Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Nach der Besichtigung der Zimmer gingen wir in das Freie. Die breite Haupttreppe aus rotem Marmor führte in den Hof hinab. Derselbe zeigte, wie groß das Gebäude sei. Er war von vier ganz gleichen, langen Flügeln umschlossen. In seiner Mitte war ein Becken von grauem Marmor, in welches sich aus einer Verschlingung von Wassergöttinnen vier Strahlen ergossen. Um das Becken standen vier Ahorne, welche gewiß nicht kleiner waren als die, welche den Schloßhügel säumten. Auf dem Sandplatze unter den Ahornen waren Ruhebänke, ebenfalls aus grauem Marmor. Von diesem Sandplatze liefen Sandwege wie Strahlen auseinander. Der übrige Raum war gleichförmiger Rasen, nur daß an den Mauern des Hauses eine Pflasterung von glatten Steinen herum führte.

Von dem Hofe gingen wir bei dem großen Tore hinaus. Ich wendete mich, da wir draußen waren, unwillkürlich um, um das Gebäude zu betrachten. Über dem Tore war ein ziemlich umfangreiches steinernes Schild mit sieben Sternen. Sonst sah ich nichts, als was ich bei meinem Morgenausblicke aus dem Fenster schon gesehen hatte. Wir gingen auf einem Sandwege des grünen Rasens, wir umgingen das Haus und gelangten hinter demselben in den Garten. Hier sah ich, was ich mir schon früher gedacht hatte, daß das Gebäude, welches man wohl ein Schloß nennen mußte, nur aus den vier großen Flügeln bestehe, welche ein vollkommenes Viereck bildeten. Die Wirtschaftsgebäude standen ziemlich weit entfernt in dem Tale.

Der Garten begann mit Blumen, Obst und Gemüse, zeigte aber, daß er in der Entfernung mit etwas endigen müsse, das wie ein Laubwald aussah. Alles war rein und schön gehalten. Der Garten war auch hier mit gefiederten Bewohnern bevölkert, und man hatte ähnliche Vorrichtungen wie im Asperhofe. Die Bäume standen daher auch vortrefflich und gesund. Rosen zeigten sich ebenfalls viele, nur nicht in so besonderen Gruppierungen wie bei meinem Gastfreunde. Die Gewächshäuser des Gartens waren ausgedehnt und weit größer und sorgfältiger gepflegt als auf dem Asperhofe. Der Gärtner, ein junger und, wie es schien, unterrichteter Mann, empfing uns mit Höflichkeit und Ehrfurcht am Eingange derselben. Er zeigte mir mit mehr Genauigkeit seine Schätze, als ich mit der Rücksicht auf meine Begleiter, denen nichts neu war, für vereinbarlich hielt. Es waren viele Pflanzen aus fremden Weltteilen da, sowohl im warmen als im kalten Hause. Besonders erfreut war er über seine reiche Sammlung von Ananas, die einen eigenen Platz in einem Gewächshause einnahmen.

Nicht weit hinter dem Gewächshause stand eine Gruppe von Linden, welche beinahe so schön und so groß waren wie die in dem Garten des Asperhofes. Auch war der Sand unter ihrem Schattendache so rein gefegt, und um die Ähnlichkeit zu vollenden, liefen auf demselben Finken, Ammern, Schwarzkehlchen und andere Vögel so traulich hin, wie auf dem Sande des Rosenhauses. Daß Bänke unter den Linden standen, ist natürlich. Die Linde ist der Baum der Wohnlichkeit. Wo wäre eine Linde in deutschen Landen – und gewiß ist es in andern auch so – unter der nicht eine Bank stände oder auf der nicht ein Bild hinge oder neben welcher sich nicht eine Kapelle befände. Die Schönheit ihres Baues, das Überdach ihres Schattens und das gesellige Summen des Lebens in ihren Zweigen ladet dazu ein. Wir gingen in den Schatten der Linden.

»Das ist eigentlich der schönste Platz in dem Sternenhofe«, sagte Mathilde, »und jeder, der den Garten besucht, muß hier ein wenig ruhen, daher sollt ihr auch so tun.«

Mit diesen Worten wies sie auf die Bänke, die fast in einem Bogen unter den Stämmen der Linden standen und hinter denen sich eine Wand grünen Gebüsches aufbaute. Wir setzten uns nieder. Das Summen, wie es jedes Mal in diesen Bäumen ist, war gleichmäßig über unserm Haupte, das stumme Laufen der Vögel über den reinen Sand war vor unsern Augen und ihr gelegentlicher Aufflug in die Bäume tönte leicht in unsere Ohren.

