Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

 

Junker. Ich glaube vermuthen zu dürfen, daß dieser Vogelsteller ein recht lustiges Leben führt.

Rüpel. Lustig, weil frei, und wo wäre ein Dieb, der nicht in strafloser Freiheit lustig lebte?

Junker. Ein Dieb? Rüpel, du bist unbescheiden. Dieser harmlose Vogelsteller wäre ein Dieb?

Rüpel. Nun ja doch. Zuvörderst stiehlt er unserm Herrgott den Tag ab; sodann stiehlt er den Vögeln ihre lustige Heimath und goldene Freiheit. Endlich stiehlt er den Leuten das Geld aus der Tasche, indem er ihnen den wilden Waldgesang für schöne Musik verkauft. Es ist schon oft Einer um weniger gehenkt worden.

Das alte Schauspiel vom Junker Kybitz.

Auf den glückseligen Inseln, die man die kanarischen nennt, wo die afrikanische Sonne regieret, daher Wärme, Licht und Leben dort Alles durchdringen, zeitigen und in feenhaften Farbenglanz tauchen, ist das harmlose Geschlecht der gelben Eilandsperlinge zu Hause, die noch heute so gerne in nordischen Wohnungen als Lust- und Freudensänger gefangen gehalten werden. Ihre Lieder, so zauberisch durchschallend die dunkeln Haine des heißen Vaterlandes, haben schon frühzeitig in Europa die Begierde nach den niedlichen Musikanten rege gemacht. Kaufmännische Spekulation hat zur selben Zeit daraus Nutzen zu ziehen gewußt. Die Spanier, ein Volk, das vor allen übrigen die Kunst des Monopolisirens verstanden, waren lange dieses Handels Herren geblieben. 2 Sie hatten die europäischen Häfen ausschließlich mit den sogenannten Zuckervögeln, den Lieblingen der Frauen, versorgt. Da wollte einmal der Zufall, daß ein nach Livorno bestimmtes spanisches Schiff, das nebst andern Waaren manches Tausend von Kanarienvögeln an Bord hatte, hart an der italienischen Küste Schiffbruch litt. Während der Schrecken dieses Unfalls waren die Bauer der Vögel aufgegangen, und die goldgelben Sänger, als hätten sie's verabredet gehabt, flogen allesammt westlich und ließen sich als freie Ansiedler auf der Insel Elba nieder. – Von jenem Tage war das Handelsmonopol zu Ende, und der spekulirende Italiener holte von Elba, was er an Kanarienvögeln brauchte; und weil nun leicht zu ersehen, daß dieses zarte Geschlecht auch auf fremdem Boden heimisch zu werden geeignet, so fanden sich bald in nördlichen Ländern Leute, die aus Liebhaberei oder Gewinnsucht die allenthalben begehrten Fremdlinge in großen Parthieen hecken ließen, um die Jungen zu erziehen und zu verhandeln. Tirol, das Land derjenigen Industrieen, die, dem Anschein nach geringfügig, ansehnliche Resultate erzielen, wies auch die Zucht der Kanarienvögel nicht von sich.

Es vereinigten sich mehrere Umstände, den Markt Imst im Oberinnthal zum Mittelpunkt des Handels mit geschwätzigen Vögeln zu machen: die eingeborne Neigung des Oberinnthalers, umherzuwandern je weiter je lieber, um ein Stück Geld in die rauhe Heimath zurückzubringen; der lange Winter, der ihm erlaubt, Beschäftigungen im Hause beharrlich nachzugehen; endlich ein fanatischer Hang zur Vogelstellerei und ein besonderes Behagen an der Abwartung, der Zähmung und am Abrichten des kleinen Federvolks. Dieser Trieb, dem Gefieder nachzustellen, macht noch gegenwärtig Epoche in dem Leben des Imsters. Wohl öfter legt Einer sechs bis acht Stunden in Berg und Wald zurück, um einen Fink oder 3 Rothkropf zu fangen, von dessen Schlag der Volksmund Rühmliches berichtet hat.

Diese Liebhaberei ist früher noch eifriger betrieben worden. Die Häuser der Reichen wie die Hütten der Armuth wiederhallten vom Gesang der Vögel des Waldes. Die hitzigsten Dilettanten scheuten nicht Zeit noch Mühe noch Kosten, um eine möglichst große Bevölkerung von Vögeln in ihren Wohnungen anzulegen. Der Hausherr mußte seinen wohlabgerichteten Staar, seine spruchreiche Amsel haben; die Hausfrau eine süßflötende Nachtigall und eine Wachtel, die unermüdliche Weckerin; die Kinder vergnügten sich mit gurrenden Tauben, an dem possierlichen Anstand des Gimpels, an der Jagdlust des Fliegenfängers.

Der Kanarienvogel wurde mit Enthusiasmus in den Kreis der heimischen Sänger aufgenommen. Die Männer vertrieben sich die Zeit mit der Besorgung der Hecken, die muthwilligen Kleinen des Hauses schleppten Taxen und Futterkräuter für die herzigen Schreier zusammen; das weibliche Geschlecht zog den zierlichen Vogel in den Bereich der Toilette; denn zum häuslichen Sonntagsstaat gehörte bald der Kanari auf dem Zeigefinger der rechten Hand. Mit diesem Schmuck, so unentbehrlich als der goldne Ring, saß die Ehewirthin am Sonn- oder Festtagnachmittag im Erker ihrer Stube, vollkommener Ruhe pflegend. Mit dem Vogel auf der Hand wurden die Besuche angenommen, und eine Hauptwürze derselben waren die Erkundigungen nach dem Befinden des gelben Schäckers, die Lobreden auf seine Talente, und das zarteste Streicheln seines Gefieders. Wer sich in einem Hause einen Stein in's Brett setzen wollte, brachte beim Besuch ein Stück Zucker für den Kanari mit. Eine Frau, die etwas gelten wollte, ließ sich nicht malen, als mit dem Kanari auf dem Finger.

4 Während nun die Weiber die Vögel hätschelten und die Kinder mit ihnen um die Wette schrieen, handelten die besonneneren Männer damit. Gewöhnlich trat eine kleine Gesellschaft zusammen, schoß eine gewisse Summe – in der Regel fünfzig bis achtzig Dukaten auf den Mann gerechnet, ließ dafür einkaufen, was an Vögeln und andern Dingen zu einer Expedition vonnöthen, dingte einige Träger auf, deren Kopf gescheit, und deren Beine bereitwillig genug waren, vor einer weiten Reise nicht zu erschrecken, und ließ dieselben apostelmäßig in alle Welt gehen: nach England, Holland, Rußland, nach der Türkei und den levantischen Scalen. Was die grundehrlichen Träger heimbrachten, wurde redlich unter die Theilhaber nach Maßgabe der Aktien vertheilt und mit dem Ueberschusse weiter spekulirt. Die Natur gab ihren Segen zu dem seltsamen Handel, indem sie den im nördlichen Himmelstrich gezüchteten Vögeln ein schöneres und mannichfaltigeres Gefieder und trefflichere Stimmen gab, als ihnen ihr ursprüngliches Vaterland zu verleihen vermag; so zwar, daß in Kurzem kein Mensch, weder in Moskau, noch in der englischen Peerschaft, noch in des Großsultans Harem, von den Spaniern mehr einen Kanarienvogel kaufte; der Vorzug blieb den deutschen, vor allen den in Tirol gezogenen Vögeln. –

Unter Denjenigen, die den Vogelhandel betrieben, als Kapitaliendarstrecker und großartige Unternehmer, zeichnete sich in den letzten Jahren des Kaisers Karl des Sechsten der ehemalige Bäckermeister Peter Tammerl zu Imst glänzend aus. Meistens machte er seine Geschäfte allein; es war eine besondere Gunst zu nennen, wenn er dann und wann einem Freunde oder Gevatter gönnte, daran Theil zu nehmen. Tammerl war in dem bewußten Artikel der »königliche Kaufmann« vom Imst. Seine ungemessene Vogelpassion hatte ihn in Stand gesetzt, die vorzüglichste Waare zu erzeugen, zu liefern und 5 einzukaufen. Sein Unternehmungsgeist, verbunden mit seinem Vermögen, that das Uebrige. Abgesehen von dem Glück, das ihm auf der Bäckerlaufbahn, wie in jedem andern Geschäft, beständig hold gewesen, so war auch schon seines ganzen Wesens Beschaffenheit von der Art, daß Tammerls Mitbürger vor ihm Respekt haben mußten.

