Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Sechstes Kapitel.

»Ach, Mutter mein, wie kalt, wie kalt!
– »Es heult der Wind durch Berg und Wald.« –
»Ach, Mutter mein, so weiß, so weiß!
– »Das Land ist voll von Schnee und Eis.« –
»Ach, Mutter mein, die Luft wie roth!«
– »Der Winter macht den Sommer todt.« –

Seraphin's Verschwinden aus des Grödners Hause und Burgeis hatte seinen ganz natürlichen Hergang gehabt. Wenn auch wunderliches dabei im Spiele – Wunderbares war nicht dabei. Die selige Mutter hatte ihrem Sohne von Kindesbeinen auf stets wiederholt, daß man jede Versuchung zum Bösen stracks von sich zu weisen, oder – besäße man dazu nicht die hinlängliche Kraft – vor dem Versucher die Flucht zu ergreifen habe. Seraphin hatte die mütterliche Lehre befolgt; der ihm bisher noch nie vorgekommene Sturm seiner Sinne, den der Grödnerin Händedruck angezettelt, hatte ihn gluthschnaubend festzuhalten versucht, jedoch zugleich ihn gewarnt. Glücklicher als viele, durchbrach der junge Mann die Netze, die ihn umfingen, und lief, und lief in Nacht und Nebel hinaus, bis er in Laatsch, einem Dorf an der Mündung des Münsterthals, wieder zu sich kam. – Dort lag er über Nacht in einer stillen Scheune und führte Krieg mit der falschen Schaam, die ihn unter den Pantoffel zu zwingen versuchte, indem sie ihn hohnneckte: »Da bist Du wieder ein Landgeher geworden, ein närrischer, lächerlicher Tropf, der süße Speise, 155 wonach ein Dutzend andre Bursche und reife Männer die Finger geleckt haben würden, von sich stößt, als hätte man ihm Jalappa und Mithridat vorgesetzt! Mit Dir mein Hans Dottl, ist nichts anzufangen. Raufst Dir die Haare aus, wenn Dich die Leute nicht mögen; bist unglücklich und zwider, wenn Sie Dir Hand und Herz entgegenstrecken. Du wirst nimmer eine bleibende Statt finden; denn wie Du's wünschest, kann's nirgends so grad auf den Stipfel seyn, und also gute Nacht; grab' Dich ein im Wald und werd' ein Einsiedl, mein Bub', bei klarem Wasser und rothen Hetschepetsch. G'segn's Dir Gott, an Dir ist Chrisam und Tauf' verloren.«

Wenn gleich dieselbige innere rebellische Stimme schalt und höhnte, daß es ein Graus war, so ermahnte sie doch mitunter leislich, umzudrehen, der Grödnerin abzubitten, und zu naschen von der dulscha sposa, wie Egidi zu sagen pflegte; aber da war doch immer gleich der ehrenfeste Widerspruch bei der Hand, den das Gewissen that und Martina's Gedächtniß, und der rechtschaffenen Mutter tagtägliche Lektion. Und Seraphin schlug sich wacker auf die Seite der ehrlichern Freunde, und beschloß, in Gottesnamen weiter zu gehen, und nicht umzukehren. »Nein, nein!« redete er sich selber zu: »wenn der Dieb ein Geld sieht, stiehlt er's; wenn die Katz die Butter g'spürt, so schleckt sie; und, weiß Gott, was ich auf einmal vom Dieb und von der Katz' an mir habe. Ich hätt's nie geglaubt, daß mir so schlechte Kreaturen in der Haut steckten. Nein! weit vom Schuß und so weiter. Ich kann ja dabei nur gewinnen. Entweder verzeiht mir die Grödnerin meine Grobheit, und meine arme Seel' ist verdammt, oder sie thut's nicht; und hernach gnad' mir Gott! wie es einem zornige Weiber kochen, hab' ich schon versucht. Also fort; so weit mich 156 die Schuhe tragen, und mögen die Burgeiser sagen, was sie wollen!«

Damit in's Reine gekommen, schlief er ein wenig. Als er mit dem kalten Morgenroth erwachte, nahm er den zweiten Punkt vor. Wohin sollte die Reise gehen? Ein paar Petitzl'n im Sack, ein karges G'wandl auf dem Leib, und kein Bündel oder Felleisen auf dem Rücken, – aus eignen Mitteln konnte er nicht weit kommen. Dessen ungeachtet spann sein bischen Fantasie, oder seine Liebe, oder der Teufel, – wer weiß, wer die Spindel gehalten? – in seinem Kopf ein lockendes Mährchen zusammen. Nemlich: er marschirte etschabwärts an denselbigen Gardsee, den er schon im Geiste gesehen, . . . in die kanonengespickte Festung hinein, und wurde dort Soldat, stand auf der Wacht vor dem Gefängniß seiner Martina und ihres alten Bosnickels; und eines Tags kam Martina heraus, fiel ihm um den Hals, sagte, sie könne es nicht mehr aushalten, und wolle mit ihm davonlaufen, und er besann sich nicht, und sie liefen . . . . nach Rom . . . . nach Jerusalem . . . . in's alte Paradies . . . . auf eine wilde Insel . . . . –

»Dummheiten!« unterbrach Seraphin sich selber, als ob er der alte Idelstein gewesen wäre: »ist denn auf Erden ein Schlagbaum, worüber der Teufel nicht setzen kann? Von mir ganz zu schweigen – wäre aber Marzina nicht der Braten Nummer zwei, der dem bösen Feind in den Rachen fiele, wenn wir auf der wilden Insel säßen, sie, die Frau eines andern, und ich ein Verbrecher am sechsten Gebot? Basta mit dem unreinen Gedanken. Ich kann's der Grödnerin nicht vergeben, daß sie da in mir ein Kammerl aufgesperrt hat, das besser verschlossen geblieben wäre. – Nun bleibt mir aber nichts übrig, als dem Walt nachzulaufen. Und hab' ich nicht da zur rechten Hand den Weg nach Taufers und Münster? Dort liegt ja die Schweiz, und 157 Chur wird von einem geschwinden Fußgänger wohl noch zu erreichen seyn, und dort ist der Walt . . . wird der mich auslachen! was schadt's? und dort ist der gewisse Tawack, und der sagt mir vielleicht von meinem Vater, und wer weiß, wozu das alles gut ist?« – Wie gedacht und gesagt, so gethan. Seraphin kehrte dem Morgenroth den Rücken, und ging die von ihm bezeichnete Straße, nicht unähnlich einem Schübling, der, dem Ueberreiter entsprungen, den verschwiegnen Bergwald mit Hast zu erreichen strebt.

