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Wir schwiegen nach diesen Worten, und ich konnte Natalien jetzt erst ein wenig betrachten. Sie hatte ein mattes hellgraues Seidenkleid an, wie sie es überhaupt gerne trug. Das Kleid reichte, wie es bei ihr immer der Fall war, bis zum Halse und bis zu den Knöcheln der Hand. Von Schmuck hatte sie gar nichts an sich, nicht das Geringste, während ihr Körper doch so stimmend zu Edelsteinen gewesen wäre. Ohrgehänge, welche damals alle Frauen und Mädchen trugen, hatte weder Mathilde je, seit ich sie kannte, getragen, noch trug sie Natalie.
In unserem Schweigen sahen wir gleichsam wie durch Verabredung gegen das rieselnde Wasser.
Endlich sagte sie: »Wir haben von dem Angenehmen dieses Ortes gesprochen und sind von dem edlen Steine des Marmors auf die Edelsteine gekommen; aber eines Dinges wäre noch Erwähnung zu tun, das diesen Ort ganz besonders auszeichnet.«
»Welches Dinges?«
»Des Wassers. Nicht bloß, daß dieses Wasser vor vielen, die ich kenne, gut zur Erquickung gegen den Durst ist, so hat sein Spielen und sein Fließen gerade an dieser Stelle und durch diese Vorrichtungen etwas Besänftigendes und etwas Beachtungswertes.«
»Ich fühle wie ihr«, antwortete ich, »und wie oft habe ich dem schönen Glänzen und dem schattenden Dunkel dieses lebendigen flüchtigen Körpers an dieser Stelle zugesehen, eines Körpers, der wie die Luft wohl viel bewunderungswürdiger wäre als es die Menschen zu erkennen scheinen.«
»Ich halte auch das Wasser und die Luft für bewunderungswürdig«, entgegnete sie, »die Menschen achten nur so wenig auf Beides, weil sie überall von ihnen umgeben sind. Das Wasser erscheint mir als das bewegte Leben des Erdkörpers, wie die Luft sein ungeheurer Odem ist.«
»Wie richtig sprecht ihr«, sagte ich, »und es sind auch Menschen gewesen, die das Wasser sehr geachtet haben; wie hoch haben die Griechen ihr Meer gehalten, und wie riesenhafte Werke haben die Römer aufgeführt, um sich das Labsal eines guten Wassers zuzuleiten. Sie haben freilich nur auf den Körper Rücksicht genommen und haben nicht, wie die Griechen die Schönheit ihres Meeres betrachteten, die Schönheit des Wassers vor Augen gehabt; sondern sie haben sich nur dieses Kleinod der Gesundheit in bester Art verschaffen wollen. Und ist wohl etwas außer der Luft, das mit größerem Adel in unser Wesen eingeht als das Wasser? Soll nicht nur das reinste und edelste sich mit uns vereinigen? Sollte dies nicht gerade in den gesundheitverderbenden Städten sein, wo sie aber nur Vertiefungen machen und das Wasser trinken, das aus ihnen kömmt? Ich bin in den Bergen gewesen, in Tälern, in Ebenen, in der großen Stadt und habe in der Hitze, im Durste, in der Bewegung den kostbaren Kristall des Wassers und seine Unterschiede kennen gelernt. Wie erquickt der Quell in den Bergen und selbst in den Hügeln, vorzüglich wenn er am reinsten aus dem reinen Granit fließt, und, Natalie, wie schön ist außerdem der Quell!«
Hatte nun Natalie schon früher einen Durst empfunden und hatte derselbe ihr Gespräch auf das Wasser gelenkt, oder war durch das Gespräch ein leichter Durst in ihr hervorgerufen worden: sie stand nun auf, nahm die Alabasterschale in die Hand, ließ sie sich in dem sanften Strahle füllen, setzte sie an ihre schönen Lippen, trank einen Teil des Wassers, ließ das übrige in das tiefere Becken fließen, stellte die leere Schale an ihren Platz und setzte sich wieder zu mir auf die Bank.
