Adalbert Stifter
Witiko
Adalbert Stifter

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Da der Morgen des nächsten Tages angebrochen, und Witiko in die große Stube gekommen war, standen viele Männer in derselben. Sie hatten das weite Kleid kurz geschürzt und gegürtet, hatten rauwollige Beinbekleidungen und grobe Stiefel, und auf den Häuptern dicke Filzhauben. Jeder hatte ein Schwert und eine Lanze, und viele trugen, wie es gelegentlich hervor schimmerte, Panzerhemden unter dem Überkleide. Rowno trug ein Panzerhemd und ein Schwert; aber er war noch nicht völlig bekleidet, namentlich war sein Haupt unbedeckt. Es wurde Bier zum Frühtrunke gereicht, und an einige Männer, die noch in die Stube kamen, wurden Waffen verteilt. Ludmila die Gattin Rownos war mit ihrem Knäblein Miš und mit ihrem Töchterlein Durantia in die Stube getreten, um die Männer und Witiko zu begrüßen. Sie war blaß und stille.

Rowno sagte zu Witiko: »Trink einen Frühtrunk, ehe du aufbrichst, und sage Ludmila einen Morgengruß.«

Witiko tat einen Trunk aus einem Krüglein, in welchem Bier war, und schritt dann zu Ludmila, und sagte: »Seid gegrüßt, edle Frau, und es seien auch Eure Kindlein gegrüßet, wir werden einen Zug in das Feld bekommen.«

»Der Beschluß der Männer wird geschehen«, sagte Ludmila, »und sie werden wahren, was ihnen gebührt.«

»Ich werde im Felde sein«, sagte Rowno, »Bustin wird den Turm besetzt halten, der Turm wird gut versehen sein, es werden sich in ihm die nötigen Männer befinden, und die Knaben, die da sind, mögen in dem Walde Kundschaft treiben, und wenn etwas geschieht, das euch Gefahr droht, sendet schnell, und ich werde zurückkehren.«

»Tue nach deinem Herzen, Rowno«, sagte Ludmila, »und Ihr Witiko seid gegrüßet, und habet Dank für den Gruß an die Kinder.«

Da ging bei diesen Worten die Tür der Stube auf, und die Jungfrau mit den schwarzen Haaren den schwarzen Augen den roten Wangen und den kirschroten Lippen, die das dunkelblaue Kleid mit dem veilchenblauen Gürtel angehabt hatte, da Witiko einmal als Gast in dem Turme war, Dimut die Schwester Rownos trat herein. Sie trug aber kein dunkelblaues Kleid mit irgend einem Gürtel, sondern an ihrer Brust glänzte ein helles Waffenhemd, das wohlgereinigt schimmerte, und mit kurzen weiten Ärmeln über das Kleid ihrer Arme ging. Das andere Kleid außer dem Panzerhemde war schwarz und weitfaltig. An den Füßen hatte sie schwarze Stiefel. Ihr Haupt war mit einer schwarzen dicken Filzhaube bedeckt. Sonst trug sie eine Waffe nicht. Sie ging an den Männern vorüber zu Ludmila, und sagte: »Sei gegrüßt, Schwester.«

Dann ging sie zu Rowno, und sagte: »Ich bringe dir den Morgengruß.«

Und dann sagte sie zu Witiko gewendet: »Ich grüße Euch auch, Witiko, Ihr geht gegen Mähren.«

»Ich gehe in den Krieg«, antwortete Witiko.

»Du hast dich auch gerüstet«, sprach Rowno zu ihr.

Dimut antwortete: »Ihr werdet alle, die ihr es könnt, in das Feld gehen, ihr werdet dort genau ergründen, wo das Recht ist, und werdet für das Recht mit eurem Leben streiten, und wenn es sein muß, euer Leben dafür lassen. Ich will tun, was ein Weib vermag, zu meinem Schutze soll wenigstens niemand benötigt sein. Das Rechte muß geschehen, wie es auf Erden und im Himmel gilt.«

»Du wirst immer klug handeln, meine Dimut«, sagte Rowno.

»So klug, wie es der Teil Klugheit verlangt«, entgegnete Dimut, »der mir geschenkt worden ist.«

Dann ging sie zu den bewaffneten Männern, und reichte ihnen die Hände.

»Ich muß jetzt fortgehen«, sagte Witiko.

»So gehe, und wir werden dich vielleicht noch erreichen«, entgegnete Rowno.

