Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Zweites Kapitel.

D'Freud' ist so g'schamig
Und ist flugs dahin,
Wie ein Bissen, schön pflaumig
Wann ich hungerig bin.

Aber's Leid ist ein Brocken,
Und wenn ihn Eins schluckt,
Liegt er drinn, wie ein Stocken
Und zwickt ein'n und druckt.

D'Freud ist ein Vogerl,
Singt, wann's niemand hört,
Aber mitten auf 'n Platz
Stellt sich's Leid hin und plärrt.

D'Freud guckt aus den Augen
Verstohlen herfür,
Aber 's Leid richt't sich ein
's ganze G'sicht zum Quartier.

D'Freud färbt ein'm die Wangen
Schön rosenfarb roth.
Aber 's Leid druckt ein'm 's Herz ab,
Und würgt ein'n zu todt.

D'Freud g'hört für 'n Himmel,
Man kennt ihm 's gleich an,
Aber 's Leid g'hört für daher,
Sonst wollt' Niemand davon.

Nach Stelzhammers Lied im Dialekt des Junkerkreises.

Der König Herodes soll erschrecklich grimmig gewesen seyn, als er seine Kindermord-Ordonnanz unterschrieb; aber sein Grimm ist gewiß nicht zu vergleichen der Erzwuth, von welcher Herr Tammerl, der friedliche 49 Imsterbürger, der gelassene Hausvater beseelt war, da er zu Mieders im Gasthause hin- und herlief, wie ein Feuerbrand oder ein Meteor durch die Luft fährt. Brummend, seufzend, knirschend, spukend war er für alle Welt, die ihm verwundert zuschaute, ein Schreckniß. »Ist das nicht, um Federn zu kriegen am ganzen Leibe?« fragte er sich selber oft und setzte dann hinzu: »'s wär' auch besser, unter diesen Umständen ein Vogel zu seyn, als ein ehrlicher Mensch.« – Er lachte zornig auf bei diesen Worten und schaute verlegen um sich. Zum Glück war gerade Niemand um die Wege; man hatte den knurrigen Menschen mit den vier Wänden allein gelassen.

»Gottlob, daß es niemand gehört hat,« fuhr er fort, bitter schmunzelnd: »Ich bin ein ehrlicher Mensch? Pfui Dich an, Tammerl. Die Leute sagen, und die Meinige behauptet, es schappire mir hie und da ein kleiner Schwank, der nicht ganz wahr sey. Ich will nicht behaupten, daß die Leute und Frau Marianne Recht haben, aber in meinem Leben kann mir nicht eine größere Lüge ausgekommen seyn, als die ich jetzt ausgesprochen. Ich ein ehrlicher Mensch? Ja, SchneckenJa Schnecken: gleich dem bekannten: Prosit die Mahlzeit!. Ein Lump, ein z'nichter Hausvater, ein Dieb und Landstreicher bin ich. Daß nur endlich einmal die trägen Weiberleut' daherkämen! daß ich's so von Lung' und Leber heraussagen könnte, was mich drückt! Heda, schnattert es nicht draußen als wie aus Gänseschnäbeln? Zirpt und zwitschert es nicht, als ob ein Schwarm von Vögeln auf den Buhin stieße? Die Weiberleut' müssen's seyn, ich sag's, und ich kenn' mich mit ihnen aus.«

Sie waren's auch, die Weiber, die im Doppelschritt eintraten und mit dem Sturm der Freude, der Ueberraschung und der ängstlichen Sorge den unverhofften Ankömmling umgaben. Da lautete es durcheinander: »Liebster Schwager, um Gotteswillen!« – »Glückliche Ankunft, Herr Tammerl!« – »Was hat's denn gegeben, Herr 50 Vater?« Der alte Idelstein streckte zwischen den Köpfen Magdalenens und Martina's die den Tammerl herzten, seine breite Rechte durch, und rief mit seiner Donnerstimme: »Auch da!«

Tammerl erwehrte sich kaum seiner Freunde, puhstete, wedelte mit dem Sacktuch, stellte sich auf die Zehen und stöhnte: »Genug, und noch einmal genug. Seyd allesammt willkommen, und macht die Thüre zu. Keine fremde Maus darf hören. was ich euch zu sagen habe. Idelstein, Er ist mein guter Freund, sein Muckerl wird auch das Maul halten. Die Fenster zu, damit nicht einmal der Spatz, der vorbeifliegt, mein Herzeleid höre; er wäre kapabel, es von allen Dächern zu singen.«

»Du liebe Frau! was hat's denn gegeben?« fragte Magdalena auf's Dringendste. Martina war blaß geworden bis in den Mund. – »Seitdem unser liebes Imst eine Stadt geworden ist – unsre Voreltern können's nicht verantworten, daß sie des höchstseligen Herzogs Meinhard Gnade elendigerweise vernachläßigt haben – seitdem hat sich dort kein Unglück begeben, das dem meinigen gleich käme,« versetzte der gebeugte Tammerl.

»Ist die Frau Martha mit Tod abgegangen?« rief Genovefa: »die brave Frau sah so gelb aus?« – »Oder etwa die Schwester Marianne?« fügte die Tante hinzu. »Oder Seraphin?« schrie Martina auf.

Tammerl gerieth in einen gesteigerten Desperationsparoxismus: »Es hat sich wohl!« zürnte er: »da marthelt, da mariannt, da seraphinelt sich nichts. Du lieber Gott!«

Eine himmlische Beruhigung lagerte sich auf die weiblichen Angesichter. Tammerl, der seine Aufwallung bereute: riß Martina an sein Herz, und sprach wehmüthig: »Komm her, mein Kind, mein Dirnl, mein Madl; verzeih' mir, daß ich Dich angefahren habe, wie der Jud' das unreine Thier. Komm her, denn Du bist 51 mein alleinziger Trost, mein alleinziger Stecken und Stab. Ich hab's ja Deiner Mutter zehntausendmal gesagt, daß Du ein Engerl bist, ein lieb's Narrl, ein gutes Schafl allezeit, und daß der – Gott verzeih' mir's – daß der höllische Peterl nichts taugt. Nun siehst Du's: nun ist's eingetroffen; der Peterl ist ein schlechter Kerl, ist ein Dieb geworden, ist seinem Lehrherrn zu Feldkirch mit hundert Dukaten, die er für ihn draußen im Reich – in Kaufbeuern – hat erheben sollen, durchgegangen; er hat meinen ehrlichen Namen an den Galgen genagelt, und ich sterbe vor Verdruß, wenn ich den gottlosen Schliffl nicht bald beim Schopf derwischen, und beuteln kann, bis ihm Hören und Sehen vergeht.«

Erschöpft von dem herben Geständniß und niedergeworfen von seiner Betrübniß, sank Tammerl auf die Fensterbank und verhüllte sich das Angesicht. Es blieb stille um ihn her. Magdalene, die von Allen am besten begriff, was ein Vaterherz unter solcher Kränkung leiden mochte, war bis zum Stummwerden bestürzt. Martina sandte dagegen ein stilles Lobgebet zum Himmel, weil ihren Seraphin kein Unheil betroffen, und Genovefa, die ihren Haß gegen den schlimmen Peterl so glänzend gerechtfertigt sah, äußerte trocken, so zu sagen, befriedigt: »Ich hab's ja gesagt: der Böswicht wird 'was angerichtet haben. Ja, der war schon lang fertig bis auf's LeimenFertig bis auf's Leimen: in der allgemeinsten Bedeutung: aufgegeben, verloren, unverbesserlich seyn.

»Bis auf's Leimen!« hob Tammerl an, neuerdings wild werdend: »wer sagt das, leichtsinniger Schnabel? Kannst Du niemals Fried geben, Du vorlautes Vesperglöckl? hat der Bub' etwa schlechte Beispiele im Vaterhause vor Augen gehabt? War ich nicht immer rechtschaffen und sanftmüthig mit ihm? Ist seine Mutter nicht ganz in ihn vernarrt gewesen? Haben wir ihm je etwas an Speis' und Trank abgehen lassen, und an christlichen 52 Lehren? Bis auf's Leimen! Ach, Martina, die Mutter hättest Du sehen sollen, als der traurige Brief vom Feldkircher ankam. Sie hat's anfänglich gar nicht glauben wollen, hat geschworen, es sey absolut unmöglich, daß der Peterl sich bis zum Diebstahl vergessen. Endlich hat sie sich resolvirt, und ist selbst hinausgereist, um zu hören, wie die verzweifelte Sache eigentlich steht. So Gott will, soll uns wohl die Schande einer Ausschreibung, eines Steckbriefs erspart werden; denn hätt' ich auf der Welt nichts als die unglücklichen hundert Dukaten, die den Peterl verlockt haben, müßte ich Dein Heirathsgut, liebste Martina, drauf geh'n lassen – ich gäbe Alles hin, um den Buben und uns vor Schande zu retten.« –

»Das versteht sich,« entgegnete Martina lebhaft: »aber wo ist denn der Bruder jetzo? Wo steckt er, das nichtsnutzige Tüchl?«

»Nichtsnutzig? das heißt nicht liebevoll und nicht christlich geredet, Martina,« seufzte kopfschüttelnd der bekümmerte Vater: »die Verführung der Welt ist groß; der Versucher ruht nimmer; der heilige Augustin ist in seinen jungen Jahren auch leichtfertig gewesen. Urtheile nicht zu hart, Martina. Aber – wo er ist? wo er sich aufhält? Ja, Du mein Erlöser! frage die Lerche, wohin sie steigt, wenn sie Vater und Mutter verläßt? frage den Raben, wohin er fliegt, wenn er den silbernen Löffel gestohlen hat! – Ich hab' nicht unterlassen, was an mir war. Des Wachslers Sohn zu Innsbruck ist mir eingefallen. Schon einmal hat sein bös Exempel den guten Sitten des Peterl einen Stoß gegeben. Ich hab' mir eingebildet, der Bub' könne nur zu des Wachslers Sohn gelaufen seyn; bin nach Innsbruck gefahren, wo mich immer die Galle überläuft, denn ich kann den Ort nicht schmecken; hab' mich erkundigt, und was hab' ich hören müssen? Des Wachslers Sohn ist ein braver Mensch geworden, und hat tüchtig auf den Peterl geschimpft, als 53 ob der ihn vor Zeiten zu allerlei verführt hätte. Welch ein Spott auf mich! Zum Glück hab' ich nicht gesagt, warum ich dem Peterl nachfrage, aber ich hab' mich durchgemacht, ein Canari kann nicht geschwinder seyn, wenn ihm das Häusl aufgemacht wird. Ein Glück noch obendrein, daß ich den Peterl nicht getroffen habe. Ich hätte ihn behandeln mögen, wie der moskovitische Kaiser seinen leiblichen Sohn behandelt hat. Ich bin giftig gewesen, recht auf russisch giftig, toll und blind vor Zorn. Da hab' ich mich erinnert, daß Ihr vom Selrain eine Wallfahrt habt machen wollen. Die Tante hatte mir's geschrieben. Euch abzuholen und mein Leid zu klagen, deßwegen bin ich da.«

