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Buchschmuck

Achtes Kapitel.

Chaumette weihte den jungen Bürgersoldaten Silvain Parmentier in die Geheimnisse des Klubs der Cordeliers ein. Und Silvain war ein gelehriger Schüler. Stundenlang saßen die beiden, während es draußen schneite und stürmte, vor dem Kamin in dem alten Refektorium des ehemaligen Franziskanerklosters und besprachen sich miteinander.

Chaumette war allmächtig. Er und sein Genosse Hébert, der Schusterssohn und der ehemalige Logenschließer im Theater des Königs, hielten die Stadtverwaltung von Paris in ihren Händen. Und nicht nur das! Sie spielten auch Fangball mit dem Konvent. Sie tyrannisierten das Überwachungskomitee und den Wohlfahrtsausschuß, soweit Maximilien, der Unbestechliche, solches zuließ, soweit er nicht dazwischen fuhr, wie das neulich in jener Konventsitzung, da die Weiber der Société révolutionnaire in die Tuilerien einbracht, der Fall gewesen war.

Mit dem Fest in Notre Dame, mit der Schändung der Königsgräber in der Kathedrale von Saint Denis sollte es nach Chaumettes und Héberts Willen keineswegs sein Bewenden haben. Das war nur ein bescheidener Anfang. Während die Generäle des Konvents an den aufrührerischen Städten Lyon, Toulon, Bordeaux und Nantes blutige Vergeltung übten und dort die Gemäßigten und vermeintlichen Anhänger des Königtums zu Hunderten niederschossen oder in der Rhone und Garonne ertränkten, schritt der Kult der Vernunft hocherhobenen Hauptes durch Paris und ganz Frankreich. Nur der Süden und Westen leisteten noch immer verzweifelten, aber nutzlosen Widerstand.

»Wir müssen eben ganze Arbeit machen, Bürger Parmentier,« vernahm Silvain eben wieder die Stimme des hageren und ausgehungerten Fanatikers, zum wievielstenmale heute ... immer in dem gleichen Ton.

»Das müssen wir, Chaumette,« antwortete der.

Silvain trug jetzt ständig die Tracht der Jakobiner. Die phrygische Mütze krönte sein Haupt, um seine Brust wand sich die Trikolorenschärpe und die Kokarde der einen und unteilbaren Republik leuchtete auf seinem Rock.

Ein Wort Chaumettes hatte genügt, den jungen Bürgersoldaten, der ihm blindlings ergeben war, vom Dienst zu befreien. Er brauche ihn für sich, damit der dem Vaterland von größerem Nutzen sein könne, hatte der Führer der Cordeliers erklärt.

»Saint Sulpice ist die nächste, die an die Reihe kommt,« drang da wieder diese Stimme an Silvains Ohr. »Die Kommune und der Konvent haben mir die Umweihung von Saint Sulpice überlassen. Das wird ein Fest!«

Wie lohendes Feuer flammte es bei diesen Worten in den Augen Chaumettes auf.

»Habt Ihr jetzt mit der Bürgerin Louise Marteau gesprochen, Bürger Parmentier?«

Silvain senkte den Kopf.

»Nun,« forschte Chaumette in strengem Ton.

»Ich habe mit ihr gesprochen, Bürger Chaumette!«

»Und ist sie bereit?«

»Sie würde für mich jedes Opfer bringen, Bürger Chaumette, das hat sie gesagt!«

»Auch dieses?«

»Ich weiß es nicht, Bürger Chaumette. Sie ziert sich«

Es war ein häßlicher Ton, indem dieses Wort »sie ziert sich« aus Silvains Mund kam.

»So wird man sie zwingen,« erklärte Chaumette.

Eine finstere Wolke des Unmuts ging bei diesen Worten des Führers der Cordeliers über Silvains hübsches Gesicht.