In Taufers hat er gerastet, und, wie er meinte, für lange Zeit den letzten vaterländischen Wein gekostet, und bald darauf ist er in Münster gewesen, wo es schon brav graubündnerisch zuging in Rede und Sitte, wiewohl noch des Volkes Anhänglichkeit an den katholischen Glauben groß, wie bei den Nachbarn im Tirol. Dort war dem ehrlichen Flüchtling beschieden, das letzte Landsmanngesicht zu begrüßen: den Maurer-Wastl. Dieses Zusammentreffen hatte etwas Bedeutsames an sich. Vor der Grödnerin lief Seraphin staubaus; an ihr Opfer, den Wastl, rannte er. –

In Burgeis hatte man sich gewöhnt, zu glauben, der Wastl sey im Kopf wieder ganz richtig geworden, weil er sich von den Menschen zurückgezogen, keine auffallenden Streiche mehr gemacht, der Christine nicht mehr nachgelaufen, und dem Sitz auf dem Brunnenrande Ade gesagt. Allerdings war er – wohl ihm! – ruhiger, aber nicht fleißiger, verschämter vor den Leuten, aber nicht gar geistesstark in seiner eignen Gesellschaft geworden. Statt, wie vordem, einem Weibe nachzulaufen, haßte und mied er nun das ganze Geschlecht, nicht selten mißhandelte er thätlich so Frauen als Dirnen, die ihm zu übler Stunde begegneten. Statt, wie vordem, seinen Tag sozusagen an einem Fleck, wie angenagelt, hinzubringen, lief er gewöhnlich auswärts 158 umher, krefelte am wilden Berge auf und ab, trieb Kräutersammlerei auf seine Manier, nämlich ohne Wissen und Vernunft, und kehrte häufig mit einer KräutelweiheKräutelweihe: scherzhaft: ein ungeheurer Blumenstrauß. (Am Mariä Himmelfahrtstage wurden in den deutschen katholischen Ländern allerlei Kräuter geweiht, die gegen die Verhexung der Viehställe gut seyn sollten.) von SchweizerhosenSchweizerhosen: eine auf den Vintschgerbergen häufig wachsende Glockenblume. und ähnlichem Geniste, von langwierigen Wanderungen heim, stolz, als trüge er die Hände voll mit Enzian und noch kostbareren Gewächsen. Just mit einer ähnlichen Ausbeute beladen, stand er auf einmal in der Mitte des Val Mustair vor dem eifrig berganschreitenden Seraphin.

»Oho! wohinaus?« rief er den Flüchtling an. – »In die weite Welt,« antwortete dieser. – »Du:« warnte Maurer-Wastl mit bedenklich erhobnem Zeigefinger, als hätte er durchschaut, was sich mit Seraphin zugetragen: »Du, wenn Dich die Grödnerin derwischt!« – »Ei,« lachte der andere: »das macht mir keinen Kummer, wenn Du ihr nicht sagst, wo Du mir begegnet bist?« – So ernsthaft, als hätte er den theuersten Schwur abzulegen, versetzte Wastl: »Beileibe, stumm wie ein Fisch. Aber wohinaus denn?« – »Narr, über'n Berg; siehst Du? dort hinauf über Fuldera, über'n OfenEin Paß, durch welchen man aus Vintschgau in das bündnerische Inngebiet gelangt; Forno geheißen von den Schmelzöfen, die ehemals dort im Gang gewesen..« – Wenn ich Du wäre, ich thät' nicht gehen.« – »Warum nicht, Wastl?«

Wastl drehte den Kopf nach allen Seiten, wie ein Rab auf hohem Baume. »G'spürst Du das Windl?« fragte er wichtig. – »Ja, 's geht frisch über'n Berg herab; es herbstelt halt ein bissel.« – »Ich sag Dir: es wintert. Geh' nicht über'n Berg.« – »Ach, der Winter ist noch weit; was denkst Du denn?« – Wastl zeigte kopfschüttelnd gen Himmel: »Der Mond ist jetzo krank;« sagte er: »siehst Du auch die Schlafhauben auf 159 dem Pizz dort, und da und da drüben?« – »Was geh'n die mich an? Leb' wohl, Wastl.« – Wastl fing den Eiligen bei einem Zipfel seines Gewands. »Bleib' da, sag' ich Dir!« schrie er: »Siehst den zottigen Mann, der dort herüber schaut? Er lehnt sich aus dem Himmel herunter, hat Schnee und Eis im Maul; siehst Du den Winter nicht, den alten Brummler? Die über'n Berg gehen, sind des Todes. Glaub' mir doch, Seraphin.« – Der junge Wanderer stieß, da sich Wastl's Verrücktheit zu entwickeln begann, den Warner heftig von sich, und machte sich davon. Noch lange hörte er den Blödsinnigen lamentiren und in die leere Luft hinaus predigen, bis endlich der wachsende Raum zwischen Beiden des Narren Warnungsstimme verschlang. – In Fuldera lag Seraphin über Nacht im stockromanischen Lande. – Der Unterricht seines Onkels hatte bei ihm so viel gefruchtet, daß er recht gut verstehen konnte, was die schwatzenden Leute neben seiner Kammer miteinander plauderten. Sie theilten sich lauter üble Wetterbotschaften mit; der Eine wollte dieses, der Andre jenes beobachtet haben, diese, jene Prophezeihung gehört haben. Alle stimmten darin, daß wer da noch eine Wandrung in die Nachbarschaft vorhätte, gut thun würde, sie je eher je lieber abzumachen, indem am Himmel wunderbare Dinge vorgingen, und der Jahrszeit zum Trotz der rauhe Winter da seyn würde, ehe man sich dessen versähe. – Dem Vintschger fielen bald des Maurer-Wastl Worte ein. Mancher würde schon von diesen letztern bewegen worden seyn, wieder umzukehren, denn häufig spuckte auf dem Lande noch das Vorurtheil, daß der Narren Rath und Warnung höhern Ursprungs sey. Als nun Seraphin von so vielen Stimmen bestätigt hörte, was der Maurer-Wastl ihm angedroht, war er auf dem Punkte, 160 verzagt zu werden; aber da war schnell die falsche Schaam, in ein andres Mäntelchen vermummt, bei der Hecke, und malte dem Zagenden mit dickem Pinsel die Schande und den schadenfrohen Spott vor, den die Burgeiser ihm spendiren würden, wenn er so plötzlich wieder vom Himmel fiele, und seine Reise aus Furcht vor den Elementen aufgäbe; dergestalt, daß sein ganzer Stolz in Allarm gerieth, und er lieber mit sehenden Augen sich in einen feurigen Pfuhl begraben hätte, als daß er klugerweise der dringlichen Gefahr entronnen wäre. – »Was wissen die Romaun'schen?« fragte er sich, die Nase rümpfend, und entschlummerte mit leichtaufgebauten Hoffnungen für den nächsten Tag. Am Morgen desselben wunderte er sich selbst über die Veränderung des Wetters. Kein Luftzug mehr; das Firmament grau und wolkig thalabwärts über Valcava und Santa Maria hinaus; aufwärts schon dunkler über dem Alpendorf Cierf; schwarz wie Gewittergewölk über dem Buffalora, dem Höhepunkt des bedeutend hohen Passes am Ofen. Nicht ein Strahl der Sonne ließ sich in Osten sehen; zahlreiche Schwärme von Schneegänsen ruderten wie hinter Florgardinen mühsam durch die schweren Nebelmassen; aber lautlos war in den Lüften wie auf der Erde alles, was da stiebt und fliegt. – »Der Winter?« lachte Seraphin dreist zum Berg empor, obgleich ihm das Herz nicht allzuruhig unter der Jacke schlug: »Was für Sekten! Ein Donnerwetter mag kommen; das ist möglich, und naß können wir werden, aber ein Spiel mit Erfrieren und Ersticken, wie dazumal zwischen Mals und Burgeis, ist heut nicht zu befürchten; das ist einmal gewiß.« – Mit solcher Ueberzeugung trat er muthig vor's Haus. Seine Wirthin rief ihn an: »Bleib da, bleib da! es kommt ein Wirbelwind, es kommt ein dunkles Gähwetter!« – »Pah, pah!« antwortete er: »ist denn von hier der Weg so weit bis auf den Ofen? Von dannen 161 geht's dann meistens durch tiefe Waldung nach Zernetz am Inn – und dort – wahrlich! von hier keine Tagreise, die der Mühe werth – denk' ich zu übernachten, wenn das Wetter grob werden sollte.« – »Bist noch nicht dort, bist noch nicht dort, leichtsinniger Junge!« Seraphin kehrte sich ärgerlich von der zudringlichen Unglücksprophetin ab, und strebte vorwärts; doch war in ihm die Ahnung aufgeweckt worden, als gehe er einer schlimmen Wendung seines Schicksals oder gar einem bösen Ende seiner Tage entgegen. –