Der Kern dieses Mannes war durch und durch der eines wackern Tirolers: Redlichkeit, unbeugsame Freimüthigkeit, die strengste Pünktlichkeit in der Erfüllung aller seiner Obliegenheiten, von Empfindsamkeit keine Spur, aber dafür ein unerschütterlicher Grund von Religiosität und Menschenliebe. Diese letztere kostbare Eigenschaft war indessen nicht wenig verschleiert durch einen guten Beisatz von Egoismus und Stolz. Tammerl wußte sich viel mit dem selbsterworbenen Wohlstand, mit dem unbefleckten Ruf von Ehrlichkeit, den er von Vater und Mutter, von Groß- und Urgroßeltern ererbt hatte, und mit den Reisen, die er, das Bäckerhandwerk zu erlernen, und als Geselle zu betreiben, in's Reich hinaus gemacht. Er schrieb sich einen gewissen, in der Fremde erlernten Takt, eine Unfehlbarkeit zu, die freilich gar oft nicht Stich hielt; im Grunde besaß er aber nur die Klugheit, sich in Geschäften nicht betrügen zu lassen. Sein Patriotismus war steif und fanatisch. Das Ausland war ihm ein Gräuel, wenn ihm gerade nicht beliebte, dessen Vorzüge herauszustreichen, insofern es galt, einen hartnäckigen Disputirer zum Schweigen zu bringen; denn er vertrug nicht leicht eine Widerrede, wenn nicht von seiner Frau, die in allen Stücken über ihn den Scepter schwang, obgleich er's den Leuten nicht gestehen wollte. Vor Allen haßte er die Bayern und was mit ihnen zusammenhing; er wußte zwar nicht einen triftigen Grund für diesen Haß anzugeben, und hatte selbst einen Bayer in seinen Diensten, dem er nicht wenig anvertraute. Nächst dem Bayer'schen Volk haßte er indessen auch die 6 Hauptstädter seines Vaterlandes selbst, die Innsbrucker, in einem hohen Grade. Er hatte dort einige Jahre seiner Jugend auf den Schulen zubringen müssen, war gehudelt und geärgert worden; ferner lebte daselbst sein Bruder, ein Spezereihändler, mit dem er – wie man sagt – beständig ins Kreuz gewesen. Gründe genug für ihn, das Fegefeuer seines Knabenalters zu verabscheuen. Jene schlimme Zeit hatte jedoch eine ehrenwerthe Tugend in ihm keimen gemacht: die Liebe zu seinen Kindern. Er suchte an ihnen gut zu machen, was an ihm die allzustrengen Eltern verdorben, und wenn auch nicht selten seine Liebe die Schranken der Mäßigung und Vernunft zu durchbrechen suchte, so war doch seine Ehefrau bei der Hand, die Verirrungen der väterlichen Schwachheit zu zügeln. Sie war ein Weib von gutem Herzen und hellem Verstande, und nicht mit Unrecht ordnete sich ihr der Gatte unter. Er verehrte sie wie den Altar, predigte stets von ihr als von einem Muster aller Frauen, und hatte immer gewußt, heldenmüthig zu widerstehen den Angriffen, die seine eigene Mutter, besonders zu Anfang seiner Ehe, gegen die Schwiegertochter versucht hatte. – Zu dem Umriß des Tammerl'schen Charakters gehört noch beizufügen, daß er bei Gelegenheit abergläubisch war, wie ein altes Weib; daß er gern prahlte, hin und wieder eine harmlose Lüge sich erlaubte; daß er seine Heimath Imst für die Krone der civilisirten Erde hielt, und daß seine Passion für die Vögel, selbst unter seinen passionirten Landsleuten, für eine wunderlich ausgebildete Leidenschaft galt. Er lebte und webte in seiner Liebhaberei; er hegte eine große Menge von Vögeln aller Gattungen, hielt Colonieen von Mehlwürmern und Regenwürmern, Magazine von Ameiseneiern und Kanariensamen, Pflanzungen von Rübsamen und Vogelkräutern und Beeren jeglicher Art. Wer ein paar Stunden in der Runde eine geschickte Schlinge zu drehen wußte und den 7 Vogelfang verstand, war in Tammerl's Solde. Es nistete in der Umgebung kein Singvogel, kein Strichvogel, so zu sagen, passirte das Imster Territorium, von dem Tammerl nicht die erste Kunde erhalten hätte. Gab es nicht Vögel zu fangen, so bosselteBosseln oder bäscheln oder basseln: immerfort an irgend einer leichten Arbeit thätig seyn. Tammerl dennoch allerlei, was auf seine Liebhaberei Bezug hatte: er fertigte Käfiche von allen Gestalten, richtete kleine Drehorgeln ein, und damit seine Spezialvögel ab, dressirte einen TschaffitTschaffit: eine kleine Eulen-Gattung, die sich zum Vogelsang abrichten läßt. Der Tschaffit wird auf einen künstlich bereiteten Busch gesetzt, an welchem viele Leimruthen befestigt sind. Alle umherstreifenden Vögel stoßen auf ihn und verfangen sich in den Ruthen. nach dem andern, bis er einen recht gelehrigen gefunden, und verschmähte sogar nicht, hin und wieder ein italienisches Buch von der »Vogelstellerkunst« durchzustudiren, wenn schon das Lesen nicht sehr bei ihm in Achtung stand und nur die Praxis, nicht die Theorie, ihm grün ins Auge lachte.

Dieser Mann nun, mit seinen großen Vorzügen und geringen Mängeln, war seit einiger Zeit von seiner Familie und seinen Freunden so niedergeschlagen befunden worden, daß sie für seine Gesundheit nicht das Beste hofften. Es floh ihn der Schlaf, der Appetit, die Heiterkeit. Der Gebrauch des Bades von Ulten, dem er sich seiner Fettleibigkeit zu Ehren unterzogen, schien, statt einer günstigen, eine schlimme Wirkung auf ihn gemacht zu haben. Kaum, daß ein derber Scherz den Schatten eines Lächelns um seinen Mund zauberte; kaum, daß ein halbgeräuchertes Rippenstückchen vom selbstgeschlachteten Schweine – der Delikatessen erste – seinen Gaumen einen Augenblick verführte: unmittelbar nach dem Scherz und dem Rippenstückchen nahm ihn wieder die schwarze Betrübniß in den Arm, um ihn lange wieder nicht loszulassen. Höchst bedenklich war, daß gerade in der Mitte seiner geliebten Vögel das Uebel noch ärger wurde. Er schüttelte den Kopf beim Gesange seiner Spezialen; sein Elstermännchen sagte vergebens hundertmal in einem Athem das vielbeliebte: »Schau, schau, Peterl, wie geht's?« – Wenn das Staarl vom Fensterbalken 8 noch so oft hereinrief: »Halt! wer da?« oder: »Pfietigott, Natz!« – dennoch wollte Tammerls Stirne sich nicht aufheitern. – »Gebt's acht,« sagten die Leute mitleidig: »der Tammerl wird's nimmer lang machen!« – Die Familie zerbrach sich völlig den Kopf; aber alle ihre Fragen und Muthmaßungen führten zu nichts. Tammerl sagte nicht, was ihn quälte, der Doktor fand seinen Puls und seine Zunge in Ordnung, der Beichtvater war mit seinem Gewissen zufrieden. Sein Seelenzustand wurde daher mit jedem Tage räthselhafter.

Da geschah es, daß Tammerls Vogelwärter – ein altes Mandl – starb. »Was wird Tammerl jetzt thun und sagen?« fragten Alle, die Theil an ihm nahmen. Die Einen glaubten, die verdoppelte Beschäftigung – da des Assistenten Tagwerk jetzt auf des Herrn Schultern zurückfiel – würde den Melancholischen zerstreuen; die Andern fürchteten, das Absterben des alten Dieners würde den Meister noch tiefsinniger machen. Zur Verwunderung der Letztern wurde indessen der Meister um vieles heiterer, pfiff wieder halbverstohlen sein Leibstückchen, und brütete einen kleinen Vorsatz aus, der jetzo erst Gelegenheit zum Reifen hatte.

Sein Herzblättchen Martina fand ihn eines Tags, da sie hinausgegangen war, ihren Rothkropf zu besuchen, vor des Vogels Käfich stehen, behaglich die Hände auf dem Rücken zusammengeschlagen, und gedankenvoll den Vogel betrachtend, der eben sein Eimerchen mit Wasser zog.

»Wie geht's denn dem Herrn Vater?« fragte das Mädchen schmeichelnd, indem sie ihm den Daumen küßte. – »Bist da, Tina?« fragte er freundlich entgegen: »kommst mir gerade recht. Weißt du noch, von wem der Vogel da ist?«

Martina wurde glühend roth und erwiederte, ihres Vaters Anfrage verdächtigend: »Ich weiß nicht mehr, 9 Herr Vater. Die Kreuzwirthin hat Dreie genannt: den G'streichten . . . .« – »Nichtsnutz.« – »Einen gewissen Oswald . . . .« – »Wieder nichts nutz. Ich will den wissen, der den Vogel gehabt hat, ehe er uns in's Zimmer ist gestellt worden.«

Martina schwieg betreten. Sie fürchtete, sie wußte selbst nicht was. Doch fiel ihr alsogleich ein, daß sie erst vor ein paar Tagen dem Seraphin, dessen Name wie mit Feuer in ihr Gedächtniß geschrieben war, durch die Landzigeunerin einen Zelten geschickt hatte und einen Gruß. »Wenn der Vater davon gehört hat . . . .« fragte sie sich ganz leise, und dachte mit Schaudern an Ruthe und finstere Kammer. Darum schwieg sie noch hartnäckiger, bis endlich Tammerl mit einem Gesichte voll von Güte wieder anhob zu reden, und zwar auf eine Weise, die in des Mädchens Ohr wie Tanzmusik klang:

»Wenn ich mich recht besinne, so hat der Vogel dem Burschen gehört, der mir auf der Alpe Branntwein verkauft hat, und dem sie hernach seinen Enzian gestohlen haben?« – »'s wird schon seyn,« versetzte Martina, die recht fein abwarten wollte, was etwa hinter den freundlichen Reden des Vaters stecken möchte. Er fuhr fort: »Wenn ich mich ferner recht besinne, so hat der Bub' ein Gesicht, wie ich's dem Peter wünschte, und es ist schade, einen Branntweinträger aus einem Kerl zu machen, der einen Vogel abzurichten weiß, wie dieses Rothkröpfl abgerichtet ist.« – »Hm, hm,« brummte Martina, dem Anschein nach gleichgültig vor sich hin. Tammerl wendete sich eifriger zu ihr:

»Hm, hm? das verstehst Du nicht, Fratz. Der Vogel ist kapital, ich hab' nie etwas Schöneres von einer Abrichtung gesehen. Du weißt gar nicht, wie schwer es einem Rothkröpfl eingeht, das Lernen. Der Bub' muß eine ellenlange Geduld und eine glückliche Hand haben, das muß er.« – Martina horchte fleißig auf, aber es kam noch besser.

10 »Wenn ich's bedenke,« sagte Tammerl, indem er sich in Bewegung setzte, um auf und ab zu spazieren: »wenn ich's bedenke, so hätte meine Kanarienzucht und mein ganzes Federvolk in Bausch und Bogen weit mehr in Aufnahme gebracht werden können, wenn nicht der Bros ein so gar alter verdrießlicher Narr gewesen wäre. Nun, Gott hab' ihn selig, aber es war nichts anzufangen mit dem Menschen. Ein junger, flinker, frischer Bub' wär' allemal viel gescheiter an einem Platz wie dieser. Die Vögel gedeihen besser unter jungen freigebigen Händen. Siehst du, Martina? der Rothkropf ist noch einmal so feist und lustig geworden, weil du ihn fütterst, du lieb's Schatzl!« –

Martina ließ sich willig von dem Vater abküssen, und dachte dabei nur: »Wenn er wüßte, daß ich dem Rothkropf immer die doppelte Portion gebe . . . .!«– Aber der Vater ahnte nicht von ferne die übertriebene Freigebigkeit, sondern fuhr fort, so lieb und gut zu seyn, wie schon lange nicht mehr. »Was hat er denn nur?« fragte das Mädchen heimlich ihren Verstand: »wenn ich wüßte, daß es zu etwas gut wäre, ich sagte ihm schon den Namen des tappigen Buben, den ich so gern habe, wenn gleich er mir davongelaufen ist!«

Und gerade, da Martina also fragte, fragte auch wieder der Vater, und zwar sehr entschlossen: »Denk' ein bissel nach, Tina. Wenn schon die Kinder kein Gedächtniß haben, wie soll's uns alten Leuten ergehen? Besinne Dich. Wie hieß wohl der Bube?« – »Ja mein Gott: Seraphin heißt er, denke ich,« platzte Martina heraus. – Der Vogelfreund klopfte in die Hände, und wiederholte den Namen sehr befriedigt. »Das ist einmal etwas,« lachte er: »jetzt sollte uns der Schreibname doch noch einfallen; he?« – »Seraphin Plaschur; da hat ihn der Herr Vater,« erwiederte das Mädchen kleinlaut: »was will aber der Herr Vater mit dem Buben anfangen?« – »Das braucht noch gar niemand zu wissen,« versetzte Tammerl, und gab der 11 Kleinen ein zärtliches ZwickerbusserlZwickabussel: ein Kuß, wie ihn die Kinder gerne ihren Eltern geben, indem sie dieselben mit beiden Händen an den Ohren oder Wangen festhalten.: »und damit es niemand erfahre, sage ich's meinem lieben Schwätzmaul auch nicht, und damit solls vor der Hand gut seyn.« – »Wenn ich aber dem Herrn Vater in die Hand verspreche, daß ich nicht der Frau Nahndel und nicht der Mutter und nicht der Tante Magdalene sagen will, was der Herr Vater vorhat . . . .?« fragte Martina als eine echte Schmeichelkatze, und hüpfte dem Vater, der sich lächelnd niedersetzte, auf die Kniee und kratzte ihm das Kinn so freundlich, daß sie gewiß ihren Zweck erreicht haben würde, denn in einer weichern Stimmung war Tammerl noch nie gesehen worden. Aber der Zufall wollte die Verständigung nicht. Während Tina bat wie ein unwiderstehlicher Engel, und Tammerl sich geberdete wie ein Sünder, der schon zu drei Viertheil bekehrt ist, und dem Durchbruch der Gnade nicht mehr ausweichen mag, klopfte eine rauhe Faust, und öffnete gleich hernach die Stube. Das lange backenbärtige Gesicht des Egidi schaute herein. »Buon gi! ist Erlaubniß, zu kommen?«

