Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Erstes Kapitel.

O je, g'freu ich mich heim!
Das halt' ich gar nicht g'heim,
Ich sag's grad laut.
Sei's aussen noch so schön,
Möcht' ich dem Berg zugeh'n,
Wo's weiß herschaut –
Herr, schenk' mir frohen Muth,
Führ' mich, o sey so gut,
In Deiner starken Hut,
Ist meine Wandrung aus,
Glücklich nach Haus.
Tiroler-Lied.

Zuweilen, in hochgelegenem Bergrevier, aus Felsenschluchten, die einander gegenüber sich öffnen, fließen zwei Wildbäche hernieder. Als wüßten sie von einander, stolpern sie ungeduldig über ihre rauhen Treppenstufen, und vereinigen sich geräuschvoll in der Rinne des Thals. Zufrieden alsdann, plaudern sie lustig fort im frischen grünen Wald, durch fette Wiesen und blumige Fluren und gießen sich, gleichsam Arm in Arm in den Fluß, in das Meer, wo ihre Spur dem Auge in der Unendlichkeit verschwindet. Es trifft sich nicht selten, daß einer von ihnen längere oder kürzere Zeit ausbleibt, in seinen Quellen vertrocknet, vom Sonnenbrand, oder vom Winterfrost und Gletschereis gehemmt. Wie niedergeschlagen und müde wandert dann der andere seinen weiten Weg! wie schläfrig rollt er dahin! Seiner Wellen Blitz scheint ein sehnsüchtiger Blick nach der Höhe, die jetzt so dürr und kahl; jedes Rauschen 2 seiner Woge ein Seufzer nach dem Ausbleibenden, der nicht kommt, das vereinsamte Bett zu theilen. Wenn jedoch der Frühling das Eis bricht, oder ein wohlthätiger Regen die Glut des Sommers löscht, und der Strom, befreit von seinen Banden, lebendig, wie sonst, zu Thal sprudelt, – dann ist die Freude der Neuvereinigten ohne Gränzen. Sie bewillkommen sich mit Getöse, sie schwatzen um so eifriger durchs Land, und als ob sie die entlaufene Zeit einzuholen dächten, verdoppeln sie ihre Eile, das Ziel zu gewinnen.

So auch zwei innige Freunde, die, lange von einander geschieden, sich wieder begegnen mit leuchtenden Augen, mit brüderlicher Hand. Das fragt und erzählt, das weint und lacht, das zürnt und herzt sich ohne Unterlaß. Immer rühriger bewegt sich die aufrichtige Zunge, das erquickte Herz. Es ist freilich im Grunde gleichgültig, an welchem Orte sich zwei wackre Freunde wiederfinden, aber ihre innerlichsten Gefühle werden immer begeisterter überströmen, wenn sich ob ihren Häuptern die Kronen majestätischer Bäume wölben, wenn die sommerliche Abendluft, so mild und erfrischend, auf heiterm Rasenteppich sie umspielt, und sie dabei ganz vertraulich sitzen können, den fröhlichen Becher zur Hand, worinnen sich die aufziehenden Sterne spiegeln, nicht weniger die von Entzücken feucht gewordenen Augen der im Wiedersehen Verklärten.

Bei Augsburg gab es solch ein Plätzchen mit Schatten und Matten und fröhlichem Becher, zu den »sieben Tischen« genannt. Der Patrizier und der Handwerksmann suchten einst dort in ächt republikanischer Eintracht ihre Zerstreuung und Trinkfreude. Des Fremdlings Spaziergang richtete sich gern nach jenem Heimathplatz der Sommerlust. Muntere Gespräche schwirrten über die vielbesetzten Tafeln hin und machten die Sänger in den Baumwipfeln verstummen. Um so neugieriger saßen die stillgewordenen Vögel auf den Zweigen und schauten hernieder in das 3 mannichfaltige Gewühl tief unter ihnen, wo des Gambrinus schäumender Krug von Hand zu Hand ging und ein Spaß den andern jagt, als ob er gefiederprächtige Schwingen hätte.

Kurze Zeit nach dem Lorenzitag des Jahrs 1740 war der Sommer recht heiß geworden, daher der Schatten der »sieben Tische« begehrter, und durstiger der Gaumen des dahin wandernden Gastes. Musik, Gesang und Scherz überall; aber am äußersten Ende der bunten Versammlung der Zecher saßen an einem winzigen Tischchen allein zwei Leute, die sich mit wonniglichen Augen musterten, sich tausendmal die Hände reichten und Geberden machten, wie sie nur überglücklichen Menschen gerathen.

Der eine der beiden Männer, ein schlankgewachsener Jüngling rosigen Angesichts, trug mit Vortheil das hübsche Gewand des reisenden Vogelhändlers; der andere war städtisch gekleidet, und der Rock, der seine stämmige Gestalt einknöpfte, hie und da mit grünen und blauen Oelfarbflecken getigert. Sein Hut saß etwas verwegen auf seiner Stirne voll Keckheit, über seinem Gesicht, voll von ehrlicher Lustigkeit und gutmüthigem Trotz. Der Stämmige klappte mit der Gewandtheit eines Geübten den Zinndeckel seines Kruges auf, zog einen braven Schluck, und sagte dann, mit dem Aermel den Mund wischend: »Das heißt auf Deine Gesundheit getrunken, Du rarer Seraphin. Jetzt erzähle weiter, und fürchte nicht, daß ich Dich unterbreche.«

Seraphin, der schmucke Vogelträger, ließ sich's gesagt seyn, legte beide Ellenbogen auf den Tisch, agirte lebhaft mit den Fingern, und füllte die Kluft der kurzen Unterbrechung mit um so gedrängterem Bericht aus. »Du kannst Dir nicht vorstellen, Walt, wie so viel ungern der schieche Bube mit uns ging. Ein widerspenstiges Fackl ist niemals mit größerer Mühe zum Markt gebracht worden. Zudem – Gott behüte das Passeierthal – war der Weg 4 stückel und steinig gewesen den Berg hinab bis St. Leonhard, so wurde er noch viel schlechter dort unten. Am »Sand« hatte die Passer übel gehaust, unter Riffian und beim SalthausSalthaus: ein einzelner, sogenannter Schildhof im Passeyrerthal, auf der Straße nach Meran. mußten wir, um nicht im Wasser zu storcheln bis an die Kniee, von Stein zu Stein springen, wie die Gemsen, und ich dachte alleweil, der Teufelsbub' möcht' sich durchmachen. Und je näher gen Meran, je ermüdender wurde die Straße und die Dunkelheit, die mit Gewalt einbrach, machte den Transport noch heikler, und wär' der Peter nicht ein fauler Bub' ohne Courage gewesen, er wäre uns zehnmal statt einmal entkommen. Zum Glück fürchtet er sich aber vor der Hexe und vor der Nacht, und sein liebes Fell ist ihm vor Allem werth; er laßt's nicht auf ein blau's Fleckl ankommen, viel weniger auf einen groben Schuß, womit ihn des Liebl-Lex Büchsel an einem fort bedrohte. Item: wir marschirten in das Meran hinein; aber ich wußte nicht recht, wie es anzufangen seyn würde, den kleinen Waldteufel über Nacht festzuhalten. Ich war schläfrig und müde wie noch gar nie, und der Liebl-Lex sagte am Thor: »Jetzo will ich zurückgehen, und weiter Dich zu begleiten, leidet mir die Zeit nicht.« Nahm freundlichen Abschied von mir, versprach mir noch einmal sein ganzes Herz für seine Lebtage, und kehrte um ohne sich vor der Nacht zu fürchten. Wohin er ging, wußte ich nicht. Er hat mir's nicht gesagt. – Nun hatt' ich nur noch einen Stern: die Hoffnung, daß der Peterl nicht weniger müd seyn würde, als ich, und so war es auch. Dem schiechen Buben hieng schier die Zunge aus dem Halse, und er verlangte nur nach einer braven Gazze voll Suppe und nach einer Liegerstatt. In einem Wirthshaus bei der Kirche verschaffte ich ihm beides, fütterte ihn ab, sagte ihm bei jedem Löffelvoll: »Sey still und ergib Dich und schleun' Dich, und mach mir keinen Spektakel, sonst schlag ich Dich nieder, oder der Lex thut's, der gleich wieder da seyn wird.« Der Heiter hat Alles 5 geglaubt, ist ohne Abendgebet ins Nest gekrochen und gleich darauf eingeschlafen, als wollt' er in hundert Jahren nicht mehr aufstehen. Ich hab' die Thüre zugeschlossen, den Schlüssel in den Sack gesteckt und mich ebenfalls niedergelegt, aber weil ich fürchtete, der Peterl möchte mir durch's Fenster auswischen, hab' ich einen starken Spagat um seine Pratzen und die meinigen gebunden, und mich erst alsdann dem Schlaf überlassen. 's ist nicht nöthig gewesen. Der kleine Ruech schnarchte, bis ihm die Sonne in die Nase schien, und da er erwachte, hatte ich noch immer nicht bei im Reinen, wie ich ihn weiter bringen würde. »Ich bin ganz maladi und marod,« murmelte der Bub' mit seiner verdrießlichen Stimme: »meine Schuhe sind hin, meine Füße sind hin; kannst mir den Schuster und den Bader rufen, Seraphin« – Wahr ist's: seine Schuhe waren zerrissen, aber der Peterl wär' auch in den zerrissenen davongelaufen, sobald ich den Rücken gewendet hätte; darum sagte ich ihm: »Recht, Peterl; darfst nur schaffen. Ich geh' selber mit Deinen Schuhen zum Flicker, und weil, wie ich sehe, Deine GesäßhosenGsäßhosen: die eigentlichen Beinkleider, zum Unterschied von den »Beinhosen« – vielfach gefaltete Strümpfe zum Schutz der Waden, – also genannt. ebenfalls die Nadel brauchen, will ich sie gleich mitnehmen.« – Der Peterl machte ein schiefes Gesicht; da ich mir aber wohl einbildete, daß er nicht im Hemde herumspolziren würde, so war ich seiner gewiß, und ging mit seinem Gewand unterm Arm auf die Straße vor's Haus. Was seh ich aber da? Die Tammerlkutsche, die alte, die mir noch von Burgeis erinnerlich war. Ich reib' mir die Augen, ich frag' den Hausknecht. Der sagt mir, die Kutsche sey vor einer Stunde angekommen. – »Wer darinnen?« – Eine wohlbesetzte Frau und ein bildsaubres Madl. – Da ist mir die Martina wie ein Hasenschrot durch's Herz gegangen. – »Oho! was wollen denn die hier?« – Die Alte hat die Junge in's Kloster zu den Fräulein gebracht. – »Ach, Du heilger Geist! soll sie darinnen bleiben?« – – Ach mein ja. Zwei Jahre auf's wenigste, hat die Alte 6 gesagt, und wie's bei den Kapuzinern geläutet hat, sind sie miteinander fort ins Kloster. – Da stand ich nun, die Schuhe in der Hand, das G'wand unterm Arm, und schaute betrübt in die Sonne hinein, und hätte mich selber wegen meiner Langschläferei schopfbeuteln mögen. Ich bildete mir ein, daß wenn nur die Martina mich gesehen hätte, sie unmöglich ins Kloster hätte gehen können.«

»Das wird schon seyn . . . . . oder auch nicht,« unterbrach Oswald schon wieder den Freund; »oder auch nicht, sag' ich; denn schau: die Alte ist doch einmal der Martina ihre Mutter gewesen, und ich wollte wetten, daß gerade die Alte den Anschlag mit dem Kloster gehabt hat, und kein Mensch sonst auf der weiten Welt. Das liegt schon in meiner Perspektivi. Gesundheit, lieber Seraphin.«

