Ludwig Steub
Alpenreisen
Ludwig Steub

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Moderne Baukunst

Die Neubauten, welche in Tirol und Vorarlberg während der ersten Hälfte des Jahrhunderts entstanden, sind alle ganz mißraten und traurig anzusehen. Diese Baumeister – ich kenne ihre Namen nicht und möchte ihnen auch nichts Übles nachreden, aber man hätte vielleicht schon den allerersten zum Besten der Kunst an seinem ersten Turmspitz aufspießen sollen.

 

In Schlehdorf

Dieser Ort ist am 17. Oktober 1846 unter eines Orkanes Brausen abgebrannt und darauf ganz neu wieder auferstanden. Ehemals war es ein malerisches Hochlandsdörfchen, aus niedlichen, im Alpenstile erbauten Bauernhäusern, Blumen- und Obstgärten, Brunnen und Misthaufen bestehend – aber nach dem Brande nahm ein gebildeter Stadtarchitekt die Sache energisch in die Hand, erklärte jene idyllische Traumwelt für einen überwundenen Standpunkt und überließ sich ganz den Eingebungen des neuesten Geschmacks.

So erhielten denn die guten Schlehdorfer lauter sehr logisch-abstrakte Häuschen, eines wie das andere, wie wenn sie alle in der Fabrik gefertigt wären, säuberlich in Reih und Glied gestellt und mit genau bemessenem Abstande, so daß sie von der Ferne aussehen wie ein kleines numidisches Zeltlager oder nach Meinung andrer wie eine Sammlung von Hundshütten. Als nun aber die sentimentalen Sommerfrischler, welche die Philosophie dieser Anlage nicht zu würdigen wußten, wiederkamen, schlugen sie die Hände über dem Kopf zusammen und riefen: »Ja, wo ist denn unser altes reizendes Schlehdorf? Wer ist denn dieser – Künstler?« Der Jammer ging in die öffentlichen Blätter über, der Architekt suchte zu beweisen, daß seine Tadler von der Baukunst der Zukunft nichts verständen und daß er sich um die Meinung der Unverständigen nicht zu kümmern brauche und so fort, bis endlich die Regierung, was man sehr lobenswert fand, den Ausspruch tat, daß man bis auf weiteres im Gebirge den Gebirgsstil zu schonen und beizubehalten habe.

 

In Audorf

Sollte man aber glauben, daß jene idyllischen Wohnstätten, die auf den Alpenweiden vielleicht ihr Traumleben schon geführt, ehe noch Romulus sein Rom gegründet – sollte man glauben, daß jetzt auch sie ihrer Wandelung und ihrem allmählichen Untergang entgegengehen?

Diese Frage stellt man sich namentlich zu Audorf, dem anmutigen Örtlein am Inn nicht weit von der Tiroler Grenze, zu Füßen des Auerbergs, auf welchem noch jetzt ein schwarzes Mauertrumm an die ehemals wehrhafte, aber längst zerstörte Grenzfeste erinnert. Vor vier Jahren ist dieses Dorf zum Teil in Asche gesunken, und da es an Geld und Gut nicht fehlte, so erwarten die Freunde des Schönen, daß die Häuser, die der Brand vernichtet, in neuer Zierlichkeit, in einem verklärten Alpenstil wiederauferstehen würden. Aber es kam ganz anders – die flachen Dächer wurden aufgegeben und dafür spitze Giebel mit Zementziegeln errichtet, die Vorsprünge der Bedachung zogen sich ins Unscheinbare zurück, die Laube lebt nur als verkümmerte Altane fort, die, wie ein Tränensäckchen, um das verweinte Auge der obern Glastür hängt. So sind die Häuser zum Teil wohl groß und teuer, aber ungeschlacht und geschmacklos geworden. Wer ist daran schuld? Gegen den vorspringenden Wetterschirm soll sich die Obrigkeit ausgesprochen haben; die flachen Schindeldächer sind der Feuersgefahr unterworfen und zahlen höhere Beträge an die Versicherungsanstalt; die langen Laubengänge, welche ehemals, da die Häuser noch meistens aus Holz gebaut wurden, der Zimmermeister umsonst darein gab, gelten jetzt als zu kostspielig und sind an Gasthöfen sowie an andern Gebäuden, die im Sommer vermietet werden, deswegen nicht beliebt, weil die jeweiligen Einwohner fremde Leute ungern vor ihren Fenstern auf- und abpatrouillieren sehen. Auch sollen sie, sagt man, zu günstige Gelegenheit für Einsteigende, sowohl Liebende als Diebe, gewähren.

In einem andern Dorfe des Gebirgs, wo jüngst ebenfalls einige Firste abgebrannt sind, bestehen die Hausväter auf ganz glatten Wänden mit Ziegeldächern ohne Vorsprung und Galerien, weil dies solider und billiger sei. Traurig, wenn auch diese Poesie erlischt, die uns so untrennbar mit Wald und Alm verwachsen scheint! Aber wie sich der Gesang der Berge in die Städte flüchtet und in ihren Mauern Alpensänger und Quartette aufstehen, wie man sie im Hochlande kaum mehr finden kann, so scheint sich auch der Baustil der Alpen in den Schoß der Bildung retten zu wollen. Unsere Naturfreunde, die sich draußen ein Hüttchen bauen, wählen standhaft die Form der Schweizerhäuschen – die Landleute dagegen greifen nach dem charakterlosen Typus der Stadt!

 


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