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Wo a klein's Hüttle steht, ist a klein's Gütle, Wo a klein's Hüttle steht, ist a klein's Gut; Und wo viel Bube sind, Maidle sind, Bube sind, Do ist's halt liebli, do ist's halt gut. Liebli ist's überall, liebli auf Erde, Wenn zu mein'm Schätzle kommst, thu mer's schön grüße, Und wenn es freundli ist, sag': i sey g'storba; Maidle, trau' net so wohl, Du bist betroge, Schwäbisches Volkslied. |
Wenn Veverl, die leichtsinnige wetterhahnähnliche Veverl, ihrer Freundin Leiden, wenn schon im sehr verjüngten Maasstabe, mitfühlte, was bei einer Natur, wie 88 die ihrige, schon außerordentlich zu nennen, so hatte dieses seinen guten Grund. Ihr Herz, das sich bis daher, wie eine muthwillig schaukelnde Forelle auf der Fluth, oben gehalten hatte, war plötzlich niedergegangen unter 's Gewell, verletzt von scharfem Angelhaken. Sie hatte das, was sie ihre jungfräuliche Ruhe nannte, oben auf der Waldrast gelassen. Der unbekannt stumme Fischer hatte den Fang gethan, der dem redseligern Nepomuk nicht hatte glücken wollen. Seit Veverl's Rückkehr nach Imst hatte sich eine Leere in ihrer Brust fühlbar gemacht, und daneben ein Zuwachs von Erinnerungen, die manchmal das Mädchen wahrhaft bestürzt machten. Wenn sie hie und da den Glotzer hatteDen Glotzer haben: starr und zerstreut vor sich hinsehen ohne auf etwas acht zu geben., der junge Dirnen oft heimsucht, was sah sie an der weißen Wand, was in der blauen Luft? Die Augen, die dreisten und glühenden Augen des guten Oswald. Was schwebte Nachts, wenn sie das Abendgebet verrichtet und das Licht ausgelöscht hatte, vor ihren müden Blicken, von einer Glorie umgeben? Oswalds Antlitz, das wunderlicherweise von Tag zu Tag deutlicher, Zug für Zug sich bei ihr einstellte, ein lieber Freund, der immer öfter kömmt, bis er einmal gar nicht mehr weggeht. – Dieses Gesicht war ihrem Leben eine angenehme Beigabe, ohne Zweifel; aber hinwiederum auch wieder lästig: ein Block am Beine, den die an unumschränkte Freiheit ihres Kopfs und Gemüths gewöhnte Genovefa leider Gottes endlich überall mitschleppen mußte, sie mochte wollen oder nicht. Die Arme erfuhr, was sie nie geahnt hatte: daß man zum Sklaven dessen wird, was man liebt. Sie zappelte, sie wehrte sich; doch war die Kette nicht mehr abzustreifen, und allmählich verwandelte sich das Unbehagliche ihrer Lage in eine leidliche, dann sogar in eine süße Gewohnheit, der sie sich jederzeit träumend und sehnend überließ, wenn die übrige Aussenwelt für den Augenblick keinen Anspruch auf sie machte. –
89 Zwei Tage nach dem Einzug der Vogelträger war's wieder still geworden in dem Gasthause, das Genovefa's Eltern bewirthschafteten. Die Stuben waren rein gekehrt, Gläser und Flaschen prangten wieder im Feierkleide auf den Schränken; die großmäuligen Krüge standen bescheiden in ihren Winkeln; der Dienst des Kellers ging seinen gewöhnlichen Gang, und die Küche, nach einem kurzen anarchischen Zustande, war wieder unter den alleinigen Scepter der Köchin zurückgetreten. Genovefa hatte Ruhe, und saß abgeschlossen vom übrigen Hausverkehr in der unter Tags selten besuchten Honoratiorenstube. Allerlei Handarbeiten lagen ausgebreitet um sie her; bald beschäftigte sie sich mit der einen, bald mit der andern, wie ihre unstäte Natur es gerade ihr eingab, und weil ihr eine Ansprache fehlte, plauderte sie in Gedanken mit sich selber. Sie redete sich zu, am Nachmittag zu Tammerls hinzugehen, sich nach den etwa eingelaufenen Neuigkeiten zu erkundigen; sie versprach sich in die Hand, dem Peter, den sie nun einmal nicht ausstehen konnte, und dessen Erscheinen wie ein Lauffeuer in dem Markt sich angekündigt, ein erträgliches Gesicht zu machen; sie berieth mit sich sehr ernsthaft, welchen Trost und welche Hoffnungen sie der Martina zum Angebinde bringen dürfte, und bedauerte die Haut aufrichtig um ihres Brautkummers willen. »Aber,« sagte sie halblaut zum Schluß: »traurige Bräute, fröhliche Weiber. Heißt's nicht so?« Und sie wünschte sich Glück, die Thörin, nicht zu seyn, wie Martina. – Da tauchte unversehens der bewußte verführerische Kopf vor dem Mädchen auf, und fragte mit höchst angenehmer, auch etwas sarkastischer Tyrannei: »Untersteh' Dich, rebellisches Ding, noch einmal so trutzig zu reden. Wer bin ich denn, daß Du mir den Gehorsam aufsagen willst, und sind wir nicht heimlich einverstandene, bis auf den Ring fertige Brautleute?«
90 Die Vision war so lebhaft, daß Genovefa ihr Herz, nämlich das Aushülfeherz, das nur da ist, um das Leben zu erhalten, wenn das edlere Herz verloren ging, gewaltig pochen fühlte, und lächelnd und erschrocken auffuhr, sagend: »Heilige Notburga! bin ich doch zusammengefahren! ganz natürlich, als ob es hier gegenwärtig wäre, sammt dem Mann, der daran gehört, hat das liebe Köpfl hergeschaut. 's ist gar aus: wenn ich nicht verhext bin, so gibt's gar keine Zauberei mehr.« –
Sie legte die Nadel hin, schob den angefangenen Strumpf auf die Seite, beschrieb mit ihrem runden Finger allerlei Schnörkel auf den Tisch, und sagte, wie eine Klatschbase zur andern: »Bist Du nicht so viel närrisch, und aus der Weise? ein Mensch, dessen Namen Du nicht weißt, dessen Stimme Du nicht gehört hast, von dessen Vernunft der Peterl von Innsbruck ein schlechtes Zeugniß gegeben! 's ist ja zum Lachen, und wenn's die Leute wüßten, wär's zum Weinen. Hat man jemals eine Närrin wie Dich gesehen?« Worauf sie wieder antwortete gleich der angeredeten Base: »Du hast gut platzedern; 's ist halt einmal so, und ich wollte nichts lieber, als ich könnte den lieben Buben nur ein einzigmal wieder vor mir sehen, und daneben hören, wie er spricht und thut, und es muß ganz fein seyn, neben ihm zu sitzen, und die Lieb' abzudiskuriren.«
Zu Zeiten sind die Liebesleute glücklich; wenn sie dann in den Topf greifen und sagen: gewonnen! so haben sie auch schon das beste Loos in der Hand. Zu der Frist, als Genovefa im Honoratiorenstübl saß, und sich was Gutes wünschte, zogen gleich Zweie miteinander einen großen Gewinnzettel aus dem Glückshafen des Lebens. Derjenige, den sie herbeiwünschte, kam leibhaftig zur Stelle. Ihn seinerseits, der nicht wußte, wo links, wo rechts zu seinem Seelenschatz, bediente der Zufall nicht minder gut, da er ihm anlag, im »rothen 91 Adler« ein Seitl zu trinken, den Reisestaub hinunterzuspülen.
Oswald's Instinkt und Künstlergeist litten nicht, daß er in die Bauernstube trat; er suchte sich den vornehmern Platz, und fand unverhofft den eines Seligen. Frisches Morgenroth auf dem Gesichte, ein fröhliches: »Schau, schau!« im Munde, stand er seiner Liebsten gegenüber, und that wirklich nichts als schauen, und zwar mit einer Innigkeit und mit einem Respekt, den er kaum für einen andern Menschen in der Welt aufgebracht hätte. – Dafür war auch Genovefa eine Weile hindurch nur Auge und Ohr. Da, nur ein paar Zoll von ihr, stand, nicht ein Schattenbild, sondern ein wirklich geborner Muttersohn, der ihr ungemein gefiel, und das einfache »Schau, schau!« desselben klang ihr lustiger als die Tanzpfeife, zugleich festlicher als die Orgel. Sie fand eine Fülle von Anmuth und Bedeutung in den paar Silben, wie nur der Mund des geliebtesten Mannes sie zu enthalten und zu geben vermag; eine Musik, welcher sie sich schämte, das gemeine alltägliche: »Willkomm, was schafft der Herr!« zu entgegnen, wie es in dem Honoratiorenstübl sonst gebräuchlich war, und wie es ihr schnippisch und gewürfelt von den Lippen zu gehen pflegte. Dennoch mußte sie etwas aufbringen; doch änderte sie unwillkürlich die dritte Person in die zweite um, und fragte: »Was schaffst Du?« Worauf er, mit Vergnügen das landessittliche Du erwiedernd: »Daß Du mir nicht davonlaufst, mein herzig's Diendl, verstanden?« – »Aber 'n Wein, und 'was aus der Kuchel?« – »Das Essen und das Trinken ist mir akkurat gleich; ich bin jetzt nicht hungrig, nicht müd und nicht durstig. Bei Dir, mein Schafl, mein schwarzes, vergeht mir aller Appetit.« – »Ein saubres Kompliment.« – »O schau, mein Zuckerkandel, wie magst so tappet reden? Die Heiligen im Paradies essen auch nicht 92 und trinken nicht vor purer lautrer Freud'; und wenn ich auch schon kein Heiliger bin, so bin ich doch in unsers Herrn Paradiesgarten, so lang ich Deinen kohlenschwarzen Guckern mitten hinein in den Stern sehe.« –
Genovefa hätte nun auch vor Freuden hüpfen mögen. Da war's nun heraus: der liebe Bub' wußte eben so glatt und süß zu reden, als er zu lächeln und zu blicken verstand. Das muntertreuherzige Wesen in seinem Gesicht war demnach kein falsches Aushängeschild, und die Liebe, die den leichtsinnigen Anflug in des Jünglings Zügen temperirte, war also wirklich vorhanden, und der Gegenstand seiner schnell aufbrausenden Zuneigung war also in der That sie selbst, Genovefa, und keine andere, und nach manchen Wochen des Nimmersehens immer noch sie. Da kamen auf einmal nach der strengen Fastenzeit – da so lang sich nicht gesehen, was sich liebte – die schönen grünen Ostern über das Mädchen, und sie dankte ihrem Gott mit schweigenden Lippen, aber hochverklärten Mienen. Als wäre schon Alles zwischen der Herzensbruderschaft abgeredet, was mit den Worten. »Ich bin Dir gut, ich liebe Dich, ich seufzte nach Dir,« abgesprochen werden kann, und als käme es nur darauf an, gewisse unerläßliche Formalitäten zu besprechen, sagte Veverl mit dem zierlichsten Klang, den ihre Zunge, das Vesperglöckl, anzuschlagen vermochte: »Wer bist Du denn?« – Oswald berichtete ganz getreu Namen und Abstammung. – »Was bist Du denn?« – Er erzählte, daß er ein Kunstmaler, nicht von den ungeschicktesten; – er prahlte gegen seine Holdschaft: – eine Dornenkrone und eine Glorie, ein höllischer Geißfuß und ein schwanweißer Engelflügel gingen ihm gleich vollkommen aus der Hand; daneben sey er ein Vergolder, der schon dem heiligen Alexander vor Kurzem erst das prachtvollste Wappenkleid hergestellt habe, das je gemacht worden sey, seitdem überhaupt das Gold erfunden. Auf der 93 Waldrast sey jetzo eine Krönung Mariä zu schauen, die ihres Gleichen kaum habe, und die er, wenn auch nicht geschnitzt, doch gefaßt und mit künstlichem Silber, Perlmutter, mit Rubinen und Topasen belegt habe, daß sie einem Weltwunder nah verwandt erscheine, und etwa nächstens vom heiligen Vater dazu befördert werden dürfte. Der Mantel der Himmelskönigin sey so schön geblumt und silberstrahlend wie ein Spiegel; die wirkliche Königin von Ungarn und Böhmen, die durchlauchtigste Erzherzogin habe schwerlich etwas so Apartes; »aber,« beschloß er seiner Eitelkeit Gepränge: »Dir, mein holdseliges Dirnl, leg' ich alle Herrlichkeit zu Füßen und will gestehen, daß ich kein Silber weiß, so glanzig wie Deine Stirn, kein Gold, so da brennt wie Deine Sonnenaugen, keine Perl, so hell wie Dein schlechtstes Woferl; und wie sollte mein miserabler Karmin Deinem Backenroth gleich kommen, da selbst unser Herrgott nicht eine Kirsche erschaffen konnte, die röther wäre, als Deine Lippen, Du schelmisches Madl?« – »Geh, geh, hör' auf: laß mich aus!« ermahnte Genovefa zur Seite niederblickend, und wünschend, der Lobhymnus möchte noch eine Weile dauern. Dazu war Oswald sehr bereit. Seine Kunstlehrzeit, das Ausland mit der geschmeidigern Redeweise, der Werkstattgenossen Beispiel, und was er hin und wieder seinem Vetter Holzer in Stunden der künstlerischen Begeisterung abgelauscht, hatte seinen Kopf mit einer Menge von Gleichnissen ausmöblirt, und manche Galanterie und Redeblume in seinen Sprachgarten verpflanzt, die innerhalb der heimischen Gebirge als kostbare Rarität erschienen. Was in der Fremde der müßige Kopf aufgespeichert, gab nun daheim, vom Witz der Liebe beflügelt, die Zunge des Malers verschwenderisch aus.
