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Als ich aber nach Hause gekommen war, erzählte ich die heutige Begegnung meinen Angehörigen bei dem Mittagessen. Der Vater kannte den Freiherrn von Risach sehr gut. Er war in früherer Zeit mehrere Male mit ihm zusammengekommen, hatte ihn aber jetzt schon lange nicht gesehen. Als Anhaltspunkte, daß mein Beherberger in dem Rosenhause der Freiherr von Risach gewesen sei, dienten, daß ich ihn, wenn mich nicht in der Schnelligkeit des Fahrens eine Ähnlichkeit getäuscht hat, selber gesehen habe, daß er im Oberlande eine Besitzung hat, daß er wohlhabend sei, was mein Beherberger sein müsse, und daß er hohe Geistesgaben besitze, die mein Beherberger auch zu haben scheine. Man beschloß, in dieser Sache nicht weiter zu forschen, da mein Beherberger mir seinen Namen nicht freiwillig genannt habe, und die Dinge so zu belassen, wie sie seien.
Außer diesen zwei Begebenheiten, die wenigstens für mich von Bedeutung waren, ereignete sich nichts in jenem Winter, was meine Aufmerksamkeit besonders in Anspruch genommen hätte. Ich war viel beschäftigt, mußte oft Stunden der Nacht zu Hilfe nehmen, und so ging mir der Winter weit schneller vorüber, als es in früheren Jahren der Fall gewesen war. Im allgemeinen aber befriedigten mich besonders die Hilfsmittel, die eine große Stadt zur Ausbildung gibt und die man sonst nicht leicht findet.
Als die Tage schon länger wurden, als die eigentliche Stadtlust schon aufgehört hatte und die stillen Wochen der Fastenzeit liefen, fragte ich eines Tages Preborn, weshalb er mir denn die Gräfin Tarona nicht gezeigt habe, die er so liebe, die so schön sein soll, und zu deren Gewinnung er meinen Beistand angerufen habe.
»Erstens ist sie keine Gräfin«, antwortete er mir, »ich weiß nicht genau ihren Stand, ihr Vater ist tot, und sie lebt in der Gesellschaft einer reichen Mutter; aber das weiß ich, daß sie nicht von Adel ist, was mir sehr zusagt, da ich es auch nicht bin – und zweitens ist sie und ihre Mutter in diesem Winter nicht in die Stadt gekommen. Das ist die Ursache, daß ich sie dir nicht zeigen konnte und daß du Gelegenheit fandest, einen Spott gegen mich zu richten. Du mußt sie aber vorerst sehen. Alle, denen heuer Schönheiten gesagt worden sind, alle, die man gerühmt hat, alle, die geblendet haben, sind nichts, ja sie sind noch weniger als nichts gegen sie.«
Ich antwortete ihm, daß ich nicht spotten, sondern die Sache einfach habe sagen wollen.
Wie sich der Frühling immer mehr näherte, rüstete ich mich zu meiner Reise. Ich wollte heuer früher reisen, weil ich mir vorgenommen hatte, ehe ich in die Berge ginge, einen Besuch in dem Rosenhause zu machen. Mit jedem Jahre wurden meine Zurüstungen weitläufiger, weil ich in jedem Jahre mehr Erfahrungen hatte und meine Entwürfe weiter hinaus gingen. Heuer hatte ich auch beschlossen, umfassendere Zeichnungswerkzeuge und sogar Farben mitzunehmen. Wie es mit jeder Gewohnheit ist, war es auch bei mir. Wenn ich mich in jedem Herbste nach der Häuslichkeit zurück sehnte, war es mir in jedem Frühlinge wie einem Zugvogel, der in jene Gegenden zurückkehren muß, die er in dem Herbste verlassen hatte.
Als sich im März in der Stadt schon recht liebliche Tage einstellten, welche die Menschen in das Freie und auf die Wälle lockten, war ich mit meinen Vorbereitungen fertig, und nachdem ich von den Meinigen den gewöhnlichen herzlichen Abschied genommen hatte, reisete ich eines Morgens ab.