Mir war das Herz ein wenig gedrückt, und ich sagte: »Wenn wir beide das Schöne dieses Ortes betrachtet und wenn wir von ihm und von andern Dingen, auf die er uns führte, gerne gesprochen haben, so ist doch etwas in ihm, was mir Schmerz erregt.«
»Was kann euch denn an diesem Orte Schmerz erregen?« fragte sie.
»Natalie«, antwortete ich, »es ist jetzt ein Jahr, daß ihr mich an dieser Halle absichtlich gemieden habt. Ihr saßet auf derselben Bank, auf welcher ihr jetzt sitzet, ich stand im Garten, ihr tratet heraus und ginget von mir mit beeiligten Schritten in das Gebüsch.«
Sie wendete ihr Angesicht gegen mich, sah mich mit den dunklen Augen an und sagte: »Dessen erinnert ihr euch, und das macht euch Schmerz?«
»Es macht mir jetzt im Rückblicke Schmerz und hat ihn mir damals gemacht«, antwortete ich.
»Ihr habt mich ja aber auch gemieden«, sagte sie.
»Ich hielt mich ferne, um nicht den Schein zu haben, als dränge ich mich zu euch«, entgegnete ich.
»War ich euch denn von einer Bedeutung?« fragte sie.
»Natalie«, antwortete ich, »ich habe eine Schwester, die ich im höchsten Maße liebe, ich habe viele Mädchen in unserer Stadt und in dem Lande kennen gelernt; aber keines, selbst nicht meine Schwester, achte ich so hoch wie euch, keines ist mir stets so gegenwärtig und erfüllt mein ganzes Wesen wie ihr.«
Bei diesen Worten traten die Tränen aus ihren Augen und flossen über ihre Wangen herab.
Ich erstaunte, ich blickte sie an und sagte: »Wenn diese schönen Tropfen sprechen, Natalie, sagen sie, daß ihr mir auch ein wenig gut seid?«
»Wie meinem Leben«, antwortete sie.
Ich erstaunte noch mehr und sprach: »Wie kann es denn sein, ich habe es nicht geglaubt.«
»Ich habe es auch von euch nicht geglaubt«, erwiderte sie.
»Ihr konntet es leicht wissen«, sagte ich. »Ihr seid so gut, so rein, so einfach. So seid ihr vor mir gewandelt, ihr waret mir begreiflich wie das Blau des Himmels, und eure Seele erschien mir so tief wie das Blau des Himmels tief ist. Ich habe euch mehrere Jahre gekannt, ihr waret stets bedeutend vor der herrlichen Gestalt eurer Mutter und der eures ehrwürdigen Freundes, ihr waret heute, wie ihr gestern gewesen waret und morgen wie heute, und so habe ich euch in meine Seele genommen zu denen, die ich dort liebe, zu Vater, Mutter, Schwester – nein, Natalie, noch tiefer, tiefer -«
Sie sah mich bei diesen Worten sehr freundlich an, ihre Tränen flossen noch häufiger, und sie reichte mir ihre Hand herüber.
Ich faßte ihre Hand, ich konnte nichts sagen und blickte sie nur an.
