Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Zweites Kapitel.

  »Ich will nicht verschweigen, daß wir euch in eine wunderliche Gesellschaft führen werden. Ein böses Weib, eine Hexe und ein verrufener Waidmann von schwarzen Künsten machen zusammen eine schlimme Sippschaft. Pantoffelherren und dicke Sonderlingsleute, leichtfertige Hausirer und allerlei anderes gemeines Pack werden auch nicht dabei fehlen, aber denkt euch daneben ein paar unschuldige Kinder, Gletscher im Sonnenschein, trauliche Alphütten und grasgrüne Berge, so wird sich die Comödie ohne Eckel ansehen lassen.«
Prolog zum alten Schauspiel »Der Venediger.«

Wenn schon dem Seraphin seine neuen Verhältnisse nicht besonders gefielen, da er einer trüben Vorahnung nicht Meister werden konnte, so behagten sie doch dem guten Oswald noch viel weniger. Sein aufrichtiges Herz grämte sich, daß Seraphin seinen wohlgemeinten Vorschlag, mit ihm als ein Bruder zu leben, nicht angenommen. Die Jugendgefährten sahen sich von Tag zu Tag weniger. Oswald legte seinem Freund sein stilles, eingezogenes Leben als einen Hochmuthsdünkel aus; Seraphin scheute sich vor der übeln Laune Oswald's. – Der Sommer zog schon stark seinem Ende zu, und die beiden Knaben waren sich fremd geworden. Keiner von ihnen wußte eigentlich den Grund dieser Herzens-Erkältung. Keiner wollte aber auch mit seinen Beschwerden heraus, und darum mieden sie sich. Indessen 38 konnte Oswald diesen Zustand nicht gar zu lange aushalten, und eines Sonntags, nach dem Essen, machte er sich auf den Weg zu des Grödners Hause, um seinen Spielkamerad in die Frage zu nehmen und alles, was ihn selber drückte, von der Leber frisch weg zu plaudern. Er schlich durch die Hinterthüre in den Kramladen, woselbst der Grödner sich allein befand, nachdenkend gestützt auf einen Waarenballen. Oswald, der seinen Freund nirgends erblickte, wollte sich schon wieder leise davon machen, aber der Krämer war seiner bereits ansichtig geworden, und fragte etwas barsch: »He! was soll's, was willst Du?« – »Ich hab' nach dem Seraphin schauen wollen.« – »Der Seraphin ist nicht da; er ist auf dem Schloß bei den Kindern des gnädigen Herrn. Was suchst Du bei ihm?« – »Ich hab' ihn heimsuchen wollen, kann aber schon wieder gehen.« – »Hör'! Walt, laß Dir was sagen.« – »Was denn?« – »Schau, Du bist ein braver Bub und Deine Eltern sind rechtschaffene Leute.« – »Dank schön.« – »Aber Du wirst mir einen Gefallen thun, wenn Du den Seraphin seinen Weg gehen lässest; verstehst Du mich?«

Das verwunderte Gesicht des Knaben ließ errathen, daß er nicht verstanden. Der Grödner fuhr fort: »Ich will Dir noch was sagen. Du und der Seraphin schicken sich nicht mehr zusammen.« – »Nun, nun, warum denn nicht?« – »Weil Du's in Deinem Leben nur zu einem Bauernknecht bringen wirst; der Seraphin hingegen soll was Rechtes werden.« – »Was denn?« fragte Oswald halb lachend, wenn schon im Innern tief gekränkt. – »Er hat Freunde unter den Herren, ich habe versprochen, für ihn zu sorgen; er ist auch gar nicht, wofür man ihn ansieht; er hat vielleicht einen Vater, wie es keinen vornehmern hier im Land gibt.« – »Ho, ho, das wird nicht seyn.« – »Red' nicht so einfältig: ich muß das besser wissen, Du Aff! Verstanden? Kurz, ich will nicht 39 haben, daß er Deine schlechten Manieren lerne, bloßfüßig herumlaufe und nur von Kuh und Kalb zu reden wisse. Der Herr Instruktor auf dem Schlosse will ihn mit den jungen Herren aufziehen; er soll einmal studiren, oder wenigstens ein Kaufmann werden, der sich sogar in Botzen sehen lassen kann. Darum also, Walt, darum behüt' Dich Gott. Halt' Dich an andere Buben und laß den Seraphin aus. Verstanden?« – Oswald drehte sich um, ohne ein Wort zu erwiedern, schlug die Thür grob zu und lief davon.

Der Grödner verfiel abermals in das Nachdenken, woraus ihn Oswald's Erscheinen gerissen hatte. Er zog eine braune Brieftasche hervor, blätterte darinnen in allerlei vergilbten Papieren, öffnete ein Schächtelchen, das in der Tasche verwahrt gewesen, betrachtete wohlgefällig ein darin enthaltenes Kleinod, und sagte zu sich selber: »Die Frau hat bittre Noth gelitten, und dennoch den kleinen Schatz nicht veräußert, auch keinem Menschen etwas davon geoffenbart? Er muß ihr demnach recht am Herzen gelegen haben. Die Inschrift, die Briefe, der Name, Alles stimmt zusammen. Ich gäbe wohl etwas darum, daß sie den Brief des Dragoners nicht verbrannt hätte! In selbigem Brief muß just das enthalten gewesen seyn, was ich wissen möchte. Wenn nur der Plaschur wieder zum Vorschein käme; man würde etwa von ihm erfahren, was vielleicht ein Stück Geld einbringen könnte! Aber der Plaschur hängt wohl schon irgendwo an einem lichten Galgen! Wer weiß? Es kann auch nicht wahr seyn, daß er todt ist! Zudem kann sich auch der Andere wiederfinden, und wenn ein paar Jahre später . . . desto besser. Die Herren, so lange sie jung sind, wollen nicht gern an die Sünden ihrer Jugend erinnert seyn; ist aber das Alter herangekommen, so fängt's Gewissen an zu beißen und vom Todtbette zu reden, und sie sehen schon das Fegfeuer 40 von fern blitzen, daß sie gern in sich gehen und gut machen mit Gelde, was auf andere Art nicht mehr zu verbessern ist.« –

Bei diesen Worten fuhr der Krämer ein bischen zusammen, denn er hörte den Husten seiner Frau; er verbarg Brieftasche und Schachtel, und begrüßte freundlichst die erst am selben Tage vom Krankenbett auferstandene Ehegattin. Die Grödnerin war freilich niemals schön, kaum leidlich von Angesicht gewesen, aber auch der letzte Rest dieser Erträglichkeit war jetzo aus ihren Zügen und den Umrissen ihrer hagern Gestalt hinweggeschwunden. Sie ging umher wie ein schwankender aber ruheloser Schatten, der rachsichtig einem Verbrecher auf der Ferse sitzt.

»Find' ich Dich endlich?« fragte sie keuchend vor Müdigkeit und Bosheit: »Was steckst Du heut am Sonntag im geschlossenen Laden?« –

»Ich hab' gerechnet, liebe Frau, und aufgeschrieben, was wir von Botzen brauchen. Die Messe ist bald vor der Thüre, und ich will mir heuer zum Einkaufen recht Zeit nehmen.«

»Die nimmst Du Dir allemal. Kannst ja gar nicht von Botzen wegkommen, wenn Du einmal dort bist, und ich kann derweilen schimmlich werden vor Langweile, und Zwirn und Schwefel verkaufen, Tag für Tag, und mir dasjenige abdarben, was Du auf der Messe als ein Verschwender durchbringst!«

»Erzürne Dich nicht alsogleich; bist ja kaum vom Bette aufgestanden.«

»Das ist eben ein Kreuz und Leiden für Dich. Hast Dich gewiß schon auf eine Andere besonnen? Aber ich mache Dir nicht die Freude, den Platz zu räumen; noch lange nicht!«

»In Gottesnamen. Der Himmel mache Dich ganz gesund und wo möglich etwas freundlicher zu meiner Freude!«

41 »Halt's Maul. Der liebe Gott weiß schon was er thut; er braucht Deine Wünsche nicht. Was willst Du aber auf dem Markt einkaufen?«

»Es fehlt vieles. Der Egidi hat mir versprochen, Limonien mitzubringen. Ich erwarte ihn bald. Das Uebrige muß ich schon selbst besorgen: Mandeln, Zibeben, Stockfisch und Oel, Tücher für den Kram und für unser eigen Wintergewand . . . .«

»Das hat nicht Eil; das ist nicht heikelDas ist nicht heikel: »das ist nicht wichtig,« »hat keinen Anstand.«. Wir können schon noch auskommen. Dein Rock ist sauber; was fehlt dem Janker? Das Brusttuch ist so gut wie neu . . . .«

»Der Seraphin sollte halt aus meinem alten Gewand ein neues kriegen,« fiel der Grödner unbesonnen genug ein.

Zwei rothe Flammen schlugen auf den Wangen der Frau empor, da sie den verhaßten Namen hörte. »Was?« versetzte sie, von Zittern ergriffen: »Der Bettelbub? der Gott-weiß-woher? Wär' mir nichts lieber. Unser ehrlich erworbenes Gut auf dem unehrlichen Leib des unnützen Mitessers? Du möchtest uns an den Bettelstab bringen mit all' Deinem Gesindel.«

Der Krämer schüttelte heftig und mißvergnügt den Kopf, zuckte die Achseln, rieb die Hände, kratzte sich hinterm Ohr, warf seine kurze Pfeife auf den Ladentisch und brummte ein Lied. Als aber die Frau, doppelt erbost, keine Antwort zu erhalten, mit ihrem Schelten fortfuhr, und sich theuer vermaß, den Jungen nächstens aus dem Hause zu werfen, brach der Mann endlich in die Worte aus: »Es geht nur Schimpf und Schande aus deinem ungewaschnen Maule, und doch ist der Seraphin vielleicht kein hergelaufener Bube und nicht der Sohn eines Landstreichers, wie Du ihn tausendmal heißest.«

»Viry-vary, plitschles-platschlesPlitschles-platschles: ein Spottwort der Vintschgauer auf die Geschwindrednerei der romanisch sprechenden Engadiner.! Du mit Deinem hoffärtigen Redensarten sollst mich nicht irre machen. Wären sie Dir Ernst, so müßte ich Dich für einen 42 Narren halten; denn gesetzt, es wäre wahr, was Du behauptest, und der Seraphin eines vornehmen Herrn Sohn, was hätt' er dann an Respekt gewonnen? Er wär' halt ein lediges Kind, daß Gott erbarm! ein Bankert, nichts weiter; damit basta.«

»Weib!« hob der Grödner mit feierlichem Ernst und erhobenem Zeigefinger an: »Was Du von den ledigen Kindern sagst, hält nicht Stich, nicht Faden. Wenn Du jemals eine Zeitung gelesen hättest, so wüßtest Du, daß der König in Frankreich, der Sultan in der Türkei und so weiter, von Alters her dergleichen wilde Prinzen gehabt haben, die alle die vornehmsten Herren geworden sind, und nach des Königs Exempel haben auch die gnädigen Herren Cavaliere . . . .«

»Pfui, schäm' Dich, dergleichen Unflat in den Mund zu nehmen,« befahl das Weib. Da der Mann schwieg, fuhr die Frau, an ihn rückend, mit argwöhnischem Basiliskenblick fort: »Aber das sagst Du nur im Spaß. Das ist gar nicht Dein Ernst. Wenn ich Deine Affenliebe zu dem Buben recht betrachte, so glaube ich, daß ich die Hand nicht weit auszustrecken brauchte, um den Vater desselben beim Kragen zu nehmen.«

Dieses sagend, hatte auch schon das Frauengespenst den Krämer beim Nacken und zauste ihn. Er riß sich los, sprang ein paar Schritte, bis an die Wand der Ladenspelunke, zurück, und war bleicher als die schmutzige Wand. Das Weib bemerkte dieses, und rief mit Hohngelächter: »Sieh, wie das böse Gewissen Dich anstreicht. Gelt, ich hab' nicht vergessen, daß Du zu Botzen gewesen, just zur Zeit, da die glatte Jungfer – Gott vergeb mir die Sünde – die Crescenz sich daselbst befand? Gelt, ich bin nicht blind gewesen und weiß recht gut, woher die Freundschaft zur armen Frau Plaschur ihren Ursprung genommen? He, muß nicht alles kommen an die Sonnen?«

43 »Weib, Dir fehlt's unter'm SchlapplSchlappl: die ehemals bräuchliche Frauenhaube in Vintschgau; vom romanischen: Schlappa, die Haube.!« antwortete der Krämer außer sich, denn seiner Tugend war noch nie eine größere Beleidigung angethan worden.