Die Tante ermahnte mit Salbung: »Es gibt viel Kümmerniß in der Welt. Wir müssen sie mit Geduld ertragen und dem Herrn aufopfern. Vielleicht wird er's mit dem Peterl erst noch wohl machen, lieber Schwager.«

»Hoffen wir's, hoffen wir's,« bekräftigte Tammerl, dessen Muth wieder stieg: »Der Bub' ist im Grund doch nicht so gar bös; es ist nicht aus mit ihm. Wißt's, was ihn verdorben hat? Einmal die verdammte Innsbrucker Luft; dort kann nichts gedeihen, als der Türken, und der wird aufgezogen vom höllischen warmen Wind, der aus dem glühigen Pfuhl der afrikanischen Wüsten, aus dem Fegfeuer auf Erden herausbläst wie ein Narr. Nachgehends hat ihn die Fremde verdorben, den Peterl. Alle Redlichkeit ist halt innerhalb unsrer Berge, und die ausländischen Schwaben taugen alle mitsammen nichts. Was hat der Peter draußen lernen können, als schlechtes Zeug? 's ist ein Fehler gewesen, daß ich ihn hinausgeschickt habe. Im Land bleiben, das ist die Hauptsache. Und hätt' ich ihn nur wieder, den verlornen Sohn, und wär' nur die Schand' schon vergessen! Ich wollte mehr thun, als der Vater im Evangelium; ich wollt' einen Ochsen schlachten lassen, den schwersten obendrein; aber fest wollt' ich den 54 Buben halten und zuluckenZulucken: zudecken. Luck: Deckel. wie eine kostbare Nachtigall, und picken müßt' er mir bleiben, und wenn ihn der Satanas selber an den Füßen zöge.«

»Wenn das Frücht'l heimkommt, geb' Er mir's zum Aufziehen,« sagte der alte Idelstein, im Bewußtseyn seiner gewichtigen Haus-Autorität.

»Es soll gelten,« entgegnete Tammerl aufgeheitert: »Thu' Er ihn dann auf gut pusterisch traktiren, so kann noch 'was aus dem Limmel werden. – Jetzt aber ist's spät. Morgen früh reisen wir heim, ihr Weiberleut; heut jedoch wollen wir nach Blindheim auf'n Federmarkt gehnNach Blindheim auf'n Federmarkt gehen: bayrisch-schwäbische Redensart für: zu Bett gehen., wie die Bayern sagen. Ich bin wie gerädert, und die Augen fallen mir zu, wenn ich schon haushoch Verdruß und Kummer auf mir habe.« – – –

Während nun der mit haushohem Jammer belastete Vogelhändler schnarchte, daß er für jeden etwa vorbeiziehenden nächtlichen Wanderer das stille Gasthaus zu Mieders in eine nimmerruhende Sägemühle verwandelte, lag auch hoch oben im Waldraster-Kloster Einer, den der Schlaf floh, der sich unruhig hin und herwälzte auf dem harten Lager, und mit Empfindungen kämpfte, die er Zeit seines Lebens noch nicht verspürt hatte. Der gute Oswald war's. Sein Herz pochte, sein Blut war in Aufruhr, ein Fieber ganz besonderer Art peitschte ihn mit Brennesseln. Zehnmal stand er auf, um in seiner schmalen Zelle auf- und abzulaufen; zehnmal wieder rollte er sich in die Decke und legte sein Haupt auf das Strohkissen, in der Meinung, es werde der Friede der Nacht über ihn kommen. Alles war vergeblich. Mit bang aufathmender Brust begrüßte er endlich die erste Tageshelle, vor deren Glanz die Gespenster Reißaus nehmen, und eine leise Hoffnung, Beruhigung zu finden, that ihm wohl. Nur für eine kurze Frist indessen. Er suchte sich umsonst zu zerstreuen, indem er seinen Wandersack auspackte, sein Kunstgeräthe auseinanderlegte, und sich seine Arbeitsverpflichtungen in's Gedächtniß rief. Alles 55 ging ihm verkehrt von der Hand. Seine Gedanken waren draußen in der Welt, und das Haus, worinnen er sich befand, drückte auf sein Gehirn und seine Lunge. Um die letztere in einige Thätigkeit zu versetzen, brummte er ein Lied. Wie aber gewöhnlich bei solchen Bestrebungen uns etwas und gerade just nur dasjenige beifällt, das die Wunden, an denen wir leiden, erst recht salzt und pfeffert, so erinnerte sich auch Oswald nur eines Gesangls, das ihm zu Augsburg sein Nebengesell Wenzel, ein Böhme aus dem Erzgebirge, häufig in die Ohren gedudelt hatte:

»Es schmeckt mir kein Essen,
Es schmeckt mir kein Trinken,
Und wenn ich soll arbeit'n,
Da möcht' ich versinken,
Und kann ich mein Trutscherl
Nicht bald wieder seh'n,
So muß ich vergeh'n.«

»Nun, was ist's denn weiter?« unterbrach sich Oswald, und warf Pinsel und Leimstreicher und Schabmesser durcheinander: »Ich bin halt wieder einmal verliebt; . . . 's ist mir schon oft passirt . . . . wird schon wieder vergehen.« – Indessen flüsterte ihm eine heimliche Stimme zu: »Das ist erlogen; diesmal vergeht Dir's nimmer.«

Und in einem Nu hatte Oswald überschaut, wie unendlich verschieden von seinen frühern Liebeswallungen das Gefühl sey, das sich ihm gestern schnell, als wär's eine ansteckende Pest, mitgetheilt hatte. Die Bockelhaubenmacherin und ihresgleichen hatte er in der nächstbesten lustigen Gesellschaft bald wieder vergessen; jetzt aber saß ihm ein stahlscharfer Wiederhacken mitten im Herzen, und er konnte seinen Schmerz, der allerdings auch eine gewisse Lust und Freudigkeit mit sich führte, nicht einen Augenblick verwinden. Zudem, wenn er bedachte, daß die schnellredende Zauberin, die ihn berückt, schon wieder in weiter 56 Ferne schweifte, und keine vernünftige Hoffnung, sie wiederzusehen, zu fassen war, ließ er fahren dahin jedwede Freudigkeit und Lust, und ergab sich der trostlosen Todesahnung der Verliebten. Darum setzte er Wenzels Lied fort, weil es, wie sein Gemüth, immer trauriger wurde:

Und wenn ich gestorben,
Laß ich mich begraben,
Ich laß' mir vom Tischler
Zwei Bretter abschaben – –
Ich laß' mir drei feurige
Herzen drauf malen,
Ich kann ihm's bezahlen.«

Die leichtsinnige Natur des Sängers schlug nach einer kurzen Pause, die er gemacht, durch. Er schämte sich seiner Wehmuth und verspottete seine Todesgedanken: »Wär' mir nichts lieber, als sterben für die Person, die mich vielleicht grad jetzo auslacht, wie nicht gescheit, weil . . .! auweh, daß mir wieder die Dukatengeschichte einfallen muß, und der kohlschwarze Krampus, und die schreckliche Weise, auf welche ich mich an dem armen Freund Seraphin versündigt habe, wie am lieben Gott selber. Wenn ich all die Noth bedenke, die so viel schwer auf meinem meineidigen Schädel aufgestößelt ist, schwerer als eine Fuhre Eichenholz, so möcht' ich mir allerdings lieber ein seliges End' wünschen, als ein langes Leben voll Höllenfurcht und eine Liebschaft ohne alle Aussicht! Ha, warum bin ich auch ein Kerl, der ein Herz von Butter und daneben Augen hat, die ihn verkuppeln, ehe er die Hand umkehrt! Und ich spür's, ich spür's: ich mag thun, was ich will, die schwarze Veverl reiß' ich mir einmal nicht mehr aus der Seele, und wenn gleich mein Verstand mir sagt, ich sey ein Narr, dennoch könnt' ich hinwerden aus lauterer Sehnsucht! Pfui! was ist aus mir geworden! steh' ich nicht da, wie Sankt Neff im KrautgartenSankt Neff im Krautgarten: bedeutet einen verdutzten bestürzten Menschen, der nicht weiß, was er in seiner Verlegenheit beginnen soll., den die Buben mit der Pelzhauben derwerfen wollen?«

57 Mit sich selber zürnend, warf Oswald seinen Farbenkasten in den Winkel, seine Palette vom Tisch auf den Fensterbalken, stampfte ungeduldig mit den Füßen den Takt obigen Liedchens und sang, seiner Eitelkeit zum Verhöhnen, wie ein Spottvogel die letzte Strophe:

»Nun laß' ich mir anstimmen
Den Todtengesang:
Da liegt nun der Esel
Der Länge, der lang,
Der immer gesteckt hat
In Liebesbeschwerden,
Zur Erden, zur Erden
Muß er jetzt werden.«

Der geplagte Walt setzte dem Lied als Coda ein bittres Gelächter an, daß die Fensterscheiben klirrten. Vor der Zellenthüre hustete hierauf Jemand ganz bescheiden, aber vernehmlich. »Hoi!« fing Oswald an: »Gibt's auch im Kloster Horcher an der Wand?« – Das Husten wiederholte sich; eine kleine Weile darnach klöpfelte ein diskreter Finger an die Thüre. »Nur herein!« rief der Maler. – Abermaliges Klöpfeln. Obgleich heller Tag war, überlief den Maler ein Grausen. »Wenn der Böse draußen stände!« tuschelte ihm das unsaubre Gewissen zu. Aber der vernünftigere Mannsmuth gewann in dem Zaudernden alsobald die Oberhand. Er ging, zu öffnen, und hereintrat, statt des Bösen, ein grundehrlicher Geist, der Pater Philipp. Nach seiner Gewohnheit hatte der Mönch nicht gewagt, die Klinke der Thüre anzurühren.

