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Brixlegg ist ein freundliches Dorf und liegt nicht weit vom Eingange des Zillertales, auch nicht weit von Jenbach, wo die Nordländer, die über den Achensee nach den mittäglichen Gegenden trachten, ins Inntal herniedersteigen. Als noch die vielen Güterwagen über den Brenner gingen, war es wenig beachtet, da jene zumeist im nahen Städtchen Rattenberg ihre Einkehr hielten, und es kam nur hie und da ein Landschaftsmaler in das selten genannte Dörflein. Nun aber, nachdem es eine Eisenbahnstation geworden und seitdem die Leute von Brixlegg wie jene von Ammergau im letzten Jahre die Passion gespielt und damit viele tausend Schaulustige von nah und fern herbeigezogen, nunmehr tritt es mit großem Glanze in die neuere Geschichte ein, wird schon viel besucht und macht nicht wenig von sich reden. Da aber alle die Honoratioren, welche heuer eingezogen, ihre Quartiere auch bereits für den nächsten Sommer bestellt, so ist Mitgliedern der gebildeten Stände, die etwa aus anderen Städten und Ländern herbeikommen möchten, wenig Aussicht zu geben. ›Es sind schon genug herinnen‹, sagt der Bräutigam bei Theokrit, als er mit der Braut die Türe abgeschlossen – und ungefähr dasselbe sagen auch wir Sommerfrischler von Brixlegg.
Hintertux, die Ortschaft (4666 Wiener Fuß) mit ihren hölzernen Hütten, welche neunzig Menschen beherbergen, ist vielleicht das unansehnlichste aller Alpendörfchen. In Damils und Vent sind die Häuser, obgleich von Holz, doch viel größer, in Galtür sind sie von Stein; andere Orte taugen kaum zum Vergleich. Was aber diesem Dörfchen eigen, das ist eine fast altertümliche Philoxenie – man kann nicht sagen: Gastfreundschaft, denn das Völkchen hat nichts anzubieten als Milch und Gerstenbrot, was es für die Herren nicht passend hält, aber es ist eine recht innige, herzliche Freude an den Fremden, die durch ihre ärmlichen Hütten durchpilgern. Als ich da den Fuß einsetzte, war es bereits Abend geworden, und die Leute saßen auf den Sommerbänken vor den Türen. Als sie mich ersahen, sprangen sie von allen Seiten auf, eilten herbei, bildeten einen Kreis und ließen die Augen neugierig auf mir ruhen. Die älteren Männer und Weiber sprachen mich zuvorkommend an und fragten vor allem, wo ich bleibe. Als ich Bayern nannte, erinnerten sich mehrere, das sei ein feines Land, eben und voll Getreide. Es sei zu verwundern, daß man da fortgehen möge, um ihre ›schiechen‹ Löcher zu betrachten. Ich hatte Mühe, mich darüber zu rechtfertigen, doch schien es ihnen auch wieder nicht unstatthaft, daß ich die schöne Flur von Hintertux recht freundlich finden wollte. »Uns deucht es außen fein, eng herinnen«, sagte endlich ein Alter gewissermaßen als Vergleichsvorschlag, und die andern wiederholten es wie eine tief empfundene Wahrheit. Die Jüngeren, noch Schulpflichtigen aus dem ›Umstand‹ duzten mich, die älteren sagten Ihr und Sie. Aus allem, was sie sprachen, klang ein so aufrichtiges Wohlwollen heraus, daß ich mich nur ungern aus der Runde losmachte, um nach Lannersbach in Vordertux zu gehen, wo eine gute Nachtherberge zu erwarten stand, während in Hintertux nur ein sehr kümmerliches Wirtshaus zu finden ist. Ähnliche Äußerungen wie die der Tuxer von der schiechen Natur ihres Tales könnten auch an andern Orten wiedergegeben werden, da sie fast allenthalben zu vernehmen sind. Der Mann, der der Scholle sein knappes Leben abgewinnen muß, berechnet die Schönheit des Landes nach der Fruchtbarkeit des Bodens, nach der Bequemlichkeit und Sicherheit der Feldarbeit. Der bäuerliche Tiroler hält daher die Ebene für viel ›feiner‹ als das Gebirge, und seine Geburtsstätte mit den abschüssigen Halden unter Lahnen- und Muhrengefahr, mit den Felsenwänden, die alle Frühjahre donnernd in das Tal herunterpoltern, mit den Wildbächen, die jeden Lenz verwüstend losbrechen, sein eigen Mutterland nennt er am liebsten ›schiech‹, ganz unbeschadet seiner Liebe zu der strengen Erzeugerin. Die volle Herrlichkeit der Bergwelt geht ihm oft erst im Heimweh auf. Landschaftsmaler, die im Gebirge bekannt sind, wissen zur Genüge, daß eine Gegend desto weniger Ausbeute gewährt, je feiner sie geschildert wird, und umgekehrt, je schiecher, desto voller die Mappen. Die grimmigsten Ausdrücke versprechen die erhabensten Schönheiten; ich wenigstens habe nie solche Lust verspürt, einer Empfehlung nachzugehen, als einmal auf den Wiesen von Sterzing, wo ein Bauernjunge, auf die Gletscher des Ridnauntals deutend, lustig hervorbrach: »Ei ja, da sollt ihr hineingehen, da sind Ferner drinnen, daß es eine Schand' ist.«