»Nein, nein, nein!« versetzte die Zürnende, die eben aus ihrem Zorn neue Lebenskräfte zu schöpfen schien: »Wer Recht hat, wird ein Narr gescholten. Das geht mich aber nicht an. Alle Deine Bosheiten sind am Tag. Um den Stiefsohn mir aufzuschwatzen, hast Du den Pfarrer bezahlt, den Bader traktirt, dem Anwald Händ' und Füß' geleckt. Ich bin aber nicht dumm; ich bin hinter Alles gekommen, und will der Hacke einen Stiel finden; das will ich! Ich bin nicht mehr krank und blöd im Hirn; ich bin gesund, daß Du's nur weißt, und es soll noch lang dauern, bis Du mich unter die Erde bringst. Verstehst Du mich?«

Nachdem sie diesen Strahl des Grimms losgelassen, sauste die Zuchtmeisterin aus dem Laden und ließ dem bestürzten Krämer die Wahl, zu bleiben oder davon zu gehen. Nach kurzem Besinnen beliebte er das letztere und wanderte in's Wirthshaus, welches da ist die Zufluchtsstätte müßiger und geplagter Leute. Er fand dort wohl mehr als einen Hausteufelbesitzer; und Gefährten im Leide bei der Hand zu haben, ist schon ein ziemlicher Trost. –

Indessen war der gekränkte Oswald, um seinen Verdruß zu meistern, vor's Dorf gegangen, und zwar auf den Weg nach der Fürstenburg. Er trappelte so vor sich hin, da sah er von ferne eine schwarze Kutte im Winde flattern: das Gewand des Benediktiners, der bei dem Schloßhauptmann die Stelle eines Hauslehrers versah. Neben dem Mönch ging bescheiden und ordentlich Oswald's geliebter Seraphin. Dieser letztere hatte, wie Oswald zu sehen vermeinte, trotz seines dürftigen Kleides und seiner schlechten Schuhe, alle Anlagen zu einem herrischen BenehmenHerrisch thun, herrisch reden: vornehm thun, vornehm reden. herausgekehrt. Oswald ärgerte 44 sich über den gesitteten Gang und die gerade Kopf-Richtung seines Freundes bis zum Rothwerden; er schaute bitter wehmüthig auf seine eigenen nackten Füße, und da er nicht seitwärts treten konnte aus dem Wege des Kameraden, den er um alles in der Welt gerade jetzt nicht hätte grüßen mögen und können, so drehte er den Vorübergehenden recht verstockt den Rücken zu. Seraphin klopfte im Vorbeischreiten seinem Walt auf die Achsel und sagte: »Grüß Gott, Walt. Was hast Du denn?« – Dem Oswald war das Schluchzen nahe, aber er drehte sich nicht um. »Laß den unartigen Buben stehen!« ermahnte der Geistliche, und Seraphin verließ seinen Freund; er ging, doch nicht ohne sich ein paarmal nach ihm umzusehen, wie der hinschielende Oswald wohl bemerkte. Jedoch war dessen Ingrimm zu groß, um ihm zu erlauben, dem nachsichtigen Freunde zu folgen, ihn um Vergebung zu bitten. Die Thränen aus den Augen reibend, mit geballter Faust in der Luft fechtend, ging Oswald auf dem Wege nach Schleiß weiter, bis er an ein Plätzchen zwischen Gebüschen gelangte, wo ein großer Stein lag, neben dem ein Bach vom Gebirge über den Weg lief. Dort setzte er sich nieder, und überdachte lange, was ihm der Grödner von Seraphin gesagt hatte.

»Was will denn nur der alle Narr mit seinem vornehmen Geschwätz?« fragte er mißmuthig. »als ob hinter dem Seraphin etwas Apartes steckte! Der Lenhard Plaschur ist doch auch nicht ein gnädiger Herr gewesen; sondern nichts mehr und nichts weniger als ein Bauer, der sein Geldl verlumpt hat. Ei, da gibt's in Schleiß Bauern zu Dutzenden, die adelich sind, und dennoch ackern und Korn schneiden, und Schweine und Ochsen halten! Ich sage nicht, daß nicht einmal aus dem Seraphin was Rechtes werden kann. Es verdrießt mich nur, daß aus mir nichts werden soll. Ich bin doch auch ein gut gerathenes Gewächs! Jetzt, dem 45 Grödner und denen Herren, die sich so viel um den Seraphin bekümmern, ihnen Allen zum Trotz, möcht' ich wohl selber ein vornehmer Mann werden, wenn mir schon eigentlich nicht viel daran liegt. Wie fang' ich's aber an? Das braucht einen Kopf, einen gescheidten.«

»Ich meine, den hast Du schon?« ließ sich hinter Oswald eine wohlklingende Stimme vernehmen. Der Knabe, der, starren Blicks vor sich hinschauend, seine Gedanken laut vorgetragen hatte, sah sich erschreckt um, sprang auf, zog das Hütl ehrerbietig, und betrachtete lächelnd aber verlegen den Mann, der ihn angeredet. Es war ein noch ziemlich junger Herr, in einem grauen Reiserocke von Molleton, mit einem breiten Hut auf dem Kopfe; in seiner Hand hielt er ein mächtiges spanisches Rohr.

»Fürchte Dich nicht,« sagte er zu Oswald: »Ich wandre so eben von Glurns daher, und habe Dich im Rücken genommen, weil dort oben der Bach leichter zu überschreiten ist. Ich konnte nicht umhin, anzuhören, was Du Dir selber vorplaudertest. Also noch einmal: zweifelst Du an Deinem Kopfe? Deinen Augen fehlt nichts an Lebendigkeit; Deine Stirne und überhaupt alle Deine Züge geben Zeugniß, daß Du nicht Stroh im Gehirnkasten führst.«

Dem Oswald war die Anrede ein böhmisches Dorf. Er lachte, ohne zu verstehen. Der fremde Herr ließ sich etwas mehr zu dem Unerfahrnen herab und sagte: »Du gefällst mir. Wie heißest Du?« – »Oswald.« – »Wohl und gut. Hast Du Deine Eltern noch? Hast Du Geschwister?« – »Der Vater und die Mutter sind freilich noch am Leben. Ich habe einen ganzen Sack voll Geschwister.« – »So? Wie viele?« – »Hm, ich will sie Dir gleich herzählen. Zuerst komm ich; hernach der Hansel und der Kropf; hernach der Gansler und der Weiskopf; hernach die Trine, die schöne; das Mariele 46 und die Urschel; hernach das Kind und das kleine Kind, und das Kind in der Wiege. Da hast Du sie jetzt alle beieinander.«

Der Fremde lachte sehr, und versetzte: »Wahrhaftig, Du machst mir immer mehr Lust, Dich näher kennen zu lernen. Wie heißt Dein Vater?« – »Vitus Holzer auf der Platten.« – »Holzer? Holzer? Ich kenne einen Maler, der diesen Namen führt, und aus jenem Dorfe gebürtig ist?« – »Ha, der ist ein leiblicher Vetter von mir: der Johann Evangelist. Der Vater hat oft von ihm erzählt. Ja freilich, der Vetter Hans ist ein großer Herr geworden.«

»Möchtest Du's nicht auch machen, wie er?« – »Ja wohl gern; ich kann schon brave Hundsköpfln auf Stecken schnitzeln, mein Zeitvertreib im Winter, wenn ich nicht mit den Geißen hinaus kann.« – »Sieh da, recht wacker. Laß Dir sagen: ich bin ein guter Freund von dem Holzer. Ich würde ihm Freude machen, wenn ich ihm einen geschickten kleinen Vetter nach Augsburg hinausbrächte. Hättest Du Lust, mit mir zu gehen und was Rechtes zu werden?« –

Oswalds Kopf war wie durch einen Blitz erleuchtet worden. Ohne sich zu besinnen, schlug er ein. »Führe mich zu Deinen Eltern,« sprach der wohlwollende Fremdling. und Oswald tanzte mehr als er ging, vor dem Wundermann her, den der liebe Gott gesendet hatte, um einen »vornehmen« Herrn aus ihm zu machen.

Der alte Holzer und sein Weib saßen daheim in völliger Sonntagsruhe. Der Augenblick konnte zu Verhandlungen, wie sie der Fremde begann, nicht bequemer gewählt werden. Die Unterredung hatte deßhalb den besten Fortgang. Das Volk hat nicht Zeit, sich mit Empfindsamkeit oder Klügeleien des Verstandes abzugeben. In der Reihe der Dinge, die seine Entschlüsse bestimmen, steht vorne dran die Nothwendigkeit. Die Abwägung 47 der materiellen Vortheile oder Nachtheile nimmt den zweiten Platz ein; ganz zuletzt endlich werden des Herzens Gefühle in den Rath gezogen, wenn's leicht seyn kann. Als nun der Fremde dargethan, daß er ein vermöglicher Kaufmann von Augsburg, ein Obwexer sey; als er ferner erklärt hatte, er wolle besorgen, daß der berühmte, damals sehr berühmte Maler Holzer in Augsburg die Bildung des Oswald übernähme; nachdem er feierlich versprochen, für das Fortkommen des Oswald einzustehen oder denselben auf seine Kosten zurückzuschicken wenn, gegen alles Vermuthen, der Knabe nichts rechtes lernen, oder selber gern in die Heimath zurück verlangen würde; – alsdann hielten die Eheleute Konferenz nach ihrer Weise. – Die Mutter zwinkerte dem Vater ermunternd mit den Augen zu; der Alte wiegte selbstgefällig lächelnd sein rechtes Bein auf dem linken. Die Mutter klopfte dem Oswald, der stumm, aber dringend, um's Jawort bettelte, die purpurrothen Backen; der Vater maß ihn von unten bis oben mit einem Blicke, der ungefähr so viel sagte, als: Siehe, Du bist wohlgemacht von oben bis unten. Die Mutter sagte kurz: »Was glaubst Du, Veit?« Kurz antwortete der Vater, ohne seine Stellung zu verändern: »Wär' nicht aus!« – Dann warf die Frau, augenspielend mit dem Mann, einen Blick auf den Fremden, begleitet von einem fragenden »Hm?« – Der Mann entgegnete kopfnickend ein zufriedenes und billigendes »Hm, hm.« – Und alsobald stand das Weib auf, und sagte, vor dem Kruzifix in der Kammer eine Verbeugung machend. »In Gottes Namen; wenn der Walt selber gern will, so haben wir nichts dagegen.«

Nun erhob sich auch der Mann und setzte dem fremden Herrn den einzigen Stuhl zum Niederlassen vor; die Frau legte darauf ein Federkissen aus dem Ehebett, damit der Herr weich sitze. Trine, die schöne, kredenzte ihm ein Glas Enzian bester Qualität, der einzige 48 fürnehme Trunk im Hause; das Mariele präsentirte ihm, sich die Hände zu trocknen, ein nagelneues Schnupftüchl, das ihr der Vater vor drei Wochen von Nauders gebracht. Während dieser Ceremonien wurde der Vertrag mündlich geschlossen und mit einem Handschlag besiegelt. Es war hohe Zeit, denn unmittelbar darauf polterten Gansler und Kropf, Weiskopf und Hans, die Urschel mit dem Kinde in's enge Gemach; das kleine Kind lief juchzend den andern entgegen, und das Kind in der Wiege wachte erschreckt auf, und schrie als wie am Spieße; so daß kein vernünftiges Wort geredet oder verstanden werden mochte. Noch auf der Schwelle des Hauses, fliehend vor der tobenden Familie, versicherte Herr Obwexer den Vater, er werde binnen drei Tagen längstens den Oswald abholen; wenn etwa früher etwas von ihm gewünscht werden sollte, so möchte man nur auf's Schloß Churburg bei Schlanders schicken; er befinde sich dort in Geschäften bei dem Herrn Grafen von Trapp. – Der Name des in der ganzen Gegend wohlbekannten Eigenthümers und Gerichtsherrn befestigte unwiderruflich das Zutrauen zu des Augsburgers Verheißungen in den ehrlichen Bauersleuten, so daß nicht zu entscheiden war, wer von der Zukunft goldnere Träume hatte, die Eltern Oswald's oder Oswald selber.

Herr Obwexer hatte eine ansehnliche klingende Vergeltung für die ihm aufgetischte Labung auf dem Tische zurückgelassen und dieses Pfand zukünftiger Freigebigkeit wanderte in der Familie von Hand zu Hand. Oswald wurde belobt und geschmeichelt, weil er verstanden, einen so überaus guten Herrn für sich zu gewinnen. Wenn auch die eigennützige Zärtlichkeit der Eltern für den Sohn ein ungewohntes, aber gar wohlthuendes Ding war, so war doch sein Herz zu voll, als daß er lange in dem Fröhlichkeitsspektakel hätte aushalten können. Er wünschte dem lieben Freunde die Begebenheit, die 49 seinem Leben eine gänzliche Umgestaltung versprach, mitzutheilen. Darum entschlüpfte er der engen Wohnung und lief, den Seraphin, allen Verboten des Grödners zum Trotz, aufzusuchen. Der Abend war hereingebrochen. Oswald lauerte am sogenannten Lugeneck, wo sich die schwatzhaften Leute des Dorfs zu versammeln pflegten, um die Neuigkeiten des Tags zu besprechen: der Grödner war nicht unter dem Schwarm. Oswald spionirte an den Fenstern der Zechstube im »weißen Kreuz.« Da sah er den Krämer vor dem Wein sitzen, und zwar recht fest sitzen. »Er wird uns nicht so bald stören,« dachte der Knabe, und begab sich schnell in die Nähe des Kramladens. Auf der Schwelle eines Nachbarhauses tratschten ein paar Weiber, und weil sie Seraphin's Namen nannten, horchte Oswald, hinter einem Brunnen verborgen, eine Weile zu. – Die Weiber erzählten einander, daß die Grödnerin den jungen Plaschur grade vor kurzem erst auf's erschrecklichste geschlagen und mißhandelt habe. »Wenn's der Grödner wüßte!« sagte die eine, und die andre entgegnete: »Was wär's dann? Er ist nicht Meister im Haus. Er läßt sich alles gefallen, und das Weib wird immer böser. Seit ihre Kinder gestorben, und ihre Krankheit angehoben, ist gar nicht mehr mit ihr auszukommen.« – »Ich glaub's wohl,« bemerkte eine Dritte: »sie ist eine Hexe, das ist was altes.« – »Eine Hexe? sollt's möglich seyn?« – »Ja gewiß und wahrhaftig. Wißt ihr nicht mehr wie die Söldnerin Butter machen wollte und die Milch konnte nicht gerinnen? Das hat die Grödnerin gemacht. Ich bin dabei gewesen; mir hat die Hexerei nichts gethan, weil ich in meinem Butterkübel einen Benediktpfenning festgemacht und das Pulver geworfen hatte, das mir der Kapuziner von Mals geschenkt hat. Aber die Söldnerin konnte nichts zu Stand bringen. Da hat sie ein heißes Eisen in die Milch gestoßen und einen 50 Spruch dabei gesagt, und dann ging's. Die Grödnerin hatte aber am Tage darauf den Arm in der Schlinge, denn er war erschrecklich verbrannt.« – »Daß Gott erbarm!« seufzten die Weiber, und die vierte von ihnen setzte hinzu: »Nun, weil's denn einmal so ist, so will ich nur auch erzählen, was ich weiß. Wir sind im letzten Winter bei einander im Kunkelheimgarten gewesen, eben die Söldnerin und die Kruckin, und Amreiters Margreth und die Madeln vom Zarabauer, und alles war gut; nun ist auf dem Ofen eine schwarze Katze gesessen, die niemand von uns gekannt hat, und die Katze hat erbärmlich geschrieen, daß es gar aus warDas wär' nicht aus: »das läßt sich hören.« Das ist gar aus: »das ist außerordentlich.«. Endlich ist die Margreth aufgestanden und hat der Katz mit ihrer Kunkel einen Streich versetzt, daß sie ihr ein Bein abgeschlagen, worauf die Katze davon gesprungen, und niemand etwas von ihr mehr gesehen. Von Stund an ist indessen die Grödnerin krank geworden, und hat einen bösen Fuß gehabt, drei Vierteljahre lang.« – »Da haben wir's! da haben wir's!« riefen die Schwätzerinnen durcheinander: »Gott behüt' uns und alle Christenleute vor dem Hexenweibsbilde! Darum wird sie auch den Seraphin zermartern und übel zurichten, bis er einmal aus dem Hause läuft oder an der Verzehrung stirbt; denn ein unschuldig Kind im Hause macht alle Hexenwerke zu nicht!«