Nach mehreren Augenblicken ließ ich ihre Hand los und sagte: »Natalie, es ist mir nicht begreiflich, wie ist es denn möglich, daß ihr mir gut seid, mir, der gar nichts ist und nichts bedeutet?«
»Ihr wißt nicht, wer ihr seid«, antwortete sie. »Es ist gekommen, wie es kommen mußte. Wir haben viele Zeit in der Stadt zugebracht, wir sind oft den ganzen Winter in derselben gewesen, wir haben Reisen gemacht, haben verschiedene Länder und Städte gesehen, wir sind in London, Paris und Rom gewesen. Ich habe viele junge Männer kennen gelernt. Darunter sind wichtige und bedeutende gewesen. Ich habe gesehen, daß mancher Anteil an mir nahm; aber es hat mich eingeschüchtert, und wenn einer durch sprechende Blicke oder durch andere Merkmale es mir näher legte, so entstand eine Angst in mir, und ich mußte mich nur noch ferner halten. Wir gingen wieder in die Heimat zurück. Da kamet ihr eines Sommers in den Asperhof, und ich sah euch. Ihr kamet im nächsten Sommer wieder. Ihr waret ohne Anspruch, ich sah, wie ihr die Dinge dieser Erde liebtet, wie ihr ihnen nach ginget und wie ihr sie in eurer Wissenschaft hegtet – ich sah, wie ihr meine Mutter verehrtet, unsern Freund hochachtetet, den Knaben Gustav beinahe liebtet, von eurem Vater, eurer Mutter und eurer Schwester nur mit Ehrerbietung sprachet, und da – - da -«
»Da, Natalie?«
»Da liebte ich euch, weil ihr so einfach, so gut und doch so ernst seid.«
»Und ich liebte euch mehr, als ich je irgend ein Ding dieser Erde zu lieben vermochte.«
»Ich habe manchen Schmerz um euch empfunden, wenn ich in den Feldern herumging.«
»Ich habe es ja nicht gewußt, Natalie, und weil ich es nicht wußte, so mußte ich mein Inneres verbergen und gegen jedermann schweigen, gegen den Vater, gegen die Mutter, gegen die Schwester und sogar gegen mich. Ich bin fortgefahren, das zu tun, was ich für meine Pflicht erachtete, ich bin in die Berge gegangen, habe mir ihre Zusammensetzung aufgeschrieben, habe Gesteine gesammelt und Seen gemessen, ich bin auf den Rat eures Freundes einen Sommer beschäftigungslos in dem Asperhofe gewesen, bin dann wieder in die Wildnis gegangen und zu der Grenze des Eises emporgestiegen. Ich konnte nur eure Mutter, euren Freund und euren Bruder immer wärmer lieben: aber, Natalie, wenn ich auf den Höhen der Berge war, habe ich euer Bild in dem heitern Himmel gesehen, der über mir ausgespannt war, wenn ich auf die festen, starren Felsen blickte, so erblickte ich es auch in dem Dufte, der vor denselben webte, wenn ich auf die Länder der Menschen hinausschaute, so war es in der Stille, die über der Welt gelagert war, und wenn ich zu Hause in die Züge der Meinigen blickte, so schwebte es auch in denen.«
»Und nun hat sich alles recht gelöset.«
»Es hat sich wohl gelöset, meine liebe, liebe Natalie.«
»Mein teurer Freund!«
Wir reichten uns bei diesen Worten die Hände wieder und saßen schweigend da.
Wie hatte seit einigen Augenblicken alles sich um mich verändert, und wie hatten die Dinge eine Gestalt gewonnen, die ihnen sonst nicht eigen war. Nataliens Augen, in welche ich schauen konnte, standen in einem Schimmer, wie ich sie nie, seit ich sie kenne, gesehen hatte. Das unermüdlich fließende Wasser, die Alabasterschale, der Marmor waren verjüngt; die weißen Flimmer auf der Gestalt und die wunderbar im Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüssigkeit rann, plätscherte oder pippte oder tönte im einzelnen Falle anders; das sonnenglänzende Grün von draußen sah als ein neues freundlich herein, und selbst das Hämmern, mit welchem man die Tünche von den Mauern des Hauses herabschlug, tönte jetzt als ein ganz verschiedenes in die Grotte von dem, das ich gehört hatte, als ich aus dem Hause gegangen war.
