wird schnell zu Ohren des Königs gelangen, der eifrigst wünscht, die Tiere umgebracht und das Land befreit zu sehen. Er wird Guerrino alsbald rufen lassen und ihn über die Art befragen, dies zu bewerkstelligen, und weiß er dann nicht zu antworten, so ist es leicht möglich, daß er ihn töten läßt und seine Schätze unser werden. Gesagt, getan. Sie banden dem Wirt ihre Lüge auf, dieser war außer sich vor Freuden darüber, eilte zum Palast, erwies knieend dem König seine Ehrfurcht und sprach ohne Zeugen zu ihm: »Wisset, heilige Krone, in meinem Hause wohnt ein schöner fremder Ritter, Guerrino mit Namen. Von dem haben mir seine Diener erzählt, als ich mit ihnen über dies und jenes sprach, ihr Herr sei sehr berühmt wegen seiner Tapferkeit und wisse die Waffen zu führen wie kein anderer in unseren Tagen, und oft solle er sich gerühmt haben, ihm sei es ein leichtes, den wilden Hengst zu besiegen, welcher Euer Reich verwüstet.« Auf diese Nachricht befahl ihm König Ziffoi sogleich, er solle den Ritter zu ihm schicken. Dem Befehl gehorchend, kehrte der Wirt alsbald in seine Herberge zurück und sagte zu Guerrino, er solle gleich in den Palast kommen, der König wünsche mit ihm allein zu sprechen. Als Guerrino dies hörte, erschien er vor dem König, bezeigte ihm die schuldige Ehrfurcht und fragte ihn, warum er ihn habe rufen lassen. »Guerrino«, sprach König Zifroi zu ihm, »ich habe dich rufen lassen, weil ich vernommen, du seiest der tapferste Ritter auf der Welt und so gewaltig, daß du dich getrautest, jenen wilden Hengst, der mein Land so jämmerlich verwüstet, zu bezwingen, ohne Gefahr für dich und andere. Wagst du dieses ruhmvolle Unternehmen und bezwingst du die Bestie, so gelobe ich dir bei diesem meinem Haupte, dich dergestalt zu belohnen, daß du dein ganzes Leben hindurch glücklich sein sollst.« Über dieses Ansinnen erstaunte Guerrino nicht wenig und leugnete, je dergleichen Reden geführt zu haben, wie man sie ihm nachsage. Der König war höchst unwillig über seine Antwort und sagte zornig: »Ich befehle dir, Guerrino, diesen Kampf zu bestehen; es kostet dir das Leben, wenn du meinem Willen widerstrebst!« Betrübt kehrte Guerrino in seine Herberge zurück und wagte nicht, jemand seine Not zu klagen. Als der Unbekannte ihn gegen seine Gewohnheit so traurig sah, fragte er ihn teilnehmend nach der Ursache seines Kummers. Guerrino konnte bei der brüderlichen Freundschaft, die zwischen ihnen herrschte, diese liebevolle Frage nicht unbeantwortet lassen und erzählte ihm, was ihm begegnet war. »Sei guten Muts«, sagte darauf der unbekannte Jüngling, »und fürchte nichts! Ich werde dir einen Weg zeigen, nicht nur dein Leben zu retten, sondern auch in diesem Kampfe zu siegen und des Königs Begehren zu erfüllen. Kehre also zu ihm zurück und sage zu ihm, er solle dir einen tüchtigen Hufschmied geben, bei dem bestelle dir vier dicke Hufeisen, rund herum zwei gute Zoll breiter als die gewöhnlichen, mit ausgezacktem Rande und hinten mit zwei spitzen und scharfen, gut fingerlangen Haken versehen. Hast du sie, so läßt du damit mein Zauberpferd beschlagen und das übrige soll schon gehen.