Witiko verabschiedete sich, verließ die Stube, suchte sein Pferd, und ritt über den Damm hinaus. Die Männer von Plan schlossen sich an, und gingen mit ihm. Als weit hinter Rownos Turm der Wald aus war, hörte der Schnee auf, und sie kamen am Abende in den Zupenort Daudleb. Dort kaufte Witiko für Raimund ein Pferd, besorgte noch manches für seinen Zug, und die Männer beschlossen, eine Zeit auf Kundschaft hier zu bleiben.

Als Witiko in den Zupenhof ging, war er verschlossen, es wurde ihm das Tor geöffnet, und er wurde, weil ihm der Torwart gesagt hatte, daß Lubomir fort sei, zu Boleslawa geführt, die mit Männern in dem Hause war. Witiko begrüßte sie, und sagte: »So ist Lubomir in seinem Alter fortgegangen?«

»Ja, er ist fortgegangen«, sagte Boleslawa. »Da es an der Zeit war, kam, wie es sich gebührt, unser Erstgeborner Moyslaw mit seinen Männern von seinem Hofe Chlum zu uns, dann kam unser Zweitgeborner Pustimir von seinem Felde und Walde in Dauby mit seinen Männern, dann kam auch der Drittgeborne Radosta mit seinen Männern von Trebin, es kamen die Gatten Marias Euphemias und Boleslawas mit ihren Männern, Lubomir hatte seine eigenen Leute versammelt, der demütige Priester dieses Hauses hat sich auch zu trösten und zu helfen beigesellt, und sie gingen alle zu Wladislaw dem Herzoge.«

»Zu Wladislaw dem Herzoge?« fragte Witiko.

»Zu Wladislaw dem Herzoge«, entgegnete sie. »Du bist auch auf dem Zuge, Witiko, sei eingedenk, das Rechte zu tun.«

»Gehabt Euch wohl, erhabne Frau«, antwortete Witiko, »ich will das Rechte tun, das ich erkenne.«

»So tue es«, sagte sie, »und sei in andern Zeiten wieder einmal hier unser Gast.«

»Ich werde um Einlaß bitten, wenn alles vorüber ist, und sich das Tor mir nicht verschließt«, sagte er.

Er verabschiedete sich, und wurde wieder ins Freie geführt.

Die Männer des Waldes blieben zwei Tage in Daudleb. Am dritten zogen sie fort, und hielten ihre Nachtruhe in Podhrad, wo Sümpfe und Einöden waren.

Am folgenden Tage gingen sie nach Austi in wohlbebautes Land. Da blieben sie wieder zu kundschaften fünf Tage. In den Häusern waren wenige Männer, und die Leute, welche da waren, blieben in den Stuben. Auf den Wegen waren Bewaffnete und allerlei Volk, das gegen Mitternacht zog. Ctibor, der sonst bei Austi auf einem Hofe wohnte, war mit seinen Männern zu dem Herzoge Wladislaw gegangen.

Als sie erfahren hatten, daß nach Mitternacht hin die Kriegsheere stehen müssen, zogen sie in dieser Richtung weiter. Es begegneten ihnen Leute, die ihr Vieh nach dem Mittage und gegen die Wälder trieben. Sie hielten die Nachtherberge an dem Hofe Nacehrad.

Am nächsten Tage begegnete ihnen sehr viel Volk. Es säumte meistens seine Güter auf Pferden oder Ochsen in fernere Gegenden, oder es trug, was ihm gehörte, auf dem eigenen Rücken. Da es Nachmittag geworden war, sahen sie in der Richtung von Abend her viele Menschen auf einem Wege kommen, der in den ihrigen ging, und sahen, daß sie ihnen den Weg verstellten. Es waren Männer, welche in hochgeschürzten Faltengewändern gingen, sie hatten schwere Stiefel an den Füßen, und auf den Häuptern hatten sie dicke Filzhauben, welche kaum die Augen sehen ließen, und dann mit einem Lappen über die Wangen und den Bart hinab gingen. Sie trugen Schwerter und Spieße. Wo die Wege sich vereinten, hielten sie an, sammelten sich auf dem Wege und dem Felde, und blickten auf Witiko und seine Schar. Sie wurden immer mehr. Dann kamen auch Reiter hinter ihnen, die Beinbekleidungen kürzere gegürtete Röcke und Filzhauben mit einer geraden Feder trugen, wie die Männer gekleidet waren, die den scharlachroten Prinzen begleitet hatten, ehe er Herzog geworden war. Einige hatten feine Gewänder andere gröbere und unscheinbarer an Farben. Sie trugen keine Lanzen aber alle hatten Schwerter, und viele trugen Schilde. Es waren mehrere sehr große und starke Männer unter ihnen. Sie sammelten sich ebenfalls neben den Fußgängern auf dem Felde. Endlich sprengte einer an den Reitern vorwärts, der eine graue Falkenfeder auf der schwarzen Haube und grüne Kleider hatte. Er ritt gegen Witiko und rief: »Was versperrst du hier den Weg, daß unsere Leute im Weiterziehen gehindert sind?«