»Gerade a tempo,« erwiederte Tammerl, und schob die übel verdrossene Tochter zur Seite: »als ob ich Dich gerufen hätte, Egidi. – Geh, geh, Tina, geh jetzt hinunter. Die Jungfer Tante wird schelten, daß Du von der Arbeit so lange außen bleibst. Geh; grüße Deine Nahndel recht schön von mir, und die Mutter solle mir was rechts kochen; denn ich hab' nach langer Zeit wieder einen Wolfshunger.«

Martina wagte nicht ein Wort der Einrede, und schickte sich an, zu gehorchen. »Charetta!« sagte der Engadiner, der sie im Vorübergehen auffangen wollte: »gibst mir nicht ein' bitsch?« – Martina stieß jedoch den unwillkommenen Störer zornig von sich, und ging mit der übelsten Laune die Treppe hinab.

Egidi hatte sich indessen vor dem Prinzipal in Ordnung aufgestellt, seine Haare möglichst glatt gestrichen, einen Fuß, wie ein deklamirender Jesuitenschüler, in Parade vorgesetzt, und kaum war Tammerls Anrede: »Was willst 12 Du, Egidi?« gefallen, so fiel auch schon die Antwort, als wie geflügelt: »Ich bin da, weil alle Leute sterben müssen, und unter ihnen ist auch gewesen Ambrosio; ich komme tras causa de la mort des Ambrosio . . . .« – »Wie so? willst du ihn lebendig machen?« – »Ca nun, ca nun, Meister; nichts weniger, als das. Aber weil einmal Ambrosio gestorben, so ist darum ein anderer Fumeilg für die Utschals nothwendig, und ich möchte dem Padrun einen vorschlagen.« – »Thut mir leid; kommst zu spät.« – »Ca nun, ich glaube nicht. Jau hai spronza, daß ich wirklich komme a tempo. Ich weiß einen braven Giuven, der . . . .« – »Nichtsnutz: gilt nicht, kann nicht seyn.« – »Par amur da Dieu! das kann nicht seyn, daß es nicht seyn kann. Ich habe dem Meister schon einigemal den Giuven vorgeschlagen . . . . der Meister hat aber nicht gehört, und den Egidi vergessen, und im besten Fall gesagt, es sey kein Platz. Aber oz ei dependa mei dad els, nach dem Tod des Ambrosio meinem Giuven das Uffizi zu geben.« – »Wie gesagt, es kann nicht seyn; denn ich hab' den Dienst schon Einem bestimmt, und du sollst mir den Menschen herbeischaffen« – »Jau sunt a lur Cumond. Aber ich hätte nicht gedacht, daß der Meister den ehrlichen Egid so ganz zurücksetzen würde.« – »Ein andermal. Jetzt aber 's Maul gehalten, und aufgepaßt!« –

Nun erzählte Tammerl sehr weitläufig, wie lange ihm schon im Sinne gelegen, die Stelle eines Vogelwärters mit einem bewundernswerth geschickten Subjekt zu besetzen, wie ihm die Idee, gerade weil sie wegen des Ambros nicht auszuführen gewesen, Hunger und Durst vertrieben habe, und wie er jetzt alles daran setzen wollte, um seinen Mann an die Stelle des Seligen zu bringen. Kaum hatte er jedoch Seraphins Namen genannt, als ihm Egidi ohne Weiteres um den Hals fiel, und ihm bedeutete, daß kein Anderer als eben Seraphin der Schützling sey, von dem er so oft, wenn gleich oberflächlich, nur um die Bereitwilligkeit 13 des Herrn zu sondiren, gesprochen hatte. – Dem Bäckermeister wurde leicht im Gemüthe. Er befahl, den Burschen herbeizuschaffen. Der Engadiner redete vom Grödner und dessen vormundschaftlichen Rechten. Tammerl klopfte dafür auf seine Taschen, die von Thalern klangen. Der Engadiner erklärte sich bereit, den Buben ohne Umstände heimlich wegzuführen. Tammerl nahm das Anerbieten an; ihm lächelte der Gewaltsschritt. Er stellte Schlitten, Geld und den bayrischen Koloman zu Egidi's Verfügung, und bedung sich nur die größte Schnelligkeit in der Ausführung des Unternehmens. »Wenn's Dir nicht gelänge, den Buben zu kapern, oder wenn er Dir abgejagt würde,« sagte Tammerl zum Abschiednehmenden, »so wollte ich lieber ein paar Ohrfeigen aushalten, denn mir liegt der Bub am Herzen, weil kein besserer Wärter für meine Vögel lebt, und weil aus dem geschickten Buben eine Säule für mein Geschäft hervorgehen wird, wie ich nicht zweifle. Also mach' deine Sachen wohl, und reiß aus, um bald wieder da zu seyn!« – Der Engadiner versicherte, im Fall der Noth schon mehr als eine Sehne am Bogen zu haben. Dennoch wollte er vorläufig den kürzesten Weg versuchen. »Wenn wir einmal den Buben haben, so behalten wir ihn auch,« sagte er zum Lebewohl. Und Tammerl, abermals auf seine Thaler klopfend, sagte: »So behalten wir ihn auch!«

Der arme Seraphin ließ sich freilich nicht träumen, daß die flur da Marcau von Imst von solcher Sehnsucht nach seiner Person besessen war. Er zappelte ungeduldig in den Schlingen seines zweideutigen Freundes Egidi. So plötzlich und gewaltsam aus dem ihm behaglich gewordenen Leben herausgerissen, vermochte er sich alsobald keinen Begriff von der Gestaltung seiner Zukunft zu erschaffen. Die lange Winternacht, die er auf dem rastlos dahinstürmenden Schlitten zubringen mußte, verwirrte seine Gedanken so erbärmlich, daß er nicht von fern daran dachte, daß Tammerl, der Vater Martinas, auch Egidi's Padrone sey, was ihn um 14 ein Beträchtliches nachgiebiger gemacht haben würde. Er überhäufte, so oft sein Entführer ein aufmunterndes Wort an ihn richtete, ihn mit Vorwürfen aller Art; nannte ihn einen schlechten Menschen hin, einen falschen Dieb her, und wollte sich nimmer zufrieden geben. Das Spottgelächter des bayrischen Kölbl und die spaßhaften Tröstungen Egidis vergrößerten nur sein Mißbehagen, das von der unbequemen Reise und der Nacht voll Hunger und Kälte ohnehin genug gesteigert worden war.

Endlich brach der blasse Morgen an, und der Schlitten hielt vor einem schlechten Wirthshause in einem Dorfe weit jenseits der Finstermünz. Schon eine Weile zuvor hatte Egidi dem Knaben sehr ernsthaft eröffnet, daß ein jeder Versuch zu entspringen kindisch seyn und vereitelt werden würde. Eben so wenig solle der Gefangene wagen, irgend einen Menschen mit Worten um Befreiung anzugehen, wenn er nicht viel schlechter behandelt seyn wolle. Dagegen werde ihm Freude und ein sorgenfreies Leben lachen, wenn er gutwillig sein Schicksal trage. »Es ist kein schlechtes Uffizi, das bei meinem Meister, das ich für Dich erbeten,« endigte der Engadiner: »zudem, was verlierst Du am purgatieri beim Grödner? Igl ei meglier parsuls, c'en mala compagniaIgl ei meglier parsuls, c'en mala cumpagnia: besser ist allein seyn, als in schlechter Gesellschaft.. Herr Tammerl ist ein Mann voll raschun a liberalidad und die Gesellschaft in seinem Hause wird deine bonas Damanonzas nicht verderben.« –

Dem jungen Menschen fiel's wie Schuppen von den Augen. Tammerl? ei ja; das war etwas andres. – Seraphin begütigte sich daher wunderbar schnell, und faßte ein großes Vertrauen zu seinem Entführer. Er ließ sich das erste Neujahressen schmecken, und horchte lüstern auf die weitern Erläuterungen des engadinischen Menschenräubers. Je mehr derselbe von seinen Geheimnissen verrieth, je wohler fühlte sich der Geraubte. Eine Qual nach der andern fiel von seiner Seele, und in der Kirche, die von 15 den schnellreisenden Christen, dem Feiertage zu Ehren, besucht wurde, dankte Seraphin inbrünstig für seine Befreiung, die er noch kurz zuvor eine Schandthat gescholten hatte. Dieser Leichtsinn, der Jugend wunderbare Fähigkeit, sich an einen plötzlichen Wandel der Dinge zu gewöhnen, half dem jungen Plaschur zur rosenfarbigsten Laune. Niemand war plötzlich munterer als er; keiner von den drei Flüchtlingen drang so eifrig wie er auf die schnellste Fortsetzung der Reise. Er hätte jedem Roß am Schlitten vier Hülfsbeine wünschen mögen, und es war ihm ein bitteres Leid, daß erst spät in der Nacht das Ziel der Fahrt erreicht werden konnte. – Egidi führte seine Beute vorläufig in sein Quartier und bettete ihn so gut als er vermochte. Die Zärtlichkeit, die der Engadiner dem Knaben erwies, that dem Müden unaussprechlich wohl, konnte er sich auch nicht erklären, womit er sie verdient haben möchte; denn Egidi war nicht der Gefühlvollen einer, sondern hart, wie Stahl, und selbstsüchtig, wie nur je einer seiner Landsleute gewesen.