»Mein lieber Sohn,« sagte er mit herzgewinnender Besorgniß, »die Geschichte, die Du mir gestern vor dem Schlafengehen erzählt hast, ist mir nicht aus dem Kopfe gewichen. Ich habe hin und hergesonnen, wie Deinem verletzten Gewissen beizuspringen, und der Zorn des Höchsten, den Du allerdings grob verschuldet, zu besänftigen 58 seyn möchte. Ich habe außer der nöthigen Buße am Altare nur ein Mittel, das probateste, gefunden.«

»O, sagen Sie mir's geschwind, das Mittel, Hochwürdiger;« antwortete Oswald, gleichsam neu auflebend.

»Du mußt das unrecht erworbene Gut, wenn es noch in Deinen Händen, dem Eigenthümer wieder zurückstellen.«

»Ei, das möcht' ich wohl, aber . . . .«

Der Servit unterbrach ihn sanft: »Du mußt es, auch wenn Du nur mehr einen Theil des so vermessen eroberten Guts noch besäßest, mit dem unerschütterlichen Vorsatz, den Rest, je nachdem Du durch sauern Schweiß ihn zusammenbringen wirst, ebenfalls mit der Zeit dem billigen Ersatz hinzuzufügen.«

»Den Vorsatz würd' ich gern fassen und ausführen; auch mangelt wenig an der Summe; indessen weiß ich nicht . . . .«

Mit einer gewissen Herzensangst fuhr der Pater fort: »Geschwinde, geschwinde muß es geschehen, denn der Drache des Abgrunds hat Macht über Dich, so lang noch ein Stück des Unglücksgeldes in Deinem Besitz bleibt. Die Restitution vor allem, alsdann eine reumüthige Bitte um Vergebung zum Himmel, alsdann die gnadenreiche Buße, endlich die Absolution.«

»Sie schließen wahrhaftig den blauen Himmel vor mir auf, hochwürdiger Vater; aber wie kann ich das Gut zurückstellen, wenn ich seinen Eigenthümer nicht ausfindig machen kann? Ich hab' Ihnen erzählt, wie ich schon gestern die Hoffnung hatte, meine Hände zu reinigen, und wie ich mich in dem Menschen betrog, und wie mir's mit ihm ergangen ist.« –

»So lege es auf den Altar, oder in den Almosenkasten, das Sündengeld, oder – weißt Du was? gib es in meine Verwahrung. Wenn je der rechtmäßige Besitzer an den Tag käme, es wär' ihm unverloren. Die gottgefällige Absicht, die ich habe, indem ich mich mit dem Mammon 59 belade, wird doch, so der Herr will, die Schreckenspein, so Du selber herausgefordert, aufhalten, und die Krallen der Hölle von Dir abwenden, denke ich.«

»Mein Gott, ja das soll gleich geschehen,« rief Oswald, und packte geschwinde den Beutel aus, worinnen die kaiserlichen und holländischen Völker, die ungarischen und polnischen Reiter friedlich beisammen lagen. Der Mönch machte ihn die Dukaten überzählen; er selber rührte kein Stück davon an; er versiegelte dann den Beutel und schob ihn seufzend in seinen Aermel: »Um solchen Mist,« murmelte er, »geht so manche brave Seele zum höllischen Pfuhl, daß Gott erbarm.« – Sodann fragte er den Maler: »Wie nanntest Du den Menschen, dem Du den Quark abgenommen?«

»Hm, er gab sich für einen Peter . . . .« – »Sein Schreibname?« – »Hepperger, Peter Hepperger, ein junger Mann mit einem Gesicht, das man nicht so leicht vergißt . . . .«

Der Mönch schrieb die angegebenen Namen auf einen Zettel und steckte denselben zu dem Beutel. »Ich werde Erkundigung einziehen . . . .« sagte er. – Indessen war Oswalds Gedächtniß wieder mit dem Fremden beschäftigt, den er gestern so unziemlich angeredet hatte, und mit neu erregten Zweifeln in der Brust sprach er: »'s ist doch wunderbar; die Aehnlichkeit des fremden jungen Herrn mit meinem Friedberger, der aber auch ein Tiroler war, ist so groß . . . . es macht mich ganz damisch, nur daran zu denken . . . ..«

Pater Philipp lächelte. »Nun, solcher Wunderlichkeiten gibt's auf Erden genug. Sind mir auch schon vorgekommen. Es ist, als ob solche an sich ganz verschiedene Menschen aus einem und demselben Model gekommen wären . . . ., sonderbarer ist es, daß der Mann von gestern sich ebenfalls Peter schreibt . . . .«

»Was? Sie haben ihn gesehen? Sie kennen ihn?«

60 »Nicht ich: der Pförtner hat mir heute gesprächsweise gesagt, daß derjenige an der Klosterthüre angekehrt sey, und nach dem Pater Cassian zu fragen, der jedoch zufällig in Geschäften abwesend. Bei der Gelegenheit hat der Fremde seinen Namen genannt, indem er einen Gruß an den Pater hinterlassen. Er ist der Sohn eines zu Innsbruck wohnenden, viel verlästerten Kaufmanns, der aber in der Stille so viel Gutes thut, wie nicht häufig die andächtigsten Kirchengänger. Joseph Tammerl heißt der Mann, und sein Sohn Peter war es, den Du gestern gesehen und gesprochen.«

Oswald stand wie verdutzt vor dem Priester. Plötzlich klatschte er in die Hände, erhob die Augen, leuchtend, als hätte sie ein Blitz durchschwirrt, und schrie: »Hochwürdiger, jetzt ist mir ein DeuterDeuter: ein grob gegebener Fingerzeig; ein Schlag hinter die Ohren. von oben gekommen. Jetzt darf man mir nicht mehr mit dem Holzschlegel winken . . . .; ja wohl! hat mir nicht der Seraphin von den zwei Petern erzählt . . . .? ich will derschossen werden, wenn mein Peter nicht der Tammerlpeter von Imst ist. Jetzt hab' ich meinen Mann, Hochwürdiger, o gewiß hab' ich ihn. Das Geld gehört nach Imst, und auch ich gehöre hin; o ich Dalk, daß ich nicht früher daran dachte!«

»Was ist denn?« fragte Philipp: »mein Sohn, Du redest abAbreden: irre reden. Aufreden: im Schlaf sprechen.

»Warum nicht gar?« erwiederte Oswald und tanzte, so viel der Raum der engen Zelle es erlaubte, hin und her, so daß der Pater ihm kaum ausweichen mochte: »Der Tammerlbub' ist verlogen, ist z'nicht . . . . gewiß hat er sich und einen leichtfertigen Streich hinter einen fremden Namen versteckt . . . o gewiß, ich hab' ihn schon. Gebt's mir nur jetzt das Sackl, Hochwürdiger. Ich will's fein geschwind nacher Imst tragen, und zu Imst werd' ich alles finden, auch die Veverl, die Schwarzaugete, und Gott selber hat mir jetzt den rechten Weg angezeigt.«

»Du bist von Sinnen, mein Sohn,« versetzte der Servit verschämt: »Du mengst da den allerheiligsten 61 Namen des Herrn mit allerlei sündigen Gelüsten und leichtsinnigem Volk zusammen; das taugt nicht, das ist nicht brav. Zudem denke an die Arbeit, die Du in unsrer Kirche zu vollenden Dich anheischig gemacht hast. Der Dienst des Herrn geht vor allem und kann Dir nicht erlassen werden. Arbeite daher, bete und büße; dann, wenn Du ruhiger geworden, reden wir etwa mehr von der bösen Angelegenheit.«

»Ach, Hochwürdiger!« rief Oswald beinahe weinerlich: »bedenken Sie doch nur, daß ich zu Grunde gehen, daß ich sterben muß, wenn ich noch ein paar Monate hier verweilen soll. Die Veverl . . . ach mein Gott, Sie kennen sie nicht, Sie haben einen Ekel vor den Weiberleuten, und Sie haben Recht, denn Sie sind ein Klosterherr; aber was kann ich dafür, wenn das liebe Affl mir gar nicht Ruhe läßt, und, wenn ich mich hier versitze, wird nicht ein Andrer kommen, der das Wunderthierl grad vom Fleck weg heirathet?«

»Du bist ein Unsinniger,« sagte Pater Philipp hastig, streng und ängstlich zugleich: »Mach' mir die Thüre auf. In Deiner Nähe stinkt es nach Pech und Schwefel. Laß' mich aus und komme zu bessern christlichen Gedanken. Ich darf Dein freches Geschwätz nicht anhören. Mach' auf, sage ich.«

Oswald gehorchte allerdings dem bestimmten Befehl, und der Pater entwischte der Zelle, als ob er dem Satan mit genauer Noth entginge. Der Maler verfiel nach seiner Entfernung in ein dumpfes Hinbrüten, aus dem er nur erwachte, als die Ehrlichkeit seines Gemüths ihn derb und unbarmherzig an seine Pflichten erinnerte. »Freilich,« sagte er dann, dieser Ehrlichkeit gehorsamend, zu sich selber: »freilich bin ich ein teuflischer verblendeter Narr. Ein Wort ist einmal ein Wort, und ein rechter Mann muß halten, was er versprochen. Aber wenn mir nur der Himmel gnädig seyn wollte, und meinen Fingern die 62 Fertigkeit einer Eidechse gäbe! wenn er mir nur vergönnte zu arbeiten für Zehne. Denn ich muß mit meiner Arbeit im Sturm fertig werden, sonst halt' ich's nicht aus. Und nur wenn ich ein rechter GschaftlbergerGschaftlberger: ein Mensch, der sich immer etwas zu thun macht. bin, von früh Morgens bis spät Abends, wird doch mit Gottes Hülfe der Beißwurm in meinem Herzen ein' Fried geben.«

Wozu er sich so ehrenhaft ermannte, warum er auf seinen Knieen so eifrig zu allen Heiligen betete, das gelang ihm auch, wie durch überirdischen Beistand über alle Maßen. Sein Fleiß schaffte das Unmögliche in kurzer Zeit, und zwar mit besserm Erfolg, als ihm jemals eine Arbeit von der Hand gegangen war. In fünf bis sechs Wochen hatte er vollendet, wozu er drei bis vier Monate gerechnet hatte. Er war fix und fertig, an dem Tage, da sich just in Tirol die schmerzliche Kunde des Ablebens des regierenden Kaisers verbreitete. – –

