Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Erstes Kapitel.

Bin i jüngst verwich'n
Zu mein'm Diendl g'schlich'n
Hab' zum Fenster freudig einiguckt;
Hab' i's sehen scherzen
Und 'n Andern herzen,
Daß mir's durch die Seel' hat blutig 'zuckt.
Da geh' i ganz stat
Mit mein'm Herzeload,
Hab' den Weg zum Dorf hinaus nit g'fehlt:
Gibt's denn gar kein'n Weg,
Gibt's denn gar kein'n Steg,
Der mi aussi führet aus der Welt?
Lied vom falschen Madl.

Acht Tage nach der Sprenger'schen Hochzeit, nicht um einen Tag früher, nicht um einen später, – auch war's in derselben Abendstunde, die von dem Fackelzug der Brautleute zu erzählen wußte und von ihrer Zwietracht – näherte sich ein rüstig schreitender Mensch dem Dorfe Tarrenz. Er ging, als wie ein Laufer; als hätte man ihm, gleich einem solchen, die Milz aus dem Leibe geschnitten, wie das Mährchen erzählt. Nicht sein Gewand, das knapp genug, und nicht sein Gepäck, das nur in einem Schnupftüchl, hinderten ihn, seine Glieder spielen zu lassen. Ein gesegneter Aprilregen sprühte ihn an; er merkte nichts davon; von einem einzigen Gedanken war sein Kopf erfüllt; ein einziges Streben trieb ihn vorwärts. Der Abend dunkelte, konnte den Wandrer jedoch nicht aufhalten. Vorübergehende grüßten ihn mit dem rührenden Spruch: 2 »Gelobt sey Jesus Christus!« Manchem vergaß er die Antwort zu geben. Im Dorfe angekommen, ging er sichern Fußes auf Tammerls Haus los, klopfte an der Thüre, als ob er längst gewöhnt gewesen wäre, daran zu pochen. – Aber nicht jedem Pochenden wird aufgethan. Der Reisende, der hier nur eine kurze Station zu machen gesonnen war, klopfte zum zweiten- zum drittenmal, trippelte vor Ungeduld, zog endlich den nur angelegten Fensterladen an sich, und streckte den Hals, um in die Stube des Schuhflickers zu schauen, den er mit Namen rief. Die durchaus finstre Stube, das streng gesperrte Schloß an der Thüre, gaben übeln Bescheid. Kein Hund, keine Katze antworteten dem späten Besuchlustigen. – »Oho! muß ihn gerade heute ein dalketer Geist in's Wirthshaus oder in 'n Heimgarten geführt haben?« brummte er; aber seine üble Laune wich alsobald einer freundlichern Vorstellung. »Pah,« sagte er, indem er sich wieder laufermäßig auf den Weg machte: »bin ich doch gleich an Ort und Stelle. Warum auch mit dem Pechmandl die Zeit verplauschen? Bekomm' ja um so früher mein Madl zu sehen, und werd' bald vor der rechten Schmiede erfahren, wie alles daheim steht! – Daheim, daheim.« wiederholte er halb lustig, halb schwermüthig, pfiff sich ein Stückl, und lief mit verdoppelter Kraft.

Dem guten Burschen Seraphin, den ein Jeder zu Tarrenz und Imst geschwind erkannt haben würde, trotz seiner blauen Matrosenjacke und dem eingetheerten Hütl, wenn es nicht schon dunkel gewesen wäre, fühlte sein Blut siedigwarm in seinen Adern kreisen, und heftiger athmeten seine Lungenflügel, da er die ersten Häuser des Markts erreicht hatte. »Hab' ich Dich einmal derwuschen, Du lieb's Nestl?« fragte er den finster daliegenden Ort: »hast mir viel Kreuz und Sorgen gemacht: aber jetzt bist Du wieder mein mit all Deinen Gassen und Häusern, juchhe. Da ist des Bäcker Thomas zweifenstrige Wohnung; dort 3 geht's zum rothen Adler; da bleibt der Wörla-Hoisal; dort ist des welschen Fuhrmanns Behausung . . . da geht's zur Kirche, und dort, dort . . . Sapperment, sey meinetwegen noch einmal so finster, Du alte blinde Nacht, Du alte rußige Häuserpastete . . . ich will dennoch mit meinen guten Augen schon die Thüre finden, die ich meine, und das trauliche Stübl, und meine saubre, meine bildsaubre Martina . . . .« Da stand er vor den Stufen, die in's Tammerlhaus führten. »Aha! da ist's nicht versperrt; ein gutes Zeichen!« Athemschöpfend hielt er still. Die Thüre war in der That offen, gegen alle Ordnung des Hauses; aber was fragte die Magd nach der Ordnung, wenn 's galt, mit ihrem Schatz einen kleinen Spaziergang im Dunkeln zu machen? – Das Lichtstümpfchen der Dirne brannte einsam auf dem Treppengeländer. »Wieder ein gutes Zeichen!« sprach Seraphin, und huschte, ohne Furcht, sich die Stirne oder die Nase zu schinden, die Stiege hinan. – In der Wohnstube bellten Lenerl's Hunde, und der Hund der Frau Martha antwortete mit dumpfen Lauen. Gelächter aus weiblichen Kehlen folgte dem Anschlagen der Schoosthiere. »Lauter gute Zeichen.« – Es gibt keine bösen Ahnungen in der Welt, oder vielmehr schliefen sie jetzo einen tückischen Schlaf; denn Seraphin war seelenvergnügt.

Dennoch war's kein Gelächter des Frohsinns, das er vernommen; es war der Ausdruck höchsten weiblichen Ingrimms. Marianne und Martha lachten sich gegenseitig in's Angesicht, weil eine jede von ihnen behauptet hatte, an Martina's unglücklicher Heirath nicht schuld gewesen zu seyn. Hätte Seraphin nur einen Augenblick an der Thüre gehorcht, wie einst bei'm Grödner, die Wahrheit würde ihm in die Hand gekommen seyn. Seine Ungeduld ließ ihm jedoch nicht Zeit, den Lauscher zu machen, und ohne zu klopfen, wie ein vertrauter Freund, machte er die Thüre 4 auf, trat in die Stube, und sagte einen herzlichen: »Guten Abend beisammen! Da bin ich einmal wieder, Gott sey Dank!« –

Eine tiefe Stille bewillkommte ihn. Am Ofen saßen Marianne und Lenerl. Am Tische, neben der Kerze, saß Frau Martha. Die ersteren, mit gefalteten Händen starrten dem Ankömmling, wie einer Erscheinung entgegen. Die letztere, ihre Hand zwischen das Licht und ihre Augen haltend, suchte den Eintretenden zu erkennen. Die Hunde theilten der Frauen lautlose Bestürzung. Mit eingezogenen Schweifen schnupperten sie in die Luft, ohne sich weiter zu regen. – »Guten Abend beisammen,« wiederholte Seraphin mit treuherziger Zudringlichkeit, und den am Ofen postirten Weibern die Hände entgegenstreckend: »Frau Tammerl, Tante Lenerl, kennt's mich denn nicht noch ein bissel?«

»Der Seraphin?« schrieen alle Dreie laut auf, und gaben damit den Hunden ein Signal, auf den Burschen loszufahren, und ihn unbarmherzig anzukläffen. Ein Spektakel, um sich die Ohren zuzuhalten. Zwischendurch vernahm Seraphin die befremdlichen Fragen: »Wie unterstehst Du Dich?« – »Was will Er da?« – die Marianne und Martha an ihn richteten, und Lenerl's sanftmüthigeres, aber unbeschreiblich klägliches: »Daß Gott erbarm! das fehlte noch!«