Dann sagte er rasch:

»Wenn ich sie bitte, Bürger Chaumette, dann wird sie es mir zuliebe tun!«

»Dann bitte sie!«

»Das werde ich tun!«

»Es geschieht im Dienst unserer großen Sache, Bürger Parmentier!«

»Das weiß ich und sonst täte ich es nicht, Bürger Chaumette!«

Chaumette erhob sich von dem Stuhl vor dem flackernden Kaminfeuer des Refektoriums, wo er die ganze Zeit gesessen hatte, und ging nun mit langen Schritten in dem ehemaligen Speisesaal der Franziskaner auf und nieder.

»Wollt Ihr jetzt die Gewänder betrachten, Bürger Parmentier,« sagte er plötzlich.

»Welche Gewänder, Bürger Chaumette?«

»Die Gewänder, die die Bürgerin Louise Marteau bei dem Fest in Saint Sulpice als Vertreterin der Vernunft tragen soll. Es sind griechische Gewänder. Ich habe sie selbst aus der Garderobe der Comédie française besorgt.«

»Habt Ihr sie hier, Bürger Chaumette?«

»Sie liegen dort im Wandschrank.«

Chaumette ging auf den Wandschrank zu, der einst den Franziskanern zum Aufbewahren heiliger Gefäße und kirchlicher Talare gedient hatte, und schloß ihn auf.

Den Theaterflitter der Comédie in den Händen, ging er jetzt wieder auf den Bürger Parmentier zu und breitete die Kleider auf dem großen, in der Mitte des Refektoriums stehenden Tisch aus.

»Es ist ein Chiton aus weißem, durchsichtigem Stoffe und eine Chlamys aus himmelblauer Seide, Bürger Parmentier! Das wird die Bürgerin Louise Marteau trefflich ... ent-kleiden ... Ist sie denn gut gewachsen?«

Ein lauernder Blick Chaumettes, dem sich in diesem Moment für den jungen Silvain frivole Geilheit und Sinnlichkeit beizumengen schienen, traf ihn bei dieser Frage aus den Augen des Führers der Cordeliers.

»Ich hielt Euch für einen Asketen, Bürger Chaumette!« erwiderte Silvain und sah sein Gegenüber voll Verachtung an.

»Der bin ich ... für mich, Bürger Parmentier ... aber das Volk will die Schönheit. Es will Befriedigung seiner Instinkte. Wir müssen dem Volke etwas bieten in diesen Tagen des Jammers, wenn es nicht von uns abfallen und sich andern Göttern zuwenden soll.«

»Das müssen wir allerdings!«

Die hageren Hände Chaumettes entfalteten jetzt den zarten Batiststoff, den er vor Silvain auf dem Tisch der Mönche ausgebreitet hatte.

»Der schöne Leib der Bürgerin Louise Marteau wird hindurchschimmern; Bürger Parmentier,« sagte er, den Stoff wohlgefällig musternd ... »halbverhüllte Schönheit reizt bekanntlich mehr als völlig nackte ...«

Siedend heiß stieg es bei diesen Worten Chaumettes in Silvains Innerem empor. Wenn er seiner Leidenschaft gefolgt wäre, dann wäre er diesem da an die Kehle gesprungen, der in solchen Worten im Hinblick auf seine Geliebte, die Bürgerin Louise Marteau, sprach. Aber er wagte es nicht. Der Fanatismus Chaumettes und die furchtbaren Lehren der Cordeliers, zu deren Klub er nunmehr geschworen hatte, hielten ihn wie mit eisernen Ketten umfaßt. Er hatte das Versprechen gegeben, alles, auch das letzte, auch seine Liebe, auf dem Altar des Vaterlands und der Freiheit zu opfern ... und dieses Versprechen würde er halten!

