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Über Straparolas Leben und Persönlichkeit wissen wir so gut wie gar nichts. Auch über seinen Namen besteht keine Gewißheit. Er, der die Rahmenerzählung seines Märchen- und Novellenbuches mit Versrätseln durchwoben hat, scheint auch aus seinem wirklichen Namen ein Rätsel gemacht zu haben. Auf dem Titel seiner 1508 zu Venedig erschienenen Gedichtsammlung Opera nova / de Zoan Francesco / Streparola da / Caravazo nova / mente stampata / Sonetti CXV. Strambotti XXXV. / Epistole VII. / Capitoli XII. Cum gratia. Am Schluß: Stampata in Venetia per Georgio di Rusconi milanese, 1508, ad XV. Septembrio. nennt er sich Zoan Zoan oder Zuan ist die venezianische Form für Giovanni. Francesco Streparola da Caravazo, Caravaggio. in dem Privileg, das er am 8. März 1550 für den ersten Teil seiner »Piacevoli Notti« erhielt, ist der Name Juan Francesco Straparola zu lesen, und in seinem Briefe an die »anmutigen und liebenswürdigen Damen« zu Beginn des zweiten Teils seiner »Ergötzlichen Nächte« schreibt er sich Giovan Francesco Straparola. Straparola bedeutet »Wortschwall« oder einen, der übermäßig viel redet, Streparola dagegen einen, der sehr geräuschvoll redet. Ein italienischer Familienname, der so lautet, ist bisher, soviel ich weiß, nicht nachgewiesen worden, es ist auch nicht wahrscheinlich, daß man einen solchen dahinter suchen darf. Es dürfte sich vielmehr entweder um einen in Padua, wo Giovan Francesco aus Caravaggio wahrscheinlich studiert hat, erworbenen studentischen Spitznamen handeln, der ursprünglich Streparola hieß und später von seinem Träger in »Straparola« verschönt wurde, oder aber um einen jener bizarren Namen, wie sie sich die Mitglieder der literarischen und gelehrten Gesellschaften beilegten, die damals in Italien wie Pilze aus der Erde wuchsen und sich Akademien nannten.
Allem Anschein nach zeigt sich der Verfasser der »Ergötzlichen Nächte« dem Leser, oder vielmehr den Leserinnen – denn nur für solche scheint er geschrieben zu haben – noch in einer zweiten Verkleidung. Die »Ergötzlichen Nächte« beginnen nämlich mit einem Appell oder einer Captatio benevolentiae, in der ein pseudonymer Herausgeber zunächst dem weiblichen Geschlechte Weihrauch streut und sodann das Werk Straparolas anpreist und – in stilistischer Hinsicht – entschuldigt. Dieser Appell lautet:
» Orpheo dalla Carta grüßt die freundlichen und liebreichen Damen.
Wenn ich, Ihr liebenswerten Damen, die Zahl und Art jener himmlischen und erhabenen Geister in Erwägung ziehe, welche in den alten sowohl wie in den modernen Zeiten mannigfaltige Geschichten niedergeschrieben haben, deren Lektüre Euch keinen geringen Genuß gewährt, so wird mir klar – und Euch vermutlich gleichfalls –, daß kein anderer Zweck sie zum Schreiben bewogen hat, als das Bestreben, Euch zu erheitern und sich Euch gefällig zu zeigen. Wenn meine Ansicht richtig ist, und ich habe die Überzeugung, daß dem so ist, so werdet Ihr, als freundliche und liebreiche Damen, es mir nicht verübeln, wenn ich, Euer ergebener Diener, in Euerm Namen die von dem erfindungsreichen Herren Giovan Francesco Straparola von Caravaggio ebenso fein wie klug verfaßten Märchen und Rätsel veröffentliche. Und sollte ihr Inhalt Euren Ohren auch nicht ebensoviel Genuß und Vergnügen bereiten, wie Ihr an den anderen zu finden pflegt, so werdet Ihr sie darum doch nicht verachten oder gar gänzlich ablehnen, sondern Euch heiteren Antlitzes in sie versenken, wie Ihr Euch in die anderen zu versenken pflegt. Denn wenn Ihr beim Lesen die Mannigfaltigkeit der Geschehnisse und die Listen, von denen sie handeln, Eurer Überlegung würdigt, so werden sie Euch mindestens zu nicht geringer Belehrung gereichen. Ferner werdet Ihr Euch nicht an dem schlechten und schwachen Stil des Autors stoßen; denn er schrieb sie nicht, wie er wollte, sondern wie er sie von jenen Damen, welche sie erzählten, hörte, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen. Und sollte er es in irgendwelcher Hinsicht haben fehlen lassen, so gebt nicht ihm die Schuld, der alles tat, was in seinen Kräften stand, sondern mir, der ich sie gegen seinen Willen veröffentlichte. Nehmt also mit freundlicher Miene die kleine Gabe Eures Dieners an, und wenn er vernimmt, daß sie Euch, wie er hofft, angenehm ist, so wird er sich bemühen, Euch später Dinge zu Füßen zu legen, die Euch noch mehr gefallen und befriedigen werden. Lebt glücklich und meiner eingedenk!