Betroffen schaute er einer nach der andern in's Gesicht. Er las darauf nur Schrecken, und Unwillen, und Abscheu. Aller Hände zogen sich unter die Schürzen zurück, um den seinigen nicht zu begegnen. Nicht eine von den Frauen erhob sich, ihm ein »Willkomm« zu sagen. Vielmehr saßen sie, wie finstre Parzen, drohend zu Gericht. – »Oho! was soll das bedeuten?« fragte Seraphin, und sah dabei einem Nachtwandler nicht unähnlich. – »Das fragt Er noch?« brummte Martha im tiefsten Baß. »Der HerrDer Herr: ehrerbietige Benennung des Hausvaters und Gatten; noch heute in Bürgerfamilien von allen denselben verwandten Gliedern, vorab von der Hausfrau häufigst gebraucht. wird Dir gleich darauf antworten,« versetzte Marianne. »ich höre 5 ihn schon auf der Stiege« – »Nun, das will ich nicht mit anhören,« seufzte Lenerl, von ihrem Sitze aufrauschend: »ich kriege schon den Herzklopfer bei der bloßen Vorstellung.« – Sie flüchtete sich aus dem Zimmer. – »Wohin, Lenerl?« rief Marianne. – »Laß sie geh'n, das zuwidereEin zuwidrer Mensch: ein unausstehlicher Mensch. Zuwider seyn: nicht angenehm seyn. Weibsbild!« ermahnte die Großmutter, der Lenerl mit der Faust nachdrohend: »Sie ist an allem schuld.«

Indessen trat Tammerl etwas schwerfällig über die Schwelle; er kam von einem kleinen Rathstrunk. Die Herren hatten ihn ihres wieder aufgelebten Zutrauens versichert; er hatte seiner Leiden Bürde in ein paar Gläsern Weins ersäuft; seine Laune war rosenroth. Aber beinahe nachtete es vor seinen Blicken, da ihm Seraphin in's Auge fiel, und seinem aufgeschreckten Haupte entsank der Hut, seiner Rechten der Stock. – »Was wär' mir denn das?« platzte er heraus, betrachtete den Vintschger von oben bis unten, verschränkte die Arme, besann sich auf eine niederdonnernde Anrede. – Seraphin kam ihm zuvor. –

»Grüß' Gott den Meister;« sagte er, wieder Hoffnung schöpfend, jemand zu finden, der ihn anhören würde: »Wie ich verstehe und merke, so komme ich den Frauen ein bissel ungelegen; warum, weiß ich nicht. Ich bin wie ein neugebornes Kindl, so dumm und so unwissend. Der Herr wird mich aber schon besser begreifen, und mein Brief lang in seinen Händen seyn.«

Tammerl gab seiner Frau den herrischen Wink, den Lehnstuhl zu meiden, pflanzte sich hinein, und antwortete dem Sprechenden: »Weiß nichts von einem Brief. Hab' nichts erhalten.«

Seraphin stutzte; faßte sich indessen bald und versetzte gleichmüthig: »'s thut mir leid, das, recht leid. Aber 's ist halt schon einmal so. Briefe geh'n verloren, wie so vieles andre auch. Nicht zu wundern in der Kriegszeit, die jetzt überall losgeht. Bin überall Soldaten begegnet. Vom Trommelschlag gellen mir die Ohren. Drum hab' 6 ich auch mich geschleunt, anher zu kommen; hab' nicht rechts und nicht links geschaut, mich nirgends aufgehalten. Ein Fuhrmann hat mich nacher Nassereit gebracht; von dort aus bin ich zu Fuß gelaufen, ohne zu fragen und zu essen und zu trinken. Noch einmal: grüß Gott! ich bin froh, daß ich wieder bei euch bin.« – »So?« fragte Tammerl langgedehnt: »Hätt's nicht gemeint. Wie schaust Du aus? Wo hast Du die Juppen und das Narrenhütl her? Wo bist Du so lange gesteckt? Wo sind die Vögel, das Geld, Du amerikanischer Spitzbub?«

Seraphin nahm die Anrede für Scherz. »Ich will dem Meister erzählen, wie alles gegangen ist,« sagte er. – »Da werden wir 'was hören,« meinte der Vogelhändler. – Im Voraus schüttelten die Weiber ihre Köpfe ungläubig.

Seraphin berichtete, wie es ihm ergangen, mit derselben Wahrheitsliebe, der er auf der niederländischen Fregatte gehuldigt hatte, und wenn hin und wieder Tammerl oder die Zuhörerinnen ungeduldig sich rührten, oder die Hände zusammenklatschten, glaubte der arme Schelm, es geschähe aus purer lautrer Theilnahme. – Nachdem er beschrieben, wie er mit dem kränkelnden Sekretär des Gouverneurs von Surinam nach Holland zurückgekehrt, und seinen Weg durch die Kanzleien angetreten, um wo möglich, vermittelst der Fürsprache seines Gönners, wieder in den Besitz der ihm abgenommenen Geldsummen zu gelangen, schloß er mit den Worten: »Leider hab' ich's nicht abwarten können und mögen. Die Sach' trendeltTrendeln: zaudern, zögern; etwas langsam verrichten. sich immer mehr hin, und geht vielleicht in einem Jahr nicht aus. Hab's nicht so lang im Ausland verhalten mögen. Die Lieb' zur Heimath und zu euch allen, und zur Martina hat mich gestochen wie mit Spennadeln. Da komm ich nun, vom Unglück wohl heimgesucht, aber nicht ohne Hoffnung, daß wenigstens dem Meister noch alles ersetzt werden wird, was er mir anvertraut hat. Der liebe Gott und 7 der Gouverneur Excellenz und sein Sekretari werden mich nicht stecken lassen. Bis dahin will ich Euch aber dienen mit aller Kraft meiner Hände und meines Kopfs, und was ein ehrlicher Kerl thun kann – ich darf's schon sagen – das thu ich für den Meister und all' die Seinigen mit der größten Freude. Will's Gott, werden wir auch noch erleben, daß der Egidi frei wird – der Sekretari hat mir die beste Hoffnung dazu gemacht, – und hernach – wenn Ihr alle mir gut geblieben seyd, hätt' ich schier keinen andern Wunsch mehr auf der Welt.« – Seraphin sagte das »schier« recht kleinlaut und bewegt, denn er gedachte seines Vaters, von dessen Leben oder Tod er auch nicht das mindeste wußte. –

Er hatte sich dem Meister mit größter Zutraulichkeit genähert, und abermals seine Hand zum endlichen traulichen »Willkomm!« hingereckt. Darum schlug ihm, wie ein Donnerstreich in die Ohren, was Tammerl, gleichsam wider Willen zornig, seiner Offenherzigkeit antwortete: »Ja, wer's glaubt, was Du da hergelogen hast, Du z'nichter Bub' und Galgenstrick!« – »Der kann lügen! der kann lügen! – ist gar aus!« schrieen die Weiber und segneten sich vor der Unverschämtheit des Wahrheitsliebenden. – Seraphin wußte nicht mehr, ob er den Kopf auf dem Rumpf habe oder nicht. »Oho!« sagte er: »was plazedern denn die Leutl'n? Ich, ein Galgenstrick, weil ich in's Unglück gerathen bin, wie's dem Meister selbst begegnet wäre, hätte ihn der Lump von Kölbl an meiner Statt angetroffen.«

»Der Lump von Kölbl wird Dir gleich antworten!« polterte Tammerl: »der Lump ist jetzt mein Hausknecht; der Lump hat mir alle Deine Niederträchtigkeit aufgedeckt. Ruf' mir Eins den Kölbl! geschwind: wie was?« –

»Du vergissest, daß der Mensch ins Welschland gefahren ist, um den Doktor zu holen,« bemerkte Marianne. – »Ja so, ich dachte nicht daran, aber warte 8 nur, Du verlogener Vintschger. Nichts soll Dir geschenkt seyn!« Indem er so redete, ging Tammerl, der aufgestanden, hastig auf und ab, und setzte unschlüssig bald den Hut auf, bald warf er ihn von sich.

