Carl Spindler
Der Vogelhändler von Imst
Carl Spindler

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Fünftes Kapitel.

»Es hat zur Zeit einen Hund gegeben – gehörte dem Junker Zollikofer von St. Gallen –, der seinem Herrn, als derselbe auf Botschaft an den König in Frankreich geritten und den Hund bei Hause gelassen – auf's Gerathewohl nachlief, wiewohl der Herr bereits drei Tage Vorsprung gehabt. Gleichwohl hat der Hund von St. Gallen nach Basel, von Basel nach Belfort, von Belfort nach Paris des Junkers Spur verfolgt, und ihn an der Hofstatt des französischen Königs glücklich wieder gefunden. Ein Lob für Herrn und Hund.«

Wenn Seraphin darauf gezählt hatte, vermittelst des Nolesiners sein Ziel schneller zu erreichen, so hatte er sich ungemein verrechnet. Die Kutsche war freilich geräumiger und sauberer, als die vier oder fünf Marterkasten, die in jener Zeit im Oberinnthal bei dem Landadel zu finden gewesen; aber die Schnelligkeit war nicht ihre Sache, und nicht der Pferde Aufgabe, und nicht des Kutschers Bedürfniß. Da der letztere nicht weiter zu fahren hatte, als bis Matrey zum Schlosse, das dem Fürsten von Trautson gehörte, und später an die Auersberge fiel, so eilte der ehrliche Mann nicht sehr, und wäre um keinen Preis zu später Nachtzeit in Matrey eingerückt. Zudem – welche Hindernisse auf dem kurzen Wege? Der Aufenthalt in Wilten, wo der Fürsetzer gleich in Anspruch genommen wurde, um dem Fuhrwerk mit Vorspannpferden und 187 PraxerPraxer: der Knecht des Fürsetzers, der die Vorspannpferde begleitet; auch wohl der Mäkler des Fürsetzers bei Kutschern und Fuhrleuten. den Berg hinan zu helfen; die böse Straße, die den müden und den ausgeruhten Gäulen nur den gemächlichsten Schritt erlaubte; der einbrechende Abend, der eine baldige Nachtherberge wünschenswerth machte, und doppelt grauenvoll die unheimliche Waldstraße von Unternberg den Schönberg hinan gestaltete; endlich noch die liebfreundliche Kellnerin im Wirthshause auf dem Schönberg, die dem Kutscher gewogen war, und nicht zugegeben hätte, daß er in finsterer Nacht die Strecke nach Matrey zurücklegte. – Das Ergebniß all dieser zusammenwirkenden Umstände war, daß der Nolesiner eben nicht weiter, als drei Stunden, als bis zu seiner liebfreundlichen Kellnerin fuhr, und auf dem Schönberg Quartier nahm. Auf dem Wege, so lange noch der Abendschein die langsame Kutsche geleitete, zerstreute sich Seraphin hinlänglich, der mit Wohlgefallen die wechselnden Ansichten der Sill beschaute, die durch die Bergschluchten herabkömmt, wie eine launenhaft sich krümmende Schlange. Daneben horchte er auch eifrig dem Kutscher zu, der ihm von dem flüchtigen Peter erzählte: von dessen Verwünschungen gegen den Bäcker Wohlrauch und trotzigem Aufpochen auf seine eigene zukünftige Wichtigkeit und die standhafte Vorliebe der Mutter, die schon dem harten Vater den Kopf zurechtsetzen würde. Der Kutscher äußerte bei dieser Gelegenheit: »Ich habe schon manches handscheue Roß im Geschirr gehabt und zur Vernunft gebracht; aber ich getraute mir nicht, den stätigen und kollerigen Sinn jenes Burschen zu bändigen. Ich wollte wetten, daß er einst keines natürlichen Todes sterben werde, denn seine eingefleischte Bosheit ist groß und von einer Frechheit unterstützt, die mir die Augen übergehen machte. Noch ein großes Glück, daß des Peters Thätigkeit und Muth seinen übrigen bösen Eigenschaften nicht entspricht. Hätte er Schneid', wie man sagt, er würde ein weitaus gefährlicherer Bube seyn. Dennoch glaub' ich, daß er einmal 188 nicht in seinem Bette den Geist aufgeben wird, und zwar ohne die heiligen Sterbsakramente. Er hat allzuhöhnisch von seinen biedern Eltern gesprochen, und wer das vierte Gebot nicht hält, steht schon mit beiden Füßen in der ewigen Verdammniß.« – Seraphin schauderte, dergleichen von seiner Herrschaft liebem Kinde zu vernehmen, und er sagte: »Wie hat aber der Peter in so kurzer Zeit also bodenlos verderbt werden können?« – »Da ist,« antwortete hierauf der Nolesiner, »zuerst der Müßiggang, der da ist des Teufels Ruhebank, und sodann die böse Gesellschaft. Des Wachslers Sohn zu Innsbruck ist ein mehr als leichtes Tüchel, und die beiden sind immer bei einander gesteckt. Der junge Wachsler ist auch schuld, daß der Peter jetzt schon davongelaufen, indem er selber von seinem Alten nach Roveredo in die Lehre geschickt worden ist, und der Peter ohne ihn nicht mehr in der Stadt hat bleiben wollen. Hat mir auch dieser von weitem merken lassen, er werde bei seiner Base zu Matrey nur kurze Zeit verweilen und Bericht vom Wachslerbuben erwarten, der nur einen Tag vor seiner verreist ist; es könnte möglich seyn, sagte er, daß er selber nach Welschland ginge, bis sein Vater zum Verstand gekommen sehn würde. Aber die Base brauche er, damit sie ihm Geld vorstrecke. Gewiß hat er auch bereits die gute blödsinnige alte Jungfer geplündert.« – »Ach Du mein Gott,« seufzte Seraphin, »wenn das geschehen, so ist er auch schon über alle Berge, und was soll ich alsdann thun?« – »Ihn laufen lassen,« rieth der Kutscher sehr kaltblütig. Der junge Mensch jedoch, dem noch vermöge der Hingebung seiner frühen Jahre die ganze Welt am Herzen lag, sagte verdrießlich: »Das ist lieblos, hörst Du? Und wenn ich an Deiner Stelle gewesen wäre, ich hätte den Peter wieder von Matrey zurückgehen gemacht; das war Deine Schuldigkeit.« – »Wie Du's verstehst,« lachte der Rossebändiger: »ich hätte im Jahre viel zu thun, 189 wenn ich mich all' der Landstreicher, groß und klein, die mir auf der Straße vorkommen, annehmen wollte. Da könnte ich bald Hunde nach Bautzen führen. Wer dankte mir's? Wo steht's geschrieben? Was geht mich die ganze Welt an, wenn ich doch keinen Auftrag habe, ihr aufzupassen? Sehe Jeder, wie er daraus kommt. Die Väter und Lehrherren sollen nur brav die Augen aufmachen, und die Mütter sollen nur keine Abgötterei mit ihren Fratzen treiben; hernach werden die verlornen Söhne bald rar werden, wie jetzt grade der Mondschein. Steig' ab, Bub', und geh' zu Fuß den alten Steig hinauf. Wo Dein Weg mit dem meinigen zusammentrifft, wartest Du fein.« Seraphin kletterte unerschrocken durch die Waldesnacht beim matten Schein der Sterne den Fußweg zum Gipfel des Schönbergs empor, und seine Betrachtungen über die leidige Gleichgültigkeit der Menschen unter einander, verkürzten ihm den beschwerlichen Weg. Er hatte, an der Wegscheide angekommen, vollauf Muße, auf einem umgestürzten Baume sitzend, seinen Gedanken fürder nachzuhängen, denn es dauerte lange, bis die Kutsche mit Vorspann von Unternberg herangekrochen kam. – Sodann waren die Reisenden freilich bald in Schönberg; aber dem eifrigen Seraphin gefiel die Ankündigung, daß er hier über Nacht liegen müsse, ganz und gar nicht. Voll Furcht, den gewissenlosen Ausreißer zu verfehlen, hätte er mit einem Sprung in Matrey seyn mögen. Was war jedoch gegen die Befehle des allgewaltigen Nolesiners einzuwenden? Wäre Seraphin der schnellste Renner gewesen, er wäre doch immer nicht zur rechten Zeit im Flecken angelangt. Die Jungfer Feilig ging mit den Hühnern zu Bette. Und sollte eine Nacht in Ungeduld und Pein zugebracht werden, so konnte es ebenso gut in Schönberg als wie in Matrey geschehen. Darum ergab sich Seraphin, wie alle Menschen thun, seufzend ins Unvermeidliche, nicht zu Aendernde. Das Beste war noch, daß der Kutscher bei seiner Freundin 190 dafür sorgte, daß Seraphin gut mit Speise und Trank bedacht wurde, und ein erträgliches Lager erhielt, worauf er, wiewohl dann und wann gestört von dem Lärm einer nebenan zechenden Gesellschaft von Eisenarbeitern aus dem Stabay-Thal, erträglich ausruhte, denn die Strapatze des Tags war größer gewesen, als die Mühseligkeit der Reise von Imst gen Innsbruck. – Am nächsten Morgen bei guter Zeit wurde Seraphin von seinem Führer in dem Flecken Matrey abgeladen, und die Wohnung der alten Jungfer Feilig war bald gefunden. –