« Guerrino begab sich also zum König und sprach zu ihm, wie der Jüngling ihm aufgetragen hatte. Der König ließ einen trefflichen Hufschmied kommen und befahl ihm, alles auszuführen, was Guerrino ihm sagen würde. Der Meister ging in seine Werkstatt und Guerrino mit ihm und bestellte die vier oben beschriebenen Hufeisen. Als aber der Meister das hörte, wollte er sie nicht machen und lachte ihn aus und behandelte ihn wie einen Narren; denn dergleichen war ihm in seinem Leben noch nie vorgekommen. Als Guerrino aber sah, daß der Hufschmied ihn verspottete und ihm nicht gehorchen wollte, ging er zum König und beklagte sich über ihn, daß er ihm nicht habe dienen wollen. Der König ließ ihn daher zu sich rufen und befahl ihm eindringlich und bei Strafe seiner Ungnade, entweder zu tun, was ihm aufgetragen worden sei, oder hinzugehen und an Guerrinos Statt mit dem Untier zu kämpfen. Als der Meister sah, daß es mit dem Befehle des Königs Ernst war, machte er die Hufeisen und beschlug das Pferd damit, wie ihm angegeben worden war. Als nun das Pferd beschlagen und mit allem erforderlichen ausgerüstet war, sagte der Jüngling zu Guerrino: »Besteig nun mein Roß, zieh unbesorgt aus und wenn du das Wiehern des wilden Hengstes hörst, so steig ab, nimm ihm Sattel und Zaumzeug ab und laß es in Freiheit. Du aber erklettere einen hohen Baum und warte dort das Ende ab.« Guerrino, von seinem treuen Gefährten wohl unterrichtet, wie er sich zu verhalten habe, nahm Abschied und ritt vergnügt davon. Durch die ganze Stadt Irlanda war schon das rühmliche Gerücht erschollen, ein anmutiger, schöner Jüngling habe es auf sich genommen, den wilden Hengst zu bekämpfen und wolle ihn gefangen dem König überbringen. Deshalb liefen Männer und Weiber an die Fenster, ihn vorbeikommen zu sehen, und alle wurden vom Anblick seiner Schönheit und Jugend so gerührt, daß sie sich der Tränen nicht erwehren konnten und bedauernd sprachen: »O der Arme, wie er sich freiwillig in den Tod stürzt! Wahrlich, es ist jammerschade, daß er so elendig um sein Leben kommen soll.« Allein Guerrino ritt unbekümmerten Sinnes und männlichen Mutes weiter, ohne sich an etwas zu kehren. Als er aber dem Aufenthalt des Untieres nahe war und es wiehern hörte, stieg er ab, band seinem Roß Sattel und Zaumzeug los, ließ es frei, suchte Schutz auf einer starken Eiche und erwartete dort den harten und blutigen Kampf. Kaum war Guerrino oben, so kam der Hengst herbeigerannt, griff das gefeite Roß an und es begann der erbittertste Kampf, der je auf der Welt gesehen ward. Denn gleich zwei entfesselten Löwen stürzten sie aufeinander los und der Schaum entfloß ihnen wie borstigen von wütenden Hunden gehetzten Ebern. Nach langem, mutigem Streit gab endlich das gefeite Roß seinem Gegner ein paar Hufschläge gegen einen Kinnbacken und renkte ihn dadurch aus. Infolgedessen verlor der Hengst allen Mut weiterzukämpfen oder sich zu verteidigen. Als Guerrino dies sah, stieg er hocherfreut von der Eiche, schlang dem Tier einen Strick, den er mitgebracht hatte, um den Hals und führte es mit seiner ausgerenkten Kinnlade unter großem Jubel des ganzen Volkes, wie er versprochen hatte, zum König, der darob, ebenso wie die ganze Stadt, sich vor Freude kaum zu fassen wußte. Den beiden Dienern war dieser Ausgang höchst unwillkommen; denn er vereitelte ihr böses Vorhaben. Voll Zorn und Ärger darüber sorgten sie dafür, daß König Zifroi zu verstehen gegeben würde, Guerrino könne mit Leichtigkeit auch die Stute unschädlich machen, wenn er Lust hätte. Als der König dies hörte, verfuhr er ebenso wie das erstemal, und auf Guerrinos Weigerung, sich an das wirklich schwierige Werk zu machen, drohte er ihm, ihn als Empörer an einem Fuße aufhängen zu lassen. Als Guerrino in die Herberge zurückkehrte und seinem Gefährten alles erzählte, sagte dieser lächelnd: »Fürchte nichts, Bruder, geh nur zum Hufschmied und bestelle bei ihm vier andere Hufeisen, noch einmal so groß wie die ersten und mit tüchtigen scharfen Haken versehen, dann wird es dir ebensogut gelingen wie mit dem Hengst und du wirst noch weit größeren Ruhm davontragen.