94 »Aufhören? Dich auslassen? O, ich hätte lieber nicht gehört, was Du so kalt aussprechen kannst. Ist's denn nicht wahr, daß Dein lieber netter Mund ein Meisterstück auf Erden ist? Vor der Hand ein Jungfernmund, aber – lassen wir zwölf, achtzehn, lassen wir vierundzwanzig Monate ins Land gehen, – gewiß alsdann der schönste Frauenmund, der in Tirol lachen, spassen, küssen wird. Am liebsten wäre mir, wenn dieser Mund meinem Weib gehörte. Und wenn gerade jetzt – wir sind so schön allein – der hübsche Mund mir sagte, er wolle seiner Zeit meines Weibes Mund seyn, – ich wollt' ihn fast noch höher halten, als bis auf den heutigen Tag.«
Genovefa schnalzte, als wäre sie ärgerlich über die fortgesetzte Schmeichelei, mit der Zunge. Oswald fuhr aber fort: »Du magst Dich sträuben, wie Du willst, wahr ist's halt doch einmal. Ein Engel hat Dir in der Wiegen das Goscherl aufgesetzt, das würziger schmecken muß als Nagerl und Muskatnuß und Rosenkraut. G'wiß, das hast Du sicherlich nicht von Deinen Eltern. Ich wollt's beschwören, wenn ich sie schon nicht kenne. Daß wir bei der Red' bleiben: wer sind Deine Eltern, mein tausendschöner Schatz?« – »Mein Vater ist der Wirth; die Mutter lebt auch noch, Gott sey Dank; das Haus ist nicht unser; es gehört der Jungfer Prombergerin.« – »Brav. Schau, da kämen wir wiederum in einem Geleis zusammen. Ich hab' auch kein Haus, und die Panduren, meine Geschwister, ein ganzer Sack voll, werden mir keinen Fleck vom Vaterhause übrig lassen. So werd' ich halt mir eigens ein Häusl verdienen müssen, klein aber fein, wie's Dir zu Gesicht steht.« –
»Wie ihm's Maul geht!« lachte Veverl, die ihre Sicherheit wieder gewann. »Hättest Du mich so viel lieb, um Dich zu plagen und zu martern etwa Dein Leben lang?« – »Ha, die Lieb' muß sich epper wohl bei Licht sehen lassen. Weißt nicht, wie es im Lied 95 heißt? »Wo kein schön's Haus nicht ist, ist kein schön's Zimmer; wo kein' Lieb außer schaut, ist kein' Lieb' drinnen.«
»Wie sind wir aber nur zu der Lieb' gekommen?« fragte Genovefa nachdenklich, ohne die Wichtigkeit ihres in diesen Worten enthaltenen Selbstgeständnisses zu ahnen. – Oswald ergriff ihre Hand, die ihm so rund und weich vorkam und so schwellend und warm wie gar keine andre Mädchenhand auf Erden. Sie ließ ihn gewähren, und er sagte unbefangen, wie seine Freundin: »Mein seliger Vetter hat mir einmal vertraut, das sey ein ganz geheimes Kunststück, das ein guter Engel mache, wenn er ein paar brave Leute zusammenbringen will. Es braucht einer nicht 's Maul aufthun, und fragt grad mit den Augen: »Magst mich?« und der andre Theil antwortet ebenso: Ich mag Dich schon. Und dann ist's fertig, und sie haben nur draufzuschauen, wie sie wieder aus der Lieb' herauskommen.« – »Herauskommen?« rief Veverl mit großen Augen: »Nun, das wär' mir 'was saubres.« – »Versteh' mich recht, mein Herzl: wie sie sich heirathen wollen, hab' ich gemeint.« – »Ah!« versetzte Veverl recht fein und befriedigt. – »Und das wollen wir jetzt überlegen, Du lieber Narr.« –
Erst, als sie recht herzlich auf die Wange geküßt war, merkte die Jungfer das kühne Vornehmen ihres raschen Freundes; zu spät war's, sich zu sträuben, aber noch immer an der Zeit, in der Ueberraschung dem Oswald auch den Mund zu erlauben, und ihm recht heimlich zu sagen: »Ich habe gar oft an Dich gedacht.« – »Wenn ich reden wollte . . . .« meinte Oswald, legte die Hand auf die Brust – es war aber Veverls Hand, und sie spürte darunter den Schlag eines muthigen Herzens, und das Uhrwerk ging voll und wallend wie in ihrem eignen Busen – in des Jünglings Wimpern hingen klare Tropfen, Zeugen seiner langen Sehnsuchtspein: 96 »wenn ich reden wollte, ich würde in Jahr und Tag nicht fertig. Schau: Du hast mich erst zu einem ganzen Kerl gemacht. Ich wär' schier einmal ein lockrer Bursch geworden, hatte Tanz und Flaschen« – die Mädeln nannte er nicht – »Spazierengehen und Kartenspiel gar gern. Jetzt denk' ich nimmer an das Alles. Du bist mein wahrer Schutzengel geworden. Sobald Du mir im Lebenskern gesessen, hat mich der Teufel verlassen, ganz und gar, und er war mir doch schon so nah, daß ich seine rauchenden Tatzen an meinem Schippel gespürt habe, siedbrennheiß.« Oswald seufzte tief, wie einer, der eine schwere Bürde zur Erde werfen darf, um sie nicht mehr wieder aufzunehmen. –
»Ei, ei, daß Gott erbarm, warum nicht gar?« scherzte Veverl, und fuhr ganz leicht mit ihrer Hand über Oswalds Locken. Er hatte ein Gefühl, als ob ihm Funken aus den Haaren sprühen müßten. »Es wäre schad gewesen um die krausen Haarl'n,« sagte Genovefa, die mit jeder Sekunde verliebter wurde: »was wollte denn der Böse von Dir?« – »Weißt, das ist eine ganz aparte Geschichte,« versetzte er. – »Erzähle sie mir,« forderte sie: »wenn wir denn doch einmal mit einander verbandelt sehn sollen, mußt Du kein Geheimniß vor mir haben.« –
Da ging die Thür ganz resch auf, und die Veverl fuhr erschrocken in die Höhe, und Oswald hustete verlegen. Es schaute jedoch statt des gefürchteten Vaters oder der, weil wachsamer, um so mehr gefährlichen Mutter, die Kellnerin in die Stube, und rief die Wirthstochter hinaus. »Ich komm' schon,« entgegnete die letztere: »Resi, bring' dem Mann da eine Halbe vom Guten, und ein Würstl oder so was! Ich bin gleich wieder da,« flüsterte sie dem Geliebten zu, und eilte, wohin man sie verlangte. Der von Entzücken strahlende Oswald richtete an das Kruzifix, das von der Wand sah, ein 97 kräftiges Gratias, und vertrieb sich die Zeit, wie er konnte, bald mit einem Schluck, bald mit einem fetten Bissen, horchte obenhin auf das neugierige Ausfragen des Schenkmädchens, antwortete mit einem trocknen: »Hm, hm! o ja; weiß nicht; kann seyn,« oder suchte mit einem Wirthshausspaß die Zudringliche abzufertigen. – Endlich ging wieder seine Sonne auf, und die Fledermaus, wie er unhöflich die ihn umschwärmende Kellnerin in Gedanken hieß, verschwand. – »Also die Geschichte?« fragte Genovefa, zum Schein ihre Arbeit zur Hand nehmend und die Ohren spitzend, weniger um die Geschichte zu hören, von der sie sich nur eine Neckerei versprach, als vielmehr um so recht mit Muße die melodische Stimme zu vernehmen, die einst zu ihr sagen sollte: »Ich bin Dein Herr, und Du bist meine Rippe.« – Oswald hob an, ernsthafter als das Mädchen es vermuthet hatte:
»Es ist noch nicht lang her, so liebte ich das Spiel über die maßen. Sie spielen draußen im Reich viel mehr als bei uns, und sind allerlei Kartenspiele im Schwang, die mehr Geld und Zeit kosten, als es Manchem trägt, und wohl manches Haus und Hüttl ist schon von den vier Königen und ihren Bedienten, wenn sie grad raufen, verwüstet worden, manches Weib und Kind ins Elend getrieben, mancher schwache Tropf an den Galgen gebracht worden. Nun, 's war gut. Ich hatte kein Hüttl und keine Familie zu ruiniren, der Galgen war mir auch nicht vor der Thür; ich machte halt leichtsinnig mit, und gewann und verlor, wie's kam; aber da ich das Gewonnene immer wieder an die Brüderln ausleihen mußte, hatte ich in Summa nichts gewisser als den Verlust. Da kommt ein meiniger Freund, ein guter Mensch, wie kaum ein zweiter unterm Himmel, und sagt mir väterlich, ich solle mich nicht im Ausland versitzen, und alle Liederlichkeit in Essen und Trinken und Aufschneiden, und vor allem das 98 Karteln aufgeben. Mir war die Haut ganz weich und mürb geworden, schon weil der gute Bruder so väterlich und zärtlich sprach; und mich rührte noch viel mehr, daß der gute Kerl grad auf eine weite Reise ging; und ich gab ihm ganz wehmüthig das Geleit, und bei'm Abschied noch sagte er zu mir, hat mich dabei ganz beweglich angeschaut: »Willst brav seyn?« sagt' er: »willst's Karteln aufgeben? gibst mir die Hand darauf?« – »Da, hab' ich gesagt: da hast Du meine Hand, und ich schwör' Dir's zu bei unserm lieben Herrgott, hab' ich gesagt, und wenn ich's nicht halte, was ich versprochen, hab' ich gesagt, und ich nehme noch ein einzigmal die Malefizkarten in die Hand, hab' ich gesagt, so soll mich der Teufel holen – mit Erlaubniß, Genovefa – hab' ich gesagt. Haben uns um den Hals genommen, und gebusselt« – der Schelm von Maler zeigte trotz seiner Wehmuth dem Mädchen ausführlich, wie sie's gemacht hatten – »haben uns Pfiettigott gesagt, und somit gut; ging Eins da hinaus, das Andre dort. Basta! Kannst Dir denken, daß es mir Ernst gewesen ist?