Der Tod Karls des Sechsten, der Untergang einer falben Sonne, die, vom Monde niedergedrückt, in dem Chaos brauender Wetterwolken versank, erregte in allen Erblanden eine wahre BestürzungDer Verlust Belgrads soll des Kaisers Tod beschleunigt haben.. Des Kaisers Nachfolgerin Maria Theresia, um ihrer Frömmigkeit, bürgerfreundlichen Anmuth, wie auch um ihrer körperlichen Vorzüge willen schon im Voraus geliebt, wurde zwar mit Jubel auf dem Throne begrüßt, aber noch lange bevor das edelmännische Ungarn seine tausend und tausend Schwerter zückte, der geliebten Königin Maria Theresia Rechte zu verfechten, schlich in allen ihren Staaten eine finstre Ahnung, eine qualvolle Besorgniß in den Gemüthern umher. Selbst das schlichte wortgetreue Tirolervolk fürchtete die Annäherung böser und kriegsdrangvoller Zeiten, und baute wenig auf die berüchtigte pragmatische Sanktion, die dem lebensmüden Kaiser als Ruhepolster für sein 63 sterbendes Haupt gedient hatte. War doch der Bayer, der eigensinnige Churfürst, ehrlich zwar, aber feindselig, nicht zu bewegen gewesen, seine Ansprüche auf Maria Theresia's Erbe aufzugeben! Munkelten doch bald die weitsichtigern Politiker im Lande, daß wo der bayerische Nachbar im Felde stehe, die französischen Fahnen auch nicht weit seyn würden, wie in frühern Jahren! Und wenn sie erst geahnt hätten, wie eilfertig der junge preußische Adler zu Rheinsberg den Frost des kalten Fiebers mit dem nicht minder fieberhaften Durst nach Ruhm und Eroberungen vertauschen würde!

Es konnte nicht fehlen: auch zu Imst wurde gekannegießert, was der Brief vermag, – bayerisch zu reden. Tammerl war nicht der letzte unter den Patrioten, die vor der Hand mit ihren Zungen muthig gegen die gefürchteten und gehaßten Ausländer zu Felde zogen; dennoch vermißte man allgemein in seinen Reden und Ausfällen jene Keckheit und Maßlosigkeit, die sein früheres volksthümliches Treiben bezeichnet hatten. Der arme Mann konnte sich nur wenig mit den Besorgnissen des Vaterlandes abgeben, denn der nagendste Doppelkummer zerfleischte sein Herz. Sein Sohn war noch immer verschollen und landläufig, hatte nicht geschrieben, wo er geblieben, und mit seinen Holländervögeln und deren Trägern Seraphin und Egidi ging's dem unglücklichen Meister und Kanarihändler nicht besser. Seit vielen Wochen keine Zeile, keine Botschaft, kein Gruß – alles verstoben und verflogen wie Spreu im Winde, alles stumm, als hätte das Grab die Männer und gefiederte Waare verschlungen.

Es versteht sich, daß das ganze Tammerlsche Haus die Betrübniß seines Oberhaupts theilte. Frau Martha, der an Enkeln und Vögeln nichts lag, lamentirte über die böse Laune ihres Sohnes; Frau Marianne, in deren Seele die alte Liebe zum Peter erwacht war, just seit Peter ein Dieb und Wegläufer geworden, beweinte mit stillen aber um so 64 heißern Thränen den Fall und das Verschwinden ihres Vielgeliebten. Zwar hatte sie dem Feldkircher Kaufmann und Lehrherrn die unterschlagenen Dukaten ersetzt, und somit die Steckbriefe sammt allen unangenehmern Folgen des bösen Handels in der Geburt erstickt, aber ihr Friede war dahin; die Bürgerkrone unbescholtner Ehre lag zerbröckelt zu ihren Füßen; die unbefangenste Frage nach Peter ging ihr durch's Herz, wie die boshafteste. Sie, die gewöhnlich so derb geradeaus gegangen war, mußte nun täglich auf neue Ausflüchte sinnen, um die Abwesenheit des Flüchtlings zu entschuldigen, und ihrer Qual war kein Ende. Martina's Verzweiflung endlich, als Tag auf Tag dahin schwand ohne ein Lebens- und Liebeszeichen Seraphins, wäre gar nicht zu beschreiben. Die holde Jungfrau magerte sichtlich ab; ihre Rosen versanken unter Schnee, ihr vordem so lustiger Mund war stumm geworden, und wenn er sich ja – selten genug – aufthat, war er voll von Klagen und Bitterkeit. Ein schwacher Hoffnungsfunke belebte allerdings noch die bleiche sorgenvolle Gestalt: es nahte der Zeitpunkt, an dem die Vogelträger wieder zu ihrem Herd zu kehren pflegten.

Wer sich in Imst und Tarrenz mit dem Kanarihandel abgab, erwartete diese Heimkehr natürlich mit großer Begierde. Um das Portiunkulafest ungefähr waren die verschiedenen Gesellschaften zusammengetreten, je zu fünfzehn bis fünfundzwanzig Mitgliedern, hatten ihre Einlagen gemacht, jede sich belaufend auf fünf und siebenzig Dukaten, hatten ihre Träger gewählt, über ihre Reise instruirt, und sie zwischen Portiunkula- und Laurenzitag in die Welt hinausgeschickt. Gegen Allerheiligen kam die wandernde Schaar wieder zurück über den Fern, wo die Straße über Füssen und Reutte in Tirol hereinführt. Alle, die im Reich und in Frankreich und in Holland, Schweden und England gewesen waren, stellten sich in Masse, so wie sie ausgegangen waren, zusammen; Briefe liefen voraus, die 65 ihre Ankunft vermeldeten; der Kaplan auf dem Fern las ihnen die fröhliche Dankmesse, so wie er bei ihrem Auszug ihnen im feierlichen Gottesdienst den Segen gegeben hatte. Die Kommittenten der Vogelträger, die Familien und Freunde der letztern gingen ihnen bis Nassereit entgegen, um sie, die wohlbehalten ihr Vaterland wieder begrüßten, mit heiterm Willkommen heimzugeleiten. – Nur diejenigen Vogelträger, die in's kalte Rußland, in die entlegene Türkei gepilgert waren, – deren aber im Verhältniß zu den übrigen nur wenige – blieben vier bis fünf Monate länger aus, und genossen im Frühjahr die Ehre eines besondern Triumphs.

Im Jahre 1740 waren besonders viele Geschäfte im Kanarihandel unternommen worden, waren viele Händler ausgezogen und daher viele Leute auf den Beinen, die rüstigen Hausirer einzuholen. – Tammerl, der ein schönes Geld in der Vogelindustrie stecken hatte, wäre zu jeder andern Zeit der muntere Anführer des Geleits gewesen. Für diesmal jedoch begnügte er sich, von Schwermuth und bösen Ahnungen eingeschüchtert, der pilgernden Genossenschaft bis Tarrenz entgegenzugehen. Seine Frau und Tochter und Schwägerin und das redselige Veverl begleiteten ihn. – Der alte Maroner machte, so gut er's verstand, seinem Patron die Honneurs des Hauses, aber all sein ehrliches und herzlich ergebenes Thun und Plaudern verfing nicht bei dem mißgestimmten Manne. Eine peinliche Niedergeschlagenheit waltete über den Frauen, sogar die Veverl läutete das Vesperglöckl nur wenig. »Werden sie kommen? werden sie nicht kommen?« nur diese langweiligen Fragen gingen in den Frauenköpfen auf und nieder, und gegenüber von der allgemeinen Entmuthigung schwand auch des guten Schuhflickers Hoffnung dahin, und er machte, seines geliebten und so räthselhaft stumm gewordenen Schülers Seraphin gedenkend, bald ein Gesicht, 66 noch betrübter als der Andern Antlitz; gerade als hätte er einen überaus werthen Todten vertrunkenEinen Todten vertrinken: bezieht sich auf den alten Brauch der Todtentrünke. »Wann haben wir den N. N. vertrunken? – wann ist der N: N. gestorben oder begraben worden?«, und nicht, als ob er frische lebendige Freunde erwartete.

»Ich will nur sehen,« nahm nach langem Stillschweigen Tammerl das Wort: »ich will nur sehen, ob's denn wirklich an dem ist, was mir die Leute schon lang boshaft in die Ohren gesagt haben. Wie? was?« – »Was meinst Du denn?« fragte Marianne. – »Ob der alte Egidi und der Seraphin schlechte Leute geworden sind. Was?«

Eine lange Pause. Veverl stieß Martina an und flüsterte: »Antworte doch.« – »Der Seraphin gewiß nicht,« sprach die betrübte Braut kleinlaut. – Worauf Marianne mit bitterm Gefühl: »Ei, warum denn nicht? Schaut's das Madl an, wie es so vorlaut den Schnabel aufmacht. Dein Herzblattl wird wohl auch keine Ausnahme machen. Die Wanderleut' sind alle so gar viel bös und z'nicht . . .: 's ist heutzutage eine wahre Schande.« – »Hm,« sagte Magdalene verstohlen und ernst in ihr Busentuch hinein: »Die Männer sind freilich nichtsnützig, und zu trauen ist keinem, keinem.« –

»Wir wollen sehen,« fuhr Marianne hämisch fort, »wer da Recht hatte: ich, die ich dem Buben nie viel traute, und den saubern Verspruch ungern sah, oder Ihr Alle, die Ihr auf ihn bautet, wie auf das Evangelium. Du, Magdalene, hast mit dem Vorschub, den Du dem leichtsinnigen Mädel da geleistet, viel auf Dein Gewissen genommen.«

Magdalene schwieg mäuschenstill. Tammerl jedoch zählte an seinen Fingern und seufzte: »Wenn der Engadiner und der Seraphin sich mit meinen Vögeln und Dukaten durchgemacht haben, wie die Spitzbuben, so ist das eine ganz andere Aderlässe, als die mir der z'nichte Peterl abgedrungen hat. He? wie?« – »Red' mir nicht vom Peterl« fuhr Marianne auf: »Peter ist unser Fleisch und 67 Bein, dem man leider Gottes schon 'was zu Gute halten muß; . . . aber die zwei Landstreicher, die seit Monaten nichts von sich hören ließen, die unsern sauern Schweiß, weiß Gott in welchem ketzerischen Lande verprassen, und die Martina um ihre rothen Backen bringen . . . .«