Chaumette entging es denn auch nicht, welche Gedanken da durch den Kopf seines Jüngers und Leibeigenen huschten. Deshalb sagte er:

»Die Reue, Bürger Parmentier, ist ein schlecht' Ding für den, der das Höchste zu erreichen entschlossen ist, und selbst die Pfaffen lehrten, daß der, der seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, für ihr Werk nicht geschickt sei.«

»Das weiß ich, Bürger Chaumette!«

»Wir werden die hellblaue Chlamys mit einer goldenen Spange auf der nackten Schulter der Bürgerin Louise Marteau befestigen, Bürger Parmentier. Sie ist vollbusig? Das habe ich in dem Café zu den Rutenbündeln wohl bemerkt!«

Silvain schwieg. Voll Unmut nagte er an der Unterlippe. Aber Chaumette ließ sich dadurch nicht mehr irre machen.

»Wie die Künstler der Griechen, Bürger Parmentier, soll die Bürgerin Louise Marteau auf goldenen Kothurnen vor allem Volk einherwandeln. Hier sind sie!«

Chaumette war wieder vor den Wandschrank getreten und holte die hohen Stiefel der Schauspieler, die seine Göttin der Vernunft nach seinem Willen tragen sollte.

»Über Blumen wird sie durch die Halle des Tempels Saint Sulpice schreiten, Bürger Parmentier!«

»Der Nivose steht im Kalender, Bürger Chaumette, wo wollt Ihr im Nivose Blumen herbekommen?«

»Ich werde die Kamelienhäuser der Österreicherin in Trianon plündern lassen,« entschied Chaumette kurz. »Die Bürgerin Louise Marteau soll über einen Teppich aus weißen und roten Kamelien wandeln. Es wird einen Festzug geben, wie man in Paris noch keinen erlebt hat, Bürger! Ich lasse sie auf einem purpurnen Thronsessel hereintragen und ein Himmel aus dem grünen Wipfel einer Eiche wird sich zu ihren Häupten wölben!«

»Ihr seid von Sinnen, Chaumette, grüne Eichen im Nivose!«

»Die Palmen von Versailles tun mir den gleichen Dienst! ... Aber wo bleibt denn die Bürgerin Marteau? Ihr habt sie doch hierher bestellt, Bürger Parmentier?«

»Freilich habe ich das!«

»Zu einer Ankleideprobe!«

Wieder glitt das sarkastische Lächeln um die schmalen Lippen Chaumettes. Silvain kannte dieses Lächeln. Aber der Schwur, den er für die Sache der Cordeliers geleistet hatte, hielt ihn von jeder Äußerung seines Hasses gegen Chaumette ab.

Da trat Legrange, der Schreiber Chaumettes, in das Refektorium.

»Eine Bürgerin wartet draußen. Sie fragt nach dem Bürger Parmentier.«

»Kennt Ihr die Bürgerin, Bürger Legrange?«

»Nein, Bürger Chaumette, ihr Gesicht ist nicht zu sehen. Sie hat einen schwarzen Schal um den Kopf geschlungen, der auch den größten Teil ihrer Züge bedeckt.«

»Sie ist es ...,« sagte jetzt der Bürger Parmentier mit zitternder Stimme.

Und Chaumette befahl:

»Laßt die Bürgerin eintreten, Bürger Legrange!«

Legrange ging.

»Es ist Euer Glück, Bürger Parmentier, daß sie Wort gehalten hat,« sagte Chaumette jetzt finster.

»Die Bürgerin Louise Marteau hält ihr Wort, wenn sie mir etwas versprochen hat, Bürger Chaumette,« erwiderte Silvain in eisigem Tone, »denn sie liebt mich ...«

Chaumette antwortete nichts. Er starrte nach der Tür, durch die die Bürgerin Louise Marteau eintreten sollte, die er zu seiner Göttin der Vernunft erkoren und deren Schönheit er dem Pöbel von Paris als Opfer auf dem Altar von Saint Sulpice zu bringen entschlossen war.

Endlich öffnete sich die Tür und Louise Marteau trat ein. Wie Legrange berichtet hatte ... tiefverhüllt.