Zu jener Zeit stand, ungefähr auf demselben Platze, wo heutzutage das Wirthshaus »alg forn« zu sehen, eine alte Schenke, die in noch frühern Jahren eine Eisenschmelze gewesen war. Eingesenkt in die Wellungen des Hochpasses, angelehnt an eine der baumlosen Anhöhen, die den Saumpfad beherrschten, bot sie eine kümmerliche Zuflucht vor dem schlechten Wetter, eine wenig erquickliche Herberge dem müden und durstigen Pilger. Die Säumer und Karrenführer, die aus den wilden Gründen von Zernetz heraufkamen, pflegten ihre Thiere dort zu tränken und mit einer Handvoll Heu zu füttern. Andres war für die Thiere nicht vorhanden und für die Herren selbst wenig mehr als ein Stück vom Alpenkäse, ein steinharter Roggenkuchen, und ein Trunk des kopfbrecherischen Bündnerweins. Die Schenke war nicht wohl beschaffen, Gäste über Nacht aufzunehmen. Die Herberge auf dem Jauffen war ein bequemer Pallast, gegen die demüthige Hütte auf dem Forno gehalten. – Zu jener Zeit auch hauste als Wirthshauseigenthümer oder als Beständer dort oben in der kahlen Wildniß ein Mann, den seine Abgeschiedenheit von der gebildeten Welt ziemlich ungesellig gemacht hatte. Ein Wittwer, ohne Kinder, von Knecht und Magd besorgt, die ihm an 162 Einsilbigkeit und einsiedlerischer Scheu nicht nachstanden, pflegte er nur mit dem Fasse engere Kameradschaft. Der Wein, in dessen Ermanglung der Branntwein – es kehrten nicht selten Tage des Mangels im Forno ein, wenn die Zufuhr von Lebensmitteln erschwert worden – war seine Lebensessenz, der Quell seines Lebensmuths, dann und wann auch seines Gesangs. Seine Arbeit? sie war bald gethan, denn die Magd besorgte die abenteuerliche Küche, der Knecht mähte das saure Heu im Grunde, die wohlriechenden Gräser auf den Höhen. Seine Unterhaltung? sie war sehr einfach. Am Fenster saß er, wenn die Sonne schien, und zählte die Bergamaskerschafe, die auf dem Buffalora, ihm gegenüber, weidend hin und herwandelten, oder wartete geduldig der Vorüberziehenden, die ein paar BlutzgerBlutzger: kleine Graubündner Münze, deren 70 Stück auf einen Bündner Gulden = 48 Kreuzer Reichsmünze gehen. in seiner Hütte zurückließen. War's Aura scüra, auf deutsch finster Wetter, so ließ er in seinen vier Pfählen für sich allein die Sonne in der Weinflasche aufgehen, und schlürfte Strahl für Strahl derselben ein, bis in seinem Haupte Nacht wurde. Ein vergnügliches Leben, so einen und alle Tage hindurch, vom ersten Jänner bis zum letzten Dezember.

