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Zwölftes Kapitel.
Lord Eduard und der Baumreisende

Es war Winter in Ruderheim. Dieselbe Jahreszeit herrschte auch an anderen Orten, aber das kümmerte uns nicht. Als der Winter bei uns einkehrte, fand er uns gerüstet, das war die Hauptsache. Es gab auf unserer kleinen Farm so viele Dinge zu bedenken, und doch hatten wir uns nicht überraschen lassen; – das machte uns ganz stolz! –

Wir hatten allerdings auch früher stets unsere Vorbereitungen für den Winter rechtzeitig getroffen, – wir mochten wohnen, wo wir wollten; hier war das aber etwas ganz anderes, und es bedurfte aller möglichen Vorkehrungen, um nicht nur uns selbst, sondern unser Haus, unsere Kuh und unsere Hühner gegen die Unbill der kalten Witterung zu schützen. –

Kaum war aber für den Winter gesorgt, als schon wieder neue Pläne und Überlegungen für den Frühling an die Reihe kamen.

Wir teilten das Land ein und bestimmten, wo Weizen, Korn, Kartoffeln und Hafer stehen sollten; zum Säen und Ernten wollte ich einen Taglöhner mieten, und das Übrige in der Zwischenzeit selber besorgen.

Gemeinsam wurde alles beraten, besprochen und berechnet; nur eine Angelegenheit behielt ich ganz für mich, und um Euphemias Neugier nicht zu erregen nahm ich sogar alle darauf bezüglichen Berechnungen in meinem Bureau vor.

Ich war nämlich zu dem Entschluß gekommen, ein Pferd zu kaufen, und dieses für unser Leben so wichtige Ereignis erforderte die größte Überlegung. Ein Freund hatte mir das Tier ausgesucht und versichert, es zeichne sich ebenso sehr durch Stärke als durch Klugheit aus – und was konnte man besseres von einem Pferd sagen? –

Es war ein hübscher Rotfuchs, sanft genug, um sich von Euphemia lenken zu lassen und nicht zu verwöhnt für ein bischen Feldarbeit; – kurz, das Pferd ließ nichts zu wünschen übrig. –

Bei dem Wagen war dies weniger der Fall, – denn, da das Pferd weit mehr kostete, als ich berechnet hatte, so blieb für den Wagen nicht viel übrig. Ich wählte ein gutes handfestes Fuhrwerk, das im Notfall Raum für vier Personen hatte und für allerlei Körbe und Pakete obendrein; mit dieser praktischen Eigenschaft des Wagens tröstete ich mich darüber, daß er etwas altmodisch aussah, doch war wenigstens das Geschirr neu und stand dem Pferde vortrefflich.

Es war ein wichtiger Tag, als ich nicht auf der Bahn nach Hause gefahren kam, sondern in meinem eigenen Wagen, der von meinem eigenen Pferde gezogen wurde. Der Rotfuchs trabte prächtig dahin auf der ebenen Straße – und wenn ich ein meilenlanger Zug von Fürsten und Königen gewesen wäre, in Staatskarossen, mit Gold und Silber, Vorreitern, Musikanten und flatternden Fahnen, – ich hätte nicht mit stolzerem Gefühl an unserm Hause vorfahren können.

An einer Seite des Vorderzauns befand sich ein Thor, das bisher nur von dem Mann mit dem Kohlenwagen zur Einfahrt benutzt worden war; ich stieg aus und öffnete es leise, um nicht Euphemias Aufmerksamkeit zu erregen. Da ich früher kam wie gewöhnlich, erwartete sie mich noch nicht. Erst wollte ich das Pferd bis zum Hause am Zügel führen, dann aber bedachte ich, daß meine Frau vielleicht aus dem Fenster sehen könnte, stieg wieder ein und fuhr langsam den Fahrweg hinauf.

Das ungewohnte Geräusch der Räder lockte Euphemia jedoch an das Wohnstubenfenster, und obgleich sie mich nicht gesehen hatte, kam sie sofort an die Hausthüre herunter. Als sie dieselbe öffnete, stand ich schon neben dem Wagen, so eilig war ich herausgesprungen und dabei fast vom Tritt gefallen.

