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In diesen unsern Tagen sind ohnedem die meisten jener Schlösser in den Händen der Landleute, und der Bauer hält nicht viel auf Türme und Warten, auf Bankettsäle, Waffenkammern und Frauengemächer. Er hat sich eine alte Gesindestube zur Wohnung ausgesucht und läßt das übrige der Zeit trotzen, solange es vermag, oder wo in den letzten Jahrhunderten noch Herren auf den Gütern saßen, da geht er jetzt mit seinen Eisensohlen über den empfindlichen Parkettboden und wärmt seine nackten Knie an den welschen Kaminen und schneidet sich aus den hinterlassenen Ahnenbildern seinen Ofenschirm.
Die Zenoburg ist auch verfallen, wie die meisten ihrer Schwestern. Braunes Mauerwerk mit dichten Efeutapeten schließt den Ring ab. Durch ein hölzernes Pförtchen tritt man ein. Innen ist ein leerer Burghof; alte Reste bezeichnen noch hie und da den ehemaligen Gang der Mauern. Links erhebt sich ein fester Turm, in dem ein düsteres Baumannsstübchen. Nebenbei findet sich eine kleine Zisterne, um welche eine sinnige Hand etliche Trauerweiden gepflanzt; rechts, gerade über dem gähnenden Schlund der Passer, steht die alte Schloßkapelle, jetzt entweiht, aber noch immer viel besucht und beschaut, sowohl wegen des Portals mit seinen gnostischen Ungetümen, die so schwer eine Erklärung zulassen, als wegen der Altertümer, welche die jetzigen Besitzer der Burg, die edlen Herren von Braitenberg, da zusammengebracht. Man findet hier verschiedene merkwürdige Kunstgegenstände, alte Hausgeräte, alte Waffen, auch eine Truhe voll mittelalterlicher Knochen, worunter vielleicht manche landesfürstliche Gebeine. In einer Schublade liegen alte Pergamente, zum Teil noch aus der Zeit des görzischen Meinhard; andere, die von König Heinrich auf dieser selben Zenoburg gefestet worden sind. Die Wandschränke verbergen eine Sammlung von alten Handschriften, die auf die Landesgeschichte Bezug haben, und viele ältere Drucke, wie sie selten mehr in Privatbibliotheken gefunden werden. Nicht ohne Vergnügen wird man auch ein pergamentenes Stammbuch durchblättern, das sich Jakob Kolz zu Freiegg, der Enneberger, ums Jahr 1590 angelegt. Dahinein haben Bekannte und Verwandte ihre Wappen zierlich malen lassen und einen Spruch dazugeschrieben, deutsch, lateinisch, französisch oder spanisch, woraus abzunehmen, daß zu jener Zeit der tirolische Adel sich fleißig mit fremden Sprachen beschäftigt habe. Unter den deutschen Devisen ist manche ansprechende, die man sich merken sollte, wie zum Beispiel ›Gottes Will hat kein Warumb‹, oder, was Frau Maria Wendlin geb. Gadolt einschrieb:
›Schweig, leid und lach:
Gedult überwint alle Sach.‹
Der Weg nach Hoheneppan geht über die gebräuchlichen Porphyrplatten ohne Beschwer an den roten Wänden des Burgfelsens hinan und führt zuerst zu einem Wartturm, der unterhalb des Schlosses frei in einem lichten Föhrenhaine sich erhebt.
Nach einer halben Stunde standen wir vor der Burg selbst und zogen durch eine schwanke Brücke ein, welche früher wohl eine Zugbrücke gewesen. Unten verwachsen die Mauern fast mit dem Gestein und sind von wucherndem Efeu übersponnen. Aus dem wirren Gemäuer erhebt sich der hohe Turm, der so meisterlich nach Bozen wie nach Meran hineinschaut. Ins Innere tretend, finden wir einen ziemlich geräumigen Burghof. An den besagten Turm schließen sich die Mauern des ehemaligen Herrenhauses. In dem Raume, den diese umfangen, ist der Boden allerdings mit garstigem Geröll, Felsenstücken und Dachziegeln überschüttet, und oben guckt der blaue Himmel herein, allein an den Wänden ist doch noch die Tünche der alten Gemächer erhalten, so daß deutlich zu sehen, wie diese ehemals eingeteilt gewesen. Gar so lang ist es wohl auch nicht her, daß hier noch adelige Herrschaften hausten, denn nach dem Aussterben der alten Eppaner war die Burg noch durch Jahrhunderte bewohnt, allein um welche Zeit die letzten Standespersonen abgezogen und der eigentliche Verfall begann, dies finde ich in den Büchern nicht vorgemerkt.
Unten an den Mauern her ist allenthalben frisches Strauchwerk aufgeschossen, und durch dieses hüpfen gackernd die Hühner. – Ja Hühner! – denn jetzo gibt es in der ritterlichen Burg zwar keine Herrschaften mehr, aber andere niedrige Menschen, vielmehr Bauleute, ehrbare Gatten, mit mehreren blonden Kindern, welche sich Hühner halten und sonst auf ländliche Weise ihr Leben zu fristen suchen. Deswegen ist der Hof nicht nur mit Rebenlauben und Kohlgärten ausgestattet, sondern auch mit einem unübersehbaren Reichtum von andern Gerätschaften des täglichen Gebrauchs. In malerischer Unordnung stehen und liegen da auf dem unebenen Boden Hobelbank, Schleifsteine, Sägen, Weinbütten, Gießkannen, Schaufeln, Sicheln, Holzschuhe, zerlegte Wagenstücke und andere Zeichen der Ländlichkeit umher.