Mir war damals, so wie jetzt noch, jedes Fortfahren von den Angehörigen in der Nacht sowie das Antreten irgend einer Reise in der Nacht sehr zuwider. Die Post ging aber damals in das Oberland erst abends ab, darum fuhr ich lieber in einem Mietwagen. Die Landhäuser außer der Stadt, welche reichen Bewohnern derselben gehörten, waren noch im Winterschlafe. Sie waren teilweise in ihren Umhüllungen mit Stroh oder mit Brettern befangen, was einen großen Gegensatz zu dem heiteren Himmel und zu den Lerchen machte, welche schon überall sangen. Ich fuhr nur durch die Ebene. Da ich in den Bereich der Hügel gelangte, verließ ich den Wagen und setzte meinen Weg nach meiner gewöhnlichen Art in kurzen Fußreisen fort.
Ich betrachtete wieder überall die Bauwerke, wo sie mir als betrachtenswert aufstießen. Ich habe einmal irgendwo gelesen, daß der Mensch leichter und klarer zur Kenntnis und zur Liebe der Gegenstände gelangt, wenn er Zeichnungen und Gemälde von ihnen sieht, als wenn er sie selber betrachtet, weil ihm die Beschränktheit der Zeichnung alles kleiner und vereinzelter zusammen faßt, was er in der Wirklichkeit groß und mit Genossen vereint erblickt. Bei mir schien sich dieser Ausspruch zu bestätigen. Seit ich die Bauzeichnungen in dem Rosenhause gesehen hatte, faßte ich Bauwerke leichter auf, beurteilte sie leichter, und ich begriff nicht, warum ich früher auf sie nicht so aufmerksam gewesen war.
Im Oberlande war es noch viel rauher, als ich es in der Stadt verlassen hatte. Als ich eines Morgens an der Ecke des Buchenwaldes meines Gastfreundes ankam, in welchem der Alizbach in die Agger fällt, war noch manches Wässerchen mit einer Eisrinde bedeckt. Da ich das Rosenhaus erblickte, machte es einen ganz anderen Eindruck als damals, da ich es als weiße Stelle in dem gesättigten und dunkeln Grün der Felder und Bäume unter einem schwülen und heißen Himmel gesehen hatte. Die Felder hatten noch, mit Ausnahme der grünen Streifen der Wintersaat, die braunen Schollen der nackten Erde, die Bäume hatten noch kein Knöspchen, und das Weiß des Hauses sah zu mir herüber, als sähe ich es auf einem schwach veilchenblauen Grunde.
Ich ging auf der Straße in der Nähe von Rohrberg vorüber und kam endlich zu der Stelle, wo der Feldweg von ihr über den Hügel zu dem Rosenhause hinaufführt. Ich ging zwischen den Zäunen und nackten Hecken dahin, ich ging auf der Höhe zwischen den Feldern und stand dann vor dem Gitter des Hauses. Wie anders war es jetzt. Die Bäume ragten mit dem schwarzen oder braunlichen Gezweige nackt in die dunkelblaue Luft. Das einzige Grün waren die Gartengitter. Über die Rosenbäumchen an dem Hause war eine schöngearbeitete Decke von Stroh herabgelassen. Ich zog den Glockengriff, ein Mann erschien, der mich kannte und einließ, und ich wurde zu dem Herrn geführt, der sich eben in dem Garten befand.
Ich traf ihn in einer Kleidung wie im Sommer, nur daß sie von wärmerem Stoffe gemacht war. Die weißen Haare hatte er wieder wie gewöhnlich unbedeckt.
Er schien mir wieder so sehr ein Ganzes mit seiner Umgebung, wie er es mir im vorigen Sommer geschienen hatte.
