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Viertes Kapitel.
Eine neue Art Einbrecher

Ich habe von meiner Pistole gesprochen! Als wir in Ruderheim einzogen, lag mir der Gedanke sehr fern, mir eine anzuschaffen; jetzt standen aber die Sachen anders, und der Revolver, welcher in der Kommodenschublade unseres Schlafzimmers lag, war immer geladen. Daran waren die Einbrecher schuld; diese Störenfriede hatten uns zwar bis jetzt mit ihrem Besuch verschont, aber wir waren doch nicht sicher vor ihnen, da sie während des letzten Monats in verschiedenen Häusern der Nachbarschaft eingestiegen waren, und nächstens konnten auch wir an die Reihe kommen. Unser Kostgänger machte zwar den Vorschlag, wir sollten in der Nacht etwas weiter im Flusse vor Anker gehen; zu uns hinüberschwimmen würden die Diebe wohl nicht, da sie sich dabei leicht eine tödliche Erkältung zuziehen könnten; Euphemia wollte aber nichts davon hören, weil man doch das Kanalboot, das auf dem Lande lag und weder Radschaufeln noch Segel hatte, nicht jeden Abend flott machen konnte, vollends nicht ohne Maulesel. So gaben wir denn diesen Plan ein für allemal auf und beschlossen, alles recht fest zu verwahren; außerdem kaufte ich aber eine Pistole und zwei Wecker, von denen der eine am Küchenfenster, der andere an der Thüre zum Verdeck angebracht wurde. Die Konstruktion dieser Wecker war einfach und sinnig: wenn das Fenster oder die Thüre, woran sie sich befanden, geöffnet wurde, so geriet eine Uhr in Bewegung, die einen Lärm machte, als ob alle Stunden des Tages auf einmal angeschlagen würden. Am Fenster ließ sich's leicht machen, dagegen war es etwas lästig, die Weckuhr jeden Abend an der Thüre anbringen und am Morgen wieder entfernen zu müssen; doch Euphemia meinte: lieber die kleine Unbequemlichkeit, als Diebe im Hause, und darin hatte sie vollkommen recht.

Für den Fall, daß bei uns eingebrochen würde, hatten wir alle Anordnungen getroffen. Beim ersten Ton des Weckers sollten Euphemia und das Mädchen sich flach auf den Boden legen oder unter das Bett kriechen, wogegen wir, der Kostgänger und ich, uns mit dem Rücken gegen einander aufstellen und mit der Pistole in der Hand uns fortwährend im Kreise drehen und losfeuern wollten. Der Ausführung dieses Plans war nur hinderlich, daß der Kostgänger den Wecker nicht hören konnte, weil sein Zimmer zu weit entfernt lag und die Diebe vielleicht nicht warten würden, bis ich ihn aufgeweckt und zu uns herüber geholt hätte. Das schien aber von untergeordneter Bedeutung, denn im Fall der Not, dachte ich, würde sich die Schwierigkeit schon überwinden lassen.

Die Gelegenheit, unsere Vorkehrungen auf die Probe zu stellen, ließ nicht auf sich warten: einmal, – es mochte gegen Mitternacht sein, schnurrte plötzlich der Wecker am Küchenfenster mit lautem Gerassel ab; zuerst meinte ich, es sei der Morgenzug, der angefahren käme, dann wachte ich auf und sah, daß Euphemia schon unter dem Bette war. Rasch warf ich ein paar Kleider über und tastete mich im Dunkeln nach der Kommode; sie war nicht leicht zu finden, da ich die Richtung ganz verloren hatte; endlich stieß ich dagegen. Ich zog die oberste Schublade heraus und ergriff die Pistole. Dann schlich ich aus dem Zimmer, eilte die Treppe hinauf, öffnete die Thüre – an der natürlich der Wecker losging – lief das Verdeck entlang, wo ein kalter Nachtwind blies, und dann die steile Treppe zum Zimmer des Kostgängers hinab. Schnell trat ich an sein Bett – wo seine Pistole stets unter dem Kopfkissen lag – faßte ihn bei der Schulter und schüttelte ihn tüchtig. Im Nu war er auf den Füßen und im nächsten Augenblick fühlte ich die Mündung seines Revolvers an meiner Stirn und seine Faust an meiner Kehle. Die Mündung war schrecklich groß und die Minute, die ich so verbrachte, dünkte mir eine Ewigkeit.