Er trat mit einem schüchternen »guten Tag« in das Zimmerchen der alten Person, das von der Vertäferung roch wie ein Sarg, und die Sabina, die darinnen am Spinnrad saß, glich auch nicht wenig, aus einiger Entfernung gesehen, einer blassen Leiche. Indessen sollte Seraphin alsobald erfahren, daß die gute Jungfer allerdings noch lebte, und er war nicht wenig überrascht, sich, den Wildfremden, empfangen zu sehen, als wäre er der willkommenste Gast. Kaum war der Gruß über seine Lippen, als schon Sabina mit vergnügten Augen vom Spinnrade auftaumelte, ihm entgegen kam, ihn in die Arme nahm, und mit kindischem Weinen ausrief: »Ei sieh! ei sieh! Du liebes Bubele, ei sieh! bist Du wieder da? Nun, Gott schenk' Dir eine glückliche Ankunft; ich hab's ja von ehe gewußt, daß Du geschwind wieder bei mir ankehren würdest!« –

Der bestürzte Plaschur erwehrte sich ein wenig der Umarmung und sagte verlegen: »Ich dank' der Jungfer schön, ich dank' ihr noch einmal; aber die Jungfer ist gewiß am Unrechten?« – »Ei Du böses Kind!« hieß die Antwort: »thust auf einmal so fremd mit mir? bin ich auf einmal die Jungfer schlechtweg geworden, und heißest mich nicht mehr deine Base? Geh, geh, Du lieber Peterl, willst mich zum Narren haben? Aber, es ist recht gut, recht tausendmal gut, daß Du wieder da bist; gib mir 191 doch die zween Thaler wieder, die Du mir abgebettelt hast. Du stellst Dir nicht vor, wie mich der Blaas ausgemacht hat. Gib mir sie wieder, daß ich sie dem Blaas zeigen kann, Du herzigs Narrl!«

»O weh! o weh!« lamentirte jetzt Seraphin. der zu begreifen anfing, daß die schwachsinnige Alte ihn für den landläuferischen Vetter ansah: »wie wird das werden? Ich habe die Thaler nicht und finde auch den Peter nicht mehr. Das ist ein Elend; und die Jungfer wird mir, versteht sich, auch nicht sagen können, wohin er gerathen ist, der Höllenbrand mit Ihren Thalern?« – Er fügte trocken bei, daß die Jungfer im Irrthum sey.

Nun war das Erstaunen auf Sabina's Seite. Sie betrachtete am Tageslicht die Züge Seraphins, kopfschüttelte immer heftiger, wollte nicht recht glauben, was er sagte, gab es dann wieder für ein paar Augenblicke zu, und die Unordnung ihrer Sinne wurde immer deutlicher bemerkbar. – »Wer bist Du denn? für wen gibst Du Dich aus?« fragte sie endlich argwöhnisch, und durchbohrte ihren Gast mit ihren Blicken. Die Störung ihrer Geisteskräfte verlieh ihren eingesunkenen Augen ein recht unheimliches Feuer, vor dem Seraphin gar nicht wohl zu Muthe wurde. – Doch sagte er der Alten kurz und derb und laut, was sie erfahren mußte, und fragte dringend, was aus Peter geworden. – Sabina entgegnete mit dem pfiffigen Lächeln, das öfters dem kindischen Greisenalter zu Gebot steht: »Was aus ihm geworden? Ja, das mußt Du am besten wissen, Peter. Du bist ja – war's gestern oder vorgestern, oder vor längerer Zeit, davon gegangen, und hast mir den Thaler mit dem Erzherzog Ferdinand und den andern mit dem Bischof abgebettelt. Oh! oh! wie hat der grobe Blaas gethan! hat er nicht Augen gemacht, wie der Metzger auf das Lamm? komm, komm; gib mir sie wieder heraus, die schönen Thaler; ich will Dir einmal Nüsse dafür schenken. Was macht Dein Vater, 192 Peterl? Hat er Dich wieder zu Gnaden angenommen? Ja, ja, Elternherzen sind weich, butterweich; und ich wär' auch gut, gar so viel gut, wenn mich nur der Blaas nicht so streng und kurz hielte.« Abermals weinte das alte Kind, und dann lachte es gleich wieder, und wollte die Taschen Seraphins untersuchen, und die bewußten Silberstücke schäckernd herausziehen. – Ungeduldig werdend versetzte aber der mißmuthige Reisende: »Laß mich doch aus, Du konfuse Person. Was gehn mich Deine Thaler und der Blaas an? Wer ist denn der Blaas? Was soll ich mit dem Blaas? Sag' mir lieber, wo der Peter steckt, der Peter Tammerl?« – Er hielt die Jungfer, die ihm auf den Leib gegangen war, mit beiden Händen strack von sich ab.