»Hör' die Frau Mutter auf, oder es wird mir ganz übel;« seufzte Martina auf's kläglichste. Genovefa löste sie ab, und eiferte in ihrem Namen. »Urtheile die Frau nur nicht vorschnell; das ist eine Sünde, das thut dem lieben Gott leid. Wenn sie auch nichts von sich haben hören lassen, müssen sie darum schlecht geworden sein? Für den Vintschger möcht' ich stehen; vom Engadiner möcht' ich's schon eher glauben, aber auch von ihm nicht, wenn ich's recht überlege. Ist denn ein Brief nicht von schlechtem Papier und kann vom Winde verweht werden? Kann nicht der Poster, der ihn zu bringen hatte, Hals und Bein gebrochen haben? Kann der Brief nicht von einem liederlichen Kerl aufgefangen worden seyn, um Euch Allen schweres Herzeleid zu machen? Und endlich: sind der Seraphin und der Alte nicht ebensogut gebrechliche Menschen oder Geschöpfe oder Dinge, wie der Poster und sein Felleisen und sein Roß und ein Brief aus Lumpenpapier? Können sie nicht an irgend einem Orte, weit weit von da, krank liegen, oder gar, was Gott verhüten möge . . . .«

Martina hielt mit unsäglicher Angst der Veverl den Mund zu, und rief: »Gib Fried', gib Fried', ich bitt' Dich. Du machst noch ärger, als die Mutter selber. Daß Gott erbarm: lieber wollt' ich, der Seraphin hätte gelogen und betrogen, und verzehrte irgendwo als ein gesunder Dieb, was ihm nicht gehört, als daß ich mir ihn krank unter fremden unbarmherzigen Leuten, oder gar unterm kalten Grabstein liegend denken möchte . . . .!« Martina schluchzte, daß es alle Grabsteine hätte rühren mögen. – Veverl nahm sie begütigend in ihre Arme, 68 Magdalene redete ihr freundlich zu; die Mutter, die der Tochter Schmerz verstand, antwortete nicht. Nur Tammerl murmelte entrüstet. »Glaub's wohl, . . . . der Fratz . . . er weiß nicht, was das Geld bedeutet . . . . dem Madel ist's alleins, aber mir nicht, ob ein Betrüger mein Hab' und Gut verlumpt, oder nicht.« – Maroner, dem die Zähren aus den Augen schossen, suchte einen Trost hervor, an welchen er selbst nicht glaubte. »Ich meine halt,« sagte er, »daß der Seraphin nicht geschrieben haben wird, um den Herrn und die Frau und die herzige Jungfer da um so unverhoffter mit seiner Ankunft heut zu überraschen. Ja, ja, 's wird schon so seyn.«

Tammerl schüttelte ungläubig den Kopf. Die Weiber hingen ihre Häupter. Indessen erschallte von ferne Musik, und einzelne Vorüberlaufende schrieen durch die Gasse: »Hoi! jetzt kommen sie; sie rucken an, die Vogeltrager. Schau, wie schön, wie prächtig! Der lange Hiesel geht vorne weg. Schaut's, wie fein ist das!«

Der Wörle-Hoisal war richtig der Vordermann, in schönen weißen Strümpfen und Halbstiefeln, kurzen Lederhosen, aus deren Tasche ein silbernes Besteck hoffärtig guckte, wie ein vornehmer Herr aus seinem Kutschenfenster. Eine schöne Binde mit Pfauenfedern ausgenäht, und lose darübergehängt die rothe Schärpe, schmückten den schlanken Kerl gar köstlich. Sein Hut, dessen Form er den Unterinnthalern abgeborgt hatte, saß auf gut rauferisch; ein prächtiges ausländisches Tuch, ein sogenanntes Allamoditüchl, flatterte an seinem Halse, und ein zweites ähnliches an seinem langen Reisestocke, der mit Epheu umwunden, hie und da mit einer Spätblume verziert war, und den er schwenkte, wie ein gelernter Fähndrich sein Panier, oder wie in spätern Zeiten der Regimentstrommler seinen silberbeschlagnen Kommandostab. Hinter ihm, dem stärksten und vielgereisten Mitglied seiner Zunft, marschirten die Musikanten, ehrliche Leute 69 von Imst und Tarrenz und Nassereit, die sich gar nicht träumen ließen, wie schlecht sie spielten, aber dagegen wohl wußten, in welchem Grad sie ihre Gönner zu begeistern vermochten. Auf den Fersen dieser Musikanten, schier getragen und geschaukelt von ihren hüpfenden Tönen, sprangen, gaukelten, burzelbaumten die kleinen Buben der verheiratheten Vogelträger; auf den Flanken schritten die Weiber und Schwestern der Hausirer; in der Mitte dieser geschwätzigen Frauen und Mädchen drängte sich, in wenig malerischer Ordnung, die Schaar der Abentheurer in ihren Festkleidern, jeder einen BuschenBuschen: Blumenstrauß. – Andre Bedeutung: Schenke. im Knopfloch oder in der Hand oder auf dem Hut. Es waren ihrer gegen vierzig, deren leere Kraxen gleich ebenso vielen Trophäen aufeinandergethürmt, in offnen Wägen folgten. An diese Wägen schlossen sich die Kommittenten, die Freunde und Bewunderer der unerschrocknen Kanariträger an; ein dichter schwarzer Menschenknäul, umschwärmt von allerlei gassenbübischem und zigeunerischem Volk, das wie begreiflich, viel lauter und herrischer schrie, als die in der Aktion mithandelnden Hauptpersonen.

Ja, da kamen sie alle wieder mit mehr oder minder wohlgefüllten Geldkatzen, fröhlich und guter Dinge, die Seppeln und Ton'ln und Natzln und Poldln, und auch ein Seraphin war unter ihnen, aber es war nicht der rechte: ein grämlicher alter Kerl mit Zahnlücken und rothgeränderten Augen, der dem Vintschger Seraphin so unähnlich wie ein Türkenkolben einer Zuckerfeige und dem die Fröhlichkeit jämmerlich genug anstand. Alle kamen sie wieder, bis auf einzige Viere: einen, dem der Tod im fernen Krakau kühl gebettet; einen zweiten, der zu Hamburg mit einem bösen Fieber sich herumquälte; und Egidi und Seraphin, Martina's Verlobter, die verschwunden waren, Niemand wußte zu sagen, wohin. –

Als sie vor dem Tammerlhause zu Tarrenz standen, 70 die Kanariträger, und dem wohlbekannten Vogelhändler, für den ein jeder der heimkehrenden Gesellen wenigstens eine Reise in seinem Leben gemacht hatte, ein helles Vivat brachten, ließ der ehrsame Ex-Bäckermeister ihnen Wein reichen, und der Rebensaft floß lustig auf der Straße, während die stille Kammer des Hauses in Martina's Thränen schwamm. Tammerl, der eine nothdürftige Ruhe heuchelte, ging fragend und erkundigend durch die Reihen. Maroner, dem die Brust schier eben so schwer war, kundschaftete seinerseits nach Seraphin. Alles so viel, wie vergebens. Die Träger hatten sich in Donauwörth nach allen Seiten zerstreut. Dort war Seraphin, der um ein paar Tage später ankam, als jene, zum letztenmal von ihnen gesehen worden. Ein einziger von den Burschen, der Anführer Wörla-Hoisal, war aus Frießland, wo er den Markt schlecht gefunden, nach Amsterdam gekommen, und hatte dort im »Schild von Geldern« auf der Prinzengracht, wo die Herberge der Tiroler, einiges von dem Engadiner und seinem Gefährten vernommen. Nach den Angaben der Wirthsleute hatten die Beiden ihre Waare sammt und sonders in der großen Handelsstadt abgesetzt, den Entschluß geäußert, statt mit leeren Kraxen nach England zu gehen, vernünftigerweise den Weg ins Vaterland zu wählen, und gutes Muths die Herberge verlassen. Hoisal war daher der Meinung verblieben, sie müßten schon lang vor ihm daheim eingetroffen seyn. Eine Silbe mehr oder weniger war von Allen nicht zu erfahren.

Die Vogelträger zogen ab mit großem Gepränge, um sich nach altem Herkommen mit Kind und Kegel und Verwandten und Bekannten zuerst in's Wirthshaus, dann zur Kirche und endlich wiederum zum Schmaus in's Wirthshaus zu begeben, von wannen erst der Weg in die häuslichen vier Pfähle genommen werden sollte. Tammerl, den der Weiber Betrübniß langweilte und 71 ärgerte, obschon er selbst wild und verdrossen, folgte dem Schwarm, um bei günstiger Gelegenheit mit einigen der Burschen, die für ihn Geschäfte zu besorgen gehabt, vorläufige Abrechnung zu pflegen. Marianne ging mit ihm, nach dem Hause zu sehen. Martina und Magdalene wandelten zwar nach Imst zurück, aber schnurstracks in die Kirche, um das Weh der verlassenen Braut am Fuße des Altars niederzulegen. Veverl, wiewohl tiefer, als ihr gewöhnlich gegeben war, die Leiden der Freundin mitfühlend, mußte sich von ihr trennen, um in ihres Vaters Wirthschaft zu helfen, wo es natürlich an diesem Freudentage flott und festlich, also sehr geräuschvoll zuging.