« Die scharfen Eisen wurden also bestellt, das starke gefeite Roß beschlagen und Guerrino zog aus, das ehrenvolle Unternehmen zu wagen. Als er zum Aufenthaltsort der Stute gelangte und sie wiehern hörte, tat er, wie er das erstemal getan. Und kaum hatte er das gefeite Roß freigelassen, da stürzte das Untier mit grimmigen Bissen auf dasselbe los und kaum vermochte dieses sich seiner zu erwehren. Dennoch hielt es sich so wacker, daß die Stute schließlich, von einem Hufschlag an das rechte Vorderbein getroffen, kampfunfähig gemacht wurde. Da verließ Guerrino den Baum, bemächtigte sich der Stute und fesselte sie, bestieg sodann sein Roß und kehrte unter allgemeinem Jubel in die Stadt zurück und führte die Bestie dem König vor. Und alles strömte aufgeregt herbei, um die gelähmte Stute zu sehen, welche bald darauf an der schweren Verletzung starb. So war das ganze Land von der Plage erlöst und frei. Guerrino war indes in seine Herberge zurückgekehrt und hatte sich, weil er müde war, niedergelegt, um auszuruhen; allein ein ungewöhnliches Geräusch in seinem Zimmer ließ ihn nicht schlafen. Er stand auf und hörte, daß es aus einem Gefäß mit Honig kam, in dem etwas rumorte, als könne es nicht heraus. Da öffnete Guerrino das Gefäß und fand eine Hornisse darin, die mit den Flügeln schlug und sich nicht erheben konnte. Mitleidig nahm er das Tierchen heraus und gab ihm die Freiheit. Noch hatte König Zifroi Guerrino für seinen doppelten Triumph nicht belohnt. Er glaubte sehr schlecht zu handeln, wenn er ihm nicht seine Dienste vergalt, ließ ihn rufen und sprach zu ihm, als er erschien: »Du siehst, wie durch deine Taten mein Reich befreit ist und daher beabsichtige ich, dich für diese Wohltat, die ich von dir empfangen, zu belohnen. Da ich aber kein anderes Geschenk noch eine Entschädigung weiß, die deinem großen Verdienst angemessen wäre, habe ich beschlossen, dir eine meiner Töchter zur Frau zu geben. Wisse, daß ich deren zwei besitze: die eine heißt Potentiana, der die Locken, mit reizender Kunst geordnet, wie Gold glänzen, und die andere Eleuteria, deren Haar wie feinstes Silber schimmert. Kannst du nun die Goldgelockte erraten, so erhältst du sie zur Frau nebst einer sehr reichen Mitgift, – errätst du sie aber nicht, so lasse ich dir das Haupt vom Rumpfe schlagen.« Als Guerrino das gefährliche Anerbieten König Zifrois hörte, verwunderte er sich sehr und sprach zu ihm: »Heilige Krone, ist dies der Lohn für meine ausgestandenen Mühen? Ist dies der Preis meines Schweißes? Ist dies Euer Ehrengeschenk für die Befreiung Eures Landes, das ganz verödet und verwüstet war? Wahrhaftig, ich habe Besseres verdient. Und nicht geziemt es einem so großen König wie Ihr es seid, auf diese Weise zu verfahren. Allein Ihr wollt es und ich bin in Euren Händen, so macht denn mit mir, was Euch gut dünkt.« »Geh jetzt«, sagte der König, »und zaudere nicht! Bis morgen abend gebe ich dir Frist, deine Entscheidung zu treffen.« Ganz betrübt eilte Guerrino nach Hause und erzählte seinem lieben Gefährten, was der König Zifroi von ihm verlange. Der aber nahm die Sache nicht sehr schwer, sondern sprach: »Guerrino, sei ganz ruhig und fürchte nichts; denn ich werde dich aus jeder Gefahr befreien. Erinnere dich der Hornisse, die du neulich aus dem Honig befreitest und fliegen ließest. Sie wird jetzt deine Rettung bewirken. Morgen nach dem Mittagessen wird sie zum Palaste fliegen und dreimal das Gesicht der goldgelockten Prinzessin umschwirren, und diese wird sie jedesmal mit ihrer weißen Hand verjagen. An dieser Gebärde wirst du erkennen, daß dies die dir bestimmte Gemahlin ist.