Furchtlos, wenn schon betroffen, erwiederte Seraphin: »Weiß nicht, wie der Kölbl wieder zu euch kommt. Hätt' ihn am wenigsten hier zu treffen vermeint; wohl eher irgendwo draußen am helllichten Galgen – aber das ist akkurat eins und gleichviel. Wollen sehen, wer am meisten vor dem andern derschrickt. Für euch hab' ich indessen, wenn Ihr meiner ehrlichen Versicherung nicht glaubt, einen andern Beweis, einen rechten, einen geschriebenen. Der Herr von Dobroslaw oder von Abraham oder von . . . gleichviel, wie er jetzt heißt, hat mir ein Zeugniß ausgestellt, und noch ein paar andre Papiere hat mir sein Sekretari mitgegeben . . . .« – Seraphin suchte in den Taschen seiner Jacke, seiner Beinkleider. – Tammerl stand plötzlich steif und still. Es hätte ihm gefallen, wenn Seraphin sich rein gewaschen hätte. – »Nun? die Papiere? die TestimoniaunzaTestimoniaunza: (romanisch) Zeugschaft, Beweis; auch Testament.? wo? wie? was? her damit!«

Aber – es kam nichts zum Vorschein. Vergeblich kehrte Seraphin das Futter seines Kleids, das dürftige Bündel unter seinem Arm um und um. Nirgends etwas zu finden. Schwitzend vor Eifer und Angst stammelte er: . . »Da, da . . . da hab' ich's verloren, das Brieftaschl, mit allem, was darinnen. Gibt's denn einen geschlagnern Menschen, als ich bin? Wo denn – in Gottesnamen – hab' ich das Brieftaschl verlieren können?«

Martha lachte vor Bosheit hell auf. Marianne zuckte geringschätzig die Achseln. Tammerl, je gespannter er gewesen, je zorniger wurde er. Er arbeitete sich völlig aus seinem guten Humor heraus, indem er den Seraphin anschrie: »Was sollen also die SpargimenterSpargiment: hin und wieder »Umstände;« sodann auch »Gerücht« in schlimmerer Bedeutung.? was soll die heuchlerische Anrufung des heiligsten Namens? 9 Lockfink des bösen Feindes! meinst Du, ich würde Deinem falschen Pfiff zuhorchen, wie ein gutmüthiger Dalk von einem Vogel? Was gar nicht existirt, das kann freilich nicht vorgewiesen werden. Durchgebracht, verwixt ist mein schön's Geldl, und wenn Du's auch herhexen könntest, so will ich Dir dennoch beweisen, daß Du ein Dieb bist, der meinen Peterl ausgeraubt hat, wie einen Schelm.« – Folgte nun in körnigen Worten die Litanei der Anschuldigungen, wie der verlorne Sohn sie vorgebracht hatte. –

Bei jedem Absatz, den der schnaubende Tammerl machte, fiel Seraphin um eine Klafter tiefer aus den Wolken seines geträumten Himmel. Mochte er zehnmal den Alten unterbrechen, sich mit Händen und Füßen wehren, immerdar »Nein, nein« und »es ist alles nicht wahr, ist alles erlogen!« rufen, kein Mensch glaubte ihm. Martha schüttelte Lawinen von ehrenrührigen Redensarten aus ihrem tückischen Munde; Marianne forderte Blitz und Donnerkeil auf, denjenigen zu vernichten, der es wagte, die Aussage ihres lieben Kindes Lügen zu strafen.

Seraphin stand nicht wie der Fels im Meere: dazu war ihm das unermeßliche Unheil viel zu unverhofft gekommen. Er weinte, er seufzte, er wimmerte: »Bin ich denn hier unter meinen ärgsten Feinden? Nimmt denn gar kein Mensch für mich das Wort? Wo ist die Tante Lenerl, die es mit mir so gut meinte? Wo ist Martina, mein Schatz, mein Alles, daß sie für mich vorbitte?«

»Die Tante, das ungute Weibsbild, ist an allem schuld,« gab Martha wiederum zum besten. – »Den Peterl, meinen liebsten Peter anschwärzen!« kreischte Marianne. Tammerl seinerseits trat mit einer wilden. fast lächerlichen Majestät vor den Seraphin, und sagte. »Du, laß' mir die Martina aus dem Spiel. Wisch' Dir das Maul, Du schlechtes Früchtl. Mit der Martina 10 ist's nichts mehr. Rede nicht so gemein und vertraulich von ihr. Sie ist verheirathet, und die Frau von Sprenger sollst Du respektiren, oder ich schlag' Dich nieder, Du Gutedel.«

Alle Lawinen und Donnerkeile der beiden Frauen waren Spielwerk im Vergleich zu den erschrecklichen Worten Tammerls, der gar nicht die Hand aufzuheben brauchte, sein Schlachtopfer niederzuschlagen. Seine Rede allein traf den guten Vintschger so gewaltig, daß er an den Ofen taumelte, und sich die Stirne blutrünstig schlug. Nicht der Schmerz, sondern die über alles Maß schreitende Verwirrung seiner Sinne machte, daß Seraphin seinen Kopf mit beiden Händen hielt, und unzusammenhängende Laute ausstieß, die das trockenste Herz erweicht haben würden, wäre er nicht von feindlich flammenden Gemüthern umgeben gewesen. Er schluchzte, er klagte, er riß an seinen Locken . . . er war kein vernünftiger Mensch mehr. Das verständlichste, was er vorbrachte, war: »Mutterl, Mutterl im Himmel! nimm mich zu Dir.«

Tammerl wurde nach und nach im Angesicht dieses tiefen Kummers betroffen und unentschlossen. Selbst Marianne machte Schicht mit ihren hageldicht fallenden Vorwürfen. Aber Martha blieb, wie sie war, und herrschte dem Sohne zu: »Nun, Peter, nun? soll uns der Straßenräuber die Ohren voll lamentiren? Ich meine, wir hätten genug Verdruß im Leibe. Weißt nicht, was mit ihm anzufangen?« – »Marschiren soll er, sich durchmachen!« befahl Tammerl; aber die Alte war damit nicht zufrieden. »'s wär' ihm das liebste!« rief sie: »aber der Peterl und der Kölbl, die als Lügner dastehen! und das Geld, Dein Geld, das sauer verdiente, willst Du in's Kamin schreiben? Mir käm' er ohne Strafe nicht durch, der höllische Dieb, mir nicht. Verstanden?«

»Ja, Frau Mutter!« hob Tammerl an, von neuem 11 angehetzt: »Dableiben, nicht mucksen soll er. Ich gehe, stehenden Fußes, den Gerichtsdiener zu holen. Eingesperrt, prozessirt, kriminalisch werden, Galgen, Rad und Zuchthaus. Ja, Frau Mutter, ich geh' geschwinde.« Im Nu hatte er den Hut abermals auf dem Kopfe, nahm den Stock verkehrt in die Hand, und lief zur Thüre hinaus. Die Weiber folgten ihm; das Schloß an der Thüre wurde abgeschnappt. Seraphin war allein und eingesperrt.

Unvermögend, den davoneilenden Tammerl aufzuhalten, war doch dem Burschen nicht entgangen, was beschlossen worden im Rath seiner Dränger. Der Sohn der Freiheit empörte sich gegen den Verschluß und die Aussicht auf einen strengern Kerker. Wenn auch die mißhandelte Liebe ihm zurief: Was gilt Dir Freiheit und Leben, da Martina für Dich dahin? so war doch seine Erinnerung plötzlich wach geworden, als eine auf gefährlichem Posten stehende Schildwache und schüttelte ihn auf, und donnerte ihm in's Ohr: Wie? kaum entgangen dem Kerker der Seelenverkäufer und des holländischen Schiffs und der Furcht, am Mast zu baumeln, willst Du, der Unschuldige, schmachvolle Ketten und Prozeß und unehrliches Urtheil erwarten? Pfui Dich an, wenn Du das willst. Frei seyn, frei und dann meinetwegen zu Grund gehen, aber nur frei! – Ohne sich lang zu bedenken, gab Seraphin der Mahnung Gehör. Ihm fiel ein, das kürzeste möchte wohl seyn, zum Fenster hinauszuspringen. – Aber das Mitleid eines Weibes ersparte ihm das halsgefährliche Wagestück.