»Ich versperre nicht deinen Weg«, rief Witiko entgegen, »siehst du nicht, daß unsere Richtung von Mittag nach Mitternacht geht, und daß ihr von Abend herein gekommen, und daß ihr es seid, die uns den Weg versperren.«

»Du hast deine Leute aufgestellt, daß sie uns betrachten«, rief der andere, »wir müssen uns also auch ordnen, daß wir gerüstet sind, wenn ihr uns etwas anhaben wollt, und das ist es, wodurch du uns hinderst.«

»Du erkennst wohl, daß wir die wenigen euch die so vielen nicht angreifen werden«, entgegnete Witiko, »wenn du uns aber anfällst, so werden wir unsern Körper verteidigen, so gut wir es können. Diese aber sind nicht meine Leute, ich weiß nicht, was sie in der Zukunft tun werden, jetzt sind sie nur neben mir gegangen, weil wir aus der nämlichen Heimat sind.«

Während dieses Rufens waren immer mehr Reiter gekommen, und hatten sich neben den grünen Mann gestellt. Jetzt kamen zwei Saumpferde, eines vorn und eines hinten, sie trugen eine offene Sänfte, und in derselben saß ein Mann in ein sehr weites braunes mit Pelzwerk verbrämtes Kleid gehüllt, und unter der schwarzen Haube drangen weiße Haare herab, und auf das braune Kleid floß ein sehr langer weißer Bart. Der Mann war sehr alt, und sein Haupt war nach vorwärts geneigt. Da er zu dem grünen Reiter gekommen war, hielt die Sänfte an, der grüne Reiter stellte sich neben sie, und sagte: »Hochehrwürdiger Großvater, dort steht der Bote, welchen der kranke Herzog Sobeslaw einmal in die Versammlung auf den Wyšehrad gesendet hat, er richtet seine Leute gegen uns, daß er uns etwa schädige.«

Der alte Mann hob sein Haupt empor, wendete sein Angesicht und seinen Körper gegen die Stelle, auf welcher Witiko stand, und sagte: »Sohn des Wok, ziehe deiner Wege, gehe zu Wladislaw dem Sohne Sobeslaws oder zu andern Feinden des Herzoges, wir werden dich dort bekämpfen, hier ist nicht Zeit, daß wir dich vertilgen. Rühre keinen der Männer an, die um mich sind.«

Dann wendete er sich an den grünen Reiter, und sprach »Dalimil, sage den Leuten, daß sie weiter ziehen, und eine Säumnis nicht mehr eintreten lassen.«

Der grüne Reiter ritt gegen die Fußgänger vorwärts, der alte Mann in der Sänfte aber nahm sein braunes Kleid fester an sich, und neigte sein Haupt wieder nach vorne, wie er es früher gehabt hatte.

Die Fußgänger und Reiter fingen an, sich wieder zu bewegen. Witiko aber rief: »Hochehrwürdiger Leche Bolemil, ich rühre keinen deiner Männer an, und wer weiß, ob unsere Wege nicht die gleichen sind.«

Bolemil antwortete nicht, sondern nickte nur mit dem Haupte.

Der Zug bewegte sich schneller, und die Pferde mit der Sänfte fingen zu gehen an. Hinter ihr kamen wieder Reiter. Witiko aber blieb stehen, bis alle vorüber waren, und man endlich auf dem fernen Wege kaum mehr einen der Männer erblicken konnte. Dann setzte er sich in Bewegung, und zog ihnen nach.