Nach einiger Zeit bemerkte ich, daß auch mit Unterbrechungen ein leises Rauschen hörbar sei, gleichsam als würde es jetzt von einem leichten Lüftchen hergetragen, jetzt nicht. Ich äußerte mich darüber.

»Ihr habt recht gehört«, sagte Mathilde, »wir werden die Sache gleich sehen.«

Wir erhoben uns und gingen auf einem schmalen Sandpfade durch die Gebüsche, die sich in geringer Entfernung hinter den Linden befanden. Als wir etwa vierzig oder fünfzig Schritte gegangen waren, öffnete sich das Dickicht und ein freier Platz empfing uns, der rückwärts mit dichtem Grün geschlossen war. Das Grün bestand aus Epheu, welcher eine Mauer von großen Steinen bekleidete, die an ihren beiden Enden riesenhafte Eichen hatte. In der Mitte der Mauer war eine große Öffnung, oben mit einem Bogen begrenzt, gleichsam wie eine große Nische oder wie eine Tempelwölbung. Im Innern dieser Wölbung, die gleichfalls mit Eppich überzogen war, ruhte eine Gestalt von schneeweißem Marmor – ich habe nie ein so schimmerndes und fast durchsichtiges Weiß des Marmors gesehen, das noch besonders merkwürdig wurde durch das umgebende Grün. Die Gestalt war die eines Mädchens, aber weit über die gewöhnliche Lebensgröße, was aber in der Epheuwand und neben den großen Eichen nicht auffiel. Sie stützte das Haupt mit der einen Hand, den anderen Arm hatte sie um ein Gefäß geschlungen, aus welchem Wasser in ein vor ihr befindliches Becken rann. Aus dem Becken fiel das Wasser in eine in den Sand gemauerte Vertiefung, von welcher es als kleines Bächlein in das Gebüsch lief.

Wir standen eine Weile, betrachteten die Gestalt und redeten über sie. Eustach und ich kosteten auch mittelst einer alabasternen Schale, die in einer Vertiefung des Epheus stand, von dem frischen Wasser, welches sich aus dem Gefäße ergoß.

 

Hierauf gingen wir hinter der Eppichwand über eine Steintreppe empor und erstiegen einen kleinen Hügel, auf welchem sich wieder Sitze befanden, die von verschiedenen Gebüschen beschattet waren. Gegen das Haus zu aber gewährten sie die Aussicht. Wir mußten uns hier wieder ein wenig setzen. Zwischen den Eichen, gleichsam wie in einem grünen, knorrigen Rahmen erschien das Haus. Mit seinem hohen, steilen Dache von altertümlichen Ziegeln und mit seinen breiten und hochgeführten Rauchfängen glich es einer Burg, zwar nicht einer Burg aus den Ritterzeiten, aber doch aus den Jahren, in denen man noch den Harnisch trug, aber schon die weichen Locken der Perücke auf ihn herabfallen ließ. Die Schwere einer solchen Erscheinung sprach sich auch in dem ganzen Bauwerke aus. Zu beiden Seiten des Schlosses sah man die Landschaft und hinten das liebliche Blau der Gebirge. Die dunkeln Gestalten der Linden, unter denen wir gesessen waren, befanden sich weiter links und störten die Aussicht nicht.

»Man hat sehr mit Unrecht in neuerer Zeit die Mauern dieses Schlosses mit der weißgrauen Tünche überzogen«, sagte mein Gastfreund, »wahrscheinlich um es freundlicher zu machen, welche Absicht man sehr gerne zu Ende des vorigen Jahrhunderts an den Tag legte. Wenn man die großen Steine, aus denen die Hauptmauern errichtet sind, nicht bestrichen hätte, so würde das natürliche Grau derselben mit dem Rostbraun des Daches und dem Grün der Bäume einen sehr zusammenstimmenden Eindruck gemacht haben. Jetzt aber steht das Schloß da wie eine alte Frau, die weiß gekleidet ist. Ich würde den Versuch machen, wenn das Schloß mein Eigentum wäre, ob man nicht mit Wasser und Bürsten und zuletzt auf trockenem Wege mit einem feinen Meißel die Tünche beseitigen könnte. Alle Jahre eine mäßige Summe darauf verwendet, würde jährlich die Aussicht, des widrigen Anblickes erledigt zu werden, angenehm vermehren.«

