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Unser Leben in Ruderheim ging seinen gleichmäßigen Gang weiter, obgleich ich Kirchenvorsteher geworden war. Die Kuh gab ebenso viel Milch, wie zuvor und die Hennen legten deshalb nicht mehr und nicht weniger Eier; der einzige Unterschied war vielleicht, daß Euphemia mit ein klein wenig mehr Selbstbewußtsein zur Kirche ging.
Ein bis zwei Jahre lang blieb in Ruderheim alles beim Alten – bis auf Pomona. Mit dieser ging eine Veränderung vor – sie trat die Kinderschuhe aus und zwar ganz plötzlich! Wir hatten sie immer noch als ein halbes Kind betrachtet; – erst als sie eines Abends den Besuch eines jungen Mannes erhielt, da wußten wir, was die Stunde geschlagen.
Wir hatten gegen ihre Besucher – es blieb nicht bei dem einen – nichts einzuwenden; denn, meinte Euphemia schelmisch: »Wenn nun meine Eltern unsern Verkehr verhindert hätten – wie dann?«
Also ließen wir das Mädchen ihre Verehrer ruhig empfangen; meine Frau behalf sich sogar lieber allein, als daß sie Pomona abrief, wenn diese in der Küche oder auf der hinteren Veranda mit einem Bekannten zusammen war.
Als ich hierüber einmal Euphemia sanfte Vorwürfe machte, entgegnete sie mir: »Was meinst du, wenn meine Mutter in dem feierlichen Augenblicke, da wir uns unsere Liebe gestanden, ins Zimmer gestürzt wäre, und mich in den Keller geschickt hätte, um Bier zu holen!«
Es war ganz vergeblich, mit Euphemia über solche Dinge zu sprechen, sie hatte immer eine Ausrede bei der Hand.
»Möchtest du denn, daß Pomona heiratet und wir sie verlieren?« fragte ich eines Tages, während Euphemia neue Mullgardinen in der Küche aufhing, »du bist ihr ja mit allen Kräften dazu behilflich, und wo in aller Welt findest du ein solches Mädchen wieder?«
»Das weiß ich freilich nicht,« versetzte Euphemia, »ich wollte, sie ginge niemals fort, – aber ebenso wollte ich auch, der Winter käme nicht, und doch wird er nicht ausbleiben, ob's mir gefällt oder nicht.«
Eine Zeitlang darauf hatte Pomona nur sehr selten Gesellschaft. Wir dachten schon, sie habe für jetzt die Heiratspläne aufgegeben und waren daher doppelt überrascht, als sie eines Nachmittags, ohne ein Wort zu sagen, ins Dorf hinunter ging und sich trauen ließ. – Ihr Mann war ein hochgewachsener junger Bursche, der Sohn eines Pächters aus der Umgegend, der gelegentlich bei ihr zu Besuch gewesen war, und mit dem sie vermutlich an ihren Ausgehetagen öfters verkehrt hatte. Als Pomona nach Hause kam und uns die Neuigkeit mitteilte, waren wir nicht gerade angenehm berührt.
»Aber mein Gott, wo soll ich nun gleich ein Mädchen herbekommen?« rief Euphemia.
»Natürlich bleibe ich bei Ihnen, bis Sie eins haben,« versicherte Pomona mit großer Ruhe, »Sie glauben doch nicht, daß ich nur so weglaufe und Sie allein lasse.«
»Eine Frau gehört aber zu ihrem Manne, dem sie angetraut ist!« erwiderte Euphemia. »Hättest du mir nur etwas davon gesagt, ich hätte dir gern bei der Ausstattung geholfen und an einer kleinen Hochzeitsfeier würde es auch nicht gefehlt haben.«
»Das dacht' ich mir gleich; es sieht Ihnen ganz ähnlich; – aber ich wollte Ihnen nicht all' die Mühe machen in der Einmachezeit! Und er hatte es auch lieber ganz still, er mag um alles kein Aufsehen erregen. – Ich soll mit bei seinen Leuten wohnen, das heißt in einem Häuschen auf dem Hof. Ich kann aber vor dem ersten Frost nicht hin und deshalb ist es ebenso gut, ich bleibe hier, als wo anders.«
»Warum kannst du denn nicht hin?« fragte ich.