Der Vogelhändler schenkte der Trinkfertigkeit seines Jugendgefährten und Herzbruders einen langen, stillen und mißbilligenden Blick; er zog etwas ungeduldig seine rothe Schärpe zusammen und fuhr fort: »Hast's errathen, Oswald, ganz und gar. Aber laß mich doch an der Schnur fortreden, sonst komm' ich nimmermehr an's Ende. – Wie ich also dastehe und das Maul aufsperre, gleich einer jungen Lerche im verlassenen Neste, wer kömmt vom Thor heraus, vom Thor gen Mals? Die Frau Marianne wie sie leibt und lebt, im Staatsgewand mit der goldnen Haube, aber Niemand ist bei ihr, nicht hinten, nicht vorne, nicht links, nicht rechts. Zur selben Zeit steht Jemand hinter mir, schlägt mir auf den Rücken, und schreit: »Chi Giavel, Du hier?« Du errathst schon selbst, daß es der Engadiner war, der, weil Kölbl nicht mehr in Tammerls Diensten, die Mutter Martina's herkutschirt hatte. Ich konnte ihn nicht viel fragen. Nur sagte er heimlich, ich möchte immerhin gute Miene zum bösen Spiel machen; die Alte habe etwas angezettelt. – So eben kam die Frau in meine Nähe, blieb überrascht stehen, hielt die Hand zwischen Aug' und Sonne, verzog den Mund mißfällig, wurde roth 7 – aber wie! – im Gesichte, und fragte mich zornig: »Heiliges Blut! wie kommst Du nacher Meran?« Nun – ich hatte bald wieder meine Gnade und noch mehr als diese: die Geschichte mit dem Peterl wollte ihr schier das Herz abstoßen, aber wiederum erfrischte seine Rettung ihr Herz, und ich muß sagen, daß sie von dem Augenblick an, trotz ihrer großen Vorliebe für den Buben, doch noch größere Stücke auf mich hielt, als auf den ungezogenen Peterl. Ist's aber auch möglich, daß Einer die warme Mutterliebe so häßlich vergelten kann, wie es der Bube von Stund' an ohne Hehl sich unterstanden? Ei, da muß wohl die blindeste Zärtlichkeit zwei helle Augen bekommen. Du kannst Dir nicht einbilden, wie grob, verstockt und z'nicht der Peterl sich benommen hat. Auf der Reise von Meran nach Imst zurück hat er sich selber muthwillig den G'nickfang bei der Herzensmutter gegeben, und Egidi sparte auch nicht, überall sein Wörtl einzuflicken, um der Frau Tammerl zu verstehen zu geben, welch ein Unterschied zwischen mir und dem ungerathenen Kinde sey, und daß die treue Dankbarkeit eines Fremden höher anzuschlagen, als die Blutsverwandtschaft mit einem Rabensohn. Egidi mochte auch um so unbefangener predigen, als kein Mensch mit einer Silbe wußte, wie nahe mich der Engadiner angeht.«

»Wohl, wohl, Seraphin. Aber du kommst ganz ab von Deiner Martina?«

»Ei nun, mit derselbigen hatte es seine Richtigkeit. Sie war im Kloster bereits aufgenommen. Ich war unfähig, meinen Verdruß zu verbergen, und bat, das Madl nur noch einmal sehen zu dürfen. Aber die Hand von der Butten!d' Hand von der Butten, 's sind Weinbeerln drinn: nicht anrühren! Da war nichts zu machen. Frau Marianne sah verzweifelt streng, und antwortete, freilich ein bissel unbedacht: »»Wär' mir nichts lieber. Der kleinen Tack' das Herz noch schwerer machen? Behüte Gott!« Das klang feindselig allerdings, aber ich freute mich dennoch. 8 Du merkst, warum? Aber wie viele tausendmal hab' ich von da an gewünscht, ich möchte, wie der Grödner es vorgehabt, zu Meran auf der Schule seyn, und folglich nahe bei meinem Schatz, und träumte so von allerhand. Nun, wer weiß, ob's gut gewesen wäre. Ich zweifle. Der Himmel hatte es besser mit mir im Sinn. Wir reisten also noch am selben Abend fort. Noch einmal war Frau Tammerl im Kloster gewesen; ich hatte sie gebeten, die Martina freundlich zu grüßen, Frau Marianne hatte dieses versprochen. »»Sie thut's nicht;«« sagte mir hierauf der Engadiner. Und richtig hat sie's auch nicht gethan, und der Martina nicht einen Buchstaben von meiner Ankunft verrathen. Der Peterl machte Kopf mit der Mutter, und verlangte nicht nach der Schwester; die Mutter mockte mit dem Peterl und sagte auch von ihm der Martina kein Wort. Mir machte sie vor, sie hätte den Gruß verrichtet und die Martina hätte gesagt: Schönen Dank und nichts weiter. Ich wußte es aber schon besser, und schwieg dazu still. Wir fuhren schnurgrade durch Burgeis, ohne anzukehren. Frau Marianne wollte nicht, daß ich ihres Buben Schande ausposaunte. Zweimal lagen wir über Nacht; am dritten Tage rumpelten wir zu Imst ein. Egidi hatte seine Sachen trefflich gemacht. Die Tammerl hatte ihm ernsthaft gesagt. »Ich will nichts Gutes seyn, wenn ich's dem Seraphin jemals vergesse, und was er von mir haben will, das hat er schon im voraus.« – »Merk's,« sagte hinwieder zu mir der Egidi, und ich that dieses auch so eifrig, daß ich, als wir nach Imst kamen, den Kopf ganz vornehm trug, wie unser Prälat. Der Landläufer jedoch, der Peterl, fürchtete seine Prügel und ließ sich gehen, wie ein Regenwurm. Man hätte ihn vor lauter Elendigkeit durch einen Trichter laufen lassen können, das saubere Früchtl.«

»Bin nur froh, daß Du ihn mit Ehren heimbrachtest, Seraphin.«

9 »Beim Meister hatt' ich mir noch ein Bildl mehr eingelegt, als bei der Meisterin. Was ich verrichtet, war gut ausgefallen. Die Tante Magdalene war höchst zufrieden mit dem Brief, den ich ihr von dem Herrn mit der Flitsch'n überbrachte, und sagte mir, sie wisse Alles, was zwischen mir und der Martina verhandelt worden, und das Madl würde mich lieb behalten, und ich solle brav seyn, und es würde Alles gut werden. Sogar die Tammerlmutter war mir freundlich und der alte Maroner erhob mich über alle Sterne. Ich war der Vogel im Hanfsaamen, und wenn auch die Abwesenheit meines Engels weh that, so erquickte mich doch einigemal ein Liebeszeichen von ihrer Seite. Die alte Wollhaube, die Zaya war der hatschige Kurier, der ungefähr alle fünf oder sechs Monate ankam, und mir Grüße brachte, und sogar einmal ein Herz von Papier, worauf stand: »Getreues Abbild des Herzens, das mir Seraphin Plaschur verschrieben, und die liebste Tante gerettet hat. Herz um Herz, 3–4–3 (Treu' für Treu'.) Immer und gewiß Deine ergebenste Martina Tammerlin.« Ja, Waltl: für das blühweiße Papier mit den schwarzen Mückenfüßen darauf, die ihre Hand gemalt – für das Herzl von ihrer Scheere ausgeschnitten, hätte mir schon der Mohrenkönig viele Zentner Goldstaub versprechen dürfen, ich hätt' es doch nicht hergegeben.«

»Nun, das meyn' ich doch auch, Seraphin. Hergeben? ja, Schnecken! hättest gerade nicht recht bei den Groschen seyn müssen. Schau, schau! sollst leben, Du rarer Kerl.« –

»Mit aller Welt in Fried' und Freud', nur mit dem Peterl stets in Gift und Streit, vergingen mir ein achtzehn Monate, wie der Wind, und siehe da, die Martina kam heim und der Peterl ging hinaus in die Lehre Nummer zwei, über den Berg zu einem Handelsmann nach Feldkirch. Daß er ging, war mir recht; daß sie kam, 10 war mir jedoch zehnmal recht; denn sie konnte nicht zur gelegenern Zeit kommen. Just am Tag vorher hatten der Egidi und ich dem Meister Tammerl sein Haus und Hof vom Feuer, sein Gut und Hab' vor Dieben gerettet. Wie das zuging, sag' ich Dir ein andermal. Genug: mit dem Segen Gottes gelang's, und ich war der Haupt-Mann dabei, denn der Engadiner trat mir all' seine Glorie freundlichst ab. Die Tammerlfamilie weinte und segnete mich. Der Meister sagte zur Frau: He Marianne, hat der Vater selig etwa nicht gewußt, was er that, als er mir den Buben anempfahl? Und die Frau Marianne nickte, und nahm mich mit beiden Händen beim Kopf, und sagte: Du sollst unser Sohn seyn. – Mir war's schon recht, und der Martina auch. Die Frau Tammerl war einmal in die Rührung hineingerathen und der Meister auch, und die Tante Magdalene sagte, ehe noch der gute Geist verraucht war: »Ihr habt, so zu reden, dem Seraphin Alles zu verdanken. Das belohnt sich nicht mit einem Sack voll Geld, und euer Peter, der Scharmantl, würde euch nie vergeben, wenn Ihr sein Erbtheil um ein paar Thaler verringertet, dieselben dem Seraphin zuzuwenden. Darum hört, was ich meine. Mir ist's in der Liebe ganz konträr gegangen; ich will aber nicht sterben, ohne zwei Herzen, die sich aufrichtig lieben, so recht mit Gusto verbandelt zu haben. Entweder gebt Ihr dem Seraphin die Martina, und ich, Lenerl Prombergerin, schenke ihm eine Aussteuer von zehntausend Gulden, daß er als ein rechter Mann Euer Schwiegersohn werde; oder Ihr gebt ihm die Tochter nicht, und ich schenke die zehntausend Gulden dem nächsten Spital, und die Martina kommt folglich einmal um die Hälfte meines Vermögens. Jetzt wißt Ihr's, und macht mir nicht gar zu lang mit Eurem Rath und Ueberlegen.«

»Die beste Tante auf der weiten Welt, Seraphin. Nein, die gehört nicht auf's Sterzinger-Moos, sondern 11 in ein Aparte-StanzlStanzl: besondres Kirchenstübchen; Oratorium für vornehme Leute. des Paradieses. Die ehrsame Jungfer Prombergerin lebe!«

»Spare Dir den letzten Jubeltrunk auf's Ende meiner langweiligen Geschichte. Gott sey Dank, ich hab' nichts mehr zu sagen, als daß die Tammerl-Eltern Ja sagten, trotz des Kopfschüttelns der alten Martha und der Warnungen des Spanbrenners, des Herrn von Sprenger, der sich dahineinmischte, wie ein höllischer Geisfuß, als ob's ihn etwas anginge. – Vier Jahre wurden als Wartzeit festgesetzt. Zweimal sollte ich hinauswandern, wie die andern Vogelträger auch, und Beweise von Geschicklichkeit im Handel und von Treue in Geldsachen ablegen. Ueberhaupt sollte während der vier Jahre meine Aufführung die eigentliche Bürgschaft für mich leisten, und nur von meinem exemplarischen Betragen wurde die endliche Erfüllung der glücklichen Zusage abhängig gemacht. Das zweite Jahr nähert sich gemach seinem Ende. Ich habe meine erste Wanderung angetreten. Sie geht nach England, meine nächste etwa nach Moskau, und wenn ich zurückkomme, brav und treu wie immer – und Gott wird helfen – dann, Walt, dann ist Dein Bruder Seraphin schon in dieser Welt mitten im Himmel drinnen.«

»Das wird schon seyn, liebster Bub'. Und so laß uns denn anstoßen, und Dich und Alle, die Dir gut sind, in einem Garaus feiern, daß es schnellt!«

Seraphin hielt zwar den Trunk mit; sobald jedoch Oswald abgesetzt, abermals den Mund mit dem Aermel gewischt, und einen tüchtigen Schmatz auf seines Freundes Lippen gedrückt hatte, sagte der Letztere mit einer gewissen sorglichen Wehmuth: »Lieber Walt, so wie ich Dich anschaue, so erkenne ich wohl Deine Stirn und Deine Augen, . . . in jedem Zug bist Du mein ehemaliger und neuerdings wieder aufgefundener Jugendfreund; aber, verzeih' mir's Gott, ich kann dennoch aus Deinen Manieren nicht recht klug werden. Es will mir vorkommen, 12 als habest Du ein gewisses ausländisches Wesen angenommen, das Dir nicht so gut läßt, als Deine ehemalige wackre und einfältige Tirolernatur. Ich verstehe freilich von der Welt blutwenig, und es wird sich schon ein Jeder etwas verändern, der lang in der Fremde gewesen; aber ich kann Dir nicht verbergen, daß mir's weh thut, Dich als einen andern Menschen wiederzusehen.«

»Wie meinst Du denn das?« fragte Oswald etwas betreten, und wurde dabei flammroth.