Man war damit beschäftigt, die Stämme der Obstbäume mit Wasser und Seife zu reinigen. Auch sah ich, wie hie und da Arbeiter auf Leitern neben den Bäumen waren, um die abgestorbenen und überflüssigen Äste abzuschneiden. Als ich im vorigen Sommer fort gegangen war, hatte mein Gastfreund gesagt, daß ich meine Wiederkunft vorher durch eine Botschaft anzeigen möge, damit ich ihn zu Hause treffe. Er hatte aber wahrscheinlich nicht bedacht, daß dieses Schwierigkeiten habe, indem ich in der Regel selber nicht wissen kann, wie sich durch Witterungsverhältnisse oder andere Umstände meine Vorhaben zu ändern gezwungen sein dürften. Ich habe ihm also eine Botschaft nicht geschickt und ihn auf meine Gefahr hin überrascht. Er aber nahm mich so freundlich auf, da er mich auf sich zuschreiten sah, wie er mich bei dem vorigjährigen Aufenthalte in seinem Hause freundlich behandelt hat.
Ich sagte, er möge es sich selber zuschreiben, daß ich ihn schon so früh im Jahre in seinem Hause überfalle; er habe mich so wohlwollend eingeladen, und ich habe mir es nicht versagen können, hieher zu kommen, ehe die Täler und die Fußwege in dem Gebirge so frei wären, daß ich meine Beschäftigungen in ihnen anfangen könnte.
»Wir haben eine ganze Reihe von Gastzimmern, wie ihr wißt«, sagte er, »wir sehen Gäste sehr gerne, und ihr seid gewiß kein unlieber unter ihnen, wie ich euch schon im vergangenen Sommer gesagt habe.«
Er wollte mich in das Haus geleiten, ich sagte aber, daß ich heute erst drei Stunden gegangen sei, daß meine Kräfte sich noch in sehr gutem Zustande befänden und daß er erlauben möge, daß ich hier bei ihm in dem Garten bleibe. Ich bitte ihn nur um das einzige, daß er mein Ränzlein und meinen Stock in mein Zimmer tragen lasse.
Er nahm das silberne Glöcklein, das er bei sich trug, aus der Tasche und läutete. Der Klang war selbst im Freien sehr durchdringend, und es erschien auf ihn eine Magd aus dem Hause, welcher er auftrug, mein Ränzlein, das ich mittlerweile abgenommen hatte, und meinen Stock, den ich ihr darreichte, in mein Zimmer zu tragen. Er gab ihr noch ferner einige Weisungen, was in dem Zimmer zu geschehen habe.
Ich fragte nach Gustav, ich fragte nach dem Zeichner in dem Schreinerhause, und ich fragte sogar nach dem weißen alten Gärtner und seiner Frau. Gustav sei gesund, erhielt ich zur Antwort, er vervollkommne sich an Geist und Körper. Er sei eben in seiner Arbeitsstube beschäftigt, er werde sich gewiß sehr freuen, mich zu sehen. Der Zeichner lebe fort wie früher und sei sehr eifrig, und was die Gärtnersleute anbelange, so verändern sich diese schon seit mehreren Jahren gar nicht mehr und seien heuer wie ich sie im vorigen Sommer gesehen habe. Ich fragte endlich auch noch nach dem Gesinde, den Gartenarbeitern und den Meierhofleuten. Sie seien alle ganz wohl, wurde geantwortet, es sei seit meinem vorjährigen Besuche kein Krankheitsfall vorgekommen, und es habe auch keines der Leute eine gründliche Ursache zur Unzufriedenheit gegeben.
Nach mehreren gleichgültigen Gesprächen namentlich über die Beschaffenheit der Wege, auf denen ich hieher gekommen war, und über das Vorrücken der Wintersaaten auf den Feldern wendete er sich wieder mehr der Arbeit, die vor ihm geschah, zu, und auch ich richtete meine Aufmerksamkeit auf dieselbe. Ich hatte mir einmal, da er mir erzählte, daß er die Baumstämme waschen lasse, die Sache sehr umständlich gedacht. Ich sah aber jetzt, daß sie mittelst Doppelleitern und Brettern sehr einfach vor sich gehe. Mit den langstieligen Bürsten konnte man in die höchsten Zweige emporfahren, und da die Leute von der Zweckmäßigkeit der Maßregel fest überzeugt waren und emsig arbeiteten, so schritt das Werk mit einer von mir nicht geahnten Schnelligkeit vor. In der Tat, wenn man einen gewaschenen und gebürsteten Stamm ansah, wie er rein und glatt in der Luft stand, während sein Nachbar noch rauh und schmutzig war, so meinte man, daß dem einen sehr wohl sein müsse und daß der andere verdrossen aussehe. Mir fiel die stolze Äußerung ein, die mein Gastfreund im vergangenen Sommer zu mir getan hatte, daß ich mir den Stamm jenes Kirschbaumes ansehen solle, ob seine Rinde nicht aussähe wie feine graue Seide. Sie war wirklich wie Seide und mußte es gerade immer mehr werden, da sie in jedem Jahre aufs Neue gepflegt wurde.
