Adalbert Stifter
Der Nachsommer
Adalbert Stifter

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Meinen Beruf, den ich im Sommer bei Seite gesetzt hatte, nahm ich wieder auf. Ich machte mir gleichsam Vorwürfe, daß ich ihn so verlassen und mich einem planlosen Leben hatte hingeben können. Ich tat das, wozu der Winter gewöhnlich ausersehen war, und setzte die Arbeiten der vorigen Zeiten fort. Das Regelmäßige der Beschäftigung übte bald seine sanfte Wirkung auf mich; denn was ich trotz der freudigen Stimmung, in welcher ich aus meinen Erringungen in der Kunst und in der Wissenschaft war, doch Schmerzliches in mir hatte, das wich zurück und mußte erblassen vor der festen, ernsten, strengen Beschäftigung, die der Tag forderte und die ihn in seine Zeiten zerlegte.

Ich besuchte auch, wie im vergangenen Winter, meine Kreise, dann Musik- und Kunstanstalten.

Daß das alles vereinigt werden konnte, mußte eine genaue Zeiteinteilung gemacht werden, und ich mußte die Zeit richtig verwenden. Dazu war ich wohl von Kindheit an gewöhnt worden, ich stand sehr früh auf und hatte Manches für den Tag schon an der Lampe fertig gemacht, wenn die allgemeine Frühstunde in unserm Hause heran rückte und man sich zu dem Frühmahle versammelte. Dazu brauchte ich nicht viel Schlaf und konnte manche Stunde von der beginnenden Nacht nehmen. Die Tätigkeit stärkte, und wenn ein Schwung und eine Erhebung in meinem Wesen war, so wurde der Schwung und die Erhebung durch die Tätigkeit noch klarer und fester.

Einer meiner ersten Gänge war nach meiner Zurückkunft zu der Fürstin, um mich ihr vorzustellen.

Sie war selber erst vor wenigen Tagen von ihrem Lieblingslandsitze in die Stadt zurückgekehrt und noch nicht recht heimisch. Sie empfing mich sehr freundlich wie immer und fragte mich um meine Beschäftigungen während des Sommers. Ich konnte ihr nicht viel sagen und erzählte ihr außer den Messungen, die ich am Lautersee vorgenommen hatte, von meinen Kunstbestrebungen, meiner Kunstneigung und meiner Liebe zu den Dichtungen. Von den besonderen Verhältnissen zu meinem Gastfreunde erwähnte ich nur das Allgemeine, weil ich es für anmaßend gehalten hätte, einer alten, würdigen Frau, deren Beziehungen ausgebreitet und inhaltsreich waren, unaufgefordert Einzelheiten von meinem Leben mitzuteilen. Sie ging auch nicht näher darauf ein, dafür verweilte sie desto eifriger bei der Kunst und bei den Dichtern. Sie fragte mich, was ich gelesen hätte, wie ich es aufgefaßt hätte und was ich darüber dächte. Sie zeigte sich hierbei mit allen den Werken bekannt, welche ich ihr nannte, nur hatte sie das Griechische, von dem ich ihr erzählte, bloß in der Übersetzung gelesen. Sie ging im Allgemeinen auf die Gegenstände ein und verweilte bei manchem Einzelnen ganz besonders. Unsere Ansichten trafen oft zusammen, oft gingen sie auch auseinander, und sie suchte ihre Meinung zu begründen, was mir zum mindesten immer manche neue Gesichtspunkte gab. In Bezug auf die Kunst verlangte sie, daß ich ihr einige Zeichnungen und Malereien zeigen möchte, deren Wahl ich selber vornehmen könne, wenn ich schon nicht alle vor ihre Augen bringen wollte.

Ich sagte, daß alle wohl zu viel wären, namentlich, da ich in erster Zeit so viele bloß naturwissenschaftliche Zeichnungen gemacht habe, und daß ich selber die Grenze nicht angeben könne, wo die naturwissenschaftlichen Zeichnungen in die künstlerisch angelegten übergingen. Ich würde aus allen Zeitabschnitten etwas auswählen und es ihr bringen. Es wurde ein Tag bestimmt, an welchem ich zur Mittagszeit zu ihr kommen sollte.