»Hm, ich sollte meinen, Du seyst ein bissel leicht geworden?« entgegnete Seraphin bedächtig: »Dein Gewand ist nicht gar sauber, Dein Hut ist brüchig, Deine Schuhbandeln sind zerrissen. . . . .«

»Wenn ich doch gerade von der Arbeit davonlief, als ich Dich nach mir fragen hörte?« fiel ihm Oswald in die Rede: »ha, Du sollst mich sehen, ich habe schon bessere Kleider; ich gebe dem galantesten Stadtherrn nichts nach.«

»Das wird seyn, Walt, und ich will nicht verlangen, daß Du seyst, wie ein Cavalier. Ein Jeder trage sich nach seinem Stand; aber in Deiner Nachlässigkeit steckt so was apart Leichtfertiges. Auf der Gasse drehst Du den Kopf wie ein eitler Vogel nach den vier Winden, lachst alle Dirnen an, die zum Brunnen gehen, hast einen Zug am Halse, daß eine Maß nach der andern des starken Pechbiers verschwindet, ohne daß ich weiß, wo sie hinkommt; kannst auch nicht übel schwören, und ehe man sich's versieht, lauft Dir ein Gsetzl von einem lockern Gsangl über das Maul. Ei, Walt, hast Du denn das alles aus unserm lieben Vintschgau in's Schwabenland gebracht, oder hast Du's nicht vielmehr hier erst aufgelesen?«

»Geh, geh, laß mich aus mit dem Textlesen,« lachte Oswald verlegenen Muths: »ländlich, sittlich. Ich werde halt geworden seyn, wie man hier zu Land ist, und damit basta, wie der Grödner sagt. Ich bin eben ein Maler, 13 und die Künstler sind ohnehin nicht wie andere Leute. Das Bierl schmeckt mir, und warum sollen mir die Mädchen, die jungen und hübschen, nicht gefallen, da ich doch selber jung bin und nicht häßlich von Figur?«

»Da haben wir's!« seufzte Seraphin: »da spricht er jetzt wie ein abgerichtetes Staarl, und schwäbelt so vornehm, als hätt' er die liebe Muttersprache ganz und gar vergessen.«

»Ach mein, ach mein, hör' auf, Seraphin. Gib mir die Hand.« – Oswald langte die seinige treuherzig über den Tisch, und sein Auge wurde naß. – »Glaub' nur, daß ich noch immer Dein ächter Landsmann bin. Schau: es kann nicht ein Jeder sein Glück machen, wie Du es gemacht hast. Ich hab' mir eingebildet, es könne mir nicht fehlen . . . ja . . . gehorsamer Diener. Und so ist's gekommen, daß ich vielleicht gewisse Sekten angenommen habe, die Dir nicht gefallen. Ich weiß eben für meinen vielen Verdruß keinen bessern Schlaftrunk, als das Bierl; kein besseres Pflaster, als den Kuß eines hübschen Mädels.«

»So?« bemerkte Seraphin finster: »Wer ist's denn gewesen, der mir auf der Zertzer Alp die Hölle so heiß gemacht und mich vor allen Weiberleuten gewarnt hat?«

»Aha?« fragte Oswald dagegen: »und wer ist's gewesen, der sich aus all meinen Höllenflammen nichts gemacht und dennoch die Martina derwuschen hat? O, sey Du froh, daß Dir ein wackres Madl und brave Leute so fein durchs Leben geholfen haben. Nicht Alle sind so wohl berathen. Laß diesen auch eine Freude. Du hast schon so viel als Haus und Hof; ich sitze vogelfrei auf dem Zweige und muß geh'n wie der Wind weht. Du hast eine Braut, die Deine Hofmeisterin nicht minder; ich hab' da außen keinen Menschen, der sich meiner annimmt. Darum tröst' ich mich mit flücht'ger Lieb' bei'm kühlen Krug, der bald leer, bald voll, wie mein Beutel 14 und mein Herz.« – Oswald zerdrückte die Thräne zwischen seinen Wimpern, hob den Becher, seinen Trost, empor, und sagte mit einer drolligen Mischung von Ernst und Spaß:

»Bring' D'r's Waltl,
»Gsegn' D'r's Waltl;
»Fürcht' Dich nit, Waltl,
»'s g'schieht D'r nix, Waltl.«

Seraphin, der sich inzwischen besonnen, und die Freundschaft, wie sie seyn soll, hatte walten lassen, lächelte, und bat den Freund um Vergebung. »Du bist der alte gute Mensch,« sagte er, »und wenn Du auch ein paar fremde Manieren angenommen, so ist's am End' nicht mehr und nicht weniger, als ein Kittel, den Du anziehen und ablegen kannst, nach Belieben. Verzeih mir, Walt. Du weißt ja, daß das Predigen meine alte Schwachheit. Von wem ich sie hab', weiß ich nicht. Die Mutter hat sich nicht damit befaßt, und der Vater nun schon einmal gar nicht.«

»Hm, Du meinst den Vater Lenhard?« fragte Walt lächelnd: »aber der andre, der vornehme Papa, der mit dem böhmischen oder türkischen Namen . . . . . he, wer weiß?«

»Schau, Walt, das laß ich mir nur von Dir im Spaß sagen, und zwar, weil ich Dir ein bissel grob gekommen bin. Aber die Sache ist, daß ich in meiner tiefsten Herzenskammer keinen Gedanken habe, als den, daß der Vater Lenhard allerdings mein Vater gewesen; ja – daß er es noch wirklich, denn ich kann's schier nicht glauben, daß er gestorben ist, wenn schon die Mutter es sagte, da sie jenen leidigen Brief verbrannte. Ach, der Brief, der Brief! die Mutter selig hätte etwas Klügeres thun können, als den Brief ins Feuer zu werfen. Wer weiß, wo der gute Vater jetzt sitzt und trauert. Sie 15 haben ihm freilich im ganzen Land einen schlechten Namen angehängt, aber das verschlägt mir, dem Sohn, nicht das Geringste. Wenn ich ihn nur fände, wär's in einem – Gott verzeih' mir die Sünde, wär's in einem Zuchthause, auf einer Ruderbank; seine Hände in Ketten, wenn auch in verdienten, sollten mir heilig seyn als eines Vaters Hände. Den Kindern steht nicht zu, das Thun der Eltern zu deuteln, und am Ende ist der Lenhard Plaschur, trotz des bösen Leumunds, noch zehnmal besser, als die an ihm kein gut's Haarl lassen! – Doch genug von mir und meinen sieben Zwetschgen. Wir sind ungefähr drei Stunden beisammen, und haben von nichts anderem als von Seraphin und Martina und von Martina und Seraphin geredet. Jetzt möchte ich indessen auch vom Bruder Walt etwas erfahren. Aus Deinen paar Briefen hab' ich nicht klug werden können. Sag' einmal heraus, mein lieber Pinselmann, wie ging, wie geht Dir's?«

Der verschwäbelte Oswald hatte wenigstens eine seiner heimathlichen Gewohnheiten nicht abgelegt. Von irgend einer Verlegenheit oder Unentschlossenheit befangen, kratzte er sich zu Augsburg den Rücken, wie er im Vintschgau gethan. So auch jetzt. Mit einer gewissen Kläglichkeit nahm er sodann das Wort: »Was soll ich sagen? Es ist wohl schon Mancher in die Fremde gegangen, und hat geglaubt, er würde mit Glanz wieder heimkehren. So ist's mir geschehen. Aber der Glanz wollte sich hinterher nicht finden. Mein Vetter – ich müßte lügen, wenn ich's nicht sagte – hat sich die erdenklichste Mühe mit mir gegeben; aber es half nichts. In meinen harten Kopf wollte nicht viel, und meine Hände waren fast so ungelenk wie der Kopf. Item: ich bin ein Sudler geworden, und habe mich, seit vor ein paar Monaten mein guter Vetter in's Himmelreich abgereist, gänzlich der Flachmalerei ergeben, bin ein Lakirer, ein Vergolder geworden, ein Anstreicher, ein Weißbinder, – wie Du's 16 heißen willst. Schau: meine Eitelkeit hat nicht zugegeben, daß ich als ein mißrathner Malergesell wieder heimging, und leben muß denn doch der Mensch. Ich lebe auch besser, als wenn ich daheim den Pflug führte, oder Holz sammelte, oder das Vieh hütete; aber es ist einmal nichts Rechtes an mir. Und so werd' ich denn den Tüncherpinsel mein Lebtag führen, und ein armer Teufel bleiben, während Du in Ueberfluß und Herrlichkeit Dein Leben verbringst. Das muß aber so seyn, denn Du bist viel gescheiter und braver als ich, und das Glück will Dir wohl, was ich von mir – ob meine Schuld, ob nicht – keineswegs sagen kann.«

Seraphin zuckte mitleidig die Achseln, und meinte, es könne allerdings noch etwas aus dem Freunde werden, wenn derselbe sich entschließen würde, wieder in's Vaterland zurückzugehen. »Alle Stifter und Klöster und Kirchen in Tirol werden jetzt, nach der Reihe, wieder ausstaffirt und neu hergerichtet. Es fehlt, glaub' ich, denn ich hörte darüber klagen, an genugsamer Menge der Künstler und Arbeiter. Es wäre dort innerhalb der heimathlichen Berge gewiß mehr zu erwerben, als im Reich, und die Heimath ist doch immer besser als die Fremde.«

»Hm!« sagte hierauf Oswald wehmüthig: »Du kannst Dir nicht vorstellen, wie es mich manchmal überläuft, wenn ich über Land gehe und sehe etwa am Vorabend eines Regentags die fernen Gebirge, die bei schönem Wetter nur so leicht und duftig am Gesichtskreis hingelagert sind, ganz dickblau und mastig herantreten. Mir ist dann, als müßte ich stehenden Fußes hinlaufen und an ihnen hinaufkrefeln, und wenn ich Rock und Schuhe dabei einbüßte. Schau, aber lach' mich nicht aus, ich gäbe manchmal einen Wochenlohn für die Freude, nur eine Viertelstunde lang den Kirchthurm von Burgeis vor meinen Augen zu sehen. Oft, 17 wenn ich auf meinem Gerüste hing, und etwa einen Sankt Christoffel so schön renovirte, daß ich selber vor dem Heidenkerl erschrack, fiel mir die Heimath ein, und ich saß Stundenlang, in meine Betrachtung verloren, vergaß die Kleckserei und das Essen, sogar das Trinken, und mein Herz klopfte so wehmüthig dazu! Da brauchte nur allenfalls unten auf der Gasse ein Limonitrager vorbeizuwandern, oder ein Handschuhhändler aus dem Zillerthal einen Juchetzer zu thun, – geschwind lief mir's Haferl über und die Zähren rodelten mir wie Erbser so dick über die Backen, und ich war betrübt wie ein Narr. Wie oft bin ich einem grünen Hütl durch die halbe Stadt nachgelaufen, bis ich mein »Grüß Dich Gott, Tiroler, im Schwabenland!« oder »Diendl, schwarzauget's Diendl, woher und wohin?« anbringen konnte. Sie mußten mir ein's singen, und ich weinte dazu. Sie mußten eins mit mir plaudern, und auch dann rehrte ich wie nicht gescheit, weil die Landsleut' mich schier nicht mehr verstanden und kaum glauben wollten, daß ich daheim in den Bergen geboren worden. Weißt Du? Im Vintschgau haben wir oft gelacht über die langweilige Oberinnthalersprache, über die Grödner, denen das Maul nicht still steht, über die Ruechen aus Passeyer oder über die ungeschlachten TefereggerTeferegger: Leute aus einem Seitenthale nächst dem Pusterthal, als Halbwilde verschrieen gewesen.; aber heutzutage möchte mir halt die Seele aus dem Leib heraus, wenn ich nur einen Menschen sehe, der, ob aus dem fernsten Winkel, von Tirol gebürtig ist. Selbst die Salzburger rechne ich dazu, und so ich einem Kerl aus dem baierischen Gebirg, einem Garmischer, oder Einem aus der Jachenau begegne, bild' ich mir ein, er sey mein Landsmann, oder beneide ihn wenigstens, daß er gerade neben dem lieben Tirol wohnen, und tagtäglich in dessen Fenster hineinschauen darf. Komm, Seraphin, laß unser Land hoch leben, und unser Burgeis, und unsern Kaiser, und Alle, die es mit dem Landl gut meinen!«