Am folgenden Morgen saß in Tammerls Hause die ganze Familie beim Frühstück. Der Herr des Hauses, ein bischen überwacht in Folge der Neujahrsnacht und des festlichen ersten Januars, nahm einen der beiden Lehnsessel in der Wohnstube ein. Vor ihm stand ein ehrliches Stück kaltes Rindfleisch und eine Caraffine mit Wein nebst dem silberverzierten Becher aus Kokosnußschale. Er aß nicht, er trank nicht; er zählte heimlich an den Fingern die Minuten ab, die Ankunft Egidi's erwartend. Ihm gegenüber, im zweiten Lehnsessel, prangte seine Mutter, eine alte, aber noch rüstige Frau, von strengen Zügen, die weit mehr an mißbilligenden als an zufriedenen Ausdruck gewöhnt schienen. Frau Martha frühstückte Milch mit Eiern und Honig, und theilte davon einem alten fetten Hunde mit, der an ihrer Seite gravitätisch einen grünen Polster einnahm. Neben dem Hausherrn saß die Ehewirthin 16 Marianne, wohlbeleibt, und besonnenen Anstands, wie sie schon in Burgeis bewundert worden, und speiste Suppe mit der vom Morgenschlaf noch glutrothen Martina. Am obern Ende des Tisches befand sich die Tante Magdalene, eine Schwester der jüngern Frau Tammerl, und nippte bedächtig von einem Kräuterthee, den sie, eingebildeter Brustschwäche halber, als Frühstück zu genießen pflegte. Auch sie war in Gesellschaft von zwei Hunden, die jedoch so zierlich und nett waren, als der Frau Martha Lieblingshund ungeschlacht und plump. An Jungfer Magdalenens Person war ebenfalls alles bis auf das Geringste des Anzugs niedlich und sauber, als wäre sie aus einem Schächtelchen gezogen worden, und in ihrem ganzen Aeußern machte sich ein greller Gegensatz zur derben und schwerbürgerlichen Behäbigkeit der beiden andern Frauen bemerkbar.

Jungfer Magdalene Promberger, zehn bis zwölf Jahre jünger als Frau Tammerl, hatte aus ihrer Blüthenzeit einen gewissen Reiz hinübergenommen in das reifere Alter, der den Frühling des Lebens in einer glücklichen Wiederspiegelung nachahmte. Die ganze Person war von einer blendenden Weiße, das dunkle Haar wohl erhalten, das dunkle Auge voll milden Glanzes, der recht wohl that. Das hübsch geformte Gesicht ermangelte zwar nicht der Fältchen, aber diese waren so leise und zart über die Stirne gezogen, daß sie kaum zu bemerken. Der Hals, die Arme und Hände der Jungfer waren blendend, voll und wohlgestaltet, die Finger dergestalt geschont, daß leicht zu sehen, wie sie schon lange nicht mit einer mühseligen Arbeit beschäftigt gewesen. Die äußerste Reinlichkeit der Kleidung trug viel bei, die Erscheinung Magdalenens zu einer angenehmen zu machen. Von den weißen Strümpfen bis zu der Haube, deren Schnitt Magdalene eigens für sich erfunden, und die etwas mädchenhaftes hatte, war nicht der geringste Tadel zu erheben. Das Mieder war gefällig ausgeschnitten, damit der Nacken, von achtfacher 17 Granatenschnur geschmückt, sein Recht behauptete. Des Schlenders Aermel gingen nur bis zum Ellbogen, damit der hübsche Vorderarm sich gemächlich aus den feinen Manschetten des Aufschlags hervorthun konnte; schwarze Halbhandschuhe erhöhten die Weiße der Hände. Und über das Antlitz, von gar schwacher Rosenfarbe umdämmert, war eine Ruhe, eine Resignation verbreitet, wie sie bei tausend überreifen Mädchen nicht zu sehen. Frömmigkeit und Milde hatten ihren Platz auf der Stirne Magdalenens, in ihren Blicken, auf ihrem Munde genommen. Wer die Jungfer zum erstenmal sah, fragte sich, überrascht von ihrer stillen Holdseligkeit, wie es wohl gekommen, daß die Einsamkeit ihr Loos verblieben? Ihr Benehmen, ihr Anstand, die Art ihrer Beschäftigungen schienen sie in einen weit höhern Kreis der Gesellschaft zu verweisen. Die Mittelbürgerklasse war nicht die ihrige. Sie fühlte das selbst, die gute Magdalene, und war darauf etwas eitel. Das stolze Bewußtseyn machte indessen, daß sie mit exemplarischer Ruhe alles Bittere ertragen konnte, womit jenes Mißverhältniß ihr Leben schon vergällt hatte.

In die Mitte dieser Familie trat auf einmal Seraphin an der Hand des Engadiners. Seine Ankunft war für Alle – Tammerl ausgenommen – eine große Ueberraschung. Martina wußte nicht, wohin die Augen drehen, nicht, auf welche Weise die freudige Bestürzung verbergen, die sich ihrer bemeisterte. Sie hob an, um Fassung zu gewinnen, mit Magdalenens Hunden zu spielen, und versteckte ihre brennenden Wangen in dem Pelz der niedlichen Creaturen.

Seraphin machte große Augen, und fand kaum ein Wort, die Fragen des Meisters zu erwiedern. Er schielte ängstlich nach Martina, aber die strengforschenden Mienen der Frau Martha machten, daß er auf seiner Hut blieb. »Aber, in Gottesnamen, was willst Du mit dem 18 Buben anfangen?« fragte Frau Marianne. – »Das ist meine Sache,« antwortete Tammerl kurz und selbstherrisch. Er betrachtete mit Blicken, die man hätte verliebt nennen können, den jungen unfreiwilligen Ausreißer, ließ ihm ein Glas Wein geben, und trat, nachdem er sich angekleidet, mit dem Jungen den Weg nach TarrenzTarrenz: ein Dorf, ein Stündchen von Imst entlegen (ad torrentes, zum wilden Wasser). an, woselbst Tammerls Hauptvogelkolonie angesiedelt war. – Ein Schuhflicker bewohnte im Erdgeschoß des Häuschens eine Stube, und machte den Beschließer und Kastellan des Orts. Aus des Schuhflickers Stube ging eine Leiter kerzengerade zur Decke empor, woselbst sich eine Fallthüre in das obere Gemach öffnete. In dem letztern befanden sich die Vögel, fünfzigerlei Gattungen durcheinander: in Käfichen, zwischen Fenstergittern, auf Stangen, viele frei hin und herfliegend. »Du wirst vor der Hand bei diesem ehrlichen Mann bleiben und Dich als Vogelwärter einrichten,« befahl Tammerl: »Du wirst hier außen verweilen, bis Deine Angelegenheiten zu Hause in Ordnung gebracht seyn werden; denn in der Stadt« – Tammerl nannte sein liebes Imst nur selten einen Markt, und berief sich gern auf einen alten Fürstenbrief, der dem Markt die Rechte einer Stadt verliehen, wovon indessen Imst niemals Gebrauch gemacht – »denn in der Stadt würde Dein unversehenes Erscheinen alle böse Mäuler und Schnäbel raschen machen. Sey derweil getrost, der Egidi wird Dich oft besuchen, und, wenn die Witterung schön ist, kommen wir wohl alle dann und wann heraus.« – Hierauf gab der Meister seinem neuen Diener die weitläufigsten Verhaltungsregeln, und empfahl ihm die strengste Pflichterfüllung, damit die verschiedenen Verluste, die sich seit ein paar Monaten ergeben, ausgeglichen würden, und endigte mit den Worten: »Thue dein bestes, Du bist geschickt, geduldig und hast einen guten Kopf! Ich werde Dich niemals stecken lassen . . . . und jetzt lebwohl, damit ich noch zu Tisch nach Hause komme.« –

19 Die Verweisung nach Tarrenz, in die Gesellschaft des mürrisch aussehenden Schuhflickers, war nun freilich ganz und gar nicht nach Seraphins Geschmack. Er hatte von ganz andern Annehmlichkeiten geträumt. Schier wollte ihn gereuen, dem Engadiner unterwegs nicht entsprungen zu seyn. Dennoch – nachdem er einige Thränchen verschluckt, und überlegt hatte, daß er noch jung sey und ihm eine lange Zeit zum Zuwarten bleibe, ohne alle Gefahr – faßte er wieder guten Muth, und bandelte zutraulich mit dem Schuhflicker an, der seinerseits ein weit besserer Kerl war, als sein grobes und schmutziges Fell vermuthen ließ. Er versorgte das kleine Hauswesen wie eine Magd, kochte, fegte, spülte die Geschirre und ließ dem jungen Plaschur gerade nur die leichteste Arbeit. Er plauderte nicht ungern, wußte eine Menge Geschichten, und meinte es nicht schlecht mit seinem neuen Gefährten. Je hartnäckiger der Krieg gewesen war, in dem der Schuhflicker mit dem seligen Bros immerdar gelebt hatte, um so vollkommener war ihm der Friede mit Seraphin, der von ihm zu lernen hatte, und sich nicht unterstand, etwas besser wissen zu wollen.

Während in der Vogelkaserne zu Tarrenz alle Dinge sich zu einem Zustand friedlicher Muße ausbildeten, wurde Herr Tammerl zu Hause scharf auf's Korn genommen. Der Tag und Abend war leidlich vergangen; kaum, daß ein paarmal, als wie von fern, des neuen Dienstburschen erwähnt worden war. Aber die Stunde, da man zu Bette geht, wurde für Tammerl die Stunde eines ernsten Verhörs. Frau Marianne hatte ihre Nachthaube aufgesetzt, und vor dem Kammeraltar ihr Gebet verrichtet. Tammerl saß vor dem Ofen und machte nicht ohne Mühe die Schnallen seiner Schuhe auf Da fragte ihn die Ehefrau in einem Tone, der Ehrfurcht und Aufmerksamkeit forderte: »Wirst Du mir jetzt einmal sagen, Peter, 20 was der sonderbare Handel mit dem Branntweinbuben bedeutet? Du wirst wahrhaftig mir nicht glauben machen wollen, daß der Kummer, der Dich ein paar Wochen geplagt, mit dem Burschen zusammenhängt? Du bist ein Mann mit viel Fett unter der Haut. Solche Leute geben nicht einer jeden Grille mit kindischer Eilfertigkeit nach, und wär's gerade nur aus Bequemlichkeit. Darum sage mir frei heraus, was Dich bewegen konnte, den Burschen, an den kein Mensch gedacht, so hastig holen zu lassen, als wenn dein Seelenheil von dem armen Narrn abhinge? Sag' mir's fein ohne Umschweif. Du weißt, daß Du vor mir kein Geheimniß haben sollst.«

Frau Marianne hätte allerdings ihren Spruch etwas heftiger aufgesagt, wenn sie gewußt hätte, daß mit Seraphin sogar diebischerweise verfahren worden war. Aber ihre gelassene, obschon gemessene Anforderung bewog schon hinlänglich den Gatten, nicht länger ein Schloß vor dem Munde zu behalten. Er bemerkte nur etwas kleinlaut: »Es thut mich schier grausen, Dir alles zu erzählen, Marianne. Aber – wenn ich Dich fürchten mache – so denk', daß ich nichts dafür kann, und daß Du selber es gewollt hast.« – »Fürchten, fürchten?« lächelte die Frau: »ach Du mein Peter, was sagst Du da? Als ob ich mich so leicht fürchtete. Und was kann denn mit jenem Buben seyn, daß man davor zu erschrecken hätte? Geh, geh, und sey gescheit. Ich werde nicht Angst haben, aber wohl mich über Deinen Leichtsinn ärgern müssen; denn, was gilt's, Du willst mir etwas aufheften? was ich Dir jedoch nicht rathen möchte, denn ich werde böse, wenn ich in ernsthaften Dingen belogen werde.«