Sie sagten einander »Gute Nacht,« die Schwätzerinnen, und hatschten in ihre Häuser. Nachdem die Thüre der letzten hinter derselben zugefallen, setzte Oswald seinen Weg weiter fort, kletterte auf den Scheiterhaufen vor des Grödners Wohnung und blickte in dessen Stube, die von einem Lichte sparsam erhellt war. Da saß das vielbesprochene Weib am Tische und die auf- und niederschnappende Bewegung ihres großen Mundes, wie auch die Geberden, die ihre langen Arme und weitgespreizten Finger machten, ließen errathen, daß sie in 51 angelegentlichem Gespräch begriffen sey. Ihr gegenüber saß ein aufmerksamer Zuhörer: der im Vintschgau, Oberinnthal BurggrafenamtDas Burggrafenamt: Weitläufige Jurisdiktion der alten Burggrafen von Tirol, wozu nebst dem Landgericht Meran noch eilf andere Gerichte gehörten. gar wohl bekannte alte Jäger Liebl. Die Gestalt dieses berüchtigten Menschen paßte unvergleichlich zu der Grödnerin. Er hatte beide Ellenbogen auf den Tisch gestützt, und, auf die knotigen Fäuste gelehnt, schaute in's Kerzenlicht wildbraun, eingedorrt und verwittert das Antlitz des Mannes, das wohl eher furchtbar als vertrauenerregend genannt werden mochte. Zwischen den lebhaften, von schwarzen Brauen überbuschten Schweinsaugen senkte sich lang und schneidig die Habichtnase herab auf den zusammengepreßten Mund mit schmalen Lippen, den ein weißlicher Schnurrbart überhing. Des Jägers Kinn, schon lange nicht barbirt, war ein üppiges Stoppelfeld; unter der niederhangenden Krempe des kleinen Spitzhuts von grüner Farbe, mit einem Gemsbart aufgeputzt, stahlen sich lange Zotteln von grauen Haaren auf den Kragen des Lodenwamses. Hals und Brust, beide braungebeizt von Wind und Wetter, waren so zu sagen nackt. Ein Gürtel, mit Zinn beschlagen, hielt die schwarzledernen Hosen um den Leib zusammen, die Kniee des Waidmannes waren bloß; tiefer unten waren die Wollstrümpfe festgemacht, und verloren sich in die schweren Bundschuhe. Der Körperbau des Jägers war schmächtig und scharf gemuskelt. Eine große Behendigkeit war noch den alten Gliedern zuzutrauen, und auf dem Gesicht des Liebl war ausgeprägt sowohl die schlaue Hinterlist, als auch die dreiste Verwegenheit des Luchses. – Er horchte bereitwillig dem langen Gerede der Grödnerin zu, und schien nur von Zeit zu Zeit ein beifälliges Wort oder einen Ausruf der Verwunderung zum Gespräch beizutragen. Im übrigen verhielt er sich ruhig, und nur der Qualm, den er stoßweise aus seiner kurzen Pfeife trieb, verrieth dann die Lebensthätigkeit in der Person des Zuhörers.

52 Oswald konnte sich selber nicht erklären, warum dieses vertrauliche Beieinanderseyn des alten Liebl und der Grödnerin ihm nicht geheuer vorkam. Der Ruf, dessen übrigens der Jäger im Lande genoß, rechtfertigte so ziemlich die Furcht eines jungen Menschen. So wie die Grödnerin im Verdacht der Hexerei, so stand auch der Jäger im Verdacht gar übler Geschicklichkeiten und Handlungen. Kein frischer und frommer Waidgesell wollte mit ihm gehen und halten. Wo er sein Revier aufschlug, wichen berechtigte Jäger und Wildschützen von dannen, und Liebl jagte offenkundig nicht nur auf den Besitzungen seines Herrn, des Grafen Khuen zu Lichtenberg, sondern wo's ihm einfiel und behagte. Sein Wohnsitz war zu Schleiß, wenn schon sein Dienst zu Lichtenberg. Im erstern Dorfe lebte er mit seinem zweiten jungen Weibe und einem Sohn erster Ehe, den er nach Burgeis zur Schule geschickt hatte, bis der Lex genug herangewachsen schien, um beim Vater in die Schützenlehre zu gehen. Zur Zeit der Jagden ging der Alte oft viele Wochen lang von Hause, »in den Berg,« wie das Volk sagt, und wo er sich da herumtrieb und was er trieb, das wußte nur Gott und Er allein. Genug, daß ihm die Thalbewohner alles Ueble nachsagten, von unerlaubten Künsten in seinem Handwerk, von Beschwörungen und Schatzgräbereien, von seltsamen Wagstücken und Schwelgereien und nicht weniger von unerlaubter Selbsthülfe in Händeln und Gewaltrache an Beleidigern. – Der jähzornige Charakter des Mannes, die Drohungen, die nur allzuhäufig über seine Zunge gingen, schienen seinen übeln Leumund zu bestätigen, seine Lust an einsamen Streifereien, seine Leidenschaft beim Scheibenschießen, beim Kartenspiel und Trunk, wenn ihm grade beliebte, unter Menschen seyn zu wollen; die ungewöhnliche Ausdauer seiner Kräfte, die ihm erlaubten, dann und wann noch ganze Nächte mit Tanz und Zechen zu 53 verbringen, waren zum Sprichwort im Lande geworden, und Alles, was da Böses geschah, dessen Urheber verborgen blieb, mußte der alte Liebl gethan haben. Dabei verrichtete er aber seine Dienste, wie sich's gehört, und genoß seines Grafen unumschränktes Vertrauen.

Oswald konnte allerdings nicht verstehen, was sie sprachen, die so eng beisammen saßen, aber er lugte auch vergebens nach dem Freunde aus. Auf der Ofenbank gewahrte er nur des Jägers Gewehr, das der Alte nie daheim ließ, und seine Waidtasche. Seraphin war in der Stube nicht zu sehen. Um die Zeit nicht vergebens zu verlieren, umkreiste Oswald das Haus, und entschloß sich, in die wohlbekannte Hinterthür zu dringen und Seraphin ein Zeichen zu geben. Das Gesinde, wußte er wohl, würde ihn nicht verrathen, und Grödner und Grödnerin waren ja, der eine nicht daheim, die andre verhindert, seinem Besuch sich zu widersetzen. – Doch brauchte der Knabe seinen Witz nicht sehr anzustrengen. Auf der untersten Treppenstufe, neben dem verlassenen Hundshüttl, in tiefer Dunkelheit, saß der vermißte und sehnlichst gesuchte Freund, und sein dumpfes Schluchzen verrieth ihn dem Spielgefährten eher, als dessen Augen, wenn gleich ziemliche Katzenaugen, ihn aus der Finsterniß herauszufinden vermochten.

»Lieber Seraphin, was hast Du denn?« fragte Oswald, indem sein Groll sowohl als seiner Eitelkeit übermüthiges Prangen dahinschwand vor dem Leiden des verwaisten Herzbruders. Statt der Antwort fiel ihm Seraphin heftiger weinend um den Hals. Oswald zog den Betrübten zum Hause hinaus, damit nicht Lärm würde, und ehe sie sich's versahen, standen beide an einem stillen Plätzchen in der Vallarga, wie man die spärlich mit Häusern besetzte Dorfgasse nennt, die in den Bergeinschnitt desselben Namens führt, von wannen öfters 54 die Lawinen auf Burgeis niederdonnern, Gräuel und Verwüstung im Gefolge.

»Was hast Du, Seraphin?« fragte wiederholt und hastig der ungeduldige Oswald, da Seraphin's Zähren noch immer flossen. – »Ach,« versetzte dieser mit einem Tone, der an Verzweiflung gränzte: »schau Waltl, wenn gerade jetzt eine WindbahnWindbahn: Windlavine, eine der zerstörendsten. Schneeschild: an gähe Felsen gewehte dicke Schneemassen, die durch ihre eigene Wucht beim ersten Sonnenstrahl oder bei der geringsten Lufterschütterung niederstürzen. vom Schafberg herunter fiele, ich ginge nicht vom Fleck und ließ' mich gern erschlagen, wenn Du nur Zeit hättest, auf die Seite zu springen. Ach, Waltl, wenn mein Mutterl im Himmel wüßte, wie mir's da herunten geht, . . . wenn sie's wüßte, sie holte mich ab, und nähm' mich zu sich!«

Da sich nun einmal die Wehmuth in Worte aufgelöst hatte, so erfuhr Oswald alles in ein paar Augenblicken. Schon seitdem die Grödnerin gewußt, daß sie genesen würde, seit mehreren Tagen also, war sie dem Buben, dem sie zwar vorher nie ein Wort der Freundlichkeit gesagt, aufsäßig und spinnefeind geworden. Sie hatte ihm die schlechteste Kost zugetheilt, und ein paar Schuhe weggenommen, die ihm der Krämer geschenkt hatte. Jede Bitte des Gemißhandelten wurde mit einem barschen: »Ist gut genug für Dich!« beantwortet, und derselbe mit der härtesten Strafe bedroht, wenn er dem Grödner auch nur die winzigste Klage vorbringen würde. Zehnmal in einem Athem hatte ihn das grimmige Weib mit den ehrlosesten Titeln belegt, die eine Schande waren für ihn und seinen Vater, und vor allem für seine so vielgeliebte Mutter. Er hatte geschwiegen und sich vertröstet. Aber heute, da er heimgekommen vom Schlosse, war die ewig in neuer Bosheit grübelnde Grödnerin auf den Einfall gekommen, ihn mit bereits und längst zerbrochenen Töpfen zum Brunnen zu schicken, daß er Wasser hole. Der Knabe hatte ihr bemerkt, die Töpfe würden nicht halten; vergebens. Wie er vorausgesehen, war's dann gekommen; von einem Hafen löste sich der Boden, der 55 Henkel vom andern; beide zerschellten am Boden. Und hierauf, den Buben beschuldigend, die Geschirre mit Fleiß zerbrochen zu haben, um nicht den Dienst leisten zu müssen, war sie über ihn mit des Mannes Wanderstecken hergefallen, hatte ihm, wie unsinnig, die Schultern und den Rücken zerbläut, eine Hand voll Haare ausgerissen, und ihm, nachdem sie ermattet die Hände hatte ruhen lassen müssen, angekündigt, er werde die ganze Woche mit Wasser und Brod sich zu begnügen und dabei das Maul zu halten haben. Im Falle, daß er dem Grödner klagen würde, was sich begeben, werde die Frau nicht ruhen, bis er aus dem Hause gejagt, und als Pfeifer oder Tampour unter die Soldaten gesteckt worden.