Ich kam an dem Tage, es war niemand als die Vorleserin zugegen, und es wurde der Befehl gegeben, niemanden vorzulassen; denn ihr allein hätte ich ja die Zeichnungen gebracht, nicht jedem fremden Auge, das dazu käme. Sie sah alle Blätter an und billigte alle, besonders erregten naturwissenschaftliche Pflanzenzeichnungen ihre Aufmerksamkeit, weil sie sich viel mit Pflanzenkunde beschäftigt hatte, noch jetzt Anteil an dieser Wissenschaft nahm und sie besonders bei ihren Landaufenthalten pflegte. Sie freute sich an der Genauigkeit der Abbildungen und sagte mir ganz richtig, welche den Urbildern am meisten entsprächen. Nach diesen Pflanzenzeichnungen sagten ihr am meisten die der Köpfe zu. An den landschaftlichen Versuchen mochte ihr die Einseitigkeit aufgefallen sein, da sie gewiß eine Kennerin landschaftlicher Bildungen war, weil sie sehr gerne im Sommer einige Wochen an irgend einer der schönsten Stellen unseres Landes verweilte. Sie äußerte sich aber in dieser Richtung nicht. Von den Köpfen sagte sie, daß man auf diese Weise eine ganze Sammlung merkwürdiger Menschen anlegen könnte. Ich erwiderte, darauf sei ich nicht ausgegangen, ich könnte auch nicht so leicht beurteilen, wer ein merkwürdiger Mensch sei. Es habe mir nur, da ich lange Zeit Gegenstände der Natur gezeichnet hatte, eingeleuchtet, daß das menschliche Antlitz der würdigste Gegenstand für Zeichnungen sei, und da habe ich die Versuche begonnen, es in solchen auszudrücken. Ich habe anfangs dabei unwissend fast immer die Richtung von Naturzeichnungen verfolgt, bis sich mir etwas Höheres zeigte, dessen Darstellung darüber hinausgeht, das uns erst die Züge und Mienen recht menschlich macht und dessen Vergegenwärtigung ich nun anstrebe, in Ungewißheit, ob es gelingen werde oder nicht.

Sie fragte auch nach denjenigen von meinen wissenschaftlichen Bestrebungen, die ich im Zusammenhange aufgeschrieben habe, und ließ den Wunsch blicken, etwas Zusammengehöriges zu erfahren. Die Geschichte, wie unsere Erde entstanden sei und wie sie sich bis auf die heutigen Tage entwickelt habe, müßte den größten Anteil erwecken. Ich entgegnete, daß wir nicht so weit seien und daß ich am wenigsten zu denen gehöre, welche einen ergiebigen Stoff zu neuen Schlüssen geliefert haben, so sehr ich mich auch bestrebe, für mich, und wenn es angeht, auch für Andere so viel zu fördern, als mir nur immer möglich ist. Wenn sie davon und auch von dem, was Andere getan haben, Mitteilungen zu empfangen wünsche, ohne sich eben in die vorhandenen wissenschaftlichen Werke vertiefen und den Gegenstand als eigenen Zweck vornehmen zu wollen, so werde sich wohl Zeit und Gelegenheit finden. Sie zeigte sich zufrieden und entließ mich mit jener Güte und Anmut, die ihr so eigen war.