Da saß er auch am Morgen, da es so finster und schwarz über das Joch herkam, wohl eingeriegelt in seinem Hause – die Vorsicht schadete nicht – vor seinem künstlichen Sonnenaufgang, und zählte zum Zeitvertreib die Sprünge des Zeigers auf der Schwarzwälderuhr, lugte durch die runden Scheiben des schmalen Fensters, und seufzte. Da waren nicht mehr die welschen Schafe zu schauen, die großen, rauhwolligen, und ihre Hirten nicht mehr, das braune Gesindel, das in der Hitze gleichsam nackt lief, und beim Winde in Felle kroch, und gleich Schafen selbst, die etwa zum Spaß auf zwei Beinen marschiren, das Asyl in der Schenke suchte. Der Herbst hatte die Heerden und ihre Regenten schon über 163 den UmbrailUmbrail: (romanisch) für Monte Braulio, der von Santa Maria ansteigt, seine Höhe auf dem Wormserjoch erreicht und gegen Worms (Bormio) in's Thal der Adda abfällt. in die Heimath zurückgejagt. Da kamen nicht Pferde, nicht Muli, nicht breitgestirntes Ochsengespann des Wegs, um das karge Mahl der Reise einzunehmen. Alles leer, alles öde. Im Hause selbst rührte sich nichts. Die Magd war zum Beistand der kreisenden Schwester nach Santa Maria geeilt; der Knecht mit einem lahmen Pferde zum Viehdoktor gen Zernetz geschickt worden; zugleich mit dem Auftrag, wo möglich einen Menschendoktor im Tausch heraufzubringen nach dem Forno, der so weit von Menschen und Feldern und menschlichen Sitten. – Alles öde, alles leer. – Doch siehe: es zuckt am Himmel, als ob ein Umhang gelüftet würde, eine zweifelhafte Helle auf, und stracks wird's lebendig wenigstens in der Luft. Sie klopfen oben ihre Federbetten aus, sie schütteln muthwillig ihre Baumwolle zur Erde. Es fliegt und stäubt und funkelt und tänzelt koboldartig der Schnee in leichten aber zahlreichen Flocken hernieder. Das ist nun kein seltnes Schauspiel auf dem Forno. Drum sagt auch der Wirth dazu nichts als ein gleichgültiges: »Nivel a neiv!« und trinkt sein Gläschen aus. – Nicht lang und aus weiter Ferne singen die Wälder, und je höher empor, je furchtbarer rast der Gesang in den Lüften und nach Osten stürmen unbändig und massiger die Schneeflocken. – Schon bedenklicher zuckt der Wirth die Achseln. »Tempest, Brentschina, tempest!« murmelt er, und rückt auf seinem Schemel hin und her. – Wieder nicht lange und ein Stoß geht durch's ganze Haus, vom First des Dachs bis in den Keller, von Wand 164 zu Wand, und der Himmel wird völlig schwarz vom weißen Schnee, und im Ring jagen sich Flocken auf Flocken, weithergetragne Blätter, leichterer Steine Menge, des fürchterlichsten Windes Spiel. – Der Wirth springt auf, setzt das Glas aus der Hand, er stottert ängstlich: »Turnikel! Suffel da Turnikel – Durch seine Seele geht etwas wie eine Sehnsucht nach Gebet. Wenn er nur eins geschwinde zusammenlesen könnte! Aber immer heftiger krachen die Balken des Hauses, die Schwersteine rodeln vom Dach; der lockre Schornstein überläßt dem Sturm seine Zinne. Auf dem Oberboden wird indessen geklopft, und wie auf einen bekannten Anruf macht sich der Wirth eiligst hinauf unter die Schindeln, wo seine Schlafkammer. –

Der Aufruhr in den Lüften dauert fort; seine Wildheit steigert sich; Millionen von Schneeflocken sausen in jeder Minute zur Erde, brausen nach dem Val Mustair hinaus. In einiger Entfernung vom Forno hat die Wuth des Orkans einen Trupp von Jägern zerstreut, die von der Wormser Gränze herüberstreiften. Hie und da knallt eine Büchse, kaum hörbar, einen Nothschuß in die Luft. Das gejagte Wild entkommt den Verfolgern, weiß sich jedoch kaum vor dem tobenden Unwetter zu verbergen. Schon sind die betretenen Pfade nicht mehr zu erkennen; der im Schooß des Passes zusammengewehte Schnee deckt alles zu, füllt alles aus.

Dort, im Graus dieses fürchterlichen Tages steckend, keuchend, strauchelnd, um und um geweht von grollender Windsbraut, ein Mensch! . . . . Was die Bewohner der Ebenen nicht glauben, sich nicht vorstellen können, das empfindet er in vollem Maße: die Beängstigung des Todes, ankämpfend gegen den Ungestüm der feindlichen Gewalten; die Verwirrung in den Sinnen, die da macht, daß er sogar die Richtung seines Wegs vergißt; die physische Blindheit, denn seine Augen vermögen nicht, sich 165 offen zu halten. »O Jesus Maria und Joseph!« seufzt er: »ich kann ja nicht weiter. Es schneien mir glühende Funken in's Gesicht; . . . . wo ist mein Hut . . .? ach, wo? hat mich Einer bei den Haaren und reißt mich im Kreise herum?« Bei diesen Worten fällt der Unglückliche neben einem großen Steinhaufen nieder, und zwar auf der glücklichen Seite, wo er geschirmt vor dem grellsten Zudrang des Sturms, der ihn um das Bewußtseyn gebracht haben würde. – Er kann wieder die Augen öffnen . . . . aber, was er ansieht, – die Steine, der Schnee, der ohne Rast auf ihn fällt und ihn zu verschütten beginnt, der Himmel – alles kömmt ihm wie von blutrothem Schimmer durchleuchtet vor. – Noch einen Blick zum Himmel, und dann die Augen wieder zugemacht. Wahrhaftig: die Flügel der Himmelsfenster sind breit aufgelehnt, und herausneigt sich der alte weiße zottige Wintergeist mit gräßlichen Blicken und von sich sprudelnd Schnee und Windstoß. Vor seinen geschlossenen Augen sieht der erschöpfte Wanderer das scheußliche Antlitz, die zornigen Augenbrauen des Wintergespensts; in seinen Ohren läutet es, wie mit Kirchenglocken, und in einem fernen Traumgebiete schaut er, wie zu Burgeis Alt und Jung zum Hochamt geht, alle mit rothen Fingern und veilchenblauen Nasen; wie der Hauch aus dem Munde der Gemeinde vor Frost aufwallt gleich Weihrauchwolken; wie dem Schullehrer die steifen Hände den Dienst bei der Orgel versagen, wie dem Pfarrer auf der Kanzel Eisstücke von den Lippen fallen statt der Worte, und die Predigt auf dem Boden der Kirche zusammenfriert und zu lesen ist, wie die Schrift auf einem Grabstein. Ein häßlicher Traum, trotz seiner Lächerlichkeit, denn er war ein trauriger Spaß des Todes, der über dem hinbrütenden Wanderer schwebte, und nach ihm aushäckelte, und in voreiliger Freude, daß er auf dem öden Buffalora einen Schmaus grade an 166 der Straße gefunden, ein Pröbchen seines dürren Witzes verschwendete. Aber die Hand von der Butten, schäbiger Schadenfroh! Der Mensch erwacht aus dem gefährlichen Halbschlaf, als hätte ihn eine warnende Eidexe überlaufen. Er verzieht die Nase, die sich von einem heißdunstigen scharfen Geruch belästigt fühlt. Er hört ein dumpfes Brummen an seiner Seite; sein Herz zuckt, seine Glieder streben in die Höhe; dem Sturm zum Trotz wirft er um die Ecke seines Steinhaufens einen Blick – – in zwei glühende Augen, auf ein mächtig aufgebaustes Fell, auf eine blutende Bärenpratze, auf eine andere, die nach ihm ausfährt. Der Trieb der Selbsterhaltung macht ihn dem Ungethüm fliehend den Rücken zuwenden; ach, die scharfe Tatze haut in seinen Rücken ein, streckt ihn zu Boden. Eine schwere Last purzelt über ihn her . . . . Als seine Lebensgeister sich sammeln, sitzt er, an die Steine gelehnt; zu seinen Füßen liegt der im Verscheiden strampelnde Bär, und vor ihm kniet ein jägerisch ausschauender Mann, der trotz seiner Otterfellmütze und der verschiedenen Tücher, womit er Kinn und Ohren verwahrt hatte, von Seraphin erkannt wurde, wie dieser gleich von ihm erkannt worden war. »Ach mein, bist Du's, Lex? hab' Dank, Du rar's Bürschl!« sagte Seraphin erfreut, wenn gleich matt vor Erschöpfung und Blutverlust; denn die Klaue des gebirgischen Bruno hatte ihm tüchtige Striemen gerissen, und dabei wär's nicht geblieben, wenn nicht der daherfliegende Lex die Gefahr eines Menschen wahrgenommen, und ein gutes Blei in den Bauch des Waldsohns gejagt hätte. – »Bestie!« höhnte der Jäger nun, dem schwerverendenden Ungethüm den Gurgelfang gebend: »bist doch mein, hast doch mein seyn müssen. Vor einer Stunde schoß ich Dir in die Pratze; 's war das Angeld; eine feine Caparra! Und Du, Seraphin, kannst mir heute eine Quittung ausfertigen. Heute hab' 167 ich meinen Vater aus Deiner Schuld herausgeschossen. Heut' war's der Mühe werth, und eine kleine Dank- und Gloria-Meß thät' gar nicht schaden.«