»Hast du denn einen Wagen gemietet?« rief sie voll Erstaunen; »wollen wir etwa eine Spazierfahrt machen?«

»Ja wohl, liebe Frau,« sagte ich und nahm sie bei der Hand, »wir wollen spazieren fahren, – aber ich habe keinen Wagen gemietet, – ich habe ihn gekauft! Sieh dir nur das Pferd an – es gehört uns, es ist unser eigenes Pferd!« –

Wenn ihr das Gesicht gesehen hättet und den Blick, den sie mir zuwarf, alle ihr andern Männer da draußen in der Welt, – ihr würdet euch vor Neid die Haare gerauft haben! –

Sie ging rings um das Pferd herum, klopfte es auf den glatten Rücken, streichelte ihm den Kopf, bewunderte seine starken schöngeformten Beine, glättete ihm die Mähne, – und war überglücklich! –

Nun brachte ich dem Pferd einen Eimer voll Wasser! – welche Freude, mein eigenes Pferd zu tränken! Euphemia eilte ins Haus nach Hut und Mantel, und wir machten eine kleine Ausfahrt!

Zwei seligere Leute hat wohl schwerlich je ein Pferd gezogen! Über den Wagen sagte Euphemia nichts; der war ein notwendiges Anhängsel und für jetzt gut genug. Aber das Pferd! Wie stolz und kräftig zog es uns den Hügel hinauf, und mit wie viel Vorsicht und Stärke hielt es beim Hinunterfahren den Wagen zurück! Wie leicht trabte es auf dem ebenen Weg dahin, man merkte ihm gar nicht an, daß es am Nachmittag schon so weit gelaufen war! – Wir kamen uns ganz großartig vor bei dem Gedanken, daß alle diese Kraft, diese Schnelligkeit und Ausdauer uns gehörte; daß wir das Pferd nach Belieben lenken konnten, oder es auf uns warten lassen, so lange wir wollten; daß es Tag und Nacht zu unsern Diensten stand, und unser eigenstes Eigentum war!

Als uns Pomona, die nichts von der Fahrt gewußt hatte, nach Hause kommen sah, und die Neuigkeit erfuhr, war sie ganz ebenso stolz und entzückt wie wir. Sie wollte das Pferd gleich losspannen, aber das konnte ich nicht gestatten; wir ließen sie jedoch, um nicht selbstsüchtig zu scheinen, erst alles genugsam besehen und bewundern und schickten sie dann in die Küche zurück, um für das Mittagsmahl zu sorgen.

Dann schirrten wir den Rotfuchs ab, das heißt, Euphemia stand dabei und ich erklärte ihr alles, damit sie es, wenn es ihr Freude machte, auch einmal selbst thun könnte. Wie kräftig klang sein Huftritt, als ich ihn in den Stall führte! In der Krippe lag Heu, einen Sack mit Hafer hatte ich unter dem Wagensitz mitgebracht.

»Es ist zu reizend, daß wir keinen Stallknecht haben,« rief Euphemia, »der würde uns sonst das Pferd an der Thüre abnehmen, so daß wir um dies ganze Vergnügen kämen, und gar nicht das Gefühl hätten, als gehörte das Pferd wirklich uns!« –

Morgens fuhr ich zum Bahnhof und Euphemia saß neben mir, dann fuhr sie allein zurück und der alte Johann kam herüber, um für das Pferd zu sorgen; wir hatten ihm vorläufig gegen eine kleine Vergütung dieses Amt übertragen. Abends holte mich Euphemia ab, und diese Fahrten waren der reinste Genuß. Früher hatte ich es für angenehmer und gesunder gehalten vom Bahnhof zu Fuß nach Hause zu gehen, statt zu fahren – aber damals hatte ich auch noch kein eigenes Pferd!

Für die Nacht besorgte ich alles selbst, und Euphemia folgte mir gewöhnlich mit der Laterne in den Stall. Wenn die Tage erst länger würden, wollten wir gleich nach Tische ausfahren; und schon jetzt dachten wir uns aus, daß wir früh aufstehen und auf dem allerlängsten Weg nach der Bahn fahren wollten.