»Da hast Du nun die Bescheerung, Walt,« beschloß Seraphin sein Klaglied, »ich bin der elendeste Bub' im ganzen Land weit und breit. Die Mutter war'n armes Weib, aber sie hat mir satt zu essen gegeben; das hab' ich beim reichen Grödner nicht; ich bin nie geschimpft worden, weder von der Mutter noch vom Vater: ich habe wohl hie und da eine Kopfnuß, aber niemals Schläge bekommen, wie man sie einem Esel oder einem schlechten Hund gibt. Und dabei ist kein End und Wend; denn der Grödner ist der Knecht im Haus, aber nicht der Herr. Soldat mag ich nicht werden und betteln will ich nicht; die Herren auf Fürstenburg und Marienberg möchten mich studiren machen. aber ich will das wieder nicht; ich kann die Bücher nicht ausstehen, kann nicht schweifeln, wie ein Hund, daß man ihm schön thun soll. Ich krieg' von der Gelehrsamkeit nichts in den Kopf, und wär' lieber ein Bauer, als ein Herr, und reiste lieber durch die ganze Welt, als daß ich mich in eine Schreibstube hockte. Beim Grödner kann ich nicht bleiben, und wenn ich von ihm gehe, werd' ich Hungers sterben. Was ist da zu thun? Soll ich in die Etsch 56 laufen, und den Tod im kalten Wasser schlucken? Sag' mir was ich thun soll, wenn Du mich noch ein bischen lieb hast, obschon ich das nicht glaube, weil Du seit langer Zeit so kalt und fremd und mürrisch mit mir gethan hast!«

Bei dieser Aeußerung, die so natürlich aus Seraphin's Herzen quoll, und deren Aufrichtigkeit alle Befürchtungen und Zweifel des Freundes niederschlug als Gespenster und Gespinnste eines argwöhnischen Gehirns, umarmte Oswald seinen Seraphin gleichwie mit eisernen Armen, küßte ihn derb und herzhaft auf die Backen, und rief: »Du guter Narr, Du armer Narr! Und ich, der ich meinte, Du wolltest schon jetzt den Edelmann anlegen gegen mich! Geh, verzeih' mir, Du bist mein alter Bruder und wir wollen wieder gute, ja die besten Freunde in der Welt seyn. Mir ist jetzo von Herzen leid, daß ich fort soll, und ich wollte doch nur gehen, weil ich meinte, Du hättest mich nicht mehr gern! Aber ich muß ja nicht gehen, kann ja da bleiben und ich will das!«

Als Seraphin vernahm, was sich mit Oswald zugetragen, war er äußerst bestürzt, und drängte nur mit äußerster Gewalt die Thränen, die neuausbrechenden, zurück. Dennoch reichte er dem Gespielen die Hand, ja beide Hände, und bat ihn, seinem Entschluß treu zu bleiben, und dem Wink der Vorsehung zu gehorchen. – Indem nun Oswald sich sträubte, und zwar im vollsten Ernst, und der andre ihm zuredete wie ein Galgenpater, überkam den letztern eine Erleuchtung wie von oben, so daß er, selbst getröstet und ermuthigt, zu seinen Ueberredungsgründen noch hinzufügte: »Schau, Waltl, nicht nur Dir, aber auch mir zu liebe geh' in die Welt hinaus. Augsburg muß zwar weit seyn, aber es sey eine große Stadt, hat mir der Grödner einmal gesagt. Man könne unser Dorf wohl zehnmal hineinstellen, und es sey doch noch Platz darinnen für zehn andere Dörfer. Daher 57 hat's auch Platz genug für uns zwei, Walt. Mach's mit Deinem Vetter aus, daß er auch mich annimmt; oder sey's ein anderer Gutthäter. Ich will alles lernen, alles treiben, um nur bei Dir und weit von hier zu seyn: Farbenreiben oder Rauchfang kehren, Pinsel binden oder Schuhe schmieren, alles ist mir recht. Hilf mir nur vom Grödner weg und aus Burgeis. Das andre wird schon Gott fügen. Versprich mir das, Waltl. Dagegen will ich Dir versprechen, daß ich in Gottes Namen aushalten will, wo ich bin, bis Du mir eine Nachricht geben wirst. Du kannst so so schreiben; ich kann so so Geschriebenes lesen, und die Post kommt alle Woche einmal aus der weiten Welt nach Burgeis. Da will ich die Wirthin im weißen Kreuz, wo der Postreiter ankehrt, bitten, daß sie mir den Brief aufhebt, auf dem geschrieben seyn wird: An den Seraphin Plaschur in Burgeis; damit nicht der Grödner oder die Grödnerin denselben in die Hände kriegen. Denn, das sag' ich Dir: hab' ich den Brief und darf ich kommen, so mach' ich mich durch, und müßt' ich mich fortbetteln von Haus zu Haus, ohne Schuh' und Strümpfe; und müßte ich einem Kälberfuhrmann als Spitzhund dienen bei Tag und Nacht, und knurren, unterm Wagen als wie ein Spitzl, damit er mich nur mitnimmt. Freilich – dürft' ich nicht zu Dir kommen, so wär' ich übel daran, aber doch nicht übler, als heute, denn der Vater hat oft gesagt: Man gewöhnt sich an den Teufel. Aber gelt . . . Du lässest mich nicht im Stich, Waltl? Ich mein' immer, wir müßten's noch mit einander haben im Leben, he? es wär' Schad', wenn wir auseinander kämen, und der liebe Gott wird schon so gut seyn, da wir uns lieb haben, recht lieb!«

Oswald verdoppelte, da er seinen Seraphin so begeistert und frisch sah, seine Umarmungen, und rief: »Was Du gescheit bist! Was Du gescheit bist! Das 58 wär' mir im Leben nicht eingefallen; aber ich will's schon machen, wie Du gesagt hast. Ich will dem Vetter schon recht schön thun, will ihn streicheln und ihm schmeicheln, die Stiefel ausziehen und die Schlafhaube bringen und Alles thun wie ein fleißiger Knecht. Und wenn ich bei ihm recht in der Wolle sitze, so rück' ich hervor mit dem Herzensfreund, und er schlägt mir's dann gewiß nicht ab. Lieber Gott, wie sich der Mensch doch geschwind verändern kann! Vor einem Vaterunserlang hab' ich gemeint, ich könne und könne nicht mehr von Dir scheiden, und jetzo wollte ich, daß es morgen schon fortginge; denn je früher ich dorten, je eher wirst Du bei mir seyn, lieber Seraphin. Wirst Dich freilich kuschen müssen, Du guter, und's gute Mandl machen und nicht die Augen verzucken, wenn die alte Grödnerin noch so schief aufzieht, aber es wird und soll gewiß nicht lang dauern. Hab' nur Geduld. Wir werden alle Tage älter. Ich bin auf PeterlangetsPeterlangez: Petri Stuhlfeier. Langetz, woraus Lenz geworden: der Frühling. schon funfzehn Jahre alt. Und du?«

»Ich bin dreizehn vorbei. Der Grödner hat unter den Sachen von der Mutter einen Taufschein gefunden, der mich um ein Jahr älter macht, als ich gedacht habe.«

»Desto besser. Du siehst auch eher fünfzehn Jahre gleich, als ich, dem man nicht dreizehn geben möchte; denn Du bist groß, wirst ein langer Bursch werden, und Dich bald nicht mehr zu fürchten haben wenn's an's Raufen geht.«

»Ei, ich fürcht' mich schon jetzt nicht mehr. Jetzt sollte der Lex, der Sohn vom alten Liebl, an mich kommen; ich würd' mich schon besser wehren können.«

»Hoi! da fällt mir was ein, Seraphin. Der Liebl sitzt droben bei der Grödnerin. Was haben sie miteinander zu tuscheln?«

»Wenn ich's doch nicht weiß? Aber sie sind oft beisammen, hab' ich gehört. Mein Vater hat ein paarmal 59 erzählt, daß der alle Liebl hat einmal die Grödnerin heirathen sollen. Es ist lang' her, Walt, aber es ist damit kurios zugegangen. Ich weiß es nicht mehr ganz bei Kreuzer und Heller, aber die Sach' ist, daß die Grödnerin hat auf der Scheibe herausgeschossen werden sollen, und der Liebl hat's beste Numero gehabt. Um den Andern, der ganz fuchtig darüber war, noch mehr zu tratzen, hat der Liebl gesagt, er wolle das Weibsbild auch nicht, und hat sie dem Grödner abgelassen, der sie gern genommen hat. Die Grödnerin ist darauf dem Jäger lang bös gewesen . . . ich glaub's wohl, ich, – haben sich aber hernach wieder vertragen und sind gute Freunde worden und geblieben. Drum kommt der Liebl oft in's Haus, und das Weib muß ihn zu etwas brauchen können, denn sie ist gar zu häl mit ihm. Auch der Grödner schlagt ihm nicht leicht was ab, und das ist alles, was ich weiß.«

»Nun ja, z'wegen meiner, schon recht. Haben sich viele zertragen und hernach wieder verstanden. Nimm Dich aber vor dem alten Schnauzl in Acht.«

»Warum? Er thut mir nichts, und mit seinem Buben hab' ich nichts mehr, seitdem er auch im Dienst ist, und in Schleiß wohnt. Ich komme nicht hin, er kommt nicht her; basta, wie die Grödnerin sagt.«

»Dennoch paß auf und sey auf Deiner Hut. Ist doch der Lex schon ein so wilder Vogel, wie muß erst sein altes Schnurrbartl seyn? Er hat, wie's heißt, schon manchen auf's Dach geschossen, daß ihm die Spatzen heruntergefallen sind, und Hören und Sehen vergangen ist. Wer weiß, ob nicht die Grödnerin ihm's Pulver und das Blei schenkte, um Dich aus der Welt zu schnellen

Seraphin lachte hell auf. »Geh, geh; bist ein rechter TapaloriTapalori: Romanisches Wort, einen täppischen Menschen bedeutend.! . . . .« rief er neckend: »Willst mich fürchten machen? ich armer Bub bin ja nicht einen Schuß 60 Pulver werth, und die Grödnerin verschenkt gar nichts in der Welt, ob klein oder groß. Sie hat Futterkraut und Körner genug im Kasten, und ein Vogel frißt nicht viel; aber ich muß für mein armes Rothkröpfl das Futter selber suchen und zusammenbetteln, wenn das Thierl nicht verhungern soll. Sieh, Walt, der Vogel ist meine einzige Freud'. Weißt Du? ich habe selber ihn gefangen. Ich hab' ihm viele Künste gelehrt, die sonst ein Rothkröpfl nicht lernt, denn es will eine himmlische Geduld dabei seyn, und ich hab' Geduld – Gott weiß das – und kann mit dem Abrichten umgehen. Meine arme Mutter hat den Vogel gern gehabt, und wenn er aus'm Häusl gekommen ist und hat ihr sein Buckerl gemacht, so hat sie von Herzen gelacht. Denk' Waltl! sie hat sonst wohl nimmermehr lachen können, aber weinen mehr als genug. Auch mein Annele hat den Rothkropf so gut leiden können, daß sie ihn schier einmal in ihren kleinen fetten Pratzl'n zerdrückt hätte, wenn ich nicht dazu gekommen wäre. Darum hängt meine Seel' an dem Vogel und ich geb' ihm gern von meinem karg zugeschnittenen Brod, weil er mir die Zeit vertreiben soll, bis ich wieder zu Dir komme und alle die dicken Bücher hinter mir lassen kann; denn ich will nicht ein Kaufmann und nicht ein Herr Pfarrer werden, das ist mir all' schon verleidet. Wenn ich aber Deinen Brief habe und selber ein Nest draußen in der Welt weiß, dann will ich dem Rothkropf sein Gatterl aufsperren und ihn fliegen lassen in die Freiheit. Es gefällt auch dem Vogel nicht beim Grödner, und ich kann's ihm nicht verdenken.«

»Besser wär's, der Vogel legte Dir ein paar goldene Eier, Seraphin. Was ist denn aus des Dragoners Dukaten geworden, weil sie mir just einfallen?«

»Hm, der Grödner hat sie mit allem, was meine Mutter hinterlassen in Verwahrung.« Seufzend setzte Seraphin bei: »Ja, wenn ich die Dukaten hätte . . . . 61 's wär nicht aus. Da wär' mir schon geholfen, und Augsburg nicht mehr so weit von hier, als wohl jetzo. Du, Walt! wie lang' kann Einer mit zwei Dukaten leben?«

Oswald kratzte sich verlegen. »Da frag' Du das Venediger Mandl. Ich weiß nicht. Aber so ein Goldbatzl muß viel, viel werth seyn. Mein Vater hat erst heute gesagt, er habe es nie zu einem Dukaten bringen können, viel weniger zu zweien.«

»Waltl! wenn ich die Dukaten derwischeDerwischen: erwischen; mit dem Particip: derwuschen, erwischt. Der Buchstabe d wird häufig den Verbis, die mit »er« anfangen, vorgesetzt: derzählen, derschießen u. s. w., so werde ich mein Glück damit machen!«

»Ich wünsche Dir's von Herzen. Wenn Du sie nur schon derwuschen hättest! Aber die Grödnerin gibt nichts mehr heraus. Schleck' Dir's Maul ab, Seraphin.«

»Kannst recht haben, Waltl!« versetzte Seraphin traurig. – Indessen schlug es auf dem Thurm der Pfarrkirche neun Uhr. »Hoho!« sagte Oswald, »jetzt muß ich heimgehen, oder 's gibt Schläge!« – Verzagt erwiederte Seraphin: »Schon so spät? Nun, ich werd's kriegen. Gut' Nacht, Walt. Wann seh' ich Dich wieder?« – »Hm, Morgen soll ich zu der NahndelDie Nahndel: die Großmutter. Der Großvater: »Nönl.« in's SchlinigDas Schlinig: ein rauhes Hochthal, hinter dem Benediktinerstift Marienberg gelegen; in der Geschichte des Landes traurig berühmt, weil der grausame Vogt des Klosters, Ulrich von Matsch, dort den Abt Hermann enthaupten ließ. (26. August 1304.) gehen, um von ihr mich zu beabschieden.« – »Und ich hab' schon Befehl, mit einem Fassl Branntwein auf die Alm zu steigen. Die Senner haben droben einen Festtag. Es soll nicht schlechter seyn, als die Kirchweih von St. Martin.« – »Das ist ja prächtig! Da lauf' ich über'n Bergsteig auf die Zerzeralp, und finde Dich dort, mein lieber Bruder.« – »Recht, bist brav. So wollen wir's machen!« – Nach diesem herzlichen »Gut' Nacht« ging Einer hier, der Andere dort hinaus. –