18 Es versteht sich, daß Seraphin dießmal gründlich Bescheid that. Er rief auch mit hitziger Freude: »Du bist halt doch mein alter Freund, und wer's Vaterland gern hat, kann nicht umkommen. Laß' immerhin Deine schwäbischen Brüderln sagen: »Gut' Nacht, Welt, ich geh' in's Tirol!« oder: »Im Tirol sey die Welt mit Brettern verschlagen!« oder: »Die Tiroler seyen dumm und grob!« Was thuts? Wir wissen schon, warum wir das Land und die Landsleute lieb haben. Es muß auch etwas Besondres an unsern Bergen und Thälern seyn, das ist keine Frage. Schau: Da gehen sie hin, die Einen nach Wien, die Andern nach Welschland, Dieser ins Reich, Jener gar nach Portugal oder über's Meer zu den Amerikanern, und heirathen meintwegen dort, und bauen Häuser; und sie bekommen Kinder und werden reich, und kommen halt um ihrer Geschäfte willen oft gar nicht mehr heim. Aber deshalb vergessen sie doch die Heimath nimmermehr. Sie reden alle Tage davon, sie beten alle Tage für sie, sie schicken viel Geld dahin, und stiften Schulen und Kirchen darinnen, und schenken dem lieben Mutterland schöne Bilder und allerlei Herrlichkeit. Es gibt Menschen, die sich ihres Vaterlands schämen, aber der Tiroler ist nicht unter selbigen. Vor Gott und aller Welt, vor Franzosen und Engländern, vor evangelischen und türkischen Leuten setzt er seinen Hut auf, klopft mit der Hand auf den Hosentrager und schreit aus voller Brust: Ich bin ein Tiroler; wer hat was dagegen? Ei, das muß schon eine recht fromme und liebe Mutter seyn, die solche fromme und standhafte Kinder hat! Schad' um Diejenigen, so damit sich begnügen müssen, dieser ehrlichen Mutter alle Morgen nur ein Bußhandl übers Meer zuzuwerfen! Jammerschad' um Diejenigen, die in der Ferne ohne ein getreues vaterländisches »Tröst' Dich Gott!« sterben müssen! Aber, wer's verrichten kann, soll sich der Heimath nicht entziehen, soll sein Leben dort ausmachen, wo er's angefangen, und darum 19 setz' ich meinen Kopf auf, daß mein braver Walt das thue. He? Weißt noch, Du halber Schwab', was wir uns in der Vallarga zugeschworen? Daß wir's noch miteinander haben müßten im Leben? Daß es schade wäre, wenn wir auseinander kämen, und daß der liebe Gott schon so gut seyn würde, indem wir uns so lieb, gar so lieb hätten. Weißt Du's noch?«

Oswald umarmte heftig seinen Freund. Tiefgerührt fuhr Seraphin fort: »Folglich muß das geschehen. Der liebe Gott, meine ich, hat's gut genug mit mir gemacht, und Du und ich sind ja im Grunde nur ein und derselbe Mensch. Daheim wirst Du die ausländischen Dalkereien vergessen, daheim wirst Du wieder zurecht kommen, den Eltern auf dem Todbettl die Augen zudrücken! Deinen Geschwistern ein lieber Bruder, mir ein treuer Freund seyn; daheim wirst Du Dich redlicher nähren, als hier außen, und auch ein braves Weib finden, und viele Kinder kriegen, und wenn wir einmal ein paar alte Tatt'ln, ein paar krumme schneeweiße Mandln sind, werden wir uns erst recht freuen am Vaterland, und nicht fürchten vor dem Grab, weil's gegraben ist im Schatten unsrer Berge.«

»Das wird schon seyn,« schluchzte Oswald, »Du predigst da so rührend, wie der Pater Thomas – weißt ihn noch, den Pusterer mit seinem braunen Gesicht und den tellergroßen Augen? – Du redest so eindringlich und beweglich wie der lange Komödiant, der am Sonntag hieselbst den großen Gordianus gespielt hat, – ein schönes Spiel fürwahr – aber wie soll ich denn ausrichten, was Du sagst? Wenn mir doch der Vetter, maßen meiner Ungeschicklichkeit oder andern Leichtsinns nicht mehr als wenige Thaler hinterlassen hat, die bereits den Weg alles Geldes dahin liefen? Wenn ich doch Schulden habe, statt eines Vermögens, und von meinen liederlichen Bierbrüderln nichts von dem zu erhalten ist, das ich ihnen aus 20 meinem sauern Verdienst geliehen habe? Wie soll ich nacher Haus kommen, ohne zu betteln, und wird meinen guten Alten mit einem Bettelmandl gedient seyn, das kreuzwohl auf ist, und im Tag dreimal seine Füße unter einen gutbestellten Tisch stecken möchte? Bedenk' es selbst, Seraphin.«

»Du bist also schlimmer daran, als ich dachte, Du Hascher,« entgegnete Seraphin mitleidig; »weil ich aber ein Prediger gewesen bin, so will ich's auch zu Ende führen. Mein Geldtrücherl ist zwar gering, aber was darinnen, gehört ehrlich und aufrichtig mein, und wenn's meinen Walt angeht, der mir einmal den Lepoldithaler, seinen ganzen Schatz, geschenkt und das Rothkröpfl transportirt hat, dem ich mein Glück verdanke, – wenn's also meinen Walt angeht, so soll die Spinnerin nicht Zeit haben, ihre Fäden über's Schlüsselloch zu meinem Geldbüchsel zu weben; sondern ich will gleich thun, was in meinen Kräften. Ich zahle nur eine alte Schuld. – Oder, weißt Du was? Verhalte Dich noch hier, bis ich von London zurückkomme. Dann lös' ich Dich aus, nehme Dich unter den Arm, und hopsasa der Heimath zu. Was dort mit Dir geschieht, ist meine Sorge ganz allein.«

»Das wäre schön, das wäre recht! Hoi! – Beim Anblick der Scharnitz wollt' ich einen SchnagglerSchnaggler: eigenthümlicher Juchzerlaut, um sich von ferne anzukündigen. thun, daß es schnallte weit und breit. Wann gehst Du weiter?«

»Ei, morgen in aller Frühe.«

»Ich begleite Dich ein Stück. Wohin zunächst?«

»Nach Donauwörth. Mein Alter, der Egidi erwartet mich dort. Ich hab' einen frischen Buben bezahlt, daß er meine Vogelkraxe dorthin trug. Jetzt trag' ich nichts, als diesen Stock und dieses Geld.« – Seraphin ließ einen ziemlich gefüllten Geldgurt sehen: »Davon werden noch hie und da Vögel und Futterwaare aufgekauft, und die Reisekosten bezahlt, bis wir in England, so Gott will, reichen Fang ziehen.«

21 »Ein schönes Geld!« sagte Oswald langsam mit begierigen Augen. »Wohin denn weiter von Donauwörth?«

»Ei, an den Rhein, und dann per Schiff hinunter bis nach Holland und von Amsterdam über's Meer. Der Egidi und ich, wir geh'n allein diese Straße; die Andern geh'n von Donauwörth gen Nürnberg und Hessenkassel, und dann, je wohin Einen sein Marschzettel weist. In Donauwörth treffen wir bei der Heimkehr Alle auch wieder zusammen. – So Gott will!« setzte Seraphin mit ernsthafter Miene hinzu.

»Nach Holland?« wiederholte Oswald, wie aus tiefem Nachsinnen erwachend: »Bruder Seraphin! Nimm mich mit; ich hab' in Rotterdam eine Condition. Der Schlesinger hat mir sie ausgemacht. Ich habe geschwankt, . . . aber – Deine Hand her – ich geh' mit Dir!«

»Das wirst Du seyn lassen. Bleib fein, wo Du bist. Je näher an Tirol, je eher daheim. Hab' ich Dir nicht gesagt, daß ich Dich abholen werde?«

Oswald schien den Widerspruch überhört zu haben, denn er fuhr lebhafter fort: »Und besser ist's ich begleite Dich alsdann grad nach Amsterdam, und sehe Dich zu Schiff steigen. Schau: dann treib' ich mein Handwerk zu Rotterdam, bis Du zurückkommst, und gehe hernach mit Dir, wohin Du nur willst.«

»Ei, welch' ein dummes Durcheinander! Was willst Du ein sechs Wochen oder zwei Monate in Holland verlieren? Sey doch gescheidt.«

»Hm, ich hab' meine Ursachen.«

»Welche?«

»Ich mag Dich nicht allein gehen lassen.«

»Narr, ich bin ja nicht allein. Der Alte ist bei mir, hat schon die Fahrt ein paarmal gemacht, ist dort als wie zu Hause.«

»Glaub's schon. Wenn ich nun aber gerade dem Engadiner nicht traue?«

22 »Oho! oho! Was platzederst Du denn, mein lieber Walt? Dem Engadiner, der mich hält, wie sein Auge, der ein Bruder meines Vaters?«

»Schau, Seraphin; g'wiß, ich spreche im Ernst; der Egidi gefallt mir nicht. Was Du von ihm erzählt hast, und daß er so heimlich thut, und gar nicht gestehen will, daß er Dein Vaterbruder, und daß er so hinterhältig und doch gewaltthätig . . . . . . das Alles will mir nicht ein, es will mir einmal nicht ein.«

»Du bist mondsüchtig, Walt.«

»Nein, aber Du bist blind, wenn Du das Geleit eines treuen Freunds ausschlägst.«

»O heiliger Geist, welch ein Mensch! Was sollte mir denn der Egidi thun?«

»So hast Du mich einmal wegen des Jäger-Liebl gefragt, und doch wär's schier gekommen, daß er Dich erschossen hätte.«

Seraphin stutzte, und besann sich eine Weile. Seine Züge nahmen einen finstern Charakter an. Er bezahlte die Zeche, winkte dem Oswald, aufzubrechen und sagte zu ihm, da sie unterwegs waren: »Du hast, meine ich, einen kleinen Stieber, Walt, und Narrheit ist Alles, was Du gesagt. Aber zugleich hast Du mich an etwas Ernsthaftes erinnert! Wer eine weite Reise thut, ist nicht immer versichert, daß er wieder nach Haus komme. Darum will ich Dir noch heute geben, was ich Dir zu geben im Stande bin, um Dich frei und marschfertig zu machen. Du magst alsdann in's Tirol aufbrechen, wann Du willst, und darfst nicht auf mich warten. Geh hin, geh hin je eher je lieber, und grüße die Martina, wenn Du ihrer ansichtig wirst, und sage ihr: Im Leben und im Tod sey ich ihr Eigenthum.« –

Oswald ließ sich zwei, drei, vier Tage weder bei seiner Arbeit, noch überhaupt zu Augsburg sehen und verspüren. Als er sich am fünften Tag endlich beim 23 Meister einfand, war schon ein anderer Gesell für ihn eingestellt worden, und nichts mehr für ihn zu thun. »Pah!« sagte er: »Das ist mir alleins;« und fragte um nach Arbeit. Da sich nun aber nirgends welche für ihn aufmachen wollte, brummte er abermals: »Pah, das ist mir wieder alleins, und in Augsburg bleib' ich doch nimmermehr lang!« Fremd geworden, wie die Handwerksburschen zu sagen pflegen, lungerte Oswald noch einige Tage auf dem Pflaster umher, bezahlte seine Schulden, löste seine verpfändeten Kleidungsstücke ein, und versuchte, einzutreiben, was seine Werkstatt und Zechgenossen ihm schuldig geworden waren. Viele Mühe baar umsonst. Sie lachten den blöden Gläubiger aus, und vertrösteten ihn auf Winterpfingsten. Der Eine sagte: »Ich weiß nichts von einer Schuld;« der Andre sprach, ein kalter Philosoph: »Ich zahle nicht, weil ich nicht kann.« Ein Dritter war unverschämt genug, zu fragen, ob sich Oswald nicht schäme, ihn zu beunruhigen, während er, Oswald, selber die Taschen voll Dukaten und neue Kleider auf dem Leibe habe? Der billigste war noch der vierte Schuldner: er schlug vor, auf Bezahlen und Nichtbezahlen zu würfeln. Aber Oswald erschrack vor dem Spielansinnen, wie vor dem bösen Feind, weigerte sich dessen auffallend ängstlich, – er, der sonst Würfel- und Kartenspiel im Sack nachgetragen – und ließ die böswilligen Schuldner laufen.

Die Sage von den Dukaten Oswalds hatte ihre Richtigkeit; aber das Gold mußte dem Tiroler keine große Freude machen, denn er versteckte es sorgfältig, nachdem ein paar unbescheidene Freunde davon Wind bekommen, und beschränkte seine Ausgaben aufs Allernothwendigste. Er vermied die abendlichen Trinkgesellschaften, er sonderte sich scheu von allen seinen Bekannten ab; er besuchte die Kirche tagtäglich zu verschiedenen Malen; er gab seinem Herzblättchen, einer niedlichen 24 BockelhaubenstickerinBockelhaube: eine Silber- oder Goldhaube, vordem in Augsburg gebräuchlich., den Abschied. Er hielt sich, auf der Straße gehend, dicht an die Mauern, und sah, ob nun geflissentlich, oder in der Zerstreuung, keinem Menschen in die Augen. Diese Veränderung des so häufig überlustigen Tirolers war viel zu auffallend, als daß nicht Hiesel und Liesel davon hätten diskuriren sollen. Jener plauschte im Wirthshause, diese munkelte am Brunnen und Backtrog die seltsamsten Begebenheiten herum, die dem guten Walt aufgestoßen seyn sollten. Die wunderlichen Fabeln, alle nicht zur besondern Ehre des bezeichneten Helden, kamen vom Lehrjungen an den Meister, von der Magd an die Herrschaft, und eines Morgens hätte beinahe die Polizei der Reichsstadt davon Notiz genommen. Doch erfuhr sie bald auf ihre schläfrige Umfrage, daß besagter geheimnißvoller und praktikenverdächtiger Tiroler schon seit einigen Tagen aus Stadt und Weichbild Augsburg ohne Abschied und Letzung entschwunden. »Auch gut,« sagte hierauf die Polizei, und beruhigte sich wieder.

