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Achtzehntes Kapitel.
Unsere Schenke

Am nächsten Tage war der Himmel wieder heiter; wir streiften bis zum Sonnenuntergang im Walde umher und kamen spät zum Abendessen. Eben hatten wir uns zu Tische gesetzt, als sich an der Hausthüre Schritte hören ließen. Derselbe Gedanke fuhr uns gleichzeitig durch den Sinn:

»Ich glaube wahrhaftig,« sagte Euphemia, »da kommt jemand, der hier ein Gasthaus vermutet, wer es wohl sein mag: ein Soldat, ein Pächter oder ein Matrose? Sieh doch einmal nach!«

Eben stieß der neue Ankömmling, um sich bemerklich zu machen, mit dem Stock auf den Steinboden des Hausflurs, und als ich hinauskam, stand da ein kleiner Mann mit langem Bart und Haar, in verblichenem tabaksfarbenem Anzug von merkwürdiger Schattierung. Er hatte einen Knotenstock und einen kleinen flachen Koffer in der Hand und machte mir eine sehr höfliche Verbeugung.

»Kann ich hier ein Nachtquartier bekommen?« fragte er mich, indem er gleichzeitig vor meiner Frau, die eben den Kopf zur Küchenthüre heraussteckte, den Hut zog.

»Bedauere,« versetzte ich, »hier ist kein Wirtshaus!«

»Kein Wirtshaus?!« rief er, »draußen hängt aber doch ein Schild?«

»Allerdings, aber entschuldigen Sie, wir sind nur vorübergehend hier und haben das Schild bloß zum Scherz aufgehängt!«

»Für mich ist das ein recht schlechter Spaß, ich komme von weit her und bin müde und hungrig. Kann ich denn nicht wenigstens ein Abendbrot bekommen?«

Euphemia sah mich an und nickte beistimmend.

»Das können Sie gern haben,« sagte sie, »kommen Sie nur herein: wir essen in der Küche, der Bequemlichkeit halber und weil es da heller und freundlicher ist, als im Speisezimmer. Wenn Sie sich die Hände waschen wollen, so steht draußen ein Brunnen, und hier haben Sie ein Handtuch!«

Der Mann ging zur Hinterthüre hinaus.

Beim Essen, das unserem Gast sichtlich schmeckte, erstattete er uns Bericht über seine Person: Er war Künstler und weit umhergereist, anscheinend meist zu Fuß. Nach Tische holte er uns aus seinem Koffer eine Anzahl hübscher Farbenskizzen von Landschaften aus Mexiko und Kalifornien. Warum er diese Bilder, die auf steifem Papier gemalt waren, überallhin mit sich nahm, war mir nicht recht verständlich. Zu verkaufen, sagte er, seien sie nicht, da er sie später einmal als Studien zu größeren Gemälden zu verwenden gedenke. Der Koffer, den er auf dem Tisch ganz auskramte, war mit lauter Zeichnungen, Papierbogen und ähnlichem angefüllt; seine Kleider behielt er offenbar lieber am Leib, als sie darin unterzubringen.

Nachdem er noch ein halbes Stündchen bei uns gesessen, stand er auf, um, wie er mit bittersüßem Lächeln bemerkte, noch zu dem Wirtshaus auf der andern Seite des Berges zu wandern.

»Warten Sie, bitte, einen Augenblick,« sagte Euphemia und winkte mir hinaus. Draußen flüsterte sie mir zu: »Was meinst du, sollen wir ihn nicht die Nacht über hier behalten? Der Weg über den Berg ist so schrecklich dunkel! Ein Zimmer für ihn wäre oben gleich zurecht gemacht, und ehrlich ist er auch.«

»Woraus schließt du denn das?«

»Er würde sonst schwerlich in einem Anzug herumlaufen, der ihn überall auffällig und kenntlich macht; – das thut kein Bösewicht.«

Ich gab meiner Frau Recht und so hießen wir ihn da bleiben.

