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Siebentes Kapitel.
Der heruntergekommene Makler und der neue Hund

Seit jener Episode mochten schon ein paar Wochen vergangen sein, da kam mir Euphemia eines Abends, als ich aus der Stadt zurückkehrte, bis an die Gartenthüre entgegen. Sie machte ein halb bedenkliches halb vergnügtes Gesicht und empfing mich gleich mit den Worten: »Heute war auch ein Stromer da!« –

»So,« rief ich, »das ist mir eine sehr unangenehme Nachricht, – ich dachte der Ort hier wäre zu abgelegen, als daß uns diese Plagegeister belästigen würden!«

»Wie bist du ihn denn losgeworden, – war er sehr zudringlich?«

»Die Stromer sind ja nicht alle gleich,« meinte sie; »manche verdienen auch unser Mitleid, und wir sollten ihnen beistehen, statt sie fortzujagen!« –

»Das ist wohl möglich,« versetzte ich, »aber wie verhielt sich's mit diesem? Wann war er hier, und wie lange ist er schon fort?« –

»Er ist gar nicht fort, er ist noch hier?«

»Noch hier!« rief ich, »wo ist er denn?«

»Schrei' doch nicht so laut,« sagte Euphemia und hielt mich am Arm fest, »Du wirst ihn noch aufwecken, – er schläft!«

»Er schläft?« sagte ich, »ein Stromer, hier bei uns!« –

»Ja, aber höre nur, er hat mir seine Geschichte erzählt, denke dir, wie traurig; er ist früher reich gewesen, ein vielbeschäftigter Makler an der Börse; er ist ein Mann in mittleren Jahren – vielleicht fünfzig – und hat all' sein Geld verloren bei dem Bankerott verschiedener Eisenbahnen, z. B. der Camden- und Amboy-Linie.«

»Die hat ja gar nicht falliert,« unterbrach ich sie.

»Dann war es vielleicht die Nord-Pacificbahn oder sonst eine – es war entweder eine Bank oder eine Eisenbahn, das weiß ich, – kurz, er ist nach und nach immer mehr heruntergekommen. Nun hat er aber einen Sohn in Cincinnati, der als wohlhabender Kaufmann in einem schönen Hause wohnt und sich Wagen und Pferde hält; an den hat der arme Vater geschrieben, aber keine Antwort bekommen. Da hat er sich denn aufgemacht, um zu Fuß nach Cincinnati zu gehen, weil er weiß, daß sein Sohn ihn nicht abweisen wird, wenn er nur erst dort ist. Als er hier ankam, war er schon sehr müde – und doch hat er noch schrecklich weit zu gehen, – so gab ich ihm denn etwas zu essen und machte ihm ein Lager zurecht auf der Strohmatte, die im Vorplatz bei der Küche liegt. Es ist zwar ein hartes Bett für jemand, der im Wohlstand gelebt hat, aber er ist gleich fest eingeschlafen.«

»Ich will doch einmal nach ihm sehen,« sagte ich und ging nach dem Vorplatz.

Da lag der heruntergekommene Börsenmakler in festem Schlaf; sein Gesicht, das ein wilder struppiger Bart umgab, war mir zugewendet als ich eintrat, und das Haar hing ihm wirr und ungekämmt um die Schläfen. Seine Kleidung war an vielen Stellen zerrissen, an einem Fuß trug er einen Stiefel, am andern einen Schuh.

»Pfui!« sagte ich, »hast du ihm Branntwein gegeben?«

»Bewahre,« flüsterte Euphemia, »mir fiel der Geruch auch auf, aber er sagte, er habe seine Kleider mit Spiritus gereinigt.«

»Das konnten sie allerdings brauchen,« entgegnete ich und wandte mich ab. »Ist das Mädchen zu Hause?«

»Nein, sie hat ihren Ausgehetag. Was ist dir denn aber – du siehst ja ganz verstört aus!«

»Oh nichts – ich muß nur noch einmal nach dem Bahnhof zurück. Komm, setze deinen Hut auf und begleite mich, der kleine Spaziergang wird dir gut thun.«

Ich hatte schnell in meinem Haupte erwogen, was mit dem Kerl, der dort im Vorplatz schlief, anzufangen sei. Wenn ich ihn aufweckte und es mir auch gelang ihn fortzujagen, ging er wahrscheinlich nicht weit; bei Nacht konnte er dann leicht wiederkommen und uns irgend einen Schabernack anthun, – frech genug sah er dazu aus und einen starken Rausch hatte er obendrein! Wenn er sich frei herumtrieb, machte er die ganze Nachbarschaft unsicher. Das Beste war, ich holte die Polizei und ließ ihn festnehmen.