Als ich im folgenden Frühling einmal mit Euphemia von der Bahn zurückfuhr, – Spazierfahrten machten wir jetzt selten, weil es bei uns zu viel zu thun gab, – sah ich, als wir uns der Wohnung näherten, den Hund ohne Kette und grimmig bellend in dem kleinen Obstgarten am Hause umherspringen. Pomona kam an den Wagen gelaufen und rief uns zu: »Auf dem Baum sitzt ein Mann!«

Schnell half ich Euphemia aussteigen, ließ das Pferd am Thor stehen und von Pomona und meiner Frau gefolgt, eilte ich nach der Stelle hin. Richtig, oben auf dem Baum saß ein Mann, und der Lord strebte mit aller Macht ihn zu erreichen, indem er wild am Stamme in die Höhe sprang und vor Zorn und Wut am ganzen Leibe zitterte.

Zu dem Manne aufblickend, sah ich, daß er ein echter Stromer war, abgerissen, ungekämmt und ungewaschen, aber, – was man bei Stromern selten findet, – er schien sich entsetzlich zu fürchten. Er saß hoch oben im Apfelbaum auf den sich gabelnden Zweigen, und obgleich seine Lage für den Augenblick gesichert war, mußte er sich doch nicht sehr gemütlich fühlen und wenig Zutrauen zu der Festigkeit seines Sitzes hegen, denn sobald ich in seine Nähe kam, flehte er mich an, den Hund fortzuschaffen und ihn hinunterzulassen. Ich würdigte ihn keiner Antwort, und wandte mich au Pomona mit der Frage, was das alles zu bedeuten habe.

»Wie ich beim Backen in der Küche bin,« berichtete diese, »steckt auf einmal der Kerl den Kopf zum Fenster hinein, – wahrscheinlich war er über den Zaun geklettert, wo der Hund ihn nicht sehen konnte. Er rief mir zu, ich soll ihm 'was zu essen geben, und wie ich sage, ich wolle sehen, ob was für ihn da ist, meint er, ich soll ihm von meinem Gebackenen geben, – eben hatte ich die Pastetchen aus dem Ofen genommen und zum Abkühlen auf den Küchentisch gestellt. – Das fehlte mir gerade! sage ich, – für ihn und seinesgleichen backe ich keine Pasteten. – So, sagt er, dann werd' ich sie mir selber holen! – Er mochte wohl wissen, daß kein Mann im Hause war, und den Hund hatte er auch nicht gesehen. Ehe er aber noch zur Küchenthüre kam, war ich draußen und hatte den Lord losgelassen. Ob er nun den Hund gehört oder das Klirren der Kette, – kurz, er kam nicht herein, sondern lief nach dem Thore hin; aber dazu ließ ihm Lord keine Zeit – er war so schnell hinter ihm drein, daß er das Thor – Thor sein lassen mußte, und nur noch gerade zum Baum hinauf konnte – eine Sekunde später, – und es war um ihn geschehen.« –

Der Stromer hatte Pomona ruhig ausreden lassen und flehte jetzt von neuem, herunter kommen zu dürfen; an Euphemias mitleidigen Blicken sah ich schon, daß sie im Begriff stand, Fürbitte für ihn einzulegen, als das sonderbare Benehmen des Hundes meine Aufmerksamkeit ablenkte. Lord Eduard, welcher glauben mochte, daß er den Stromer für einen Augenblick verlassen dürfe, weil ich da sei, war fortgerast und zu meiner Verwunderung vor einem andern Baum stehen geblieben, an dem er wütend hinaufbellte, wobei er auf den Hinterbeinen stand und aus Leibeskräften an dem Stamm kratzte.

»Was giebt es denn dort?« fragte ich.

»Oh, das ist der andere Mensch,« sagte Pomona, »der thut keinen Schaden!« und sobald sie sah, daß der Stromer, die Abwesenheit des Hundes benutzend, eine Bewegung machte, als beabsichtige er einen Fluchtversuch, rief sie laut: »Fang, Lord, fang!« – worauf Lord in voller Wut auf seinen frühern Posten am Fuß des Baumes zurückjagte.