Nach einer geraumen Weile sagte Natalie: »Und von dem Abende im Hoftheater habt ihr auch nie etwas gesprochen.«
»Von welchem Abende, Natalie?«
»Als König Lear aufgeführt wurde.«
»Ihr seid doch nicht das Mädchen in der Loge gewesen?«
»Ich bin es gewesen.«
»Nein, ihr seid so blühend wie eine Rose, und jenes Mädchen war blaß wie eine weiße Lilie.«
»Es mußte mich der Schmerz entfärbt haben. Ich war kindisch, und es hat mir damals wohlgetan, in euren Augen allein unter allen denen, die die Loge umgaben, ein Mitgefühl mit meiner Empfindung zu lesen. Diese Empfindung wurde durch euer Mitgefühl zwar noch stärker, so daß sie beinahe zu mächtig wurde; aber es war gut. Ich habe nie einer Vorstellung beigewohnt, die so ergreifend gewesen wäre. Ich sah es als einen günstigen Zufall an, daß mir eure Augen, die bei dem Leiden des alten Königs übergeflossen waren, bei dem Fortgehen aus dem Schauspielhause so nahe kamen. Ich glaubte ihnen mit meinen Blicken dafür danken zu müssen, daß sie mir beigestimmt hatten, wo ich sonst vereinsamt gewesen wäre. Habt ihr das nicht erkannt?«
»Ich habe es erkannt und habe gedacht, daß der Blick des Mädchens wohlwollend sei, und daß er ein Einverständnis über unsere gemeinschaftliche Empfindung bei der Vorstellung bedeuten könne.«
»Und ihr habt mich also nicht wieder erkannt?«
»Nein, Natalie.«
»Ich habe euch gleich erkannt, als ich euch in dem Asperhofe sah.«
»Es ist mir lieb, daß es eure Augen gewesen sind, die mir den Dank gesagt haben; der Dank ist tief in mein Gemüt gedrungen. Aber wie konnte es auch anders sein, da eure Augen das Liebste und Holdeste sind, was für mich die Erde hat.«
»Ich habe euch schon damals in meinem Herzen höher gestellt als die andern, obwohl ihr ein Fremder waret und obwohl ich denken konnte, daß ihr mir in meinem ganzen Leben fremd bleiben werdet.«
»Natalie, was mir heute begegnet ist, bildet eine Wendung in meinem Leben, und ein so tiefes Ereignis, daß ich es kaum denken kann. Ich muß suchen, alles zurecht zu legen und mich an den Gedanken der Zukunft zu gewöhnen.«
»Es ist ein Glück, das uns ohne Verdienst vom Himmel gefallen, weil es größer ist als jedes Verdienst.«
»Drum lasset uns es dankbar aufnehmen.«
»Und ewig bewahren.«
»Wie war es gut, Natalie, daß ich die Worte Homers, die ich heute nachmittag las, nicht in mein Herz aufnehmen konnte, daß ich das Buch weglegte, in den Garten ging und daß das Schicksal meine Schritte zu dem Marmor des Brunnens lenkte.«
»Wenn unsere Wesen zu einander neigten, obgleich wir es nicht gegenseitig wußten, so würden sie sich doch zugeführt worden sein, wann und wo es immer geschehen wäre, das weiß ich nun mit Sicherheit.«
»Aber sagt, warum habt ihr mich denn gemieden, Natalie?«
»Ich habe euch nicht gemieden, ich konnte mit euch nicht sprechen, wie es mir in meinem Innern war, und ich konnte auch nicht so sein, als ob ihr ein Fremder wäret. Doch war mir eure Gegenwart sehr lieb. Aber warum habt denn auch ihr euch ferne von mir gehalten?«
»Mir war wie euch. Da ihr so weit von mir waret, konnte ich mich nicht nahen. Eure Gegenwart verherrlichte mir Alles, was uns umgab, aber das dunkle künftige Glück schien mir unerreichbar.«
»Nun ist doch erfüllet, was sich vorbereitete.«
»Ja, es ist erfüllt.«
Nach einem kleinen Schweigen fuhr ich fort: »Ihr habt gesagt, Natalie, daß wir das Glück, das uns vom Himmel gefallen ist, ewig aufbewahren sollen. Wir sollen es auch ewig aufbewahren. Schließen wir den Bund, daß wir uns lieben wollen, so lange das Leben währt, und daß wir treu sein wollen, was auch immer komme und was die Zukunft bringe, ob es uns aufbewahrt ist, daß wir in Vereinigung die Sonne und den Himmel genießen, oder ob jedes allein zu beiden emporblickt und nur des andern mit Schmerzen gedenken kann.«
»Ja, mein Freund, Liebe, unveränderliche Liebe, so lange das Leben währt, und Treue, was auch die Zukunft von Gunst oder Ungunst bringen mag.«
»O Natalie, wie wallt mein Herz in Freude! Ich habe es nicht geahnt, daß es so entzückend ist, euch zu besitzen, die mir unerreichbar schien.«
»Ich habe auch nicht gedacht, daß ihr euer Herz von den großen Dingen, denen ihr ergeben waret, wegkehren und mir zuwenden werdet.«
»O meine geliebte, meine teure, ewig mir gehörende Natalie!«
»Mein einziger, mein unvergeßlicher Freund!«
Ich war von Empfindung überwältigt, ich zog sie näher an mich und neigte mein Angesicht zu ihrem. Sie wendete ihr Haupt herüber und gab mit Güte ihre schönen Lippen meinem Munde, um den Kuß zu empfangen, den ich bot.