Sabina schaute ihn verwundert an, dann wurde sie gleichgültig, endlich tiefsinnig und ließ den Kopf hängen. Auf einmal ließ sie den Buben los, und wirbelte einem eintretenden handfesten Manne, der einem Maurer ähnlich sah, entgegen. Mit wetterfinstrer Stirn rief sie denselben an, und zugleich mit den Geberden einer Heftiggekränkten: »Da schaut's einmal an, Blaas, da schaut's einmal an. Kommt da nicht der fremde Zigeunerbub, und gibt sich für den Peterl aus? Hat man denn in der Welt so etwas gesehen? für mein kleines Vetterl Peter, für den Sohn meines Herrn Vetters Tammerl? Schaut ihn nur an, den Schnabel, und sagt, ich hab's euch gesagt, Nachbar Blaas. Da habt Ihr's jetzo. Immer schimpft's auf den Peterl, und der Peterl hat gar nichts gethan, und die Thaler hat er auch nicht, aber wohl der Lugenbeutel, der Schnabel da!« – Die gutmüthige Alte hatte sich plötzlich in einen zornblinden Drachen verstellt; warum? Das wußte die Arme freilich selber nicht. – »Gebt's Euch nur zu gute,« erwiederte der Maurer, der eine Art von Gerhab oder Curator bei der schwachsinnigen Jungfer vorstellte: »Wir wollen's ihm schon geben, dem Schliffl. Er soll's gleich aus dem Salz kriegen.«

193 »Oho! oho!« ließ sich Seraphin bestürzt und heftig vernehmen: »Ist's an dem, daß ich jetzt den Eckstein abgeben soll, woran Ihr zwei beide euch reiben wollt? Falle ich doch als ein ganz unschuldig Schaf in diese verrückte Wirthschaft herein, und soll jetzt die Suppe allein ausessen?« – »Nur stat, nur stat,« brummte ihm der Maurer mit vertraulichem Augenwinken zu: »Siehst wohl, die Alte ist nicht recht im Blei. E pazza, la poveretta.« – Seraphin verstand den Mann, der zu seiner Zeit in Brescia das Mauern und Pflastern gelernt hatte, nebst dem bischen Wälsch, und entgegnete: »Das seh' ich schon, und glaube auch zu bemerken, daß Du ein vernünftiger Mann bist, der mir berichten wird, was mir dient.« –»Dienen, dienen?« fragte Sabina, die mit untergestemmten Armen zwischen den Mannsleuten stand, und mit wundersamer Beweglichkeit ihre neugierigen Blicke herüber und hinüber schoß: »Hier ist gar nichts zu Deinen Diensten, Schnabel, wenn Du nicht meine Thaler herausgibst. Gelt, Blaas: Ihr seyd auch der Meinung? Eine arme Wittib, wie ich bin . . . hi, hi!« Sie weinte große Tropfen.

»Gebt doch nur Fried',« ermahnte ein junger Seminarist von Brixen, der gleich einem langen schwarzen Ungethüm hereinschlich. Auch er war ein Verwandter der Feilig, und machte etwas weniges den Erbschleicher bei ihr, so oft er von Brixen abkommen mochte: »Seyd Ihr schon wieder im Irrthum? Eine Wittib Ihr, die eine unbescholtene Jungfer geblieben . . .?« – Indessen flüsterte Blaas dem Seraphin zu: »Die Haut meint dann und wann, sie sey eine Wittwe, weil der Meusel, der sie vielleicht geheirathet hätte, vor langen Jahren von den Baiern erschossen worden ist.« – Sabina hatte etwas von den letzten Worten des Maurers vernommen und fragte hastig: »Sind die Baiern noch immer im Lande? daß Gott erbarm!« – Blaas begnügte sich die Achseln zu zucken. 194 Der Seminarist führte indessen die Alte zu ihrem Spinnrade, setzte sich als ein Vertrauter neben sie, und diskurirte weiter: »Eine Wittwe Ihr? wo denkt Ihr hin, liebe Base? Euer Jungfernkranz wird sich einmal im Himmel in eine herrliche weiße Taube verwandeln.« – »Dank' schön,« erwiederte Sabina etwas gerührt: »Es hat mich keiner haben mögen. Der Schellenmacher-Natz hat mich einmal angeredet . . . Gott vergelt's ihm.« – »Das mein' ich auch; er hat sich damit schon eine halbe Martyrkrone verdient;« sprach der Seminarist und schnupfte Tabak.

Mittlerweile gab Blaas Bescheid auf Seraphins Fragen, indem er sagte: »Vorgestern, so gegen die JausenJause: Vespermahl; (wie Merende; aber im innern Tirol wenig gebräuchlich). hin, ist der fragliche Peter angelangt, und die Sabina hat ihn aufgenommen, wie einen kleinen Heiland. Sie glaubte nämlich in ihm den Peter des Innsbrucker Tammerl zu sehen; denn von dem Tammerl zu Imst weiß sie, glaub' ich, gar kein Wort.« – »Wie geht's denn dem lieben Joseph?« fragte die Kindische herüber; denn sie lieh dem Seminaristen nur ein Ohr, und strengte das andere an, von dem Zweisprach der übrigen Anwesenden etwas zu vernehmen. – »Er läßt Dich schön grüßen,« antwortete Seraphin, und horchte wieder begierig dem Maurer zu, der da fortfuhr: »Ich war schon der Meinung, der Bube, der wie ein rechter Nichtsnutz ausschaut, wolle bei der guten schwachköpfigen Sabina auf der faulen Haut liegen bleiben, und ich hätte es nicht gelitten; die arme Person wird so viel oft mißbraucht, daß es ein Graus ist. Aber Peterl erklärte bald, er werde seinen Weg fortsetzen, und in Sterzing einen seinigen guten Freund, des Wachslers von Innsbruck Sohn, einholen, um mit demselben in's Welschland zu wandern. Desto besser, dachte ich, und ließ in Gottesnamen den ungeladenen Gast bei der Base essen und trinken und schlafen, und so ist er gestern, nachdem er bis an den hellen Mittag im Bett gefaullenzt und die Kirche versäumt, eben nach selbigem Sterzing abgepatscht. Erst 195 hinterher erfuhr ich leider von der Alten, daß der Bube ihr ein paar Geldstücke abgeschwatzt hatte, die ich ihr im Sack gelassen, weil ich nicht von fern glaubte, daß sie sich von dem raren Gelde würde trennen können.« – »Nach Sterzing also?« fragte Seraphin lebhaft: »so geh' ich denn auch dahin. Bin ich einmal so weit dem Burschen nachgelaufen, so will ich mich auch die paar Meilen weiter nicht gereuen lassen.« – »Wenn's nur etwas hilft,« äußerte der Maurer bedenklich: »der Peterl ist ein verwilderter Bub', ich hab' noch keinen seinesgleichen gesehen. Bin doch weit in der Welt herum gewesen, so zu Mailand und Brescia, zu Linz und Wien . . . .« – »Kommst Du grad von Wien, Peterl?« fragte wieder Sabina eifrig: »O sag' geschwind, was macht denn unser lieber Kaiser, der Leopold?« – »Ei, der ist ja längst gestorben, Sabina,« entgegnete Blaas, und die Jungfer rief mit aufgehobenen Händen: »So, so, hm, hm! ein armes altes Weibsbild erfährt dergleichen Neuigkeiten nimmermehr!« – »Ich bin auch gewesen in Croatien,« erzählte der Maurer redselig fort: »in Temeswar, mitten unter denen Türken . . . .« – »Daß Gott erbarm'! Liegen die abscheulichen Türken noch immer vor der Stadt Wien?« fiel die Kindische abermals ein: »Peterl, nimm Dich vor ihnen in Acht, sie sind noch grausamer als die baierischen Husaren und die Monster-DragonerMonstrel-Dragoner, die in der baierischen Invasion von 1703 bei Matrey ein glückliches Gefecht gegen eine Handvoll kaiserlicher Truppen unter dem General Gschwind bestanden., die mir den Schellenmacher erschossen haben!« – Als hierauf die Feilig abermals zu weinen anhob, hielt sich Seraphin den Kopf mit beiden Händen und sagte mitleidig: »Mir selber wird da innen ganz konfus, wenn ich der Jungfer noch länger zuhören muß. Gott behüt' euch also Alle miteinander. Schön' Dank 196 für die Nachricht, Maurer. Ich will Füße machen wie eine Eidexe. Wenn mein landläuferischer Bub' so verschlafen ist, wie Du sagst, so müßte es nicht mit guten Dingen zugehen, wenn ich ihn nicht irgendwo im Bett derwischte.«