Tammerl kopfschüttelte. »Laß mir nur ein paar Minuten Zeit, daß ich mir alles im Kopf in Ordnung lege,« sagte er mit dem Jeremiasgesicht, das er manchmal annahm, wenn ihm ein dornichtes Geschäft bevorstand. Die Frau erwiederte, indem sie sich zu Bette legte und die 21 Decke bis ans Kinn heraufzog: »Nur nicht zu lang, bitt' ich schön. Ein wahrer Mund hat die rechten Worte gleich zur Hand. Und, merk' dir's, Peter, ich weiß perfekt, wann Du mich belügst.«

Während dieser Zwischenreden war auch Tammerl zu Bett gegangen. Die Nachtlampe brannte hinter dem mächtigen Kachelofen, eine mäßige Helle verbreitend. Alles im Hause war still. Tammerl legte sich auf seine linke Seite, Marianne auf ihre rechte; er, um zu reden, sie, um zu hören. Aus den blaugestreiften Deckbetten schauten nur die Köpfe mit den Nachtmützen und Tammerls linke Hand, worauf er manchmal seine Wange stützte, wenn sie nicht gerade abenteuerlich agirte zu der wunderlichen Erzählung, die er jetzo begann:

»Es ist ein paar Tage nach Martini gewesen,« – sagte Tammerl – »ich habe das Datum in's Gebetbuch eingeschrieben, da bemerkte ich zu meinem Verdruß, daß mir zu Tarrenz und hier im Hause auf einmal mehrere Vögel – meistens Canarini – krepirt waren. Ich schalt den Bros wacker aus, und warf die Todten weg. Aber vom Tag an war's wie verhext. Drauf und drauf verkümmerten mir immer mehrere. Ich überzeugte mich, daß der Alte keine Schuld hatte, aber die Vögel starben, und auch die Spezialvögel waren nicht ausgenommen. Das war hart. Ich mochte gar nichts davon sagen, denn die Neider und Mißgünstigen hätten gelacht, und ich schämte mich als ein erfahrener Mann dem Unwesen nicht steuern zu können. Der Bros mußte das Maul halten, und selbst dem Schuhflicker verbarg ich meinen Verlust, indem ich vorgab, viele Vögel verkauft zu haben, die ich aber in der That mausetodt in einem Sacke weggetragen. So sind mir ungefähr hundert und dreißig Stücke umgestanden, und ich war in der bittersten Sorge, alle zu verlieren. Es fruchtete kein Mittel, es war so zu sagen eine Pest unter den Thieren eingerissen. Um nicht meinem Kredit einen Stoß zu 22 geben, schwieg ich fort und fort, wie eine Mauer, und wartete ab, und laborirte, ohne daß das Uebel abgenommen hätte. Da verlegte ich mich endlich aufs Beten, und verlangte inbrünstig von oben einen Wink und Fingerzeig; denn ich war nahe daran, eines ganzen Jahrs Mühe, Aufwand und Sorge zu verlieren, und für das nächste meinen Handel aussetzen zu müssen. – So saß ich eines Nachmittags – ich hab' mir auch jenes Datum aufgezeichnet – draußen in der Stube neben der Wanduhr – Du bist bei der Gevatterin auf Besuch gewesen, und die Martina mit der Magdalene waren beim Vewerl –und betrachtete tiefsinnig das Schwarzplattl, das als wie krank mit aufgeplausten Federn auf dem Stangel hockte; betrachtete auch den burgeiser Rothkropf, der so gesund wie ein Vogel im Wald dasaß, und sein feierliches Stückl pfiff, und dachte bei mir selber: »Warum ist denn nur der Rothkropf so kerngesund, und meine andern Vögel geh'n so schmählich zu Grund?« Wie ich nun so dasitze und die Füße vor mich hinstrecke, und den Sonnenschein betrachte, der die Fensterrahmen auf den Boden malte, so geht die Thüre leise auf, und herein kommen drei Personen: der Bros, ein junger Mensch, den er an der Hand führt, und – stell' Dir vor – mein Vater selig, wie er geleibt und gelebt hat.«

Frau Marianne machte eine ungeduldige Bewegung. Ihrer Einrede zuvorkommend, eilte Tammerl, seine Erzählung fortzusetzen. »Du kannst mir's glauben,« sagte er, »ich lüge gewiß nicht: der Vater selig. Du erinnerst Dich noch, he? die gelben kurzen Hosen, der müllerfarbige Janker, der Hut mit den breiten Krempen und mit der Goldquaste. Er hatte seine Brille in der einen und das Schnupftüchl in der andern Hand, und wischte an der Brille, wie er in seiner letzten Zeit zu thun pflegte, als schon die Gläser seinen alten Augen nichts mehr helfen wollten. – Wie ich ihn sehe, bin ich recht 23 erfreut, stehe auf und grüße ihn freundlich. Er thut den Mund auf und spricht . . .«

»Halt. wer da!« rief der plötzlich erwachte Staar vom Fensterbalken. – Die Eheleute erschracken beide heftig, und duckten sich unter das Deckbett. – »Pfietigott, Natz, Pfietigott!« kam zweimal hinterdrein. – »Das war das Staarl!« sagte Tammerl aufathmend. – »Dummes Thier! wie es mich erschreckt hat!« lachte die Frau, Herz fassend. »Wie ging's weiter?« fragte sie nach einer Pause den verstummten Eheherrn.

»Also, der Vater selig that den Mund auf, und sagte: »Na, Peter, das ist eine brave Geschichte mit deinen Vögeln. Hab' ich dir nicht tausendmal gesagt, daß bei dem Handel nichts herauskommen würde?« Er putzte seine Brille immer eifriger, und sah erschrecklich böse und spöttisch aus. »Herr Vater,« antwortete ich ihm, »der Handel wär nicht aus, wenn mir nur die Vögel nicht krepirten. Was meint aber der Herr Vater, der jetzt doch alles besser wissen muß, was dabei zu thun sey?« Verstehst Du, Marianne, ich wußte gar wohl, daß der Vater in der Ewigkeit ist, redete aber doch mit ihm, als wär' er am Leben, so wie ich. Wie er denn nun zu seiner Zeit die Gewohnheit hatte, von seiner Strenge nachzulassen, wenn man ihm nur in allen Stücken Recht gab, so machte er's auch jetzt. Er bückte sich vorwärts, und sagte mir in's Ohr: »Wenn Du deine Sachen wieder aufbringen willst, so mußt Du den Buben hier zu Dir nehmen. Er hat eine glückliche Hand. Der Peter ist ein siriger Kerl. Er wird Dir nichts als Herzeleid machen. Aber der Bube da ist ein Glückskind und bringt einmal dein Haus in großen Flor. Denk', ich hab's gesagt.« – Wie ich nun den Buben betrachte, so ist mir, als hätte ich ihn schon einmal gesehen, und zwar noch nicht vor langer Zeit. »Was sagst Du dazu, Bros?« frage ich den Alten, der ganz stumm daneben stand. Er sagt aber kein Wörtl, schaut verdrießlich drein. 24 Worauf der Vater selig noch heimlicher zu mir: »Wie magst Du doch den Bros fragen? Der Heiter ist ja am Sterben, und wenn du nicht den Buben an seinen Platz thust, so gehen Dir alle Vögel drauf.« Somit hat er sich umgekehrt, und zu dem Rothkröpfl hinaufgeschaut, und wie ich zu ihm ging, ihm die Eigenschaft dieses rarenRar: vorzüglich. Ein rarer Kerl: ein ausgezeichneter Mensch. Vogels zu erklären, hab' ich den Vater auf einmal nicht mehr gesehen, und den Buben nicht, und den Bros auch nicht. – Da hast Du die ganze Geschichte.«

»Eine saubere Geschichte,« nahm die Frau, wenn auch im Innern etwas von Furcht befangen, das Wort. »Peter, Peter, Du hast geträumt! In Deinem Nachmittagsschlummer sind Dir allerlei wunderliche Gestalten vorgekommen, die Du jetzo für übernatürliche ausgibst.« – »Weib,« entgegnete Tammerl gereizt, »Du sprichst da frevelhaft, und würdest es nicht thun, wenn Du selber den Vater im müllerfarbigen Janker gesehen hättest. Hat er etwa nicht recht gehabt? Ist der Bros nicht gleich darauf gestorben, und das Gesicht des Buben, ist mir's nicht vom Augenblick an so lebendig vor dem Gedächtniß gestanden, als ob es, seitdem es auf der Welt ist, mit uns am Tisch gesessen hätte? – Kurz und gut, ich glaube steif und fest an des seligen Herrn Vaters Vorhersagung, und Du wirst schon sehen.«

Marianne erwiederte nichts mehr. Sie kannte den Aberglauben ihres Mannes, und vielleicht war sie selber nicht ganz frei davon. »Im Grunde,« dachte sie, »was liegt daran, ob dieser Bube jetzt in unserm Dienste ist, oder ein anderer? Ich will dem Tammerl seine Grille lassen, wenn er dadurch zufrieden gestellt wird.« – Mit diesen leutseligen Gedanken schlief sie ein, als der durch sein Geständniß erleichterte Tammerl längst schon schnarchte. – –

Während im Tammerl'schen Hause alle Dinge ihren gewohnten Weg gingen und Martina sich heimlich auf den 25 ersten leidlichen Sonntag freute, um mit der Familie einen Spaziergang nach Tarrenz zu machen, wurde Seraphin von seinem ehrlichen Schuhflicker in allem, was auf den Meister und die Seinigen Bezug hatte, unterrichtet. Schon am zweiten Nachmittag sagte der erfahrene Praktikus zu seinem Hausgenossen: »Komm her, setz' Dich zum Ofen. Wir wollen eins plaudern, denn Du bist ein kluger Bursch, und ich bin auch einmal jung gewesen, und es hätte mir wohlgethan, wenn ich einen Graukopf gefunden, der mir immer gesagt hätte, wie der Boden beschaffen war, auf dem ich stand. – Vor allem von dem Meister Tammerl zu reden, so sage ich Dir, daß Du bei ihm ein Glück machen kannst, wenn Du's beim rechten End' anpackst. Erstens mußt Du beim Leisten bleiben, nämlich thun, was Dein Dienst verlangt, und um alles übrige Dich nicht bekümmern. Zweitens mußt Du dem Herrn gar niemals widersprechen, sondern immer thun als ob Du seiner Meinung wärst. Drittens mußt Du noch mehr als den Herrn die Frau respektiren, denn sie ist eigentlich der Mann im Hause. Viertens mußt Du der alten Martha fein aus dem Wege gehen, denn sie ist zu Zeiten schiech und harb, und liebt die ganze Welt weniger als ihren Hund. Fünftens beleidige die naseweise Martina nicht, denn der Meister ist in sie vernarrt, wie ein Affenweibchen in sein Junges.«

Seraphin wurde im Gesicht wie ein Feuerbrand. Fast hätte er dem Pechmännel in den Bart gelacht, so lustig kam ihm der Verdacht vor, als könne er sich je versucht fühlen, den Gegenstand seiner innigsten Zuneigung zu beleidigen.