Und – hätte sie es gewollt – dennoch hätten sie ihn nicht gefangen, den breitschulterigen Schmetterling; er flog wie besessen seiner Heimath entgegen, voll von Besorgnissen und Grillen; flink wie die Kugel aus dem Rohr. Freilich hielt er nicht die schnurgerade Richtung ein, freilich verweilte er einen Tag in der baierischen Hauptstadt; aber von dannen ging es stracklichst dem Ziele entgegen. Als ihm bei Mittewald der erste ächte grüne Tirolerhut mit der HuifederHuifeder: Trutzfeder, die von stolzen raufsüchtigen Buben auf dem Hut getragen wird; ein Ausforderungszeichen. darauf zu Gesicht kam – damals trugen sich noch die Leute um Innsbruck mit dieser Zierde – vergaß er augenblicklich seinen heimlichen Kummer, und herzte das braune ehrliche Gesicht ab, zu dessen größtem Befremden; er küßte den gewaltigen Schnurrbart seines Landsmanns mit heißerer Inbrunst, als je vordem eine heilige Reliquie, und der weithinschallende Schnaggler, den Oswald dem Scharnitzerpasse angelobt, wurde feierlichst losgelassen.

25 In Seefeld angekommen, ging sein erstes Trachten dahin, sein Gewand mit der heimathlichen Sitte in Einklang zu bringen. Er kam sich plötzlich – in seinem steifzugeknöpften Rocke, mit seinen langen Halstuchzipfeln und Manschetten – vor, wie ein kurioses ausländisches Thier. Er meinte, alle Tiroleraugen verfolgten spottend und hohnneckend sein dreieckiges Hütchen, seine grauen, über dem rothen Kniegürtel sauber aufgerollten Strümpfe. Er verschaffte sich daher ein Kleid, halb städtisch, halb ländlich, wie es ihm, als einem aufs Wandern angewiesenen jungen Burschen wohl anstand: kurz und offen, das Brusttuch und den darüber gezogenen Hosenträger nicht verbergend; dazu die bequemere Fußbekleidung vermöglicher Landwirthe und Stadtbürger; endlich den, manche Tasche ersparenden Ledergurt, den er belastete mit den Schriften und Zeugnissen, die ihm wichtig, mit dem Gelde, das er besaß.

Er hatte sich mutterseelenallein in eine Kammer eingesperrt, um seine Verwandlung zu vollenden. Nur der Mond, der noch am Himmel zögerte, vor der anrückenden Sonne Reißaus zu nehmen, spionirte in die Kammer, fürwitzigen Augs, und zählte mit dem Besitzer zugleich, Oswald's Habe Stück für Stück. – Der Mond rechnete fünf und vierzig Dukaten zusammen: kaiserlich und holländisch Volk, leichte Polaken, ungarische RabenRabendukaten: auch Rabeldukaten genannt; sind ungarische Stücke, die auf der Reversseite den Raben mit dem Ringe zeigen., Lüneburger Kavallerie. »Potztausend, wie reich bist Du!« sagte der Mond. – Oswald seufzte, seinen Schatz überzählend, und wickelte ihn scheu mit dem Lederbeutelchen in ein wohlverschnürtes Päckchen zusammen, steckte dasselbe in den dunkelsten Winkel seines Gürtels, und stopfte, was er nur fand, darauf, damit er des Anblicks und der Erinnerung bald los würde. »Mein!« fragte wieder der Mond, der noch immer sein Hörnchen und sein spitziges Kinn aus den Wolken reckte: »Wie bist Du nur zu all dem Gelde gekommen, Du leichter Patron?« 26 – Wäre auch der Mond nicht schon so blaß und fern gewesen, und seine Frage daher deutlicher, Oswald hätte dennoch schwerlich eine Antwort gegeben, oder etwa nur diese: »Was fragst? Bist ja selbst dabei gestanden, überlästiges Wechselgesicht!« – So begnügte er sich aber, ohne an den Mond zu denken, vor sich hin zu brummen: »Ein FledermäuselFledermäusel: tyrolische Scheidemünze mit dem Adler und der Reversschrift: Quadrans novus tyrolis., ehrlich und brav verdient, wär' mir schon lieber, als der ganze goldene Kram.« Er schlug sich vor die Stirn, und fuhr fort: »Walt, aus Dir ist ein saubres Stück von einem Menschen geworden! hast Dich schön ausgewachsen! Ach, wie froh war ich, wie unschuldig, da mein ganz Vermögen in der weiten Welt in dem RüsselthalerRüsselthaler: im Volksmund die Thaler Leopolds I., wegen des unförmlichen Mundes des darauf geprägten Kaiserbildes. bestand, den mir die Nahndel im Schlinig verehrte, den ich dem armen Seraphin abtrat! Ach! ach! wie mag ich nur neben dem Fluchgeld seinen, des Freundes Namen aussprechen? O pfui, pfui mich an, mich schlechten Burschen!«

Zwar wischte sich Oswald mit der verkehrten Hand die Augen, daß sie ihn wie Feuer brannten, zwar begab er sich eilends auf die Weiterreise und segelte frisch hinein in die Bergnebel, die unter'm goldnen Blitz der Morgenstrahlen erlagen, wie des Lindwurms Brut unter dem freudigen Speer des himmlischen Reiters; aber seine Laune war getrübt, sein Gewissen strampelte heftig, je schneller die Füße liefen, mit spitzigen Sporen in dem armen Schelm herum. –

Die Erinnerung an das Abendmahlwunder von Seefeld trug nicht wenig dazu bei, Oswalds Gemüthsstimmung zu einer trostlos-verwirrten zu steigern. Vor mehreren Jahrhunderten war just einem Namensvetter von ihm, dem gewaltigen Edelherrn Oswald Milser, zu böser Stunde eingefallen, sich vor allem Volke auf eigne Weise zu erhöhen, und am grünen Donnerstag das Osternachtmahl in einer großen Hostie reichen zu lassen. Kaum lag indessen der göttliche Leib auf der 27 Zunge des thörichten Sünders, so brach unter demselben der Boden, worauf er kniete, ein, und bis an die Brust versank der Frevler. Vergebens klammerte er sich an die Stufen des Altars; sie wichen unter seinen Händen. Der erschrockne Priester, der ihm schnell die Hostie aus dem Munde nahm, rettete den Unsinnigen. Stehenden Fußes wanderte der Milser in das Kloster zu Stamms, und beschloß dort sein Leben in Reue und Buße. Sein Weib, das dem Wunder keinen Glauben schenken wollte, vor dessen Augen jedoch, ein Wahrzeichen der schauerlichen Begebenheit, drei Rosen am verdorrten Stocke aufblühten, entrann dem Schlosse und endete verzweifelnd in der Wildniß. – Dieser Geschichte Andenken also erfüllte den Vintschgauer mit der allergrößten Betrübniß, daß er zu wiederholten Malen ausrief: »Wahrlich! wer Gott versucht hat, kann einen guten Ausgang nicht finden!«

Was war es aber, das dem leichtblütigen Walt so tief erschütterte? Nicht einmal der bergfrisch daherstreifenden Luft vertraute er das Geheimniß. Aber die Vorwürfe, die an seinem Herzen nagten, gestatteten ihm nicht, den Pfad zur rechten Hand einzuschlagen, den Pfad nach dem Oberinnthale, ins Vaterhaus. Er lief nach Zirk hinab und von dannen gen Innsbruck, wo er in einer einsamen Herberge sich mühselig zu sammeln suchte.

Wenn Einer sich in eine traurige, ja verzweifelte Vorstellung hineingearbeitet und so zu sagen verrannt hat, so sieht er gemeiniglich den Wald vor lauter Bäumen nicht. Das Mittel, das ihm aus dem Labyrinth zu helfen im Stande wäre, läge noch so nahe seinem Kopfkissen, er fände es nicht, wenn nicht zuweilen ein Ungefähr ihn auf die rechten Sprünge brächte. Dem armen Walt zu Gefallen war ein solches glückliches Ungefähr um die Wege. Neben seiner Kammer befand sich eine andere, worinnen ein fauler Handwerksbursche, der, 28 auf dem Bette liegend, sich selber seine Generalbeichte vorsang:

»Mit dem Arbeiten, mit dem Arbeiten
Ständ' ich wohl ganz fein;
Aber's Arbeiten, aber's Arbeiten
Das geht mir nicht ein.«

Oswald fuhr freudig in die Höhe: »O Du herzlieber Faullenzer und Tagdieb!« rief er heitern Muthes: »sey bedankt und gesegnet! Mir geht schon ein, daß mir das Arbeiten helfen könnte aus diesem jämmerlichen Krieg mit meinem Gewissen!« Und stehenden Fußes ging er zu seinem Herbergvater und fragte, wo etwa Arbeit zu finden wäre. Er wollte für einen guten Rath sein Lebenlang dankbar seyn.

Darob lächelte der Wirth, ein ehrlicher Innsbrucker, der hinter einer mürrischen Miene ein seelengutes Gemüth verbarg, und erwiederte: »Hör', laß mich aus mit der Dankbarkeit. Diese ist gar nicht mehr auf der Welt. Schau: grad geht unter Deinem Fenster ein stolzer Herr vorbei und schnupft eben aus seiner goldnen Dose von dem spanischen Pulver in seine hochstehende Nase. Selbiger Herr hat vor Zeiten, da er ganz blutarm hier studirte, alle Mittwochen an meinem Tisch als Freikostgänger viele Knödel verzehrt; aber seit er ein vornehmer Kanzleiherr geworden, besieht er mich nicht mehr, und denkt bei sich: Was geht mich der alte Struzzer an, und wie sollt' ich ihn noch kennen? Das ist die Dankbarkeit der Welt für genossene Wohlthaten und Knödel. Darum nichts davon, Vintschgauer. Aber weil Du ein stilles, frommes Blut zu seyn scheinst« – Oswald nieste unwillkührlich – »will ich Dir zur Arbeit verhelfen, sobald der Pater Philipp wieder bei mir ankehrt.«

Dieser Pater Philipp, ein Verwandter des an aller Dankbarkeit verzweifelnden Herbergvaters, war ein Servit, und zwar aus dem bei dem berühmten Wallfahrtsort 29 Waldrast bestehenden Kloster. Der ehrwürdige Vater hatte in seiner Jugendzeit die Kunst der Malerei als Liebhaber mit einigem Erfolg getrieben, galt für den vorzüglichsten Knnstverständigen seines Klosters, und war als solcher von seinen Obern beauftragt worden, zu Innsbruck einige Maler, Stuckadors und Vergolder anzuwerben, indem die Kirche und das Ordenshaus zur Waldrast, Dank der Freigebigkeit des Landesfürsten und vornehmer Gönner, aufs glänzendste erneuert werden sollte. Nun waren die Bemühungen des Abgeordneten zwar auf mancherlei Schwierigkeiten gestoßen. Die vorzüglichern Künstler befanden sich zum Theil im Ausland, zum Theil waren sie mit anderweitigen einträglichern Arbeiten überhäuft. Mehrere andere verschmähten es, an dem einsam gelegenen Orte zu verweilen. Zugleich gebot die Zeit Eile, denn von der schönen, ähnlichen Arbeiten günstigen Jahrszeit war wenig mehr übrig, und dennoch sollte noch viel gethan werden. Dergestalt machte es sich, daß Pater Philipp, unvermögend, bedeutende Meister zu gewinnen, zu der Mittelmäßigkeit seine Zuflucht nehmen mußte, und auf Verwendung des alten Struzzers dem Ansuchen des Oswald ein günstiges Gehör schenkte.