Das war mir nun ganz unerklärlich und ich schritt nach dem andern Baum, wohin Euphemia und Pomona mir auf den Fersen folgten. Oben zwischen den Ästen des Kirschbaums vor dem Küchenfenster erblickte ich einen Menschen in grauen Beinkleidern; der Baum war nicht hoch und die Äste nicht stark genug ihn zu tragen, er mußte sich dicht an dem Stamm halten, damit der Hund ihn nicht erreichte.

»Der da ist ein Baumreisender,« sagte Pomona.

»Das scheint so,« erwiderte ich.

»Ich befinde mich in einer sehr unangenehmen Lage, mein Herr,« sagte der Mann, als ich heran trat; »ich komme da ganz arglos in Geschäften nach ihrer Wohnung und sehe wie das wütende Tier einen Mann auf dem Baume anfällt. Kaum habe ich mich hier herauf gerettet, da kommt es schon auf mich losgestürzt. Zwar bin ich zum Glück in Sicherheit, aber mein Eigentum ist mir dabei verloren gegangen.«

»Er meint das dicke Buch, das er hat fallen lassen,« sagte Pomona, »ich habe es aufgehoben und ins Haus getragen. Es sind Bilder von Birnen, Pfirsichen und Blumen drin, die habe ich mir besehen, und daher weiß ich, was er ist.«

»Sie dachten wohl,« wendete ich mich an den Mann im Kirschbaum, »mit mir ein Geschäft in Obstbäumen zu machen?« –

»Ganz recht, mein Herr,« versetzte er schnell, »wir liefern Bäume, Sträucher, Weinreben und feine Nadelhölzer zum Schmuck eleganter Landsitze. Etwas ganz Vorzügliches kann ich Ihnen in Kirschbäumen empfehlen – französische – eben importiert; die Früchte werden dreimal so groß als auf einem Baum wie dieser hier; – auch Birnen vom feinsten Aroma und ungewöhnlicher Größe.« –

»Ja,« sagte Pomona, »ich habe sie in dem Buch gesehen, aber sie müssen an Reben auf der Erde wachsen, kein Baum kann solche Früchte tragen.«

Euphemia warf ihr einen strafenden Blick zu, wegen ihres Vorwitzes, und ich forderte den Baumschulreisenden auf, zu uns herunter zu kommen.

»Nein, danke,« sagte er, »nicht so lange der Hund los ist. Wenn Sie die Güte haben wollen ihn anzuketten, werde ich mein Buch holen und Ihnen Muster der schönsten Früchte aus den ersten Baumschulen Europas zeigen. Wir führen den goldgelben Muskateller, den –«

»Ach bitte, laß ihn herunter,« rief Euphemia mit vor Freude funkelnden Augen.

Ich ging langsam nach dem Stromer-Baum zurück, mancherlei Dinge in meinem Haupte erwägend. Den Winter über hatten wir nicht viel für den Garten ausgegeben, und jetzt lag ein Sümmchen bereit, das ich zu Verbesserungen bestimmt hatte; ich wünschte das Geld auf das vorteilhafteste zu verwenden, und mußte daher vorsichtig zu Werke gehen.

Pomona hatte ich nach der Hundekette geschickt, und stand nun unter dem Apfelbaum, aber ohne auf die flehenden Bitten des Stromers zu achten, der oben auf dem Aste saß; denn ich wollte hören, was der Baumschul-Agent da drüben Euphemia vorschwatzte. Als die Kette kam, hakte ich das eine Ende an Lords Halsband und nahm das andere fest in die Hand; dann befahl ich Pomona, das Buch des Reisenden zu bringen und rief diesem zu, vom Baum herab zu kommen. Er willfahrte sogleich, nahm das Buch und begann Euphemia die Abbildungen zu zeigen.

»Bitte,« rief ich, »beeilen Sie sich, ich kann den Hund nicht lange mehr halten!« –

Während dessen zerrte Lord so gewaltig nach dem Reisenden hin, daß er mich ein Stück mit fortzog; doch brachte eine Bewegung des Stromers den Hund schnell wieder zu seinem ersten Opfer zurück, das ihm begehrenswerter erschien.

