Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 2
Julius Stettenheim

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23 II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Sie sind hoffentlich nicht aus der guten Stimmung, in welcher Sie uns unterm 6. schrieben, dadurch herausgerissen worden, daß wir Ihr Feuilleton unter dem Titel »Meine Besuche bei den Walfischen und Elephanten« nicht zum Abdruck gebracht haben. Es ging nicht. Der Titel war ja sehr pikant, und wir wissen sehr wohl, daß das Publikum derlei Artikel mit Heißhunger verschlingt, ohne den Inhalt derselben genau zu prüfen. Aber in diesem Falle wurde es doch allzu kühn zu solcher Prüfung herausgefordert. Denn erstens kennen Sie keinen der von Ihnen so genau beschriebenen Congreßmitglieder, und zweitens nehmen Sie den Bismarckschen Vergleich aus der Thierwelt doch zu wörtlich, wenn sie ausführlich von Beaconsfields Fischbeinen, oder von Salisburys engem Schlund, von Gortschakows Rüssel, oder von 24 Schuwalows zwei Stoßzähnen erzählen. Ebenso gewagt ist, daß Sie die dem englischen Bevollmächtigten beigegebenen Räthe, Sekretäre &c. das Corps de Balaena nennen. Als das Schlimmste aber scheint uns der Umstand bezeichnet werden zu müssen, daß Sie keinen der hervorragenden Diplomaten kennen und sich auch nicht die Mühe gegeben haben, sich in irgend einem Conversations-Lexikon über das Alter dieser Herren zu informiren, oder, wenn dies geschehen, eine der ältesten Ausgaben von Brockhaus erwischt haben. Denn anders läßt es sich nicht erklären, daß Sie z. B. den Earl of Beaconsfield als einen jungen Mann schildern, während derselbe in Wirklichkeit ein ganz alter Herr ist wie der Fürst von Gortschakow, den Sie als einen Springinsfeld bezeichnen, »welcher jeder Schürze etwas Schönes in's Ohr flüstert.«

Am 13. nun findet die Eröffnung des Congresses statt. Der Sitzungssaal ist bereit, der Schauplatz des historischen Ereignisses zu sein. Alle bedeutenden Journale haben ihre Vertreter hiehergesandt, die auch schon ausführlich über Vieles, was sie nicht gehört haben, berichtet haben. 25 Bitte, lassen Sie uns nicht zurückstehen und erfreuen Sie uns bald mit Ihren Zuschriften.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, den 13. Juni 1878.

O gewiß nicht! Mein Humor ist bei bester Laune und es fällt mir nicht ein, irgend eine Ihrer Grillen gefänglich einzuziehen, um sie mir über die Leber laufen zu lassen. Freilich wäre es mir angenehmer gewesen, mein Feuilleton abgedruckt zu sehen, anstatt daß Sie dasselbe in den Roi de Prusse warfen, als hätte ich geradezu einen Firle gefanzt oder einen Pam gephletet. Das ist mir im Morpheus nicht eingefallen. Jedes Wort, welches ich schreibe, ist wohlüberlegt, und ich sende keinen Bericht ab, ohne noch einmal über ihn hinzufliegen und hier und dort eine Correctur zu ändern. Sie scheinen aber zu glauben, daß alle meine Artikel aus geschüttelten Aermeln hervorgehen, etwa wie die aus der Pistole des Jupiter geschossene Minerva. Das ist – verzeihen Sie das harte Wort! – ein Irrthum.

Was nun den Artikel selbst betrifft, mit dem Sie mir, offen gestanden, einen argen Schaber genackt haben, so war derselbe einer der besten, der in Ihrem Papierkorb modert. Ich kann Ihnen keinen besseren schreiben, und wenn Sie 26 danach schreien, wie der Hirsch nach der Tanzstunde. Ich glaubte grade, die hervorragendsten Mitglieder des Congresses auf den Kopf getroffen zu haben, indem ich vor Allen meine verehrten Freunde Beaconsfield und Gortschakow als junge Leute schilderte. Oder glauben Sie wirklich, dieselben wären nicht lieber so jung, daß sie nur in Begleitung Erwachsener in den Sitzungssaal eingelassen worden wären? Freilich, wir werden Alle alt, in den Worten Jeunesse dorée steckt ja der Nestor. Aber kein alter Ego ist es gerne. Fragen Sie Bismarck, ob er sich mit Vergnügen votre Altesse nennen läßt, und er wird Ihnen sagen, daß er am liebsten noch Elementarschütze wäre.