Der Fremde nahm unsere Aufforderung sehr dankbar an und begab sich früh zur Ruhe.

»Wo hast du denn deine Pistole?« fragte meine Frau, nachdem wir das Haus abgeschlossen und unser Schlafzimmer aufgesucht hatten. – Ich zeigte sie ihr.

»Weißt du,« sagte sie, »du solltest sie doch so hinlegen, daß du sie gleich zur Hand hast.«

»Warum denn?« versetzte ich, »gewöhnlich willst du doch, daß ich sie so weit wie möglich fortthue?«

»Ja, aber wenn wir einen wildfremden Menschen im Haus haben, müssen wir doch besondere Vorsicht anwenden.«

»Du meintest doch, er sei so ehrlich und könne, wenn er ein Verbrechen beginge, in seiner auffallenden Kleidung unmöglich weit kommen?«

»Jawohl, nur würde uns das nicht viel helfen, nachdem wir beide ermordet wären.« Bei diesen Worten legte Euphemia die Pistole, den Lauf nach dem Bette gerichtet, behutsam auf einen Stuhl, der daneben stand.

Wir wurden nicht ermordet, sondern frühstückten am andern Morgen sehr gemütlich mit dem Künstler, wobei er uns viele Abenteuer von seinen Wanderungen in Mexiko und andern Ländern erzählte. Als er dann seinen Koffer zuschnallte und sich zum Fortgehen rüstete, that es uns ordentlich leid. Vor dem Abschied fragte er noch nach seiner Rechnung.

»Zu bezahlen haben Sie nichts,« sagte ich, »wir denken nicht daran, etwas von Ihnen zu fordern; Sie wissen ja, daß wir kein Wirtshaus halten.«

»Hätte ich das gewußt,« erwiderte er sehr ernsthaft, »so würde ich nicht um Kost und Wohnung gebeten haben, und wäre nicht dageblieben; – ich kann für meine Bedürfnisse bezahlen und thue das nicht anders.«

Alle unsere Einwendungen halfen nichts; er wollte sich durchaus nicht zufrieden geben, bevor er seine Verpflichtung erfüllt habe.

»Gut denn,« sagte Euphemia, um ein Ende zu machen, »wenn Sie durchaus wollen, so zahlen Sie, was Ihre Bewirtung uns selbst gekostet hat. Bitte, setzen Sie sich noch einen Augenblick, bis ich es Ihnen aufgeschrieben habe.«

So nahm denn der Künstler wieder Platz. Ich ließ mich mit ihm in eine Unterhaltung über alles mögliche ein, während Euphemia ihr Reiseschreibzeug holte, sich an den Eßtisch setzte, und die Rechnung vornahm. Nach Verlauf einer, wie mir schien, ziemlich langen Zeit sagte ich:

»Aber, liebe Frau, wenn der Betrag der Rechnung irgend im Verhältnis zur Länge der Zeit steht, die du zum Zusammenstellen brauchst, so hätte unser Freund wahrscheinlich die Sache lieber auf sich beruhen lassen.«

»Gleich bin ich fertig!« versetzte sie, ohne von ihrem Blatt aufzusehen, und nach weiteren 10 bis 15 Minuten stand sie auf und überreichte unserm Gast die Rechnung.

Da dieser ein etwas erstauntes Gesicht machte, bat ich ihn, sie mich doch einmal durchsehen zu lassen. Die Rechnung, von der ich eine Abschrift aufbewahre, lautete wie folgt:

 

Dem Künstler.         Den 12. Juli 188.