»Ich folge deinem Willen, Silvain,« sagte sie mit dumpfer Stimme, »es war dein Befehl und dein Wunsch!«

Sie würdigte Chaumette keines Blickes. Alle ihre Worte waren ausdrücklich nur an Silvain gerichtet.

»Der Bürger Parmentier hat Euch mitgeteilt, Bürgerin Marteau, um was es sich handelt?«

»Ja, mein Herr!«

Im Flüsterton kam diese Antwort aus dem Mund Louise Marteaus.

»Das Gewand, das Ihr an dem hohen Fest der Göttin der Vernunft tragen werdet, liegt hier auf dem Tisch, Bürgerin,« sagte Chaumette und entfaltete gleichzeitig den Batist vor den Augen Louise Marteaus, wie er ihn eben vor denen Silvains entfaltet hatte.

Louise Marteau hatte den Schal, der ihr Gesicht verhüllte, noch immer nicht abgelegt.

Tief verschleiert, als sei sie ein Rätsel und als wolle sie profanen Blicken ewig ein solches bleiben, trat sie jetzt an den Tisch heran und wühlte mit zitternden Fingern in dem leichten Stoff.

»Gefällt Euch das Gewand, Bürgerin Louise Marteau?« fragte Chaumette.

Sie würdigte ihn keiner Antwort.

Chaumette war nahe daran aufzubrausen, aber noch einmal beherrschte er sich.

Louise Marteau nahm den Chiton in ihre Hände. Sie hielt die rosa schimmernde Haut ihres Armes, den sie entblößt hatte, unter den Stoff. So trat sie dicht an Silvain heran, sah ihm fest in die Augen und fragte:

»Ist es dein wohlüberlegter und klarer Wille, Silvain, daß ich mich so in Saint Sulpice vor allem Volke zeigen soll, in diesem Gewande, Bürger Parmentier, in diesem Gewande? Ihr wißt, daß ich nichts unter ihm tragen werde, als meinen nackten Leib, der Euch allein gehört?«

»Euer Leib gehört dem Vaterlande, Bürgerin Louise Marteau,« rief da Chaumette.

»Ich habe nicht mit Euch gesprochen, Bürger,« verwies da Louise Marteau.

»Oho,« rief jetzt Chaumette wütend, »man kann Euch zwingen, Bürgerin! Der Konvent ... das Tribunal ... Fouquier Tinville macht kurzen Prozeß, wenn ihm das Überwachungskomitee in meinem Auftrag etwa einen Wink geben sollte!«

»Das weiß ich, Bürger ... aber davor fürchte ich mich nicht. Fouquier Tinville würde mich dazu nicht zwingen können ... Ich habe den Bürger Silvain Parmentier gefragt, ob es sein fester und wohlüberlegter Entschluß ist, daß ich mich so in diesem Gewande vor allem Volke zeigen soll, und der Bürger Silvain Parmentier ist mir bislang die Antwort schuldig geblieben. Über mein Leben verfüge Fouquier Tinville! Über meinen Leib hat niemand zu verfügen als ich allein und der Mann, dem ich diesen Leib nach meinem freien Willen geschenkt habe, versteht Ihr mich?«

»Ich verstehe Euch vollkommen, Bürgerin Louise Marteau ... und was Ihr da sagt, ist Verrat an dem Vaterlande und Verrat an der Sache der Freiheit! Es würde für Fouquier Tinville nach dem Gesetz gegen die Verdächtigen genügen, Bürgerin, denn niemand hat das Recht, Eigentum, das dem Volk und dem Vaterland gehört, dem Volk und dem Vaterland zu entziehen.«

Die Bürgerin Louise Marteau antwortete Chaumette nicht.

Sie wandte sich vielmehr noch einmal an den jungen Bürger Silvain Parmentier und sagte:

»Habt Ihr verstanden, Bürger Silvain Parmentier, was ich Euch soeben gefragt habe?«

»Ich habe dich verstanden, Louise!«

»Und ist es dein fester und wohlerwogener Entschluß?«

»Er ist es!«

»Dann zeigt mir das Gemach, in dem ich das Gewand anprobieren kann, Bürger!«

Chaumette lächelte cynisch.