Kurz nach dem Glücksschuß trug Lex, der Mann zur rechten Zeit, seinen Kameraden in die Schenke, deren Thüre er fast mit offener Gewalt erbrechen mußte, um sich Einlaß zu verschaffen; denn der Wirth hatte alles gut verriegelt, und nicht Lust, fremde Leute aufzunehmen. Die wilde Sylvesternatur des baumstarken Lex schaffte jedoch Rath. Er bedrohte den eigensüchtigen Bündner mit allen Schrecken der Selbsthülfe, nahm von der Zechstube ohne weiteres Besitz, bereitete dem Blessirten ein leidliches Lager auf der Ofenbank, setzte sich neben ihm fest, und kündigte dem, in seine Ecke und hinter seine Flasche zurückgedrängten Wirth an, daß er sie als Gäste zu halten habe, ihn und seinen Gefährten, bis wieder der Himmel blau und die Straße rein. Dieser Beschluß, unterstützt von der Autorität des scharfgeladenen Gewehrs, wurde denn auch vom Hausherrn respektirt, und ein genügendes Einverständniß stellte sich zwischen den Partheien her.

Lex übte Pflichten und Wohlthaten des barmherzigen Samaritaners an seinem jungen Freunde, und hatte das Vergnügen, seine Bemühungen, noch bevor der Abend kam, mit Erfolg gekrönt zu sehen. Seraphin's Schmerzen ließen nach; er vermochte, sich mit Lex zu unterhalten, während draußen das Wetter, als wollte es gar nicht mehr enden, seinen Verlauf hatte. Der Wirth des Hauses horchte zwar mit gespitzten Ohren der Unterhaltung seiner Zwanggäste zu – seine Neugier war groß, aber desto geringer seine Kenntniß der Vintschgauer Sprache. Er verstand fast nichts von dem, was er hörte, und Lex, den er selber manchmal ansprach, fertigte ihn stets mit einem kurzen abweisenden Kraftwort ab. Dagegen vernahm Lex mit herzlichem Mitgefühl die 168 Begegnisse seines Geretteten, und erwiederte Vertrauen mir Vertrauen. Aber seine Begebenheiten waren die alltäglichsten von der Welt. Aus seinen jüngern Jahren hatte er nur die Abenteuer eines verwegnen Wildschützen, eines kühnen Schwärzers, eines lockern, allen Scheibenschießen nachlaufenden, vom Kranz und Schleckerbest lebenden Gesellen zu berichten. Seit einiger Zeit in den eigentlichen Dienst der Grafen Khuen getreten, war er geworden, wie früherhin sein Vater: lustig, wo ein blaues Räuchl aufging, oder dem Handwerk nachgehend im Berge, zum Theil auf Zügen, die ihn weit von Haus entfernten, und in Gesellschaft von handfesten Burschen, die sich wenig um einen Gränzstein kümmerten. Eine solche Verirrung in fremdes Revier eben hatte ihn auf den Forno verlockt, und ihm zur tüchtigsten Handlung seines Lebens die Veranlassung gegeben. Im Uebrigen war er von Gemüth nicht gerade böse, aber leidenschaftlich und gewalthätig, im Kopfe nicht gar hell, im Begreifen der Dinge, die außer seinem Handwerk lagen nicht sehr glücklich; ausgelassenen Bluts, das Ebenbild seines Alten, den er innigst liebte, und um dessentwillen er auch den Seraphin dankbar verehrte, trotz der grellen Verschiedenheit ihrer Naturen.

Seraphin hatte, sozusagen, in des Jägers Armen, die Nacht ziemlich gut verschlafen und nichts gehört von den schmetternden Sturmstößen, die bis nach Mitternacht das Haus erschütterten, nicht das Gebrüll und ängstliche Schlagen der Thiere im Stall, der unter der Stube angebracht war, wie häufig in Graubünden der Fall, damit die Hausbewohner im kalten Lande von der Wärme der Stallung auch etwas genießen mögen. – Am späten Morgen erwachend, loste Seraphin mit seinem Ohre – der Wind heulte nicht mehr. Aber nur eine sehr zweifelhafte Hellung gab sich an den Fenstern kund. Lex saß mit verschränkten Armen und starrte nach den 169 Fenstern. Die Uhr über Seraphins Haupte schlug neun. – »Schon neun!« rief Seraphin, »und annoch so dunkel! Lex, Lex, wie sieht's aus?«