« »Ach«, sagte Guerrino zu seinem Genossen, »wann wird die Zeit kommen, wo ich dir für so viele Wohltaten; die ich von dir empfangen habe, lohnen kann? Gewiß, und wenn ich tausend Jahre lebte, könnte ich dir auch nicht den geringsten Teil vergelten. Allein der Allvergelter wird für mich in die Lücke treten.« »Lieber Bruder Guerrino«, entgegnete hierauf der andere, »du bist mir keinen Dank schuldig für geleistete Dienste, aber wohl ist es jetzt endlich Zeit, daß ich mich dir entdecke und du erfahrest, wer ich bin. Einst halfst du mir vom Tode, und jetzt wollte ich mich nur meiner Verpflichtung gegen dich entledigen. Wisse, daß ich der Waldmensch bin, den du so freundlich aus der Gefangenschaft deines Vaters befreit hast, mein Name ist Rubinetto.« Darauf erzählte er ihm, wie ihn die Fee in einen schönen und anmutigen Jüngling verwandelt habe. Als Guerrino dies hörte, geriet er in grenzenloses Erstaunen, und vor Rührung beinahe weinend, umarmte und küßte er ihn, und sie schwuren sich brüderliche Treue. Da nunmehr die Zeit herannahte, vor König Zifroi die Entscheidung zu treffen, gingen beide miteinander in den Palast. Der König befahl, Potentiana und Eleuteria, seine geliebten Töchter, sollten ganz in blütenweiße Schleier gehüllt, vor Guerrino erscheinen. Als sie gekommen waren und niemand die eine von der anderen unterscheiden konnte, sprach Zifroi: »Welche von diesen beiden soll ich dir zur Gemahlin geben, Guerrino?« Guerrino antwortete nicht und stand sinnend da. Neugierig auf den Ausgang der Sache, machte ihm der König Eile: »Die Zeit vergeht«, sprach er, »entschließe dich endlich!« Aber Guerrino antwortete: »Heiligster König, die Zeit vergeht wohl, aber Ihr habt mir den ganzen heutigen Tag zur Überlegung gegeben, und noch ist er nicht vorüber.« Alle bekräftigten dies einstimmig, und als der König, Guerrino und alle andern erwartungsvoll harrten, sieh, da flog die Hornisse herbei und umschwirrte das lichte Gesicht der goldlockigen Potentiana. Diese erschrak und jagte sie mit der Hand fort, und nachdem sie sie mehr als dreimal verscheucht hatte, flog sie endlich davon. Guerrino stand eine Weile zweifelhaft, doch vertraute er den Worten seines lieben Gefährten Rubinetto. »Wohlan, Guerrino«, rief jetzt der König, »was zauderst du? Nun ist es Zeit, der Sache ein Ende zu machen, wähle!« Nachdem Guerrino die beiden Jungfrauen noch einmal aufmerksam betrachtet und bei sich überlegt hatte, legte er die Hand auf das Haupt Potentianas, die ihm von der Hornisse bezeichnet worden war und sprach: »Heilige Krone, diese ist Eure Tochter mit den goldenen Locken.« Da nahm die Jungfrau den Schleier ab, und alle sahen, daß es Potentiana war. Der Vater gab sie ihm nun sogleich in Gegenwart aller Anwesenden und zur großen Freude des ganzen Volkes zur Gemahlin, und auf der Stelle heiratete Rubinetto, sein teurer Genoß, die andere Schwester. Hierauf entdeckte Guerrino, daß er der Sohn Filippo Marias, Königs von Sizilien, sei. Zifroi empfand darüber die größte Freude, und die Hochzeit wurde noch weit prächtiger und großartiger gefeiert. Man gab den Eltern Guerrinos Nachricht von dieser Heirat, und ihre Freude und Befriedigung hierüber kannte keine Grenzen; denn sie hatten ihren Sohn verloren gegeben. Bald darauf kehrte Guerrino in Begleitung seiner geliebten Gattin, seines geliebten Bruders und seiner Schwägerin nach Sizilien zurück, wo ihn seine Eltern auf das zärtlichste empfingen. Und dort lebte er lange Zeit in Glück und Frieden und vererbte sein Reich auf sehr schöne Söhne.