»Wenn Ihr das hier tun wollt, Bürgerin ... mich berührt das weiter nicht ... und der Bürger Silvain Parmentier wird doch Bescheid wissen!«

Verächtlich verzog Louise Marteau die herben Lippen.

»Zeigt mir das Gemach,« sagte sie einfach.

Da öffnete Chaumette eine Tür, die in eine kleine, neben dem Refektorium gelegene Anrichtekammer führte, und sagte:

»Bitte, Bürgerin, wenn es Euch hier nicht zu dunkel ist ...«

»Ich sehe genug, Bürger!«

Louise nahm die Kleidungsstücke von dem Speisetisch der Mönche und verschwand damit lautlos in der Kammer.

Chaumette ging mit langen Schritten im Saale auf und nieder. Silvain wandte sich von ihm ab.

Er trat vor den Kamin und schaute in die flackernden Flammen, die gierig an einem Scheit fast noch grünen Buchenholzes leckten und dieses nicht vernichten konnten, weil es noch zu viel Saft in seinen Fasern barg.

»Worüber sinnt Ihr nach, Bürger Parmentier,« fragte Chaumette nach einer langen Pause.

»Ich betrachte mir das Holz im Kamin, Bürger Chaumette,« lautete Silvains Antwort. Es gleicht der Jugend Frankreichs in diesen Tagen. Es ist noch jung und grün, und schon verzehrt es der Brand. Aber die Flamme kann nicht mit ihm fertig werden. Der Saft fließt aus dem Holze und dieses Scheit sieht aus, als ob es über sein eigen Schicksal eine Träne weinte, Chaumette!«

»Der Brand wird mit ihm fertig werden, verlaßt Euch darauf, Bürger Parmentier,« sagte Chaumette in schroffem Tone.

Wieder schwand eine Weile in tiefem Schweigen dahin. Kein Laut wurde in dem alten Refektorium vernehmlich. Aber ganz plötzlich drang da ein leises Geräusch an das Ohr der beiden Männer.

»Was ist das?« fragte Silvain.

»Es ist der Holzwurm, Bürger Parmentier,« erklärte Chaumette ... »er frißt das Alte, während der Brand das Junge verzehrt ... Das ist der Gang des Lebens und der Geschichte ...«

Da trat die Bürgerin Louise Marteau wieder ein.

Auf den goldenen Kothurnen, in dem durchsichtigen Chiton aus weißem Batist, die hellblaue Chlamys aus Seide um die Schultern geschlungen. Eine seltsame Veränderung war mit ihr vorgegangen. Chaumette glaubte sie nicht wiederzuerkennen. Fast nackt stand sie so da vor den beiden Männern, vor dem Geliebten und dem Apostel des Kommunismus, der Paris in diesen Tagen nach seinem Willen zwang, und wie mit einem Schlage waren alle Zurückhaltung und alle Scheu von ihr genommen.

»Gefallt Ihr Euch in dem Kleide der Vernunft, Bürgerin Louise Marteau,« fragte Chaumette.

Sie lachte.

»Wenn es ihm gefällt ... wenn er es will ... ich gefalle mir schon ...«

Ihre Augen hingen an denen Silvains.

Entgeistert und als sei sie eine Erscheinung starrte er die Geliebte an.

Noch nie war ihm deren faszinierende Schönheit so ganz zum Bewußtsein gekommen, wie in dieser Stunde, da er sie den schamlosen Blicken Chaumettes aus freiem Entschlusse preisgab, der sie jetzt von oben bis unten maß mit den Augen des Schaustellers, der seine Ware darauf hin prüft, ob sie auch genügend Anziehungskraft für sein Publikum hat.

Noch nie wie in dieser Stunde, da er entschlossen war, um der Sache willen die Schönheit Louises, das höchste, was er besaß, und sein Eigenstes den Lüsten des Pöbels zum Opfer zu bringen.