« – »Gewiß; aber was weiter?« – »Daß der Mensch nicht eine Stunde seiner selbst Meister ist, das hat's weiter gegeben. Noch an demselben Abend, im Nachtquartier, – ich hatte vielleicht ein bissel mehr getrunken, wegen der Erhitzung – sitz' ich neben einem wildfremden Buben, oder besser gesagt, neben einem jungen Herrn, der's Maul aufreißt und sagt: »Ich hätte wohl Schlaf, aber noch ist mir's zu früh, in's Bett zu gehen. Wollen wir nicht ein Spiel machen?« – Reitet mich der Schwarze, und ich sag': ja, warum nicht? Spiele mit dem Fremden, trinke mit ihm, dutze mich mit ihm, und siehe da: er verliert an mich viele Dukaten, goldne Dukaten, Veverl, und hat nichts davon, als einen Stieber, daß man ihn zu Nest hat tragen müssen. In der Frühe – er hat noch dick geschlafen – geh' ich fort, und das Gold hat mir gelacht und Freude gemacht ein paar Tage lang. Aber hernach ist das Gewissen 99 angeruckt, und die Angst vor dem Satanas, obschon ich das Geld dem Söffel ehrlich abgewonnen und ihn nicht betrogen habe, glaub' mir's, Veverl. Ich hab' wenig von dem Geld gebraucht und mit aller Furcht den ganzen Sack voll ins Tirol gebracht, bis mir's zu arg geworden ist, und ich hab's in Gott geweihte Hände niedergelegt. Die mögen jetzt sehen, wie sie mit dem Krampus auskommen.« – »Du hast brav gethan,« lobte ihn Genovefa: »mich freut's von Dir, und ich wollte, Du fändest den lüftigen Herrn wieder und könntest ihm seine Sach' wiedergeben, und eine Predigt obendrein. Bleib' nur ein Feind vom Karteln. Wenn aus uns was werden sollte,« – setzte das Mädchen erröthend bei – »so müßtest Du nicht wieder anfangen, wo Du's gelassen. Da müßt' ich schon bitten!« – »O Du mein lieb's Rosmarinkräutl!« schmeichelte Oswald, ihre beiden Hände haltend: »eher sollten ja alle Kartelfabrikanten hinwerden und auf Stroh liegen, ehe ich wieder einen Trumpf ausspiele. Ich kann Dir auch im Vertrauen stecken: weißt? ich hab' die Hoffnung, das besoffne Dukatenmandel hier im Markt zu finden. Ist's so, so kann er sich vom Pater Philipp sein Geldl wiedergeben lassen. Ist's anders, so sollen die Armen das Gold genießen, meinetwegen. Den Teufel fürcht' ich jetzt nicht mehr, seitdem mir die Hände rein sind, aber vor meinem guten Freund fürcht' ich mich, dem ich das Wort so schlecht gehalten habe, und darum fehlt mir das Herz, in selbiges Haus zu gehen, wo mein Spielratz etwa zu finden ist.« –
»Hast Du also Deine Leute hier zu Imst?« fragte Genovefa verwundert: »Bist also nicht wegen meiner allein anhergekommen? Schau! der Lugner, der da vorgegeben hat . . . .« – Oswald versiegelte ihr auf seine Weise den Mund, und entgegnete: »Wirst nicht mit mir aufbegehren? Wirst Dich nicht gleich mit mir zertragen? 100 Bist Du nicht etwa eifersüchtig auf meinen guten allerbesten Jugendfreund? Schau: den solltest Du kennen. Er ist jünger als ich, und saubrer von Gestalt, und so viel klug . . . . er kann reden wie ein geistlicher Herr, aber er thut auch in allen Stücken, wie ein geistlicher Herr thun soll: so rein, so fromm, so christlich und brav ist er allewege. Aber, ich Drottl, was red' ich denn, als wie von einem landfremden Menschen? Du mußt ihn ja kennen, wenn die Tammerl-Martina Deine Freundin ist; he? den Seraphin Plaschur?«
»Ja, Du mein Gott, wenn ich den nicht kennte!« rief das Mädchen freudig aus: »der gute Seraphin! und Du bist – jetzt merk' ich's erst, Du bist der Freund, der Schulkamerad, von dem er uns so oft und schön erzählte. Gelt, Du bist's? noch einmal so lieb habe ich Dich deßwegen.« – Der begeistertste Blick Oswalds dankte dem runden Vesperglöckl für die heilbringende Versicherung. »Freilich,« sagte er, »bin ich's, freilich kann ich kaum erwarten, ihn zu sehen, hätte schon längst einen Gruß an die Martina ausrichten sollen, und daß er ihr treu seyn würde bis an's Ende . . . . nun, er wird den Gruß jetzt schon selber ausgerichtet haben, denn die Vogeltrager sind ja schon alle zurück – o wie freu' ich mich, ihn zu umarmen – mehr freu' ich mich allerdings, als den liederlichen Peterl wiederzufinden, in dem ich meinen Spielratz von Friedberg vermuthe . . . .« – »Ach, der schieche Peter!« schalt Genovefa, »was der für Streiche gemacht hat! Es sieht ihm gleich, daß er seines Prinzipals Geldl verspielt hat . . . . und doch sagt der Bursche, er sey ausgeraubt worden. Wer's ihm aber glaubt, seinen Vater und seine Mutter ausgenommen!« – »Ausgeraubt?« fragte Oswald: »hm, da müßt' ich mich abermals in der Person irren? daß Dich der Teuxel!« – »Nein, nein, Walt, 's wird schon so seyn, wie Du meinst. Jetzt versteh' ich erst, warum Du den 101 andern Tammerlpeter auf der Waldrast angeredet hast, wie er uns so spaßhaft erzählte. Außer dem von Innsbruck, der übrigens ein feines Mandl ist, kann gewiß in der ganzen Christenheit kein Mensch dem hiesigen Tammerlpeter ähnlich sehen, dem verlogenen Gesicht, dem wildschiechen Prinzen. Aber – was mir beifällt: mußt Dich nicht so viel auf den Seraphin freuen, denn er ist noch nicht heimgekommen und hat auch nicht geschrieben. Das ist ja eben unser Kreuz, unsre Sorge, und die Martina kennt sich kaum mehr vor lauter Verdruß.« – »Er ist nicht heimgekommen?« rief Oswald und sprang voll Angst in die Höhe: »da ist ihm etwas passirt; mein Gott, er wird doch nicht gestorben seyn? Aber nein, mit so wenig Jahren und so viel Lieb' im Herzen stirbt man nicht so geschwind. Er wird schon wiederkommen, Genovefa, wird sich schon wieder einstellen. Ein Goldmadl wie die Martina laßt er nicht aus, kannst Dich drauf verlassen!«
Genovefa seufzte: »Wär' er nur schon da! ich gäb' selbst was drum; die Martina macht mir angst und bang.« – In diesem Augenblick ging die Thüre wieder auf, und eine Frauensperson kam schnell herein: die Tante Lenerl. Auf ihrem Gesicht war Schrecken und Kummer und Leidenschaft zu lesen. Im Begriff, das Veverl ohne Verzug anzureden, hielt sie an sich mit einem mißtrauischen Blick auf Oswald. Genovefa suchte nach einem Vorwand, der ihr Beisammenseyn mit dem fremden Mann entschuldigen mochte. Ihrer Verlegenheit kam Oswald zu Hülfe; er merkte, daß er als ein Dritter hier zu viel sey, und schickte sich alsobald zum Aufbruch an. »Nehm' mir die Jungfer nichts in übel auf,« sagte er, mit Fleiß so linkisch, wie der ungeschlachteste Bauer: »Wenn sie's erlaubt, kehr' ich schon noch einmal an, sie wird schon mit ihrem Herrn Vater daweil so herumdiskuriren. Ich bin ein armer Bub', und möcht' 102 gern mein Holz bei guter Zeit anbringen. Sey sie halt so gut, bitt' schön, und b'hüt sie Gott!« – Schweren Fußes entfernte er sich. In seine Idee eingehend, rief ihm Genovefa geschwind aus dem Fenster nach: »Komm nur heute Abend im Zwielichte: brauchst nur da an den Balken zu klopfen, ich werd' Dir alsdann Bescheid sagen.« Oswald antwortete mit einem Blick der Erkenntlichkeit, und ging von dannen. – »Ein reputirlicher Holzbauer,« meinte die Tante: »ist mir doch, als wär' mir das Gesicht schon einmal vorgekommen!« – Veverl zitterte vor einer vorschnellen Entdeckung. Sie hätte sich die Furcht ersparen können, denn Lenerl's Geist war offenbar so eingenommen, so zerstreut, so auseinander, daß sie zu einer bedächtigen Erinnerung an vergangene Tage untüchtig wurde. Ihre Züge predigten laut ihre Bestürzung. »Was hat denn die Jungfer?« forschte Veverl leichter athmend. – »Bist Du angelegt, Veverl? So geh' geschwind mit mir. Es sind zu Hause Sachen vorgefallen, die mir und der Martina den Verstand stillstehen machen. Geschwind, Veverl, bitt' ich. Ich komme nicht herum mit dem Madl. Es ist ganz ausgewechselt, und wenn auch Dein Zureden nicht hilft, so weiß ich mit dem Madl halt gar nichts mehr anzufangen. Ich selber zittre am ganzen Leib. Komm, komm, laß' alles stehn und liegen. Ich will's bei Deiner Mutter schon verantworten.« – »Gleich, gleich, Jungfer Prombergerin!« versetzte Veverl, schob in süßer Verwirrung die Nätherei in den Brodschrank, das Hauptschlüsselbund des Hauses in den Uhrkasten, schlüpfte in ihre Stöcklschuhe, und klapperte wohlgemuth und neubegierig mit der windschnellen Tante über die Gassen zum Tammerlhaus.