Handel eins geworden, beschlossen Pater Philipp uns sein neuangenommener Vergolder, die kurze Reise nach dem Kloster selbander anzutreten. Die übrigen Kunsthandthierer waren schon voraus. Leichtern Herzens verließ Oswald die Stadt Innsbruck und getröstete sich der anstrengenden Arbeit, die seiner harrte und der segensreichen Folgen dieser körperlichen und geistigen Zerstreuung. Aber vom Fuß des Iselberges bis auf die Höhen des Schönbergs war bei ihm die Erinnerung an seinen Freund Seraphin, der durch jene Reviere seinen Jagdzug auf den bösen Buben Peter verfolgt hatte, und die Erinnerung war keine freundliche . . . . Jedoch, wo vom Schönberg rechts die Straße in's StubaythalStubay: ein ansehnliches Thal einige Stunden von Innsbruck, durch seine Eisenschmelzen u. s. w. berühmt geworden. 30 einbiegt, und freundliche Landschaftsbilder den Wanderer zu umgeben beginnen, ließ die Qual des armen Schelmen nach, und er freute sich der Sonne und des duftigen Bergwalds und der noch frischgrünenden Thalsohle, des fernher blickenden Gletschereises, und ließ sich nicht irren das Gemurmel des im tiefen Einschnitt brausenden Rutzbachs. Das lustig gelegene Dorf Mieders, schon dazumal wie heute eine Sommerzuflucht von Brixnern und Innsbruckern, bot willkommne Erquickung, und den angenehmsten Anstieg zum Endziel der kleinen Reise zur Waldrast. Bald jedoch hatten die Pilger den schattigen Wald im Rücken; über sumpfige Halden schlängelte sich ihr Weg, und näher und immer näher kamen sie der Einsamkeit des Klosters. Von neuem umklammerte eine Bangigkeit ohne gleichen das Herz des armen Oswald, als er des ansehnlichen Gebäudes ansichtig wurde, das in einer Wellung des Bodens zu den Füßen des Sonnensteins lag, dürftig nur geschützt vor dem gewaltigen Andrang der Bergstürme. Der Fichtenwald hatte einst den Boden des Klosters überwuchert, war jedoch zu dessen Herstellung beträchtlich ausgereutet worden, und kahl und mager bis zu dem Saume des übriggebliebenen Forstes, von schroffgespaltnen Felsspitzen umgeben erschien der Ort, von der Sonne nicht durchwärmt, vom Frühling niemals heimgesucht. Oswald hätte weinen mögen inmitten dieser traurigen Oede.

Arme Hirten hatten vor vielen Jahren dort oben in einem hohlen Lerchenstamm ein Muttergottesbild gefunden, das wunderbar im Stamme selbst gewachsen zu seyn schien, das göttliche Kind im Arme, einen Apfel in der Hand. Die Finder hatten mit Axt und Säge das Bild vom Stamm getrennt; ein dürftiger Holzhacker für dasselbe eine Kapelle aus dem Almosen, das fromme Tiroler ihm vertrauten, gestiftet, Wallfahrer und Opfer mangelten nicht. Erzherzog Sigmund begünstigte mit 31 Vergabungen den heiliggewordenen Berg; Erzherzog Leopold und seine Gemahlin Klaudia erbauten das Servitenkloster und steuerten es fürstlich aus. Die Gnade der irdischen Herrscher besitzt indessen nicht die Zaubergewalt, die eine rauhe Wildniß in ein sommerliches Paradies umzuwandeln vermöchte.

Die Wanderer hatten sich auf der Höhe, eine kurze Strecke vom Kloster entfernt, niedergelassen, um noch einmal auszurasten und der herrlichen Aussicht in's Stubaythal zu genießen. Sie gaben das letztere eigentlich nur vor, denn im Grunde beschäftigten sie sich mit andern Gedanken. Der Pater starrte trübselig in die Tiefe und machte von Zeit zu Zeit mit dem Daumen der rechten Hand das Zeichen des Kreuzes auf seine rechte Schulter. Oswald betrachtete ihn aufmerksam von der Seite. Die mancherlei Wunderlichkeiten des ehrwürdigen Vaters waren ihm schon auf dem kurzen Wege, den er mit demselben zurückgelegt, sattsam aufgefallen. Es war etwas recht Unstätes in dem Benehmen des geistlichen Herrn: eine Scheu, die manchmal über ihn kam, als wie vor einem gefährlichen, ihm nur sichtbaren Feinde. Sehr häufig bewegte er – in dem Gespräch innehaltend – die Lippen, als ob er ein kurzes aber eifriges Gebet spräche; an einer Kirche vorübergehend zeichnete er Kreuz auf Kreuz auf seine Schulter; nicht selten machte er dabei eine abwehrende Bewegung und sagte ängstlich vor sich hin: »Gehst! gehst!« wie man etwa ein Thier, das im Wege liegt, oder ein überlästiges Kind anzureden pflegt. Wollte er irgendwo in ein Haus treten, so berührte er selber niemals die Klinke der Thüren, und wartete lieber mit Geduld, bis eine andre Person sie ihm aufthat. Auch bei'm Weggehen beobachtete er dieselbe Zurückhaltung und paßte die Gelegenheit ab, bis ein Dritter die Thüre des Gemachs zufällig öffnete, worauf er hinauswischte, einem scheuen Gespenst nicht unähnlich. Wenn 32 ihm Frauensleute begegneten, die sich anschickten, ihm die Hand zu küssen, wie auf dem Lande bräuchlich, wendete er sich betroffen und unwillig ab, versteckte seine Hände in die Aermel seiner Kutte, und förderte seinen Schritt, als entliefe er dem Feuer. – Diese Sonderbarkeiten würden zu einer andern Zeit dem lustigen Oswald Stoff genug zu heiterm Scherz gegeben haben; aber der betrübte Oswald betrachtete sie mit andern Augen. Wie nun Pater Philipp neben ihm saß, so müde und abgespannt, so voll wie es schien, von innerlichen Sorgen, so gutmüthig und dennoch so finster, überlegte Oswald ein wenig und richtete den Blick links in die Luft empor. Als er somit der zerklüfteten Felsenpyramide des Sonnensteins ansichtig wurde – eben glitt dort oben ein kühner Bergsteiger umher, ein Schütz mit Schildhahnfedern auf dem Hut, und die Federn glichen, je nachdem er sich drehte und wendete, zuweilen dem Gehörn eines unsaubern Abgründlings – fiel dem guten Oswald das Evangelium vom Versucher ein, der vom hohen Berge dem Sohn Gottes die Reiche der Welt zeigte, und Oswald kehrte sich entschlossen zum Pater und sagte: »Der Hochwürdige ist ohne Zweifel ein vielerfahrner, vielgeprüfter Herr, und ich frage ihn daher mit rathbedürftiger Bekümmerniß, ob es wohl möglich ist, daß der leidige Satan einen sterblichen Menschen holen könne, bevor der allmächtige Gott desselben Sterbstündlein angeordnet hat?« – Der Servit drehte sich seinerseits, als ein gerade im angesprochnen Text Vielbewanderter zum Fragsteller, und erwiederte: »Das versteht sich, mein Sohn, und wir haben Beispiel und Exempel.«

»So, so?« seufzte Oswald, von Herzen kleinmüthig. Und der Pater fuhr fort: »Da ist, damit ich nur Eins anführe, nach den gewissenhaftesten Berichten zu Schwatz vor Zeiten folgendes vorgefallen. Es war zur Zeit, da aus dem Reich das scheußliche Lutherthum seine Krallen in's Tirol zu strecken wagte. Die Knappen zu Schwatz 33 hatten dem Irrthum Thür und Angel geöffnet. Ein lutherischer Prädikant predigte auf offnem Anger zunächst der Pfarrkirche seine gotteslästerliche Ketzerei, während ein hochwürdiger Franziskaner von München in der Kirche selbst den wahren Glauben verkündete. Die Knappen und das Volk zankten sich indessen. Die Einen behaupteten, der Barfüßer lüge in seinen Hals, die Andern schimpften den Prädikanten, wie billig, einen abtrünnigen Lästerer. Plötzlich rief ein Lutherischgesinnter: der Teufel solle ihn in's Steinjoch führen, gerade jetzt, bei lebend'gem Leibe, wenn der Prädikant nicht das wahre Evangelium predige. Was geschah auf diesen Frevel? Vor aller Augen riß der Teufel den Vermessenen hinweg in's Steinjoch, wo er, wie etwelche sagen, jämmerlich endete. Andere versichern hinwieder, er sey nach dreien Tagen wieder nach Schwatz gekommen, lebendig zwar, aber gräßlich zugerichtet. Dem sey nun, wie ihm wolle: Wenn der Herr es zuläßt, so hat der Teufel Macht über diejenigen, die sich ihm gottloserweise selbst überantworten.«

Oswald hing den Kopf und seine Unterlippe wurde bedeutend länger. »Der Hochwürdige gibt mir schlechten Trost,« sagte er: »Ich bin ganz verzagt und hoffnungslos« – »Warum? wo fehlt's?« fragte Philipp mit großer Sorglichkeit. – »Ach, Herr Pater!« entgegnete Oswald, betrübt aufstehend: »die Sünde steckt in mir, wie der Nagel in der Wand, und mir kann wohl niemand auf Erden helfen.« Somit ging er dem Kloster zu, und Philipp konnte vorderhand nichts Weiteres aus ihm bringen.

Da war nun allerdings eine ganz andere Heiterkeit bei der Gesellschaft, die zur selben Stunde, vor dem alten Meßmerhause im Freien sitzend, ihre Merende einnahm: drei Frauenzimmer, die als andächtige Wallfahrerinnen schon am Morgen von Mieders gekommen; zwei Männer, 34 die sich zufällig, von Matrey heransteigend, zu den andächtigen Frauen gefunden hatten. War die Begegnung auf dem heiligen Berge eine zufällige gewesen, so war doch die Bekanntschaft überhaupt bereits von älterm Datum. Die frohsinnige Vertraulichkeit der Fünfe, ihr Scherzen und Lachen berührte den guten Oswald, der bald, nachdem er von seinem Klosterquartier Besitz genommen, wieder in's Freie herausgetreten war, nicht allzuangenehm. Die Trauernden haben wenig Sinn für die Freude Anderer. Oswald würde auch jedenfalls der lustigen Gesellschaft schnöde den Rücken gekehrt haben, wenn er nicht – kaum gestand er sich's – von dem Antlitz eines Mädchens, das sich mit seiner Fröhlichkeit besonders hervorthat, angezogen gewesen wäre, ehe er sich dessen versah. Die Aeltere der Frauenzimmer, ausgezeichnet durch ihre feine weiße Farbe und vornehmprunkende Sauberkeit, besaß noch Reste von bedeutender Schönheit; aber Oswald war kein Liebhaber von schönen Ueberresten; das neben der ältern sitzende Frauenbild – offenbar ein Mädchen, so jüngferlich, wie Eine – war ein rosiger Engel mit goldnem Haar und lichten Augen, aber Oswald liebte mehr den dunkeln Brand von braunen Augen unter braunen Flechten, und die dritte der Wallfahrerinnen, eine derbe pralle Schönheit, bot ihm, was er liebte, im Ueberfluß. Darum saß er, mit seinen Blicken heimlich von ihren Reizen naschend nach Belieben, als wie an seine Bank geheftet, der Holden gegenüber und lauschte dem unaufhaltsamen Fluß ihrer Rede, dem's nicht darauf ankam, durch welches Bett er strömte, wenn er nur überhaupt floß. Ihr Geschwätz, thalauf, bergab dahinrennend, glich dem Schellengeklingel einer muntern Schlittenfahrt, und die Verwandlung des schleppenden oberinnthalschen Dialekts in den rastlos schlüpfenden Klang war ganz selten und wunderlich; und Augen und Kopf und Hände und Füße des Mädchens stimmten mit ihrer ewigen Rührigkeit 35 vollkommen zur fleißigen Arbeit ihrer Lippen und Zunge. Das Thema war das alte und allbeliebte der Mädchen: das Heirathen. Die lustige Schwätzerin beschloß ihre lange Rede mit den Worten:

»Und ich sag's halt, und ich laß' mir's nicht nehmen: Eine Jede, sobald sie die Christenlehre hinter sich hat, denkt an's Heirathen, wenn's nicht schon früher geschehen ist.« Sie warf dabei einen muthwilligen Blick auf ihre blonde Nachbarin, deren Rosen heller erglühten. »Und so bin ich auch; ich mache mich nicht schlechter, aber auch nicht besser als ich bin. Ich gesteh's: käme heute Einer, und sagte: ich will Dich zur Ehe, und er schickte sich für mich, und ich könnt' ihn halbwegs leiden, und der Herr Vater und die Frau Mutter sprächen: »in Gottesnamen!« ich ließe mich vom Fleck weg heirathen. Aber wie er mich alsdann hielte, so hätte er mich. Wäre er ein gutes Herz, so sollte er einen wahren Engel an mir gewonnen haben; wäre er jedoch ein Ruech, so wollten wir schon sehen, wer am meisten sekkirt würde. Fried' und Streit – ich habe das alles in einem Sack. Der mich wollte, müßte sich das schon gesagt seyn lassen.«

Die Rednerin heftete plötzlich ihre umherschweifenden Augen fest auf den jüngern der beiden Männer, lächelte etwas boshaft und schwieg. Die ältere Begleiterin hob den Finger warnend: »Veverl, Veverl, ei Du Schnabel!« – Die Blonde sagte: »Nun da haben wir's. Merken Sie was, Herr von Idelstein?« – Der angeredete junge Mann versetzte: »'s war nicht so bös' gemeint, denke ich.« Und der ältere Mann, der Vater des jungen, sprach lakonisch: »Larifari!«