Für 1/3 Abendessen am 11. Juli.
Das Abendessen bestand aus:

1/14 Pfd. Kaffee zu 35 Cents Cents.
1/14 " Zucker " 14 " 1 "
1/6 Liter Milch " 6 " 1 "
½ Laib Brot " 6 " 3 "
1/8 Pfd. Butter " 25 " 3 "
½ " Schinken " 25 " 3 1/8 "
1/16 Metze Kartoffeln, der Scheffel " 60 " 15/16 "
½ Pfd. Maismehl " 6 " 3 "
            _____  
    Gesamtsumme       27 1/16 "
1/3   der Gesamtsumme       9 1/48 "
               
Für 1/3 eines Frühstücks am 12. Juli, wie oben, nur Eier statt des Schinkens und kein Maismehl   24 1/16 "
Für 1/3 der Totalsumme   8 1/48 "
Für Miete eines möblierten Zimmers für eine Nacht, in einem möblierten Hause von 15 Zimmern, zu 6 Dollars per Woche für das ganze Haus   5 2/3 "
Summa:   22 17/24 "

Als der würdige Künstler die Rechnung durchgelesen hatte, brach er in ein lautes Gelächter aus, und ich stimmte mit ein.

»Sie brauchen gar nicht zu lachen,« sagte Euphemia leicht errötend, »Ihre Bewirtung hat uns genau so viel gekostet, und wir nehmen keinen Cent mehr. Wir kaufen die Sachen hier in so kleinen Mengen, daß sich jede Mahlzeit leicht berechnen läßt, und ich habe den Betrag ganz richtig angegeben.«

»Und doch ist das nicht der Fall, Madame,« sagte der Künstler, »denn Sie haben Ihre Bemühung nicht mit veranschlagt.«

»Allerdings nicht,« versetzte meine Frau; »ich habe aber auch keine besondere Mühe gehabt; ich hätte genau dasselbe verrichtet, auch wenn Sie nicht gekommen wären. Für die Herrichtung ihres Zimmers, zu der ich einige Minuten gebraucht habe, will ich noch 7/24 Cents anrechnen, dann macht es gerade 23 Cents, ohne Bruch.«

»Ihre Beweisführung ist unwiderleglich, Madame,« sagte der Künstler und holte aus einer dicken alten Brieftasche einen Vierteldollar, den er Euphemia hinreichte; sie gab ihm sehr ernsthaft 2 Cents heraus, quittierte die Rechnung und händigte sie ihm wieder ein.

Es that uns leid von unserm Gast, der offenbar ein lieber Mensch war, Abschied zu nehmen; ich begleitete ihn ein Stück Weges, wobei ich ihn bat, mich die Rechnung in mein Notizbuch abschreiben zu lassen. Das Original wollte er sich zum Andenken aufheben.

Einige Tage nach dem Besuch des Künstlers standen wir des Morgens vor unserer Hausthüre, um auszuschauen wie sich das Wetter anließ. Während wir noch den Himmel betrachteten, kam die Morgenpost im Galopp dahergefahren, und hielt vor unserm Hause.

»Hollah!« – rief der Postknecht, – es war nicht unserer, sondern ein langer Bursche in Stulpenstiefeln, ein geschickter Rosselenker, wie mir Daniel Carston später erzählte. Die beiden Postknechte, die abwechselnd auf der Straße fuhren, machten nie die ganze Tour an einem Tage; am Nachmittag fuhren sie hin, und am nächsten Morgen wieder zurück. –

Ich trat an den Wagen, um zu sehen, was der Kutscher wollte.

»Können Sie meinen Passagieren Frühstück geben?« rief er.

»Bewahre!« erwiderte ich mit einem Blick auf den Postwagen, der innen und außen besetzt war. »Dies ist kein Wirtshaus, und wo Frühstück für so viele Personen hernehmen?« –

»Warum haben Sie dann das Schild draußen hängen?« brüllte der Postillon mit zornrotem Gesicht.