»Wollen Sie nicht den Hund festketten, mein Herr, und einen Augenblick herkommen? – ich möchte Ihnen doch gerne die Forellenbirne zeigen, die einem im Munde zergeht, – die Bäume tragen schon nächstes Jahr.«

»Komm doch und sieh dir die rubinrote Malvasiertraube an,« rief Euphemia, »sie funkelt in der Sonne wie Edelstein.«

»Ja,« bestätigte der Agent, »und ihr Wohlgeruch erfüllt die ganze Luft bis spät in den September hinein.«

»Jetzt kann ich aber den Hund keine Minute länger mehr halten!« schrie ich, »die Kette schneidet mir förmlich ins Fleisch. Schnell, schnell, laufen Sie fort, – ich lasse los!«

»Fort, fort,« rief Pomona, »wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.«

Der Agent geriet nun doch in Angst und klappte das Buch zu.

»Wenn Sie nur die Abbildungen sehen könnten, mein Herr, so bin ich gewiß –«

»Sind Sie noch da!« rief ich, während der Hund, durch Pomonas Geschrei wild gemacht, einen Sprung in seiner Richtung that.

»Wenn es denn sein muß, so empfehle ich mich Ihnen,« sagte der Agent, nach dem Thor eilend. An demselben blieb er jedoch stehen: »Wenn Sie hier am Zaun entlang eine Reihe von unsern vorzüglichen Balsam-Tannen pflanzten, das würde dem Ganzen ein anderes Ansehen geben. Ich kann Ihnen dreijährige Bäume verkaufen –«

»Der Hund ist los!« schrie ich, und ließ die Kette fallen.

Im Nu war der Agent draußen vor dem Thor. Lord Eduard stürzte ihm nach, stand aber plötzlich still und rannte zu dem Baum des Stromers zurück.

Der Agent steckte den Kopf über den Zaun: »Wenn Sie von den Tannen zu haben wünschen,« sagte er – –

»Bester Herr,« versetzte ich, »der Zaun ist nicht sehr hoch und noch sind die Tannen nicht gepflanzt! Sie sehen, wie wild mein Hund ist, und wenn er sich einfallen ließe, einen Sprung über den Zaun hinüber zu thun, kann ich für die Folgen nicht stehen!« –

Da wandte sich der Baumschul-Agent und ging langsam davon.

»Hören Sie 'mal,« rief der Stromer jetzt in höchst beleidigtem Ton vom Apfelbaum herab, »werden Sie nun endlich den Hund anketten und mich herunterlassen?!« –

Ich trat dicht zu ihm heran und hielt ihm eine Ansprache:

»Nein, das werde ich nicht,« sagte ich. »Ein Mensch, der in mein Haus kommt, mein Dienstmädchen, das ihm zu essen geben will, in Schrecken jagt, und frech genug ist, selbst zugreifen und sich mein Eigentum zu Gemüte führen zu wollen, der braucht sich nicht zu wundern, wenn mein Hund hinter ihm drein ist! Mir thut nur das arme Tier leid und wenn ich noch einen Hund hätte, so sollte der ihn jetzt ablösen. Machen Sie was Sie wollen: kommen Sie herunter und sehen Sie zu, wie Sie mit dem Hunde fertig werden, oder bleiben Sie oben, bis ich zu Mittag gegessen habe. Dann fahre ich ins Dorf, hole den Schutzmann und lasse Sie festnehmen. Bursche, wie Sie einer sind, können wir hier herum nicht brauchen.« Damit hakte ich Lords Kette los und ging, um das Pferd in den Stall zu bringen.

Euphemia war über die verschiedenen Tagesereignisse sehr aufgeregt. Der Mann im Baume dauerte sie, auch that es ihr leid, daß der Baumschul-Agent mit der rubinroten Malvasiertraube hatte fortgehen müssen. Während der Mahlzeit hatte ich viele Mühe, ihr die Sache im rechten Licht zu zeigen, aber endlich gelang es mir doch. – Ich verzehrte mein Mittagbrot in aller Ruhe und nahm dann die Arbeit in der Scheune vor; Stromern fehlt es ja gewöhnlich nicht an Zeit und ich hatte ihm durch Pomona etwas zu essen bringen lassen.