»Ewig für dich allein«, sagte ich.
»Ewig für dich allein«, sagte sie leise.
Schon als ich die süßen Lippen an meinen fühlte, war mir, als sei ein Zittern in ihr und als fließen ihre Tränen wieder.
Da ich mein Haupt wegwendete und in ihr Angesicht schaute, sah ich die Tränen in ihren Augen.
Ich fühlte die Tropfen auch in den meinen hervorquellen, die ich nicht mehr zurückhalten konnte. Ich zog Natalien wieder näher an mich, legte ihr Angesicht an meine Brust, neigte meine Wange auf ihre schönen Haare, legte die eine Hand auf ihr Haupt und hielt sie so sanft umfaßt und an mein Herz gedrückt. Sie regte sich nicht, und ich fühlte ihr Weinen. Da diese Stellung sich wieder löste, da sie mir in das Angesicht schaute, drückte ich noch einmal einen heißen Kuß auf ihre Lippen zum Zeichen der ewigen Vereinigung und der unbegrenzten Liebe. Sie schlang auch ihre Arme um meinen Hals und erwiderte den Kuß zu gleichem Zeichen der Einheit und der Liebe. Mir war in diesem Augenblicke, daß Natalie nun meiner Treue und Güte hingegeben, daß sie ein Leben eins mit meinem Leben sei. Ich schwor mir, mit allem, was groß, gut, schön und stark in mir ist, zu streben, ihre Zukunft zu schmücken und sie so glücklich zu machen, als es nur in meiner Macht ist und erreicht werden kann.
Wir saßen nun schweigend neben einander, wir konnten nicht sprechen und drückten uns nur die Hände als Bestätigung des geschloßnen Bundes und des innigsten Verständnisses.
Da eine Zeit vergangen war, sagte endlich Natalie: »Mein Freund, wir haben uns der Fortdauer und der Unaufhörlichkeit unserer Neigung versichert, und diese Neigung wird auch dauern; aber was nun geschehen und wie sich alles Andere gestalten wird, das hängt von unsern Angehörigen ab, von meiner Mutter, und von euren Eltern.«
»Sie werden unser Glück mit Wohlwollen ansehen.«
»Ich hoffe es auch; aber wenn ich das vollste Recht hätte, meine Handlungen selber zu bestimmen, so würde ich nie auch nicht ein Teilchen meines Lebens so einrichten, daß es meiner Mutter nicht gefiele; es wäre kein Glück für mich. Ich werde so handeln, so lange wir beisammen auf der Erde sind. Ihr tut wohl auch so?«
»Ich tue es; weil ich meine Eltern liebe und weil mir eine Freude nur als solche gilt, wenn sie auch die ihre ist.«
»Und noch jemand muß gefragt werden.«
»Wer?«
»Unser edler Freund. Er ist so gut, so weise, so uneigennützig. Er hat unserm Leben einen Halt gegeben, als wir ratlos waren, er ist uns beigestanden, als wir es bedurften, und jetzt ist er der zweite Vater Gustavs geworden.«
»Ja, Natalie, er soll und muß gefragt werden; aber sprecht, wenn eins von diesen nein sagt?«
»Wenn eines nein sagt, und wir es nicht überzeugen können, so wird es Recht haben, und wir werden uns dann lieben, so lange wir leben, wir werden einander treu sein in dieser und jener Welt; aber wir dürften uns dann nicht mehr sehen.«
»Wenn wir ihnen die Entscheidung über uns anheim gegeben haben, so müßte es wohl so sein; aber es wird gewiß nicht, gewiß nicht geschehen.«
»Ich glaube mit Zuversicht, daß es nicht geschehen wird.«
»Mein Vater wird sich freuen, wenn ich ihm sage, wie ihr seid, er wird euch lieben, wenn er euch sieht, die Mutter wird euch eine zweite Mutter sein und Klotilde wird sich euch mit ganzer Seele zuwenden.«