Venedig, am 2. Januar 1550.«
Orpheo dalla Carta, »Orpheus vom Papier«, will sagen: der Orpheus, der durch seine Feder oder durch seine Bücher bezaubert. Das ist weder ein studentischer Spitzname, noch ein Akademikername, das ist der Autor in abermaliger ad hoc gewählter Verkappung. Dafür spricht, abgesehen von der Verbeugung vor den »freundlichen und liebreichen Damen«, das Lob des erfindungsreichen Herren Giovan Francesco Straparola von Caravaggio und die Entschuldigung seines schlechten und schwachen Stils, den er – weniger diplomatisch – den Damen in die Schuhe schiebt, von denen er seine Geschichten gehört hat, spricht vor allem der devote Schluß der Huldigung.
Giovan Francescos eigentlichen Namen wissen wir also nicht. Sein Geburtsort ist Caravaggio gewesen, ein ungefähr dreiundzwanzig Kilometer südlich von Bergamo und vierzig Kilometer östlich von Mailand gelegenes Kastell. Nach dem Erscheinungsdatum seiner Gedichtsammlung ist er spätestens im vorletzten Jahrzehnt des fünfzehnten Jahrhunderts geboren worden. Genauer läßt sich sein Todesdatum bestimmen. Die vierte Ausgabe des zweiten Teiles seiner »Nächte«, die 1557 erschien, trägt nämlich zum letztenmal den Vermerk »gedruckt auf Bitten des Verfassers«, und bereits 1558, d. h. vor Ablauf des auf zehn Jahre lautenden Privilegs, erschien in Venedig eine Ausgabe der »Notti« bei einem anderen Verleger, ohne daß der alte – Comin da Trino – das Werk Straparolas abgegeben hätte; denn er veranstaltete noch 1562 eine neue Ausgabe. Straparola muß also 1557 oder 1558 mindestens als Siebziger gestorben sein.
Straparola war sicherlich kein gelehrter Mann, nur ein tüchtiger Lateiner; denn seine Übersetzungen von Novellen Morlinis beweisen, daß er das schwierige, auf den ersten Blick etwas barbarisch anmutende, in der Tat aber ein sicheres Gefühl für den Geist dieser Sprache verratende Latein des Neapolitaners gut verstanden und sogar viel von der großen Anschaulichkeit, welche dieser bei knappster Ausdrucksweise besitzt, in seine Übertragung hinübergerettet hat. Wenn wir vermuten, daß er in Padua studiert habe, werden wir kaum fehlgehen. Für seinen Aufenthalt daselbst spricht seine in Novelle 24 bewiesene Vertrautheit mit dem paduanischen Dialekt, seine ebenda und in Novelle 25, 48 und 50 zutagetretende Kenntnis der Umgebung Paduas und der Umstand, daß er Padua mehrmals als Stätte der Gelehrsamkeit erwähnt und es ebenso wie seine Nachbarstädte zum Schauplatze mancher seiner Erzählungen macht. Die Hauptzeit seines Lebens dürfte er in Venedig zugebracht haben, das er »überaus hervorragend durch die Einrichtung seiner Magistrate, reich an Leuten aus vieler Herren Ländern und sehr glücklich durch seine heilsamen Gesetze, die Königin aller anderen Städte, die Zuflucht der Unglücklichen, das Asyl der Unterdrückten« nennt. Die Werke, die wir von ihm kennen, sind dort gedruckt und es gibt auch den Schauplatz für die Einleitung und Rahmenerzählung seiner Novellen ab.