Ich war im Begriff, das Scheunenthor zu schließen, als Pomona gelaufen kam, um mir anzukündigen, daß der Stromer mich einen Augenblick zu sprechen wünsche, da er mir etwas sehr Wichtiges mitzuteilen habe. Ich steckte den Schlüssel in die Tasche, und ging zu dem Baum hinüber; obgleich es fast dunkel geworden war, konnte ich doch sehen, daß Stromer, Hund und Baum sich noch auf ihrem Posten befanden.

»Wissen Sie was,« sagte der Mann auf dem Apfelbaum, »wenn man hier oben so lange sitzen muß, wie ich, so thun einem alle Glieder weh! Mit der Polizei mag ich auch nichts zu thun haben, und so will ich Ihnen einen Vorschlag machen: wenn Sie den Hund anketten und mich gehen lassen, stehe ich Ihnen dafür, daß kein Stromer mehr in Ihre Nähe kommt.«

»Wie wollen Sie denn das machen?« fragte ich.

»Das ist meine Sorge,« erwiderte er, »ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf; – ich und meine Kollegen, wir verstehen uns schon!« –

Das Ehrenwort eines solchen Vagabunden war zwar nicht viel wert, aber auch die bloße Möglichkeit, die Stromer los zu werden, war nicht zu verachten. Ich wollte mir die Sache mit Euphemia überlegen, obwohl ich ihre Meinung schon im Voraus kannte.

»Wenn wir den Kerl auf ein paar Wochen ins Gefängnis stecken,« sagte ich, »so ist uns damit nichts genützt; werden wir dagegen den Sommer über alle Stromer los, so ist das ein großer Vorteil. – Wollen wir uns den entgehen lassen?«

»Bewahre,« sagte Euphemia, »und die Beine müssen ihm ja auch schrecklich steif geworden sein!« –

Mit einiger Mühe gelang es mir, Lord nicht weit von dem Apfelbaum an einen Pfosten anzuketten. Kaum war er unschädlich gemacht, so kletterte der Stromer, trotz seiner steifen Beine, flink von dem hohen Sitz herab und lief zum Thor hinaus, ohne erst noch am Zaun Bemerkungen zu machen. Lord heulte laut auf vor getäuschter Begierde und stürzte ihm nach, – aber die Kette hielt fest.

Als wir am nächsten Tage nach Hause fuhren, bemerkte ich an der Ecke des Weges, der von der Hauptstraße abführt, am Stamm eines hohen Baumes ein absonderliches Zeichen. Ich hielt an und sah eine Figur in den Stamm geschnitten, die aus einem Viereck, einem Kreis, einem Dreieck und einem Kreuz zusammengestellt war, darunter befanden sich noch einige kleinere Zeichen. Gewiß hatte der Stromer diese Figur eingeschnitten, deren Bedeutung den Mitgliedern seiner Brüderschaft verständlich sein mochte. Wenigstens kam den ganzen Sommer über kein Stromer in unsere Nähe; Bettler stellten sich wohl von Zeit zu Zeit ein, aber kein richtiger Vagabund.

Einmal im Herbst sah ich jedoch einen Stromer vor dem Baume stehen und das Zeichen betrachten, das noch ganz deutlich zu sehen war. »Was bedeutet denn das?« fragte ich, und trat zu ihm heran.

»Was weiß ich,« versetzte der Mann, »und was geht's Sie an?« –

»Es ist bloße Neugier,« meinte, ich, »ich habe das Ding schon so oft betrachtet, und möchte gern wissen, was es bedeutet. Wenn Sie mir's sagen können, gebe ich Ihnen einen Dollar.«

»Und halten reinen Mund darüber?« sagte er.

»Ja,« versetzte ich und zog den Dollar heraus.

»Schön,« meinte der Stromer, »das Zeichen bedeutet, daß in dem Haus, zu dem der Weg führt, ein knickeriger, geiziger Kerl wohnt, der einen bösen Hund hat, und daß da nichts zu holen ist.«

Ich gab ihm den Dollar, und ganz zufrieden mit dem Ruf, in dem ich stand, ging ich meines Weges.