Allerdings war nicht Martha und nicht Marianne die Barmherzige, die den Verzweifelnden befreite. Die weiße Hand der guten Tante öffnete behutsam von außen, und Lenerls thränenweiche Stimme sagte zu Seraphin durch die Klumse der Thüre: »Du weißt noch den Weg durch's Hinterhaus? Das Stadtthor steht auf. Such' das Weite, und Gott verzeihe Dir, was Du angerichtet.«

12 Da war nun freilich keine Zeit mehr zu Entschuldigungen und Aufklärungen. Seraphin benutzte unverweilt den dargebotnen Freipaß, und hatte innerhalb einer Minute, trotz seiner Verwirrung und der dichten Finsterniß, das so geliebte und so gefährliche Haus im Rücken. Wohl bekam's ihm, denn nicht lange darnach kehrte Tammerl in Begleitung seines Gevatters, des Rathsherrn und des Gefängnißknechts zurück. Triumphirend führte Martha, die an der Hauspforte mit dem Lichte Wache gehalten, das Kleeblatt hinauf, und sank beinahe in Ohnmacht, da sie den Käfig leer, den Vogel ausgeflogen fand. Auch Tammerls Verwunderung war groß. »Das ist was saubres.« spottete der Rathsherr. – »Einen auf den alten Kaiser hinEtwas auf den alten Kaiser hin thun: schwäbische Redensart: etwas ohne Ueberlegung thun. Z. B.: »er lebt,« oder »er macht Schulden auf den alten Kaiser« u. s. w. (Beziehung auf das Mährchen vom alten Hohenstaufen.) aus'm Bett zu jagen!« maulte der Gerichtsknecht, ein Schwab von Pfullendorf.

»Wer hat ihn ausgelassen?« fragte Tammerl bärbeißigst »Epper ich nicht!« entgegnete Martha trotzigboshaft. – »Daß Gott erbarm! ich auch nicht!« sagte Marianne. – »Und ich, will's Gott, doch auch nicht,« sagte die Dirne. – »Die Tante! die Lenerl! niemand als sie.« vereinigten sich dann alle Stimmen.

Und die Tante war zu ehrlich, um zu läugnen, und sie sprach mit Nachdruck zu Tammerl: »Ja, ich hab' dem Schwager den größten Gefallen gethan, den ich ihm thun konnte. Ich habe dem Seraphin durchgeholfen, und ihr Alle werdet mir's einmal danken, daß ich euch die mannichfache Schande gespart habe, die über euch und eure Angehörigen gekommen wäre. Mehr als die Schande, das größte Unglück. Würde Martina, die im ärgsten Leide sitzt, nicht vergehen ganz und gar, wenn ihr gewesener Bräutigam in Eisen läge und dem Zuchthaus entgegenreifte? Und gesetzt, er wäre unschuldig, wie er sagt . . . . was sollte aus dem Peter werden? Ich habe recht gethan. Thut ihr jetzt, was vernünftig ist, und schweigt und laßt die traurige Geschichte ruhen. Seraphin wird euch 13 nicht weiter stören. Ob strafbar ob unschuldig, – glaubt mir – er wird euch mit seiner Gegenwart immerdar verschonen, oder ich kenne seinen Kopf und sein Herz gar schlecht. Was wollt ihr mehr?«

Martha erstickte fast vor Grimm, und lief in ihre Stube, sich einzuschließen. Der Rathsherr drückte der Tante schweigend die Hand. Der Eisenknecht bedankte sich für das reiche Trinkgeld, womit sie seinen Mund versiegelte. Marianne meinte, die Schwester könne etwa nicht Unrecht haben. Nachdem Alle fortgegangen, sagte Tammerl, der kaltblütig geworden, mit seinem gewöhnlichen gutmüthigen Ausdruck zur Tante: »Die Schwägerin ist brav, brav von innen heraus; eine christliche Seele, beim Eid. Ich danke Ihr wahrhaftig. Die arme Martina, an die ich gar nicht dachte! Der Bube laufe hin. Mein Geld ist doch verloren; ich könnt's ihm nicht aus der Haut schneiden, und – wer weiß – vielleicht bessert er sich auch noch. Ich hätt' es selber nicht ertragen mögen, den Burschen – den mir mein seliger Vater rekommandirt – im Elend zu wissen. Gott schenk' ihm wieder ein gut Gewissen; der Martina gebe er Geduld – sie hat sie nöthig, die arme Haut – und uns verleihe er Frieden im Haus und im Lande. Gute Nacht, Schwägerin. Sie wird schlafen, wie eine Heilige, das ist gewiß. Und auch mir wird der Himmel einen süßen Schlaf schicken, der mir ausgeblieben wäre, hätte Sie nicht alles zum besten gekehrt. Gute Nacht.« – –

Seraphin hatte keine süße Nacht. Sobald er sich frei gefühlt, war er von dannen gesprungen, und zwar auf der Straße nach Landeck; denn eine Art von innerlicher Gewalt und von Naturtrieb jagte ihn seiner Heimath entgegen. Wollte er dem Grödner sein Leid klagen? wollte er in Oswalds Armen, den er mit Recht dort vermuthete, Trost suchen? Oder sehnte er sich nur nach dem kleinen Gottesacker neben der Kirche, nach einem stillfriedlichen 14 Grabe neben dem Erdhügel, der seiner Mutter und seines Schwesterchens Asche bedeckte? – Schwerlich konnte er sich Rechenschaft geben von dem, was er wollte und vorhatte. Aber eine Thatsache ist, daß er, nachdem er fast eine Stunde weit gelaufen, plötzlich inne hielt, die Arme verschränkte, hinaufschaute zum Mond, der sich langsam durch schwarze Regenwolken arbeitete, und laut zu sich selber sagte: »Das Leben ist viel, die Lieb' ist wohl noch mehr; aber die Ehrlichkeit ist doch das Hauptstück auf Erden. Und wenn ich für's Leben auch keinen Pfifferling mehr gebe, und wenn mir auch die Lieb', meine Seligkeit, dahin ist – ich will sie ja meinetwegen, so Gott befiehlt, zum hohen Fenster hinauswerfen, die edlen Rosen – so wär's doch schade, wenn meine Rechtschaffenheit nicht stehen bliebe. Noch im Grab müßt's mich ärgern, wenn die Leute von mir Schlechtes glauben könnten . . . . und um's ihnen zu beweisen, muß ich mein Brieftaschl wieder haben, und das Taschl kann ich nur in des Fuhrmanns Wagen haben liegen lassen, und den Fuhrmann muß ich derwischen. Ist er doch von Telfs, und wird vor dem nächsten Montag nicht wieder ausfahren, und laufen kann ich ja wie besessen, leicht im Magen und im Beutel! denn der Appetit ist mir ganz vergangen, und wenn mir auch das Herz bleischwer, so gibt mir doch der höllische Geißfuß, die Desperation, die Sporen in die Seiten, als wie ein betrunkner Reiter seinem Roß. Umkehren also! Ehrlichkeit vor allem! hernach sich hinlegen und ausgeistern . . . . Gute Nacht dann, Du schnöde Welt!« –