Jetzt schritt Louise auf den hohen, goldenen Stiefeln der Schaubühne leichten Fußes durch den Saal der Mönche.

»Also in Saint Sulpice, Bürger,« wandte sie sich an Chaumette, »und wann?«

»Morgen in der neunten Stunde, Bürgerin Louise Marteau!«

»Und Euer Programm?«

»Ich habe dem Bürger Parmentier bereits einige Andeutungen gemacht, ehe Ihr kamt, Bürgerin! Man wird Euch im Triumph durch die Straßen von Paris führen, auf einem Thronsessel, den man unter einem Dach aus Palmblättern von den Warmhäusern in Versailles tragen wird. Die Kommune und die Mitglieder des Konvents werden diesem Zug folgen und auf dem Altar von Saint Sulpice wird das Volk Eurer Schönheit huldigen, Bürgerin! ... Ich selbst werde dort eine Ansprache halten. Man wird singen und tanzen, Bürgerin! Das wird ein Fest werden!«

»Und das ist dein Wille, Bürger Parmentier,« fragte jetzt Louise noch einmal mit Nachdruck.

»Mein Wille,« sagte er fest unter den drohenden Blicken Chaumettes.

»Dann soll es auch der meine sein!«

* * *

Chaumette hatte das feierliche Schauspiel in Saint Sulpice in ganz Paris bekannt gegeben.

Am Morgen des folgenden Tages drängten sich die Menschen um den Eingang der Kirche. Alle Fenster der umliegenden Häuser waren mit Neugierigen besetzt und schon lange vor neun Uhr fand man keinen Platz mehr. Der Donner einer Kanone kündete den Beginn des Festes an. Der lange Zug, dessen Mittelpunkt der Thronsessel mit der Bürgerin Louise Marteau bildete, näherte sich dem Platze vor Saint Sulpice. Ein Geleite weißgekleideter Frauen, die Trikolorenschärpen um die Hüften geschlungen, die Kokarde an den roten, phrygischen Mützen, schritt dem Sessel voran. Das waren die Stammgäste des Palais Royal, die Chaumette aus dem Kot der Straße aufgelesen hatte, damit sie Priesterinnen seiner Göttin der Vernunft sein sollten. Auch Rose Lacombe und Fleurette Bouchard befanden sich darunter, und der Maler Aristide Poignard blickte von weitem diesem Zuge zu.

Als sich der Thronsessel mit der halbentblößten Bürgerin Louise Marteau dem Portal von Saint Sulpice näherte, brachen die Pöbelhaufen in frenetische Beifallsrufe aus.

» Es lebe die Schönheit! Es lebe das Weib! Es lebe die Vernunft!« so klang es aus tausend und tausend Kehlen diesem Zuge entgegen.

Die Bürgerin Louise Marteau sah und hörte nichts. Sie hatte nur den einen Gedanken, daß der Bürger Silvain Parmentier, der Mann, den sie liebte, der einzige, dem sie ihren jungen Leib hingegeben hatte, dicht hinter diesem Thronsessel zwischen Chaumette und einem schamlosen Sänger der Oper schritt, und daß der es gut hieß, nein, es wollte, daß sie sich so vor allem Volke auf dem Altar von Saint Sulpice zur Schau stellte.

Der Zug schien endlos. Chaumette hatte alles auf die Beine gebracht, dessen er nur habhaft werden konnte, und seine Macht reichte weit. Die Klubs, die Frauenvereine, die politischen Sektionen, die Sänger und die Tänzer der Oper folgten dem Siegeswagen der Vernunft.

Die Masse der Teilnehmer füllte das weite Schiff der Kirche, so daß es für überflüssige Gaffer fast keinen Raum mehr gab.