Oswald, die Hoffnung und Zuversicht seiner Eltern, wurde wegen seiner Verspätung nur mit einem leichten Verweis bedacht. Seraphin hingegen mußte hungrig zu Neste kriechen, und statt aller Erfrischung ein tüchtiges 62 Kapitel – dießmal aus des Grödners Munde – geduldig hinnehmen. Was kümmerten ihn jedoch die Leviten? Seine Zukunft schien ihm gesichert. Mit Waltl's Beistand sollte es ihm nicht fehlen. Er machte es daher wie sein Rothkehlchen: er schlief fest und wohlgemuth, ohne von dem gelben Spitalgesicht der Hausfrau, noch von den groben Redensarten des Krämers zu träumen. Das Morgenroth kam dem Schlummernden allzufrühe über die Berge herauf, und dem Morgenroth und Morgennebel folgte gleich der Wecker: die kreischende Stimme der Grödnerin. »Willst den ganzen Tag verschlafen?« zürnte sie, »solltest schon auf der Alp seyn, Du Faulpelz.« Nach diesem unfreundlichen Morgengruß hing ihm das Weib sein Branntweinfäßchen um, schob ihm einige Zinnbecherchen in den Sack, beschenkte ihn mißwillig mit einem Stück mifflichen Brods, und jagte ihn von dannen. »Du weißt,« rief sie ihm nach, »was Du mitnimmst, und wieviel an Geld Du heimbringen mußt. Schleun' Dich und schenk oben brav ein. Weh Dir, wenn Du einen Heller weniger, als Du sollst, von der Alp mitbringst. Marschir, Du fauler Bube.«

Seraphin hatte viel Hunger. Der Weg auf die Alp ist weit. Um ein Bröckel Fleisch zu seinem schlechten Brode zu betteln, schlich der Knabe in das Kreuzwirthshaus zu seiner Gönnerin, der menschenfreundlichen Wirthin. Es war so früh am Tage, daß die letztere, kaum aufgestanden, noch im Begriff war, sich anzukleiden. Daher wartete Seraphin, am Küchenfeuer sich wärmend. Die Leute achteten nicht viel auf ihn, denn es war schon zu so früher Tageszeit eine Kutsche ein sehr dicker Mann, eine gleichfalls wohlbeleibte Frau, und mit ihnen ein mürrisch aussehender Junge, etwas älter als Seraphin, und ein gar herziges Töchterchen, mit dem jungen Plaschur von einem Alter. Diese Familie reiste aus dem Ultner BadeDas Ultner Bad: berühmte Heilquelle, wenige Stunden von Meran, im Thale gleiches Namens. nach ihrer Heimath zurück, und hatte in Mals 63 übernachtet. Das alte Fuhrwerk war aber beim Hereinfahren nach Burgeis zerbrochen, und die Noth der Reisenden groß.

Während nun Wirth und Knechte, Schmied und Wagner das aus dem Leim gegangene Gefährt umstanden und großen Rath hielten, während der dicke Mann mit seiner fetten Stimme eine Litanei des Mißvergnügens nach der andern in singendem langweiligen Tone ableierte, sagte die Frau, die rascherer Natur und sehr verständigen Wesens schien, zu der so eben erscheinenden Wirthin: »Was ist's nun weiter? Das Lamentiren hilft nicht. Der Wagen muß hergestellt werden, und so wie es kein Wunder war, daß er nach so langen Diensten zerbrach, so wird's auch keiner Mirakel bedürfen. um ihn wieder nothdürftig herzustellen. Wir kommen halt um einen Tag später nach Hause, und das ist alles. Derweilen sind wir ja hier gut aufgehoben, und Ihr jagt uns nicht von dannen, Frau, nicht wahr?« – Die Wirthin war die Freundlichkeit selber und bot alle Dienste an. Der dicke Mann konnte sich jedoch kaum zufrieden geben, und sein vorlauter Sohn stimmte in die Aeußerungen seines Mißvergnügens ein, bis die Mutter endlich mit dem Gewicht ihrer Autorität einschritt und rief: »Schämt Euch, ihr Mannsbilder. Macht ein Ende mit dem müßigen Klagen. Nimm Du den Wagen hinweg, Schmied, und flicke ihn und damit holla. Unser Hans wird uns nicht davonlaufen und hat die Frau Mutter bis daher die Wirthschaft versehen, so thut sie's auch noch einen Tag länger. Kommt herein, alter und junger Peter. Der Landtag hat lang genug gedauert. Laßt nur die Leute machen, es wird schon recht werden.«

Die Anrede der Gattin wurde dem dicken Manne augenblicklich zum Gesetze. Er, der eben vorhin alle Berathungen und Hülfeleistung durch seine Klagen gelähmt hatte, steigerte sich plötzlich zur größten Heftigkeit, 64 machte den Handwerksleuten Vorwürfe über ihre Saumseligkeit, bedrohte sie mit Zorn und Strafe, wenn sie nicht auf der Stelle sich an die Arbeit machten, fragte, ob sie ihn für einen armen Teufel hielten, der die so nothwendige Arbeit nicht bezahlen würde, und schimpfte über die Nachläßigkeit, womit die Fremden sich überall behandelt sähen. Nach dieser Aufwallung drehte er sich höchst friedlichen Angesichts um, und sagte zu seiner Frau: »Marianne, es ist nun einmal nicht anders. Geberde Dich wie Du willst: wir können heut einmal nicht weiter, aber den Kopf wird's darum nicht kosten. Wenn mir nur meine Special-Vögel nicht Noth leiden! Aber die Frau Mutter, die bis daher Alles versehen hat, wird auch noch ferner sorgen.«

Die Frau schmuuzelte, als eine an dergleichen Verwandlungen schon längst gewöhnte; der Wirth murmelte etwas von einem »kuriosen Kampel« zwischen den Zähnen, und die Dienstleute stießen sich lächelnd mit den Ellenbogen an. Aber Seraphin, an der Küchenthüre lehnend, hatte schon seit geraumer Zeit nur Sinn und Auge für einen Gegenstand, für das kleine Mädchen gehabt, das theilnahmlos dem Handel zugesehen. So wie die Kleine dastand, mit der Hand an der Mutter Schürze, gehüllt in einen bunten Kattunmantel, ein Tuch um die rosigen Wangen geknüpft, fesselte sie des Knaben Aufmerksamkeit dergestalt, daß er sich nicht erinnern konnte, jemals etwas ähnliches erfahren zu haben. So ungefähr hätte sich Seraphin seine Schwester Anna gedacht, wenn sie zu höhern Jahren gekommen wäre; aber dennoch schien ihm die Fremde ungleich niedlicher als die selige Anna, ein Wesen höherer Art, ein Engelchen, wie es noch niemals schöner in Processionen auf dem FerculumFerculum, Ferkel: eine Trage, worauf in Prozessionen die Heiligenbilder getragen werden. getragen worden. Ihre feinen blonden Haare strahlten ihm wie eine Krone von Sonnengold; ihre Nase, die etwas keck in die Morgenluft hinauswitterte, dünkte ihm 65 unvergleichlich; ihren hellen blaugrauen Augen stand nach seinem Erachten der Preis vor allen Augen der Welt zu, und über ihren kleinen Mund, in den sich Seraphins lüsternes Rothkehlchen wie in eine herrliche Vogelbeere vergafft haben würde, – über ihren Mund ging vollends nichts auf Erden. Der Knabe, des Mädchens Wangen Stirne und Hals betrachtend, wußte auf einmal, ohne daß ein Dichter es ihm gesagt hatte, was schöner noch als wilde Rosen sey, und weißer noch als Schnee. Er sah steif und fest das Mädchen an, aber das Mädchen achtete seiner nicht. Er wünschte sehnlichst, ein kleines Wort aus ihrem rothen Munde zu hören, aber das Mädchen sprach nichts, gar nichts, und ging mit Vater und Mutter, Bruder, Wirth und Wirthin in die Hinterstube, ohne sich umzusehen, ohne einen Laut von sich zu geben. –

Seraphin lauerte noch ein paar Minuten nach der Thüre der Stube hin; umsonst. »Was machst denn Du noch hier?« fragte ihn plötzlich eine Dirne, »Du wirst's kriegen, wenn Du zu spät auf die Alm kömmst!« Diese sehr richtige Bemerkung machte, daß Seraphin sich zusammennahm; vergessend, weßhalb er dagewesen, still hadernd mit der lästigen Pflicht, fürchtend, die Kleine, die er gar zu gerne Schwester genannt hätte, nicht wieder zu sehen, eilte er davon. Die wohlbekannten Schliche durch's Dorf einschlagend, damit er von der Grödnerin nicht gesehen wurde, machte er schnelle Füße. So vergaß er für eine Weile, was ihn ungewöhnlich bezaubert hatte. Die vielen Leute, die er auf dem Wege fand, und die alle im Begriff standen, sich auf die Alp zu begeben, zerstreuten ihn ebenfalls durch ihren Zuruf freundlicher oder spöttelnder Art; aber bald hatte er alle dahinten gelassen, und stieg emsig, da wo der Weg von der Haide links bergauf führt, zum Skaderhof hinan. Der Morgennebel wich allgemach, die bereits herbstelnde 66 Gegend legte wieder ein heiteres Kleid an. Seraphin wußte indessen nicht, wie ihm geschah, wenn er dann und wann, einen Augenblick rastend, die Gegend übersah. Sobald er an die Tochter des dicken Mannes dachte, so grünte und lebte alles, was ihn umgab, schöner und üppiger, als selbst im Sommer. Das Gras spiegelte in fettem Glanze, Blumen sprießten daraus hervor; in den längst abgeräumten Hecken des Skaderhofs hingen noch Lasten von schwellenden Johannisbeeren oder Zaufen, wie man sie im Lande nennt. Höher hinauf, im Waldweg, den der Knabe betrat, war ihm bisweilen, als höre er den Guckuk schlagen, den Frühlingsgefährten; als sehe er rings umher unter den feierlichen Bäumen die MostbeerenMostbeeren, Moosbeeren: Heidelbeeren. stehen, frisch, wie über Nacht gewachsen, und eine glänzende Fülle von rothen GrantenGranten, Zwispelen: rothe und schwarze Beeren.; als neigten sich überall auf schwanken Zweigen die süßen Zwispeln über den Pfad, und durch das grüne Geäste, besetzt mit buntbefiederten Singvögeln, spielte die Sonne des Brachmonds oder besser noch die jüngere Maiensonne. – Wendete Seraphin jedoch seine Gedanken der kargen Heimath zu, an die er jetzo gefesselt, ein geplagtes verlassenes Kind, so war's aus mit Mai und Frucht und Fülle: der Rasen war grau, in den Lüften flogen rauhstimmige GratschenGratschen: Kirschvögel, Zirbentauben. – Der letztere Name kommt von ihrer Vorliebe, auf den Zirbelnußbäumen (in Tirol Tschurtschen) zu nisten., Eichkatzln huschten von Zweig zu Zweig statt der Nachtigallen, und keine Beere war mehr zu sehen unterm Schatten der ernsthaft emporragenden Zirbelnußbäume.

Von den abwechselnden Blendwerken seiner erregten Einbildungskraft umgaukelt, gelangte Seraphin zum Zerzer-Brunnen, wo er rastete, und seinen Gaumen erquickte, die Gesundheit des unbekannten kleinen Mädchens trinkend und seiner eigenen Zukunft Wohlergehen. Eine Strecke vom Brunnen führte ihn sein Pfad an dem Platze vorüber, den man »bei den wilden Fräulein« heißt. Eine Volkssage umgibt diese Stelle mit einer gewissen 67 Wichtigkeit. Vor alten grauen Zeiten hausten dort in einem zauberischen Schlosse drei Feen, Töchter des Waldes und der Alpenluft, den Hirten und Jägern bald freundlich, bald wieder tückische grausame Feindinnen derselben. Im Lauf der Tage war ihr Schloß verschwunden, doch schwebten sie frei und freischaltend ferner über Berg und Klippe und Forst. Die Sage bringt, daß an des Schlosses Stätte ein Opferaltar aufgerichtet worden sey, wo die Hirten und Waidgesellen ihrer Ziegen und Jagdbeute Erstlinge niederzulegen pflegten, als ein Geschenk, die Gunst der »wilden Fräulein« zu verdienen. Doch sobald das Christenthum bis auf die Spitze der Berge gedrungen, und das Martinskirchlein auf der Alpenhöhe gegründet worden war, hatte man den Altar verwüstet, den Brunnen daneben verschüttet, und aus dem Gebrauch, daß jeder, der zum erstenmal die Alp bestieg, verhöhnend einen Stein auf die Trümmer warf, mit den Worten: »Das für die wilden Fräulein!« war schier ein Gesetz geworden. – Seraphin vergaß des Brauchs nicht, und hob aus rauhem Grunde einen Kiesel, und schleuderte ihn auf den dort liegenden Steinhaufen, und dachte dabei: »O möge damit mein ganzes Ungemach in Stücken gehen und begraben seyn unter jener Last!« –

Da kreischte eine Stimme hinter dem Trümmerberg hervor: »Du unnützer Bube, warum wirfst Du mich?« Der Knabe erschrack sehr; er vermeinte die Grödnerin zu hören, wenn nicht gar eins der wilden Fräulein in Person. Doch graute ihm noch mehr vor der Grödnerin, als vor dem Waldgespenste. Er duckte sich ein bischen, als ein abermaliger Zuruf ihn bewog, die Augen aufzuschlagen. An die Steine gelehnt, stand ein Weibsbild vor ihm, das zum Glück weder der Krämerin noch dem Alpengeiste ähnlich sah, wenn auch ziemlich alt und unschön. Eine sogenannte SchwatzerhaubeSchwatzerhauben: zuckerhutförmige gestrickte Hauben von dicker Wolle, entweder dunkelblau, oder blau und weiß melirt, oder ganz weiß; die häßlichste Kopfbedeckung für Weiber, die je erdacht worden. – in jenen Gegenden damals noch unbräuchlich – verhüllte ihre 68 Haare und drückte tief auf die Augen herunter; ein Männerkamisol umhing schlotternd den magern Oberleib; ein WiflingWifling; ein Weiberrock, von einer ungeheuren Masse Stoffs verfertigt, in tausend Falten gelegt. mit tausend Falten und in schlechtem Zustande bedeckte den übrigen Körper bis auf die Schienbeine und Füße, die auch besser in Lumpen verborgen als nackt gewesen wären. Die Person trug einen Waldstecken und einen dünnen Bündel. Sie schaute finster auf den Knaben und wackelte mißbilligend mit dem Haupte, dem die wollene Grenadiermütze etwas besonders Unheimliches verlieh.