Die Anzeichen einer unendlichen Zerwürfniß und Aufregung kamen ihnen so zu sagen, schon auf der Treppe entgegen. Da war die aufmachende Dirne, die 103 ihr hölzernes Gesicht noch einmal so lang gezogen hatte; da war die Großmutter Martha, die mit unglücksschwangern Blicken durch Gang und Küche rasaunte; da war die Mutter Marianne, die mit zornglühendem Angesichte aus der Stubenthüre schoß, und der Tante ganz heiser vor innerlicher Bewegung zurief: »Schau Du, was Du mit der Tack', mit der Gans, mit dem Schnabel ausrichtest. Mir will sie nicht glauben, ihrer leiblichen Mutter nicht glauben, nicht dem Bruder, dem unschuldigen Lampl, das so viel viel gelitten hat; sie glaubt nichts der ganzen Welt. Sag' ihr, ich geb' ihr – Gott verzeih' mir's – meinen Fluch, wenn sie nicht auf der Stelle alles glauben, und ihrerseits der schlimmen Geschichte ein End' machen will. Ich unglückliches Weib, ich!« – Und ihre Thränen, kaum gestillt durch des Söhnleins Wiederkunft, rieselten auf's neue, wilder denn zuvor, und sie warf donnernd hinter sich die Thüre des Schlafzimmers, wohin sie sich verbarg, in's Schloß. – »Nun, nun,« plapperte Veverl: »da ist ja Sturm und Regen und Erdbeben los. Gott helf' uns weiter!«
Das Erstaunen des guten Mädchens machte indessen geschwind der tiefsten Rührung, die sie empfinden mochte, Platz, als sie ihre Freundin wiedersah. War Martina schon in den letzten Wochen kümmerlichen Aussehens gewesen, so hatten doch die letzten zweimal vierundzwanzig Stunden das arme Kind dermaßen entstellt, daß sie sich nicht mehr gleich sah. Ihre hellen Blicke so trüb, ihre Wangen eingefallen, ihre Nase spitz, ihr ganzer Körper so müde und matt: zum Erbarmen war's. In dem Schlaflehnsessel zusammengekauert, streckte sie der Freundin die zitternde Hand entgegen, und sagte mit erloschener Stimme: »Mir ist's recht, daß Du kommst, Veverl. Ich glaub', daß es mit mir zu Ende geht. Da, da« – sie zeigte auf ihre schwerathmende Brust – »da sitzt mein Uebel, meine Krankheit. Der Doktor 104 weiß nichts dafür, und sogar das Weinen ist mir ausgegangen. Es hat mich bisher so viel erleichtert. Jetzt werd' ich verschmachten müssen unter dem Felsbrocken, der mir auf der Brust liegt.« – »Was haben sie denn mit Dir angefangen?« fragte Veverl bekümmert, während die Tante betend und seufzend sich zum Fenster gekehrt hatte. – Leise, als sagte sie ein Geheimniß heraus, entgegnete Martina: »Sie haben sich alle abgeredet, mich ins Grab zu bringen. Nun, sie werden schon die Freude erleben. Ach, Veverl, was ich Dich bitte: behalt' ja immer Dein Herz für Dich. Wehre Dich gegen die Lieb', wie Du nur kannst. Es ist kein Segen dabei. Die Mannder brechen uns armen Dirnen die Seele morsch entzwei, und was sie nicht thun, das unterlassen gewiß die lieben Verwandten und Freunde nicht. Nimm Dir an mir ein Exempel. Hab' ich den Seraphin geliebt! hab' ich ihn gern gehabt! nun, Du weißt's am besten. Schau, wie er mich verläßt. 's wäre schon das allein mein Tod; aber jetzt kommt auch noch der Bruder und die Mutter und die Großmutter, und lügen über ihn Sachen zusammen, die mich desperat, die mich ganz z'rütt machen, und 's ist nicht möglich, ich kann's nicht überstehen!« – Martina schreckte auf, und horchte nach der Thüre, und ächzte, die Hände ringend: »Da hör' ich den Vater, wie er zornig schreit und spektakelt. Er kommt daher, das wird mir den Rest geben, lieb's Veverl.« –
Sie verbarg ihr blasses Antlitz an dem Busen der Veverl, der gerade so heiß von Liebe durchwallt war, wie der ihrige; sie versteckte sich in der Freundin Arme, wie eine Taube, die vor dem Weih einen Schutz sucht. – Indessen polterte Tammerl in die Stube, unwirrsch, außer sich, und noch zu allem Unglück von zwei andern Personen begleitet, die Martina gern dahin gewünscht hätte, wo sich die Füchse gute Nacht geben: in's fernste, ödeste Wildgebirge. 105 Die Herren, die mit dem Vogelhändler kamen, waren der von Sprenger und der von Idelstein.
»Hat das Rehren noch kein Ende?« fragte Tammerl grob, sich vor seine Tochter hinstellend: »Du willst also noch immer nicht glauben, was ich Deiner rechtschaffenen Mutter, und diese wieder Dir gesagt? Daher meine lieben Herren und Freunde, stellt's euch daher, und schaut, wie ein Madl toll werden kann, für einen Kerl, der nicht werth ist, daß man ihn todtschießt. Ihr seyd Ehrenmänner, und meines Hauses Freunde. Ihr werdet nicht weiter sagen, was ich euch jetzt in meiner Herzensbetrübniß offenbaren muß – ich kann nicht anders. Er, Idelstein, ist gerade zu rechter Zeit gekommen, daß ich mich vor ihm ausschütten kann: all mein Unglück, all mein Elend!« –
»So rede der Meister einmal,« hob der ungeduldige Sprenger mit kirschrothem Gesicht an. – »Was gut's?« fragte der Idelstein phlegmatisch. – Tammerl schlug ein Gelächter auf, als ob er von Sinnen käme: nicht nur Martina, sondern die Tante selbst wurden schier davon ohnmächtig. »Es ist bald gesagt,« rief er hintennach: »es ist in einer halben Minute gesagt, so geschwind, als man einem Kranewiter den Hals umdreht: der Seraphin, der Dörcherbub', der undankbare, ist mit meinem Geld und meinen Specialvögeln zum Teufel gegangen; über's Meer ist er gegangen, der Dieb, mein halbes Baarvermögen im Sack, aber damit das Maß recht schön voll werde, hat er zuvor meinen armen Peterl als ein Straßenräuber geplündert, und die Dukaten seines Patrons mitgenommen. He? was meint Ihr dazu? Und der alte Schurke, der Egidi, hat ihm bei dem Raub geholfen; aber diesen wortbrüchigen Meineider hat in Holland die Strafe ereilt, und sie haben ihn ins Zuchthaus gesetzt. Da, das ist die ganze Geschichte, die mich zu einem halben Bettelmann, zu einem betrognen Hausvater, zum Gespött der ganzen Welt macht. Ist das eine Bagage durcheinander, die einen ehrlichen Mann, der 106 voll Vertrauen, so niederträchtig hintergeht? Soll da Einer nicht auf der Stelle zum Raubvogel werden und hinfliegen und den Schurken die Leber aus dem Leib hacken? Ist das eine gehorsame vernünftige Tochter, die all diesen saubern Entdeckungen zum Trotz und Nichtsnutz, dem Bettelbuben die Stange hält, und nicht vom Fleck weg sein miserabliges Andenken aus ihrer Seele reißt, um ihn zu verabscheuen, wie wir alle es thun? Wie? he? was? ich frage.«
»Wie kann der Herr Vater nur glauben, was sie ihm da in die Ohren geblauscht haben?« jammerte Martina. Worauf der Alte: »Läugne Du die Sonne am helllichten Tage, und sag': es sey blinde Nacht, Du ungerathnes Madl. Ich will Dir den Kopf schon zurecht setzen.« – »Versteht sich,« meinte Idelstein. – »Ich hab' immer dem Seraphin Galgen und Rad von der Stirn' gelesen,« fügte Sprenger bissig hinzu. Er nahm dabei eine wollüstige Priese aus seiner vergoldeten Dose. – Tammerl, den der Zorn quecksilberig machte, wie einen jungen Luftspringer, eilte zur Thüre, und schrie hinaus. »Herein da, ihr Bursche. Peterl, wo steckst Du? Kölbl, wo hat Dich der Schwarze? herein da, sag' ich, oder ich komm' hinaus und reib' euch die Ohren. Herein, ihr mauderigen Vögel! Wird's bald?« –
Peterl schlich herein, blaß und gekrümmt, wie gewöhnlich; das leibhafte böse Gewissen. Mit entschlossener Verstocktheit folgte ihm Kölbl. – »Führ' mich fort,« bat Martina ihre Freundin: »mir wird übel vor allen diesen Menschen.« – »Nichts da,« knurrte Tammerl: »dableiben, aushalten, anhören aus dem Mund unverwerflicher Zeugen, was Du nicht glauben willst, Du blöde Nachtigal. Ich möcht' Dich abwürgen, Du gängeteGänker: ein Vogel, der zum Locken abgerichtet: wurde und nicht gerieth: – gänked, so viel wie distonirend. Kreatur; Du ruinirst mir meinen ganzen Vogelherd.« – »Liebe Frau, steh' mir bei!« stöhnte Martina, und ergab sich in ihr Schicksal. – Tammerl machte den kurzangebundenen Verhörrichter. Zum Sohn gewendet, fragte er barsch: »Wo 107 bist ausgeraubt worden?« – »Hinter Friedberg.« – »Wer hat's gethan?« – »Der . . . der Seraphin.« – »Hast ihn gut erkannt?« – »Im Gesicht und an der Stimme. Treff' ich Dich da, Du Spitzbub'? hat er gesagt; hab' Dich niemals leiden können, jetzt sollst Du mir bezahlen. Hat mich niedergeworfen, schier zertreten, und da ich ihn um's Leben bat, und ihm zurief, es würd' ihm daheim schlecht bekommen, wie er mit mir verfahre, hat er gesagt, indem er mir eine Kopfnuß nach der andern gab: Das für den Tammerl, und das für die leichtfertige Martina, und das für's ganze Haus. Zieh' aus, Halunk'; ich komm' nimmer heim.« – »Da haben wir's!« schaltete Tammerl mit einem gewissen Triumph ein. Dann wieder zum Peter: »War der Egidi auch dabei?« – »Wohl; . . . ich glaub's wenigstens. Es kann noch ein Dritter dabei gewesen seyn. Hau nur zu! Curascha! hat einer immer gerufen.« – »Richtig; das war der Engadiner; das ist klar.« – »Sonst weiß ich nichts.« – »Gut; was aber weißt Du Kölbl?« –