*

Hier möchte ich einige Bemerkungen über die Methode einschalten, die Euphemia bei ihrer Hühnerzucht befolgte: Sie führte ein Buch, welches sie zuerst »Hühner-Bericht« nannte, dann aber den Namen in »Geflügel-Register« umwandelte. Ich habe es nie recht verstehen können, so oft sie mir auch alle Einzelheiten erklärte. Auf bestimmte Seiten wurde das Alter, eine genaue Beschreibung, die Zeit des Einkaufs oder der Geburt und alle späteren Thaten eines jeden Huhnes vom Hofe eingetragen. Besondere Abteilungen waren für Ausgabe, Gewinn, möglichen Verlust und wirklichen Verlust bestimmt; sie schrieb die Anzahl der Eier auf, welche jeder Bruthenne untergelegt wurden, wie viele Eier täglich zerbrachen, wie viele verdarben und wie viele endlich ausgebrütet wurden. Jedes Küchlein, das aus dem Ei kroch, wurde eingetragen und über seine spätere Lebensgeschichte bis ins Einzelne Bericht geführt. Es standen Berechnungen in dem Buch über die Vorteile der verschiedenen Verfahrungsweisen und häufig waren interessante Beobachtungen angegeben, wie z. B. die folgende:

Am 2. April 188.; Puttchen und ihre Schwester Juttchen fangen an zu brüten, Puttchen mit 12 Eiern, drei Brahmaputras, vier gewöhnlichen und fünf italienischen; Juttchen mit 13 Eiern (sie wiegt 4 Lot mehr als ihre Schwester), davon drei italienische, fünf gewöhnliche und fünf Brahmaputras. Am 22. und 23. April (desselben Jahres) brütete Puttchen vier Brahmaputras, zwei gewöhnliche und drei italienische Küchlein aus, während ihre Schwester an diesem und dem folgenden Tage zwei italienische, sechs gewöhnliche und nur ein Brahmaputra ausbrütete. – Wie hat nun Puttchen, die nur drei Brahmaputra-Eier hatte, vier von dieser Rasse ausbrüten können? – hat sie vielleicht mit ihrer Schwester die Eier getauscht und es dieser dadurch ermöglicht, 6 gewöhnliche Küchlein auszubrüten, während sie doch nur 5 solche Eier hatte? – Oder sind die Eier aus Zufall verwechselt worden, bevor sie den Hennen untergelegt wurden? Welche von beiden Annahmen ist die wahrscheinlichere?

Diese Wahrscheinlichkeiten gaben Euphemia viel zu denken, aber sie ließ sich nie dadurch aus ihrer Ruhe bringen. Sie war immer so zufrieden und vergnügt über ihren Hühnerhof, als wenn jede Henne täglich ein Ei legte und aus jedem Ei ein Hühnchen auskröche.

Das System, das Euphemias Verwaltung zu Grunde lag, war, wie man sich erinnern wird, auf das stete Anwachsen des Bestandes basiert, das heißt, jedes Küchlein, das in ihrem Hühnerhof auskroch, sollte im Lauf des Jahres die Mutter einer eigenen Brut werden, und jedes Hühnchen aus dieser Brut im nächsten Jahr eine neue erzeugen und so fort in einer Art von geometrischer Progression. Dieser Plan bedingte natürlich eine große Menge Bruthennen, und so gründete Euphemia ihre größten Hoffnungen darauf, daß recht viele Hennen zur Welt kämen.

Wir schlachteten im Herbst manchen Hahn, denn Euphemia wollte auch im eigenen Haushalt Erzeugnisse ihres Hühnerhofes verbrauchen, und viele Eier und Hühner wurden verkauft. Meine Frau hatte sich nicht mit den ursprünglich gekauften Hennen begnügt, sondern während des Winters noch mehrere neue Hühner angeschafft, und wirklich außergewöhnliches Glück damit gehabt, – wenn es nicht etwa ihr außergewöhnliches System war, was so außergewöhnliche Erfolge erzielte.


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