»Das ist wahr!« schrien einige Passagiere vom Wagen herunter, »wozu das Schild, wenn da kein Wirtshaus ist!«

Ich sah ein, daß ich handeln mußte; dicht an den Wagen tretend, rief ich: »Sind Matrosen hier in der Post?« – keine Antwort. »Sind Soldaten, Pächter oder Handwerker da?« Bei der letzten Frage zitterte ich ein wenig, erhielt aber glücklicherweise keine Antwort. –

»Dann,« sagte ich, »hat keiner das Recht zu verlangen, daß ich ihn aufnehme, denn an dem Schild können Sie lesen, daß hier nur Einkehr für Matrosen, Soldaten, Pächter und Handwerker ist!«

»Und außerdem,« fügte Euphemia von der Hausthüre aus hinzu, »ist auch gar nichts zum Frühstück da.«

Die Passagiere machten lange Gesichter und brummten, der Postknecht fluchte und wetterte. Er griff wieder nach den Zügeln und rief mir im Davonjagen zu:

»Das soll Ihnen nicht geschenkt sein!«

Am Nachmittag kam Frau Carston und erzählte, die Post habe bei ihnen gehalten und sie habe den Leuten Kaffee, Brot, Butter, Schinken und Eier vorgesetzt. Leider habe es ihr an Tassen und Tellern gefehlt. Es stellte sich heraus, daß der Postillon sich am Morgen mit Laury, dem Wirte, wo er gewöhnlich einkehrte, gezankt hatte, weil das Frühstück nicht fertig war. In seinem Ärger hatte er den Passagieren gesagt, es gäbe noch ein anderes Wirtshaus an der Straße, wo sie frühstücken könnten.

»Er ist ein ganz widerwärtiger Mensch,« setzte Frau Carston hinzu, »er hätte besser gethan, bei Laury zu bleiben, denn bei mir mußte er noch viel länger warten. Auf Sie ist er schrecklich böse; er drohte, Ihnen soviel Pächter, Soldaten, Matrosen und Handwerksburschen zu bringen, bis Sie genug hätten. Er wird am Ende nächstens eine ganze Ladung dieser Leute vor ihrer Thüre absetzen. – An ihrer Stelle nähme ich das Schild lieber ab; oder schicken Sie uns die Passagiere, wir bewirten sie ganz gern, und wenn Einer Nachtquartier sucht, können wir ihm auch ein Zimmer anweisen.«

Trotz dieser Warnung beschlossen Euphemia und ich das Schild nicht einzuziehen; – von einem Postknecht wollten wir uns doch nicht ins Bockshorn jagen lassen! – Am nächsten Tage fuhr unser alter Postillon auf der Straße an uns vorbei:

»Ihr wollt also in eurer Schenke nicht jedermann aufnehmen!« rief er uns lachend zu. »Ich kann's euch nicht verdenken, aber Bill ist ganz wütend darüber!«

Am Montag darauf kam Bill spät am Nachmittag wieder dahergefahren; er hielt an, um einen Mann mit einem großen schwarzen Handkoffer vom Postwagen herunterklettern zu lassen. Als ich, – vielleicht nicht in der besten Laune – ans Thor trat, rief er herüber: »Ich wollte euch eigentlich eine Wagenladung voll für heute Nacht bringen, aber ich denke ihr werdet an dem da genug haben, – ha, ha, ha!« und damit fuhr er so eilig fort, als fürchte er, ich würde ihm seinen Passagier wieder auf den Wagen werfen.

Der Fremde trat jetzt näher. Mit seinem schwarzen Haar, seinen dunkeln Augen, seinem schwarzen Kinn- und Backenbart – auch seine Kleider waren schwarz, nur etwas vom Staube grau gefärbt – machte er einen recht düstern Eindruck.

»Warum sind Sie hier abgestiegen?« fragte ich nicht eben freundlich, »wissen Sie nicht, daß wir niemand aufnehmen, der« – –