Als wir nach einer Weile weiter in den Garten zurückgingen, sah ich auch noch andere Arbeiten. Die Hecken wurden gebunden und geordnet, das Dornenreisig zu den Nestern der Vögel unter ihnen hergerichtet, die Wege von den Schäden des Winters ausgebessert, unter den Zwergbäumen, die schon beschnitten waren, die Erde gelockert und bei den schwächeren, welche Stäbe hatten, nachgesehen, ob diese festhielten und nicht etwa in der Erde abgefault wären. Es wurden losgegangene Bänder wieder geknüpft, im Gemüsegarten umgegraben, Fenster an Winterbeeten gelüftet oder zugedeckt, die Pumpen ausgebessert, mancher Nagel eingeschlagen und endlich hie und da ein Behältnis für die Vögel gereinigt und befestigt.
Ich verabschiedete mich von meinem Gastfreunde, da er sehr mit der Leitung der Arbeiten beschäftigt war, und ging allein in dem Garten herum, in Teilen, in die ich wollte. Die Vögel waren schon zahlreich da, sie schlüpften durch die laublosen Zweige der Bäume, und es begann schon hie und da ein Laut oder ein Zwitschern. Besonders lieblich und hell schallte der Gesang der aufsteigenden Lerchen von den den Garten umgebenden Feldern herein. Die Vorrichtungen zur Ernährung und Tränkung der Vögel waren wegen der Blattlosigkeit der Bäume und Gesträuche mehr sichtbar, auch schaute ich mehr nach ihnen aus als bei meiner ersten Ankunft, da ich jetzt bereits von ihnen wußte. Ich sah mehrere zum Aufstecken von Kernen dienende Gitter, von denen mir mein Gastfreund erzählt hatte.
Ich betrachtete auch die Zweige. Die Knospen der Blätter und der Blüten waren schon sehr geschwollen und harrten der Zeit, in welcher sie aufbrechen würden.
Ich stieg bis zu dem großen Kirschbaume empor und sah über den Garten, über das Haus und auf die Berge. Eine ganz heitere dunkelblaue Luft war über alles ausgegossen. Dieser schöne Tag, deren es in der frühen Jahreszeit noch ziemlich wenige gibt, war es auch, der meinen Gastfreund bewog, so viele Arbeiten in dem Garten zu veranlassen. Unter der heiteren Luft lag die Erde noch in bedeutender Öde. Ich wollte auch zu der Felderrast hinüber gehen; allein der Weg, der am Morgen gefroren gewesen sein mochte, war jetzt weich und tief durchfeuchtet, daß das Gehen auf ihm sehr unangenehm und verunreinigend gewesen wäre. Ich sah die dunkeln Wintersaaten und die nackten Schollen der neben ihnen liegenden Felder eine Weile an und ging dann wieder hinab.
Ich ging zu den Gärtnerleuten. Mir kam es nicht vor, wie mein Gastfreund gesagt hatte, daß sie sich nicht verändert hätten. Der Mann schien mir noch weißer geworden zu sein. Seine Haare unterschieden sich nicht mehr von der Leinwand. Die Frau aber war unverändert. Sie mußte von einer sehr reinlichkeitliebenden Familie stammen, weil sie das Häuschen so nett hielt und den alten Mann so fleckenlos und knapp heraus kleidete. Er machte mir ganz genau wieder den nehmlichen Eindruck wie im vergangenen Jahre, als ob er einer ganz anderen Beschäftigung angehörte.