Unter dem Schall von Flöten und Cymbeln trug man jetzt den Thronsessel mit der Bürgerin Louise Marteau die Stufen des Hochaltars hinan. Der Chor der Oper, den Chaumette in griechische Gewänder gekleidet hatte, fiel nun ein. Tausend und abertausend Augen waren auf Louise gerichtet. Es kam ihr vor, als durchbohrten alle diese Blicke wie vergiftete Pfeile schmerzlich und wollüstig zugleich den dünnen Batiststoff des Chitons, den sie auf ihrem nackten Körper trug, und die wehende Chlamys in himmelblauer Farbe, die von ihren entblößten Schultern herabwallte, ward ihr hier zu einem Banner, das die Kunde der ihr von dem Geliebten selbst bereiteten Schande durch der entweihten Kirche hohe, gothische Säulenhallen trug.

Lauter und lauter tönte die Musik. Der Chor der Sänger, der eine Weile geschwiegen hatte, setzte nun aufs neue ein. Er sang ein von Chaumette selbst gedichtetes Carmen, das der Menschheit neuen Frühling und des Weibes ewige Schönheit pries.

»Die Vernunft ... die Vernunft ... die Vernunft ...« so tönte der Refrain wie ein Hohngelächter beim Schluß einer jeden Strophe durch das besudelte Gotteshaus.

Und Chaumette jauchzte in seinem Inneren. An der Seite des Sängers von der Oper, an der Seite des Bürgers Parmentier, der sich dicht hinter dem Thronsessel hielt, stand der Begründer des Klubs der Cordeliers auf dem Altare, den er mitsamt seinen Gesinnungsgenossen der Vernunft und der Natur errichtet hatte.

Als die acht weißgekleideten Knaben, die den Thronsessel mit Louise Marteau trugen, diesen vor dem Gottestische niedersetzten an der Stelle, an der einst das Tabernakel mit dem Allerheiligsten Leibe des Erlösers gestanden hatte, als die Menge in die Knie sank und anbetend vor ihr im Staub verharrte, da ging es wie der Stich eines Dolches durch die Brust der Bürgerin Louise Marteau. Sie hatte gar nicht mehr das Gefühl der Scham, das sie aus dem langen Weg nach Saint Sulpice wegen ihrer so schnöde entblößten Nacktheit so furchtbar gequält hatte, so brennend war ihr Schmerz darüber, daß man es wagte, daß Silvain und sie selber es wagten, ihren besudelten und entehrten Leib an die Stelle des Leibes des Gekreuzigten zu setzen, und daß diese Menge vor ihrem Leibe auf den Knien lag.

Hinter ihr auf dem Altare, den Thronsessel bis in die Höhe des Kirchendomes weit überragend, flammte eine ungeheure Fackel. Das Licht der Philosophie, die nach den Worten Chaumettes fortab des Aberglaubens Dunkel strahlend durchleuchten sollte.

Jetzt empfing Chaumette aus den Händen zweier Knaben die goldenen Weihrauchbecken und zündete eigenhändig, sich vor der Bürgerin Louise Marteau in den Staub niederwerfend, das Opferfeuer seiner Göttin an. Die Worte seines Mundes gingen wie ein Pesthauch durch Saint Sulpice. Es waren Schmähreden, mit denen er sich an das gestürzte Bild der Gottesmutter wandte, das zerbrochenen Hauptes zu Füßen der neuen Gottheit auf den Stufen des geschändeten Altares lag.

Dann setzte der Chor wieder ein. Das Brausen des Orchesters, die Stimmen der Sänger gipfelten immer und immer wieder in dem einen, einzigen Worte:

»Vernunft ... Vernunft ... Vernunft ...« das Schluß und Inhalt aller Lieder bildete und das die Wogen der Musik in tausendfachem Echo hinauf in die Wölbung der Kirche trugen, die man einst dem Glauben und dem Unbegreiflichen geweiht hatte.

Die Musik schwieg.