Seit dieser Zeit verwandelte sich mein Verhältnis zu ihr in ein anderes. Da ich nun einmal unter Tags in ihrer Wohnung gewesen war, geschah dies öfter, entweder, wenn wir Werke oder Abbildungen anzuschauen hatten, wozu das Licht der abendlichen Lampen nicht ausreichend gewesen wäre, oder wenn sie mich zu Gesprächen einladen ließ, die dann gewöhnlich zwischen ihr, ihrer Gesellschafterin und mir vorfielen – selten geschah es, daß einer ihrer Söhne gelegentlich anwesend war oder eine Enkelin oder jemand von ihren näheren Anverwandten – und bei denen meistens die Geschichte der Erde oder etwas in die Naturlehre Einschlägiges der Gegenstand war. Öfter machte ich auch selber einen kurzen Besuch, um mich um den Zustand ihrer Gesundheit zu erkundigen. Auch die Abende kamen in Bezug auf mich in eine andere Gestalt. Da wir einmal von Dichtungen geredet hatten, mit denen ich mich in der letzten Zeit beschäftigte und da gerade diese Dichtungen aus einer vergangenen Zeit stammten, die nichts mit den Tageserzeugnissen gemein hatte, da die Fürstin sich in ihren jetzigen Jahren mit diesen Dingen nicht beschäftigte und die Zeit schon ziemlich weit hinter ihr lag, in der sie Kenntnis von solchen Werken genommen hatte, so wurde beschlossen, wieder das eine oder das andere vorzunehmen und es gemeinschaftlich zu genießen. Das geschah an Abenden, und ich mußte oft die Pflicht des Vorlesers übernehmen, besonders wenn die Gesellschaft nicht zahlreich war, was sich gerne an Abenden ereignete, in denen Dichtungen vorgenommen wurden. In diese Pflicht geriet ich bei Gelegenheit der Vornahme einiger spanischen Romanzen. Die Fürstin, die Gesellschafterin, ich und noch ein Mann, welcher zugegen war, verstanden schlecht spanisch; doch war beschlossen worden, die Romanzen in spanischer Sprache zu lesen. Das Vorlesen wurde mir aufgetragen, und wie schlecht oder gut es ging, wir verstanden doch mit eingemischten Erklärungen und mit gelegentlichen Gesprächen in unserer Muttersprache zuletzt die Romanzen. Nach diesem Vorgange mußte ich nun auch öfter in deutscher Sprache vorlesen, und es geschah nicht selten, daß ich um meine Meinung über Teile des Gelesenen befragt wurde und daß man eine Erklärung verlangte. Dies wurde um so mehr der Fall, als wir uns auch über Abteilungen aus Cervantes und Calderon wagten. In andern Sprachen, besonders im Italienischen des Dante und Tasso, las sehr gerne die Gesellschafterin der Fürstin. Das Alte aus dem Griechischen – es wurde nur die Ilias und Odysseus, dann einiges aus Äschylos vorgenommen – mußte ich ganz allein in deutscher Übersetzung vorlesen. Es wurde da auch sehr viel über das uralte gesellschaftliche Leben der Griechen, über ihre häuslichen Einrichtungen, über ihren Staat, ihre Kunst und über die Gestalt und Beschaffenheit ihres Landes und ihrer Meere gesprochen. Ich wurde zu diesen Beschäftigungen in diesem Winter weit öfter zu der Fürstin eingeladen, als es früher der Fall gewesen war. Der Frühling und die Zeit, in welcher man wieder den Landaufenthalt zu suchen pflegt, kam uns zu früh, wir verabredeten noch, was wir in dem nächsten Winter vorzunehmen gedächten, und die Fürstin beurlaubte mich mit vieler und sehr gewinnender Freundlichkeit.

 