Gesagt, gethan. Die feurigen Putzl'n, die den Seraphin einst von der Nauderer Brücke bis in's heimathliche Dorf hinab verfolgt hatten, waren nicht bald so geschwind gewesen, wie er sich jetzo erwies. Kein Kopfhängen, kein zögernder Fuß, kein Seufzen von O! und Ach! – sondern der straffe Lauf eines Menschen, der, weil er Alles verloren, sich um dir weite Schöpfung nicht mehr 15 bekümmert. Seraphin vermied, den Markt wieder zu berühren; er eilte im Bogen über die Matten, sprang über Abzugsgräben, fiel in eine Mühlrunse, zerriß sich an Hecken und Pfählen die Kleider . . . . was machte er sich daraus? – So gelangte er um die Mitternachtstunde wieder gen Tarrenz, warf noch einen Blick in das todte Fenster seines Schuhflickers, war im Nu wieder viele Klafterlängen weit vor'm Dorfe draußen, ohne Rast, ohne Ruhe. Da gab ihm die Natur einen Deuter, weil's die Vernunft nicht that. Er war, einen Satz machend, nahe daran, eine Flechse zu verstauchen. Der blitzschnell auftauchende Schmerz sagte ihm: »Stockan! halt! oha, Bub!« und er mußte nachgeben, der Springer. Sah sich um nach einem Obdach; denn es fing wieder an, dünn aber ergiebig zu regnen: gewahrte auch ein solches, wenige Schritte von der Straße. Dort lag ein Bauernhof, der heutzutage nicht mehr steht, und dazumal schon passabel herabgekommen war. Man hieß ihn allgemein »beim Trummeter« und gewöhnlich hielten nur ein Knecht und eine Dirn dort Quartier; der Eigenthümer aber wohnte zu Tarrenz. –»Ich will keinen Lärm machen,« sagte sich Seraphin: »im Stadl oder im Stall beim Vichl finde ich schon eine Unterkunft, um über Nacht zu liegen, bis das Morgengrau in die Höh' geht.« – Er glitschte, sein Vorhaben auszuführen, über 'n nassen Steig dahin; aber eine Hellung, die bald deutlicher und deutlicher sich ausnahm, wie auch das dumpfsummende Geräusch von allerlei menschlichen Stimmen gaben ihm, dem Näherkommenden, zu seiner Verwunderung, zu verstehen, daß es »beim Trummeter« grade heute nicht so einsiedlerisch zuging, wie sonst das ganze Jahr hindurch.

Der Stadel war sperrangelweit offen, und wohl ein halb Dutzend Laternen brannten darinnen auf verschiedenen Punkten, in der Höhe, auf dem Boden, und fern in dunkeln Winkeln. Ueberall saßen und standen und lagen 16 Leute umher in lodenen HemdenHemd: die Juppe oder lange Jacke von Loden: die Tracht der Bergbewohner. und breiten Hüten, verwegene und gutmüthige Gesichter bunt durcheinander; weiße und braune Schnauzbärte, und manches glatte jugendliche Kinn; lauter Männer des Landes. Die meisten hatten das kurze Tabakspfeifl zwischen den Zähnen und dampften leichtsinnig in der gefährlichen Nachbarschaft der Futtervorräthe. Es war eine bewaffnete Gesellschaft, denn auch ein Jeder beinahe hatte seine Flinte im Arm oder zwischen den Knieen; eine Gesellschaft von Landesschützen, die von den KreidenfeuernKreidenfeuer: Signalfeuer auf den Bergen, zum bewaffneten Aufstand zu mahnen. aufgemahnt, aus dem Innern herangezogen waren, die Grenzen zu besetzen, um den sich rüstenden Bayern zu wehren. Sie hatten ihr Nachtlager im »Trummeter« genommen. Seraphin näherte sich unangerufen. Entweder hatten sie eine Schildwache auszustellen unterlassen, oder diese hatte sich vor dem Regen in die Scheune zurückbegeben, oder sie hatte nicht versäumen mögen, den Vortrag eines ältlichen Schützen mitanzuhören, der eben erst anfing, mitten im Kreise sitzend, wo das BranntweinpanzlPanzen: ein kleineres zum Ausschenken des Getränks bestimmtes Faß; spaßhaft: der Bauch eines Menschen. lag, etwas Anziehendes zu erzählen. Der Gegenstand mußte recht volksthümlich seyn: die einzelnen Gespräche der Schützen untereinander schwiegen; die auf dem Heustock und seiner Leiter Sitzenden hörten auf, mit den Beinen zu schlenkern; die müde Dahinliegenden hoben die Köpfe und reckten die Ohren, um keine Silbe zu verlieren. Seraphin machte sich geräuschlos unter den Schwarm der Zuhörer, der unfern von dem Thore lagerte. Der graugelockte Schütze erzählte, wie folgt:

»Da ist es bei unsern Alten viel anders gewesen als heutzutag. Ich kann davon reden, SoggaraSoggara: eine im Mittelgebirg bei Axams, Birgitz u. s w. bräuchliche Verwünschung (Sakra).! Bin zu Axams auf die Welt kommen; meine Mutter selig ist eine von Bürgi gewesen, und ihr Nöndl, der am Völlenberg sein Gütl hatte, hat's viel hundertmal derzählt. Um also wieder auf den Türken zu kommen, so ist der vor Zeiten viel höher und schöner und ausgiebiger gewachsen, als 17 wie heute, und ich will euch sagen, warum. Die Aecker sind gewesen, wie jetzo, und die Erde gerad so braun und schwarz, und es ist Winter gewesen und Sommer, gerad noch wie alleweil. Aber im Frühjahr, wenn's einmal aper geworden ist, und kein Gfrirst mehr zu fürchten, und die Vögel sind schon brav in den Lüften gewesen und der Schnee ist nirgends mehr gelegen, als im Felsspalt, und dort nimmer weiß, sondern graulich gelb – da sind die Bergmänner gekommen, groß und stark wie die Bäume, und haben von den Jöchern herabgeschrieen: »Türken baut's! baut's Türken!« haben sie geschrieen; und darnach haben die Bauern gleich gebaut und gesetzt, und beim Einthun ist immer so viel unmenschlich viel Korn gewesen, daß die LattenLatten: die Gestelle längs den Mauern und Giebeln der Bauerhäuser, wo die Maiskolben zum Trocknen aufgehängt zu werden pflegen. gar nicht mehr haben zureichen wollen; die Bauern haben völlig den Türken nicht unterbringen mögen. – Aber einmal in einem Jahr sind die Riesen lang lang nicht gekommen, und doch ist alles schon aper und das Wetter das schönste gewesen. Geh'n halt die Bauern hin und bauen und setzen, und richtig ist hinterher der Reifen gekommen; hat ihnen den ganzen Türken verbrennt. Gleich darnach sind wohl auch die Bergmander auf die Jöcher gestiegen; und wie sie gesehen haben, daß die Bauern nicht auf sie gewartet hatten, so ist's das letztemal gewesen. – Jetzt liegen sie wohl faul hinter den Fernern und kümmern sich nichts mehr um die Menschen, und wenn sie ihr Pfeifl im Maul haben, so gibt's den Rauch in den Bergen, der uns Regen bringt, und manches Stückl Vieh bethört, und manchen Menschen, daß sie sich ganz blind zu todt fallen. Aber der Türken ist jetzo kein GleichnißDas ist kein Gleichniß: das ist nicht dasselbe, nicht zu vergleichen. von dem, was er ehzumal gewesen.«