»Weil das Wechselfieber dort ist; im Thal haben sie's alle. Gerade bei der Trauung vor dem Altar hat er einen Anfall gehabt.«
»Ist es möglich!« rief Euphemia, »wie schrecklich!« –
»Er muß vergessen haben, daß es sein Fiebertag war: er hat kein Chinin genommen – und gerade wie der Pastor ihn fragt, ob er mich zur Frau haben will und er ja sagt, überfällt es ihn. Er blieb im Pfarrhause, bis das ärgste vorüber war.«
»Und du bist nicht mitgegangen?« rief Euphemia entrüstet.
»Er meinte, es sei besser ich bliebe hier. Morgen will er eine doppelte Dosis nehmen, das hat er mir beim Abschied versprochen. In einem Monat etwa wird er wieder hergestellt sein und dann können wir zusammen haushalten. Wenn ich jetzt mitginge und selber das Fieber kriegte, – was würde ihm das nützen?« –
»Das kommt mir recht traurig vor,« meinte Euphemia, »Ihr solltet zusammen eine kleine Reise machen, die Luftveränderung thäte ihm sicher gut.«
»Daran hab' ich gar nicht gedacht!« rief Pomona mit strahlendem Gesicht.
Nun Euphemia einmal auf diesen glücklichen Einfall gekommen war, ruhte sie nicht eher, bis alle zur Ausführung nötigen Anstalten getroffen waren. Nach Verlauf einer Woche hatte sie nicht nur ein neues Mädchen gemietet, sondern auch das junge Paar mit einer Schachtel voll Chinin im Koffer auf die Hochzeitsreise befördert.
Ungefähr drei Wochen später saß ich mit Euphemia nachmittags vor dem Hause – wir hatten eben unsere jungen Topfpflanzen umgesetzt – da sahen wir Pomona zum Hofthor hereinkommen. Sie sah wohl und munter aus und hatte ein prächtiges neues Kleid an, was Euphemia sogleich bemerkte. Wir empfingen sie sehr herzlich und erkundigten uns gleich, wie es ihnen auf der Reise gegangen?
»Die ist fix und fertig, und unser Haushalt daheim schon eingerichtet,« versetzte Pomona.
»So? – dann setze dich nur gleich zu uns her und erzähle uns alles,« sagte Euphemia voll freudiger Erwartung, worauf Pomona Platz nahm und ihre Geschichte zum besten gab.
Sie waren zu Anfang unschlüssig gewesen, wohin sie gehen sollten. Sie hatte Lust zum Niagara, aber er meinte, das sei zu weit und zu kostspielig; zur Hin- und Rückreise würde das Geld wohl reichen, oder für den Aufenthalt dort, bis sie »die An- und Aussichten alle angesehen« hätten – aber nicht für beides. So gaben sie das auf und wählten einen wohlfeileren Wasserfall, »der sich ja zum Anfang ebenso schön mache«: sie fuhren also nach Paterson, stiegen in dem kleinen Gasthaus ab und gingen zu Fuße bis an den Fall. – Aber da war nicht viel dran, er hatte nämlich kein Wasser; Felsen gab es und Abgründe und dunkle Tiefen – alles was zu einem rechten Wasserfall gehört, nur kein Wasser, denn das brauchte man in der Mühle.
»Ja, Miguel,« meinte Pomona, »der Platz für den Fall wäre recht hübsch, aber« – –
»Mein Mann heißt eigentlich Jonas,« erwiderte Pomona auf Euphemias verwunderte Zwischenfrage, »für eine Hochzeitsreise klingt das aber doch gar zu wenig romantisch; – deshalb gab ich ihm den romantischeren Namen Miguel, nach einem spanischen Grafen. Er wollte zwar, ich solle ihn dann wenigstens Jockel heißen, das habe doch einen Anklang an seinen Namen, aber das gefiel mir nicht.« – Da der Wasserfall ohne Wasser keinem von den beiden gefiel, gingen sie nach dem Gasthaus zurück und berieten beim Abendbrot über ihre ferneren Reisepläne. Sie schlug vor, unter einem andern Namen und Stand aufzutreten, z. B. als Graf und Gräfin, – etwas so Romantisches gebe es in der ganzen Welt nicht mehr.