Es wurde der Tante und der Nichte unmöglich, so lang als sie gewünscht hätten, in der Kirche auszuharren. Sie hatten dem Heiland und seiner glorwürdigen Mutter so vieles vorzutragen, der Bitten so viele ihrer Gnade anheimzustellen, und waren daher bei weitem noch nicht zu Ende, als der vom Willkommtrunk aufgeregte Trupp der Vogelträger sammt Consorten in das Gotteshaus eintrat. Wer hätte unter dem Geräusch dem stillen herzinniglichen Gebete ferner obliegen können? Eine alte Mutter, die für ihren einzigen Sohn in der Fremde betete, eine andere, die für ihre kreisende Tochter zum göttlichen Mittler am Kreuze flehte, eine Ehefrau, die vor dem Bilde der schmerzhaften Muttergottes für einige Augenblicke ihren Hausjammer vergaß, verließen hastig die Stätte ihrer Andacht. Magdalene und Martina machten es wie sie. »Ich kann's nicht überdauern, wenn Seraphin wegbleibt,« seufzte das Mädchen, im Kampf mit dem ersten heißen Schmerz des Lebens. Die ältere und erfahrnere Jungfrau Magdalene entgegnete: »Sey nicht kleinmüthig, mein Kind. Wohl Dir, wenn Du nicht größern Kummer in diesem Leben zu ernten bestimmt bist. Zudem, wer weiß . . .?« – »Ach, keinen leeren Trost, Tante,« 72 versetzte Martina bitter: »Ich will nicht mehr hoffen, will nicht harren. Du wirst seh'n, daß alles für mich aus ist.« – »Thörichtes Mädel! braucht's mehr, als einen Wink des Herrn, um nach dem schwersten Wetter die Sonne scheinen zu machen, um und um?«

Die Jungfern standen am Eingang des Tammerlhauses. Aus der Thüre beugte sich das ewig lachende dumme Antlitz der Magd, und den Mund bis zu den Ohren aufreißend, schrie die Dirne: »Willkomm'! willkomm'! er ist schon da!« – »Da? da?« – »Er ist da?« antwortete Magdalene, rief beinahe ebenso laut die überraschte Martina. – Indessen ließ sich oben an der Stiege die schleppende Stimme der Altmutter Martha hören, fett und gurgelnd, von Hundegebell begleitet: »Ja, kommt's nur geschwind herauf. Er ist da, endlich da!« – Magdalene schritt rüstig die Treppe hinan, mit einem schier männlichen: »Dacht' ich's nicht, sagt' ich's nicht?« Hinter ihr, am Fuß der Treppe war jedoch von Entzücken überwältigt, Martina auf die Kniee gesunken, rang freudig die Hände, schaute mit Freudenthränen gen Himmel und stotterte ihr inbrünstiges: »Lob und Dank dem Herrn.« –

Da taumelte wie ein Berauschter oder in Ohnmacht Versinkender Tammerl selbst die Treppe herab, die Tante auf die Seite stoßend, schwerfällig stolpernd, aber verklärt von Angesicht und umfaßte mit der väterlichsten Zärtlichkeit seine Tochter, und fing an, auf ihre thränenden Augen selbst herabzuweinen, und schluchzte und stammelte: »Lobe Dich Gott, und er behüte Dich, Du goldiges Schafl, Du Trost meiner Augen! Schau, so eine Freud' wie jetzt in dieser Stund' hast Du Deinem Vater noch gar nie gemacht. O Du lieb's, lieb's Herzkäferl, ich sage ja immer, Du hast das beste Herzl auf der Welt, und ich werd' Dir's gewiß, gewiß nimmer und nimmer vergessen, daß Du für den Peterl so brav 73 und lieb denkst, und eine Schwester bist, wie selten eine!« –

Martina fühlte sich zu Eis gefrieren: »Der Peterl, sagt der Vater?« – »Ja freilich, ja wohl, gewiß und wahrhaftig, Du scharmant's Madel; der Peterl, Dein Bruder, mein Sohn, ist wieder da, da, und zwar gesund und wohlbehalten, und 's ist bei weitem nicht so schlimm mit ihm gewesen, als wir 's uns eingebildet haben.«

Auf welche Weise hierauf die Martina über die Stiege gekommen ist, ob zu Fuß oder zu Roß oder zu Wagen, oder auf den Armen ihres Vaters, oder auf den Fittichen eines guten oder bösen Geistes, das hat sie später niemals zu sagen gewußt. Der erste Gegenstand, der ihr da sie in der Wohnstube angekommen, in die Augen fiel, war die Mutter, die ermattet, weinend, aber selig froh in dem alten Lehnsessel ruhte, dem Tummelfeld der Tammerl'schen Nachmittagsträume. Der zweite Gegenstand aber, den Martina durch den Nebel vor ihren Blicken wahrnahm, war der Herr Bruder, der ein paar Zoll von dem Lehnsessel entfernt, am Fenster, aber wohlbedacht hinter der Gardine desselben lehnte, und, wie es auf französisch heißt, se laissa faire. Er litt, daß die von den tödtlichen Sorgen erlöste Mutter an ihm herumtatschelte, seine Hände knetete, wie ehemals der alte Tammerl seinen Teig in der Backmulde, daß sie ihn alle Fingerlang beim Kragen nahm, zu sich herniederzog, und ihn abküßte und mit ihren Thränen benetzte, bis es den Anschein hatte, als hätte Peterl selbst und in der That geweint. Ein »daß Gott erbarm!« und dann wieder »Gottlob und Dank« sagte das andre, und die Mutter, die ehrliche Frau, die den Menschen da unter ihrem Herzen getragen, fand kein Ende, zu loben und zu preisen und zu klagen und zu jubeln. Aber Peter, wie gesagt, se laissa faire; der alte Stock, der er immerdar gewesen, verdrüßlichen und verdutzten Angesichts, die 74 Augen strohtrocken, den Mund langweilig hängend, ungeschlacht gegliedert, selbst in der tiefsten Unbeweglichkeit, und gerade jetzt.

Er ließ sich von seiner Mutter handhaben wie eine Puppe, der lederne Gesell, hinten wie vorn der alte schäbige unerquickliche Bube. Nur seine Kleidung war verändert. Statt auszusehen wie der reputirliche Sohn wohlhäbiger Eltern, glich er von oben bis unten einem ausgemachten Hallunken. Die Haare ohne Zopf und Locke ein wirr durcheinander genisteter Schopf, das Halstuch schmutzig und strickähnlich umgelegt, als sey dessen Herr so eben dem hohen Dreibein entwischt; der Rock zerrissen, die Weste in Fetzen, nicht von den Beinkleidern zu reden, die ein Strolch wohl schon besser geführt, und zu schweigen von den Stiefeln, deren klaffendes Ueberleder und zerrissene Sohlen gerade nur am Absatz hingen, der leidlich festgeblieben, wenn auch von Schlamm und Schmutz tief gedemüthigt. Ein saubres Exemplar fürwahr von einem Ladendiener oder Handelslehrling, der erst vor ein anderthalb Jahren wohlausgesteuert in die Fremde gezogen war.

Aber vielleicht eben diese überraschende Aehnlichkeit mit dem verlornen Sohn, da er von dem Trog der unreinen Thiere kam, erhöhte die überfließende Zärtlichkeit der Eltern. Sie beklagten doppelt ihr Juwel, das im Koth gelegen, und gelobten sich gegenseitig, es wieder trefflich herauszuputzen; denn »das Gold bleibe,« sagten sie, »auch unterm Rost das feine Gold, und der Demant lasse sich wieder säubern und schleifen spiegelrein.«

»Guten Tag, Martina, guten Tag, Tante;« sagte der an Gemüth und Seele kreuzlahme Bursche, und that dergleichen, als wolle er ein wenig die Hände ausstrecken nach den Reinen, die ungewaschenen trefflich beklauten Hände. Ihm wurde auf die trockne Anrede, wie sich's gebührt, eine eiskalte Antwort. Tammerl, der wie 75 ausgewechselt erschien – er lachte und weinte zur selben Zeit – beeilte sich, der Tochter und der Tante alsogleich die Rechtfertigung des Ausreißers vorzutragen, um den Helden des Tags in gebührenden Glanz zu stellen. Da ergab sich nun, daß Peterl wahrhaftig freiwillig sich im väterlichen Hause gestellt hatte; daß ihm alles, was er etwa Uebles begangen, von Herzen leid thue; daß aber selten eine menschliche Creatur so durchweg verkannt worden, wie just der besagte Peterl; daß er im Grunde von Laster und Sünde so rein, wie der jungfräulichste Schnee; daß nur ein wenig Leichtsinn an ihm zu rügen, der freilich böse Folgen gehabt, und noch schlimmere hätte haben können; aber Leichtsinn in jungen Jahren sey ja an und für sich läßlich, und noch obendrein ein Probierstein für junge Leute, und Peterl habe die Probe christlich und standhaft ausgehalten zu seinem größten Vortheil und Lob. »Die Fremde, ich sag's halt immer, das Ausland hat 'was Verlockendes,« sprach Tammerl, ein beredter Advokat: »der Peterl ist von Feldkirch fortgegangen und hat gewiß nichts im Sinn gehabt, als dem Patron seine hundert Dukaten zurückzubringen, treu wie ein Hund, wie der älteste ehrlichste Diener. Was ist nun geschehen, da er sie hatte? fällt nicht dem Leichtsinn bei, jetzt wär' die rechte Gelegenheit, einen kleinen Abstecher zu machen und über Augsburg und die Stadt München zu reisen? ein kleiner Umweg, um wieder ins Vorarlberg zurückzukehren. Das hättest Du nicht thun sollen, Peterl: die Pünktlichkeit ist Pflicht und Seele in Geschäften. Item, er thut's halt, der unerfahrne Mensch, um ein Stückl von der Welt zu sehen. Und hatte so wenig die Absicht, nur einstweilen, quasi vorschußweise, das Geld seines Prinzipals dazu zu gebrauchen, daß er das benannte Geld ehrlichst zu sich steckte, und von seinen Taschenpfennigen die kleine Reise zu bestreiten vorhatte. Nicht wahr, Peterl?« – Der 76 Hagstock nickte albern mit dem Haupte. Tammerl fuhr fort: »Er hatte schon einige Thaler, ersparte nemlich, auf der Seite, der schlaue Vogel. Die Häuslichkeit hat er von seinen Eltern gelernt; kein Wunder. Ich hab's ihm nie an Taschengeld mangeln lassen, und die Meinige hat ihm auch hinterrücks meiner ein und das andere Petizl geschickt, wie es so zu gehen pflegt, nicht wahr, Alte? War also, abgesehen davon, daß er einen Urlaub von seinem Herrn nicht hatte, gleichsam in seinem Recht, auf seine eigenen Kosten in der Welt ein bissel herumzuhaudern. Wer würde das einem jungen Menschen nicht gönnen, wenn er die Zeit dazu recht wählt? Das hat nun allerdings und leider der Peterl nicht gethan, obgleich er vielleicht zu entschuldigen wäre, denn die Kaufleute geben halt keine Vakanz, – und es hat sich unglücklicherweise gleich selbst bestraft gesehen, das Früchtl obenhinaus und nirgendsan.« –