So schloß ich denn die Küchenthüren nach innen und außen ab und als meine Frau angezogen war, gingen wir fort. Unterwegs teilte ich ihr meine Ansicht über unsern Gast mit und was ich mit ihm vorhatte. Ich hoffte sie etwas in Schrecken zu setzen, sie war auch ziemlich betreten, und erwiderte mir kaum ein Wort. Unser Konstabler, der zugleich das Amt eines Leichenbeschauers im Bezirk versah, hatte gerade eine Totenschau zu halten, so daß niemand da war, um den Kerl festzunehmen. Bis zur nächsten Polizeiwache in Hackingford waren es sechs Meilen per Bahn; ich beriet daher mit dem Bahnhofinspektor und dem Krämer an der Ecke, was zu thun sei. Sie wußten keinen andern Rat als den Mann totzuschießen – und das war mir doch zu grob.

Ich überlegte noch, als mir beim Anblick des Boten, der auf seinem Wagen vorbeifuhr, plötzlich ein glücklicher Einfall kam. Ich rief ihm zu, ob er wohl Zeit habe, mit mir zu kommen? Er ließ mich aufsteigen und wir fuhren eilig nach Hause, während Euphemia bei der Frau des Krämers meine Wiederkehr erwartete. Ich hatte beschlossen, den Kerl fortzuschaffen – wohin, das wurde mir erst unterwegs klar!

Wir fuhren in den Hof und so nah als möglich an die Küche heran; dann schloß ich die Thüre auf und der Bote, ein großer starker Mann, trat mit mir ein. Da lag der Exmakler noch in süßestem Schlummer; – ich ließ den Mann bei ihm, ging hinauf und schrieb eine Frachtadresse an den Polizeivorstand in Hackingford, heftete dieselbe recht sichtbar an den Rockschoß des Schläfers, band ihn an Händen und Füßen und schnürte ihn dann mit einem Waschseil sorgfältig zusammen. Er leistete nicht den geringsten Widerstand, und als er ordnungsmäßig verpackt war, – wobei ich noch besonders rücksichtsvoll verfuhr, dieweil er früher im Wohlstand gelebt hatte, – trug ich ihn mit Hilfe des Boten auf den Wagen. Die Last war nicht leicht, und wir warfen ihn etwas unsanft hin, doch störte es ihn nicht in seinem durch den Rausch vertieften Schlaf.

Auf dem Eilgutbureau wollte der Bahninspektor, der zugleich Expedient war, mein Frachtstück zuerst nicht annehmen. Als ich ihm jedoch vorstellte, daß ja allerlei Lebendiges als Eilgut verschickt werde, und ich nicht einsehen könne, warum man gerade in diesem Falle eine Ausnahme machen wolle, pflichtete er meinen Gründen bei. Ich bezahlte die Fracht im voraus ohne besondere Wertangabe und er klebte dem Exmakler eine Nummer auf die Schulter und versprach, das Kolli zu besorgen.

»Es kommt nur noch darauf an, ob der Zugführer keine Schwierigkeiten macht,« meinte der Inspektor. Dies sollte sich bald entscheiden, denn der Zug fuhr eben in die Station ein. Mein Frachtstück wurde an den Gepäckwagen gefahren, und zwei Gepäckträger, welche rasch auf den Spaß eingingen, hoben es hinein. Als der Zugführer sah, was für eine Art Ware man da hereinschaffte, wollte er Einspruch erheben, aber mein Freund, der Inspektor machte ihm klar, daß alles in Ordnung und der Mann richtig verpackt, adressiert und bezahlt sei, – und ehe noch der brummige Zugführer Anstalt machen konnte, sich der unwillkommenen Fracht zu entledigen, setzte sich der Zug, welcher Verspätung hatte, schon wieder in Bewegung.

»In einer halben Stunde,« sagte ich, »wird nun der Betrunkene auf der Polizeiwache in Hackingford sein, und da mögen sie mit ihm machen, was sie wollen. Ich werde noch hintelegraphieren, um seine Ankunft anzuzeigen und die Geschichte zu erklären.«

Das that ich, und ging dann mit Euphemia nach Hause; der Stromer hatte mir zwar Geld genug gekostet, aber ich war doch stolz auf meine Thaten, in dem Bewußtsein, mich um das Wohl der ganzen Nachbarschaft verdient gemacht zu haben.

Etwas nahm ich mir aber fest vor: Euphemia sollte nie wieder unbeschützt und allein bleiben – ich beschloß, ihr einen Hund anzuschaffen! So ließ ich denn in die, Zeitung einrücken: »Gesucht: ein großer Kettenhund!« und nach Verlauf einer Woche, während welcher ich an die hundert verschiedene Hunde besichtigt hatte, war meine Wahl getroffen.