Dem guten Glück vertrauend, und auf die Fährte des Peter erpicht, lief Seraphin, was er konnte, Steinach zu, und hielt sich dort nicht auf. Ein freundlicher Zufall war's, daß ihm bald außer dem Flecken ein Postreiter nachsprengte, ein rüstiger lebensfroher Gesell, der mit Lachen vom Sattel herunter fragte: »Kannst reiten und willst Du?« – »Wie weit?« – »Bis Sterzing. Das Roß kann's schon vertragen, wenn es ein bissel schwerer hat. Steig' auf, und halt Dich wacker an mich an. Alles zusammen kostet halt ein Frackl Branntwein, wir trinken ihn mit einander.« – »Schon recht, ich will mich schon halten. Entweder fallen wir beide unter's Rössel, oder keiner von uns!« – Nach kurzem Aufenthalt stolzirte Seraphin, zum erstenmal zu Pferde, den Brenner hinan, und fühlte sich, des unbequemen Sitzens und des harten Stoßtrabs ungeachtet, glücklich wie ein König, ja glücklich wie ein federleichter Vogel. Er meinte Flügel zu haben. – Der junge Postknecht schwatzte allerlei kreuz und quer, jodelte nicht selten hell in die Luft hinauf, knallte mit der Peitsche vor jedem Hause, das eine hübsche Dirne barg, ließ das Posthorn schmettern, daß die Felsen beim Passe Lueg freudig wiederhallten, die traurigen kahlen Altväter, die gewöhnlich wie Leidtragende am schlimmen Wege stehen. So ging's entschlossen und glücklich fort und fort, vorbei am Wirthshause und am Bade des Brenners, vorbei an Raspensteins bemoosten Trümmern, dem wilden Eisack folgend wie einem Führer durch nackte Felseinöden bis nach dem Dorfe Gossensaß. Der kurze Raum zwischen diesem Dorf und Sterzing, der Stadt, vorüber an der Veste Straßberg und an einsam stehenden Hütten und 197 Mühlen, durch einen ziemlich wilden Hohlweg vermittelt, war bald zurückgelegt. Der Abend neigte sich in's Thal, und die Brennerlüfte hauchten rauhe Athemzüge über das Sterzinger-Moos, als Seraphin mit zerschlagenen Gliedern von dem stößigen Gaul stieg, und im Gasthause nach dem Gegenstand seiner Sehnsucht sich erkundigte. Es fehlte nicht, Peter war dagewesen; ein junger Mensch von Innsbruck hatte ungeduldig auf ihn gewartet, und zwar so viel ungeduldig, daß die Zusammenkunft der Freunde am Morgen desselben Tages mit Vorwürfen und Beschimpfungen eingeleitet und mit einer nachdrücklichen Rauferei besiegelt worden war. Nach der beiderseitigen Kraftübung hatten sich die Raufer wohl wieder vertragen, und ein leckeres Mittagmahl gemeinschaftlich verzehrt, waren ein wenig umhergeschlendert und übereingekommen, noch am selben Tage das langweilige Sterzing zu verlassen, und in Mauls, zwei Stunden weiter, über Nacht zu liegen. »Mein Gott, ich hab' sie gern in ihrem Vorsatz bestärkt,« äußerte die Wirthin: »die beiden jungen Herrl'n waren so viel grob und so viel auf's Trinken aus, daß mir gegraust hat, namentlich, weil ich grade die Werbung im Hause habe, wobei der Aeltere von den Beiden, des Wachslers Sohn, hätte unversehens zu seinem Schaden in die Patsche kommen können. Man weiß schon, wie's die Soldaten mit liederlichen Muttersöhnen machen; ich hätte mich der Sünd' gefürchtet, wenn so etwas in meinem Hause mit einem Stadtkind vorgefallen wäre. Hab' ohnehin von den Ruechen, den PfitscherbauernPfitsch: ein schwer zugängliches Thal in der Nähe von Sterzing, von rauhem Volk besetzt; doch sind die Mädchen und Frauen daselbst von edelm und anmuthigem Aeußern. – Die Pfitscher, an Entbehrungen aller Art daheim gewöhnt, thun sich gewöhnlich übergütlich, wenn sie nach Sterzing zum Markt kommen. Ihr Appetit ist zum Sprichwort geworden, und die Manier, mit welcher sie es möglich machen, auf einen Sitz eine drei- oder sechsfache Portion verschlingen zu können, erinnert an die ekelhaften Mittel, deren sich zu demselben Zwecke gewisse altrömische Schmarotzer und Schlemmer bedienten., die zum Markt gekommen, alle Stuben voll, und die leichtsinnigen Mannen schlemmen drauf los, daß die meisten schon toll und voll sind, und zu besorgen steht, daß ihrer etzliche im Garn der Werber kleben bleiben. Schon jetzt schreien sie um nach den GitschenGitschen: Mädchen; (im Pfitscher Dialekt, auch im Pusterthal bräuchlich). und nach der Tanzmusik, und wenn einmal das Tanzen anhebt, so steh' uns Gott bei.« –

198 Hierauf antwortete Seraphin niedergeschlagen: »Ich bin doch recht unglücklich, komm' überall zu spät. Die Glieder alle sind mir wie ausgerenkt, und soll noch auf's Ungefähr hin zwei Stunden laufen?« – »Das thät' ich nicht, Du guter Knabe,« rieth die Wirthin: »Glaub' mir, Du richtest mit dem Thunichtgut nichts aus. Zudem sind ihrer zwei, und des Wachsler seiniger ist viel größer und stärker als Du, und ein wahrer Ausbund von Ruchlosigkeit. Weißt wohl, sie könnten Dich brav abklopfen. denn sie sind schon mit einem starken Stieber von hier weggegangen, und dann müßtest Du etwa mit ein paar Löchern im Kopfe liegen bleiben, und wüßtest nicht woaus, woan, während die Schelmen mit Freud' im Herzen ihre Straße weiter zögen?« –