In Venedig, diesem Hauptstapelplatz für die Herkünfte aus dem Orient, hat er zweifellos die meisten seiner Märchen dem Volksmunde abgelauscht. Mit den Menschen und Waren aus aller Herren Ländern strömten dort auch die Erzählungen aus dem Orient zusammen und veränderten, indem sie von Mund zu Mund gingen, allmählich ihre ursprüngliche Form, erfuhren eine Vermischung der Motive, daß sie zuweilen anmuten, wie ein aus bunten Flicken zusammengesetztes Kleid.
Straparolas Bedeutung für die Genealogie der erzählenden Dichtung liegt darin, daß er als erster dieses alte Märchengut gesammelt hat und es, ohne aus Eigenem etwas hinzuzutun, mit allen Gewaltsamkeiten und Strukturmängeln, mit der ganzen babylonischen Verwirrung der Motive wiedergab, die es im Schoße der Lagunenstadt erlitten hatte.
Straparola kam mit seiner Sammlung einem Bedürfnis entgegen. Wie groß dieses war, zeigt der Erfolg seiner »Ergötzlichen Nächte«. Diese erlebten innerhalb eines Zeitraumes von rund sechzig Jahren nicht weniger als zweiunddreißig italienische (in Venedig erschienene) Ausgaben, – ein Erfolg, dessen sich nicht einmal Boccaccios Decamerone rühmen kann. Der Wert dieser Ausgaben wird freilich schon bald durch eine ganze Reihe zuweilen sehr tiefgehender Eingriffe beeinträchtigt, die hauptsächlich von der geistlichen Zensur ausgingen.
Dem 1550 erschienenen ersten Teil seiner »Nächte« ließ Straparola 1553 den zweiten Teil folgen, offenbar veranlaßt durch die warme Aufnahme, der seine Märchen begegnet waren. Leider steht dieser an Wert dem ersten erheblich nach. Es mangelte Giovan Francesco an Stoff, und um den neuen Band annähernd auf die Stärke des alten zu bringen, nimmt er in ausgedehntem Maße fremdes Eigentum auf. Während er z. B. in die VI., VII. und VIII. Nacht nur vier Novellen Morlinis übernommen hat, sind die letzten zwanzig Geschichten mit einer einzigen Ausnahme Eigentum des Neapolitaners und er hat sich nur einmal der Mühe einer freieren Bearbeitung des Stoffes unterzogen.
Offenbar war Straparola durch den Umstand, daß die 1520 erschienenen lateinisch abgefaßten Novellen Morlinis bald darauf der Verbrennung anheimgefallen und infolgedessen kaum mehr aufzutreiben waren, zu dieser weitgehenden Plünderung des verfemten Bändchens verführt worden. Unsere deutsche Ausgabe verzichtet auf dieses Lehngut und bringt nur, was Straparola zu eigen gehört oder wenigstens von ihm frei bearbeitet worden ist. Sie enthält seine sämtlichen Märchen und Novellen in ihrer ursprünglichen Fassung, auch die schon sehr früh in Fortfall gekommene von dem Mönch Tiberio.