»Ja wohl, ich weiß,« erwiderte er und setzte den Handkoffer hin, »daß sie nur Soldaten, Matrosen, Pächter und Handwerker beherbergen. Wäre ich meiner Sache nicht sicher, so stiege ich nicht hier ab. Nehmen Sie einen Augenblick Platz, dann will ich Ihnen alles erklären.« Damit setzte er sich auf eine Bank vor dem Hause, während Euphemia und ich stehen blieben. »Ich bin,« fuhr er fort, »Soldat, Matrose, Pächter und Handwerker, alles in einer Person. Daß dies wahr ist, will ich Ihnen augenblicklich beweisen: Als ich 17 Jahre alt war, sah ich mich durch die Umstände genötigt einen Pachthof in New-Hampshire zu übernehmen, den ich acht Jahre lang bewirtschaftete. Während dieser Zeit baute ich auf meinem Hof mehrere Scheunen, Wagenschuppen und ähnliche Gebäude. Ich wurde in diesem Handwerk so geschickt, daß mir die Nachbarn oft dergleichen Arbeiten auftrugen, was mich bestimmte den Landbau ganz aufzugeben und mich fortan dieser einträglichen Beschäftigung zu widmen. Unglückliche Spekulationen brachten mir jedoch große Verluste, ich kam immer mehr herunter und in meiner Verzweiflung ließ ich mich eines Tages in Boston auf einem Küstenfahrer als Matrose anwerben. Ich blieb fast ein Jahr auf dem Schiff, aber es gefiel mir nicht; ich war oft krank und die Arbeit behagte mir wenig. In einem der südlichen Häfen verließ ich das Fahrzeug, und da ich gänzlich mittellos war, ging ich bald nachher unter die Soldaten. Ich blieb mehrere Jahre in der Armee und wurde zuletzt mit Ehren entlassen. Ich kann also mit Recht behaupten zu allen vier Geschäfts- und Berufsarten zu gehören, und nun Sie hierüber beruhigt sind, möchte ich Ihnen ein Buch zeigen, das ich als Agent in dieser Gegend vertreibe.«

Bei diesen Worten öffnete er seinen Koffer und nahm einen Band von beträchtlicher Größe heraus:

»Dieses Werk über die »Flora und Fauna« der Gegend, von den ersten wissenschaftlichen Autoritäten verfaßt, enthält Beschreibungen und Holzschnitte von den Tieren und Pflanzen, die bei uns einheimisch oder eingeführt sind. Besondere Umstände machen es unserm Verlag möglich das wertvolle Buch zu dem spottbilligen Subskriptionspreis von 3 Dollars 75 Cents auszugeben und es sollte auf dem Büchertisch keiner gebildeten Familie fehlen. Bitte, mein Herr, werfen Sie nur einen Blick in das Buch, Sie werden finden, daß es sich so unterhaltend liest wie ein Roman und die umfassendste Belehrung bietet.«

»Ich brauche das Buch nicht,« versetzte ich, »und habe keine Lust es anzusehen.«

»Schon beim bloßen Durchblättern werden Sie das Verlangen haben, es zu besitzen.«

»Ein Grund mehr, es nicht anzusehen! Wenn Sie nur deshalb hergekommen sind, so war es verlorene Mühe und wir wollen Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«

»Das war durchaus nicht mein einziger Zweck; ich will hier übernachten und morgen früh meine Geschäfte in der Umgegend fortsetzen. Wenn Sie das Buch nehmen, woran ich nicht zweifle, können Sie den Betrag meiner Zeche an dem Subskriptionspreis abziehen, und« – –

»Wie viel sagten Sie, daß das Buch kostet?« fragte Euphemia, die jetzt näher trat und den Band betrachtete.

»Drei Dollars 75 Cents im Subskriptionspreis, aber das Exemplar hier ist nicht verkäuflich, es ist nur zur Ansicht. Wenn Sie Ihren Namen auf die Liste setzen, geht Ihnen das Buch in vierzehn Tagen zu. Sie würden es sehr billig bekommen, weil Sie mir, – wie ich schon Ihrem Mann bemerkte – meine Rechnung für Wohnung, Abendessen und Frühstück daran abziehen können.«

»Ei, wirklich!« rief meine Frau und fügte hinzu, sie müsse jetzt für das Abendessen sorgen.

»Wie lange wird das dauern?« fragte der Mann als sie wegging.