»Wir können ja den Versuch nahe an der Erde machen und aus der Arbeit einen ungefähren Kostenanschlag verfertigen«, sagte Mathilde; »denn ich gestehe gerne zu, daß mich auch der Anblick dieser Farbe nicht erfreut, besonders, da die Außenseite der Mauern ganz von Steinen ist, die mit feinen Fugen an einander stoßen, und man also bei Erbauung des Hauses auf keine andere Farbe als die der Steine gerechnet hat. Jetzt ist das Schloß von Innen viel natürlicher und, wenn auch nicht an eine Kunstzeit erinnernd, doch in seiner Art zusammenstimmender als von Außen.«

»Das Grau der Mauer mit den grauen Steinsimsen der Fenster, die nicht ungeschickt gegliedert sind, mit der Höhe und Breite der Fenster, deren Verhältnis zu den festen Zwischenräumen ein richtiges ist, würde, glaube ich, dem Hause ein schöneres Ansehen geben, als man jetzt ahnt«, sagte Eustach.

Mir fielen bei dieser Äußerung die Worte ein, welche mein Gastfreund einmal zu mir gesagt hatte, daß alte Geräte in neuen Häusern nicht gut stehen. Ich erinnerte mich, daß in dem Saale und in den alt eingerichteten Gemächern dieses Schlosses die hohen Fenster, die breiten Räume zwischen ihnen und die eigentümlich gestalteten Zimmerdecken den Geräten sehr zum Vorteile gereichten, was in Zimmern der neuen Art gewiß nicht der Fall gewesen wäre.

 

Als wir so sprachen, kamen Natalie und Gustav, die bei der Nymphe des Brunnens zurückgeblieben waren, die Steintreppe zu uns empor. Die Angesichter waren sanft gerötet, die dunkeln Augen blickten heiter in das Freie, und die beiden jugendlichen Gestalten stellten sich mit einer anmutigen Bewegung hinter uns.

Von diesem Hügel der Eichenaussicht gingen wir weiter in den Garten zurück und gelangten endlich in das Gemisch von Ahornen, Buchen, Eichen, Tannen und anderen Bäumen, welches wie ein Wäldchen den Garten schloß. Wir gingen in den Schatten ein, und die Freudenäußerungen und das Geschmetter der Vögel war kaum irgendwo größer als hier. Wir besuchten Stellen, wo man der Natur nachgeholfen hatte, um diese Abteilung noch angenehmer zu machen, und Gustav zeigte mir Bänke, Tischchen und andere Plätze, wo er mit Natalien gesessen war, wo sie gelernt, wo sie als Kinder gespielt hatten. Wir gingen an den wunderbar von Licht und Schatten gesprenkelten Stämmen dahin, wir gingen über die dunkeln und die leuchtenden Stellen der Sandwege, wir gingen an reichen grünenden Büschen, an Ruhebänken und sogar an einer Quelle vorbei und kamen durch Wendungen, die ich nicht bemerkt hatte, an einer Stelle wieder in den freien Garten zurück, die an der entgegengesetzten Seite von der lag, bei welcher wir das Wäldchen betreten hatten.

Wir ließen jetzt die zwei großen Eichen links, ebenso die Linden und gingen auf einem anderen Wege in das Schloß zurück.

Das Mittagessen wurde an dem äußerst schönen Grün des Hügels unmittelbar vor dem Hause unter einem Dache von Linnen eingenommen.

Am Nachmittage besprachen sich Mathilde und Eustach vorläufig über das, was in Hinsicht der Beschädigungen geschehen könnte, welche die neuen Geräte in den Südzimmern sowie die Fußböden und zum Teile auch die alten Geräte in den Westzimmern in der Zeit erlitten hatten. Gegen Abend wurden der Meierhof und die Wirtschaftsgebäude besucht.

So wie Mathilde in dem Rosenhause um den weiblichen Anteil des Hauswesens sich bekümmert, alles, was dahin einschlug, besehen und Anleitungen zu Verbesserungen gegeben hatte: so tat es mein Gastfreund in dem Sternenhofe mit allem, was auf die äußere Verwaltung des Besitzes Bezug hatte, worin er mehr Erfahrung zu haben schien als Mathilde. Er ging in alle Räume, besah die Tiere und ihre Verpflegung und besah die Anstalten zur Bewahrung oder Umgestaltung der Wirtschaftserzeugnisse. War mir dieses Verhältnis schon in dem Rosenhause ersichtlich gewesen, so war es hier noch mehr der Fall. In den Handlungen meines Gastfreundes und in dem kleinen Teile, den ich von seinen Gesprächen mit Mathilde über häusliche Dinge hörte, zeigte er sich als ein Mann, der mit der Bewirtschaftung eines großen Besitzes vertraut ist und die Pflichten, die ihm in dieser Hinsicht zufallen, mit Eifer, mit Umsicht und mit einem Blicke über das Ganze erfüllt, ohne eben deshalb die Grenzen zu berühren, innerhalb welcher die Geschäfte einer Frau liegen. Das geschah so natürlich, als müßte es so sein und als wäre es nicht anders möglich.