In der Burgkapelle steht jetzt ein Gsottstuhl, und auf dem Boden liegt Laub zur Streu. Die zerlumpte Türe trägt die Jahrzahl 1689. Außerhalb der Mauer ist ein altes, verblichenes Gemälde zu entdecken.
Was noch wohnlich geblieben, ist ein kleiner Hausstock am Rand des Abgrundes, da wo man ins Etschland hinuntersieht. Zu ebener Erde öffnet sich ein finsterer Vorplatz, der mit Streu und Kartoffeln belegt ist, und im dunkeln Stall daneben stehen vier junge Rinder.
Eine hölzerne Stiege führt aufwärts in die beiden Wohnstuben der Bauleute. Dies sind zwar sehr dürftige Gemächer, aber wenn der Wanderer an das Fenster tritt, so wird er überrascht, ja wirklich überwältigt von der herrlichen Aussicht. In ganz Europa soll keine Burg zu finden sein, die eine Augenweide böte wie diese, allein Akrokorinth in Griechenland scheint mir dennoch vorzuziehen.
Wer sich auf dem Wege nach Mühlbach einmal umwendet, sieht im Hintergrunde eine gewaltige Bergfeste, lange Reihen von weißen Mauern, über welche ein mächtiges Gebäude aufragt. Das ist die Burg Rodeneck. In uralten Zeiten von eigenen Herren gegründet und behaust, fiel sie später an die Landesfürsten und wurde von Kaiser Max I. dem Ritter Veit von Wolkenstein als Belohnung für geleistete Kriegsdienste verliehen. Nicht lange danach teilte sich das Geschlecht der Wolkensteiner in zwei Äste, in den der Rodenecker und den der Trostburger. Bei ersteren ist das Schloß geblieben bis auf den heutigen Tag. Jetzt liegt es verlassen und öde in tiefer Trübsal, aber es hat schon sehr schöne Tage gesehen. Christoph von Wolkenstein sammelte nach dem Vorbilde seines Herrn, des Erzherzogs Ferdinand, gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts auch auf Rodeneck ein Museum nach Art der Ambraser Sammlung, zunächst eine kostbare Rüstkammer, dann auch Bücher, Münzen, Antiken, Porträts und andere wertvolle Sachen.
Damals zogen diese Seltenheiten viele Besucher heran. Eine Erztafel im Hofe verewigt, daß einst Erzherzog Karl, der Bischof von Brixen, eine andere, daß Erzherzog Leopold, Graf von Tirol, und seine Gemahlin Claudia von Medicis hier eingekehrt. Später wurden die Schätze leider alle zerstreut, verkauft, geplündert, zerstört. Jetzt fällt die ungeheure Burg, still und unbeachtet, langsam, aber sicher zusammen. Als ich sie vor Jahren einmal im Innern zu besehen trachtete, über die Zugbrücke gegangen war und an die Pforte klopfte, wollte sich lange kein sterbliches Wesen zeigen. Endlich, nachdem ich wiederholt gepocht, erschien eine Dirne, stieß den Riegel auf und verschwand mit den kreischenden Worten: »Ich bin so viel verzagt!« Sie schien des menschlichen Umganges ganz entwöhnt zu sein und ließ sich nicht mehr sehen. Hierauf trat aus einer Türe eine ältliche Witwe, die schon mehr unter die Leute gekommen war und meinen Anblick ertragen konnte. Sie führte mich in den öden Räumen bereitwillig herum. Sie und die Dirne und ein Mädchen waren damals die einzigen Bewohner der Burg, wo einst soviel Pracht und Herrlichkeit gewaltet. Ich glaube auch nicht, daß sich seit damals die Bevölkerung erheblich vermehrt hat. Einige Porträts der Wolkensteiner hängen noch in den verfallenden Sälen, deren Fenster eine wundervolle Aussicht bieten. Die Gegend umher ist fruchtbar, und das Volk nennt sie deswegen den goldenen Berg.
Dies stolze Schloß, das einst wohl auch eine römische Feste gewesen, zieht uns mächtig hinan. Wer bisher in den tirolischen Burgen des Mittelalters nur düstere, unheimliche Spelunken gefunden, der hofft vielleicht hier in dem berühmten Sitze der reichen Wolkensteiner endlich alle Eleganz und Pracht der Ritterzeit vereinigt zu treffen. Aber wenn er den rauhen Pfad überwunden, so erwartet ihn da oben die oft erlebte Enttäuschung wieder. Auch Schloß Trostburg ist nur ein seltsamer Wirrwarr von Höfen, Treppen und Bogengängen, die sich alle einander im Wege stehen. Ein niederer Ahnensaal aus der Zeit der Renaissance mit schön geschnitzter Decke ist das einzige Prunkstück, das den Wanderer ergötzen möchte. Außerdem finden sich in dem Winkelwerk noch ein paar zerstreute Zimmer, welche bewohnt werden können. Eine mit Estrich ausgeschlagene Halle ist zwar hoch und weit, aber ohne allen Schmuck. Es steht nur ein kleiner Tisch darin, an welchem der Verwalter sein Mittagsmahl einzunehmen pflegt.