Mein Hund, ein starkknochiges gewaltiges Tier, hieß Pete, was mir nicht sehr gefiel, doch das ließ sich ändern!

Der Irländer, von dem ich ihn gekauft, meinte, sein Unterkiefer sei stark genug, um einem Ochsen die Hinterbeine zu zerbrechen, auch sprach er viel von seiner edlen Rasse. Diese schien mir jedoch etwas gemischt, und als ich erst seinen Charakter näher kennen lernte, entdeckte ich, daß er zwar ein richtiger Bluthund war, aber manches mit dem Wolfshund gemein hatte, an eine Dogge erinnerte und einem Bullenbeißer nicht unähnlich sah. Der Verkäufer, der mir den Hund brachte, legte ihn in einem leeren Holzschuppen an die Kette, da wir noch keine Hundehütte hatten.

»Zwei bis drei Tage,« meinte er, »lassen Sie ihn nur ruhig an der Kette, bis er Sie kennt, – und damit er Ihnen folgt, peitschen Sie ihn ein paarmal tüchtig durch, dann weiß er, daß Sie der Herr sind, gewöhnt sich an Sie und bleibt Ihnen treu. Darauf muß man sich nur verstehen! Kaufen Sie ihm auch eine neue Kette, die seine hat er schon lange, seit er halb so groß war wie jetzt, und sie ist nicht gerade zu stark für ihn.«

Als der Mann fort war, stand ich noch eine Weile vor dem Hunde und hoffte, er werde sich auch ohne Peitsche an mich gewöhnen, denn solche scharfe Maßregeln sind gar nicht nach meinem Sinn.

Nach dem Abendessen machten wir unserm neuen Wächter zusammen einen Besuch. – Euphemia gefiel er sehr.

»Welche Kraft,« rief sie, »was für gewaltige Glieder! Und sieh nur den ungeheuren Kopf! Nun fürchte ich mich nie wieder, auf solch einen Hund kann man sich schon verlassen. Wenn er nur einmal aufstände, damit ich sehe, wie groß er ist!«

»Wir wollen ihn jetzt lieber ungestört lassen,« versetzte ich, »er ist gewiß müde, auch wird er bald von selbst aufstehen; mir wäre schon lieber, er bliebe liegen, bis ich eine neue Kette für ihn gekauft habe.«

Als ich dabei einen Schritt vorwärts that, um die Kette zu untersuchen, ließ der Hund ein leises Knurren hören, das wie das erste Grollen eines Erdbebens klang! So hielt ich es denn für geraten, zuerst für die Kette zu sorgen, und da mir die Hundeketten im Laden alle zu kurz und zu schwach schienen, ließ ich mir zwei Ketten geben, wie man sie zum Zusammenkoppeln der Pferde braucht, und eine daraus machen. Auf dem Heimweg besann ich mich, wie man sie dem Tiere am besten anlegte: – wenn ich an das wütende Geknurre dachte, war mir die Sache nicht ganz geheuer.

Ich hätte mir die Gedanken mit der Kette sparen können.

Als ich nämlich die Hand nach dem Hunde ausstreckte, richtete er sich auf, seine Augen funkelten, er fletschte die grimmigen Zähne, bellte wütend, und that einen Sprung nach mir. Die Kette blieb ganz, – und ich zog mich in das Haus zurück.

In der Nacht riß er sich los und suchte seinen Herrn wieder auf, der volle zehn Meilen entfernt wohnte.

Als ich am Morgen sah, daß er fort war, wußte ich erst nicht recht, ob es nicht das beste sei, ihn seinem Schicksal zu überlassen.

Aber ich faßte mir doch Mut und fand ihn richtig, wie ich mir gedacht, bei dem Irländer, der ihn mir wieder ins Haus zurückbrachte. Natürlich mußte ich den Mann für den Zeitverlust entschädigen und seine Eisenbahnfahrt bezahlen. Wie er ihn jedoch an meine neue Kette legte, reute die Auslage mich nicht länger.

Jeden Morgen und Abend brachte ich dem Hund sein Fressen und sprach so sanft und freundlich mit ihm, als ich nur konnte; er mußte aber eine Abneigung gegen mich haben, denn er knurrte mich jedesmal feindselig an. Es war ein ganz schrecklicher Hund!

Das Tier mochte eine Woche bei uns sein, da hörte ich zu meinem Staunen und Schrecken, als ich mich eines Abends dem Hause näherte, einen Schrei meiner Frau.