Bei dieser deutschen Ausgabe des venezianischen Volksbuches glaubten wir auf die großenteils langweilige, von Gedichten und Versrätseln durchsetzte Rahmenerzählung verzichten zu sollen. Die Einleitungsgedichte zu den einzelnen Novellen besingen immer und immer nur die fiktive Herrin der Erzählungsabende – Lucrezia, die Tochter Ottaviano Marias Sforza – und wirken auf die Dauer langweilig. Die fünfundsiebzig Versrätsel schließen sich in der Regel an den Stoff der vorausgehenden Novellen an und sind in vielen Fällen gar keine eigentlichen Rätsel, ganz abgesehen davon, daß kaum ein Drittel derselben Eigentum Straparolas ist. Um dem Leser aber einen Begriff von der Schreibweise unseres Schriftstellers zu geben, lassen wir den anziehendsten Teil der Rahmenerzählung – ihren Anfang – folgen.
»In der alten Stadt Mailand«, heißt es hier, »die von allen in der Lombardei die wichtigste, dazu reich an holdseligen Frauen, geschmückt mit stolzen Palästen und im Überfluß mit allem versehen ist, was zu einer ruhmreichen Stadt gehört, wohnte Ottaviano Maria Sforza, erwählter Bischof von Lodi, dem (nach dem Tode Francescos Sforza von Mailand) Gest. zwischen Juli und Dezember 1537. die Herrschaft nach dem Erbrecht billig gebührte. Doch infolge der Wechselfälle der bösen Zeiten und gezwungen durch bitteren Haß, blutige Schlachten und die fortwährenden Umwälzungen in den italienischen Staaten, verließ er Mailand und begab sich mit seiner Tochter Lucrezia, der Frau Giovan Francescos Gonzaga, des Neffen Federicos, Markgrafen von Mantua, heimlich nach Lodi, wo er sich eine Zeitlang aufhielt. Kaum aber hatten dies seine Verwandten erfahren, so machten sie sich an seine Verfolgung, was ihm keinen geringen Schaden brachte. Als der Unglückliche sich der Verfolgung durch seine Angehörigen und ihrer bösen Absichten gegen ihn und seine Tochter, die seit längerer Zeit verwitwet war, versah, raffte er das wenige an Kleinodien und Geld, über das er verfügen konnte, zusammen und floh mit seiner Tochter nach Venedig, wo er Beltramo Ferier, Francesco II. Sforza starb Ende 1535. einen gütigen, liebenswürdigen und zuvorkommenden Mann aus vornehmem Geschlecht, aufsuchte und von ihm samt der Tochter im eigenen Hause ehrenvoll und aufs herzlichste aufgenommen wurde. Da jedoch ein allzulanges Verweilen im Hause anderer in den meisten Fällen zu Mißstimmung führt, beschloß er nach reiflicher Überlegung sein Asyl zu verlassen und sich nach einer eigenen Behausung umzutun. Er bestieg daher eines Tages mit seiner Tochter eine Gondel und fuhr nach Murano. Ottaviano Maria Sforza wohnte noch am 1. Januar 1538 in Murano. Dort fiel ihm ein wunderschöner Palast auf, der gerade leer stand, und er trat ein. Und als er die angenehme Lage, den geräumigen Hof, die herrliche Loggia, den anmutigen Garten voll lachender Blumen, mannigfaltiger Früchte und grünender Kräuter erblickte, fand er außerordentliches Gefallen daran. Sodann stieg er die Marmortreppen hinauf und sah den glänzenden Saal, die behaglichen Zimmer und einen Altan über dem Wasser, der die ganze Umgebung beherrschte. Entzückt von der schönen und freundlichen Lage, bat die Tochter den Vater solange mit einschmeichelnden Worten, daß er ihr zu Gefallen den Palast mietete. Dies bereitete ihr die größte Freude; denn morgens und abends ging sie auf den Altan und schaute den schuppigen Fischen zu, die im klaren Meerwasser massenhaft in mehreren Zügen vorbeischwammen; und wenn sie sie bald hier und bald dort aus der Flut herausschnellen sah, empfand sie das lebhafteste Vergnügen. Und da sie nun jene jungen Damen, die ihr einst den Hof machten, nicht mehr um sich hatte, suchte sie sich zehn andere aus, die ebenso anmutig wie schön waren und deren Tugenden und reizvolle Bewegungen zu schildern zu weit führen würde. Die erste von ihnen war Lodovica, deren schöne glänzende Augen, die leuchtenden Sternen glichen, alle, die sie anschauten, mit nicht geringer Bewunderung erfüllten. Die zweite, Vicenza, war ein feingesittetes Mädchen von schöner Gestalt und klugem Gebaren, deren schönes zartes Antlitz alle, die sie betrachteten, aufs höchste entzückte.