»Sechstens,« fuhr der Schuhflicker fort, »laß' den Sohn, den Peter, ruhig seine Straße gehen, wenn er einmal wieder nach Hause kömmt. Für jetzt ist er zu Innsbruck, die Bäckerei zu erlernen. Nun, es wird nicht viel aus ihm werden, denn der Bursch ist eine verdrießliche Schlafhaube, und wird nimmermehr mit Freude an eine 26 Arbeit gehen, oder in der Nacht mit hellen Augen wachen. Er ist boshaft; weiß Gott, von wem er das geerbt hat, wenn nicht von der Großmutter Martha, denn seine Eltern haben ein gutes Herz.«

Seraphin wurde mißvergnügt, des jungen Peter gedenkend. Eine dunkle Ahnung, als würde ihm dieser manches zu schaffen machen, regte sich auf dem Grund seiner Seele.

Der Schuhflicker sagte ferner: »Siebentens empfehle ich Dir in allen Nöthen und Aengsten, die etwa Dein Herz bedrängen möchten, die gute Tante Magdalene. Sie ist gewißlich die allerbeste von den vier Ma-Ma, die bei Tammerl regieren. Sie ist eine Art von Schutzpatronin für Jeglichen, der sich vertrauensvoll an sie wendet. Frage die Armen weit und breit, vor allem aber die verschämten, die ihre Noth zwischen vier Wände einschließen, und in dem Glauben, der da Berge versetzt, geduldig warten, bis eine Hand vom Himmel herunterlangt, und Manna träufelt in den Morast ihres alltäglichen geheimen Elends. Glaub' mir, Bub, die Magdalene Prombergerin laß' nicht aus Deinem Gedächtniß. Sie weiß selber, was es ist, unglücklich zu seyn, und darum hilft sie gerne, wo und wie sie nur kann.

Seraphin schüttelte zweifelnd den Kopf. »Sieht sie doch aus, wie ich mir die vornehmste Stadtfrau denke. Ich möchte ihr Gewand nicht mit einem meiner Finger anrühren, aus Furcht, es zu beschmutzen. Hat sie nicht Gold auf der Haube, an ihrem Mieder und Aufschlag, Perlen von ich weiß nicht was, um ihren Hals? Was redest Du von Unglück?«

»O Du mein Patscher!« lächelte hierauf der Alte, und warf einen Blick in seine Erinnerungen zurück: »Ja wohl ist die Jugend eine leichtsinnige Rechnerin. Sie nimmt, was glänzt, für Gold. Ei ja, die Augen werden uns schon aufgehen, mein Sohn. Unter dem reichsten Kittel schlägt 27 oft ein blutarmes Herz; doch, das ist schon eine uralte Wahrheit, wie die, daß wir alle sterben müssen. Ein braves Herz ist jedoch niemals ganz arm und verlassen; es findet in sich selber einen Goldkern. Die Bravheit selber ist schon ein großer Reichthum, und den besitzt auch die Jungfer Magdalene. Es liegt ihr somit wenig daran, daß sie auch Geld und Gut besitzt: ein Haus im Obermarkt, ein Gütl im OetzthalOetzthal: eines der interessantesten Thäler Tirols, das sich in der nächsten Umgebung von Imst öffnet: reich an Naturschönheiten und tüchtigem Volk, das seine eigenthümlichen Sitten noch ziemlich beibehalten hat. Es ist liederlustig, hegt und pflegt mit poetischem Sinn die vielen Traditionen und Mährchen, die von Alters her im Thale einheimisch sind., eine herzige Sommerfrisch im SelrainSelrain: ein Seitenthal, wenige Stunden von Innsbruck entfernt; vorzüglich geliebt wegen seiner klaren Wasser. Seine Bewohner verlegen sich mit Nutzen auf das Wasch- und Bleichgeschäft für die Hauptstadt., zwei Almen mit Kaser und allem, was dazu gehört, und ein feines Stuck Geld, wer weiß, wie viel?«

»Sapperlot!« rief Seraphin: »das ist ja meiner Treu wie eine Grafschaft. Mich wundert, wie noch kein Graf dazu sich hat finden lassen?«

Der Schuhflicker nickte pfiffig mit dem Kopfe, und versetzte: »Hat sich schon, hat sich schon gefunden. Wenn kein Graf, so doch ein Freiherr oder ein anderer vornehmer Edelmann, und das edelmännische Wesen ist eben von Kindesbeinen an der Jungfer helles Unglück gewesen. Du mußt wissen, daß die Prombergerischen von Natur nicht so gewaltig reich gewesen sind. Der Großvater soll gar nur ein FürsetzerFürsetzer: ein Bauer, der Vorspannpferde an Fuhrleute u. dergl. abgibt. am Brenner gewesen seyn. Item: er hat mit Roß und Maulesel, mit Fuhrwerken und Fässern zu handeln angefangen, und ein hübsches Vermögen von den Säumern und andern gewonnen. Der Vater hat am BrennbichelBrennbichel: Brennbühel; ein Weiler mit gutem Gasthause in der Nähe von Imst. einen Hof gehabt, und recht ordentlich gelebt. Da kommt einmal zu ihm eine vornehme Edelfrau von Innsbruck – sie ist eigentlich aus der Steiermark gebürtig gewesen – und sagt ihm: »Promberger, dein jüngstes Madl gefallt mir wohl. Vertraue sie mir an; ich will sie erziehen lassen und Du sollst Freud an ihr haben.« – Was hat der Promberger thun wollen? Er ist ein Wittiber gewesen, daß Gott erbarm, und die Madln wollten nicht recht bei ihm gedeihen. So hat er denn der Frau Gräfin die Magdalene gegeben, und die andere zu einer Verwandtin in Imst. Das Lenl ist ein herziges Narrl 28 worden, und so vornehm und herrisch, wie die Gräfin selber; hat in Freuden und Kostbarkeit gelebt, und ein Landshauptmann wär' ihr zum Mann nicht zu hoch gewesen. Was geschieht? Der alte Promberger war schon todt und die Marianne an den Tammerl verheirathet, da will auch die Lenerl heirathen: nämlich einen vornehmen Herrn Von, der bei der Regierung zu Innsbruck etwas gewesen ist. Es ist auch alles in Ordnung gewesen, ist auf einmal während der Brautzeit selbige Gräfin an einer kurzen Krankheit verschieden, und hat ihr halbes Vermögen der Magdalene verschrieben. Gut, die Hochzeit war aufgeschoben, und da steckt der Hacken. Was dazumal passirt ist, weiß kein Mensch recht genau. Item: wie die Hochzeit hätte seyn sollen, und Braut und Bräutigam standen schon vor'm Altar, so kommt ein Weibsbild daher, frank und frech, und macht Einsprache, und der Herr Von lauft voll Schand und Spott zur Kirche hinaus, und die Hochzeiterin ist als wie zerrüttet gewesen. Ist demnach die Hochzeit nicht nur aufgeschoben, sondern auch aufgehoben worden. Darauf ist die Lenerl anher gekommen, und hat in Stille und Zurückgezogenheit bis heute gelebt und vom Heirathen nichts mehr wissen wollen. Item: 's ist auch Keiner zum Anfragen gekommen; denn für einen Burgersmann ist sie zu vornehm und für einen Edelmann ist selbige Einsprach und Beschämung ein Stein des Anstoßes. Natürlich. Aber die Magdalene wird dereinst im Himmel nicht allein seyn, sondern unter den fürnehmsten gottseligen Jungfrauen sitzen, weil sie schon auf Erden trägt die Krone der Barmherzigkeit.«

Der Schuhflicker wurde in der Lobrede der Jungfer Prombergerin so warm, daß er in eine Art von Verzückung gerieth, sich mit ausgespannten Armen gegen das Bild der heiligen Mutter wendete, und, auf seine Kniee gesunken, in die Worte ausbrach: »O Königin der Himmel, nimm jenes vortreffliche Weibsbild unter 29 deinen Schutz und Gnadenmantel, daß ihr Leben voll Freuden und ihr seliger Tod ohne Leiden sey!«

Als der Eifrige bemerkte, wie erstaunt Seraphin ihm zusah, sprach er, wieder ins Geleis des Alltagslebeus zurückkehrend, mit Rührung zu dem jungen Menschen: »Lache mich nicht aus, Bub'. Die Lenerl hat allen meinen Leuten, meiner Schwester, meiner seligen Frau, meinem verstorbenen Sohn, und mir alten Krüppel selber unzähligemal geholfen und unter die Arme gegriffen. Daher kenne ich sie auch, wie meine eigene arme sündige Seele.«

»Sie ist also eine recht brave Frau, und ohne Zweifel hat sie ihrer Schwester Tochter recht lieb?« fragte, wie eine Katze hinten herumkommend, der Knabe, den die unschuldigste Liebe verschmitzt machte, was die Natur bei ihm unterlassen hatte.

»Ei, zum Fressen hat sie die Martina gern: was sag' ich? zum Anbeten lieb,« lautete die Antwort: »Sie hat schon vielmal gesagt, sie wolle nicht, daß es dem Kinde jemals traurig gehe, wie es ihr ergangen. Sie will haben, daß das Kind glücklich sey.«

»Das ist wacker von der Tante,« rief Seraphin, und nahm sich vor, die Jungfer mit den Jahren schon zu überreden, daß sie zwischen ihm und Martina eine Heirath stifte.