Seraphin, obschon verlegen, nickte dem Weibe zu, und rief laut: »Gelobt sey Jesus Christus!« – »In Ewigkeit,« antwortete das Weib und verneigte sich demüthig. Nun, dachte der Knabe bei sich selber, wenigstens ist sie nicht vom Teufel, die Alte; – faßte auch von Stund an Muth, und fügte freundlich hinzu: »'s thut mir leid, wenn ich Dich getroffen habe, altes Weibele; ich bitt' schön ab.« – Worauf sich der Betagten Gesicht merklich erheiterte, so daß sie recht gutmüthig erwiederte: »Bist brav, bist brav, Gott vergelt' Dir's, schöner Bub!« – Dann kam sie herangebatscht, liebäugelte mit dem Fäßchen auf Seraphins Rücken, und sprach: »'s ist jetzt gar warm geworden, und ich muß Kräuter suchen; mir thut das Kreuz so vielSo viel: wird in tirolischen Dialekten häufig gebraucht: »so viel gut, so viel bös;« »ich hab' so viel viele Sorgen;« »ich habe so viel wenig Geld« u. s. w. weh; wenn Du mir ein wenig Branntwein gäbest, daß ich mich einreiben könnte?« –

Die Alte bat so schön, daß Seraphin sich dachte: auf ein paar Tropfen wird's nicht ankommen. »Hast Du etwas, den Branntwein hinein zu thun?« fragte er. – »Gib nur her, wirst schon sehen.« – Und als Seraphin ein Becherchen voll hingereicht, schluckte die Alte mit Begierde den Trank und sagte: »Gott vergelt' Dir's, schöner Bube« – »Aha, geht's so?« fragte wieder Seraphin, etwas ärgerlich. Das Weib, den Becher in Händen, bettelte noch einmal: »Gib mir jetzt auch was 69 für den Magen; hab' seit gestern nichts genossen, und das ist ein kerngesunder Enzian.« – Seraphin wollte nicht recht daran. Wenn's die Grödnerin merkt?« sagte er bedenklich, aber das Weib bat wiederum so schön, daß der Knabe willfahrte. Und so ging's zum drittenmale, um, wie die Alte versprach, auf des Knaben Gesundheit zu trinken. Sodann gab sie den Becher wieder zurück, schaute dabei in die Hände des Knaben, und murmelte wohlgefälligen Blicks und Seraphins Wange kneipend: »Gott wird Dir tausendmal die Wohlthat vergelten; Du wirst immerdar Glück haben, mein Sohn. Ich seh' in Deinen Händen lauter gelbe Vögel; gelbe Vögel, Kind, die funkeln wie Dukaten, und das bedeutet Ehr' und Reichthum aus Armuth und Verdruß. Bleib' immer fromm und wohlthätig. vor allem wohlthätig, und verzeih allen, die Dir Uebles thun, oder die es thun möchten. Dein Enzian war gut, und wenn Du mir einmal zu Haus begegnest, will ich Dir was schenken. Behüt' Dich Gott!«

Nach dieser lebhaft und branntweinlaunig hergeplapperten dumpfen Rede kehrte die Alte wieder nach ihrem Steinhaufen um, und ließ den Seraphin ziehen. Er verdoppelte, halb verdrießlich ob der zudringlichen Zusprache, halb vergnügt, daß die Begegnung leidlich abgelaufen, seine Schritte. Schon hörte er die zur Alp steigenden Leute im Walde, wie die einen laut scherzten und die andern laut beteten; schon hörte er hoch über der Region, die er durchschritt, das Jauchzen der Senner. Er sputete sich, hielt sich nicht auf beim »Donnerbaum,« einem alten vom Blitz zerschmetterten Knorren, worein der Alpensteiger bei der ersten Fahrt zu beißen gehalten ist, – weiß Gott warum? – er lüpfte sein Hütlein eilfertig vor dem Bildstock zu den »armen Seelen,« die, aus ihren Flammen hervorschauend, den Wanderer um ein Gebet anflehen; rasch klimmte er die »Platten« 70 hinauf, rauhe Felsenstufen, die zur ersehnten Höhe geleiten. Ihn beflügelte das helle Geläut der Kapellenglocke, das zum Gottesdienste rief. Schon war die Bevölkerung des Zerzer-Alpenthals vor dem Gotteshause versammelt, und mit ihr eine ziemliche Menge von Dorfbewohnern, die früher und rüstiger als Seraphin und seine Nachgänger das einfache Fest zunächst der Alpeneinsamkeit aufgesucht hatten. Emsigere Spekulanten mit Branntwein aus dem Schlinig hatten ihm bereits den Rang abgelaufen. Zum Gottesdienste eilend, wollten die Anwesenden von Seraphin nichts kaufen; doch vertröstete er sich auf die Stunde nach der heiligen Feier, und wohnte der letztern mit aller Andacht, ohne Besorgniß bei.

Die Veranlassung des kleinen Festes war diese: eine Krankheit, die zur Seuche zu werden gedroht, war unter dem zur Alp getriebenen Viehstand ausgebrochen gewesen. Die Eigenthümer in ihrer Noth, hatten, nebst den bräuchlichen Arznei-Mitteln, ihre Zuflucht zum Gebet genommen, und im frommen Vertrauen auf eine rettende Hand im Himmel allerlei Gelöbnisse gethan. Unter andern war eine Messe vor dem Altar des heiligen Martin auf der Zerzeralp unter den Verlöbnissen gewesen. Diesem Verspruch eben wurde heute genug gethan, da die Absicht vollkommen erreicht und das Vieh gesund worden war. Die kleine Festlichkeit gab, so wie zu anderer Zeit die Kirchweih, Anlaß zu starkem Besuch und zur Unterhaltung des Volks, das vor und nach der Andacht aus der Höhe einige Stunden mit Umherschlendern, Plaudern, Ausruhen und Trinken zubrachte. Der Enzian, der König aller gebrannten Geister jener Gegenden, spielte dabei eine wichtige Rolle.

Seraphin, der zum Nutzen seines Patrons ein Spender jenes köstlichen Tranks seyn sollte, versprach sich, wie schon gesagt, wenn gleich etwas spät angelangt, noch 71 einen guten und schnellen Absatz; es waren ja nach ihm noch viele Leute eingetroffen, und von diesen Nachzüglern war schon in der Hälfte der Messe die ganze Kirche angefüllt worden. Der Knabe betete daher sorgenlos für seine Abgestorbenen, für seinen Vormund und sogar für dessen hartes Eheweib, für seinen Walt und für sich selber um Alles, was da gut ist im Himmel und auf Erden. Zwar wurde hin und wieder seine Andacht gestört, indem er an die wunderliche Alte sich erinnerte, die ihm eine goldene Zukunft prophezeit hatte. Zum Glück hatte er sich aber nicht viel in der Kirche umgesehen, sonst hätte seine Frömmigkeit noch einen härtern Stoß erlitten. Denn als er, nach dem Ite, missa est sein Fäßchen still vom Boden aufnahm und hinausging, um die aus der Kirche Tretenden alsobald mit seinem Gentiana-Nektar zu erfreuen, bemerkte er – wie schlug sein Herz und wie funkelten seine Augen – unweit der Thüre die Frau des dicken fremden Herrn und die Wirthin aus dem weißen Kreuz, und zwischen beiden das artige Mädchen, das noch tausendmal artiger war, weil die Anstrengung des Kirchengangs noch viel schönere Rosen auf sein Antlitz gemalt hatte. – »Nun, das ist einmal recht,« sagte der Bube freudig in sich hinein, »das laß' ich mir gefallen, und ich wollte, ich hätte meinen Branntwein schon mit Rumpf und Stumpf verkauft, und nichts weiter zu thun, als das Madl anzuschauen, denn es ist ein heller purer Engel, das Madl, und in Burgeis, Planail und Mals gibt's gar keine, die mir besser gefiele. Der Walt ist mir lieb, und ich schau' ihm gern in seine lebhaften Augen, aber die Kleine ist doch was ganz anders als der Walt.«

Indem er sich also freute und über seinen Dienst ärgerte, stand er vor der Kirche; dem dicken Mann und seinem mürrischen Sohn gegenüber, die so eben keuchend herankamen, die allerletzten unter den Letzten. – 72 Der Fremde merkte, daß Alles schon vorbei war, und forderte von dem Knaben einen Becher Stärkung. Willig reichte dieser das Verlangte, froh, dem Vater seiner kleinen Herzensfreundin einen Gefallen thun zu können. Der dicke Mann machte es wie die Alte bei den »wilden Fräulein,« trank ein-, zwei-, dreimal, aber bezahlte auch. »Der Enzian ist brav,« sagte er beifällig schmatzend, »wir haben das Zeug bei uns nicht so gut. Bist ein herzhafter freundlicher Bube. Siehst Du, Peter, so muß ein junges Blut herschauen, und nicht wie Du, der ein Gesicht macht, als wie ein geblendeter Finke im Käfich, oder wie eine Pastete, aus der ein DalkenDalken, Dalk, ein Teig, der sitzen geblieben ist; figürlich ein dummer Mensch. geworden. Ich schlag' Dich nieder, wenn Du nicht einmal ein andres Gesicht machst, Du Murmentl! – Geh jetzt in Gottes Namen, Bub, ich hab' schon genug.«

Damit drehte er dem Seraphin den Rücken, und ging seinem Weib entgegen, das mit allem Volk aus der Kirche kam. Der junge Plaschur sah ihm wehmüthig nach, und dachte wieder bei sich: Wer an der Stelle des grämlichen Peter wäre! Wie gern wollt ich mit dem saubern Gesichtl, mit seiner Schwester spielen, den ganzen Tag hindurch, und wie vergnügt wollte ich seyn!

Die Kleine lief dem Vater entgegen, küßte ihm die fette Hand, während die Mutter des Alten Halsbinde und lange Weste sorgfältig in Ordnung brachte. »Du wirst Dich wieder erkälten wollen,« schmälte sie gutmüthig, »die Haut ist immer empfindlicher, wenn man aus dem Bade kommt, und Du hast ohnehin immer etwas am Halse. Setz' den Hut auf, geh'; wir wollen etwas in die Sonne. Wo hat denn die Frau Kreuzwirthin ihr Vieh stehen? . . . .« Die Wirthin entgegnete, es werde wohl für die Fremden zu weit seyn, indem fast eine Stunde Wegs bis dahin, aber sie zeigte sich bereit, ihre Gäste aus dem Waldschatten in das sonnige Hochthal hinaus zu führen, wo die Kaser stehen, zerstreut 73 bis in des Thales Hintergrund; je nach den Vierteln des Dorfs eingetheilt. Das Zerzerthal gehört der Gemeinde von Burgeis und ist in vier Theile geordnet: in die Brucker-, Platzer-, Kircher- und Oberdorfer-Alp.