Veverl hob wieder hitzig an: »Die Tante soll entscheiden, ob ich Recht habe oder nicht. Dir, Martina, gesteh' ich kein Urtheil zu. Du bist verliebt, aber wie! 36 verliebt seit den Kinderschuhen, daher blind und taub. Nun, mir soll's recht seyn; ich habe nichts dagegen, aber ich bin halt ein Alltagskind, bin nie verliebt gewesen und werd's auch niemals seyn. Darum und ergo, wie der Schulmeister sagt . . . .«

Bei diesen Worten sah sie unverhofft den Oswald an, und sperrte ihre Augen weit auf, indem sie bemerkte, daß auch er mit weit aufgerissenen Augen sie und die ganze Gesellschaft betrachtete. – Der gute Bursche ahnte, daß er Leuten gegenüber, die mittelbar durch die Person seines Jugendfreundes mit seinem Leben in Beziehung gekommen waren. Genovefa flüsterte ihrem Nachbarn ein paar Worte in's Ohr, worauf der junge Herr von Idelstein entgegnete: »Was geht uns der fremde Mensch an? Wir sind unter uns, und was wir reden, darf die ganze Welt hören.«

»Ja freilich,« bekräftigte die Tante. Ihr Gesicht verklärte sich, so daß die Züge der Wehmuth, die seit ein paar Jahren darauf feindselig Platz genommen, beinahe verwischt schienen. »Ist denn eine ehrliche Liebe eine Schande? Darf niemand erfahren, daß meine brave Martina ihren braven Seraphin so viel gern hat, daß sie ihn mit Sehnsucht erwartet, und sich der Zeit freut, da er einmal ihr Mann werden soll? Nein, Martina: Du sollst beileibe Dein Herz nicht vermummen. Die Neigung zu einem wackern Menschen steht einem jungen Mädchen wohl an. Die Herren dürfen auch wissen, daß wir uns zur Wallfahrt hieher verlobt haben, um von der heiligen Mutter für den Seraphin eine glückliche Heimkehr zu erflehen. Das gereicht uns nicht zur Unehre, keineswegs, und schöner hätten wir unsre Sommerfrische im Selrain nicht beschließen können.«

»Ach, er ist schon so lange fort;« seufzte Martina, »und außer einem einzigen Briefe ist kein Buchstab von ihm in meine Hände gekommen.«

37 »Laß nur gut seyn,« tröstete Veverl: »was gilt's, wir finden gute Post von ihm, wenn wir nach Hause kommen. Dein Vater wird Dich mit einem ellenlangen seinigen Brief überraschen.«

»Gott geb's, Veverl; doch ist mir heut das Herz so schwer . . . . ich kann nicht sagen, wie so schwer!«

Oswald blitzte von seiner Bank auf, und schnappte mit dem Munde, als wolle er alsobald die Gesellschaft anreden. Aber der Himmel weiß, was ihm eben so schnell wieder den Mund verschloß. Statt zu reden, ging er vom Platze weg, und spazierte in einiger Entfernung herum, wie Einer, der mit sich selber rauft und streitet.

»Das ist ein G'streichter,« äußerte Veverl, die ihn mit ihren Blicken hartnäckig verfolgte: »ein saubres Mannsbild; muß jedoch nicht bei Kopf seyn.«

»Hm,« sprach der junge Idelstein dazwischen: »er ist vielleicht auch verliebt, der arme Narr, und das Herz ist ihm schwer, ach, gar so schwer!«

Martina kehrte sich verdrießlich von dem Spötter ab, und fragte die Tante mit den Augen: »Ist der Mensch grob, oder nicht, der adeliche Bauer?« Veverl verfiel dagegen in Gedanken und forschte verstohlen unter ihren Wimpern hervor nach dem verspotteten Oswald.

»Jetzt geh'n wir!« begann der wortkarge, breitgesichtige Vater Idelstein, dessen Tracht in der That, so wie die des Sohns, den adelichen Bauer verrieth. Er besaß nämlich ein Wirthshaus im Pusterthal, ein paar Stunden von Brixen, betrieb es, seines Wappens ungeachtet, in eigener Person, und war, wenn schon grundehrlich, ein Musterbild von ungeschlachtem Wesen und unzarter Scherzhaftigkeit. Der Sohn sprach zwar mehr als der Vater, that jedoch, wie dieser, in Worten und Werken. 38 – »Jetzt geh'n wir,« sagte also, und zwar zum zweitenmale, Vater Idelstein.

»Ei, wie wär's, wenn wir das noch ein bissel bleiben ließen?« fragte die Tante schnippisch entgegen, denn ihrer jungfräulichen Würde Bewußtseyn rebellirte gegen den befehlshaberischen groben Ton des adelichen Gastwirths. Sie setzte gleichgültig hinzu: »Die Herren können's halten, wie sie wollen; aber mich dünkt's hier eben noch recht sein, und das Nachtquartier im Dorf lauft uns nicht weg, sollt' ich meinen.«

Martina und Genovefa nickten der Tante, die recht aus ihrem Herzen sprach, den lebhaftesten Beifall, und dachten zu gleicher Zeit beide in ihrem Sinn: »Wir kommen ja noch zeitig genug mit den ungehobelten Pusterern unten in Mieders zusammen.« – Die Herren von Idelstein waren indessen keineswegs gesonnen, selbander den Weg hinabzutrollen; sie fügten sich, ihren sonstigen Gewohnheiten zum Trotz, für dießmal den Wünschen der Frauenzimmer, und wichen, wenn schon mit sauern Mienen, nicht von den Seiten der drei Mädchen. »Wir haben Zeit,« sagte der Alte. – »'s ist mir ein Ding,« sagte der Junge, und blinzelte bald Tammerls Tochter, bald ihre Freundin mit muthwilligthuenden Augen an. Der gute ungeschlachte Bursche war nemlich auf der Brautschau; der einsilbige Vater führte ihn wie einen Bären im Land umher, damit er sehe und gesehen werde, und hatte sich bei seinen Freunden zu Lienz und Bruneck hoch und theuer vermessen, den Herrn Sohn binnen vier Wochen als einen alles Ernstes Verlobten und Versprochenen heimzubringen. Darum schmeckte – wie sie im Gebirge sagen – der junge Nepomuk an allen Rosen, die an seinem Wege blühten, versuchte überall ein gewinnend Wort, und übte sich im siegblickenden Augenspiel eines viel stolzen Herzenverschlingers.

Die red- und scherzfertige Genovefa merkte so etwas; 39 sie rümpfte auf einmal das Näschen, schaute besorgt auf ihr Mieder herab und fragte, als wie bestürzt, die unbefangene Martina: »Was brenzelt denn da? brennt nicht etwa Dein Gewand oder das meinige?« Auf Martina's lächelndes Verneinen setzte sie hinzu: »Ich hab' schon gemeint, der junge Herr hätte uns beide in Brand gesteckt. Eure Augen, junger Herr, flammen ja, wie Fackeln? Was habt Ihr mit uns vor?«

Nepomuk fühlte sich äußerst geschmeichelt. Er entgegnete schalkhaft: »Ich bin all mein Lebtag hübschen Dirnen gut gewesen, und könnte die Jungfer wohl leiden.« Hierauf sang er: »Gelt, Du Schwarzaugeti, gelt, für Dich tauget-i?« – Veverl lachte hell auf: »Lasse sich der Herr Zeit!« rief sie: »er läuft Sturm wie ein Grenadier. Ein armes Weiberherzl kann die Gewalt nicht aushalten.«

Der alte Idelstein schmauste mit seinen Vateraugen den kecken Sohn völlig auf, und bequemte sich zu sagen. »Ein rescher Kerl! fangt den Teufel im freien Feld!« Ein hoher Lobspruch auf Nepomuks Herzhaftigkeit. Er verlangte, seinen Erstgebornen wie einen prangenden Leuchter auf den Scheffel zu stellen, darum ermuthigte er ihn, den Frauen eins seiner Heldenstückchen zum besten zu geben: »Erzähl' einmal, wie Du dem Krainer-Jörg den Schafbock abgerauft hast.« – Die Mädchen zwangen sich, eine ernst aufmerksame Miene anzunehmen, und Nepomuk, der losging wie eine Orgel, sobald das Register gezogen und Wind in den Pfeifen, erzählte nach der Schnur:

»Da ist – auf Jakobi hat sich's gejährt – ein Obersenn auf der Alm gewesen, den hat man Krain-Jörg geheißen, weil er dort hinter Käreten zu Hause war, und der Jörg ist ein Robler gewesen, den sie gefürchtet 40 haben weit und breit. Der hat einmal zu seinigen Freunden und Brüderln gesagt: »Da hab' ich einen Schafbock, der gehört mein, hab' ihn selbst aufgezogen, und er ist stößig, wie ein Stier und rauft alle Böcke zusammen. Jetzt möcht' ich aber gern wissen, wer der stärkste ist im Land, ich oder ein anderer, und auf St. Laurenzitag fordre ich alle Buben groß und klein heraus, und wenn der beste Hagmair aus Zillerthal käme, und wer mich niederwirft, soll den Bock haben.« Gut, jetzt hab' ich das Ding vernommen; in unserm Wirthshaus ist's gewesen, am runden Tisch, und der Herr Pfarrer hat grad mit dem Herrn Vater taroggt; und ich sag', sag' ich: »Will's Gott, will ich den Krain-Jörg schon niederlegen auf den Wasen.« Geh, laß's bleiben, sagt der Hochwürdige. »Geh, Muckerl, thu's,« sagt der Vater, und ich bin wie halt immer sein gehorsamer Sohn gewesen. Jetzt kommt der St. Laurenzitag, und ich steh' auf, leg' mich fein roblerisch anSich anlegen: sich ankleiden., und geh' hinauf. Jetzt sind viele Leute droben gewesen zum Kirchengeh'n in der Kapelle und zum Zuschauen. Wie ich gerad' noch die Meß' erwische, steht da mitten unterm Volk der Krain-Jörg, als wie ein Baum, wie ein Unthier, wie ein Felsen, so breit und stotzig, und hat ein rothes Gesicht, und wirft die Augen ganz verwegen hinüber und herüber; 's ist mir schier das Grausen angekommen, und hätt' ich mich nicht vor dem Vater geschämt, ich hätte die Sach' bleiben lassen, wie's der Hochwürdige gewunschen hat. Da betracht' ich den Senn von oben bis unten, und denk' mir: »wie willst Du dem Kampel beikommen? Füß' wie ein Elephant, Pratzen, daß man's mit der Elle ausmessen könnte, und haarig, wie ein Bär um und um! Der kann Steine heben! wo der hintritt, wachst auch kein Gras mehr!« So ist's gegangen durch die Epistel und 's Evangelium, und bei'm Sanktus hab' ich noch nicht gewußt, wie ich's anfangen müßte, um dem 41 Endskerl Meister zu werden. Aber just bei der Wandlung, wie der Ministrant dem geistlichen Herrn das Meßgewand aufgehoben und das Weihrauchpfandl brav gerührt hat, hab' ich das Platzl ersehen, wo ich meinen schlimmen Christen anzugreifen hätte. Den Vortheil und das Platzl sag' ich nun freilich nicht; aber ich hab' ihn nachgehends gut dabei derwuschen, und auf die Erde niedergelegt, als ob er niemals unter Gottes freiem Himmel aufrecht gestanden hätte. Er ist wohl mit dem Hinterkopf auf einen Stein gefallen, und nicht unlängst darnach in's Spital gekommen und gestorben; aber der Schafbock war ehrlich verdient, und Gott hab' ihn selig, den Krain-Jörg nemlich. Jetzt fürcht' ich keinen mehr, und wär' er noch so lang und wampet. Da habt's die ganze Geschichte, ihr Jungfern.«

Nepomuk blähte sich in stolzem Triumpf. »Bist halt mein Blut!« sagte der Vater gerührt, aber die Mädchen schwiegen und sahen sich halbentsetzt an, denn ihr barmherziges Gemüth war tief erschüttert, und ihre Einbildungskraft malte ihnen den blutenden Jörg, wie er sich mit zerschelltem Kopf im Gras wälzte, gar erschrecklich vor die Füße hin. Tante Magdalene erhob sich von ihrem Sitze. »Geh'n wir,« sagte sie jetzt, wie vordem der alte Idelstein »Du zitterst, lieb's Tantl?« fragte Martina besorgt. »Mir ist der Tod über's Grab gelaufenDer Tod ist mir über's Grab gelaufen: schaudern, eine Gänsehaut kriegen.,« entgegnete die Tante: »es soll mir aber schon im Gehen wieder warm werden.«

»Dummheiten, Weibersekten!« brummte seinerseits Vater Idelstein in den Bart, da er die Verstimmung der Jungfern bemerkte. »Alloh, Muckerl, abpaschen!« befahl er dem Sohn halb grimmig. – Die ganze Gesellschaft richtete sich zum Abmarsch.