Sie antwortete nicht gleich, rief dann aber zurück: »Ungefähr eine halbe Stunde!«

»Schön,« sagte er, »wenn es nur schon fertig wäre! – bis nun das Abendessen kommt, haben Sie gerade noch Zeit, mein Herr, sich das Buch anzusehen.«

Ich wies ihn jedoch kurz ab und um meinem Ärger Luft zu machen, lief ich auf der Straße ab und zu. Nach einer Weile läutete drinnen die Tischglocke.

»Willkommener Ton!« rief der Reisende, der indessen ungeduldig vor der Hausthüre hin und her spaziert war, und stolzierte hinein. Ich folgte ihm auf dem Fuße. Am Ende des Tisches war in der Küche ein Abendessen für eine Person aufgetragen und als der Mann eintrat wies Euphemia darauf hin. Es sah sehr appetitlich aus: eine Tasse Thee dampfte neben dem Gedeck, und davor standen Eier, Schinken, ein knusperiger Pfannkuchen, geröstete Kartoffeln, Radieschen, frischer Zwieback und Eingemachtes. Die Augen des Mannes glänzten vor Vergnügen.

»Es thut mir leid,« sagte er, »daß ich allein essen soll, ich hatte auf Ihre Gesellschaft gerechnet, aber wenn es Ihnen so besser paßt, bin ich's auch zufrieden und er griff nach einem Stuhl.

»Halt!« sagte Euphemia, indem sie zwischen ihn und den Tisch trat. »Es ist nicht zum Essen für Sie; es ist ein Abendbrot »zur Ansicht«; wenn sie ein solches bestellen, wird es Ihnen in vierzehn Tagen aufgetragen werden.«

Euphemia stand blaß und entschlossen da, aber ich brach in lautes Gelächter aus, während der Mann einen Schritt zurücktrat und bald meine Frau bald mich ansah.

»Soll das soviel heißen –?« sagte er.

»Ja wohl,« unterbrach ich ihn; »verlieren Sie keine weiteren Worte und gehen Sie nur. Sie sind hergekommen, um uns zu belästigen, obwohl Sie wußten, daß wir keine Fremden aufnehmen, und so geschieht Ihnen ganz recht.« Damit öffnete ich ihm die Thüre, durch die er hinausging, ohne ein Wort zu erwidern. Im Hausflur nahm er seinen Handkoffer auf und fragte, ob nicht ein Wirtshaus in der Nähe sei.

»Nein,« sagte ich, »aber wenn Sie ein Stück die Straße hinuntergehen, kommen Sie an einen Pachthof, wo man Sie aufnehmen wird.«

Richtig marschierte er denn auch nach Frau Carstons Haus ab, und ich erfuhr später zu meinem Bedauern, daß er noch am selben Abend eine »Flora und Fauna« an sie losgeworden war.

Der Ausgang dieser Begebenheit machte uns vielen Spaß und erfüllte mich wo möglich mit noch größerer Bewunderung für Euphemias Wirtschaftstalent. Das Schild – das sahen wir nun freilich ein – durfte so nicht länger hängen bleiben; der zornige Postknecht konnte uns ja alle Augenblicke neue Gäste auf den Hals schicken.

Euphemias Stolz sträubte sich aber schließlich doch; »es sieht aus wie eine Niederlage,« meinte sie.

»Sei unbesorgt!« sagte ich, »mir fällt eben etwas ein!«

Am nächsten Morgen holte ich mir bei Daniel Carston, der auch Stellmacher war, zwei Töpfe mit weißer und schwarzer Farbe und mehrere Pinsel, dann nahm ich das Schild herunter, übermalte die alten Inschriften und schrieb mit kühnen großen Buchstaben neue Namen für unsere Schenke darauf.

Auf einer Seite des Schildes stand:

Wirtschaft
für
Tapezierer und
Zahnärzte
!

auf der andern:

Seifensieder-
und
Buchbinder-
Herberge
!