Er kam mit den Männern, die bei ihm waren, an dem Abende dieses Tages zu einem Hofe, der nicht weit von den Häusern stand, die den Namen Suchdol hatten. Sie beschlossen, da zu ruhen. In dem Hofe war kein Mensch, es waren die Türen und Tore eingeschlagen, es waren keine Vorräte da, kaum Futter für Witikos und Raimunds Pferd. Und als die Nacht gekommen war, erblickte man gegen Morgen die roten Scheine von entfernten Feuersbrünsten. Die Männer lagerten in dem Hofe, und aßen von den Nahrungsmitteln, welche sie in den Päcken mit sich geführt hatten. Als der Tag angebrochen war, sahen sie die Häuser von Suchdol deutlich; aber einige waren verbrannt, und andere zerstört. Von Suchdol gegen den Hof war ein Berg, beinahe gegen die Mittagseite gelegen, weit gedehnt und gestreckt, hie und da mit einigem Gebüsche und dann mit Wiesen und Feldern bedeckt. Er hieß Wysoka. Von ihm konnte man in entfernten Morgengegenden Rauchsäulen aufsteigen sehen, und in der Richtung zwischen Mitternacht und Abend sah man auch Rauch zu dem Himmel ziehen. Die Männer versammelten den Hof, stellten in ihm Wachen auf, und sandten mehrere fort, um Kundschaft einzuziehen. Die Kundschafter kamen zurück, und sagten, daß vier oder sechs Wegestunden weit zwischen Mitternacht und Abend der Herzog mit seinem Heere sei, daß er es sammle und ordne, und daß gegen Morgen hin eine Tagereise oder mehr entfernt die Lechen, welche sich zusammen getan hatten, lagern, und daß sie Zuzüge und Verstärkungen rufen. Der Leche Nacerat, der ein hoher Herr bei dem Herzoge Wladislaw gewesen sei, stehe an ihrer Spitze. Alle Häuser rings herum sind leer, viele sind verbrannt oder zerstört, die Menschen sind mit ihrem Vieh und ihrem Gute fortgezogen. Hie und da zeigen sich Bewaffnete, und manches Mal ein Mensch, der etwa ein Dieb oder ein anderer dieser Art sein kann.

Die Männer von Plan beschlossen, in dem Hofe zu bleiben, bis sie genauer erkundet hätten, was sich begebe. Sie gingen daran, das Gebäude besser zu befestigen.

Es waren indessen die milderen Tage des Lenzes gekommen, die Gesträuche, welche auf dem Berge Wysoka standen, bekamen grüne Blättchen, die Wiesen erhielten Gras, und die Wintersaaten sproßten. Die Felder, auf welchen die Sommersaaten stehen sollten, waren nicht bestellt worden.

Es war nun auch Rowno mit seiner Schar in die Gegend gekommen, und da die Männer von Plan streiften, trafen sie ihn, er ging mit ihnen samt den Seinen in den Hof, und vereinigte sich mit ihnen. Auf diese Art kam auch Osel mit seinen drei Knaben, Diet von Wettern, dann ein Mann, der an der Moldau in dem Hofe Attes wohnte, dann der von Hora, dann Wolf von Tusch und Wernhard von Ottau. Jeder hatte eine Schar mit sich. Es kamen dann auch die von Friedberg, von Horec, die Hlenici, und da sie Diet von Wettern und die aus dem Turme Rownos erfragten, gingen sie in den Hof, es kamen von denen, die im neuen Kirchenschlage reuteten, die vom schwarzen Bache, vom Wangetschlage, vom Eckschlage, vom Rathschlage, dann kamen, die an der Moldau hinab saßen, wo bei Friedberg gereutet wurde, dann die von den Häusern an dem Moldaufelsen, welcher der Rosenberg geheißen wurde, wo Witiko einmal mit Florian ein Mittagsmahl gehalten hatte, dann einige von den Hütten, die mittagwärts von der Waldblöße des heiligen Thomas lagen. Von dem Häuschen im Wangetschlage, das Witikos Stamme gehörte, kam der Knecht Jakob mit einem lahmen Pferde.

Sie versammelten sich alle bei dem Hofe, und versprachen, zusammen zu halten. Sie lebten von den Nahrungsmitteln, die sie mitgebracht hatten, und richteten zu ihrem Getränke wieder den Brunnen des Hofes zurecht. Zugleich begannen sie, um den Raum Gräben zu machen, und sich durch Pfahlwerke zu schützen.

Eines Tages kam eine Schar schöner Reiter gegen den Hof. An ihrer Spitze war ein Jüngling in himmelblauem Gewande mit einer weißen Feder auf dem Haupte. Er ritt näher, und betrachtete den Hof und die Befestigungen um ihn. Witiko bestieg sein Pferd, ein Tor der Pfähle wurde geöffnet, und er ritt von einer großen Schar Fußgänger begleitet hinaus. Da er zu dem Jünglinge gekommen war, rief er aus: »Wladislaw, der Sohn des Herzogs Sobeslaw!«

»Ja, ich bin es, den du genannt hast«, rief der Jüngling im blauen Kleide entgegen, »Witiko, der treue Freund meines Vaters, Witiko, den meine Mutter geehrt und beschenkt hat, wie freut sich mein Herz, daß ich dich sehe!«

Es kamen noch mehr Fußgänger aus dem Hause heraus, und alle stellten sich halbkreisartig hinter Witiko auf. Das gleiche taten die Reiter hinter Wladislaw.


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