»Schlecht,« antwortete der Jäger langsam: »der Wind in voriger Nacht hat Berge von Schnee um unsre Hütte aufgethürmt. Wir sind im Schnee begraben, und noch immer flockt es wie besessen vom Himmel nieder. Der Winter reitet heuer Kurier. Wir sitzen fest.« – »Liebe Frau! in dieser Spelunke? Eingeschneit? das fehlte noch! Mein Gott was fangen wir an?« – »Geduldig abwarten, oder uns aufhenken!« lachte Lex: »wollen wir darum würfeln?« –

Indessen ging hinter dem Ofen die Fallthüre des Oberbodens auf. Die plumpen Füße des Wirths strampelten auf die spannenbreite Treppe herab, die in's Schlafgemach hinaufführte. Der Kopf mit dem jämmerlichsten Gesicht folgte den Beinen. Aus dem Vorhang, der diese Treppen in den Engadinerbauerhäusern maskirt, hervorschlüpfend, sagte er bestürzt: »Jetzt stehen wir frisch. Ein paar Wochen kann's dauern, bis sie von Zernetz oder Cierf den Weg bis zu uns brechen, und mit dem Brod und aller Leibesnahrung sieht's windig aus. Was machen wir nun, ihr fremden Männer?« – Ernsthaft versetzte Lex: »Zuvörderst essen wir, was im Hause vorräthig. Alsdann kommt die Reihe, aufgefressen zu werden, an's Vieh und Euch, Padrone. Somit wird's schon ausreichen, denk' ich.«

Der Wirth, mit einem gewissen Seitenblick auf Lexens Flinte und Waldaxt, probirte ein Lächeln, und beeilte sich zu melden, daß genug des Weins vorhanden, und daß er der Meinung, ein geistvolles Frühstück könne auf den Schrecken nicht schaden. – Das Wort zur That machend, tischte er freigebig auf, bemüht, seine verdächtigen Gäste bei guter Laune zu erhalten. –

Der Padrone ging mit dem besten Beispiel voran; 170 er aß und trank für Dreie. Lex that ihm redlich Bescheid, und collazte allerdings für Zweie, da Seraphin um seiner Wunden willen und wegen seines Verdrusses, sich in der Einöde gefangen zu sehen, keineswegs tapfer mithalten mochte. So wie nun der Wein das Herz, selbst in der ängstlichen Lage, stärkt und erfreut, so öffnet er es auch, und legt dessen Inhalt auf die Zunge der Zecher. Es ging nicht anders zu in der eingeschneiten Schenke auf dem Forno. Wirth und Gast wurden heimelich, zutraulich; sie näherten sich einander; noch immer vorsichtig zwar, und nicht ganz und gar aufrichtig; aber sie näherten sich doch. Die sprachliche Verständigung war langsam, weil beide Parteien im fremden Idiom nicht viel bewandert; daher begnügten sie sich manchmal, gerade nur oberflächlich zu errathen, was der Gegentheil vorbrachte; dollmetschten auch hin und her, oft geraume Zeit mit Hin- und Widerfragen vertändelnd; doch verging wenigstens damit die Zeit: ein großer Trost in so bedrängter Lage. –

Die Neugierde des Republikaners und Einsiedlers ging zuerst auf Futter aus. Lex und Seraphin sahen sich bis auf's Blut examinirt. Den hundert Kreuz- und Querfragen antwortete nun Lex, beinebst auch im Namen des Freundes, wie ein Wildschütz zu antworten pflegt, verschwieg Namen und Wohnort, gab dafür andere an, und knetete ein Drittel Wahrheit und nicht mehr in den ganzen Teig. Der Wirth seinerseits glaubte, was er wollte, und dachte bei sich: »wartet, ich krieg' Euch dennoch in's rechte Geleis, ehe noch die Straße ausgeschöpftDen Weg ausschöpfen: den Weg vom Schnee befreien; Bahn brechen. worden.« Dennoch merkte er so viel, daß sein Leben und sein Eigenthum von den beiden Fremden nichts zu befürchten hatte. Lex gab sich so rücksichtslos für den leichten Gesellen, der er auch war; Seraphin hielt sich immer so bescheiden und ruhig. Der Bündner faßte Muth und Zuversicht, ließ sich von 171 Minute zu Minute den rothen Feuertrank besser schmecken und hatte bald einen niedlichen Affen herumzutragen.

Auch Lex gab unversehens – wie Oswald zu sagen gewohnt war – seiner Natur einen Stoß, und zechte fleißig; doch blieb er immerdar mehr auf seiner Hut, als der andre, und benützte die Stimmung desselben, um Aufschluß über gewisse Dinge zu erhalten, die ihm schon in verwichner Nacht im Kopf herumgegangen waren.

»Jetzt weißt Du alles von uns,« hob er rothwälschend zu dem Wirth an: »Laß uns nun auch wissen, welch einen Burschen wir vor uns haben.« – »Da bin ich,« erwiederte der Bündner, und breitete seine Arme aus, als wollte er Brust und Herz herzeigen. – Wie man die Hand umkehrt, war alsobald dem Lex seines Wirths zweimalige Sklaverei unter essigscharfen Eheweibern, seine freudenlose Wittwerschaft ohne Kindertrost und sein Valet, der Welt gegeben, kein Geheimniß mehr. – »Dergestalt,« sagte der Ofenwirth äußerst wehmüthig, und in den Augen rannen ihm Thränen des Weins: »dergestalt bin ich ganz allein, seit einigen Tagen sogar meiner nothwendigsten Dienstboten entbehrend, mein eigner Koch, Kellner, Viehbesorger, und« – setzte er mit dem Scherzlächeln des Poltrons hinzu – »muß mir tausendmal Glück wünschen, in diesen Unglückstagen mit eurer, meine werthen Herren, Gesellschaft begnadet worden zu seyn.« – Im Gefolg der langen Rede trank er viel.

Lex fuhr mit spitzfindigen Blicken in seinem Verhör fort. »Ganz allein? keine Seele außer uns im Hause?« – »Viehseelen ausgenommen, keine;« antwortete der Wirth. – Worauf Lex, ihn spaßhaft bei der Nase nehmend: »Ihr seyd ein . . ., ein, . . . wie heißt's auf romaunsch? ein »Fuchs?« – »Fuchs? auf romaunsch? Wolff.« – »Ei nicht doch; einen Fuchs mein' ich, das Thier mit rothen Haaren und langem Besenschweif.« – »Nun: das heißt Wolff.« – »Heiliger Geist! Wirth, Ihr 172 habt ein dickes Fell. Wie heißt denn der »Wolf?« – »Nun: Fuchs!« – »Ei, das ist zum Teufelholen! Habt Ihr mich zum Narren?« – Die Sprechenden standen auf dem Punkt, in Händel zu gerathen.