Von dem Meierhofe gingen wir in die Wiesen und auf die Felder, welche zu der Besitzung gehörten. Wir gingen endlich über die Grenzen des Besitztumes hinaus, gingen über den Boden anderer Menschen, die wir zum Teile arbeitend auf den Feldern trafen und mit denen wir redeten. Wir gelangten endlich auf eine Anhöhe, die eine große Umsicht gewährte. Wir blieben hier stehen. Das erste, auf das wir blickten, war das Schloß mit seinem grünen Hügel und im Schoße seiner umgürtenden Ahorne und des begrenzenden Gartenwaldes. Dann gingen wir auf andere Punkte über.

Man zeigte und nannte mir die einzelnen Häuser, die zerstreut in der Landschaft lagen und durch die Linien von Obstbäumen, die hier überall durch das Land gingen, wie durch grüne Ketten zusammenhingen. Dann kam man auf die entfernteren Ortschaften, deren Türme hier zu erblicken waren. In diesem Stoffe konnte ich schon mehr mitreden, da mir die meisten Orte bekannt waren. Als wir aber mit unsern Augen in die Gebirge gelangten, war ich fast der Bewandertste. Ich geriet nach und nach in das Reden, da man mich um verschiedene Punkte fragte, und sah, daß ich Antwort zu geben wußte. Ich nannte die Berge, deren Spitzen erkennbar hervortraten, ich nannte auch Teile von ihnen, ich bezeichnete die Täler, deren Windungen zu verfolgen waren, zeigte die Schneefelder, bemerkte die Einsattlungen, durch welche Berge oder ganze Gebirgszüge zusammenhingen oder getrennt waren, und suchte die Richtungen zu verdeutlichen, in denen bekannte Gebirgsortschaften lagen oder bekannte Menschenstämme wohnten. Natalie stand neben mir, hörte sehr aufmerksam zu und fragte sogar um Einiges.

Als die Sonne untergegangen war und die sanfte Glut von den Gipfeln der Hochgebirge sich verlor, gingen wir in das Schloß zurück.

Das Abendessen wurde in dem Speisezimmer eingenommen.

So brachten wir mehrere Tage in freundlichem Umgange und in heiteren, mitunter belehrenden Gesprächen hin.

Endlich rüsteten wir uns zur Abreise. Am frühesten Morgen war der Wagen bespannt. Mathilde und Natalie waren aufgestanden, um uns Lebewohl zu sagen. Mein Gastfreund nahm Abschied von Mathilde und Natalie, Eustach und Gustav verabschiedeten sich, und ich glaubte auch einige Worte des Dankes für die gütige Aufnahme an Mathilde richten zu müssen. Sie gab eine freundliche Antwort und lud mich ein, bald wieder zu kommen. Selbst zu Natalie sagte ich ein Wort des Abschiedes, das sie leise erwiderte.

Wie sie so vor mir stand, begriff ich wieder, wie ich bei ihrem ersten Anblicke auf den Gedanken gekommen war, daß der Mensch doch der höchste Gegenstand für die Zeichnungskunst sei, so süß gehen ihre reinen Augen und so lieb und hold gehen ihre Züge in die Seele des Betrachters.

Wir stiegen in den Wagen, fuhren den grünen Rasenhügel hinab, wendeten unsern Weg gegen Norden und kamen spät in der Nacht im Rosenhause an.

Mein Bleiben war nun in diesem Hause nicht mehr lange; denn ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Ich packte meine Sachen ein, bezeichnete die Kisten und Koffer, welchen Weg sie zu nehmen hätten, besuchte alle, von denen ich glaubte, Abschied nehmen zu müssen, dankte meinem Gastfreunde für alle Güte und Freundlichkeit, leistete das Versprechen, wieder zu kommen, und wanderte eines Tages über den Rosenhügel hinunter. Da es zu einer Zeit geschah, in welcher Gustav frei war, begleiteten er und Eustach mich eine Stunde Weges.


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