Als ob er auf einem Theater agirte, stellte der Werdenfelser den rechten Fuß vor den linken, legte die Hand ehrenfest auf die blanken Knöpfe seines neuen Hausknecht-Brusttuchs, und sprach vernehmlicher als sein Vorgänger: »Ich bin in Diensten der Generalstaaten von Holland gewesen, und . . . .« – »Das brauchen wir jetzt kaum zu erfahren,« unterbrach ihn Tammerl grob: »sag heraus, was Du von Seraphin und Egidi weißt, und lüg' nicht.« – »Ich hab's mit Augen angesehen – mit einem wenigstens – wie sich der Seraphin nach Batavia oder Suriname eingeschifft hat. Er war lustig, toll und voll von Kranewitter-Branntwein, sein Geldgurt war vollgestopft, wie er selber, und geschrieen hat er, wie zwanzig Mann: hussa, hussa, nach Indien! Pfietigott, Tirol, ich geh', wo die Welt mit Brettern vernagelt ist.« – »Nun?« fragte Tammerl mit einer Art von Selbstbefriedigung: »ist das 108 liederlich, ist das gottlos genug? – Weiter, Kölbl, Du hast etwas vergessen.« – »Kommt schon Meister. So hab' ich ihn denn gefragt, was werden sollte aus der Hochzeiterin und so weiter, die er daheim verlassen? Sagt er d'rauf: . . .« hier hielt sich Kölbl gleichsam verschämt den Mund zu – »nein, ich kann's nicht vor den Jungfern und vor den Herren sagen, was der Seraphin hierauf gesagt hat.« – »Weiß schon,« lachte Idelstein hämisch. – »Bald zu errathen,« lächelte auch v. Sprenger, und schöpfte abermals mit einem ganz besondern Blick auf Martina aus seiner Dose den vornehmen Spaniol. – »Also. Punktum,« sprach Tammerl der sich die Weste öffnete: »was ist ferner mit dem Engadiner passirt?« – »Er sitzt auf zehn oder zwölf Jahre im Amsterdamer Raspelhaus,« erwiederte Kölbl mit wildem Eifer: »der Hund hat einen Diener der Hochmögenden in Trunkenheit und Völlerei schwer verletzt, und mußte dafür in die Keuche, was ihn abhielt, dem jungen Dieb nachzulaufen.« – »Hat das alles seine Richtigkeit?« begann der Herr von Sprenger mit ermuthigender Freundlichkeit zum Kölbl. – »Alles selbst gesehen, gehört und dabei gewesen!« betheuerte Kölbl, wie zuvor die Hand auf die Brust gelegt: »ich will ein Jurament drauf ablegen, ich will das heilige Abendmahl darauf nehmen; alles pur und klar wie Gold, wie Sonn' am Himmel, weiß Gott!« – »So muß man's glauben,« bekräftigte Sprenger, »wenn man nicht vernagelt im Kopfe ist, Amen.« – »Wird 'chor seyn,« gab auch Idelstein dazu; und Tammerl hob noch einmal mit grimmigem Ton zu den beiden Vagabunden an: »Warum jedoch ihr Limmel, seyd's erst heut mit der höllischen Geschichte herausgeruckt? wie? was? habt's nicht schon gestern, nicht vorgestern gleich 's Maul aufmachen können?« –
Peterl stand wie ein Stock. Kölbl bezeichnete mit seinem blitzenden Aug' den Gefährten, als das Hinderniß eines Geständnisses, und Tammerl fuhr den Sohn an: 109 »Willst reden, Du Mocker, Du Gutedel? willst's einmal von Dir geben? wie? warum? he?« – Da küßte der Peter des Vaters Manschette, und gakezte unterwürfig, als wäre er zerknirscht durch und durch: »Hab' dem Herrn Vater'n und der Frau Mutter und der Martina nicht gleich das größere Herzleid anthun wollen. Hätt's noch nicht gesagt, wenn nicht der Kölbl an mir geprenzt hätte. Der Kölbl ist aber immer so grad heraus, und ich fürchte mich so viel arg, daß es den lieben Eltern 'n Verdruß machen möchte.« –»Ja so bin ich,« bemerkte Kölbl sehr bescheiden: »immer von der Brust weg: nichts im Sinn behalten, ehrlich und grob gradaus; aber der Peterl hat's dechter gut gemeint.« – Hierauf umarmte der Vater den Sohn mit großer Liebe und mit den Worten: »Soll mir Einer kommen und sagen, Du seyst nicht brav und treu, und ich schlag' ihn hinter die Ohren, daß er's Aufstehen vergißt. Bleib' nur immer so, mein Peterl. Ist Dir schon alles verziehen. – Jetzt, meine Herren, hab' ich aber genug. Und Du, Martina, wirst auch genug haben und Deiner Mutter die Hand küssen gehen, und sie um Verzeihung bitten, daß Du ihr nicht geglaubt hast. Der Herr von Sprenger entschuldigt schon; ich hab' jedoch mit dem Idelstein da 'was abzudiskuriren. Komm Er, lieber Freund.« –
Tammerl und der Pusterer gingen in des Meisters Kammer hinüber; Sprenger, nachdem er vergeblich Martina umkreist hatte, um ihr ein Gespräch abzugewinnen, begab sich still vor sich hinlächelnd und mit den Fingern schnippend in das Gemach seiner großen Freundin Martha; Martina, dem Befehl des Vaters zu gehorchen – damals waren die Kinder noch in allen Stücken gehorsam – ließ sich von Tante und Veverl zu der Mutter führen; und wiederum blieben Peter und Kölbl allein in der Stube zurück. Sie fingen einen Zweisprach an, heimlich, wie gewöhnlich; von Peters Seite furchtsam, von Kölbls 110 fahrläßig, gleichgültig, oberherrlich. Auch stand wieder Peter am Fenster und Kölbl saß wieder auf der Lotterbank. –»He, Kölbl? war's jetzt einmal recht?« – »Hast's brav gemacht.« – »Wenn nur schon aller Sturm vorbei wäre und uns nichts begegnet.« – »Pah, die sind gut aufgehoben. Der Egidi überdauert 's Raspelhaus nicht, und der andere wird schon in Surinam vom Fieber gefressen werden, wie tausend andere. Ist mir gar nicht bang.« – »Wenn's nur die Schwester, das blöde Thierl, aushält?« – »Nein, was ist's hernach? zuvörderst sind die Weiber lebig wie die Katzen; nachgehends hätt's nichts auf sich, wenn sie drauf ginge. Du erbtest dann den Vater und die Mutter und die Tante ganz allein.« – »s' ist aber eine Sünd', auf ihren Tod zu warten. – »Mein, mein, red' gescheit. Das ist der Lauf der Welt. Der Vater kriegt ein Schlagl, die Mutter die Wassersucht, die Tante stirbt an der Jungfernabzehrung. Nun, was weiter? Wir müssen einmal alle daran glauben.« – »Du bist ein harter Kerl,« murmelte Peter, schaudernd vor Bewunderung. – Der andere fuhr fort: »Bitt' mir nur aus, daß Du hernach nicht vergissest, was wir abgeredet haben. Umsonst ist nur der Tod, und auch er nicht. Was ist aber mit dem Kerl, von dem Du mir anfingst, zu erzählen, als der Herr uns rief? Er ist Dir auf der Straße nachgelaufen, hat Dich beim Namen gerufen?« – »Ja, denk': das macht mir wieder Sorgen. Ich glaub', es war der Mensch, mit dem ich in der goldnen Gans gekartelt habe. Weiß nicht gewiß, denn ich war dazumal vor lauter Wein nicht sehr bei Groschen. Doch rief er mich »Hepperger Peter,« so wie ich zu Friedberg überhaupt mich geschrieben habe.«
»'s war also lang vor meiner Zeit,« sagte Kölbl mit großer Ruhe: »Was weiter? wie? was?« – Der Schurke äffte behaglich dem Patron des Hauses nach. Peter schnitt dazu ein saures Gesicht; seine Eitelkeit mehr als 111 seine kindliche Liebe mißbilligte den groben Spaß. Doch fürchtete er sich vor dem Spaßmacher und that als ob er lächelte. Zu erzählen fuhr er fort: »Nun freilich vor Deiner Zeit. Du weißt ja – der mich so geschwind ausgesäckelt hat . . . . ein Landsmann; seinen Namen und sein Gesicht hab' ich rein vergessen; aber doch mein' ich, daß er's war, der mir heute nachlief. Ich hatte die Dummheit gemacht, mich auf den »Hepperger Peter« umzuschauen . . . .« – »O Dideltapp'« räsonnirte Kölbl. – »Freilich, ja freilich bin ich ein Steinesel . . . aber 's war einmal geschehen. Mir ging's wie ein Reitersabel mitten durch die Lungel und alle Eingeweide. Jedoch besann ich mich, und als er mich fragt: »Gelt Du bist's, Peterl?« hab' ich darauf gesagt: »Nichtsnutz, wär' mir nichts lieber; bin nicht Dein Peter und nicht der Hepperger-Peter. Mach' Dich durch!« – Sagt' er darauf, als wollte er mir in's Gesicht lachen: »Nun, nun, eine Frag' ist frei; sieht auch die Katz den Bischof an, und er ist doch ein g'weihter Mann. Wirf mich nur nicht aus'm Markt außer. Bin auch nicht auf einer Brennsupp'n hergeschwommen,« – und noch spitzige Grobheiten hat er gesagt, und von den Dukaten und Friedberg und der gold'nen Gans ummergeredtUmmerreden: etwas zu Gehör reden., daß mir blau und grün worden ist vor der Nase. Nur nicht verzagt! hab' ich mir gedacht, und das ernsthafteste Gesicht gemacht, recht unerschrocken. Du, hab' ich g'sagt: wir wollen, wenn Du 's nicht anders haben willst, gleich auf's Reine mitsammen kommen. Gehst mit, so zeig' ich Dich an, als einen von den Böswichtern, die mich ausgeraubt haben, und Du kommst in's Loch. Laß mich also aus, und geh' nacher Innsbruck, Deinen Peter zu suchen, denn ich hab' Sorg', es wird der Tammerlpeter aus der Vorstadt seyn, dem schon 's Mies auf'm Mantel wachst, so lang studirt er bereits und wie 's scheint akkurat nur auf Lumpereien. Hepperger ist ja gerade seiner Mutter Geschlechtsname.« – »Ist das wahr, Peterl?« fragte 112 Kölbl, von der scharfsinnigen Ausrede seines Zöglings überrascht. – »Wohl, wohl, und mir hat's ein guter Geist eingeblasen, daß ich gerade diesen Namen so aus der Luft herab, ohne an weiteres zu denken, gewählt habe.