Derweilen fuhr der Schuhflicker fort: »Und damit sie glücklich werde, nämlich die Martina, soll sie, nach Vorschrift der Tante, einmal gar nicht heirathen, und dafür in's Kloster gehen.«

»Oho!« platzte Seraphin heraus, denn ihm war, als hätte ihm der alte Schuhkünstler einen Eimer voll kalten Wassers über den Kopf gegossen. »Die schieche Tante!« zürnte er in Gedanken. Aber der Erzähler gab kaltblütig noch den Trumpf: »Wie ich Dir sage. Kannst mir glauben. Hab's mit eigenen Ohren gehört. Und 30 was die Tante will, das will auch die Marianne, und was sie will, das will per se auch der Tammerl.«

Seraphin zankte noch immer für sich mit der bösen Jungfer Prombergerin, und es rührte ihn wenig, daß der Schuhflicker beifügte: »Nun, das Klosterleben ist auch recht schön, und mich wundert, ob nicht einmal die Lenerl selber sich einkleiden lassen wird. Sie gäbe eine Priorin oder Äbtissin, wie keine schönere in der Welt wäre. Aber freilich – für die Welt wäre sie verloren, der sie jetzt noch angehört. Und sie ist doch gut, so viel gut, gar zu gut ist sie. Denn – sollte man's meinen? – selbst dem schlimmen Herrn »Von« hat sie verziehen, und es heißt, sie schreiben sich noch immer dann und wann Briefe. Jene schlechte Person nämlich, die dazumal Einsprache gemacht hat, ist auch nicht zu ihrem Ziel gekommen, und, wie man sagt, elend gestorben. Der Herr Bräutigam ist ledig geblieben – hat ihn wohl keine mehr nach dem Kirchen-Aergerniß nehmen wollen – und hat bald Reue und Leid bei der ersten Braut gemacht. Aber ihr unschuldig betrogenes Herzel war gefroren wie der Schnee auf den Fernern; es müßte denn nur ein HarschHarsch: der gefrorne Schnee auf Bergen und Fernern, der die Passage zuläßt und unter dem Schritt der Wanderer nicht nachgibt. seyn, der beim Sonnenschein wohl einmal schmelzen könnte. Wie gesagt: vergeben hat sie dem saubern Herrn, aber hat ihn dechter nicht geheirathet. Ein gebranntes Kind fürchtet 's Feuer.«

»Jetzt haben wir etwa von der Tante genug geplaudert?« fragte Seraphin übelgelaunt: »gibt's sonst noch etwas zu bemerken, Freund Schusterfleck?« –

Der Alte drohte, wegen des familiären Uebernamens, dem Plaschur mit dem Finger, that aber doch nach seinem Verlangen. »Achtens ist noch zu berichten, daß Du Dich nicht mit dem Engadiner und mit dem Kölbl zertragen mußt. Schau: der Engadiner, der Egidi, ist, was man sagt, ein ehrlicher Kerl, aber von harben Sitten. Er ist halt ein Schweizer, ein halber 31 Lutheraner, oder wie man die Evangelischen heißt, die nicht an die Heiligen glauben und ihren Prädikanten Weiber zulassen. Der Egidi geht wohl in die Kirche, aber 's ist darnach. Er hört wohl die Messe, aber seine Gedanken sind weiß Gott wo. Der Kapuziner, zu dem er beichten geht, ist auch keine Fackel der Frömmigkeit, wie 's heißt. Dafür mangelt er nicht im Wirthshaus, und ich meine immer: die Karten sind ihm lieber als alle Sakramente. Er gewinnt beständig im GiltspielGiltspiel: ein eigenthümliches Kartenspiel der untern Volksklassen in Tirol; dann und wann, um der pfiffigen Ränke willen, mit denen es gespielt wird, den höhern Ständen bei traulichen Zusammenkünften nicht unwillkommen., oder in so einem wälschen Rammel, den er in Nonsberg gelernt hat. Es soll ihm nicht an Geld fehlen; doch ist er geizig und ein jeder Zwölfer brennt ihm zwanzigmal in die Finger, eh' er ihn ausgibt. Gewöhnlich ist er neun Monate im Jahr auf Reisen, ist ein paarmal in Constantinopel bei denen wilden Türken gewesen. Er hat Haare auf den Zähnen, und hat brav raufen müssen, bis ihn die hiesigen Vogeltrager, die nicht gern einen Fremden unter ihnen dulden, auf- und angenommen haben. Wenn er Dich gern hat, so ist's gut. Du kannst viel von ihm lernen, wenn der Tammerl Dich einmal in die Welt hinausschickt.«

»Glaubst Du, daß er's einmal thun wird?« fragte Seraphin mit leuchtenden Augen. »Ohne Zweifel,« versicherte der Schuhflicker: »laß Dich hernach nur vom Egidi unterrichten; aber ein anderes ist's mit dem Kölbl. Gib Dich nicht mit dem Menschen ab. Er ist vom Vater her ein Bayer, aus dem Werdenfelsischen. Seine Mutter ist eine Tirolerin, von Zams gebürtig, gewesen. Hast Du schon einen Wolfshund gesehen? Selbige Bastarde haben nur ein klein wenig von dem guten getreuen Hund, aber viel, schier alles von dem wüsten Wolf. So ist just der Kölbl. Wenn er noch so schön tirolerisch thut, so hat er doch kein tirolerisches Herz. Er flucht, er schwört; ich glaube, er würde am Charfreitag Fleisch essen, wenn er's nur bekäme. Was willst Du? er ist halt ein verwegener 32 Wildschütz und ein Schwärzer, der schon manch liebesmal mit den Ueberreitern Händel bekommen hat; ein RoblerRobler, Hagmair: Raufer, Faustkämpfer. Die Benennung ist hauptsächlich im Ziller- und Unterinnthal üblich., der 's mit dem frechsten Hagmaier aus Zillerthal oder Unterinnthal aufnimmt; ein Säufer, dem ein Frakl Branntwein so leicht hinuntergeht in die Gurgel, als ein »Sakra« heraus. Item: ein Gasselgeher und FensterlbubGasslgänger, Gasslbub, Fensterbub, was in der Schweiz Chiltgänger: ein junger Bursche, der zur Nachtzeit an der Dirnen Fenster steigt, um mit ihnen zu scherzen und zu liebkosen., der die Dirnen betrügt und ihren ehrlichen Liebhabern die Haut vollschlägt.«

»So, so?« lachte Seraphin, »der Kölbl muß beim alten Jäger-Liebl in die Lehre gegangen seyn.«

»Jäger-Liebl, Jäger-Liebl?« fragte, plötzlich sich unterbrechend, der Schuhflicker heftig, und seine Augen rollten, als säh' er vor sich ein Ungethüm, gegen welches er sich auf Leib und Leben zu wehren hätte: »Geschwind, Bube, sag mir, was weißt Du von dem Jäger-Liebl? Ich hab' schon lang nichts mehr von dem Höllenbrand vernommen!«

Nachdem Seraphin des Alten Neugierde befriedigt und hinzugefügt hatte: »Sag mir Du auch geschwind, was Du von dem Jäger-Liebl weißt!« fuhr der Schuhflicker mit seinen Händen durch seine silberfarbigen Haare und entgegnete mit Ungestüm: »Wenn ich Dir nun sage, daß jener Mensch das größte Unglück über mich gebracht hat? Es sind schon viele Jahre seither verflossen, aber die leidige Geschichte steht noch immer wie mit Schwefelfeuer eingebrannt in meinem Gedächtniß, als wäre sie erst gestern vorgefallen!« Der Alte warf sein Handwerkszeug zornig durcheinander, bis er seinem Grimm ein wenig Luft gemacht; setzte sich dann auf seinen Dreibein, und fing, was er zu sagen hatte, wehmüthig an, steigerte sich aber im Verlauf der Erzählung bis zum Ausdruck der Verzweiflung, bis zu Thränen.