Die Beschäftigungen im Kreise unserer Familie bestanden jetzt in sehr häufigen Gesprächen zwischen dem Vater und mir über die Kunst und über Bücher. Er erzählte mir, wie er dazu gekommen wäre, Bilder lieb zu gewinnen und sich Bilder zu sammeln. Er kam hiebei auf seine Jugend, und da er in einer freudigeren und erregteren Stimmung war, als sonst, so erzählte er mir ausführlich, wie er dieselbe verlebt habe. Er stellte mir dar, wie er sich die Mittel, um etwas lernen zu können, selber habe verschaffen müssen, und wie ihm sein älterer Bruder, der ein sehr begabter Mensch gewesen wäre, hierin zwar ein wenig, aber in der Tat sehr wenig habe beistehen können, weil er sich selbst alles habe herbei schaffen müssen und nur um wenige Jahre älter gewesen sei. Nach Anweisung vernünftiger Menschen habe er zu lesen begonnen, und manchen freien Tag in seiner Lehrzeit habe er in seiner Kammer bei den Büchern zugebracht. Er habe, da er frei wurde und teils in unserer Stadt, teils in den ersten Handelsplätzen Europas Dienste tat, die Bekanntschaft von Künstlern gemacht, habe sie in ihren Arbeitsstuben besucht, habe über die Art zu malen sich Kenntnisse gesammelt und sei mit diesen Kenntnissen in die berühmtesten Bildersammlungen der größten Städte gegangen. Hiebei sei es ihm widerfahren, daß er zweimal im Lernen habe von vorne anfangen müssen. So sei es ihm in Rom, wohin er sich von Triest aus begeben hatte, um dort ein halbes Jahr für sich selber zu leben, klar geworden, daß er gar nichts wisse. Er habe wieder unverdrossen angefangen, und von Rom schreibe sich seine Liebe für alte Bilder her. Sein Bruder habe den Weg durch die Staatsschulen gemacht, und da er ihn sehr liebte, habe er von ihm auch die Liebe zu den alten Sprachen angenommen. In seinen Diensten habe er mehr freie Zeit gehabt als da er noch lernte, und diese Zeit habe er zu seinen Lieblingsneigungen angewendet. Mit einem alten Abte, der die Verwaltung seines Klosters abgegeben hatte und seine würdevolle Muße, wie er sich ausdrückte, im Winter in unserer Stadt genoß, habe er alte Dichter und Geschichtschreiber gelesen. Der Abt sei ein großer Freund der alten Schriften gewesen, habe bei ihm Neigung zu diesen Dingen entdeckt und sei ihm mit seinen Kenntnissen beigestanden. Er habe sehr oft im Zimmer des Abtes laut aus den sogenannten Classikern lesen müssen. Die Bekanntschaft desselben habe er bei seinem Dienstherrn in unserer Stadt gemacht, in dessen Hause dem Abte, der einst Lehrer dieses Dienstherrn gewesen sei, jährlich ein oder zwei Male ein Fest gegeben wurde. Der Dienstherr, der letzte, bei dem sich mein Vater befunden, sei ein Ehrenmann gewesen, der seinen Leuten nicht nur Gelegenheit verschafft habe, etwas lernen zu können, indem er sie zu den vorkommenden Reisen benützte, auf denen sie Geschäftsfreunde, Handelsverbindungen, Verkehrswege und dergleichen kennen lernten, sondern der ihnen auch Zeit gönnte, selber, wenn sie nicht die Mittel zu großen Geschäftsanlagen besaßen, mit kleinen Anfängen zu größeren Unternehmungen und zu endlicher Selbstständigkeit schreiten zu können. So habe auch der Vater mit kleinen Ersparnissen begonnen, habe sich ausgedehnt und sei endlich, da die Anfänge unter den Flügeln seines Herrn geschehen seien, mit dessen Unterstützung ein selbstständiger Kaufmann geworden. Was er zu Vergnügungen hätte verwenden können, habe er bei Seite gelegt und habe sich entweder ein Buch oder ein Kunstwerk gekauft oder habe eine Reise zu seiner Belehrung gemacht. Da sich seine Verbindungen mehrten und stets ergiebiger zu werden versprachen, habe er meine Mutter kennen gelernt und ihre Hand gewonnen. Sie habe eine nicht unbeträchtliche Mitgift in das Haus gebracht, und so sei gemeinschaftlich der Grund gelegt worden, daß wir Kinder nun nicht nur frei und unabhängig bei unsern Eltern in ihrem eigenen Hause leben können, sondern auch für die Zukunft einen Notpfennig zu erwarten hätten, und daß er selber sich mit Manchem habe umringen können, was ihm die sanfte Neigung seines Herzens geboten habe und was ihm als Erheiterung und nach der Liebe seiner Gattin und der Wohlgeratenheit seiner Kinder auch als Lohn seines Alters dienen werde. Der betagte Abt habe ihn als seinen letzten Schüler noch getraut und sei bald darauf gestorben. Mit der jungen Frau habe er dreimal seine alten Eltern, welche ferne in einem waldigen Lande von einer wenig ergiebigen Feldwirtschaft lebten, besucht, sie seien dann kurz darauf eins nach dem andern gestorben.