« – »Brav, Peterl! Wenn Dir selbiger guter Geist noch oft helfen thut, so wirst Du schon ein Balsam von einem Spitzbuben werden, so Dir's Leben bleibt.« – »Halt's Maul, und hör' zu. Meine Kuraschi hat dem Kerl den Daum auf's Aug' gesetzt und das Messer an die Gurgel. Er gab, wenn schon spöttisch lachend, daß man ihm nicht ansehen mochte, ob er Spaß machte oder Ernst, zu, daß er sich betrogen haben könne. Es seien jedoch einundfünfzig Dukaten beim Pater Philipp im Servitenkloster zu Waldrast für den Peter Hepperger niedergelegt, und der Hepperger solle sich nur getrost dort melden und seinen Stand beweisen und wenn alles geprüft worden, das Geld an sich nehmen. – Alsdann zog er den Hut ganz unterthänig vor mir ab, machte mir ein paar schielige Augen, und ging, wie ein Teufel so höhnisch seinen Weg weiter. He? hab' ich's gut gemacht?« – »Vielleicht. Ich hätte den Kerl in die Eisen legen lassen und als Straßenräuber behandelt.« – »Gut; wenn er aber die Friedberger Leute zur Zeugschaft berufen hätte? Wär' gar nicht übel, das? Friedberg liegt auch nicht außer der Welt, leider! was hälst Du davon?« – »Peterl, Du denkst an alles. Peterl, Du bist ein Hauptschnipfer. 's ist ganz recht so. Nur müssen wir's einrichten, daß wir die einundfünfzig Dukaten, die der Klosterherr hat, für unsre Müh' und Last bekommen.« – »Schön wär's; aber wie . . .?« – »Laß doch mich sorgen; das kommt später, und merk' Dir: was da auch geklagt wird – immer nur alles frisch auf den Sprugger geschoben. Zudem hab' ich einen Vogel pfeifen gehört: Dein Vater will Dich wegen des Geredes auf einige Zeit außer das Imster Revier thun. Nachher sollen sie nur sich heranwagen, die Geizkrägen. Ich will 113 sie schon abtrumpfen« – »Man sollte Dich auf ein Altarl stellen, Kölbl! Du bist halt mein Helfer in der Noth, und sollst, wenn ich einmal Herr bin, alles bei mir vollauf haben. Gewiß, das sollst Du.« – »Dank schön. Halten wir nur zusammen, sag' ich. Nehmen wir ein Seitl auf den Schrecken, Peterl?« – »Gar gern. Die Eltern haben alle Hände voll zu thun und zu richten. Wir wollen in den Buschen hinüber; dort ist's fein, dort ist's still, und ich hab' heut' so viel viel ausgestanden, und ich möcht' mir schon so ein lustiges Stieberl trinken.« – »Meinetwegen, Peterl, aber nicht zu viel, hörst Du? daß sie's nicht merken. Hast ein Geld, Peterl?« – »Vier Thaler, von der Mutter heimlich bekommen; das langt weit, Kölbl. Und sie merken heut gar nichts, und wenn wir brennten und feuerten; denn allen liegt genug im Kopf und 's bleibt ihnen nicht Zeit, sich mit uns abzugeben und an uns zu denken.« – »Hast wieder recht. Peterl. Alloh, marsch! Pfeifer, spiel' auf!« – Selbst des Pfeifers Amt versehend, nahm Kölbl Peters Arm unter den seinigen und schob sich mit ihm behutsam ins Hinterhaus, durch die Hinterpforte, in den einsamen Buschen.
Tammerl und Idelstein waren also in des Hausherrn Kammer. – »Weiß Er? da macht's kalt?« hob Idelstein an, sich die Hände reibend. »Um so geschwinder werden wir alles verhandelt haben,« meinte Tammerl. – »Hab' Ihm was vorzuschlagen,« begann abermal der Pusterer. – »Was? he?« – »Das ist eine ungerade Geschichte, die in seinem Haus.« – »Mein Gott und Heiland, ja wohl. Nun aber?« – »Die Weiberleut' wissen drum und halten 's Maul nicht. Der Sprenger ist auch ein altes Weib. Was dann? die Geschichte wird auskommen.« – »Kann seyn, ja, ja, kann seyn.« – »Er und sein Madl ist verschändet.« – »Er hat recht.« – »Die Martina nimmt Keiner mehr.« – »'s wär' nicht unmöglich.« – »Weiß Er was? mein Muckerl nimmt sie.« – »Wie? was? So?« – »Der Kerl macht sich nichts draus. Er fangt den Teufel im freien Feld.« – »Ah!« – »Er hat seines Bruders Pauline heirathen mögen, sie hat ihn nicht gewollt. Noch ein paar andre in Hall und zu Schwatz hätt' er mögen, aber es ist nichts draus geworden. Nun, 's thut ihm nichts.« – »Gott sey Dank.« – »Dank' schön. Weil ich nun grad da zu Imst bin, – ich hol' mir ein paar Rösser – möcht' ich mein'm Muckerl auch eine Braut heimbringen; 'was Apartes. Er nimmt die Martina, sag' ich Ihm.« – »Das freut mich, aber, lieber Freund, die Sach' ist zu bedenken.« – »Nichts da. Ja oder Nein.« – »Ich laß' das Madl nicht gern von mir. Wenn Er aus'm Pusterthal daher ziehen wollte?« – »Ich mag nicht.« – »Oder wenn sein Muckerl sich hier ankaufen wollte?« – »Das mag ich wiederum nicht.« – »Ja, da werden wir schwerlich zusammenkommen.« – »Das ist dumm von Ihm« –
Dieses Kompliment, in tiefster Gemüthsruhe ausgebracht, fiel wie ein Feuerbrand in's Pulverfaß. »Wer ist dumm?« fuhr Tammerl wüthend auf. – »Er.« – »Weil ich meine Tochter seinem dalketen Buben nicht hinwerfen mag?« – »Ja.« – »Haha! da muß ich lachen; ausschütten muß ich mich vor Lachen. Den Bauch muß ich mir halten vor Lachen« – »Weil Er ein Narr ist.« – »Das hat mir noch niemand gesagt.« – »So hört Er's von mir« – »Will Er still seyn, er Fackentreiber?« – »Laß Er mich aus, Vogelhanns, der Er ist.« – »Ich will Ihm beweisen, daß ich g'scheidt bin.« – »Wird mir lieb seyn.« – »Weiß Er, warum ich mich nicht mit Ihm verschwägern will?« – »Bin neugierig« – »Weil ich nicht haben mag, daß Er oder sein Bub' meine Martina plagen und sekkiren soll, wie sein armes Weib und seine Töchter es gewohnt sind. 115 Basta« – »Wie Er's versteht.« – »Er kann nur mit Vichern umspringen, aber nicht mit christlichen Menschen. – »Er ist ein zweischneidiger KerlZweischneidiger Mensch: ein Mensch bösartiger Natur, dem nicht zu trauen., Tammerl. Was geht Ihn aber mein Weib und was geht Ihn meine Glitschen an? he?« – Tammerl war auf diese bündige Frage ganz verblüfft. Der Zorn ging ihm aus. Den Andern hatte der ganze Auftritt ruhig gelassen. Ein bedeutend langes Stillschweigen stellte sich ein. Tammerl war heiß überall am Leibe; Idelstein blies auf seine kalten Fingerspitzen und hob, nachdem er sich vom vielen Reden erholt, grob und ungeschliffen an. »Was hat Er mir zu sagen? 's macht teuflisch kalt da. Weiß Er?«
Nun veränderte Tammerl sein aufgebrachtes Wesen in eine freundlichere Manier. »Ich möcht' den Peterl auf eine Zeit los werden, bis die ganze Sache eingeschlafen ist. Weiß Er noch, was Er mir einmal versprochen?« – »Ja.« – »Wollt' Er denn so gut seyn und den Buben in sein Haus nehmen?« – »Ja.« – »Der Peter ist zum Bäcker und zum Kaufmann verdorben. Mach' Er einen Bauer aus ihm.« – »Meinetwegen.« – »Ich kauf' ihm dann später ein Gütl, oder er erbt eins von der Tante Lenerl . . .« – »Geht mich nichts an.« – »Halt' Er ihn nur recht scharf.« – »Versteht sich.« – »Kann Er ihn gleich mitnehmen?« – »Mit meinen Rössern, ja.« – »Nun, die Hand darauf?« – »Ja.« – »Nicht wahr,« setzte Tammerl etwas geschämig bei: »wir bleiben die Alten?« – »Ja doch.« – »Er ist halt ein grober Pusterer!« lachte Tammerl, dem Freund die Hand schüttelnd. – »Und Er ein g'streichter Imster,« erwiederte der Andere, und ging, nach seinen Pferden zu schauen. –
Gedankenvoll, den kaum vorübergegangenen Streit und die schnelle Versöhnung überdenkend, müde auch von den Affekten, die der stürmische Morgen über ihn 116 gebracht, kam Tammerl, sich in der inzwischen leergewordenen Wohnstube niederzusetzen, als ein Besuch abermals seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Diesmal war's nicht der ungeschlachte Junker Roßkamm und Schenkwirth, sondern der feiner thuende Herr von Sprenger. Er schritt mit einer so gewissen statiösen Feierlichkeit in die Stube, daß Tammerl all seine Müdigkeit vergaß, und mit freundlicher Unterthänigkeit dem Gast, dessen adelicher Besuch ihm schmeichelte, entgegenging. Sprenger hatte seine bürgerfreundlichste Miene vorgenommen, und mitten durch seine stolze Herablassung schimmerte eine so milde Familiarität, daß des ehemaligen Bäckermeisters Seele gleichsam davor hinschmolz. »Nun, wie geht's jetzt, liebster Tammerl?« lautete des Besuchers erste Frage, während er sich vertraulich und bequem in den Lehnsessel vergrub, den Tammerl gerade eine Minute zuvor eingenommen. »Setzen Sie sich zu mir, liebster Tammerl;« sagte der wohlwollende Herr, nachdem der Meister auf die obige Frage mit Seufzen, unverständlichem Murmeln und Achselzucken geantwortet. Sprenger legte ein besondres Amabile auf das zum zweitenmale gebrauchte Schmeichelwort. Es klang dem ehrlichen Tammerl süß, und mit offnem Vertrauen setzte er sich, seinem edeln Freund gegenüber, auf einen Stuhl, der kaum für seine breite Figur Platz bot. Herr von Sprenger spielte noch ein bischen mit den goldnen Schnüren seines Pelzrocks, betrachtete sinnend die weichen glänzenden Stiefel von Kalbleder, die seine straffen Beine umhüllten, rieb den funkelnden Knopf seines Stocks noch funkelnder, ehe er leutselig in's eigentliche Gespräch einbog.