Während Nepomuks Erzählung war indessen Oswald in einiger Entfernung wie eine Schildwache umhergewandelt, mit allerlei Seelenangst und Unschlüssigkeit sich 42 unterhaltend, und dann und wann seiner scharfen Augen Schützenkünste versuchend, um der holden Veverl bolzengrad mitten in das rothe Herzchen zu schießen, das sie wohlverpanzert hinter'm Fischbeinmieder trug. Der Schritt eines Ansteigenden zerstreute jedoch den eifrigen Zieler. Er schaute zur Seite, und schaute noch einmal, und rieb sich die Augen, und der Herankommende war von Schritt zu Schritt immer mehr und zuverläßlicher Einer, den Oswald an diesem Orte und zu dieser Frist am allerwenigsten erwartet hätte, wenn er ihn schon mir Inbrunst herbeiwünschte aus fernem Lande. Mit einem Satze war Oswald bei dem Fremden, griff traulich nach dessen Händen, und rief vergnügt: »Gelobt sey Jesus Christus, und grüß Dich Gott, Freund Hepperger! Es geschieht ein Wunder, daß Du mir entgegenkommst in meinen Nöthen. Du glaubst nicht, wie Dein Andenken mich geplagt hat!« – Worauf der andre, als ob er eiskaltes Wasser in's lodernde Feuer schüttete: »Was wollt Ihr denn? Wer seyd Ihr? Ich kenne Euch nicht.« – Oswald gab sich dennoch nicht gefangen. »Du hast mein vergessen? nun, leicht möglich; 's wird schon seyn. Aber ich hab' mir Dein Gesicht gemerkt, denn schau': ich bin ein Maler, wenn schon kein gar rarer, und was meine Augen sehen, das halten sie fest wie ein Augsburger StieglizAugsburger Stieglitz: Gerichtsdiener in weiß, grün und rothgestreifter Kleidung, grünen Strümpfen und weißem Hut.. Du kommst mir schon nicht aus.« – »Ei was! Stiegliz hin, Stiegliz her; meintwegen ein Zeiserl noch obendrein. Ich versteh' nicht, was Du willst. Gib 'nen Fried, Du Narr, und laß mich meines Wegs geh'n« –

Oswald sperrte nun den Mund auf und stammelte: »Ich bin ganz fabig; ich fall' aus den Wolken. Weißt Du wohl, Hepperger, weißt Du noch . . . in Friedberg . . . in der goldnen Gans . . .? Wir haben uns gedutzt, die halbe Nacht mit einander versessen . . . die Dukaten . . . . weißt Du denn nicht mehr?«

43 Mürrisch, ja sogar grob stieß ihn der fremde junge Mann von sich, den Zudringlichen, und zürnte: »Mach Dich durch, Du z'nichter aufsätziger Mensch, oder ich will Dir eine hölzerne Wurst auf's Kraut legen, und Dich mit gesalznen Faustknedeln traktiren! Friedberg . . . goldne Gans . . . Dukaten! was weiß ich davon? Kannst Dir einen andern Narren suchen. Verstehst mich?«

Seinen Wanderstab drohend schwingend, eilte der Fremde an Oswald vorüber, der seiner Drohungen zwar nicht achtete, aber die Hände faltete, und stieren Augs dem Zürnenden nachsah. »Aber kann's denn zwei Menschen in der Welt geben, als hätte sie eine Henne gelegt, als wären sie aus einem und demselben Brunnen getropft? – Er ist's aber doch, der Hepperger . . . . und doch ist er's wieder nicht . . . . und die Hand wollt' ich mir abhacken lassen, daß er's doch ist . . . . und wiederum . . . . und nachgehends . . .«

Dem armen Kunsthandthierer versagte die Stimme, da er sehen mußte, wie mit einemmale die daherkommenden Jungfern dem mürrischen jungen Herrn mit freundlichen Gesichtern entgegentraten, ihm die Hände boten, und ganz vertraulich mit ihm thaten. »O weh! ein Verwandter von den Mädeln, oder ein guter Freund, oder gar ein Bräutigam . . . .? o weh, wie wird meine Thorheit da zur Sprache kommen . . .! wie wird mich das Schwarzauge auslachen . . . .? Wohin versteck' ich mich, um ihr Gespötte nicht zu hören?« Mit diesen Gedanken und Aengsten im Kopfe, entfloh Oswald in's Kloster, und sah sich nicht nach der Gesellschaft um.

Der mürrische Fremdling sprach indessen, die Empfangskomplimente abwehrend, mit lächelnder Miene zu den Frauen: »Ich muß depreciren, wertheste Herrschaften, kann Ihre Avancen nicht toleriren, sintemal ich nicht derjenige bin, für den Sie mich halten. Mache freilich heut zum drittenmale das Experiment 44 unfreiwilligerweise, daß ich andern Leuten sub jove ähnlich sehe, – leider oder glücklicherweise, will ich dahingestellt seyn lassen; aber diesmal freut mich die Begegnung über die Maßen: einmal, weil ich das höfliche Frauenzimmer, mundi ornamentum, äußerst venerire; zweitens, weil ich schon weiß, wen ich vor mir habe, was mein Herz angenehm aufweckt; und drittens, weil ich Ihnen wenigstens nicht ganz fremd bin, da ich, wenn gleich nicht die Ehre, Dero brüderlicher Freund und Diener, aber dennoch diejenige habe, Ihr vetterlicher Verwandter zu seyn. Ich bin der Sohn des Joseph Tammerl von Innsbruck, Ihnen allen zu dienen.«

Auf diese steife enttäuschende Rede des studirten Herrn Vetters gestalteten sich freilich die Willkommgesichter der Frauen zu reverentiösen!, und des fremdthuenden Knixens war kein Ende. Doch setzte der brave Peter diesen körperlichen Staatsübungen ein Ziel. »Der Jungfer Base Prombergerin,« sagte er, »und meiner artigen Cousine Martina Tammerlin küsse ich die Hände, und empfehle mich der andern Jungfer zu Gunst und Gnaden, und bitte allerseits, den bedauerlichen Zwiespalt, der meinen Vater von seinem Herrn Bruder getrennt hat, und welcher – Deo favente – hoffentlich baldigst sein Ziel und Ende in einer dauernden Eintracht finden wird, nicht auf mich übertragen zu wollen; um so weniger, als ich meinen beiden werthesten Verwandtinnen einen Gruß von meinem schätzbarsten Onkel zu überbringen habe. Ich begegnete ihm heute zufälligerweise in Mieders, und er hat mir aufgetragen, Ihnen seine Anwesenheit zu vermelden, nebst seinem Wunsch, Sie citissime zu sehen und zu sprechen.«

»Der Schwager? der Vater? Herr Tammerl?« fragten Magdalene, Martina und Veverl verwundert. »Wie kommt er daher? Was ist vorgefallen? Wie sieht er aus? Was macht er? Was spricht er?«

45 Achselzuckend versetzte Peter: »Ich darf sagen, daß er nicht in der besten Laune zu seyn scheint. Sicut leo rugiens, als ein brüllender Leu in seinem Kasten, so geht er im Wirthshause auf und nieder, und zählt die Minuten, und ist sierig, wie ein türkischer Pascha. Hat er mich nicht in Schrecken und Alteration versetzt, da ich quasi wie ein unschuldiges Lamm bei ihm eintrat, dürstend nach einer Labung, und nicht nach Vorwürfen und harten Sermonen? Nun, ich will's ihm zu gut halten. Warum hab' ich auch das Gesicht seines leiblichen Sohns, mit dem er nicht gar wohl zufrieden ist, wie ich gemerkt habe? Hätte er mir umsonst entgegengeschrieen: »Bist Du's, Du Rabenkind? und was machst Du hier, Du unsaubrer Vogel?« Zwar hat er bald seinen Irrthum eingesehen und inne gehalten mit seinem: Vae victis! aber viel Audienz war bei ihm dennoch nicht zu erlangen, so gern ich ihm die Hand gedrückt hätte, da ich ihn zum erstenmal in meinem Leben gesehen. Nur ließ er sich herbei, mir beim Scheiden aufzutragen, Sie, meine lieben Basen, eiligst hinunter zu schicken. Es sey Wichtiges im Lande ausgekommen.«

»Da ist der Schwester etwas zugestoßen!« rief die Tante erschrocken. »Unglücksnachrichten vom Seraphin!« jammerte Martina, und ihre lichten Augen trübten sich in Thränen. »Gewiß hat der Peter etwas angestellt!« meinte die redselige Genovefa, die den Genannten nicht allzuwohl leiden mochte. – Josephs Sohn entschuldigte sich mit seiner Unwissenheit, und schüttelte dann dem alten Idelstein, den er als einen Freund seines Vaters erkannte, zum Gruß die Hand.

»Sind just auf dem Weg nach Sprugg zu euch,« sagte der Gastwirth. – »So? das freut mich.« – »Hab' einen Sohn zu verheirathen; den Muckerl da. Wollen Deine Schwester ansehen.« – »Viel Dank; doch mein' 46 ich, sie ist schon versprochen.« – »Hm! 's wär' nicht gut. aber Gott schickt alles, und der Muckerl ist ein Baumausreißer, wenn er 'was haben will.« – »Nun, meinetwegen; aber lieber wär mir's schon, wenn Ihr ein gutes Wort sprächt, daß der Onkel und der Vater gut Freund würden.« – »Wollen's schon machen. Kenn' alle beide.«

Das hatte seine Richtigkeit; dennoch war der Idelstein, trotz seiner Einsylbigkeit von jeher, ab- und zugehend zu Imst und Innsbruck, einer derjenigen gewesen, die der Brüder Widerwillen und Zwist genährt hatten. Er besaß die Fertigkeit, zu hetzen und zu klatschen, wenn gleich er kaum den Mund aufthat.

»Wird uns der Vetter in's Dorf begleiten?« fragte die Tante, der ihr Neffe nicht mißfiel.

Peter schüttelte den Kopf. »Muß schon wieder depreciren. Ich will einen kleinen Gang durch's Land machen, wie vor Zeiten in der Vacanz. Ich habe den Mantel an den Nagel gehängt, mag nicht weiter studiren. Zur Handelschaft bin ich nicht geboren: nicht aus jedem Holz läßt sich ein Merkurius schnitzen. Dennoch will ich nicht ein Tagdieb seyn, sondern einem nützlichen Geschäft mich ergeben. Solches nun zu überlegen, und meine Reflexiones zu einem Ultimatum zu bringen, habe ich eine Wanderung von einigen Tagen für ein gutes Mittel ästimirt, und betrachte als ein gutes Omen und Prognosticon, daß ich dem lob- und liebenswerthen Frauenzimmer hier begegnet bin.« –

Das Frauenzimmer verneigte sich. Idelstein schlug dem jungen Mann auf die Schulter. »Komm zu mir und lern' das Bauernhandwerk. Acker, Vieh und Alpentrift nähren ihren Mann.«

»Wär' nicht aus,« meinte Peter: »vielleicht kehr' ich bei Euch an.« – »Und meine Fräulein Töchter sollen Dich wohl und gut aufnehmen,« lachte Idelstein.

47 So trennte sich Peter von der Gesellschaft, die nach Mieders hinunterstieg. Die Frauen gingen schnell voraus über die Halde, durch den Wald. Idelstein blieb mit seinem Sohne etwas hinter ihnen zurück, und sagte, wohlzugemessene Pausen machend, um seine Zunge nicht über Gebühr anzustrengen: »Was ich sagen will, Muckerl: – – – ein Weibsbild ist wie das andere; – – – wenn sie nur Geld haben. – – Wenn's mit der Pauline nichts ist« – – hier schwieg der Alte wohl zehn Minuten lang und maß das Stubayathal mit seinen Blicken auf und ab – – – »so wird's doch mit der Martina 'was seyn; – – – Bettelbub' – Dummheit! kein Hochzeiter für sie – – – Kraxentrager – – 's muß 'was mit ihm geschehen seyn – – desto besser; werden's hören – – verstanden?«

»Ja wohl,« entgegnete der Sohn: »aber die Veverl wär mir schon lieber.« – »Dummheit wiederum. Keine Schwarze – – nimm eine gelbhaarige – – und feiner zu haben im Haus – folgen besser – – Herr im Haus seyn, Punktum.« 48


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