»Schurke,« rief er, »wenn du auch nur zu atmen wagst, drücke ich los!«

Ich hielt den Atem an und dachte an meine Lebensversicherung gegen Unfälle. Würde sie wohl unter diesen Umständen ausgezahlt werden, oder müßte Euphemia zu ihren Eltern zurückkehren? ...

Jetzt zog er mich einen Schritt zurück – das helle Mondlicht fiel auf uns.

»Ah, Sie sind es,« rief er und ließ mich los; »wünschen Sie etwas? – vielleicht ein Senfpflaster?« – Er hatte nämlich eine besondere Sorte, die man nur in heißes Wasser zu tauchen brauchte, um sie gleich auflegen zu können.

»Nein,« sagte ich, noch etwas nach Luft schnappend, – »man hat eingebrochen!«

»So?« meinte er, legte die Pistole hin und warf sich in die Kleider. »Nun vorwärts!« rief er, und wir stiegen aufs Verdeck.

Als wir an die Treppe kamen, war alles dunkel, wir hörten keinen Laut und zögerten etwas, ehe wir hinuntergingen; ich wollte zuerst hinab, aber der Kostgänger hielt mich zurück:

»Lassen Sie mich voran!« sagte er.

»Nein,« entgegnete ich, »meine Frau ist unten.«

»Eben deshalb,« versetzte er, » ihr wird nichts geschehen, der Einbrecher feuert sicherlich nur auf einen Mann, und sie käme außer sich, wenn Ihnen etwas zustieße! Lassen Sie mich voraus!«

Er stieg langsam und vorsichtig hinab, mit der Pistole in der Hand, der Gefahr entgegen! Als er unten angekommen war, hielt ich es oben nicht länger aus und eilte ihm nach. Ich fand ihn mitten im Eßzimmer stehen, in welches die Treppe mündete. Sehen konnte ich ihn nicht, aber beim Vorwärtstasten berührte ich seine Hand und flüsterte ihm zu:

»Sollen wir uns jetzt mit dem Rücken gegen einander stellen, uns im Kreise drehen und losfeuern?«

»Nein,« sagte er ebenso leise, »noch nicht – vielleicht sitzt er auf dem Schrank, oder steckt unter dem Tisch – wir müssen ihn erst aufstöbern.«

Die Wahrheit zu gestehen, verspürte ich dazu wenig Lust, folgte aber doch dem Kostgänger, der sich langsam nach der Küchenthüre hin bewegte. Als er diese öffnete, standen wir beide unwillkürlich still: Durch das offene Fenster strömte das Mondlicht herein und wir sahen den Spitzbuben auf einem Stuhle stehen und sich hinausbeugen, offenbar im Begriff zu entfliehen, – glücklicherweise hatte er uns aber nicht gehört:

»Sollen wir ihn hereinziehen?« flüsterte der Kostgänger.

»Nein,« entgegnete ich, »werfen wir ihn hinaus, dann sind wir ihn los!«

»Auch gut!« meinte er. Wir legten die Pistolen auf den Boden, und leise und mit geräuschlosen Tritten, denn wir waren barfuß, näherten wir uns dem Fenster und faßten die Stuhlbeine an.

»Eins – zwei – drei!« zählte der Kostgänger – wir hoben zusammen den Stuhl kräftig in die Höhe und schleuderten den Kerl zum Fenster hinaus. Die Flut war hoch und das Boot rings von Wasser umgeben. Ein lautes Plätschern war jetzt von draußen hörbar. Wir brauchten nun nicht mehr im Flüsterton zu sprechen.

»Sollen wir vom Verdeck aus auf ihn schießen, wenn er versucht, heranzuschwimmen?« rief ich.