Seraphin schleuderte maschinenmäßig den Dahingehenden nach. Es blieben wohl viele Leute vor der Kirche zurück, die ihm etwas zu verdienen gegeben hätten, aber er hatte von nun an wieder nur einen Gedanken im Kopf: die Kleine, die ihm von Augenblick zu Augenblick stets lieber, die er anzusehen nicht satt wurde, obwohl er für jetzt nur ihren schlanken Rücken sah, und die herabhängenden blonden Zöpfe, und den leichten, muthwillig tanzenden Gang. Die ganze Naturgeschichte, so viel nämlich der arme Schelm davon wußte, ging an seinem innern Sinn in ausgeprägten Bildern vorüber: der dicke Papa war der Elephant, die Mutter eine majestätische Ente, der Bruder das tappige Kalb, das verdrießlich vor dem Mezger herzieht, die Kleine dagegen war und blieb die geschmeidige, zierliche Läuferin: die Gemse. – »Wenn ich nur wüßte, wie sie heißt?« fragte sich Seraphin. Im selben Moment erfuhr er es. »Martina!« rief die Mutter: »Martina! Dein Strumpfbandl ist aufgegangen!«

Martina horchte, stutzte, machte eine unwillige Kopfbewegung ob des unwillkommnen Aufenthalts, und lief unter einen Baum am Wege, die Unordnung zu beseitigen. Ihre Eltern gingen indessen ihre Straße fort, und eben so die wenigen Landleute, die hinauswanderten, um bei der Gelegenheit nach ihren Kühen zu schauen. Sie plauderten alle fröhlich vom schönen Wetter, von der baldigen Heimfahrt des Alpenviehs und von dessen Ertrage. Niemand kümmerte sich um die hübsche Martina, die mit ihrem Strumpfband, weil sie gar zu eilig seyn wollte, lang nicht zurecht kommen konnte; niemand als nur allein der nachspähende Seraphin. Er hatte 74 sich, als wie ein Schütze auf den Anstand, hinter den Baum getrollt, und betrachtete das Mädchen nach Herzenslust. Martina schaute auf und gewahrte den Lauernden, der zwar nicht auf den Fuß, aber wohl auf das Gesicht der Strumpfbinderin hinstarrte, als wolle er dasselbe mit Appetit aufessen. »Was wär' mir denn das?« fragte die Kleine, nicht ängstlich, aber mürrisch. »Was thust denn Du hier?« – Seraphin antwortete nicht und stierte die Fragerin an einem fort an. – »Nun?« fuhr Martina schnippisch fort, indem sie, mit ihrer Arbeit fertig geworden, sich aufrichtete, »hast Du's Maul verloren, einfältiger Bub? Schau, wie er die Augen aufreißt! Hast noch niemals einen fremden Menschen gesehen?«

Mit diesen Worten machte sie sich wieder auf, ihren Eltern nachzuspringen. Seraphin, in blöder Schüchternheit befangen, trappelte ihr nach. Ein paarmal sah sich das Mädchen nach ihm um; es schien ihn auszulachen. –

Diese Wahrnehmung vermehrte freilich seine Blödigkeit, aber es war einmal dem Knaben angethan, und er mußte folgen, wohin das Mädchen ging. Er fürchtete sich, daß sie der Wirthin oder ihren Eltern von seiner Zudringlichkeit reden möchte, und spionirte mit Falkenaugen hell voraus. Aber es drehte sich von den Erwachsenen niemand nach ihm um, und nur Martina wendete von Zeit zu Zeit das Köpfchen. – So ging's bis zum ersten Kaser. Die Wirthin führte ihre Gäste hinein, um ihnen die Alpwirthschaft zu zeigen. Martina setzte sich auf ein paar Holzstöcke in die Sonne. Sie schaute das Thal hinunter und hinauf, spielte mit einem Hunde, der dort herumlief, und stellte sich, als lausche sie den Glocken der Kühe, und denke in der weiten Welt nicht an etwas anders. – »Wenn sie mich wieder neben ihr sieht, wird sie abermals grob seyn,« meinte Seraphin, aber er mußte es darauf wagen. Seine innerliche Bewegung ließ ihm keine Ruhe. Wie ein Blitz war er 75 alsogleich auf den Zipfelzehen hinter dem Mädchen, und dieses that, als bemerke es den Aufdringlichen nicht. –

Er hätte gar zu gern etwas geredet, aber was denn nur? Ihm fiel nichts ein. Er hätte gar zu gern nach der Hand Martinens gehascht, die mit dem wedelnden Hündchen spielte, aber, wie sich das unterstehen? Auf einmal zupfte ihn ein neckischer Kobold, und diesem Zupfen folgend, zupfte Seraphin selber an einer der blonden Flechten, die über den Nacken und das mit Goldschnüren besetzte weiße Mieder des Mädchens herabfielen. Mit einem geringen Schrei – Seraphin hatte etwas tappisch gezupft – fuhr Martina auf, musterte den Frevler, der wie billig die Augen niederschlug, mit einem zornigen Blicke, und drohte ihm, schon milder werdend, mit dem Finger. Sodann kehrte sie sich zum bellenden Hunde, beschwichtigte ihn streichelnd und gab nicht weiter Achtung auf den Nachbar. Es dauerte nicht lange, und schon zupfte der Nachbar wieder und stärker an der Haarflechte. – »Wirst einmal Ruh' geben?« fragte Martina, lebhaft umschauend. – Seraphin lachte, von Herzen verlegen; aber sein Lachen muß angenehm gewesen seyn, denn auch Martina lachte, und fragte gleichsam vertraulich: »Was trägst Du in dem Fassel?« – »Einen Branntwein,« antwortete Seraphin demüthig, ja beschämt. »O pfui, pfui, 'nen Branntwein!« wiederholte Martina verächtlich, sich die Nase zuhaltend.

Seraphin hatte nichts eifrigeres zu thun, als sein Fäßchen ohne weiters abzustellen, und saß im nächsten Augenblick an Martina's Seite. Sie rückte etwas weniges von ihm fort; er betrachtete wehmüthig seine schlechten Kleider, aber gleich darauf schlenkerte er so vergnügt seine Füße, als würde er nicht mit dem Prälaten von Marienberg tauschen. »Woher?« fragte Martina. – »Von Burgeis,« sagte Seraphin. – »Wie 76 heißest Du?« – »Seraphin.« – »Mit dem Schreibnamen?« – »Plaschur.« – »Weißt Du, wie ich heiße?« Seraphin nickte vergnügt. »Wie denn?« – »Ei, Du heißest Martina.« – »So?« – »Ja, und der Name geht mir gar wohl ein.« – Martina lächelte ihn an, dann horchte sie auf, und sprach: »Die Mutter kommt und der Vater. Weißt Du was? ich will mich ein wenig vor ihnen verstecke.« – »Dort ist ein Strauch,« erwiederte Seraphin, und, als hätten sie's schon seit langem abgeredet, gaben sie sich die Hände, und sprangen dem Strauche zu. – »Wo ist denn die Tina?« fragte die Mutter überall umschauend. – »Sie ist da gesessen, als wir hineingingen,« fügte der Papa bei, und rief aus voller Kehle des Mädchens Namen, dabei lockend wie einer Meise. Martina kicherte sehr, duckte sich auf den Boden, zerrte an Seraphins Janker, bis er desgleichen that, und wisperte ihm in's Ohr. »Sie werden glauben, daß mich der Wolf gefressen.« – Seraphin erschrack vor der Möglichkeit eines solchen Angriffs auf das schneeige Lämmchen an seiner Seite, und lugte zur Bergeshöhe aus, über die wohl zu Zeiten ein Wolf oder Bär aus dem Engadin zu passiren pflegte, um sich ein Frühstück oder Abendessen zu holen. Da sah er in weiter Ferne eine wohlbekannte Gestalt über die Wiesen herabschreiten und hörte ein nicht weniger wohlbekanntes Jauchzen, das freudig wiederhallte von den baumbewachsenen Thalwänden. – »Der Waltl« fuhr er empor. – »Wer?« fragte das Mädchen, »so bleib doch.« –»Nein, das kann nicht seyn, Martina. Der Walt thät' mir's nicht verzeihen, wenn ich ihm nicht entgegenliefe. Ich bin geschwind wieder da.« – Auf und davon flog er wie ein Pfeil.

»O Du Patscher!« brummte das Mädchen, ihm finster nachsehend: »Dummer Bauer, Du!« ging auch mürrisch, wie ihr Bruder Peter, hinter dem Busch 77 hervor, und ließ sich willig von den besorgt umhersuchenden Angehörigen finden. Der Vater schlug die Heimkehr vor; die Wirthin ermahnte, noch ein weilchen auszuruhen. Die Gattin des dicken Herrn war ihrer Meinung. Die kleine Gesellschaft setzte sich auf die oben bezeichneten Holzstöcke, und bewunderte das weidende Vieh, den noch in vorgerückter Jahrszeit bemerkbaren Kräuterreichthum der Alpe, und ein gastfreier Senn bewirthete sie mit fettem Rahm.

Es hatten sich indessen mehrere Gruppen von Leuten eingefunden; unter ihnen ein Rudel junger aufgeschossener Bursche, an deren Spitze ein langer frecher Gesell in grauem grünbesetzten Wamms, den grünen Hut voll künstlicher Blumen und ein paar Trutzfedern darauf. Sie lagerten am Boden und tranken mit lautem Gelächter, was das Zeug hielt, aus einem kleinen Fäßchen, schmauchten Tabak und erzählten sich allerlei Geschichten von irgend einem albernen Buben, den sie verdienter- oder unverdienterweise durchhechelten. Der lange Gesell lachte am unverschämtesten und rühmte sich, das Branntweinlabsal seinem verhaßtesten Schulkameraden stibitzt zu haben. Martina, welche düstern Auges und stumm die lärmende Truppe betrachtete, glaubte in deren Mitte das Fäßchen zu erkennen, das Seraphin auf seinem Rücken getragen. Sie erzählte das, und wie sie mit dem Seraphin zusammengekommen, leise dem Bruder, der, schadenfroh lachend, den weiten Mund aufriß und die Sache dem Vater mittheilte. Auch dieser lachte über den nachläßigen, empfindlich gestraften Burschen, und erzählte den Weibern, was er erfahren. Martina's Mutter, voll von Gutmüthigkeit und Mitleid, bedauerte den Raub, der an dem kleinen Branntweinträger begangen worden war, und bat die Wirthin um Vermittlung. Diese, wenn schon für den Seraphin gutgesinnt, wies jenes Ansinnen von sich. »Ihr seht wohl,« sagte 78 sie, »daß die Burschen bereits halb trunken sind; ein trunkenes Ohr ein taubes Ohr, aber ein trunkener Mund ein grober Mund. Obendrein sind's die ärgsten Ruechen von Schleiß, und ihr Capo ist ein schlimmer Bube, der Sohn eines alten, übelberüchtigten Jägers, mit dem kein Mensch hier zu Lande im Ernst anbinden möchte. Was dem Lex geschähe oder gesagt würde, wäre dem Vater geschehen und gesagt, und ich möchte um's Himmelreich selber nichts mit dem Alten haben. Wo steckt nur der Seraphin? Er thut mir leid, aber er wird schlecht ankommen, wann der Grödner von der Geschichte hört.« – Indessen machte sich Martina im Stillen bittere Vorwürfe; sie ahnte, daß sie wohl an Seraphin's Unglück schuld gewesen seyn dürfte, und grämte sich, wenn sie gleich dem Buben zürnte, daß er sie schnöde verlassen, um seinem Freunde entgegenzurennen.

Aber der junge Plaschur verspätete sich immer mehr und mehr, denn eine geraume Zeit verging, bis er, da wo er mit Oswald zusammengetroffen, sich satt geherzt hatte am Freunde, und der Länge und Breite nach vernommen, wie gut der Letztere im Schlinig von seiner Nahndel empfangen worden, welche Lehren sie ihm gegeben, was sie ihm alles aufgetragen, und wie sie ihn mit einem schönen Thaler beschenkt habe, an den sie ihren Segen für des Enkels Zukunft geknüpft. – Nachdem der Schatzthaler, ein Leopoldus, mit ungebührlich lang herabhängender Unterlippe hin und her gewendet, von unten und oben genugsam betrachtet worden, hob Seraphin seinerseits den Bericht seiner Abenteuer an, und erzählte hochvergnügt von der Prophetin, die ihm Glück verkündet, und noch seliger von der niedlichen Martina, deren Bekanntschaft er gemacht. Die Worte sprudelten ihm vom Munde, und kaum vermochte Oswald, der da lächelnd zuhörte, einzuschalten: »Was hast Du gemacht, Seraphin? Du hast Dich ja verliebt in das Madl; schämst Du Dich nicht?«

79 Der eifrige Redner verstummte plötzlich, und eine bange Sorge, daß der Freund wahr geredet haben möchte, beschlich ihn. »Nun, nun, das wird doch nicht seyn,« murmelte er bedenklich vor sich hin: »Verliebt, verliebt? wie kommst Du auf das, Oswald? Wir sind ja beide nicht alt genug dazu? Ei schäm' Dich selber, daß Du so vorwitzig reden magst. Geh, das hätt ich nicht von Dir gedacht. Aber Du solltest nur das Madl sehen, und es würde Dir auch gefallen, nicht weniger als mir. Ja freilich, wenn ich schon groß wäre, und die Martina auch, und ich wäre schon reich geworden, wie mir die alte Wollhaube versichert hat . . . .« – »Was denn nun etwa noch?« spottete Oswald; »willst Du nicht vielleicht an das alte Weibele glauben, wie an's Evangelium? Schau, die gelben Vögel und Dukaten, von denen sie gefabelt hat, sind ihr vor den Augen herum geflogen, weil sie den Branntwein im Hirn spürte. Wo hast Du aber Dein Fassel? Hast schon Alles verkauft, Seraphin?«

Die Frage fiel dem Freunde schwer auf die Brust. Unwillkürlich griff er nach dem Tragriemen; er war nicht vorhanden. Jetzt besann er sich, daß er seine Waare im Stiche gelassen, und Alles versäumt hatte. »Du lieber Gott, wie wird's mit mir ausschauen,« rief er. »wenn ich der Grödnerin den Branntwein wiederbringe und kein Geld! Laß uns laufen, Waltl. Lauf' zu, lauf' zu. Wie hab' ich Alles so ganz und gar vergessen mögen?«

Sie sprangen wie tolle Ziegen das Thal herunter, und erreichten athemlos die Bruckeralp. Der Kaser stand freilich noch auf dem alten Fleck; die Kühe weideten ringsum noch wie zuvor, aber kein Mensch war mehr vor der Sennhütte zu sehen, und das unselige Fäßlein eben so wenig. Seraphin rang die Hände, Oswald spürte ringsum mit fleißigen Augen . . . . nichts war zu finden. – Da trat der Untersenn, die Mundwinkel spöttlich verzogen, auf die Schwelle der Hütte. »Hat Einer von 80 euch etwas verloren?« fragte er neckend. – Seraphin erzählte schnaufend und weinend sein Unglück. – »Nun, nun,« erwiederte der Senn, »das Faß kann ich Dir wiedergeben, – er warf das leergetrunkene zu Seraphins Füßen – »der Liebl-Lex läßt Dir einen schönen Gruß sagen, Seraphin. Der Enzian, sagt er, hat ihm und seinen Freunden wohl geschmeckt; gefunden ist besser als gekauft, sagte er. Wenn Du aber Deine Bezahlung wolltest, hat er gesagt, so magst Du Dich nur an ihn selber wenden. Du wüßtest schon, hat er gesagt, wie seine Kopfstücke schmecken, sagte er.« Dabei machte der Senn, roh auflachend, die unzweideutigste Geberde des Dreinschlagens.