Seraphin dachte reiflich nach, und sagte dankbar: »Du bist eine gar gescheite Frau, Du hast recht von Anfang bis zu Ende. Gegen zweie wär' ich nicht stark genug, und wie ginge es mir im fremden Land, wenn mir etwas Schlimmes begegnete? Die Zeit geht hin, das Geldl geht darauf, und der Meister denkt gewiß, ich käm' als morgen schon nach Hause! Wie dumm bin ich gewesen, daß ich mich so weit heraussprengen ließ! Wenn ich bedenke, wie weit ich jetzo nach Innsbruck zurück habe, und dann noch von dort nach Imst! Aber – wär's auch weiter – wenn ich nur nicht auf Sprugg zurück müßte, um mich dort auslachen zu lassen?« – »Hm, das könntest Du Dir ersparen, wenn Du einen Umweg nicht scheuen wolltest?« meinte die Wirthin: »wenn Du über den Jaufen nach Meran gingest, und von da über Mals und Burgeis und Nauders . . . .« – »Heisa, Diendl, tanz'n wir eins?« rief Seraphin in laute Fröhlichkeit überschnellend: »Frau, Du verdienst Dir an mir eine Goldhaube, wie sie die Weiberleute von Innsbruck tragen. Das geht mir ein. Mals – Burgeis – ach, das liebe Dorf könnte ich wiedersehen und etwa am dritten Tag nach Hause 199 kommen? Wohlan, wohlan, und mit dem Laufen nach dem schiechen Buben basta, wie der Grödner sagt. Zwar mein Geldl für den Meister . . .? Aber, wenn ich dem Herrn Joseph schreibe, er möchte es mit dem Lengrießer, der langen Geduld, abmachen, und dem Meister die Dukaten schicken . . . er steht ja nicht so geschwind darauf an, mein Tammerl von Imst! Was meinst Du, Wirthin?« – »Das wär' um so besser,« sagte diese, »als morgen mein Sohn nach Innsbruck reitet; er könnte das Briefl bestellen.« –

Wie er sich's in der Eile ausgesonnen, verrichtete es auch Seraphin, malte in Hast und Eifer ein Schreiben an den Spezereihändler Tammerl auf's Papier, erquickte sich sodann am Tisch des Hauses, sah lustig dem Tanze der Werber und der benebelten Pfitscher zu, und übernachtete herrlich in einem ruhigen Winkel, so zwar, daß er später aufwachte, als er es gewohnt war. »Werd' ich nicht ein Faullenzer wie der Peterl?« fragte er sich unwillig: »aber nein, dem ungerathenen Buben werd' ich, so Gott will, nimmer ähnlich sehen, und laufe er meinetwegen, bis ihm die Schuhe von den Füßen fallen! Ich gutherziger Narr habe lang genug seine unsaubre Spur verfolgt. Wenigstens werd' ich dem Vater sagen können, wo sein Früchtl hingekommen!«

Den Buben sich aus dem Sinne schlagend und voll Begierde nach der lieben Heimath und Martina bog er rechts ins Thal ein, und stieg langsam dem Dörflein Gasteig zu. Vor dem Wirthshause daselbst angelangt, hielt er Rath mit seinem nüchternen Magen, und dieser sagte eindringlich: »Ich glaube, daß eine kleine Morgenstärkung ganz am Platze seyn würde.« – »Meinetwegen,« gab Seraphin zu, und sprach ein, um Milch zu trinken und Brod zu essen. Er that Recht daran. Der Wirth sah ihm scharf in's Auge und fragte: »Suchst Du nicht etwa Einen auf dem Berge?« – »Oho, wen sollt' ich 200 suchen?« – »Ich hab' gemeint, Du gingest etwa dem Buben nach, der bei mir über Nacht gelegen?« – Seraphin riß die Augen auf. Er ahnte etwas, das ihm taugte; sein Herz schlug geschwinder. »Welch ein Bube?« – »Hm, einer von Imst. Er hat eigentlich nach Roveredo gehen wollen; zertrug sich aber mit seinem Begleiter unterwegs, und weil die Freundschaft einmal gestört worden, so ist der Letztere seines Wegs fortgegangen, und der Andere hat sich vorgenommen, auf kürzerer Straße heimzukehren, was auch das Vernünftigste seyn mag. Er schaut aus, wie ein rechter Lüftling; wird seinen Eltern nicht viel Freude machen. Ich hab' ihn auf den Saumschlag gebracht; er mag jetzo wohl in Kalcha seyn, könnte aber schon ein größeres Stück zurückgelegt haben. Ich mußte ihn mit Gewalt aus dem Bett treiben.« – »Das ist der Peterl, – ist keine Frage,« rief Seraphin entzückt: »geschwind, lieber Wirth, zeig' mir den Weg, den er genommen.« – Der Wirth that es mit aller Freundlichkeit.