Dieses Ackerbaumährchen, erfunden ohne Zweifel hinter'm friedlichen Ofen zur traulichen Winterzeit, hatte eben jetzt, so zu sagen unter den Waffen erzählt, etwas Rührendes, ja tief Ergreifendes. Gläubig nickten alle Häupter dem Erzähler Beifall und Beistimmung. Ein Einziger, 18 waffenlos und der Jüngste vielleicht in der Versammlung, lächelte ruhig. »Das mit den Bergmandern,« sagte er bescheiden, »ist einmal nicht wahr; und der Türken wächst noch heute so, wie er vor Zeiten gewachsen ist. Der liebe Gott macht keinen Unterschied; er gibt den Menschen ihr Brod, und braucht dazu die Riesen nicht. Darum hat der Mensch sein Hirn im Kopf, daß er selber wisse, wann und wie er's anzufangen, sich und die Seinigen ehrlich zu ernähren. Die Sonne kommt und geht, geschwinder oder langsamer, nach der Zeit, die ihr der Schöpfer vorgeschrieben Strich für Strich, Tag für Tag; die Bergmander, wenn sie anders auf der Welt sind, können nichts daran richten; aber der Wind ist's, der warme Athem Gottes, der allmächtig über die höchsten Berge daberbraust, und eigentlich zur rechten Stunde ruft: »Baut's Türken! ich will ihn schon wachsbar machen.« –

»Schaut's einmal den Schnabel, ihr Mander und Buben!« rief der Erzähler verwundert und beleidigt: »Er wird's jetzt besser wissen wollen, als ein Mann bei Jahren, der seine Sach' versteht, und zu Axams auf die Welt gekommen ist?«

»Ja, ja! 's ist wahr!« riefen mehrere Stimmen dem Axamer nach: »wer ist denn das käsige Gesicht, das so unchristlich redet, und die Bergmander abläugnet? Man sollt' ihn mit Kirschenbeinern derschießen, wenn nur welche da wären.«

»Oho! oho!« nahm auf einmal Seraphin das Wort, und drängte sich zum bedrohten Jüngling durch, in dem er, an dessen Züge und Stimme sich erinnernd, den Oberperfußter Peter erkannte, seinen Nachtkameraden zu Stams: »wenn doch der Peterl unserm Herrgott alles zuschreibt, wo ist da eine unchristliche Rede? Ja, von Gott kommt freilich alles, gut und schlecht, Freud' und Leid, Türken und Roggen. Hast mir einen rechten Trost gegeben, Peter Anich. Wir sind groß geworden, aber kennen wirst Du 19 doch den Stamser Seraphin? ein bissel wirst ihn noch kennen? he?«

Der Oberperfußer umfaßte seinen Freund. »Wenn ich Dich nicht mehr kennte, so wüßte ich nicht, wo ich meinen Kopf habe,« sagte er fröhlich: »Grad Du bist schuld, daß ich mich daher verlaufen habe, und den Mandern da in die Hände gerathen bin. Der Vater hat mich nach Telfs geschickt, um eine seinige Schwester vor ihrem Tod noch zu gesegnen. Der Vater ist erkrankt, hätt' selber nicht gehen mögenMögen: wird sehr häufig für können gebraucht.. Gott sey Dank, die Frau ist nicht gestorben; sie wird besser, und in meiner Freud' hab' ich den Weg unter die Füße genommen, um Dich heimzusuchen, und meine Schuld endlich einmal zu bezahlen. Da, da, Seraphin, da ist das Geldl, ich hab' etwas als Zins dazu gelegt. Du hast auch nichts zu verlieren, meine ich.«

»Hab' schon Alles verloren, hast recht Peterl. Aber doch ist der Zins vom Uebel.«

»Wär' mir nichts lieber, als daß Du mir ihn zurückgäbest! Nein! nein. Die Anich's sind arme Leute, aber sie leben und lassen leben. Ordnung muß seyn. Zudem dank' ich Dir, daß Du mir ein Stückl Wegs erspart hast.« – Sich besinnend, setzte Peter Anich verdrießlich hinzu: »Ja so, ich wär' epper gar nicht nacher Imst gekommen; wenn Du mir nicht begegnetest, hätt' ich etwa meine Schuld nicht abtragen können. Denk' Dir einmal, weißt? Die Schützen da wollen mich nicht fortlassen; ich soll bei ihnen bleiben, 's Büchsel auf die Schulter nehmen, und Bayern todtschießen geh'n. Hast von einer Gewalt gehört, wie diese?« –

»Soggara!« hob jetzt der alte Axamer an: »habt's jetzt miteinander geplauscht? Beim heiligen Blut! ich hab' genug, und die Mander allesammt. Redst noch von G'walt, wo die Bayern wieder Lust haben, 's Landl zu fressen? Bist ein ausgewachsener Limmel von 20 einem Buben, und willst Dich besinnen, das Vaterland zu vertheidigen?«

»Hoi! das Vaterland ist mir lieb, wie einem von euch,« erwiederte Peter Anich mit funkelndem Auge: »Zum Soldaten tauget' ich zwar nicht, aber für die Heimath thu' ich schon auch meinen Schuß, und an mir soll's nicht fehlen. Aber ich muß dem Vater Post bringen, und mich von ihm verabschieden, und dann will ich, wenn's seyn muß, mit meinem Dorf ausziehen; dorthin gehör' ich, und wir werden nicht die Letzten seyn, wenn's drauf ankommt.«

»Der Bub' hat recht und spricht raschonig,« meinten etliche von den Schützen.

»Und wenn's euch recht ist,« fiel Seraphin ein, »so behaltet mich an seiner statt. Ich bin nicht mehr an ein Dorf oder ein Hüttl gebunden; ich bin frei, und halt nimmer viel auf mein Leben. Gebt's mir 'nen Stutzen. Ich will auf die Bayerköpfe halten, wie der Vornehmste unter euch. Laßt's mir den Peterl gehen.«

»'s ist erst die Frag', ob wir Dich nicht lieber am nächsten Baum abkrageln wollen!« schnauzte den kühnen Stellvertreter einer der Schützen an: »Du bist ein verdächtig's Gewächs, sprichst wie ein Tiroler, schaust aber nicht her, wie Einer aus dem Land. Könnt'st wohl ein Spion seyn, ein bayerischer Vorschmecker?«

»Pah! ein Spion! ich, ein ehrlicher Vintschger!« versetzte Seraphin verächtlich, und redete dann zum Anich mit großer Aufregung, und so, daß die Andern nur abgerissene Worte davon verstanden.

Nun waren die meisten der Schützen aus dem Landecker Gericht, und schnurrten durcheinander: die Vintschger seyen als verschlagen und halbe Schweizer bekannt und verrufen; das halbromaun'sche Wesen tauge nicht; der Kerl in seiner ausländischen Jacke sey ohne Zweifel ein Kundschafter, der Briefe an Leute getragen, die 's mit den Bayern hielten, . . . und was des unverständigen Geredes mehr. 21 Der Argwohn des Volks hat immer den Vortritt vor seiner Vernunft.