»Ach Du mein Peterl, ach Du Heiter, Du lieb's Mandl!« klagte die Mutter im Andenken an die Fährlichkeiten, die der holde Junge überstanden, und streichelte liebevoll seine Zotteln. Gut für den Peter, man bemerkte um so weniger, wie auf seinem Gesicht Farben und Signale wechselten. Doch war's schwerlich die Schaam, die seine fahlen Wangen dann und wann roth tingirte. – Der Vater, nachdem er ihm lächelnd mit dem Finger gedroht, sprach weiter: »Was passirt ihm, Schwagerin? was? wie? ich frage. Ich wette meinen schönsten Specialvogel, daß es Dir nicht einfällt, Martina. – Wenn nur mir« – schaltete Tammerl mit sinkender Stimme ein – »wenn nur mir nicht jetzt wieder das holländische Vogelelend einfallen müßte! – Item, ich will's vor der Hand hinunterschlucken und vergnügt seyn; hab' ich doch den Sohn wieder gefunden! Also: was passirt ihm? Hinter Augsburg . . . . so in der Gegend von Friedberg oder Dillingen, oder . . . 77 war's nicht dort um die Wege, Peter?« – »Ja, Herr Vater, bei Friedberg, so gegen München zu . . . .« versetzte Peterl und stolperte mit der Zunge bei jedem Wort; hatte auch völlig den rauhen Ton, als ob er Gsott schnitte, wie Seraphin zu behaupten pflegte. – »Also, wie gesagt, dort herum war's; geht mein Heiterl mutterwinzig allein zu Fuß und es dunkelte schon ziemlich. Da fallt ihn ein Kerl an, ein Rauber, wo ihn nur die Haut anrührt, und sackelt meinen guten Peterl ohne Barmherzigkeit aus, nimmt ihm, – das versteht sich – eben so gut die Dukaten des Prinzipals, wie seine eigenen paar Heller, zerreißt ihm im Raufen das Gewand, und nachdem er den Hascher auf'n Boden geworfen, das Gesicht unten, und was mit Respekt zu melden, oben, geht der Ruech mit allem Geld davon, und huss', Donau! huss'! lauf' ihm nach. Da ist er nun gestanden, mein Peterl, oder gelegen, und hat sich die längste Zeit in einem fort gefürchtet, und die Furcht ist ihm geblieben, und er hat, glaube ich, sogar erbärmlich geweint. Gelt, Peterl, so lautete die Geschichte? und waren der Räuber nicht vielleicht zwei? denn gegen einen einzigen hättest Du doch mehr Schneid haben und ihn recht z'leihen nehmenEinen z'leihen (sprich: z'leichen) nehmen: einen derb abprügeln. sollen?« – »Ja, Herr Vater . . .« greinte der Peter . . . »wenn aber ein andrer auf der Pass' gestanden ist?« – »Hm, da ist's freilich 'was andres; hab' mir's gleich gedacht, denn die Tammerl sind von Noah's Zeiten her kuraschirte Leut' gewesen.« – »Daß Gott erbarm'!« seufzte die alte Martha ironisch, ihres seligen Alten gedenkend, der auch nicht der Vordermann gewesen, wenn's an's Raufen ging. – Tammerl fuhr wehmüthig fort, und Peter, der nichts bessres zu thun wußte, begleitete seine Worte mit dumpfaufstoßenden Schluchzern: »Da war's nun wohl vorbei mit den großmächtigen Gedanken und mit der Residenzstadt des bayerischen Churfürsten; statt der Freud und des 78 Wohllebens war der Hunger und die Angst an die Reihe gekommen. Jetzt hat er viel bereut, der Peterl, was er vorwitzig unternommen, denn er hat's nicht ausführen mögen, und nacher Feldkirch hat er sich nicht getraut, wegen des Prinzipals, und nacher Haus hat er sich auch nicht getraut. Er hat gefürchtet, ich dürft' ihm an die Haar' schmecken, wie er's auch verdient hätte. Und so sind manche Wochen vergangen, wo der arme Narr gebettelt hat in Dörfern und Stadtl'n, gefochten, wie die Handwerksburschen, und es ist ihm das Elend endlich so hoch an's Maul heraufgestiegen wie ein schwellendes Bergwasser, und er hat sich gefragt, ob's nicht feiner wäre, in's Wasser zu laufen und sich zu ersäufen, als ferner zu leben, wie ein laufender und gejagter Hund. Schau, Peterl: das waren recht sündliche Gedanken, die mir jetzt noch, da ich Dich doch frisch und lebendig vor mir sehe, ganz siedheiß um's Herz gehen. Na, Marianne, hör' auf zu rehren, der Bub' ist ja wieder da!«

Aber die Mutter ließ sich nicht begütigen. Ihre Thränen fielen, wie die Tropfen eines dichten Mairegens, und sie stammelte: »Ach Du liebe Frau! was hätten wir Eltern erleben können, ohne Deine sichtliche Hilfe und Erhörung meines Gebets! Er hat es nicht bei den Gedanken bewenden wollen lassen; er ist schon am Wasser gestanden, der leichtsinnige von Gott verlassene Bub'. Schon hatte er sein letztes Vaterunser gebetet, und ist schon bis an die Knöchel im Tod gewesen, und ein Bettelmann hat kommen müssen, ihn aufzufangen und ihm vorzuhalten, daß er in seinen ewigen Tod wolle. Ein Bettelmann, ein schäbiger Dörcher vielleicht, hat mehr Christenthum im Leibe gehabt, als unser in aller Religion erzogener Sohn. Das stößt mir schier das Herz ab.« –

»Hm,« meinte die Tante etwas böse: »warum soll denn ein Bettler nicht auch den lieben Herrgott in seiner 79 Seele tragen? Ist's denn eine Schande, von einem braven Mann, ob er nun umherbettelt oder nicht, von einer großen Sünde zurückgehalten zu werden? Besser wär's, den guten Bettelmann rechtschaffen zu belohnen; denn er hat den größten Kummer von euern Häuptern gewendet.« – »Das möcht' ich wohl,« hob Tammerl etwas beschämt an: »aber wo wird der Mensch zu finden seyn? Wo hast Du ihn zurückgelassen, Peterl?«

Der Peter räusperte sich, stellte sich kerzengerade hin und that das Maul auf, als ob er eine Lektion hersagte. »Er ist mit mir gestern in der Nacht hier angekommen. Wir haben in unserm Stadl über Nacht gelegen . . . . ich hab' mich nicht zum Herrn Vater und zu der Frau Mutter getraut. Erst vorhin hab' ich mir ein Herz gefaßt . . . .«

Die Eltern machten große Augen. »In unserm Stadl über Nacht gelegen?« – »Ei Du ungerathener Mensch!« zürnte Magdalene mit drohendem Finger: »wußtest Deine Eltern in der größten Angst, und konntest so lange warten?« –

Peter zuckte die Achseln: zählte die Nägel am Fußboden, und versetzte kläglich: »Ich hab' mich's halt nicht früher unterstanden. Ohne des Andern Zureden hätt' ich's vielleicht noch nicht gethan. Der Mensch hat mich in's Tirol hereingenöthigt, ich hätte ohne ihn nichts zu beißen und zu schlucken gehabt. Er hat für uns alle zwei gebettelt, und der Herr Vater sollte schon 'was für ihn thun . . . er braucht's gar nothwendig . . . aber . . .«

»Ich will ja gern,« unterbrach Tammerl den Sohn: »wo ist der Mensch, wo?« – »Drunten im Höfl sitzt er und friert.« – »Herauf mit ihm, Martina! die Dirn' soll ihn herbeirufen. Wie heißt er? wer ist er? wo zu Hause? wie? was?«

Peter verdrehte die Augen, so heuchlerisch, wie gerade er allein in der ganzen Welt es konnte, und stotterte: 80 »Ja, das ist eine Geschichte . . . . der Herr Vater wird den Menschen nicht gar gern sehen . . . .« – »Ei warum denn nicht?« – »Hm, hm, der Mensch hat sich einmal gegen den Herrn Vater schlecht betragen, . . aber es thut ihm von Herzen leid, gewiß.« – »Und wenn er mir angethan hätte, weiß Gott was alles, so wär' er mir jetzt willkommen, da er Dich wieder unter Deines Vaters Dach geführt hat. Ich kenn' ihn also?« –»Ja . . . freilich . . .« – »Nun, also: Hackstock, werd' ich einmal hören, wer der Kerl ist?« – »Ei nun, wer wird's seyn? der Kölbl ist's.« – »Der Kölbl?« fragten alle wie aus einem Munde. In demselben Augenblick ließ die Dirn' den Werdenfelser ein.

Er machte eine ziemlich miserable Figur, der vor Zeiten so rasche und aufgewichste Bursche. Sein Anzug war der leibhaftige Herr Bruder des Peterl'schen. Wäsche und Frisur gerade dieselbe, der Bart einen Zoll lang, der linke in Lumpen eingehüllte Fuß von der Reise Strapatzen und vom Frost etwas lahm; und was noch mehr: eins seiner spitzbübischen Augen war auf seinen mancherlei Hin- und Herzügen verloren gegangen. Eine eckelhafte Unterwürfigkeit heuchelnd, kroch er fast zur Thüre herein, küßte den Weibern nach der Reihe den Saum des Kleids, und dem Hausherrn den Aermelaufschlag. »Ich wünsche allen hohen Anwesenden Glück und Segen,« murmelte er mit zerknirschten Mienen, »und bitte den Herrn demüthigst um Verzeihung, wenn ich ihn einmal vor Jahren geärgert habe, wie ich fast glaube. Aber der süßeste Heiland will, daß man dem reuigen Sünder vergebe, und darum möcht' ich – um der Wunden Christi und um des lieben Peterl willen, gebeten haben, Gnade für Recht ergehen zu lassen; denn, wenn der Herr und die wertheste Frau mich von sich stoßen, so weiß ich gar nicht mehr, was ich auf Erden anfangen soll, so ist meine letzte Stunde bald vor der 81 Thüre.« – Und als ob nicht genug der Thränen in dieser Stube geflossen wären, begann auch der gleißnerische Schurke zu heulen, wie ein Schloßhund.