Der SaumschlagSaumschlag: gepflasterte schmale Bergstraße, für Säumer und deren Thiere eingerichtet., eine vielbesuchte Verbindungsstraße zwischen dem Etschland und der Brennergegend, führt über das Jaufenjoch in's Passeier-Thal hinunter; reich an den herrlichsten Aussichten und stolzragenden Hochwäldern. Der Aufstieg ist nicht gar gäh von der Sterzinger-Seite, und der zu jener Zeiten noch wohlgepflasterte Pfad für Saumrosse und Kraxenträger war verhältnißmäßig bequem zu nennen. Die frischesten Alpenlüfte spielen über den gelichteten Stellen; zur rechten Hand hinuntersehend in die Tiefe begegnen dem Auge des Wanderers freundliche Wohnstätten der Menschen, Kapellen, und des wunderprächtigen Schlosses Wolfsthurn stolzer, im Sonnenlicht strahlender Bau. Ungefähr auf der Hälfte des Astgneis vom Gasteig zum Joch des Jaufengebirgs liegt die kleine Gemeinde Katcha oder Kalchach. – Seraphin, der trunknen Auges und fröhlich geweiteten Herzens bis dahin gekommen, klopfte an den Fenstern der niedrigen Hütten, 201 und fragte allenthalben, bis ihm endlich die Gewißheit wurde, daß der fragliche junge Mensch wirklich vorüber gekommen sey. »Gott sey Dank!« betete Seraphin inbrünstig: »jetzo, hoffe ich, soll er mir nicht mehr entkommen.« – Er stieg wacker vorwärts; aber auch die Sonne stieg über die Schatten der Wälder empor, und machte den eifrigen Wanderer tapfer schwitzen. Er ruhte an einem Brunnen auf bedeutender Höhe eine Weile aus, und siehe da, ehe er noch sich erfrischt hatte, überraschte ihn ein kurzer Schlummer. Das Geräusch vorübergehender Leute weckte ihn daraus. »Mach, daß Du fortkommst,« rief ihm ein rechtschaffen aussehender Bauersmann zu: »das Schlafen an diesem Platze taugt nicht. Es haben sich schon Andere hier den Tod geholt durch solche Unvorsichtigkeit. Geh', geh', steh' auf, und rühre die steifen Beine, daß es Dir nicht schadet.« – Halb noch vom Schlaf befangen, folgte dennoch Seraphin dem weisen Rath. Sie war freilich nicht zu spät gekommen, die Warnung, aber bereits spürte Seraphin ein schlimmes Mißbehagen in seinem ganzen Körper; die Hände und Beine des allzuschnell Abgekühlten waren wie erstarrt; seine Gelenkigkeit hatte viel eingebüßt, und obschon er der Ermattung rüstig widerstand, und fühlte, wie er sich nach und nach zu überwinden wieder fähig wurde, so litt sein ferneres Aufsteigen immerhin an öftern Unterbrechungen. Er mußte oft rasten, und bereute bitterlich seine unbesonnene Hingebung an eine Trägheit, die sonst nicht in seinem Wesen lag. Er eilte, was er konnte, um das Jaufenhaus zu erreichen, das eine starke Viertelstunde diesseits der Jochhöhe befindlich; aber kaum ein paar hundert Gänge davon entfernt, mußte er noch einmal innehalten und sich ausathmen, und die Arme mit Gewalt, wie zur Winterzeit, über Brust und Schultern schlagen, um sich Wärme und Geschmeidigkeit zu verschaffen. Auf der vollen Höhe des Berges war nemlich die Temperatur eine ganz andere, als 202 in den niedern Regionen. Die Sonnenstrahlen leuchteten dort nur, sie wärmten nicht, und ließen sich sogar von einem windschnellen Nebel, der über die Jochspitze herüber kam, verdunkeln. Der graublaue Rauch umfing mit Blitzesgeschwindigkeit die Höhe und wickelte sie in seine Schleier, daß auf zehn Schritte ein Wanderer den andern nicht wahrnehmen mochte. Mitten durch sprühte ein Schneeschauer nieder; tiefer unten am Berge regnete es; im Thale lag der Sonnenschein warm und unwandelbar. – »Ein Wetter, als wie mir zum Trotz!« sagte Seraphin, schlenkerte die Beine, um sie wieder in ihre Federkraft einzusetzen, und sah während dessen, wie gerade vor ihm, ihm entgegenkommend, ein Weibsbild durch Schnee und Nebel heranruderte. Nach ein paar Schritten stand diese ehrwürdige Person, die ein Branntweinfäßchen in einer Kraxe auf dem Rücken hatte, Nase an Nase mit Seraphin, und sprach ihn, nach einem hellen Ausruf der Verwunderung, aufs Freundlichste an: »Mein Heiland! Du schönes Bubele, kommen wir denn hier wieder zusammen?« – Es war die alle Wollhaube, die Dörcherin. »In Gottesnamen! woher des Landes?« fragte Seraphin ebenso freundlich wie Jene. – Die Dörcherin ließ sich von Wind und Schnee nicht anfechten, und erzählte am Schnürchen Dichtung und Wahrheit ihres Winterlebens her. Nach ihrem Vermelden war der Aufenthalt in der Umgebung von Meran nicht ohne Vortheil für die Laningerfamilie gewesen. Gott weiß, mit welchen Mitteln die Leute dazu gelangt waren, einen Nothpfennig oder Reisekreuzer zu erübrigen. Es war aber einmal geschehen, und daher hatten die Quasi-Eheleute und Häupter des fahrenden Geschlechts den günstigen Zeitpunkt benützen wollen, um nach Rom zu wandern, und daselbst ihre Ehe von der Kirche einsegnen zu lassen: eine Gewissensberuhigung, die ihnen in Tirol, bei dem steten Kampf der Behörden mit den Gemeinden, von weltlicher 203 und geistlicher Obrigkeit versagt worden wäre. Niemand wollte nemlich die Verpflichtung auf sich nehmen, den recht- und heimathlosen Dörchern eine Niederlassungs-, folglich Heimathbewilligung zuzugestehen, und etwa nach dem Tode des Vaters oder beider Eltern die zahlreichen Kinder dieser herrenlosen Zigeuner zu erhalten. – Darum mußte also Rom, die gnädige Mutter, um Vermittlung angesprochen werden. Der Vater und die Mutter hatten deßhalb Pilgerschuhe an ihre Füße gebunden, die Kürbisflasche und den Stab zur Hand genommen, und die Kinder unter der Großmutter Fürsorge zurück gelassen. Zaya that das Menschenmögliche, um die Würmer satt zu machen und zu pflegen, und da mit dem Winter das Kastanienbraten aufhört, und wegen der angestrengtern Feld- und Hausarbeit der Bauersleute auch das Wahrsagen nicht mehr allzubegehrt wird, so mußte, ihren Pflichten zu genügen, die Wollhaube sich allerlei Beschäftigungen unterziehen, so unter andern, die Lohnträgerin von Allerhand vorzustellen. Gerade heute ging sie mit einem Vorrath von Weinbranntwein gen Sterzing, um ihn dort abzugeben, und Innsbrucker Artikel, die schon parat lagen, wiederum dafür ins Etschland zu schaffen. –