Die dritte war Lionora, die, obwohl sie im Bewußtsein ihrer Schönheit etwas hochmütig erschien, dennoch so liebenswürdig und höflich war, wie nur je eine andere Dame. Die vierte war Alteria mit den blonden Flechten, die in Treue und weiblicher Liebe beständig im Dienste der Herrin verharrte. Die fünfte hieß Lauretta, die schön anzusehen, aber etwas schnippisch war. Ihr klarer und liebreicher Blick schlug einen jeden in Fesseln, der sie fest anblickte. Die sechste war Eritrea, die, wiewohl sie klein war, doch nicht als hinter den anderen an Schönheit und Anmut zurückstehend angesehen wurde; denn sie besaß zwei funkelnde Augen, leuchtender als die Sonne, einen kleinen Mund, einen mädchenhaften Busen, und es war nichts an ihr, das nicht höchsten Lobes würdig gewesen wäre. Die siebente hieß Catheruzza, beigenannt Brunetta, die voller Holdseligkeit und Liebreiz mit ihren herzgewinnenden gütigen Worten nicht nur die Männer in die Liebesnetze verstrickte, sondern den höchsten, Jupiter selbst, hätte veranlassen können, vom Himmel herabzukommen. Die achte hieß Arianna, ein Mädchen jung an Jahren, von anbetungswürdigem Antlitz und ernstem Ausdruck. Ihr eignete die Gabe schöner Rede und ihre himmlischen Tugenden, denen stets Lob und Preis gespendet wurde, leuchteten wie über den Himmel ausgestreute Sterne. Die neunte war die sehr geistvolle Isabella, die durch ihre scharfsinnigen und lebendigen Einfälle alle Anwesenden mit Bewunderung erfüllte. Die letzte endlich war die kluge, durch hohe Gedanken ausgezeichnete Fiordiana, deren hervorragende und tugendsame Handlungen alle übertrafen, die man je bei anderen Damen wahrgenommen.
Diese zehn schönen jungen Damen also dienten alle miteinander und jede für sich der edeln Lucrezia, ihrer Herrin. Letztere wählte gemeinschaftlich mit ihnen zwei andere Damen, doch reifen Alters, ehrwürdig anzusehen und von edelm Blute, die sich großer Wertschätzung erfreuten, damit sie ihr stets mit ihren weisen Ratschlägen, die eine rechts, die andere links neben ihr, zur Seite ständen. Die eine von ihnen war Signora Chiara, die Gattin Girolamos Guidiccione, eines ferraresischen Edelmannes, die andre, Signora Veronica, war einst die Gemahlin des in Gott ruhenden altadeligen Herrn Orbat von Crema gewesen. Dieser reizenden und erlesenen Versammlung gesellten sich viele vornehme und sehr gelehrte Männer, unter denen der Bischof Casale Giambattista Casale wurde das ganze Jahr 1535 und einen Teil des folgenden auf Befehl des Königs Ferdinand in Ungarn gefangengehalten. In der ersten Hälfte des Jahres 1536 war er wieder in Venedig. Er starb zwischen Juli und November 1536 in Bologna. Es wäre also der Karneval des Jahres 1536, den Straparola im Auge hat. von Bologna, Gesandter des Königs von England (in Venedig), der gelehrte Pietro Bembo, Ritter des Großmeisters von Rhodus, und Vangelista di Cittadini von Mailand, ein Mann von großer Tatkraft, den ersten Platz in der Nähe der Herrin inne hatten. Außer ihnen waren zugegen Bernardo Capello, der unter den anderen als Dichter hervorragte, der liebenswürdige Antonio Bembo, der umgängliche Benedetto von Treviso, der witzige Antonio Molino, genannt Burchiella, der vollendet höfliche Beltramo Ferier und viele andere Edelleute, deren