»Ich bin einmal nicht arm gewesen, wie heute,« sprach er: »Wir waren drei Brüder, die ein artiges Gut nach dem Tode der Eltern unter sich zu theilen hatten. Die 33 Schwester hätte ich beinahe vergessen, die ohne ihre eigentliche Schuld die Ursache von allem Unheil hat seyn müssen, das arme Lampl. Also: wir waren vier Geschwister. Ich, der Aelteste, war beim Handwerk; der zweite Bruder war ein Bauer geblieben, und bewirthschaftete den Hof unserer Alten. Die Schwester lebte bei ihm und half im Hause. Der dritte Bruder hatte sich dem Bergwerk zugewendet, war leider seiner Lebtage ein leichtes Tüchl gewesen und gerade so lüftig, wie der Andrä, der Bauer, gesetzt und ordnungsliebend und häuslich. Der Andrä hatte deßwegen unsern Antheil auf dem Gut behalten, und verzinste ihn, wie ein rechtschaffener Mann. Er war schon verheirathet, wenn gleich noch jung, hatte ein paar Kinder, und Alles wäre für ihn und uns glücklich gegangen, wenn nicht der böse Feind den bayrischen Churfürsten und zugleich den Jäger-Liebl in's Land geführt hätte. Der Krieg war kurz, aber hart. Unter den Landschützen, die das liebe Tirol retteten, waren der Andrä, der Bergmann und der Liebl keine der Letzten. Sie hatten sich alle Drei im Felde kennen gelernt, und wie der Rummel aus war. blieben sie – Gott sey's geklagt – Freunde. Der Andrä trieb wieder seine Wirthschaft, der Bergmann arbeitete im Tschirgant, wenn's ihm gerade gefiel. Der Liebl stand hier herum in Condition und brachte dem Bergmann eine große Lust am Jägerwesen bei. Sie kehrten oft beim Andrä ein, der immer ein Stückl Brod und ein Glas Branntwein für seine Freunde übrig hatte, und eine Schlafstätte auf dem Heustadl. Da machte sich's, daß der Liebl sich in die Schwester verliebte, und von nichts anderm redete, als sie zu heirathen. Der Bergmann sagte Ja, der Andrä sagte Nein. »Du mußt ihn nehmen, denn er ist ein rarer Kerl,« sprach der Bergmann der Schwester zu. »Du mußt ihn laufen lassen, denn er ist ein Leichtsinn,« befahl ihr der Bauer. Die Schwester, wenn schon sie den 34 unerschrockenen Schützen nicht ungern sah, konnte mit ihr selber nicht einig werden. Heute glaubte sie dem Bergmann, morgen gab sie dem Bauer Recht. Mittlerweile wurde der Jäger immer aufdringlicher, ließ dem armen Mensch keine Ruhe, und eines Tags sah sich der Andrä gezwungen, ihm das Haus und Revier zu verbieten. Der Liebl hätte ein ganz anderer Bursche seyn müssen, wenn er sich's hätte gesagt seyn lassen. Bald mußte ihm der Bergmann einen Gruß, bald ein Geschenk an die Schwester bestellen, und das einfältige Ding büßte dabei den Kopf so ein, daß sie dem Liebl erlaubte, zur Nachtzeit an ihr Kammerfenster zu kommen. So überraschte sie einmal der Bauer, gab dem Madl ein paar Maultaschen, zankte den Bergmann, der die Leiter gehalten, tüchtig aus, und sagte zum Liebl: »Du, mit unsrer Freundschaft ist's aus, und wofern Du Dich unterstehst, noch einmal daher zu kommen, so laß ich den Hund auf Dich ab, und den Knecht, und meinen Prügel sollst Du schon spüren.« Der Liebl sagte hingegen: »Ich fürchte mich nicht. Wenn Du mir jedoch etwas thust, so ist mein Büchsel für Dich geladen, so gut wie für Hirsch' und Gemsen.« – Nun gab's eine Weile Fried' und Stillstand. Der Bauer dachte daran, die Schwester zu verheirathen. Da kommt einmal der Bergmann zu ihm und redet ihn um sein Erbtheil an, indem er in fremde Länder gehen wolle, da auf dem Bergbau in Tirol nicht viel zu verdienen. Der Andrä gibt ihm's Geldl bei Kreuzer und Heller, obgleich es ihm wehe that. Gleich darauf komme ich von der Wanderschaft heim und verlange mein Erbtheil, mich als Meister zu setzen. Der brave Mensch kreuzigt sich schier ab, um mir gerecht zu werden, steckt sich in Schulden, und zahlt mich blank und baar aus. Ist ein gar braver Bruder gewesen. Kaum hab' ich mich gesetzt und ein bissel Leder gekauft und ein Weib genommen, so kommt der Bergmann auch zu mir, und spricht 35 mich um ein Darlehen an. »Ich kann's in Sachsen gut haben,« sagte er: »aber mein Geld ist fort und wie soll ich die Reise machen? Ich bin jetzt gescheit geworden, und in Jahr und Tag hast Du das Geliehene wieder im Sack.« Ich will nicht recht, aber es war der Bruder und ich war froh, daß er von dem Liebl wegkam, der ihn zum Müßiggang verführte. Ich geb' ihm, was ich gerade entbehren mochte, und er macht mir dafür eine Schrift. Indessen, statt nach Sachsen zu reisen, zieht der Bergmann wohl auf und ab im Land und spielt Trumpf aus, und läßt unsern Herrgott einen guten Mann seyn. Meine Schwester kommt zu mir mit weinenden Augen, und meldet, daß der Bergmann auch ihr, was sie hatte, abgenommen, und daß der Andrä in Verlegenheit stecke bis über die Ohren. »Du gut's Affl,« hab' ich ihr gesagt: »Du mußt jetzt den Frankenseppel nehmen, der Dich will: es ist die höchste Zeit, daß der Bruder erleichtert werde.« – »Wann ich mich aber nicht vor dem Liebl getraue?« sagt sie entgegen, und weint noch heftiger: »er hat gedroht, uns das Haus überm Kopf anzuschüren, und mich todt zu machen, wenn ich den Seppel nehme.« – »So? seyd's noch immer mit einander verbandelt?« – »Ei freilich, er kommt alle Freitage zu mir, und ich weiß mich nicht vor ihm zu retten. Der Andrä darf's nicht wissen: es gäb' ein Unglück.« – Sie hat wahr gesprochen, die arme Haut. Ich sah's nicht ein, und geh' heimlich zum Bruder und sag' ihm: »Du, ich hab' vernommen, der Liebl werde am Freitag auf den Hof kommen. Sperr' die Schwester ein, und jage den bösen Gast ein für allemal zu den alten Mondscheinen hinaus.« – »Hab' Dank; das soll geschehen,« sagte er. – Das war am Dienstag. Ich hatte viel zu arbeiten, und denke nicht mehr an den Liebl und seine Landläuferei. Da sitz' ich am Freitag ziemlich spät Abends, und mache für den Herrn 36 Frühmesser ein paar Stiefel fertig. Die Frau schlief schon lange. Nun klopft's an's Fenster, ich schau' hinaus. »Um Gotteswillen!« jammert mir der Schwester Stimme entgegen, »komm' geschwind mit mir. Der Andrä ist geschossen worden und liegt in den Zügen!« – Ich weiß nicht, wie ich auf den Hof gekommen bin. Aber ich war ohne Hut und in Pantoffeln; dabei war's um die Fastenzeit und ziemlich kalt. Was hab' ich gefunden? Den Andrä in seinem Blute; den Bergmann, der den Pater Benitius geholt hatte, Weib und Kinder in Geschrei und Thränen. »Was hat's gegeben?« – Der Andrä hatte mit seinem Gewehr, ohne einem Menschen davon zu sagen, die Runde um den Hof gemacht, war auf einen Mann gestoßen, der etwas im Arme trug, wie eine Flinte. »Wer da?« hat denselben der Bauer angerufen. »Gut Freund!« hatte der Mann geantwortet, und die Stimme war des Jäger-Liebl. – »Was machst Du da?« – »Ich gehe spazieren.« – »Reiß' aus!« – »Warum nicht gar.« – »Ich schieße Dich zusammen, wenn Du nicht Dein Gewehr niederlegst.« – »Ich hab' gar kein Gewehr, 's ist nur ein Stecken.« – Der Liebl legte den Stecken fort, und wollte sich erklären. Andrä, in seinem Zorn, hielt seine Büchse gespannt, und drohte dem Jäger. Endlich überlief diesen der Koller, und er fiel über den Bauer her, ihm die Flinte zu entreißen. Im Nu hat er den Kolben in der Hand, Andrä hält die Büchse bei'm Lauf fest, und will nicht ablassen. Auf einmal schnappt das Schloß ab, und die Pfosten fahren dem Andrä durch die Brust. Der Jäger war davongesprungen, aber es dauerte nicht lange, so kam er wie ein Geist in die Stube, schwankte zum Todtkranken hin und sagte: »Ich schwör Dir's zu bei Himmel und Seligkeit, daß ich nicht mit Fleiß und Rachlust Dein Gewehr abgeschossen. Der Zufall war's, oder besser, der Teufel, der immer bereit steht, wo's ein Unglück 37 geben soll.« Du kannst nicht glauben, Seraphin, wie uns Allen zu Muth war. Ich hätte den Jäger erdrosseln mögen, aber die Schwester und der Bergmann hingen an mir, als wie Hunde am Wildschwein. Die Frau schmähte den Mörder, aber der Pater gebot ihr Stillschweigen. »Ist es so, wie der Mann sagt?« fragte er sanft, wie er immer gewesen, der Mann Gottes, den Verwundeten. »'s mag schon seyn,« murmelte der Bruder, drehte aber das Gesicht von dem Jäger weg und zog die Hand, wonach er gegriffen, unter die Decke. – Da fiel der Jäger auf seine beiden Kniee vor dem Bette hin und verschwor sich millionenmal, und heulte vor Kummer. Es ist sonderbar, daß wir von seinem Heulen und Rehren so derschossen waren, daß wir auf einmal mit dem Galgenschwengel Mitleid hatten. Kein Mensch sprach davon, ihn einzufangen. Der Knecht, der's etwa gethan hätte, war Tags vorher wegen schlechten Lebenswandels fortgeschickt worden, und der neue noch nicht eingetreten. Pater Benitzi, der fromme Priester, sagte, wie Christus, unser Herr, gethan haben würde: »Gott will nicht den Tod des Sünders, und für ein pures Unglück, wäre es noch so herbe, soll nicht das Schwerdt gezogen werden. Andrä . . . Du hast nicht mehr lange zu leben . . . Du bist mit Gott versöhnt; thue das Härteste, und versöhne Dich auch mit Demjenigen, der aus Versehen ein Werkzeug Deines Todes geworden, und der so bitterlich bereut, was etwa nur der Zufall gethan.« – Worauf der sterbende Bruder: »Gott stehe meinem Weib und meinen Kindern bei: sie werden's hart haben. Gott bessre Dich, mein Bruder und meine Schwester!« – er meinte den Bergmann – »Gott segne Dich, Bruder Schuster, in allen Wegen . . . von dem da« – er zeigte, ohne sich umzuschauen, auf den Jäger – »von dem da will ich nichts wissen.« – Bei diesen Worten, obschon ich dem 38 Armen sie nicht verargen wollte, ging mir's doch grauslig über die Haut, und ich sagte: »Schau, Andrä, der Hochwürdige meint, daß auch der Herr seinen Feinden vergeben hat.« – Hierauf lächelte der Bruder so bitter und spöttisch und leidvoll, wie sie oft lachen, die da den Geist aufgeben, und murmelte: »Wenn unser Herrgott von dem Blutmenschen was weiß . . . meinetwegen. Ich nicht.« – Jetzt fing auch das Weib und die Schwester an, ihm in die Ohren zu schreien, er möchte doch mit dem Sünder barmherzig seyn, und der Sünder schrie ärger als Alle, und der Bergmann hatte den Bruder rechts und ich hatte ihn links, und der ehrwürdige Pater Benitzi hielt ihm's Kruzifix vor, und beschwor ihn bei allen Seligkeiten, er möchte den Reuigen zu Gnaden annehmen . . . es war aber nichts zu machen. Andrä sagte noch einige Mal mit seiner ersterbenden Zunge: »Nichts . . . o nein, o nein . . . ich weiß nichts von dem Teufel!« So ging's geschwind bergab mit ihm, und im letzten Athemzug, da er zu schwach war, um sich von dem Jäger abzukehren, machte er auf dem Sünder den Blick so fest, als wollte er ihn durch und durch schauen, und der Blick, da schon die Augen brachen, war so viel gräßlich, daß sich das Weib gar sehr schleunte, ihm die Augen zuzudrücken. – Sobald er todt war, der Andrä, lief der Jäger davon, um sich beim Gericht als ein Mörder anzugeben. Hat's ihn jedoch unterwegs gereut, oder hat ihn der Bergmann, der ihm nachlief, umgestimmt – genug: er gab sich nicht an, und wir Andern thaten's auch nicht, weil die Sache so viel verwickelt war, und weil der gute Pater Benitzi abrieth, damit nicht etwa ein Unschuldiger lange litte. – Hierauf ist der Liebl fortgegangen und der Bergmann mit ihm. Schau, der Andrä war der erste meiner Brüder, der durch ihn zu Grund ging. Der zweite war der Bergmann, der als ein Falschmünzer im Gefängniß gestorben 39 ist; immer besser, als wäre er unterm lichten Galgen geköpft worden. Nun, was geschah alsdann? Des Andrä Weib hat vom verschuldeten Gut müssen, und ist nach ihrer Kinder Tod in ihre Heimath gegangen. Ich und die Schwester, wir waren um all unser Geldl. Die Schwester ist verkehrt im Hirn worden; ein paar Wochen ging's mit ihr zwar gut; aber dann kamen immer wieder mehrere Tage voll von Narrheit und Raserei. Frag' nur die Jungfer Prombergerin. Sie hat der Haut aus- und abgewartet, bis zu ihrem Ende; Gott tröst' sie. Ich bin immer mehr zurückgekommen, weil ich viel borgen mußte an Andere, und selber keinen Vorrath weder an Geld noch an Leder hatte. Mein Weib verging, mein Kleiner verkümmerte. Da sitz' ich nun von Tammerls Gnade in einer Hütte auf dem Dorf, und flicke alte Schuhe, da keine neue mehr bei mir bestellt werden. Und wer trägt die Schuld von all diesen Unfällen? Der Jäger-Liebl, dem der Bruder nicht verziehen hat, und dem es wahrlich nicht gut gehen kann in dieser und in jener Welt. – So, jetzt gib mir die Kandel herüber, daß ich ein's trinke. Ich bin heiser und müde. Sing mir ein schönes Liedl, wenn Du ein's kannst.«

Seraphin sang, von der scheppernden Stimme des Alten begleitet, nach der Weise des Unterinnthals, wo die eigentliche Heimath des Tiroler-Gesangs:

»Und wie höher der Kirchthurm,
Wie schöner das G'läut,
Und wie weiter zum Diendl,
Wie mehr daß mich's g'freut!

Und im Sommer da wat' ich
Durch's Gras ganz waschnaß,
Und im Winter, wann's 'n Schnee schneibt,
Wie lustig ist das! 40

Und wenn der Mond so schön scheint,
Und der Nachtvogel singt,
O wie wird's erst so lustig seyn,
Wenn mein Bub' kimmt!«

Sie suchten erst spät ihr Lager: voll von innerlicher Lust der Knabe, voll von Wehmuth der Greis. Für ihn schien der Mond nicht mehr so schön; für ihn sang der Nachtvogel nicht mehr. 41


 << zurück weiter >>