Noch einmal ergriff Chaumette das Wort:

»Bürger,« sprach er. »Wir liegen im Staub vor der Schönheit, denn Schönheit ist Natur und Natur ist Vernunft! ... Die Tage des Tyrannen und die des Aberglaubens sind dahin. Wir beten das Weib an, denn in dem Weib sehen wir Schönheit und Natur, und Schönheit und Natur sind Gott! ... Schauet hierher auf den Altar der einen und unteilbaren Republik, berauscht euch an dem hehren Bilde, das der Wille des Vaterlandes als gemeinsames Gut vor die Blicke aller guten Bürger und aller Freunde der Freiheit gestellt hat. Schauet hierher, Bürger, und sinkt anbetend in den Staub!«

Die Bürgerin Louise Marteau schauderte.

Wie das Brausen des jüngsten Gerichts, wie der Donner der ewigen Verdammnis schlugen die Worte Chaumettes an ihr Ohr. Das Blut hämmerte wider ihre Schläfen, es kam ihr vor, als stocke ihr Herzschlag. Sie fühlte, wie ihr die Sinne zu schwinden drohten.

War das nicht die Hand Chaumettes, die sie da eben berührt hatte ... oder aber ... war es Silvains Hand?

Sie wußte es nicht.

Sollte das Ungeheure geschehen? War es mit diesem Opfer noch nicht genug? Ging man noch weiter in seiner Tollheit und war Silvain das blinde Werkzeug, der Fanatiker, der keine Grenze kannte, der Narr im Dienste Chaumettes?

Sie erblaßte. Man sah es ihr an, daß sie im nächsten Augenblick von dem Thronsessel heruntergleiten und an die Seite der verstümmelten Statue der Gottesmutter sinken würde.

Hatte die mehr als sie gelitten, da sie unter dem Kreuz des Heißgeliebten stand, mußte die Bürgerin Louise Marteau in diesem Augenblick denken. Hatte die Mater Dolorosa blutigere Tränen geweint als sie in dieser Stunde, da sie eine unkeusche Hand berührte und die hellblaue Chlamys, die ihre Blöße umwallte, zu lösen begann? Die Hand nestelte an der goldenen Agraffe, die die Chlamys auf ihrer nackten Schulter hielt. Wenn die Chlamys fiel, dann stand sie hüllenlos angesichts des ganzen Volkes auf dem entweihten Altare von Saint Sulpice.

Das war das einzige, was Louise Marteau in diesen Minuten zu denken vermochte.

Noch fand sie die Kraft, sich umzuwenden und sie wandte sich um. Da erkannte sie Silvain, da sah sie die Hand des Heißgeliebten, die sich nach der Agraffe ausstreckte, die sich anschickte, den Knoten zu lösen ... damit die Chlamys fiel.

Sie las den Fanatismus in seinen Augen, den diese von Chaumette vorgenommene feierliche Handlung in Saint Sulpice wieder ganz entfacht hatte, sie las in diesen Augen das furchtbare Wort:

»Jedes, auch das letzte Opfer ...!« das Silvain in diesen Wochen so oft in seinen Reden ausgesprochen hatte, und da wehrte sie ihm nicht mehr. Durch keinen flehenden Blick, durch keine bittende Gebärde! ...

Und die Chlamys fiel!

In dem durchsichtigen Chiton stand Louise Marteau jetzt nackt vor allem Volke auf dem entweihten Altare von Saint Sulpice und dieses Volk schrie aus mehr denn tausend Kehlen:

» Es lebe die Schönheit

Der brausende Ruf schwieg ... Wie ein Zittern lief es durch die Menge. Als habe sie der Blitz des Himmels selber gefällt, war die nackte Louise Marteau ohnmächtig zusammengebrochen. Ihr weißer Leib, den der eigene Geliebte im Dienste der Sache für das Vaterland geschändet, rollte von dem Thronsessel wie ein lebloser Stein und schlug neben der Statue der Mater Dolorosa nieder, der ruchlose Hände das Haupt vom Rumpf getrennt hatten.

Und hier blieb das auf dem Altare der Vernunft verblutete Opfer liegen und regte sich nicht.


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