Namen einzeln aufzuführen ermüden würde. Diese insgesamt also, oder wenigstens die meisten von ihnen, fanden sich fast allabendlich im Hause der Signora Lucrezia ein und unterhielten sie dort bald durch anmutige Tänze, bald durch heitere Gespräche, bald durch Musik und Gesang und brachten heute auf diese, morgen auf jene Weise die flüchtige Zeit hin zum höchsten Ergötzen der reizenden Herrin und ihrer klugen Damen. Auch wurden unter ihnen häufig Aufgaben gestellt, deren Lösung allein der Herrin gelang. Da nun jedoch die letzten dem Vergnügen gewidmeten Tage des Karnevals herannahten, befahl die Herrin allen bei Strafe ihrer Ungnade am folgenden Abend wiederzukommen, um über das Programm und die einzuhaltende Reihenfolge zu beraten. Als die folgende Nacht mit ihrem Dunkel gekommen war, erschienen alle, gehorsam dem erhaltenen Befehl, und nachdem sie sämtlich ihrem Range nach die Plätze eingenommen hatten, begann die Herrin folgende Rede: »Meine sehr geehrten Edelleute und Ihr, liebenswürdige Damen! Wir sind hier in gewohnter Weise versammelt, um unsere anmutigen und ergötzlichen Vergnügungen zu regeln, damit wir diesen Karneval, von dem uns nur noch wenige Tage übrigbleiben, möglichst lustig verbringen können. Jeder von Euch soll daher dasjenige vorschlagen, was ihm am meisten gefällt, und was den meisten Beifall findet, sei beschlossen.« Da erklärten die Damen sowohl wie die Herren einstimmig, es gebühre sich, daß sie selbst alles bestimme. Als die Herrin sah, daß sie mit dieser Aufgabe betraut worden war, wandte sie sich zu der liebenswürdigen Gesellschaft und sagte: »Da es Euch so gefällt und Ihr damit zufrieden seid, daß ich die zu befolgende Ordnung bestimme, so möchte ich, daß jeden Abend, solange der Karneval dauert, zuerst getanzt werde, dann, daß fünf Damen ein Liedchen nach ihrer Wahl singen, worauf jede von ihnen nach der durch das Los bestimmten Reihenfolge irgendein Märchen erzählen und es mit einem Rätsel beschließen soll, dessen Lösung wir alle auf das scharfsinnigste suchen wollen. Wenn diese Unterhaltung dann zu Ende ist, sollt Ihr alle nach Hause gehen und Euch zur Ruhe begeben. Sollte Euch dieser Vorschlag jedoch nicht behagen, so möge jeder von Euch sagen, was er für das beste hält; denn ich bin geneigt, Eurem Willen nachzukommen.« Der Vorschlag fand jedoch allgemeine Billigung. Daher ließ sich die Herrin ein kleines goldenes Gefäß bringen, schrieb die Namen von fünf Damen auf Zettel und warf sie hinein. Der erste, der herauskam, war jener der schönen Lauretta, die über und über errötete wie eine morgenfrische Rose. Der zweite in der Reihe, der herauskam, war der Name Alterias, der dritte jener von Catheruzza, der vierte der Eritreas und der fünfte der Ariannas. Hierauf befahl die Herrin die Instrumente zu bringen, ließ sich ein Kränzlein grünen Lorbeers reichen, das sie zum Zeichen des Vorrangs Lauretta aufs Haupt setzte und trug ihr auf, am kommenden Abend mit dem anmutigen Märchenerzählen zu beginnen. Darauf äußerte sie den Wunsch, Antonio Bembo möge mit den anderen einen Tanz aufführen. Dieser kam sofort dem Befehl der Herrin nach und ergriff die Hand Fiordianas, in die er ein wenig verliebt war, und die anderen folgten seinem Beispiel. Als der Tanz zu