»Nein,« meinte der Kostgänger, »wir wollen ihn mit dem Bootshaken hinunterstoßen, wenn er heraufklettert.«

Wir stürzten aufs Verdeck, ich ergriff den Bootshaken und sah mich überall um, erblickte aber niemand.

»Er ist auf den Grund gesunken!« rief ich.

»Da hat er nicht weit,« versetzte der Kostgänger, »mehr als zwei Fuß tief ist es hier nicht.«

Plötzlich ertönte eine Stimme vom Ufer: »Lassen Sie doch einmal das Landungsbrett herunter!« Und da stand Pomona, triefend naß von Kopf bis zu Fuß. – Wir thaten was sie verlangte, ohne ein Wort zu verlieren und sie kam an Bord.

»Gute Nacht!« sagte der Kostgänger und ging zu Bette.

»Pomona,« rief ich, »was hast du gemacht?«

»Ich sah mir nur den Mond an, da kippte der Stuhl, und pardauz! fiel ich hinaus!«

»Das darfst du nicht wieder thun,« sagte ich streng, »eines schönen Tages kannst du dabei ertrinken. Jetzt ziehe deine nassen Kleider aus und geh zu Bette.«

»Gleich, Herr,« erwiderte sie und ging die Treppe hinunter. Als ich mein Zimmer erreicht hatte, zündete ich die Lampe an und fand Euphemia noch unter dem Bett.

»Ist alles ruhig?« fragte sie.

»Ja wohl,« versetzte ich, »es war gar kein Spitzbube da, – Pomona ist aus dem Fenster gefallen!«

»Hast du ihr ein Pflaster aufgelegt?« fragte Euphemia schläfrig.

»Nein, das war nicht nötig, sie hat sich nicht wehe gethan! Du hast dich doch nicht um mich geängstigt, liebe Frau?«

»O nein, ich habe mich ganz auf dich verlassen, und ich glaube, ich bin unter dem Bett ein wenig eingeschlafen.« – Bald lag sie wieder in festem Schlummer.

Der Kostgänger erwähnte das Ereignis nicht wieder, und ich auch nicht, es schien uns beiden zum Gesprächsstoff nicht geeignet; aber Euphemia hielt dem Mädchen am andern Morgen eine tüchtige Strafpredigt über ihr unvorsichtiges Wesen und ließ sie niederschlagende Pulver einnehmen. –

Um diese Zeit machten Euphemia und ich eine sehr wichtige Entdeckung in Betreff der Hauswirtschaft. So oft wir am Ende jeder Woche unsere Ausgaben berechneten – unsere Einnahmen zusammenzuzählen machte gar keine Schwierigkeiten – war das Resultat jedesmal weniger befriedigend.

»Es würde viel angenehmer sein, unsere Wochenrechnung zu machen,« meinte Euphemia an einem Samstag Abend, »wenn nur die häßliche Bilanz nicht wäre, die stets größer wird, wie ein Schneeball, der ins Rollen kommt.«

Ich versuchte, die Sache scherzhaft zu behandeln und versetzte: »Das hätte nichts zu sagen, wenn man nur den Schneeball ans Feuer legen und ihn zum Schmelzen bringen könnte.«

»Aber, wo man Schneebälle macht, ist gewöhnlich kein Feuer,« sagte Euphemia.

»Das ist ja gerade das Schlimme,« erwiderte ich.

Als ich den Donnerstag darauf abends nach Hause zurückkehrte, kam mir Euphemia mit freudestrahlendem Gesicht entgegen. Ich war etwas verwundert über diesen Empfang, denn sie war in den letzten Tagen so still und nachdenklich gewesen, daß ich mir schon vorgenommen hatte, ein bis zwei Wochen lang kleinere Braten zu bestellen und für das ersparte Geld mit ihr ins Konzert zu gehen, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Wie ich sie nun aber so lustig sah, schien mir eine musikalische Aufheiterung nicht mehr vonnöten zu sein.