Nach einigem Stillschweigen, während dessen die Anwesenden sich erstaunt angesehen hatten, den Kölbl ausgenommen, der fast auf seine Kniee niedersank, und ausgenommen den Peter, der die Augen niederschlug, wie ein Verbrecher, der dem Ertappen kaum mehr ausweichen mag, zog Tammerl einen langen Athemzug, und erwiederte dem Supplikanten: »Ich erinnere mich ganz wohl, daß Du mich schwer beleidigt hast, Kölbl, und daß Du einmal nicht übel Lust gehabt hast, mir meinen Sohn zu stehlen, als ein gottloser Menschenräuber; aber um Deiner Reue willen, und weil Du Freude und Vergnügen in dieses Haus zurückgebracht hast, will ich Dir vergeben und zwar von Herzen. Wie siehst Du aber aus, Kölbl? Du schaust barmherzig her. Wo und wie bist Du denn um eins Deiner Fenster gekommen? Deine Lichter waren ja sonst hell wie eines Sperbers Augen?« –

»Ich hab' mein Auge im Dienst der Hochmögenden Herren eingebüßt,« antwortete Kölbl mit einigem Schauder. Das ängstliche Zittern, das ihn überlief, stimmte die Zuschauer zu größerm Mitleid. Tammerl fragte jedoch, das Ohr hinreckend: »Wie? was? von welchen Herren redest Du da?« – »Von den Generalstaaten von Holland,« versetzte Kölbl. – »So? hab' ich doch geglaubt, Du seyst unters kaiserliche Volk gelaufen?« – Kölbl verneinte, als ob er eine unangenehme Erinnerung von sich schüttelte. »'s hat mich gereut; bin ins Reich gelaufen, unter holländische Werber gekommen, hab' den blauen Rock getragen. Bei einer Gelegenheit bin ich blessirt worden, und meine ganze Belohnung war der Bettelsack.« – »Ja, ja, so geht's mit dem leidigen Soldatenwesen!« äußerte Tammerl mißbilligend: »Da lob' ich mir unsern 82 Landsturm, der nur aufsteht, um das Vaterland zu vertheidigen. Wer in diesem heiligen Dienst einen Denkzettel kriegt, steht Allen zum Beispiel, hat auch zugleich ein Ehrenzeichen vor dem ganzen Land gewonnen, während ein im Ausland geholter Makel nur ein Beweis ist, daß der Träger sein Blut um den Taglohn unnützerweise verkauft hat. Doch – warum sag' ich Dir's? Du bist doch kein Tiroler, Kölbl.« – »Aber dennoch ein ehrlicher Kerl, der Haut und Haar für den Herrn und die Frau verspielen möchte, wenn's darauf ankäme,« rief Kölbl pathetisch. Er fühlte, daß er wieder warm wurde in dem Neste, daß Tammerl schon breit geschlagen war, und daß die Zukunft, die er sich vorläufig wünschte, bereits vor der Thüre – Tammerl schaute sein Weib an, wie er's zu thun pflegte, wenn er sie über eine zu bewilligende Wohlthat zu Rathe zog. Marianne schaute ihn wiederum an, als spräche sie: »Hat uns der Kölbl nicht das Leben wieder gegeben?« Der hölzerne Peter wußte zwar für seine Freunde sogar kein gutes Wort aufzubringen, aber er machte das jämmerlichste Gesicht von der Welt, und der Vater schlug daher seine Gutmüthigkeit nicht in Fesseln, sondern er sprach zu Kölbl: »Wir danken Dir für das, so Du an uns gethan. Kannst derweilen im Haus bleiben und Dich erholen. Wollen schon sehen, was ferner mit Dir anzufangen.« – Kölbl ergoß sich in unaufhörlichen Dankestiraden; die Tante sagte zu Martina: »Ich glaube, wir haben hier nichts mehr zu hören und zu thun,« und führte das trübselige Mädchen auf ihr einsames Zimmer. Martha zog sich mit ihrem Hunde in ihr Gemach zurück. Tammerl sprach, sich erleichtert die Hände reibend: »Jetzt will ich nach meinen Vogelträgern schauen!« und Frau Marianne ging, sich mit dem Meister Schneider zu berathen, der den Peterl von Kopf bis zum Fuß neu kleiden sollte. »Ich werd' auch nicht auf Dich vergessen,« sagte sie 83 gnädigstfreundlich zu Kölbl: »Laßt euch indessen nicht auf der Gasse sehen, nicht einmal am Fenster. Wir würden mit dem Aufzug, den Ihr jetzo macht, keine Ehre bei den Leuten aufheben.« So ließ die sorgliche Hausmutter die beiden Herren Reisenden aus fremden Ländern allein, und ohne Aufmerker und Zeugen einander und selbander gegenüber. Peter lehnte noch immer in seinem Erkerfenster, Kölbl machte sich's auf der Lotterbank am Ofen bequem. Beide schauten einander an, und zwar nicht außerordentlich freundselig, wie man hätte schwören mögen. Sie redeten auch lange nichts mit einander. Kölbl fing Fliegen am Ofen, Peter zupfte mechanisch fort und fort an dem Fenstervorhang. Endlich war der langweilige Peter selbst des Schweigens müde, und hob mit unterdrückter Stimme an: »Nun, ist's recht so?« – »Ho,« lautete die gleichfalls dumpfe Antwort: »ich denk' wohl.« – Nach einer Pause Peterl: »Hab' ich meine Sachen brav gemacht?« – Wieder nach einer Pause Kölbl: »Es wird schon seyn. Hat Dir nicht viel gekostet, mein' ich.« – »Wie das?« – »Wirst dem Alten nicht viel zugeredet haben, ich kenne Dich.«– Peter fühlte sich getroffen und schwieg. Diesmal fing indessen Kölbl wieder an: »Hast Du alles gesagt, wie wir's ausgemacht haben?« – »Freilich wohl.« – »Hast auch gesagt, wer Dich ausgeraubt hat?« –

Peterl schüttelte sehr verlegen den Kopf. »Ich hab' mich's noch nicht getraut,« murmelte er. – »Da haben wir's;« brummte Kölbl äußerst unwillig: »und warum denn nicht, Hasenfuß?« – »Ja, schau, Kölbl . . . . 's wär' doch ein vermaledeiter Handel, wenn selbiger Mensch so auf einmal daher käme . . ?« – »Ei, so wollt' ich doch!« brummte der Andre immer hitziger, und schleuderte aus seinem Auge einen verzehrenden Blitz auf den Peter: »auf die Letzt muß einem doch 's Mannl steigend werden! So wie Dir halt, Du Weiberkittel, die Furcht ankommt, ist 84 gleich dem Himmel der Boden aus. Habt's darum so lang mitsammen gedechtelt und g'mechtelt, hab' ich mir darum da unten die Pratzen schier abfrieren müssen, wenn doch nichts Rechtes hat geschehen sollen? Glaubst mir denn nicht auf mein Wort und Seligkeit, Du Mensch ohne Kuraschi? Hab' ich Dir nicht zehn und tausendmal geschworen, daß selbiger Mensch und sein Kamerad gut aufgehoben sind, und Dir nicht in die Queere kommen würden? Da steht er nun, und macht eine Papp'n, als hätt' er Holzäpfel schlucken müssen! Du, ich hätt' nicht schlecht Lust, zum Alten zu gehen, und ihm grad heraus zu sagen, wie Deine saubern Affären stehen, so viel Gall' machst Du mir für alle meine Gutthaten.« – Kölbl stand in der That auf, als wolle er seine Drohung ins Werk setzen, und diese Gaukelei erschütterte den unerfahrnern Peter ganz gewaltig. Er bewegte sich sogar von seinem Platze, erhob seine Hände und bat: »Lieber Kölbl, thu' das nicht. Die armen Leute haben Herzensangst genug ausgestanden. Es kommt mir manchmal recht ernstlich vor, als hätt' ich schlecht und zwar recht schlecht an ihnen und an mir und an andern gehandelt . . ,« – Peter nießte in seiner Pein, und Kölbl entgegnete: »Helf Dir Gott: es ist wahr. Du bist ein nichtsnutziger Bube; aber wenn Du doch einmal etwas angefangen hast, so bleib' dabei, und führe es aus. Das ist die Hauptsache. Die beiden Schlingel da draußen sind weit, und kommen gewiß nicht mehr zum Vorschein. Warum also versäumen, ihnen gleich den rechten Treff zu geben? Du, ich denke, die friedberger Leute dürften Dir näher seyn und gefährlicher als die andern Spitzbuben?« – Peters Angst steigerte sich bei diesen meuterischen, unbarmherzigen Worten.

»Daß Gott erbarm'!« sagte er: »Red' mir nicht von den Friedbergern. Ich könnte die Fraisen kriegen grad auf dem Fleck. Höre, Kölbl, was fang' ich an, wenn 85 das Unglück und der böse Geist Einen von ihnen daherführte?« – Kölbl weidete sich einige Zeit an seines Zöglings Furcht, streckte behaglich sein verletztes Bein, und versetzte gähnend, als ob des Ofens Wärme ihn besonders angenehm überliefe: »Da ist nur ein Mittel und Weg, Peter, aber auch zugleich das beste Mittel und der glatteste Weg. Du muß läugnen, Stein und Bein läugnen. Ja, noch mehr als das. Du muß keinen Menschen, der von Friedberg mit Dir zu reden käme, kennen; gar keinen, hörst Du? und wärest Du Tage lang mit ihm am Tische gesessen, und hättest Du lange Nächte hindurch in seinem Bett geschlafen. Du verstehst mich, he?« – »Wohl, wohl, versteh' ich Dich,« flüsterte Peter, trostlos in den Lehnsessel niedersitzend: »aber . . . Gott behüte mich vor dem Unglück – aber wie werd' ich können, was Du begehrst?«

Worauf Kölbl, gleichsam im Halbschlaf: »Man kann Alles, was man ernstlich will. Kann's nicht andere Leute mit Deiner Postur geben? Man hat's schon erlebt, daß einander ganz wildfremde Menschen aussahen wie Zwillinge, ohne neben einander in demselben Mutterleib gelegen zu haben.« – »Ja wahrhaftig, und ich weiß sogar von Einem, der mir gleich sehen soll, als hätte er mich aus einem Spiegel mitgehen geheißen.« – »Desto besser,« gähnte Kölbl. – »Mein Vetter ist's von Innsbruck.« – »Nun, so ist ja Alles gut. Meldet sich keiner, so lassen wir natürlich nichts laut werden. Kommt dagegen Einer oder Eine, so muß der liebe Vetter Alles gethan haben. Aber, wenn ich Dir helfen soll, Peterl, und das will ich gern, so mußt Du nächstens dem Vintschger die Suppe einbrocken. Nachgehends wollen wir zusammenhalten, wie Stahl und Eisen, und sie sollen schon Fried' geben, die uns 'was anhaben möchten.«

Kölbl entschlief wahrhaftig nach diesen Worten so 86 sanft und selig, daß er dem ausgestandenen Mangel und Frost dankbar zu seyn Ursache hatte, und Peter faßte neuen Muth bei der großen Sicherheit, die den Burschen, der schon so viel auf dem Kerbholz seines Lebens hatte, zu beschleichen sich herabließ. Peters Gewissensbisse, die leider nur von der Furcht und Feigheit des verlornen Sohns aufgestachelt worden waren, entschlummerten gleich dem Werdenfelser, und er empfing mit sorgloser Heiterkeit den Schneider, der da kam, einen neuen Menschen aus ihm zu machen. 87


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