»Das ist eine verzweifelte Geschichte, ein großes Malheur, das über Ihr Haus eingebrochen ist,« sprach er: »glauben Sie, daß ich mitfühle, was Ihr Vaterherz und Ihre Bürgerehre leiden.« – Tammerl bückte sich 117 und seufzte wieder. »Was hilft's? geschehen ist einmal geschehen,« sagte er mit Ergebung. Hierauf der Herr von Sprenger: »Sie sind ein rechter Mann, Tammerl. Sie legen sich nicht hin und erkranken. Sie lamentiren nicht der Welt die Ohren voll. Ich achte sie hoch, und bin Ihnen aufrichtig dankbar.« – »Dankbar, gnädiger Herr? wofür?« – »Ei nun, haben Sie mir nicht einen großen Beweis Ihres Vertrauens gegeben, indem Sie mich zum Mitwisser Ihres Familiengeheimnisses machten? Ich bin Ihr Schuldner, wahrhaftig, das bin ich.« – »Sie machen nur G'spaß, Herr Baron . . . .« –
Tammerl, dem zum erstenmal begegnete, daß Sprenger ihn so fortdauernd und ehrenvoll mit dem noch nicht viel in Bürgerkreisen bräuchlichen Sie bedachte, avancirte den höflichen Herrn seinerseits, um nicht an Artigkeit zurückzustehen, ohne weiters zum Baron. Sprenger nahm's nicht übel: im Gegentheil wurde er noch freundschaftlicher, indem er fragte: »Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen gleich ein Stück Dankbarkeit abstatte? Sehen Sie: ich bin verschwiegen, wie ein Fisch; habe bei Hof schon ganz andere Dinge für mich behalten müssen; als Beamter hab' ich die wichtigsten Dienstgeheimnisse gleichsam in einer verschlossenen Schatulle bei mir getragen . . . . ist mir schlecht vergolten worden, doch thut das nichts zur Sache – kurz: meine Diskretion ist ein Faktum . . . .«
»Ein Fak – Faktum?« wiederholte Tammerl, den die vielen ausländischen Wörter einigermaßen verwirrt machten. »Außer allem Zweifel,« erklärte Sprenger geduldig, was sonst eben nicht seine schwache Seite war. »Ich werde nichts ausbringen. Da sind aber die Mädchen mit prickelnden Zungen; das ältere Frauenzimmer, das seine Sorgen nur in der Mittheilung an andere beschwichtigt; dem – Kölbl, glaub' ich – trau' ich auch nicht viel; der Alte aus dem Pusterthal . . . . der – 118 kann ich mich doch nie auf seinen Namen besinnen –« – »Der Herr von Idelstein,« bemerkte Tammerl dienstfertig, und mit spöttischem Lächeln hierauf der Hausfreund: »Von Idelstein, sagten Sie? Ohne Zweifel ein staubiger Adelsbrief, der nachläßigerweise in die Stallstreue gefegt worden ist, und deren Geruch angenommen hat? Nun, gleichviel. Der Mann ist hainbüchen, wie man bei mir zu Land sagt, und weiß nichts von Delikatesse, wird nicht reinen Mund halten . . .« – »Vielleicht,« versetzte Tammerl kleinlaut, und wunderte sich im Stillen, wie doch das Gespräch des Herrn von Sprenger so ganz genau demjenigen des Idelstein gleichlautete. – »Vielleicht,« fuhr Sprenger fort, »dürfte sogar Peter, das unschuldige Opfer der Betrügerei des Ausreißers, in seiner Einfalt nicht gar haushälterisch mit dem Geheimniß seiner Eltern umgehen . . .?« – »Der Bub' kommt aus dem Hause,« unterbrach Tammerl mit Eifer.
Sprenger schaute seinen Mann durchdringend an, neigte sich etwas vorwärts und sagte: »Recht, Sie sind ein vorsichtiger Vater, aber, lassen Sie sich rathen: thun Sie auch Ihre Tochter so geschwind als möglich aus dem Hause.« – »Wie? was? warum?« Tammerls Mund stand weit offen, aber noch weiter und zwar ängstlicher öffneten sich seine Ohren, als Sprenger die Worte von sich gab: »Die Welt wird mit Fingern auf sie zeigen; das Mädchen selbst wird sich zu einem Schatten verzehren, wenn sie in diesem Hause bleibt. Sie werden etwa ihren Tod aufs Gewissen kriegen, wenn Sie nicht alsobald dem Leben und Schicksal der armen Martina eine andere Wendung geben.« –
Aus diesem Gesichtspunkte hatte Tammerl, wenn schon der liebevollste Vater auf Erden, die ganze Sache noch nicht betrachtet. Um so mehr erschreckte ihn des Kavaliers orakelmäßige Vorhersagung. Er erinnerte sich an Martina's abgezehrtes Antlitz, an die in ihr 119 arbeitende Angst und Betrübniß. Er sah schon im Geiste den Sarg vor der Thüre, der da kam, sein geliebtes, theures Engelkindchen abzuholen. Der perlende Schweiß trat auf seine Stirn; er erhob sich rasch, und fragte mit zitternder Stimme – seine Hände und Beine bebten nicht minder –: »Bringen Sie mir eine schlimme Post, Herr von Sprenger? Ist das Madl krank, zu Bett, in den Zügen? Erlauben Sie . . . .« – Er machte Miene fortzugehen, aber die sanfte Hand seines Gastes hielt ihn zurück, zwang ihn mit Freundlichkeit, sich wieder niederzulassen. »Sie ist noch nicht bettlägerig, noch viel weniger am Sterben, guter Mann,« tröstete Sprenger. »Ich sage nur, daß alles schief gehen könnte, wenn Sie nicht ohne Verzug Ihre Vorkehrungen treffen.« – »Was meinen Sie? was soll ich thun?« forschte halb entgeistert der schmerzlich berührte Vater. –
»Jedesmal das beste Mittel, einen schweren Mädchenkummer zu kuriren, ist, das Mädchen zu verehelichen;« predigte der Herr von Sprenger gravitätisch, als ob ihn die Fakultät mit dem rothen Hut geziert hätte: »um so mehr ist dieses Remedium angezeigt, wenn eine Verehelichung schon auf dem Tapet gewesen, und durch einen nicht mehr zu reparirenden Umstand zurückgegangen ist. Die weibliche Natur, des Frauenzimmers eigentliches Leben, bester Freund, geht nur von einer Grundlage aus. Das Frauenzimmer ist berufen, dem Mann anzugehören, und welch ein Ende und Zwitterdaseyn daraus wird,. so jener Beruf mißkannt wurde, das, liebster Tammerl, zu beobachten, haben Sie nicht nöthig, weit zu gehen.« – »Aha, ich merk' schon: die Tante Lenerl, meine Schwägerin. Ja wahrhaftig, Herr von Sprenger, es ist schade um die Person. Sie können nicht glauben . . . .« – »Halten wir uns dabei nicht auf. Was ich sagen wollte, ist nur dieses. Um Martina wieder herzustellen und den Leuten die höchst ungewaschenen 120 Mäuler zu versiegeln, muß sie nothwendigerweise verheirathet werden.« – Ohne ein Auge von Tammerl abzulassen, schnupfte Sprenger bedächtig und Stäubchen für Stäubchen eine große gelbe Prise. Er hatte Zeit, Halskrause und Manschetten auszuschütteln; denn erst nach geraumer Frist, und den Hinterhalt des Kavaliers nicht übel errathend, versetzte Tammerl langsam: »Wär' mir schon recht, Herr Baron; aber wer wird eben jetzo die Martina haben wollen, und wen wird sie gerade jetzo mögen? wie? was? ich frage.«
Seine Rede kam stückweise, ein jedes Stück pfundschwer, als ob's auf dem Kirchenthurm zwölfe schlüge, zum Vorschein. Gerade ebenso begegnete ihr der Herr von Sprenger: »Und ich antworte: ein Imster wird sich sobald nicht finden lassen, denn, daß der Spitzbube Seraphin die Braut verlassen, bringt sie auf lange Jahre in Verruf, und der Herr hat mit dem Handel auch ein gutes Stück Geld verloren, was ebenfalls nicht geheim bleiben wird. Verstanden? Doch weiß ich Einen, der aus Freundschaft und Edelmuth, aus Passion seines Herzens und langes Attachement, sage Anhänglichkeit, an des Herrn Töchterlein, beide Augen zudrücken und beide Hände nach ihr ausstrecken würde. Ich weiß Einen, Herr, und derjenige hat in seinem Leben einem Grafen nicht den Antrag gemacht, den er heute seinem liebsten Freunde Tammerl macht.« – Der Herr von Sprenger erhob sich bei diesen Worten majestätisch aus seinem Sessel, und stand in der ganzen Höhe seiner gold- und juwelenbesetzten Figur vor dem Vogelhändler, der vor lauter Verwunderung über die pathetische Wendung, beide Fäuste auf die Knie gestützt, sitzen blieb, obgleich er etwas Aehnliches beinahe erwartet hatte. – »Versteh' ich Sie, Herr Baron?« stotterte er, da der Kavalier, adlermäßig auf ihn herabsehend, keine Miene zum Weitersprechen machte. – »Sapienti sat; das heißt: wer klug ist, wird 121 allerdings wissen, wo hinaus ich will,« entgegnete Sprenger, ohne seine Stellung zu verändern. Tammerl hing ein wenig den Kopf; dann lispelte er zögernd: »Eine Ehre, eine große Ehre für mich, mein Kind und die ganze Familie. Aber, hochgeborner Herr Baron . . . müssen's nicht übel aufnehmen . . . aber meinen der Herr Baron nicht vielleicht . . . wie sag ich nur . . .? daß Sie zum heirathen . . . zum heirathen mit einem so blutjungen Ding . . . daß Sie zum Beispiel ein bissel zu alt dazu wären?