»Du machst ja ein so vergnügtes Gesicht,« sagte ich, als ich sie begrüßte, »ist denn irgend etwas Besonderes geschehen?«

»Nein,« erwiderte sie, »noch nicht, aber ich will ein Feuer anmachen, um Schneebälle zu schmelzen.«

Ich war natürlich sehr neugierig, wie sie das anstellen wollte, aber sie sagte es mir nicht; ich drang auch nicht weiter in ihr Geheimnis – hat sie doch so selten eines! – und so erfuhr ich nicht eher etwas von ihrem Plan, als bis er ausgeführt war.

Mit diesem Plan verhielt es sich so: Sie hatte unsere finanzielle Lage überdacht, und sich den Kopf zerbrochen, wie sie sich verbessern ließe. Sie hatte zwar noch nie Geld verdient, aber das schien ihr kein Grund, nicht damit anzufangen! Daß ich mich Tag für Tag abarbeite, und mein Erwerb doch nicht ausreichte, war wirklich zu arg – deshalb wollte sie mir helfen.

Sie hatte sich die Adresse einer Anstalt verschafft, in welcher Damen, die sich in dürftigen Verhältnissen oder in augenblicklicher Geldverlegenheit befanden, Handarbeit bekamen, ohne daß außer den Vorstehern der Anstalt irgend jemand davon erfuhr. Euphemia begab sich dorthin und holte sich einen Auftrag. Sie brauchte eine Woche bis sie damit fertig war, viel länger, als sie sich gedacht. In ihrer ängstlichen Gewissenhaftigkeit gab sie sich die größte Mühe und dann konnte sie ja nur in meiner Abwesenheit untertags daran arbeiten, während es daneben die häuslichen Geschäfte zu verrichten und auf Pomona, die oft etwas unmethodisch arbeitete, zu achten gab.

Als endlich die Arbeit fertig war, brachte sie dieselbe zur Stadt. Ihr Taschengeld reichte ihr gerade noch zur Hin- und Rückfahrt auf dem Fährboot. In der Stadt angekommen, ging sie zu Fuß nach der Anstalt; der Weg dahin kam ihr viel länger vor, als das erstemal mit der Pferdebahn. Sie gab ihr Paket an die Vorsteherin ab, welche die Arbeit ansah, sie gut fand und ihr sechzig Cents dafür einhändigte. Der Preis war nicht im voraus bestimmt worden. Euphemia war zwar etwas verblüfft, nahm aber das Geld hin, ohne etwas zu sagen und ging fort, ohne sich neue Arbeit geben zu lassen. Mit der Berechnung mußte etwas nicht in Ordnung sein, das fühlte Euphemia; und doch hatte die Dame, die ihr das Geld gab, den Preis nach den gedruckten Listen berechnet, es war also dabei kein Irrtum vorgefallen. Euphemia ging nachdenklich zu der Fähre zurück und da sie sich unterwegs sehr müde und hungrig fühlte, beschloß sie, sich vor der Rückfahrt in einem Restaurant zu stärken. Mein kluges kleines Frauchen war vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben allein in einem Speisehaus. Sie wollte nur einen kleinen Imbiß nehmen, und bestellte sich eine Tasse Thee nebst Weißbrot und etwas kaltem Huhn. Das Mahl schmeckte ihr vortrefflich – die Rechnung betrug genau sechszig Cents. Sie gab das Geld, das sie eben eingenommen hatte, hin und ging nach der Fähre – »ganz wie betäubt«.

Zu Hause angekommen, brach sie in Thränen aus. »Ich gebe es auf,« sagte sie betrübt, als sie mir abends das Erlebnis erzählte, »ich glaube, ich kann dir nicht verdienen helfen!«

Das arme Ding! Ich nahm sie in meine Arme und tröstete sie, so gut ich konnte. Noch ehe wir zu Bette gingen, hatte ich sie überzeugt, daß mir niemand auf Erden so gut helfen könne als sie, und zwar, ohne daß sie sich den Kopf über unsere Finanzen zu zerbrechen oder für Geld zu nähen brauchte.

So trieben wir es denn nach alter Weise fort und gaben wohl acht, daß unsere wöchentliche Bilanz nicht allzu ungünstig ausfiel. Wir verließen uns auf unsere Philosophie (ein anderes Kapital hatten wir nicht) und waren so froh und zufrieden, als es die Umstände nur gestatteten. –


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