»Miguel,« sagte sie zu ihm, »du, der Graf, gehst mit mir, deiner vornehmen Gräfin, irgendwo hin – ganz einerlei, wohin –, und das Haus, in dem wir wohnen, nennen wir dann unser Schloß. Das muß Zugbrücken haben und Fallgatter und tiefe Schloßgräben und geheime Burgverließe; in der Halle hängen die Bilder unserer Ahnen, und wir müssen ihrer würdig auftreten. Die Leute, mit denen wir zusammenkommen, erheben wir zu Grafen, Herzögen und Prinzen, lassen sie aber nichts davon merken; wir thun, als ob unsere Kleider von Sammet, Seide und Atlas wären und mit Diamanten und Edelsteinen besetzt, über und über. Dann können wir Ritterabenteuer haben, oder doch so thun, und dabei fühlen wir uns dann um tausend Jahre zurückversetzt in die Zeit der Romantischkeit voll Ritterei und Turnieren!«
»Und wenn du nicht weißt, wie du dich dabei benehmen sollst, so frage nur mich: ich bin ganz bewandert darin.«
Miguel, der nachdenklich zugehört hatte, erklärte sich einverstanden, meinte aber, sie sollten erst am nächsten Morgen damit anfangen, er habe zuvor noch ein kleines Geschäft in der Stadt, das nicht mehr für ihn passe, wenn er einmal ein Graf sei.
Vor Dunkelwerden erst kam er zurück und am nächsten Morgen brachen sie auf.
Auf seine Frage an Pomona, ob sie einen besonderen Wunsch habe wegen des Reiseziels, erwiderte sie:
»Nein, für das was wir vor haben, ist jeder Ort gleich; wenn er uns auch nicht gefällt, brauchen wir ja nur zu thun, als wäre er reizend.« –
Die Koffer wurden also auf die Bahn geschafft und Graf Miguel holte Billette nach Pokus, der siebenten Station von ihrem Aufenthaltsort aus. Bald waren sie daselbst angelangt. Es lag in hübscher ländlicher Gegend, die Häuser weit verstreut.
Sie beschlossen nun, beim nächsten Haus, das sich zum Schloß eignen würde, nachzufragen, ob sie daselbst Kost und Logis bekommen könnten, – wo nicht, es beim folgenden zu versuchen.
Pomona freute sich höchlich, daß ihr Graf so schön auf alles einging.
Sie waren schon weit gegangen, an vielen kleinen Häusern vorbei, bei denen es zu schwer gewesen wäre sich ein Schloß einzubilden, als sie an ein großes massives Haus am Flußufer kamen, das ihnen sofort in die Augen stach: Bäume standen herum und es war ein Garten da mit einer Mauer; alles schien herrlich zu passen, und sie beschlossen, hier ihr Glück zu versuchen.
Miguel fragte am Thor an und kehrte bald mit zusagender Antwort zurück.
Der Hausherr sah wie ein braver Landmann aus und seine Frau war eine sehr freundliche Person. Besonders schön war die innere Einrichtung im Hause nicht, aber das machte ihnen nichts aus. Sie bekamen ein großes Zimmer mit Sparrwerk statt der Decke und einem breiten offenen Kamin. Pomona fand hocherfreut, daß es das schönste Burgverließ sei, das man wünschen könne. Miguel meinte zwar, es wäre wohl die Küche gewesen, allein sie bemerkte darauf, Grafen hätten nichts mit Küchen zu thun, es sei ihr Staatszimmer, und wenn erst die Abendschatten fielen, wolle sie ihm die seltsamen auf den Wänden des Prachtgemaches eingewirkten Figuren erklären.
Am Nachmittag begann es zu regnen, sie gingen deshalb nicht aus, sondern hingen Kleider, Mäntel und dergleichen im Zimmer an Nägeln und Haken auf und thaten dabei, als wären es alte Rüstungen und Waffenstücke und eine lange Galerie von Ahnenbildern. Pomona dachte die meisten Sachen aus, und ihr Mann war mit allem einverstanden. Sie nahmen das Abendessen in aller Behaglichkeit auf dem Zimmer ein, und als sie darauf am Kamin saßen, und sich dabei einbildeten, ein helles Feuer darin knistern und prasseln zu hören, freuten sie sich an dem Widerschein desselben auf den ehernen Rüstungen an der Wand, während draußen der Sturm – den sie sich dazu dachten – heulte und an den Schloßfenstern rüttelte. Sie erzählte ihm eine lange Geschichte von einem tapfern Edelmann und seiner Gattin, die aus drei Geschichten zusammengesetzt war, die sie früher gelesen hatte; – sie fand alles ganz herrlich, und fühlte sich völlig wie in die Wirklichkeit versetzt.