Seraphin war versteinert, und setzte sich, in Trostlosigkeit verloren, nieder. Oswald schimpfte dagegen heftig auf den Jägerbuben, auf die Leute, die dem Unfug zugesehen, ohne ihn abzustellen; aber nicht minder hart fuhr er gegen Seraphin heraus, daß er so beispiellos seinen Kopf verloren und seine Dienstpflicht hintangesetzt. Seine Vorwürfe überwanden wohl endlich die Empfindungslosigkeit des geschlagenen Freundes, der wieder anhob zu weinen. Zugleich flüchtete er sich, gleichsam vor der Strenge seines Tadlers weichend, in die Kirche. Dort warf er sich auf die Kniee und betete zum heiligen Martin, daß er ihm sein Fäßchen wieder fülle, oder ihm das Geld dafür in die Tasche stecke. Aber vergebens schaute er nach jedem inbrünstigen Gebetabsatz nach, ob sein Flehen erhört worden: das Faß blieb leer, in seiner Tasche klingelten nur die paar Groschen, die er vom dicken Herrn erhalten. Müde an allen Gliedern und halbverwirrt im Kopfe stand er endlich auf, und verließ die Kapelle, wie einer, der zum Aufhenken geführt werden soll.

Da fand er seinen Oswald wieder, dessen heftige Bewegung sich indessen gelegt hatte. Walt umarmte, ein paar Thränen im Auge, seinen Seraphin, und sprach: »Da hast Du das saubere Glück, das jene alte 81 Ackerscheuche Dir vorgelogen hat. Gewißlich war's eine ketzerische MummedeyaMummedeya: ein Vintschgauer Spottwort auf die engverhüllten, steifschreitenden protestantischen Engadinerinnen; wahrscheinlich vom romanischen »Mumetta, altes Weib. von dort drüben, die Dich behext hat, armer Narr. Komm jedoch getrost mit mir. Los'Losen: hören, aufhorchen., ich will Dir etwas sagen. Die Nahndel im Schlinig soll mir den Thaler nicht umsonst gegeben haben. Da, nimm Du ihn, und stopfe damit der Grödnerin das Maul. Ich brauch' ihn eigentlich keineswegs, denn der Herr Obwexer wird mich auf der Reise frei halten, und in Augsburg sorgt schon der Vetter für mich.« – »Du guter Waltl,« erwiederte Seraphin gerührt, »bedenk' doch, was Du thust. Deine Eltern werden bald erfahren, daß die Nahndel Dich beschenkt hat, und was willst Du ihnen dann sagen?« – »Für heut und morgen sag' ich nichts, und übermorgen geht's fort. Die Nahndel kommt erst vielleicht zu Allerheiligen auf's Land herunter, und hernach . . . . hernach mögen die Eltern von mir denken, was sie wollen – ich bin fort.« – Vergeblich strengte sich Seraphin an, des Freundes Wohlthat zurückzuweisen. Oswald litt das nicht. »Es bleibt dabei,« sagte er fest und ruhig: »entweder gibst Du mir den Thaler einmal in Augsburg zurück, oder wenn Du« – hier spottete Oswald wieder, daß Seraphin schamroth wurde – »oder wenn Du das Glück gemacht hast, von dem das Hexenweibel Dir vorgelogen.« – Sie umarmten sich. Gleich nachher sprach Oswald ernsthaft zum Andern: »Was ich Dich aber bitt', Seraphin: schau Dich nicht mehr nach den Madln um. Sie bringen Dich um den Verstand, und Du bist ja sonst viel klüger als ich. Mach's wie ich. Ich nehm' mir vor, alleweil ledig zu bleiben. Ich möchte Keine in der Welt heirathen, als etwa meine Mutter, und die hat schon den Vater zum Mann. Also: gib mir die Hand darauf.« –

Seraphin gab sie, wiewohl etwas zögernd. »Ich hätt' noch etwas auf'm Herzen,« sagte er verschämt zum 82 Oswald. »Was denn? Laß uns heimwärts gehen, denn schon kommt der Abend, Du erzählst mir's unterwegs.« – Die Platten hinuntergehend, vertraute Seraphin mit mannigfachem Stocken und Zaudern dem Zuhörer Folgendes: »Schau, Walt, ich kann mir schon einbilden, was mir heut beim Kramer passiren wird. Die Alte wird mich beim Grödner verschörgen, und der Grödner wird mich abstrafen mit dem Stecken, oder, was schlimmer ist, mich einsperren. Auf alle Fälle werd' ich das kleine Dirnl nicht wiedersehen. Aber . . . . werd' mir nicht bös, Walt – ich hab' sie halt gar so viel lieb, und es wär' mir 'ne rechte Freud, wenn sie 'n Andenken von mir hätte. Weißt Du was? Ich trauet' mir's schon selber nicht, aber Du bist ein frischer unverzagter Kerl . . . . bring' Du ihr das Rothkröpfl ins Wirthshaus. Sag' ihr fein, daß es seinen Waldgesang gar lieblich aufspielt, und daß es sein Wasser aus dem Brunnen ziehen kann, und daß es auch Schildwacht steht, mit einer Gerte unter'm Flügel, und es wär' von mir . . . . und sie soll's behalten und nicht verhungern lassen . . . . willst Du das thun, Walt?«

Der Oswald kratzte sich am Rücken, wie er immer zu thun pflegte, wenn er seine Bedenklichkeiten hatte. »Ei ja,« – sagte er spröde – »daß mich der Vater bei den Ohren nähm' und aus dem Hause prügelte? Nein, nein, das thu' ich nicht.« – »Du hast mich nicht lieb, Walt!« fuhr Seraphin auf. Aber Oswald sprach kaltblütig weiter, indem er seine Lederhosen resolut in die Höhe zog: »Was ich thun will, ist das: ich will schon im Breuz erfahren, in welcher Stube die Fremden schlafen. Hinein werd' ich kommen, denn es bleiben dort die Thüren offen, sind lauter ehrliche Leute im Haus. Da prakticir' ich dann den Rothkropf auf den Tisch oder an's Fenster und schreib' dazu auf ein Herz von weisem Papier: »Ich gehöre der Jungfer Martina.« He? da wird sie wohl merken, daß der Vogel von Dir 83 kommt, wenn sie überhaupt gemerkt hat, daß Du sie gern hast. Ich hab's einmal so für den Maurer-Wastl bei des Hocheneckers Christine machen müssen, und die Christine hat gleich errathen, von wem das Staarl gekommen.« – »Du bist mein goldiger Walt!« schrie Seraphin, ohne weiter zu überlegen, und vergaß alles Herzeleids, das seiner noch warten mochte. »Schon gut, schon recht,« versetzte der Andere: »aber halt' Wort und geh' den Madln nicht mehr nach. Sie bringen Dir Unglück!«

Unter heitern Gesprächen gewannen sie wieder den Donnerbaum, die »armen Seelen« und die »wilden Fräulein.« – Hohnlachend warfen sie ein Dutzend Steine auf die Trümmerhaufen und schrien: »den Brocken für die Wollhaube, und das Bröckl auch noch, und gar alle Zwölfe für sie!« Der Credit jener alten Person war in der Meinung der jungen Leute fürchterlich gesunken, aber das Entsetzen vor der Grödnerin wuchs riesengroß in ihnen – namentlich in Seraphin, je näher sie dem Dorfe kamen. Mit nicht gar freundlichen Gesinnungen für die Krämerin stiegen sie vom Skaderhof zur Landstraße nieder, aber auch mit Ingrimm – mit ohnmächtigem freilich – gedachten sie des bösen Lex, den der Unstern auf die Alp geführt hatte, und mit dem, als eines Hexenmeisters Sohn, leider nichts anzufangen war. – Es dämmerte stark, als Seraphin in seine Kammer huschte, und an einem Spagat den geliebten Rothkropf in die Hände seines Freundes hinabließ. Nachdem dieses vollbracht, nahm er sich zusammen, und ging mit so viel Dreistigkeit, als er aufbringen mochte, dem Strafgericht in des Grödners Wohnstube entgegen.

Das Donnerwetter war schon in der besten Gährung. Der Grödner und sein Weib stritten, daß die Fenster bebten; ein Hagel von bösen Worten prasselte auf den, noch vor der Thüre mit verhaltenem Athem lauschenden Seraphin nieder, und zwischendurch sagten sich die 84 Eheleute gegenseitig Alles, was nicht gut war. Der leidige Unfall mit dem Enzian war schon im Dorfe ruchbar geworden; der heimtaumelnde Lex hatte ihn selber triumphirend in's Haus des Krämers geschrien. Alle Geister des Zorns waren los in dem unfriedlichen Hause, und mitten hinein, gleichsam zwischen grimmige Hunde und Wölfe, mußte der arme Schelm, die Ursache des flammenden Streits, treten, und sagen: ich habe gesündigt.

Er that's endlich, weil's nicht anders seyn konnte, und, kaum war er erschienen, so kratzten schon die magern Hände des Weibes nach seinen Augen, oder krallten nach seinem Schopf, und der Grödner, den dicken Ellenzepter in der Faust, ruhte nicht damit. Was Seraphin vorausgesehen, geschah. Erst nachdem er abgefaßt, was ihm zugemessen, fand er Zeit, um Vergebung zu bitten. »Nichts da,« schrie die Grödnerin: »dießmal mußt Du aus dem Hause ohne Erbarmen.« – »Aus dem Hause!« bekräftigte der Grödner, aber es war ihm nicht so viel Ernst, wie dem Weibe. – Seraphin holte den Thaler aus dem Sacke und reichte ihn dem Grödner, der ihn etwas besänftigt empfing, ohne viel zu fragen, woher. Nicht also die Grödnerin. »Wie kommst Du zu dem Thaler? Bösewicht, Du hast ihn gestohlen, und wem, und wie, und wo? Aus dem Hause, vor's Gericht mit dem liederlichen Dieb!« – Nun begann Seraphin, seiner Unschuld vertrauend, den Mund zu brauchen, und sprang nicht eben zierlich mit der Krämerin um, achtete auch keineswegs der Kopfnüsse und Haarrisse, die zwischendurch wie Blitze aus den Händen des Weibes bei ihm einschlugen. – Der Grödner trat aber plötzlich auf des Gescholtenen Seite, schlug barbarisch mit der Elle auf den Tisch, daß die Frau erschreckt zurückprallte und erschöpft auf die Bank fiel. »Jetzt gebt's einmal einen Frieden!« befahl er: »jetzt heißt's genug gestritten; 's ist ein Unglück gewesen, und damit basta. All' Ding auf Erden hat seine Zeit. Der Bub' ist gepantscht, wie 85 sich's gehört, und damit gut; aber aus dem Haus kommt er doch nicht. Hörst Du's, Weib?«

»Daß Gott erbarm.« heulte die Frau, Krämpfe vorgebend: »Wär' mir nichts lieber!« – »Weib, nimm' ein Brechmittel, daß die Galle von Dir geht, und damit basta noch einmal und millionenmal. Setze Dich her, Seraphin, und laß uns rechnen, wie weit wir mit dem Thaler springen, wie viel ich noch am Branntwein einbüße. Ich glaube nicht viel. So, die Groschen gehören auch dazu? Brav, Seraphin, für einen nachläßigen Handelsmann hast Du viel Glück. Thut Dir der Buckel weh? Thut nichts, das ist gesund, Seraphin. Also, wenn wir die Maß Enzian berechnen mit . . . . Du wirst mir morgen sagen, woher der Thaler, laß heut nur gut seyn. Die Hauptsache ist, daß wir den Thaler haben. Also die Maß Enzian steht . . . . wo ist die Kreide, Weib? Hörst Du, Weib? Auf der Stelle hole die Kreide und bring' was zu essen für den Seraphin. Der Bub' kann sich nicht auf den Füßen halten vor Müdigkeit und Hunger!«

»Ehe ich dem Liederlich nur einen Brocken Brod vorsetze, eher will ich . . . .« der Zorn erstickte den Hauch in der Grödnerin Mund. Der Krämer platzte dagegen vom Sitze auf, schwang abermals das fürchterliche Ellenmaß und ergänzte, was die Frau gesprochen, mit den Donnerworten: »Eher willst Du selber Schläge kriegen aus dem Salz, nicht wahr, Du böser Drach . . . .?«

Und Gott weiß, was in des Grödners Stube an jenem Abend vorgefallen wäre, wenn nicht eine harte Faust an die Thüre geklopft hätte. Gleich darauf schaute ein langes backenbärtiges Gesicht in's Gemach, und rief jovialischen Tons: »Buona saira! Pasch, pasch! Animo, Curascha! Chiauns ca ladren, morden da rar! buona saira!Buona saira! pasch, pasch! animo, Curascha! Chiauns, ca ladren, morden da rar! (romanisch): Guten Abend! Friede, Friede! lustig, lustig! Hunde, die bellen, beißen selten.« 86


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