Sein Dienstherr habe uns noch aus der Taufe gehoben, sei dann von den Geschäften zurück getreten, habe bei seinem einzigen Kinde, einer Tochter, die an einen angesehenen Güterbesitzer verheiratet war, gelebt und sei bei ihr auch endlich gestorben. So haben sich alle Verhältnisse geändert. Das heimatliche Waldhaus mit der geringen Feldwirtschaft haben er und sein Bruder einer Schwester geschenkt, diese sei ohne Kinder gestorben, und da weder er noch der Bruder das Haus bewirtschaften konnten, so haben sie eingewilligt, daß es an einen entfernten Verwandten falle. Der Bruder sei während unserer Unmündigkeit gestorben, eben so die Großeltern von mütterlicher Seite und endlich ein Großoheim von eben dieser Seite, der uns Kinder zu Erben eingesetzt, und da die Mutter keine Geschwister gehabt habe, so seien wir nun allein und so sei keine Verwandtschaft weder von väterlicher noch von mütterlicher Seite übrig. Er habe die Liebe, welche ihm durch den Tod seiner Angehörigen, denen er, besonders dem Bruder, eine treue Erinnerung weihe, anheimgefallen sei, an die Mutter und uns übertragen, sein Haus sei nun sein Alles, und wir zwei, die Schwester und ich, sollten verbunden bleiben und sollten in Neigung nicht von einander lassen, besonders wenn auch wir allein sein und er und die Mutter im Kirchhofe schlummern würden.

Diese Ermahnung zur Liebe war nicht nötig; denn daß wir, die Schwester und ich, uns mehr lieben könnten, als wir taten, schien uns nicht möglich, nur die Eltern liebten wir beide noch mehr, und wenn eine Anspielung darauf gemacht wurde, daß sie uns einst verlassen sollten, so betrübte uns das außerordentlich, und wohin wir die Liebe, die uns dann zurückfallen sollte, wenden würden, wußten wir sehr wohl, wir würden sie an gar nichts wenden, sie würde von selber über die Grabhügel hinaus gegen die verstorbenen Eltern bis an unser Lebensende fortdauern.

 