»Ich verehre eure Eltern und liebe Klotilde schon so lange, als ich euch von ihnen reden und erzählen hörte. Mit meiner Mutter werde ich noch heute sprechen, ich könnte die Nacht nicht über das Geheimnis heraufgehen lassen. Wenn ihr zu euren Eltern reiset, sagt ihnen, was geschehen ist, und sendet bald Nachricht hieher.«
»Ja, Natalie.«
»Geht ihr von hier wieder in die Berge?«
»Ich wollte es; nun aber hat sich Wichtigeres ereignet, und ich muß gleich zu meinen Eltern. Nur auf Kurzes will ich, so schnell es geht, in meinen jetzigen Standort reisen, um die Arbeiten abzubestellen, die Leute zu entlassen und Alles in Ordnung zu bringen.«
»Das muß wohl so sein.«
»Die Antwort meiner Eltern bringt dann nicht eine Nachricht, sondern ich selber.«
»Das ist noch erfreulicher. Mit unserm Freunde wird wohl hier geredet werden.«
»Natalie, dann habt ihr eine Schwester an Klotilden und ich einen Bruder an Gustav.«
»Ihr habt ihn ja immer sehr geliebt. Alles ist so schön, daß es fast zu schön ist.«
Dann sprachen wir von der Zurückkunft der Männer, was sie sagen würden und wie unser Gastfreund die schnelle Wendung der Dinge aufnehmen werde.
Zuletzt, als die Gemüter zu einer sanfteren Ruhe zurückgekehrt waren, erhoben wir uns, um in das Haus zu gehen. Ich bot Natalien meinen Arm, den sie annahm. Ich führte sie der Eppichwand entlang, ich führte sie durch einen schönen Gang des Gartens, und wir gelangten dann in offnere, freie Stellen, in denen wir eine Umsicht hatten.
Als wir da eine Strecke vorwärts gekommen waren, sahen wir Mathilden außerhalb des Gartens gegen den Meierhof gehen. Das Pförtchen, welches von dem Garten gegen den Meierhof führt, war in der Nähe und stand offen.
»Ich werde meiner Mutter folgen und werde gleich jetzt mit ihr sprechen«, sagte Natalie.
»Wenn ihr es für gut haltet, so tut es«, erwiderte ich.
»Ja, ich tue es, mein Freund. Lebt wohl.«
»Lebt wohl.«
Sie zog ihren Arm aus dem meinigen, wir reichten uns die Hände, drückten sie uns, und Natalie schlug den Weg zu dem Pförtchen ein.
Ich sah ihr nach, sie blickte noch einmal gegen mich um, ging dann durch das Pförtchen, und das graue Seidenkleid verschwand unter den grünen Hecken des Grundes.
Ich ging in das Haus und begab mich in meine Wohnung.
Da lag das Buch, in welchem die Worte Homers waren, die heute die Gewalt über mein Herz verloren hatten – es lag, wie ich es auf den Tisch gelegt hatte. Was war indessen geschehen! Die schönste Jungfrau dieser Erde hatte ich an mein Herz gedrückt. Aber was will das sagen? Das edelste, wärmste, herrlichste Gemüt ist mein, es ist mir in Liebe und Neigung zugetan. Wie habe ich das verdient, wie kann ich es verdienen?!
Ich setzte mich nieder und sah gegen die Ruhe der heitern Luft hinaus.
Ich verließ an diesem Tage gar nicht mehr das Haus. Gegen Abend ging ich in den Gang, der im Norden des Hauses hinläuft, und sah auf den Garten hinaus. Auf einer freien Stelle, in welcher ein weißer Pfad durch Wiesengrün hingeht, sah ich Mathilden mit Natalien wandeln.
Ich ging wieder in mein Zimmer zurück.
Als es dunkelte, wurde ich zu dem Abendessen gerufen.
Da Mathilde und Natalie in den Speisesaal getreten waren, lud mich Mathilde mit einem sanften Lächeln und mit der Freundlichkeit, die ihr immer eigen war, ein, an ihrer Seite Platz zu nehmen.