« – Da leuchtete es wie ein Blitz über Sprenger's Gesicht. Die Ader auf der Stirn wurde dick zum platzen, und das erglühende Antlitz fand kaum mehr Raum in der Halsbinde. Es drohte ein gewaltiger Donnerschlag auf Tammerls Haupt hernieder; auch duckte es sich unwillkührlich. Aber Gottlob, das Ungewitter verzog sich schnell, wie es aufgestiegen; die Sonne strahlte von der Stirn des Kavaliers, und mit einer wenn auch mühsam hervorgerufenen, dennoch nicht weniger gewinnenden Gutmüthigkeit, erwiederte der Verletzte: »Ich war gefaßt auf diesen Einwurf. Eigentlich hätt' ihn das Mädchen zuerst machen sollen. Der vernünftige Vater sollte bedenken, daß es in meinen Jahren und meinem Karakter liegt, gerade nur der in falsches Licht gestellten Jungfrau ein zweiter Vater, ein Beschützer und Rathgeber, mit einem Wort, derjenige zu seyn, der ihr gern zu Ehre und Ansehen in der Welt verhelfen möchte. Was darüber hinaus, ist Nebensache. Ich könnte zu meinen Gunsten vorbringen, daß die Zeit mich nicht so übel zugerichtet hat, wie manchen viel jüngern Mann, daß ich gesund und grün bin, wie ein Eichbaum, daß ich ein Vermögen besitze, das bei meinen Lebzeiten schon zu einer Freudenquelle für des Herrn Tochter, nach meinem Tode ganz in ihren Besitz überzugehen bestimmt ist; daß ich« – hier erhöhte er die Stimme merklich – »daß ich eines Standes mich erfreue, der keinem andern in der Welt zu 122 weichen hat, und daß mein Wappen – so gleichgültig meine Ansichten vom Adel seyn mögen – dennoch breit und hoch genug ist, um allen Unstern des Tammerl'schen Hauses gebührend zuzudecken . . . .; doch will ich alle diese zufälligen Vortheile nicht geltend machen; allein nur meine innige Hingebung für das Wohl des Herrn, dem ich lang befreundet bin, und die Intention, Sein Kind glücklich zu machen, wie es ein Bürgerlicher nicht leicht zu thun vermöchte. – Jetzt höre ich eben die Mittagsglocke läuten, und will nicht länger stören. Auch seh' ich des Herrn äußerst verständige Mutter kommen. Die würdige Frau weiß um meine Absichten. Sie wird sich mit dem Herrn benehmen. Thu' sich aber der Herr keinen Zwang an. Was hier verhandelt worden, soll Ihn nicht überreden und nicht verblenden. Ich hasse das und bleibe nach wie vor Sein vielgewogner Freund und der Frau Martha ergebenster Knecht.«
Mit einem leichten quasignädigen Kopfnicken, das Tammerl'n galt, und mit einem verbindlichen Bückling gegen die eintretende Martha empfahl sich der Herr von Sprenger, und sein Abmarsch war in der That ein stattlicher. Den übergewichtigen Eindruck, den des Kavaliers Anrede und Werbung auf Tammerl gemacht hatte, versuchte der Letztere gar nicht zu verbergen. Schon zeigte sich ihm der ganze Antrag in einem viel günstigern Licht, und die volle Gleichgültigkeit, womit Sprenger das Ja oder Nein zu erwarten vorgab – ein Beweis seiner reinen Uneigennützigkeit – hatte Tammerls Empfindungen für den Baron in partibus bis zur höchsten Verehrung gesteigert. Das Werk zu vollenden hatte Frau Martha übernommen. Sie predigte dem Sohn, der noch gewissermaßen unter'm Pantoffel der strengen Mutter stand, vom Nachtisch bis zum Abend, und tuschelte dann mit Marianne unter vier Augen bis in die späte Nacht. Die Vertraulichkeit der beiden Frauen, die sich Jahr aus Jahr ein gemeiniglich nicht ausstehen konnten, war eine seltene 123 Erscheinung im Hause, dafür aber um so bedeutsamer. Unter diesen allerlei Vorbereitungen und Unterhandlungen nahm auch Idelstein plötzlich Abschied, und rückte mit dem über seine gar so schnelle Hinwegnahme bestürzten und vom Buschenwein sehr erhitzten Peter noch am selben Abend bis Nassereit, wohin seine Pferde ein paar Stunden früher vorausgegangen waren.
Während alles dieses sich begab – im Zwielicht, das der Verliebten Morgenröthe ist – standen auf der Schwelle des rothen Adlers, aber auf der Schwelle eines Seitenthürchens, das vom Ab- und Zugehen der Wirthshausgäste nichts wußte, Genovefa und Oswald, und hatten sich bereits seit einer halben Stunde tausendmal Lebewohl gesagt, und waren dennoch immer stehen geblieben, um sich abertausendmal die Neuigkeit zuzuflüstern, daß sie sich gern hätten, lieb und werth hielten, und wie sehr! und auf ewige Zeiten kürzestens. Mitunter war wohl auch die Verwirrung in Tammerls Hause zur Sprache gekommen, und der in seinem Freunde tiefbeleidigte Oswald hatte grimmig genug gethan gegen alle Verläumder, Brod- und Brautneider Seraphins. »Müßte ich nur nicht fort,« hatte er gesagt, »oder besser: müßt' ich nur nicht fürchten, daß der alte grobe Tammerl, der jetzt seinem Buben und dem liederlichen Kölbl alles auf's Wort glaubt, mich als einen Mithelfer am erlognen Straßenraub einsperren ließe, ich wollt' ihnen die Wahrheit geigen, den z'nichten Menschen. Gelt Genovefa, Du glaubst ebenso wenig an Seraphins Schlechtigkeit, als ich, gelt? Und die Martina wird doch auch Raschon im Leib haben, und nicht am End' heulen, wie die andern Wölfe thun? Wenn ich nur nicht fort müßte!« hob er wieder an.
»Das ist auch mein Leid;« klagte still und bänglich Genovefa, und hielt den Schürzenzipfel vor ihre Augen: »kaum gefunden, so verschwunden! das steht auf dem beinernen Löffel, den mir einmal Seilers Toni – Gott hab' 124 ihn selig; er stürzte sich auf dem Ferner das Genik ein – von Sterzing mitgebracht hat. Willst ihn annehmen von mir, lieber Walt?« – »Gib her, daß ich mich Dein erinnre, so oft ich meine Supp'n oder mein Mus esse, Veverl. Ach, in meines Vaters Hüttl wird's schmal hergehen. Der Grödner, mit dem ich nacher Haus fahre, hat mir so viel Uebles von daheim erzählt. Der Vater hat sich in den Fuß gehackt, und liegt darnieder ohne Verdienst. Die Mutter – weiß nicht, wie sie's anfing – ist dran, mich noch mit einem G'schwisterl zu erfreuen, daß Gott erbarm . . . . die schöne Trine hat schon geheirathet . . . . die andern, Brüder und Schwestern, sind Hackstöcke, die nichts verstehen, als die Zunge im Maul zu haben. Ich muß schon hin, und nachsehen, wie's geht, und mein bissel Erworbnes in den Opferstock legen. Will mich auch um Arbeit umsehen, und sobald ich kann . . . .« – »Kommst Du wieder, Walt,« fiel Genovefa ein: »Gelt, Du schwarzer lieber Kraushaareter, Du kommst bald wieder?« – »Nu, das versteht sich; eher blieb die Sonne aus. Gott gebe nur, daß Deine Eltern so verständig seyen, wie die Tammerl's mit dem Seraphin gewesen sind, und daß wir kein Unglück haben, wie die Martina leider jetzo.« – »Ach, ich weinte mir die Augen aus dem Kopfe heraus.« – »Und ich – ich lief' in's Wasser – oder schluckte allen Grünspan, den ich habe.« – »Das wär' ein Elend, Walt!« – »Das wär' ein Sekkatur, Veverl!« – »Bleib' mir treu, Walt!« – »Wie ein Hnndl, mein Engerl. Aber Du, Du, wirst Du mich nicht vergessen?« – »Wär' mir nichts lieber. Du machst mit Gall', wenn Du so leichtsinnig fragst.« – »Sey nicht bös, mein Herzl. Wenn aber Dein Vater und Deine Mutter nicht wollten . . . .?« – Genovefa machte ein betroffenes Gesicht. »Ja,« sagte sie langsam: »wenn der Herr Vater und die Frau Mutter Nein sagten . . . .« – »Nun, nun, dann? was thätst Du alsdann?« – »Ich weiß nicht, Walt, ich weiß nicht; 125 aber leid thät' mir's zum Sterben . . . . und ich ginge dann lieber unter die FlecklschwesternFlecklschwestern: Tertiarinnen, Schulschwestern; in Brixen von Maria Hueber in's Leben gerufen., als einen Andern heirathen.« – »Wohl?« – »Gewiß und wahrhaftig.« – »Schau,« rief Oswald lustig, denn er lachte, wenn er sich sein fröhliches Veverl in dem traurigen Habit vorstellte: »schau, Du bist halt ein prächtig's Diendl, und wenn Du das thust, so geh' ich unter die Kapuziner, laß' mir einen langen Bart wachsen, und wir lieben uns dann geistlich. Willst Du?« – »Ach, Du ein Kapuziner!« lachte auch Veverl herzlich: »Du mit einem langen Bart! das wär' gar aus!« Oswald und sein Mädchen lachten und kicherten um die Wette. »Was hat's denn da unten für einen Tanz?« fragte eine fette Stimme aus dem obern Stock zum Fenster heraus. – »Der Vater! leb' wohl!« Erschrocken flüchtete sich Veverl in's Haus. Seinerseits nahm Oswald Reißaus. Als er jedoch durch die lange stichdunkle Gasse hinaus zum »Kitz« tappte, machte er sich Vorwürfe, daß er lang nicht alles seinem Schatz gesagt hatte, was er sich vorgenommen, ihm mitzutheilen. Er würde zwar immer eins und dasselbe gesagt haben, aber der Verliebten Wörterbuch besteht auch nur auf allen Blättern immer aus einem und demselben Spruch: »Ich bin Dir gut!« 126