»Du bist durch und durch kalt und müde, mein schöner Bub',« sagte das Weib mit einer Herzlichkeit, die einer bessern Natur als der einer Landfahrerin Ehre gemacht hätte: »warte, warte, ich will Dir heute wett machen, was Du auf der Alp für mich gethan. Gib Acht, der Tropfen ist nicht zu verachten.« – Seraphin kostete von ihrer Waare und fühlte sich alsobald besser, zumal da der Rauch wieder seinen Abzug nahm, da nur mehr Nachzüglerflocken, wie sparsam stäubende Federn, durch die Luft taumelten, und die Leibfarbe des Himmels prachtvoll durch den zerreißenden Dunst zur Erde leuchtete. – »Sag' mir jedoch, Seraphin, wie Du mir 204 vorkommst? Ich hab' Dich verlassen als einen Laufjungen des Grödners zu Burgeis, und finde Dich jetzo mit abgetragenem Kittel und braun, als wie gegerbt und geselcht, auf dem Jaufen wieder?« – Worauf Seraphin lustig, denn er fühlte seine Kräfte unbeeinträchtigt wiederkehren, und die Ueberbringerin des Martina-Zelten war ihm lieb: »Wenn Du in der That mehr als Brot essen und von der Zukunft etwas voraussagen kannst, Zaya, so zeig' mir an, ob ich denn einmal den Spitzbuben erwischen werde, dem ich nachjage?« Und da er Peter's Namen genannt, und was darauf bezüglich, erzählt, wunderte sich die Zaya sehr und sprach: »Du setzest meine Wissenschaft auf eine leichte Probe, und weißt doch, daß ich Dir mit Glück und Vorbedacht die gelben Vögel, deren Wärter Du jetzt bist, vorausgesagt habe? So wisse denn, daß jener Tammerl-Peter – ein nichtsnutziger Mensch wie Einer – gerade dort im Jaufenhause sitzt und sich's wohl seyn läßt.« – »Juhe!« schrie Seraphin, hüpfte hoch auf und schwenkte den Hut dem steinbeladenen Dache jenes Gebäudes entgegen. – »Schrei' nicht so laut vor Freuden!« ermahnte die Alte mit gutmüthiger Zudringlichkeit: »bedenk' Dich zweimal, ehe Du in dieses Haus trittst. Der Peter ist nicht allein: ein anderer langgewachsener und viel älterer Bursche, der heut Morgen geraume Zeit vor mir herging, den Berg hinan, sitzt bei dem Peter, und sie trinken und sie schmauchen miteinander, daß es gar aus ist, und das dritte Wort des ältern Menschen ist: »Heisa das Soldatenleben!« und das zweite von Tammerl-Peter: »Hoi, hoi, was geht mich Imst an, und ob der Vater einen haushohen Zorn hat oder keinen? 's ist mir gleich!« Stell' Dir also vor, in welche MettenMette, in trivialer Bedeutung: ein wüstes Durcheinander. Du Dich begeben willst. Zugleich schimpft der Lange eben auf den Vater Tammerl, daß sich die Balken biegen möchten, und – denk' Dir – der Sohn hockt dabei und lacht dazu.« – »Das alles ist recht sonderbar 205 und nicht erfreulich,« gestand Seraphin: »allein ich will nicht von Betlehem nach Jerusalem gekommen seyn, um nichts zu sehen und nichts zu thun? Das wäre dumm, Zaya; und weder der Peterl, der Bosnickel, oder der Gar-Andre werden mich auf'm Kraut essen wollen.« – Diese Worte sagend, deutete er stutzig auf einen langen Menschen, der an der Ecke des Jaufenhauses erschien, und müßig Luft schnappte. »Ist's der, den Du meinst?« fragte er seine Rathgeberin. – »Derselbe.« – »Oho! das ist ja der Kölbl; ich seh's an seinem Löffelwischer, am rothen Schnauzbart. Der ist mir gut bekannt, und begreif' ich auch nicht recht, wie er da herauf kömmt. Doch hab' ich mich nicht vor ihm zu fürchten, und somit leb' wohl, Zaya.« – »Mit Gott geh' hin, mein schönes Bübel!« grüßte auch die Alte freundlich: »Geh' hin, Dir blüht stets noch eitel Glück. Ich will im Sommer nicht versäumen, Dich zu Tarrenz heimzusuchen, und vielleicht bring' ich Dir wieder etwas von der schönsten Hand und von der liebsten?« – »Schön Dank! leb' wohl, leb' wohl!« rief Seraphin noch einmal und verließ die Alte, um in das räucherige Jaufenhaus einzutreten.

Diese Herberge ist eine von der Oertlichkeit in jeder Beziehung bedingte und nothwendige. Ob nun den äußerst steilen Abhang von Passeier hinankletternd, oder auf dem bequemern Wege von Sterzing dem Jaufenjoch entgegen steigend, bedarf der Wanderer hier der Labung und eines windstillen Ruhepunkts. Die wilde Einöde gestattet aber nur den Aufbau eines spärlichen und unschönen Obdachs, und dessen Bewohner sind natürlich rauh und felsenhart, wie der Berg. Ein paar wetterfeste Mannsleute, ein paar Weiber von groben und strengen Zügen versorgen dort den Einsprechenden mit leidlichem Wein und unerquicklichen Speisen. Um Ansprache ist man nicht verlegen. Die Neugier der 206 einsiedlerischen Gebirgsbewohner ist, wie sich's versteht, immer bemüht, den Fremdling tausendfältig auszufragen, und die Gelegenheit dazu findet sich nicht minder auf dem vielbesuchten Saumschlag alltäglich mehr als genug. Die Ankommenden verweilen oft lange, und sind gewöhnlich nicht eckel. Die Masse derselben besteht aus Kraxenträgern mit Obst und Branntwein, aus Säumern, die vordem gar häufig den Weg über den Jaufen nahmen; aus ziehenden Handwerksgesellen, aus Bauern, die mit Kleinvieh hinüber und herüber wandern, aus Händlern, die mit Schafen und Böcken aus dem fernen Ungarn kommen, um dieselben auf den Alpen zu mästen und später in Meran auf den großen Winterfleischmärkten abzusetzen; aus vacirenden Bergknappen und wildlustigen Jägern, und endlich aus allerlei Volk, landeinheimisch oder nicht, das auf losen Erwerb gehend, gern so schnell als möglich die größern Flußgebiete wechselt, die Heerstraßen vermeidend. – Vor hundert Jahren und darüber waren der Jaufengänger noch viel mehr als heute; die Aufsicht der Gerichte hüben und drüben um vieles nachläßiger; eine Gewaltthat wurde nicht selten auf dem Berge verübt; den damaligen Besitzern des Jaufenhauses war daran gelegen, mit allen Passanten in friedlichem Vernehmen zu verbleiben, damit nicht etwa eine frevelmuthige Hand aus Rache einmal den Stall leeren, das Rauchfleisch aus dem Kamin stehlen, oder gar den rothen Hahn auf das prasseldürre Schindeldach stecken möchte. Die Wirthe ließen also ihre Gäste, bekannt und unbekannt, vermöglich oder arm, in ihrem Hause gewähren, drückten bei Unfug und Händeln die Augen zu, und wenn ja einmal nach irgend einer schreienden Selbsthülfe die Justiz von Sterzing oder von St. Leonhard in Passeier von weitem bei ihnen anfragte, so hatten sie niemals etwas gesehen oder gehört, das unrecht gewesen wäre, und dabei beruhigten sich gewöhnlich alle betheiligten 207 Parteien. – In diese völlig neutrale Gasthaltung begab sich Seraphin. –

Der heutige Zustand des Jaufenhauses ist ein prachtvoller gegen das, was er in jener Zeit gewesen. In der vertäfelten Stube, schwarzgebeizt von Rauch und Alter, durchqualmt von schwüler Hitze – denn der Ofen speist dort oben zu jeder Jahreszeit sein Holz, als ein rüstiger Verzehrer – waren verschiedenerlei Menschen und Vieh zusammengedrängt. Einige magre Hühner hüpften von Tisch zu Tisch, um die gefallenen Brosamen zu picken; mehrere Hunde bellten durcheinander; zwei Lieblingsziegen pflegten ihr Fell unter der Ofenbank, wo sie vor dem Schneegestöber Schutz gesucht. Auf derselben Bank schlummerte, das Gesicht tief in seiner Pelzmütze versenkt, ein müder Waidmann, das Gewehr im Arm. Eine Gruppe von Viehhändlern, deren Thiere vor dem Hause und in dessen Vorplatz angebunden blöckten, meckerten und grunzten, stand, geräuschvoll eine Streitigkeit verhandelnd, um den Wirth, als um den Schiedsrichter, geschaart. Ein Trupp von Hausirern war im Begriff, lärmend seinen Weg fortzusetzen. Die Hauskatze saß vornehm auf dem Gesimse neben dem Betbuch, dem Kalender und der Laterne; unter ihr an schmutziger Tafel der Vogelträger Kölbl vor einem großen Kruge und neben ihm, sich geberdend wie ein völlig mündiger und leichtsinniger Mensch, der landläuferische Peter, den Pfeifenstummel im Mund und blaß vor Müdigkeit, vor Wein- und Tabacksgenuß. – Es war ein wenig reizendes Bild für den ehrlichen und so herzlich um den Taugenichts besorgten Seraphin. Demungeachtet schritt er herzhaft auf die Zechenden los und sprach: »Sieh' da, Gott grüß', ei Kölbl, bist Du's wirklich, und ist das nicht der Tammerl-Peter?«