»Es gibt immerdar Spitzbuben, die das Land verrathen,« sagte der graue Axamer heftig: »Im Jahr drei ist's akkurat so gewesen. Sind Briefl'n getragen worden hin und her, eh' der Churfürst hereingebrochen ist. Denn – ihr Mander – die Stadtleute sind alle miteinander z'nichte Kameraden, und wenn wir Bauern nicht helfen wollten, s' Tirol wär schon langlang verloren.«

Die Landschützen in großer Mehrzahl schrieen hierauf: »Sucht's den Kerl da aus. Wenn er was G'schriebnes bei sich hat, soll's ihm schlecht gehen!«

Im nämlichen Augenblick sagte Seraphin zu Anich: »Und wenn Du 's Brieftaschl kriegst – der Mann wird doch Ehr' im Leib und Gott vor Augen haben – so besorg' es fein, wie ich gesagt. Thu mir die Lieb, Peterl.«

Die Worte wurden gehört, und schienen den aufgeregten Bauern ominös »Ein Brieftaschl? habt's gehört? 's ist ein Postelträger, ein bayerischer . . . sucht's ihn aus, schlagt ihn todt . . . hängt's ihn auf!« ging's von Mund zu Munde. Anich wurde blaß, dagegen Seraphin feuerroth; denn er hörte einen Mann ihm zur Seite sagen: »Jetzt kenn' ich ihn. Es ist ein Bub', der seinen Herrn um viel Geld betrogen hat.« –

»Wer sagt das?« fragte Seraphin außer sich. – »Ich,« antwortete der Ankläger, auf die Brust schlagend: »ich bin der Hartl von Zams und kenn' den Tammerl von Imst und Deine Stückln wohl.« –

»Nun, ihr Brüder?« fragte der Axamer seinerseits: »das ist ja sonnenlicht. Wer seinen Herrn bestiehlt, hat der noch weit dazu, sein Vaterland zu verkaufen? . . .«

Ein fürchterliches Geschrei des Unwillens brach im Haufen los. Seraphin wurde beim Kragen genommen, niedergeworfen, und unbarmherzige Stimmen schrieen ihn 22 an: »Die Briefe heraus! heraus damit, Du bayerischer Judas!«

»Ho, ho, was wär' mir denn das?« begann plötzlich Einer, der unversehens in den Kreis trat; und den Knäul der sich mit Seraphin Balgenden auseinander zerrte: »ist denn hier der höllische Sabbat los?« –

Eine kurze Stille folgte. Anich, den nur die Uebermacht von Seraphins Seite gedrängt, half ihm besorgt wieder auf die Beine. Wenn auch verwitterter und verfallner als vor noch wenigen Jahren, war dem jungen Plaschur der alte wilde Jäger von Schleiß, der vor ihm stand, hinlänglich kenntlich.– »Schau, schau, Jäger-Liebl, wie sie mich zugerichtet haben!« sagte Seraphin zu ihm: »hilf Du mir, wenn Du kannst.«

Der Jäger schlug mit der Linken an den schweren Hirschfänger, streckte die Rechte, mit der Flinte bewaffnet, über die Köpfe der scheu zurücktretenden Bauern, indem er rief: »Oes! gebt 'n Fried', ös, oder ich will enk heimleuchten? Was habt's da, Zwanzig gegen Einen? Schamt's enk nit in enkere Seel hinein, den armen Heiter da so zu derschlagen? Sey nur zufrieden, Seraphin: so wahr ich getauft bin, sie thun Dir jetzt nichts mehr.«

Der Axamer, an der Spitze von Mehreren, die sich vordrängten, wollte Einwendungen machen, aber der Jäger-Liebl schnitt ein erschreckliches Gesicht, klopfte auf die Hauptmannsbinde, die er um den Leib trug, und trumpfte die Rebellirer herzhaft ab: »Marschirt's und laßt's mich aus! Spart's eure Maultaschen für den Feind, und kastigartKastigaren: züchtigen, ausschelten (aus dem Italienischen). mir nicht da den unschuldigsten Buben, der unter der Sonne dahergeht. – Laßt's mich aus, sag' ich. Komm, Seraphin, komm auch Du, Peterl oder wie Du heißt. Legt's euch auf eure langen Ohrwascheln, ihr Mander. Schildwach', hinaus auf Dein'n Posten. Die Lichter aus! Ruh' geben.«

Mit diesen Worten begab sich der gestrenge Hauptmann 23 zum Tempel hinaus, und Seraphin und Peter Anich folgten ihm in's Bauernhaus, wo er sein Quartier genommen. – »Bist groß und sauber worden,« sagte Liebl zu seinem jungen Freunde: »jetzt geh' und erzähl' mir, was Dir auf'm Herzen liegt. Nimmst mir's nicht übel, wenn ich mich auf der Bank ausstrecke. Bin alt und müd, und komme von einem Gespräch, das mich ein bissel angegriffen hat.« –

Liebl that, wie er gesagt; Seraphin erzählte ohne Hinterhalt, Anich desgleichen. Liebl horchte schwermüthigen Angesichts zu; die Pfeife ging ihm alle Augenblicke aus. Nachdem die beiden Jünglinge fertig geworden, besann sich der Jäger eine kleine Weile; dann sprach er zu Anich: »'s ist dumm, daß Dich die Ruechen haben aufhalten wollen. Mach' Dich durch; aber gleich und auf der Stelle, ehe die Limmel wieder ausgeschnauft haben und wieder zum Zecken anfangen.«

Anich hüpfte auf, griff nach dem Stecken. »Vergiß nicht den Fuhrmann in Telfs!« ermahnte ihn Seraphin.– »Warum nicht gar? Kannst Dich auf mich verlassen. Behüt' euch Gott!« – »Du!« hob der Jäger an, ohne seine Stellung zu verändern: bist so gut, nacher Tarrenz hineinzulaufen, und beim Schuster, beim Maroner anzuklopfen und ihm zu sagen, ich ließ mich noch tausendmal bei ihm bedanken? he? ein Katzensprung für junge Füße. Wie?« – »Will's grad verrichten!« – »Sag' ihm auch von mir einen schönen Gruß,« bat Seraphin, »und ich sey unter die Schützen gegangen, und eine bayerische Kugel sey gewiß schon für mich gegossen.« – »Dalkerei mit der Kugel!« lachte Anich: »aber den Gruß will ich schon ausrichten. Lebt wohl miteinander.« – »Laß' Dir Zeit!« riefen dem Forteilenden die Zurückbleibenden nach: ein ächter Gebirgsgruß dem eilfertigen Wanderer. –

»Ist's Dein Ernst, mit uns zu gehen?« fragte der Jäger bedenklich. – »Wohl, mein bittrer Ernst,« versetzte 24 Seraphin: »die Schützen sollen spüren, daß ich kein Spion, aber wohl ein braver Tiroler bin. Ich scheer' mich auch nichts mehr um Schuß und Hieb und Tod. Meine Freudenblumen sind verwelkt; unter meiner holländischen Juppen zittert ein absterbend Herz. Gib mir ein Büchsel, und Du sollst sehen, Jäger-Liebl!« –

»Ich glaub's, ich glaub's,« erwiederte traurig-lächelnd der Alte: »mein Gewehr, wenn Du's haben willst, ist Dein, bis Du ein andres Dir gewonnen hast. Da ist auch das Hemd und der Hut vom Sepp-Antoni, der sich heut Morgens in den Inn geworfen hat, der dumme Tschoggl. Die Lieb hat ihn konfus gemacht, und da hat er sich mit Lieb' und Leben in den Tod gestürzt, und das Gewand zurückgelassen. Leg' Du's an seiner statt an; aber sey vernünftiger als der Sepp-Antoni. Bist jung wie er, und die Welt hat noch viel viel Thüren offen für Dich. Ein ander Ding, als eines alten Kerl's Schicksal. Schau mich an. Ich hab' keinen Eingang mehr in's Leben, sondern nur den Ausgang vor mir. Dechter möcht' ich mir nicht den Hals abhacken und die Gurgel mit Innwasser ersäufen.« – Der alte Mann legte sich auf den Rücken, deckte beide Hände über's Gesicht, und seufzte schwer und oft. – »Willst Dich nicht auf's Bett legen?« fragte Seraphin mitleidig. – »Streck' mich lieber auf's Rechbrett!« antwortete der Greis finster, und schwieg dann lange. – Wäre Seraphin nicht so sehr mit der Geschichte seines traurigen Abends beschäftigt gewesen, er hätte sich dringend nach der Ursache der Veränderung erkundigt, die er im ganzen Wesen des Jägers bemerkte. Wo war die Wildheit, die den Liebl ehedem so kräftig beseelte, selbst im herbsten Kummer? Wo war der, so zu sagen. muskelstarke Geist, der stets hoch über des Jägers Widerwärtigkeiten geschwebt? der sich nur gebeugt vor Gott und vor dem ernsthaften Boten des Allmächtigen, vor dem Gewissen? – Wo alle diese Kraft hingekommen, und warum er sie verloren, nahm sich der Jäger-Liebl nach 25 einiger Zeit selbst die Mühe, dem jungen Freund zu erzählen.