O Du liebliche Jugendzeit! Wie schön sind die Tage, wo sich der Knabe stolz vom Mädchen reißt, wild in den Wanderstab hinausstürmt und sein Auge, heimkehrend, die züchtigen, verschämten Wangen der Jungfrau offen sieht! Glauben Sie mir: Beaconsfield gäbe Gortschakow die Türkei für das Glück, noch einmal in der Wiege schlafen zu können, anstatt ein gewiegter Staatsmann zu sein.

Hier ein anderer Bericht. Mit meinem nächsten erhalten Sie auch einen aus der Pariser Weltausstellung, die ich nicht aus den Augen lasse. Daher ich Sie bitte, mir 50 Mark Vorschuß zu schicken, die Hälfte zum Cours von 16,24. Auch ersuche ich um einen Gambrinusfinger.

* * *

27 Berlin, den 13. Juni 1878. Abends.

W. So ist denn der Congreß im neuen Palast des Reichskanzlers eröffnet! Nun, Fortuna auf!

Mit welchen Gefühlen ergreife ich die Feder! Ich habe den Krieg aus meinen Augen grinsen sehen und heute sah ich die hufeisenförmig sitzenden Staatsmänner den Frieden in Berathung ziehen. Wer, wie ich, das Herz in den rechten Hosen hat, der muß mit freudigen Hoffnungen in die Zukunft blicken.

Es war zwei Uhr, als Fürst Bismarck den Congreß eröffnete. Er sah vortrefflich aus. Ein feierlicher Moment. Eine tiefe Ruhe herrschte. Man hätte einen Engel fallen hören können.

Der Fürst wies auf die Bedeutung des Congresses hin und schloß mit den Worten: »Wir hoffen das Beste von dem Entgegenkommen Aller. Bekommt Rußland Alles, was es fordert, und bewilligen wir der Türkei Nichts von dem, was sie verlangt, so steht dem Frieden Nichts mehr im Wege.«

Der Fürst von Gortschakow, der Graf von Schuwalow, der Baron d'Oubril und die übrigen sechs Mitglieder der russischen Gesandtschaft erhoben sich, um das Andenken der verstorbenen Türkei zu ehren.

Hierauf begaben sich Caratheodory Pascha, Sadoullah Bey, Mehemed Ali Pascha und die übrigen fünf Mitglieder der türkischen Gesandtschaft an das Buffet im Nebensaal, um wenigstens etwas davon zu haben.

28 Nun erbat sich der Earl of Beaconsfield das Wort und sagte: Yes!

Als sodann zur Theilung der Türkei geschritten werden sollte, stellten sich bedeutende Schwierigkeiten heraus. Der türkische Staatsschatz ist nämlich völlig leer, so daß Rußland erklärte, sich mit der Hälfte nicht begnügen zu können, und auf eine Theilung des Harems wollte es sich nur dann einlassen, wenn die Portraits der zu theilenden Damen vorgelegt würden. Der betreffende Antrag wurde durch einen Hammelsprung angenommen, der dadurch die Sitzung in die Länge zog, daß die meisten Staatsmänner zu alt waren, um zu springen, und daher, auf ihren Rollstühlen sitzend, einen Hammelschub ausführen mußten.

Ein anderer Uebelstand war der, daß die vielen Redakteure und Zeitungscorrespondenten, welche nach Berlin gekommen waren, sich gegen die Congreßmitglieder sehr schweigsam verhielten, so daß diese wenig oder noch weniger über die Stimmung und den Willen der einzelnen Staaten erfuhren.

Gegen 5 Uhr eröffnete Fürst Bismarck die Debatte über die Frage, ob der Congreß mit Allem einverstanden sei, was Rußland aus der Türkei zu machen gedenke.

Als erster Redner nahm Se. Excellenz der Graf Andrassy das Wort und sagte: Non!

Bei Schluß des Blattes dauert dies Non noch fort.


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