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Herrn Wippchen in Bernau.
Ihr geistvoller Bericht über eine Unterredung, welche Sie mit der Baronin Josephine Henriette von Eichstaedt gehabt haben wollen, ist, wie Sie gesehen haben werden, von uns nicht zum Abdruck gebracht worden. Wir begreifen Ihre Entrüstung über die Aeußerung des Gerichtspräsidenten, Herrn Matthieu de Vienne, in dem Proceß gegen die Verbrecher der Rue Poliveau vollkommen und theilen dieselbe, denn es war unerhört taktlos von ihm, zu behaupten, Deutschland sei an dieser Mordaffaire betheiligt, weil eine deutsche Dame einem der Mörder das Geld zur Gründung des »Père Duchesne« vorgeschossen hatte. Aber Sie gehen denn doch zu weit, wenn Sie den bezeichneten Besuch bei der genannten Dame, die Sie »Mère Duchesne« zu 65 nennen belieben, dazu benutzen, nachzuweisen, daß Bismarck den deutschen Botschafter in Paris nicht beauftragt habe, sich an dem Mord der unglücklichen Milchhändlerin zu betheiligen und daß der Fürst Hohenlohe mit dieser Milchhändlerin weder in irgend welcher Verbindung gestanden, noch die Baronin von Eichstaedt ermächtigt hat, durch Geldvorschüsse den einen der Mörder zum Redakteur zu machen. Aber, Herr Wippchen, wie dürfen Sie eine taktlose unüberlegte Aeußerung, die in diesem Proceß gefallen ist, so wörtlich nehmen, so auffassen, als sei Deutschland in seinen Vertretern gegen den Verdacht, an der Ermordung einer Pariser Milchhändlerin mitschuldig zu sein, ernsthaft zu vertheidigen!
Besser als dieser Bericht, der uns am allerwenigsten in eine Reihe von Pariser Weltausstellungsbriefen zu passen schien, gefiel uns Ihr Vorschlag, dem Einmarsch der Oesterreicher in Bosnien beizuwohnen und uns darüber zu berichten. Wir sind damit einverstanden. Lassen Sie bald etwas von sich hören.
Ergebenst
Die Redaktion.
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66 Bernau, den 8. August 1878.
Es giebt Tage in mir, an welchen ich vor Milde außer mir bin, aus purer Sanftmuth aus der Haut fahren möchte und vor lauter Seelenruhe mit dem Kopf durch die Wand will. So heute. Ich bin heute – verzeihen Sie das harte Wort! – lammorthodox. Durch keinen noch so kleinen Tropfen Wermuth ist meine gute Laune zu zerstören, ich singe wie der Fisch im Wasser und komme aus dem Risum teneatis nicht heraus. Als meine Wirthin, der man es noch jetzt ansieht, daß sie einmal recht häßlich gewesen sein muß, in's Zimmer trat und mir den Kaffe brachte, hielt mich nur das Bewußtsein, es sei schändlich, den Gatten bei den Hörnern zu packen, davon ab, ihre Taille an mein Herz zu drücken, so fröhlich war ich. Fröhlichkeit ist meine Rettung. Aergere ich mich, so bin ich krank, so esse ich wenig wie ein eingefleischter Vegetarianer, ich, der ich sonst wie ein Bürstendrescher esse. Gewiß nicht. Und als nun Ihr geehrtes Schreiben kam, da sprang ich, anstatt mich zu ärgern, fröhlich in meinem Heim auf und ab und schlug eine Allée von Purzelbäumen. So bin ich mein eigener Arzt. Handelte ich anders, so salberte ich Quack.
Sie haben meinen Brief über das Verbrechen der Rue Poliveau, – doch wozu böses Blut in's Feuer gießen? Ich dachte mir, jedem Deutschen müsse sich das Haar im Leibe sträuben, wenn er hört, daß man sein Vaterland für die That zweier Meuchelmörder verantwortlich macht. Sie bleiben ruhig 67 dabei und werfen meinen Bericht in ihren Orkuskorb. Gut, ich sage kein Wort, wie der Aal, den man lebend verspeist. Einliegend der Einmarsch der Oesterreicher in Bosnien. Damit Sie aber sehen, daß Sie kein Unmensch sind, bitte ich Sie um 40 Gulden Vorschuß. Papier ist ja geduldig.
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Brod, den 5. August 1878.
W. Lessing sagt: Die Kunst geht nach Brod! Und da bin ich denn in dem gleichnamigen Städtchen.
Ich habe dem Einmarsch der Oesterreicher beigewohnt. Die Nacht vorher war sternenhell. Majestätisch kam der Orion auf dem Steinbock dahergeritten, und in der Milchstraße spannten die Zwillinge den Skorpion vor den großen Wagen. Dann dämmerte Helios. Bald sandte er seine Strahlen hinab, daß die ganze Gegend ein einziger Peter Schlemihl war. Ich rieb mir die Posen aus den Augen, denn Tamboure schlugen an mein Ohr, ich fühlte nahe Fußtritte, die Occupationstruppen nahten. Rasch warf ich mich in meinen Hut, stieg auf mein Pferd und sprengte die Treppe hinab auf die Landstraße.
Welch ein Anblick! Von allen Seiten rückten die Truppen näher, voran der Feldzeugmeister Philippovich, ein dicker schlanker Mann mit einem starken Bart in seinem glatten Gesicht. Als ich ihn erblickte, erließ er gerade seinen Corpsbefehl an die Truppen, welcher lautete:
68 »Soldaten! Eure Aufgabe ist klar vorgezeichnet! Ihr habt die Bewohner Bosniens und der Herzegowina Morgens wie aufrichtige Freunde zu behandeln, bis Mittag habt Ihr dann die Rechte jeder Nationalität und Religion, sowie bestehende Sitten und Gebräuche zu achten, und Abends, wenn der Zapfen geblasen wird, Eigenthum und Hausrecht zu schützen. Auf allen Märschen müßt Ihr Dienste der Humanität leisten, in allen Garnisonen die Civilisation verbreiten! Die Fittiche des Doppelaars erwarten, daß sie durch Euch zu erhöhtem Glanze gelangen!«
Da blieb kein Ohr hurrahleer. Dann fand der Einmarsch statt.
Erbherzog Johann Retter (Salvator) war der erste Oesterreicher, welcher Bosnisches Gebiet betrat. Hier pflanzte er sofort die österreichische Fahne ein. Möge sie rasch Wurzel fassen und Aeste und Früchte tragen!
Kaum aber rückten die Truppen in das Land, so stiegen die Drachen aus dem Boden auf, welche die Türkei gesäet hatte. Zwar zog sich bei Gradiska die türkische Besatzung zurück, und Alles schien wie am Schnürchen durch die Milch zu gehen. Aber, wir sollten es gleich erfahren, stille Türken sind tief.
Denn das Land befand sich bald in hellem Aufstand. Da war kein Aeußerstes, zu dem es nicht griff, keine Wehr, zu der es sich nicht setzte, kein Widerstand, den es nicht leistete, keine Lauer, auf der die Bewohner nicht lagen, kein Rücken, 69 in den sie nicht fielen, keine Hinterbeine, auf die sie sich nicht stellten. Natürlich riß den Oesterreichern bald die bonne mine à mauvais jeu, und der Kampf begann. Denn diese Sitten und Gebräuche konnten sie nicht achten, wie es der Feldzeugmeister verlangt hatte.
Das ist der Frieden, den der Congreß so eben in Berlin ausgewechselt hat! Armes Oesterreich, dem man zwei derartige giftige Anguisse in die Herba gelegt hat!