»Leute dieser Art werden wohl so lange wir hier sind, nicht herkommen, oder wenigstens nicht bei uns einkehren wollen,« sagte ich.

Unser neues Schild gefiel uns sehr; am Nachmittag setzten wir uns vor das Haus, um zu sehen, ob es Bill beim Vorbeifahren beachten wurde. Bill bemerkte es, riß die Augen weit auf, als er die eine Seite las, und hielt sogar die Pferde an, um auch die andere zu besichtigen.

»Schon gut, schon gut!« rief er, »schon gut!« und fuhr weiter.

In dem Ton dieses Ausrufs lag etwas, das Euphemia beunruhigte; auch fing sie an, sich über die etwaige Reiselust von Seifensiedern, Tapezierern und Zahnärzten Gedanken zu machen.

»Ach was,« sagte ich, »wir geben die Komödie auf und nehmen morgen das Schild herunter. Am Ende sind wir doch zur Erholung hier und nicht um uns unnütze Sorge zu machen.«

Jedoch Euphemia wollte vor dem Postknecht die Segel nicht streichen. Sie bat mich, die Schrift des Schildes von neuem zu übermalen und das weitere ihr zu überlassen.

So nahm ich denn am nächsten Tage das Schild herunter und überpinselte die Buchstaben, bis man sie nicht mehr sah. Dann übergab ich Euphemia Farbentöpfe und Schild, während ich zum Bach hinunterging, um ein paar Fische zu fangen, und als ich heimkehrte, war das Schild fertig.

Auf einer Seite stand:

Wirtschaft
für
Fliegen und
Wespen
!

auf der andern:

Spinnen-
und
Ameisen-
Herberge
!

»Wenn nun,« meinte Euphemia, »solche Gäste bei uns einkehren wollen, können wir ruhig sagen, daß das Haus voll ist.«

Das Schild hing schon seit mehreren Tagen triumphierend am Pfosten, da hörten wir zu unserer Überraschung eines Morgens den Postwagen vor der Thüre halten, und gleich darauf trat unser »eigener Postillon« ins Zimmer.

»Ich wollte Ihnen nur sagen: Bill führt etwas gegen Sie im Schilde. Heute früh habe ich bei Laury gehört, er wolle morgen einen Gerichtsbeamten herbringen, der nach Ihrer Konzession als Gastwirt fragen soll. Er könne beweisen, daß Sie Reisende zur Nacht beherbergt haben, und wenn Sie keinen Gewerbeschein besitzen, bekommen Sie gewiß mit dem Gerichte zu thun, denn Bill setzt seinen Willen durch, – den kenne ich!« – Ich dankte ihm und sagte: »So könnte die Sache freilich eine ernsthafte Wendung nehmen!« Nach kurzem Besinnen meinte Euphemia: »Wozu sollen wir überhaupt noch länger hier bleiben? es sieht wieder regnerisch aus, und unser Urlaub geht so wie so zu Ende! – Könnten Sie,« setzte sie gegen den Postillon hinzu, »nicht ein Weilchen warten, bis wir unsere Koffer gepackt haben?«

»O ja,« meinte dieser, »das geht schon. Ich habe nur einen Passagier, der sitzt oben auf dem Wagen und hält die Pferde, er hat es nicht sehr eilig und ich bin heute schnell gefahren!«

In kaum zwanzig Minuten war unser Gepäck fertig, das Haus verschlossen, und wir saßen im Postwagen, von wo aus ich noch einen letzten bewundernden Blick auf Euphemias Schild warf, das der Wind langsam hin und her bewegte.

Bei Frau Carston hielten wir an, bezahlten unsere Schuld und trugen ihr auf, in unserer Schenke wieder alles in Ordnung zu bringen. Sie bedauerte unsere rasche Abreise und hoffte, wir würden wieder einmal zum Sommeraufenthalt hinkommen. Das war gar nicht unmöglich; – aber dann wollten wir keinenfalls wieder Gastwirte spielen.


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