Er setzte sich auf, stemmte die Ellbogen auf die Kniee, den Kopf in die Hände, und sprach: »Mit dem Schlafen ist's nichts mehr. Ich bin wachbar, wie ich drüben im Fegfeuer seyn werde. Gelt, Seraphin, jetzt hat mich das Alter derwuschen? aber es ist nicht dasjenige Pelzmandl, das uns von außen her den Schnee in die Zotteln und den Bart bläst, die Zähne ausbricht, und die Flaren schlaff macht. Ich sterb' von innen heraus ab, und nicht, wie der Gerechte, von der Krone. Oder, besser gesagt: ich bin schon ganz todt, und nur mein Schatten lauft mir zum Wunder und zum Spott auf Erden herum. Denn, wahrlich, liebster Seraphin: der ganze Kerl, den Du in jener Weihnacht aus dem Schnee hervorgegraben, liegt in einem Sarge, auf dem Gottesacker zu Schleiß; und zwar schon seit Monaten liegt er dort neben meinem armen Weibe.« – Indem der Jäger also redete, kugelten ihm dicke Zährentropfen längs den zerfurchten Wangen nieder. –

»Tröst' Dich Gott im Leid', wie mich!« sagte Seraphin tief erschüttert. Er sah im Geiste die Martina in der Glorie der Weltpracht, und sein Leben, Lieb' und Alles unter ihren Füßen vermodert und verwest. –

»Wie Dich! wie Dich?« entgegnete der Jäger unwillig: »Du Narr im Klagmantel um ein Ding, das Du noch gar nicht verkostet hast! Ich aber – ich habe geschmeckt, was Gutes ist an einem getreuen Herzen. Die Selige ist mir gewesen ein Weib, eine Schwester, eine Mutter, hat mich geküßt, berathen, gefüttert. Pah! was willst Du reden? Für Dich ist Sommer und blumenvoll ein jeder Garten; für meinen Winter wird kein DornapfelDornapfel: Rosa Canina. mehr roth. Wir haben uns lieb gehabt, – schau, Bub – lieb aus dem Fundament. Sie war mir lieber als gar alle Weiber, die ich schon gekannt habe, 26 die Mutter meines Lex nicht ausgenommen. Ich bin im Berg gar oft auf Wolfsmütter gestoßen, die ihre Jungen vertheidigt haben, – aber wie! bis ihnen Luft und Blut ausging – aber 's war halt doch keine Lieb, wie ich sie zu der Meinigen hatte.« – Der Alte schluchzte, als spaltete sich sein morsches Herz. – Dann faßte er sich aber gewaltsam und fuhr fort:

»Nun, das ist jetzt vorbei, kommt nimmer wieder. Ich hab's zu gut gehabt und das Gute nicht verdient, gewiß nicht. Aber nach der Mutter hab' ich auch mein klein's Madl verlieren müssen. Nicht etwa, daß sie gestorben wäre! nein! sie lebt schon noch und ist kreuzwohl. Aber ich hab' die Haut an ein paar fromme Frauen geben müssen; ich hätt's mit ihr nicht aushalten können. Hat sie nicht die Augen und die Stirn und die Manieren und die Stimme meines seligen Weibes? Fort also mit ihr: eben so gut. Die Alte steht mir ohnehin Tag und Nacht vor der Nase, ich brauch' ihr Ebenbild nicht auch noch daneben. Spari! wie die Welschen sagen. Nun, der Lex ist auch im Dienst, den ich gehabt, und kann nicht bei mir sitzen, und die Zähren aus meinem Schnupftüchl ringen. So war ich denn allein, und konnte mir ausrechnen an den Fingern, wie viel von meiner Natur tagtäglich hinwerden möchte. Da kommen auf einmal ein paar alte Mander aus 'm Landecker Gericht und plauschen mir vor von Anno Drei, wo ich redlich an ihrer Seite gefeuert habe, und – kurz und gut, machen mich zu ihrem Hauptmann. Ich hab' mir's gefallen lassen, 's ist ein Zeitvertreib, und mit dem Sterben kann's auf diese Weise schon noch geschwinder 'was werden. Aber – Dir im Vertrauen zu sagen – 's ist nichts mehr mit mir; die Schützen haben sich verkauft. Bin zu nichts mehr nutz, als zum Rathgeben, und wenn sie noch auf mein Kommandiren horchen, so ist's, weil sie meinen, ich hätte den bösen Feind im Sack. Wissen aber nicht, 27 daß ich mit Rosenkranz und Weihwasser und Bußwerken den höllischen Gesellen abzulohnen, mich unablässig bemühe. Gott sey Dank! das schwerste Quartal hab' ich ihm diese Nacht gezahlt, hab' den alten Maroner so lang und fußfällig gebeten, bis er mir verziehen hat, und zwar im Namen seines seligen Bruders, der schon lang, sogar besser als ich, wissen wird, was bei dem Unglück meine Schuld und was nicht.« –

»Der Maroner?« fragte Seraphin, sich an Andrä's gewaltsamen Tod erinnernd: »ich fand ihn nicht bei Hause; . . .« – »Das glaub' ich. Wenn ich ihn doch in die Kirche rufen ließ, die mir der Meßner aufschloß? Schau, Bub: daheim bei ihm wär's nicht so leicht gegangen, aber wo unser Herrgott selbst vom Altar hernieder winkt, mit seinem Haupt voll Dörnern, wo Taufstein, Gruft und Tabernakel beisammen steh'n, da wird die Seele weich und die Hand versöhnlich. Der Großpönitenzer zu Rom selber hätt' mich nicht besser absolvirt, als der gute Schuhflicker es gethan hat, und seitdem ist mir, als wäre auf meine innerlichste fressendste Wunde ein wohlthätiger HimmelbrandVerbascum thapsus: gemeine Königskerze. gelegt worden. Ich wäre gesund, wie nur ein Schatten seyn kann, litte ich nicht am Schmerz um mein Weib. Aber denselbigen nimmt mir nur das Knochenmandl ab. Indessen bin ich schon so zufrieden. Du, Seraphin! ein todter Mensch liegt wie ein drei Meilen hoher Berg auf dem Gewissen seines Todtschlägers. Du! probir' das in Deinem Leben nicht! und darum mach' Dich davon aus unserm Schützentrupp. Und wär's auch nur eines Bayern Blut, – 's drückte Dich für Dein Lebtag darnieder. Du bist zum Krieg viel zu fromm, viel zu gut und geistlich. Folg' mir, lieber Bub': der Friede ist viel feiner als der Krieg.«

28 »Wohl, wohl;« entgegnete Seraphin hitzig: »aber damit das Vaterland Friede habe, muß Krieg seyn; und weil ich nichts auf Erden mehr zu lieben habe, als das gute Land Tirol, so will ich's auch vertheidigen, bis Amen gesagt wird.« –

Noch einmal schüttelte der Jäger traurig seinen Kopf, gab die Büchse dem Rauflustigen in die Hand, hing ihm Sepp-Antoni's Lodenhemd um die Schultern, und sagte: »In Gottes Namen, wenn Du nicht hören willst. Unser aller Herr weiß, daß ich Dir abgerathen habe. Zähle auch nicht auf mein Beispiel. Ich thue keinem mehr 'was zu Leide; will nur das Blei abwarten, das mich trifft.« – »Ich auch,« antwortete Seraphin trotzig, und indem er des Schützen Hut aufsetzte, war auch der Landesvertheidiger fertig. Eben jetzt schlug die Trommel, der Himmel that sich auf dem Morgenlicht, und die bewaffnete Schaar zog fürbaß gen Reutte. – 29


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