Nach der Prozession steigen wir zum Herrn Kuraten, zu seinem freundlichen Häuschen hinauf, um ihm guten Morgen zu wünschen und zu fragen, wie ihm der Umgang angeschlagen. Dann setzen wir uns auf seine Sommerbank und schauen über den Garten, wo jetzt Sonnenblumen, Eisenhut und Astern blühen, hinunter in das Dorf, welches hier ein kleines Tal bildet, von dessen anderm Rande das heitere Knollenwirtshaus entgegenwinkt. Alles, was da zwischen Häusern und Obstbäumen zu sehen, gruppiert sich in diesem Rahmen zu einem reichen Lebensbilde, wie es sich ein Genremaler aus Holland oder München nicht plastischer wünschen könnte. Außer den großen Dekorationen, den Häusern nämlich und den Bäumen, gewahren wir einen breiten Weg, einen Gießbach, eine Brücke, ein Bildstöckel, einen Brunnen, mehrere Gärtchen und einiges Gebüsch. Dazwischen gehen allerlei Alpbäcker hin und her, jeden Geschlechtes und jeden Alters, alle feiertäglich prangend; die Jungen grüßen die Alten, die Buben die Mägdlein und umgekehrt; da stellen sich zwei zum Gespräche zusammen, dort drei oder vier oder fünf; die exotischen Fräulein aus dem Reich, die heute mit Vater und Mutter vom Land hereingekommen, schlüpfen heiter durch das Alpenvolk, schauen aber doch etwas verdutzt darein, wenn wieder eine ehrwürdige Matrone mit den Tonnenfüßen vorbeiwatschelt; dort zündet ein Alpbäcker seine Pfeife an, die Dirne kommt aus dem Wirtshaus und trägt ein großes Schäffel an den Brunnen, Hansel, der Wirtin Sohn, geht mit einer Maß Wein über die Szene, von Zeit zu Zeit erscheint Frau Knollin mit dem Kochlöffel unter der Türe, nachzusehen, ob alles in Ordnung geht; ein Mädchen zeigt sich auf der Laube, pflückt ein Röschen ab und verschwindet wieder; mehrere Zecher sitzen unter dem Söller im Freien und widmen sich den weltlichen Freuden des Feiertags, nachdem die kirchlichen alle durchgenossen sind. So wimmelt es durcheinander, und alles lacht, ruft und disputiert. Also hallen die Stimmen zwar unentwirrbar, aber fröhlich herüber. Einiges Vieh – in den Alpen muß man dies entschuldigen –, schöne gesprenkelte Rinder, ziehen unangeregt und ruhig durch das aufgeregte, unruhige Gewühl. Auch ein fettes Schweinchen, das sich lebensfroh vorübertrollt, will ich als Staffage nicht unerwähnt lassen, da ich es doch einmal in meinem Notizenhefte vorgemerkt finde. Kurz, wenn ein ordentlicher Maler diese feiertägliche, sonnige Morgenstunde zwischen Pfarrhof und Wirtshaus dort hinten im Alpbach schön und wahrheitsgetreu malen wollte, es müßte ein reizendes Bildchen werden.
Von dem Klausengarten aus ist die Stadt und Festung Kufstein sehr angenehm zu betrachten, auch in einer halben Stunde leicht zu erreichen. Dort winkt, gleichfalls auf einer Terrasse am Ufer des Innstroms gelegen, der Auracher Keller, ein schmuckes Haus in Alpentracht, umgeben von einem schattigen Garten, mit einem Bier, welches dem besten bayerischen ähnlich, mit einer Zierlichkeit der Anlage und der Ausstattung, die den sämtlichen bayerischen Kellern, welche ich zu kennen die Ehre habe, weit überlegen ist. Wenn die Tiroler etwas solches in die Hand nehmen, so wissen sie einen gewinnenden Zug von Behaglichkeit, von Wohlstand, ja von Größe hineinzuzeichnen, während in einem Nachbarland mancher Brauer schon zu verschwenden fürchtet, wenn er an die Holzbank eine Lehne oder auf die Krüge einen Deckel spendiert.
Gleiche Bemerkung drängt die ganz neue Badeanstalt der Kufsteiner auf. Sie liegt rechts im Tal, gerade wo sich übereinander zwei vor nicht langer Zeit errichtete pastetenähnliche Bauwerke, angeblich Festungen, erheben, welche vorläufig die Landschaft verunstalten, bis sie etwa im nächsten Krieg eine segensreichere Tätigkeit entfalten können. Zu deren Füßen also findet sich die genannte Anstalt, welche, durch kräftiges Zusammenwirken der Militärbehörde und des tätigen Magistrats entstanden, jeden Fremden durch ihre treffliche Einrichtung überraschen wird. In der Mitte ist ein geräumiges Becken, in welchem sich dreißig Schwimmer bequemlich bewegen können. Ein kleiner Bergsee in der Nähe spendet das klare Wasser, das durch die Sonnenstrahlen bald zu angenehmer Temperatur gebracht wird. Auf drei Seiten ist das Becken mit offenen Korridoren umgeben, und diese sind mit reinlichen Steinplatten belegt. An diesen Gängen stehen auf jeder Seite zehn Kabinetts, in welchen sich die Badelustigen aus- und anziehen. Auf der vierten Seite sind die Gemächer für das schöne Geschlecht. Alles Holzwerk ist zierlich bemalt, und die ganze Anstalt gewährt ein vergnügliches Bild von Reinlichkeit und Eleganz. Einige Unteroffiziere erteilen der Kufsteiner Jugend den Schwimmunterricht. Die Einheimischen und die Fremden stürzen sich gern der frischen Bergnajade in die Arme, und so herrscht an warmen Tagen ein fröhliches Leben und ein munteres Geplätscher in den kühlenden Wellen. Es möchte sehr schwer sein, in unserer Obeliskenstadt für das große Publikum eine ähnliche Gelegenheit namhaft zu machen. Gleichwohl sind die Preise der Kufsteiner Bäder ›lächerlich billig‹ so daß auch der Minderbemittelte hier am Sommerabend sein Vergnügen finden kann.