Die andern Vorkommnisse, die zwar auch in unserer Familie, aber nicht in ihr allein, sondern zugleich in Gesellschaft von geladenen Menschen vorfielen, waren mir nicht so angenehm als in früheren Zeiten, ja sie waren mir eher widerwärtig und dünkten mir Zeitverlust. Sie bestanden beinahe gleichmäßig wie in früheren Jahren aus abendlichen Kreisen, in denen gesprochen wurde, oder aus Gesellschaften, in denen etwas Musik oder gar Tanz vorkam. An dem letzteren nahm ich gar keinen Teil, und die Schwester, welche, wie ich schon seit länger wahrnahm, schier alle meine Neigungen teilte, tat es sehr wenig und flüchtete an solchen Abenden sehr gerne zu mir. Ich hatte die Leute, darunter aber vorzüglich die jungen, welche bei solchen Gelegenheiten zu uns kamen, schon genau kennen gelernt, und wenn ich in früherer Zeit eine Scheu, ja sogar eine gewisse Gattung von Ehrfurcht vor ihnen gehabt hatte, so war dies jetzt nicht mehr der Fall; ich hatte durch Nachdenken und durch Erfahrungen im Umgange mit andern Menschen einsehen gelernt, daß das, wovor ich besonders eine Scheu hatte, nehmlich ihre Sicherheit und Vornehmheit, nur ein Ding ist welches man lernt, wenn man sehr viel in solchen Gesellschaften ist, wie sie bei uns waren, und wenn man in diesen Gesellschaften viel spricht und in den Vordergrund tritt. Und daß dieses Ding nicht schwer zu erlernen ist, sah ich daraus, daß es solche inne hatten, deren Geisteskräfte hoch zu achten ich nicht veranlaßt war. Meine Erfahrungen an Menschen hatte ich aber nicht bloß in hohen Ständen gemacht, sondern auch in niedern, und in diesen zwar nicht in der Stadt, sondern bei Gebirgsbewohnern und Landbebauern. In hohen Ständen sah ich junge Leute, namentlich bei der Fürstin war das der Fall, welche jenes Benehmen, das mir sonst so hoch über mir schien, nicht hatten, sondern sich einfach und wenig vortretend gaben, höflich und nicht linkisch waren, und an das Wort, das ich öfter in meiner Jugend gehört, aber falsch verstanden hatte, »ein junger Mann von guter Erziehung« erinnerten. In den untern Ständen habe ich manchen Mann kennen gelernt, der, wenn er vor solchen stand, die er für höher erachtete als sich selbst, nicht die Mühe übernahm, auch höher in seinem Benehmen sein zu wollen, sondern der ruhig so sprach, wie er die Sache verstand, und ruhig die Rede anhörte, die ihm ein Anderer erwiderte. Dieser Mann schien mir auch von höherer Erziehung als die, welche viele Arten des Benehmens wissen und ersichtlich machen. Ein gültiges Beispiel gab mein Gastfreund, der noch einfacher war als jene Männer, von denen ich sagte, daß ich sie bei der Fürstin gesehen habe, und dessen Rede und Tun so klare Achtung erzeugten. Selbst sein Anzug, der Anfangs auffiel, stimmte zu Allem. Auch Eustach, Gustav aber ganz gewiß, standen im entschiedenen Vorzuge vor meinen Gesellschaftsleuten. Weil ich nun diese Menschen sehr gut kannte und weil sie mir keine hohe Rücksichtnahme mehr einflößten, war es mir unersprießlich, mit ihnen zu sein, und es erschien mir, daß ich die Zeit besser würde benützen können. Aber auch die Erfahrungen in dieser Hinsicht mochte mein Vater für nützlich gehalten haben. Ich machte sie nur an jungen Männern. Über Mädchen konnte ich ein Urteil gar nicht sagen, weil ich sehr wenig mit ihnen sprach und weil mich natürlich keine in meiner Zurückgezogenheit aufsuchen konnte. Wie älteren Leuten, Männern wie Frauen, kam mir oft jemand entgegen, dem ich Achtung zollen mußte; aber auch zu alten Leuten wie zu Mädchen konnte ich mich nicht drängen. Unter denen, welchen ich mehr zugetan war, stand der Sohn des Juwelenhändlers oben an, ich war ihm wirklich in der eigentlichen Bedeutung ein Freund. Wir brachten außer unseren Kleinodienlehrstunden manche Zeit mit einander zu, wir besprachen verschiedene Dinge und lasen auch mitunter kleine Abschnitte von Schriften mit einander, die wir gemeinschaftlich achteten. Seine Eltern waren sehr liebenswürdig und fein. Der junge Preborn war mir auch nicht unangenehm. Er sprach noch öfter von der schönen Tarona und bedauerte sehr, daß sie auf weite Reisen gegangen und daher gar nicht in die Stadt gekommen sei, weswegen er mir sie nie habe zeigen können. An den eigentlichen Vergnügungen, die junge Männer unter sich anstellten, nahm ich nur ungemein selten Teil. Daß ich aber auch überhaupt viel weniger mit Männern meines Alters umging und nicht, wie es bei vielen jungen Leuten in unserer Stadt der Gebrauch ist, Tage mit ihnen zubrachte und dies öfter wiederholte, rührte daher, daß ich viele Beschäftigungen hatte und daß mir daher zu wenig Zeit übrig blieb, sie auf Anderes zu verwenden. Am liebsten war es mir, wenn ich mit meinen Angehörigen allein war.


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