Ich stürzte in den Hof, wo das Geschrei jetzt aus zwei Kehlen ertönte und von dem Schuppen herzukommen schien. Dorthin eilend erblickte ich Euphemia auf dem schrägen Dach ganz nah am Rande, während unser Dienstmädchen, die Schürze über dem Kopf, auf dem Dachfirst saß.

»Schnell, schnell,« schrie Euphemia, »zu uns herauf! Der Hund ist los! Um des Himmels willen rasch! Er kommt, er kommt!«

Ich wartete keine Erklärung ab, sondern sprang auf den Zaun am Schuppen und war kaum oben auf dem Dach, als ich schon den Hund mit lautem Gebell aus der Scheune kommen sah.

Euphemia fiel mir so stürmisch um den Hals, daß wir um ein Haar zusammen herabgestürzt wären.

»Zum erstenmal habe ich mich heute davor gefürchtet,« schluchzte sie, »daß du nach Hause kämest – ich dachte er würde dich in Stücke reißen!« –

»Aber wie ist denn das alles nur geschehen?« fragte ich.

»Hu! ich weiß vor Schrecken gar nichts mehr!« tönte es schauernd unter der Schürze des Mädchens hervor.

»Dich hab ich ja nicht gefragt?« sagte ich – wohl etwas zu schroff.

»Ich will dir's erzählen,« meinte Euphemia; »am Thor stand ein Mann, der so verdächtig hereinschaute und Marie war in der Scheune, weil die Henne ein Ei gelegt hatte, da dachte ich, es sei eine gute Gelegenheit, den Hund, d. h. seine Wachsamkeit auf die Probe zu stellen, und machte ihn von der Kette los.«

»Du hast den Hund losgekettet!« rief ich.

»Ja, und kaum fühlte er sich frei, so stürzte er nach dem Thor; der Mann war schon fort, ich sah ihn noch auf der Straße, es war Herrn Hendersons Diener, der wahrscheinlich eine Bestellung auszurichten hatte. Nun holte ich Marie aus der Scheune, um mir beim Wiederanketten des Hundes zu helfen, aber er ließ uns nicht herankommen und gebärdete sich so wütend, daß wir in Todesangst hier heraufkletterten; ich weiß nicht wie ich auf den Zaun gekommen bin! Glaubst du, daß er uns hier nach kann?« –

»So eine Bestie kommt auch 'ne Leiter herauf!« tönte es gedämpft durch die Schürze.

»Sei ganz ruhig, das kann er nicht,« erwiderte ich.

»Was soll aber aus uns werden?« fragte Euphemia, »wir können doch nicht hier oben essen und schlafen? – Meinst du nicht, wir sollten alle zusammen schreien, bis uns ein Nachbar hört?« –

»Ganz recht,« sagte ich, »wenn er uns aber zu Hilfe kommt, wird der Hund ihn anfallen.« –

»Und ihn in Stücke reißen!« ächzte Euphemia.

»Ja, und außerdem wäre es mir fatal, wenn die Nachbarn kämen und uns alle hier oben fänden, – es sieht gar zu lächerlich aus. Vielleicht fällt mir etwas anderes ein!« –

»Oh, besinne dich schnell! – Es ist zu schrecklich – – aber, wer ist denn das?!« –

Ich sah auf und erblickte ein Frauenzimmer, das gerade in den Hof kam.

»Was sollen wir thun!« rief Euphemia außer sich, »der Hund wird sie umbringen! Ruf' ihr doch zu!« –

»Nein, nein,« sagte ich, »nur keinen Lärm, sonst kommt er herbei, er ist vielleicht in der Scheune oder sonst wo. Bleib' ganz ruhig, – sie wird die Stufen heraufgehen, die Hausthüre ist nicht verschlossen, und wenn der Hund kommt, kann sie sich hineinflüchten.«

»Ach, wenn sie das nur thäte,« sagte Euphemia.

»Es ist nicht gerade angenehm, versetzte ich, »jemand Fremdes in das Haus gehen zu lassen, wenn niemand dabei ist.«

»Aber es ist immer noch besser als jemand Fremdes vor seinen Augen in Stücke reißen zu sehen,« meinte Euphemia.

»Das wohl! aber glaubst du nicht, wir könnten nun hinuntersteigen, – der Hund ist ja nicht mehr da!« –

»Auf keinen Fall!« rief Euphemia, »da ist er schon, er rast eben um die Ecke. Aber sieh nur die Frau, die gerade auf den Schuppen zukommt!«

Und wirklich, die Fremde ging an der Hausthüre vorbei – wahrscheinlich hatte sie unsere Stimme gehört – und kam gerade gegen uns zu.

»Fort, fort!« schrie Euphemia, »sonst ist es Ihr Tod! Der Hund kommt, – retten Sie sich schnell! Barmherziger Himmel! es ist Pomona! –


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