Hier konnte nun Seraphin, der bisher vor Lachen kaum zu reden fähig gewesen, in's Mittel treten und erklärte das MißverständnißFuchs, italienisch Volpe; in's Romanische verstümmelt: Volff. Der Wolf dagegen heißt Luff.. Hierauf glätteten sich wieder die gerunzelten Stirnen, die geballten Fäuste wurden wieder zu freundlich gebotenen Händen, die Gläser klangen zum Brindisi. Die Eintracht stellte sich her, und der Wirth fand hinlänglichen Gleichmuth, um zu bemerken, daß es nöthig sey, ein Licht anzuzünden, da der heranwehende Schnee allgemach die Fenster verschüttete. – »Ein durchtriebener Kerl!« lachte Lex während seiner Abwesenheit und spekulirte als wie auf dem Anstand, um den Ofen herum. – »Mein, was willst Du denn von ihm?« fragte Seraphin. Worauf Liebl's Sohn: »Ich wette, daß der Buvaderatsch ein Weibsbild im Haus versteckt hält.« – »Nun, was geht's uns an, Lex?« – »Dich wohl nichts, Du betrübter Heiter, aber . . . . in diesem Schneegrabe wäre eine weibliche Gesellschaft für andere Leute ein gefundner Handel.« – Lex war äußerst verliebter Natur, wie sein Alter gewesen. – Dem Seraphin mißfiel die Aeußerung. Er legte sich auf seine Bank, und ließ den Freund treiben und spintisiren, was er wollte.

Inzwischen kam der Wirth mit seiner Laterne zurück. Lex nahm ihn gleich wieder in's Gebet. »Gesteht,« sagte er: »daß Ihr eine Dirne im Hause beherbergt.« – Der Ofenwirth schaute ihn groß an. »Ja, ja, mein Freund;« spaßte der andre. »ich hab's gemerkt; halb Part, Kamerad!« – »Ihr seyd betrunken;« antwortete Jener, um ein gutes Theil nüchterner werdend. – »So? war ich 173 auch betrunken in verwichner Nacht, als ich, wachend bei meinem lieben Herzensbruder, dort oben klopfen hörte, und etwas, das da klang, wie eine Menschenstimme?« – »Bah, bah! das war ich selbst, in meiner Schlafkammer war ich; zu Nacht red' ich gern laut im Schlummer; eine üble Gewohnheit, Mann.« – »Bah, bah! sag' ich jetzt auch. Stellt euch nicht so unbefangen, Wirth. Weiß ich etwa nicht, daß Ihr dort auf dem Ofen, hinter jenen Vorhängen, die Nacht zugebracht, und hab' ich nicht deutlich vernommen, wie Ihr aufstandet, und durch die Thüre in den obern Stock hüpftet? Horch! klopft's nicht gerade jetzt, und am nämlichen Ort?« – »Narradads!« versetzte der Wirth unruhig, hupfte vom Stuhl auf, und eilte, so schnell als seine Füße es erlaubten, die schmale Treppe hinan. –

Lex folgte ihm schlangengeschmeidig; aber die Fallthür flog grob über seinem Haupte in die Fugen. Er lauschte, strengte Ohren und Phantasie zugleich an. Nach geraumer Zeit vernahm er Stimmen; die des Wirths; dann eine viel schwächere, aber . . . »Gott verzeih' mir's!« sagte er zu sich selber: »ich glaub', ich hab' mich gewaltig betrogen. Wenn das eines Weibes Stimme, so ist's ein altes, altes Weib, das seine dürre Zunge rührt. Pfui, Lex! eine Mummedeya! pfui, pfui!« – So eben kam der Wirth wieder zum Vorschein. Sein Gesicht war ängstlich; seine Unruhe von der Art, daß er nun selber von freien Stücken dem neugierigen Gast mit Eröffnungen entgegenkam, die ihm Lex, nach dem, was er gehört, geschenkt haben würde und zwar mit Freuden. Was kümmerte ihn das Geschöpf im Oberstock, wenn es nicht ein junges blühendes Mädchen?

»Ei, ei, sprach der Ofenwirth kopfschüttelnd: »er wird sterben, 's ist kein Zweifel, wenn nicht ein Doktor kommt, der auch vielleicht nichts nützt. Aber in diesem Wetter . . .! keine Möglichkeit, von Zernetz herauf zu 174 reiten, keine Möglichkeit; und bis der Weg gebrochen . . . mein Gott, wo wird dann der Kranke seyn? Anno Sechsundzwanzig lag ich an fünf Wochen im Schnee verschüttet, hatte nichts mehr zu beißen und das Haus voll Leute . . . . und der Mann hält vielleicht keine fünf Stunden mehr!«

»Was fabelt ihr da? Wer? wer wird sterben? fragte Lex mißmuthig. – »Ach, der kranke Mann dort oben; ein Türk, im Vertrauen gesagt; das macht mir nicht wenig Kummer; 's wäre möglich, daß ihn der Teufel holte, und mir das Haus anzündete!« – »Desto besser; dann schmilzt der Schnee gewiß.« – »Narradads! was fang' ich mit einem Türken an, der sterben will? Weiß ich, was ich ihm vorbeten soll? Singen die Heiden Psalmen, oder was sonst?« – »Sagt mir nur, wie der Türk' zu Euch kam?« – »Vor ein paar Tagen; wie? zu Fuß; schon abgemergelt und im Fieber; mußte liegen bleiben; wollte, glaub' ich, nach Wien oder weiß Gott wohin! Lumpig, abgerissen; aber ich mein', er ist nicht ohne Blutzger. Türken tragen gern den Sack voll Diamanten und Karfunkel, habe ich gehört.« –

»Das wird schon seyn;« warf Lex ein: »könnt Ihr türkisch plaudern, Freund?« – »Ach nein, ach nein; er spricht aber Latinisch, so recht vom Fleck weg. – »Ein frischer feiner Türke, der.« – »Bei'm Eid, ein echter Türk von Cospoli.« – »Ei was! so laßt ihn ausgeistern und beerbt den Türkenhund, wenn er 'was hinterläßt.« –