Ende war, begaben sich die jungen Herren mit den Damen langsamen Schrittes unter verliebten Gesprächen in ein Zimmer, wo Konfekt und kostbare Weine bereitgestellt waren. Und nachdem die Damen und die Herren etwas in Stimmung gekommen waren, ergötzten sie sich an Scherzreden, und als das lustige Scherzen zu Ende war, verabschiedeten sie sich von der edlen Herrin und gingen alle mit ihrer Erlaubnis nach Hause. Als der nächste Abend herangekommen war und sich alle zum würdigen Kollegium versammelt und nach gewohnter Weise einige Tänze gemacht hatten, winkte die Herrin der schönen Lauretta, den Gesang und das Märchenerzählen zu beginnen. Und ohne weiter eine mündliche Aufforderung abzuwarten, erhob sie sich, machte der Herrin und den Umstehenden die schuldige Reverenz, stieg auf eine kleine Erhöhung, auf welcher der schöne ganz mit Seide überzogene Sessel stand und ließ die vier erwählten Genossinnen zu sich kommen, worauf sie alle fünf mit engelhaften Stimmen folgendes Liedchen zum Preise der Herrin sangen:
Vieledle Frau, die Ihr so freundlich Euch und anmutsvoll uns naht,
Den Himmlischen gesellt Euch Euer holdbescheidenes Wesen,
Und Euer königlich Geblüt, das alle anderen verdunkelt,
Und uns verschwinden läßt, ist eine Zier, des höchsten Lobes wert.
Wir weiden uns an Euerm hoheitsvollen Anblick
Und also unsere Sinne sind von Euch gefangen,
Daß, wenn wir auch von andern wollten singen,
Das Lied von Euch allein nur würd' erklingen.
Nachdem die fünf jungen Damen durch Schweigen angedeutet hatten, daß ihr Lied zu Ende, griffen sie auf den Instrumenten einige Akkorde, worauf die reizende Lauretta, welche durch das Los den Vorrang für diese Nacht erhalten hatte, ohne eine weitere Aufforderung seitens der Herrin abzuwarten, ihr Märchen begann und folgendes erzählte ...
Das ganze Werk ist in dreizehn Nächte eingeteilt, deren jede fünf Novellen zählt, ausgenommen die dreizehnte, die deren dreizehn enthält. Es wird abgeschlossen durch den Ausklang der Rahmenerzählung, mit dem wir diese Skizze schließen wollen:
»Da nun die glühende Morgenröte zu erscheinen begann und der Karneval bereits zu Ende und der erste Tag der Fasten gekommen war, wandte sich die Herrin zu der ehrenwerten Gesellschaft und sagte mit gewinnendem Lächeln: »Wisset, hochedle Herren und Ihr, liebenswürdige Damen, daß wir den ersten Tag der Fasten angetreten haben und sich nunmehr überall die Glocken vernehmen lassen, die uns zu den heiligen Predigten und zum Abbüßen unserer Sünden einladen. Es scheint mir daher recht und billig, daß wir in diesen heiligen Tagen die ergötzlichen Unterhaltungen, lieblichen Tänze, engelhaften Gesänge und lustigen Geschichten beiseite lassen und auf das Heil unserer Seelen bedacht seien.« Die Herren und ebenso die Damen, die keinen anderen Wunsch hatten, stimmten den Worten der Herrin auf das lebhafteste bei. Und ohne die Kerzen anzünden zu lassen – war es doch schon heller Tag – forderte die Herrin alle auf, sich zur Ruhe zu begeben und befahl, daß sich künftig keiner an der gewohnten Stätte einfinde, wenn er nicht von ihr dazu aufgefordert worden sei. Die Herren verabschiedeten sich darauf von der Herrin und den jungen Damen, ließen sie in sanftem Frieden zurück und suchten ihre Behausungen auf.«