Der Gastfreund verzog das Gesicht auf Vocksmanier, und erwiederte halblaut: »'s wär' nicht das schlechteste. Er hat eine Brieftasche, groß und voll; laß sie nicht aus den Händen. Jägersmann, was meint Ihr? Reinen Mund gehalten? 's setzt ein Trinkgeld von der Erbschaft; ein gutes. Sagt Euerm Freund, der dort schläft wie ein Ratz, von der Sache lieber nichts; he, guter Freund? Stirbt der Türk, und kämen dann die Leute, nachzufragen, 175 – was antworten wir?« – »Hm. daß nichts, gar nichts da gewesen, ehrlicher Padrone.« – »Recht so; und Ihr seyd Zeuge?« – »Das wollt Ihr ja; wofür sonst das Trinkgeld?« – »Ihr seyd ein Mann von Ehre, Jägersmann. Die Deutschen sind oft nicht so dumm, als wir meinen.« – »Tausend Dank, wackrer Romaunsch.« –

Die Verbündeten tranken sich zu; der Wirth in der Hoffnung, wirklich mittelst eines geringen Lohns den überlästigen Zeugen abzufertigen; Lex in der Aussicht, jedenfalls den Habsüchtigen hinter's Licht zu führen. Entweder wollte er – je nach Umständen – ehrlich seyn und des Türken Verlassenschaft in der Gesetze Obhut stellen, oder sie doch dem Schweizer zur Hälfte wenigstens abjagen, war sie der Mühe werth.

Nach dem Trunk fragte der Jäger: »Wenn er nun aber stirbt, wohin mit ihm, daß er uns nicht das Haus verpeste? Wir können ihn nicht ganz unterschlagen. Mein Freund würde dessen gewahr; Eure Dienstboten sind unterrichtet . . . . wir wissen, was mit seinem Erbe zu thun . . . aber was fangen wir mit ihm selber an?« –

»Mit ihm? in jene Kiste!« – Der Wirth zeigte, durch die geöffnete Thüre hinausleuchtend, auf eine räucherige große Truhe im Winkel des schmalen Vorplatzes. – »Was ist in jener Kiste?« – »Salz.« – »Alle Wetter!« rief Lex erschrocken: »was fällt Euch ein? Der Leichnam in die Salzkiste?« – »Pah! hat doch Anno Sechsundzwanzig meine Mutter darin gelegen drei Monate lang – sie starb während der Verschneiung – wird doch der Türk sich nicht darüber aufhalten. So ist der Brauch bei uns in den Bergen zur Winterzeit. Im Frühjahr schaffen wir die Todten wohl auf den Kirchhof. Aber den Türken begraben wir auf dem Berge, wenn er sich nicht bekehren sollte.« –

»Nun, nun: wir werden ihn nicht bekehren;« spaßte Lex, während ihn noch das Grausen vor der Salz- und Todtenkiste überlief: »wie aber, wenn er nicht stirbt?« – »Ei nun, antwortete der Wirth traurig: »so wär' uns halt eine schöne Hoffnung in's Wasser gefallen. Aber ich glaub' nicht, daß er den Tag überlebt. Schon redet er verwirrtes Zeug und lamentirt nach Weib und Kindern . . . vor allem nach einem Sohn, so viel ich ihn verstehe; denn er kauderwälscht viel deutsch und andres Zeug, das wahrscheinlich türkisch, in's Latinische hinein.« – »Hm, hm, armer Mammamuschi! wie kommt er doch zum Latinischen, Gevatter Wirth?« – »Das weiß ich nicht; aber was ich weiß, ist, daß wenn wir seinen Sohn da hätten, wir augenblicklich besser wissen würden, wie 's um seine Batzen steht.« – »O Bestia! wären wir nicht dann um alles geprellt? Doch . . . . sagtet Ihr nicht, daß er abredet wie in den letzten Zügen? Laßt mich zu ihm. Vielleicht nimmt er mich, im Sterben blind, wie der Erzvater gethan, für seinen geliebten Sohn? Es ist das wenigste, daß wir ihm einen Trost bereiten in der letzten Stunde. Geht voran. Immerhin werd' ich Euch sagen können, ob's Matthäi am letzten oder nicht. Ich bin schon oft dabei gewesen, und kein Geheimniß sey mehr zwischen Freunden!« – Von der Aufforderung hingerissen, führte der Wirth den Vertrauten über die Ofentreppe zu dem türkischen Kranken. Das Licht ließ er unten stehen. In die Kammer unter den Schindeln drang das Tagslicht frei und ungehindert.

Seraphin schlief indessen fort; unruhig, ächzend, als wie in Thränen schluchzend. Vielleicht zeigten ihm die Träume dunkle Bilder, seine Martina im Sarge, den Sarg in finstrer Gruft neben einer düster flackernden Lampe . . . da weckte ihn ein heftiges Rütteln. Die Augen aufthuend, sah er den Traum fortgesetzt: das mattglimmende Licht im schwarzen Gemach, und an seiner Seite einen todtblassen Mann, in dessen Zügen er kaum das Antlitz seines Freundes Lex, des Bärentödters, wiederfand; der ihm winkte, heftig winkte, ohne ein Wort zu reden; der den 177 Schlaftrunknen auf die Beine stellte, fortriß mit Gewalt; der, ihn die verhüllte Stiege hinandrängend, auf sein ängstliches »was ist? was willst Du?« endlich nur erwiederte: »Um Gotteswillen, geschwind! Hinauf; in Gottesnamen mach' geschwind!«

Ohne sich bewußt zu seyn, wie ihm geschah, machte Seraphin eine Art von Himmelfahrt aus der Finsterniß in das Licht; oben empfangen von dem Padrone des Forno, als von einem seltsamen Petrus. – Lex blieb zurück, horchte, lauschte mäuschenstill, und als er von oben – nach kurzer Frist – einen Doppellaut, ob nun des Schmerzens oder der Freude, vernommen, glitt er zum Boden nieder, fiel auf einen Stuhl, stützte beide Arme auf den Tisch, verbarg mit den Händen sein Gesicht, seine des Weinens ungewohnte, dennoch nasse Augen, und seufzte aus enger Brust: »Mein Gott und Heiland! ach, wie wunderbar sind Deine Wege! 's ist doch wahr, was die Priester lehren! Du bist überall und nicht das Haar unsers Hauptes entgeht Deiner Fürsicht!« –

Nicht lange, und auch der ganz und gar ernüchterte Wirth fand sich mit allen Zeichen der Bestürzung und Verwunderung neben dem Jäger ein. »So sagt mir doch nur« . . . . stotterte er . . . . »erklärt mir doch in Gottesnamen!« Worauf Lex, tief erschüttert, wie er noch nie gewesen: »Ihr fragt mich noch, und wart dabei? Sein Sohn, sein Sohn! . . . .« – 178


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