Dießmal war's der rechte Peter allerdings, und damit es Seraphin gleich merken sollte, drehte er sich um, und fragte flämisch entgegen: »Was geht's Dich an? Wer 208 bist denn Du? Mach' Dich durch, und laß mich in Frieden.« – Der Kölbl jedoch machte ein wild-neugieriges Gesicht, schlug mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Potz Wetter! wo hat Dich der Wind derwuschen, Vintschger, und Dich auf den Berg niedergeschneit?« – »Ich suche den da,« erwiederte Seraphin gelassen: »Du, Peterl, 's ist nicht schön von Dir, daß Du davon gelaufen, wie ein Dieb. Jetzt sey aber gescheit, und geh' mit mir heimwärts. Mach' Deinen Eltern ferner keine Sorgen, mach' nicht das Uebel ärger. Der Meister Wohlrauch nimmt Dich zwar nimmer an; aber Deine Mutter wird schon machen, daß der Vater Dir verzeiht. Da hast Du einen Brief von ihr.« – Der Peter, der gelb geworden war vor Galle und Beschämung, studirte mit verwirrten Blicken in dem mütterlichen Schreiben, und sagte während dessen unverschämt: »Find' ich doch im ganzen Brief nicht einmal, nicht ein einzigmal, daß Du den Auftrag hättest, mich heimzuführen? Was gehst Du mich an, frag' ich? Ich werd' schon heimkommen, wenn 's mir gefallt: will auch ein bissel Freiheit haben, nach der Schinderei bei'm Wohlrauch, den der böse Feind holen kann, wann 's ihm beliebt.« – »Ei, Peterl, Du redest ja wie ein Heide und Unchrist,« hob Seraphin an: »Pfui Teufel, schickt sich das für Dich? Die Frau Marianne hat Dich so lieb, daß sie sich halb zu Tod grämen wird . . . .« – »Was nicht etwa noch gar? Man stirbt nicht so geschwind,« versetzte Peter, und trank sein Glas trotzig über 'm Kopf aus. – Seraphin wendete sich nun in seiner Noth an Kölbl und sagte: »Ich bin vergnügt, daß gerade Du hier gegenwärtig bist, Coloman. Du bist der Aelteste und Vernünftigste von uns – will's Gott, Du wirst dem Peter schon sagen, was er zu thun hat, wenn er 's doch selbst nicht weiß, und mir 's nicht glauben will.« – Aber Coloman machte ein grämlicheres und dabei schadenfrohes Gesicht, indem er entgegnete: »Ich hab' dem Peter nicht zu befehlen. Er 209 kann thun und bleiben lassen, was er will. Ich werd' ihm nicht zusprechen heimzugehen.« – »Kölbl! ist nicht der Meister Dein Dienstherr?« – »Gewesen, gewesen!« lachte Kölbl mit Rachgier im Blicke. »Wir haben uns schon vor acht Tagen zertragen und einander Adje gesagt; und weißt Du, wer daran schuld ist? Niemand, als der vermaledeite Engadiner, dessen Herzblattl Du bist, Du falscher Scherg' und Leuteverläumder!« – »Kölbl!« rief Seraphin, der von des Burschen Händeln mit Egidi und Tammerl nichts erfahren, entrüstet aus: »willst Du schweigen, Kölbl? wie kommst Du dazu, mir einen bösen Namen anzuhängen?« – »Sakra!« fuhr nun der wilde Bursche auf: »bist Du nicht etwa ein Wohldiener und angebrischer Speichellecker? Ist Dein Freund Egidi nicht etwa ein neidiger Wälscher und Leutangeber? Schweig' Du selber, oder Du fliegst zur Thüre hinaus. Was scheer' ich mich darum, wenn Du den Hals brichst? Ich geh' unter die Soldaten, damit holla, will auch einmal ein Herr seyn, und die Werbung in Sterzing kommt mir gerade recht.« – »Geh!« rief Peter giftig: »nimm den Bauer bei den Ohren, und wirf ihn hinaus. Die Raupe soll uns in Frieden lassen.« – Seraphin setzte sich, ungeachtet ihm Kölbl überlegen war, in Positur. »Greif mich nur einmal Einer an!« drohte er. – Kölbl, der sich erhoben hatte, ließ sich plötzlich wieder nieder, und sprach, dem Plaschur den Rücken wendend: »Es wäre eine Schande, wenn ich mit dem Buben raufte. Sollst es aber schon einmal von mir eingetränkt kriegen, und Deinem Engadiner, dem Spitzbuben, kostet's wenigstens ein paar Rippen. Kannst es ihm sagen.« – »Ja, geh',« lärmte der feige Peter: »sag auch der Mutter einen schönen Gruß, und ich würde schon wiederkommen, wann's Zeit wäre.«

Seraphin stutzte über die Art und Weise, wie die 210 Sache sich zu entwickeln im Begriff war. Indessen war dem Kölbl ein arglistiger Gedanke durch's Gehirn gegangen, und er drehte sich entschlossen um, mit den Worten: »Ich sollte Dir Hals und Bein brechen, schon weil Du es mit dem Egidi hältst; aber ich will Dich am Leben lassen, Du Heiter, damit Du meine Post in's Tammerl-Haus bestellen kannst. Sag' Du dem Meister, er sey ein schlechter Mann, aber ich wollte mein Recht an ihm suchen: nicht etwa vor Gericht; denn ich bin ein armer Teufel, der immerdar vor Gericht den Kürzern zieht; aber auf meine Weise, und ich will Dir sagen, wie? Den Peter da hat mein guter Stern mir in die Hand geführt, und ich will ihn vorläufig behalten. Sorg' nicht, Peter, sollst's gut bei mir haben; aber, Seraphin, sag' dem Meister, daß, wenn er nicht binnen heut und nächsten Mittwoch zweihundert Gulden in die Hände des Wörle-Hoisal, und zwar für mich bestimmt, niederlegen würde, er seinen Buben nicht sobald wieder zu sehen kriegen soll. Der Peter wird mir ein Pfand seyn für das Geld, und was dem Buben widerfahren mag, soll auf den Kopf des geizigen und schlechten Mannes, seines Vaters, zurückfallen. Sag' ihm das Wort für Wort, und mach' Dich durch, damit er's frühzeitig genug vernimmt.«

Seraphin war versteinert vor Bestürzung; dem Peter selbst fiel die LudlLudl: verächtliche Benennung einer schmutzigen Tabackspfeife. aus den Zähnen, und er fragte scheu: »Je, was hast Du mit mir vor, Kölbl?« – »Nichts als Liebes und Gutes, ergib Dich nur darein,« versicherte Coloman mit der Freundlichkeit eines reißenden Tigers, und schenkte dem Peter das Glas voll. Dem bösen Buben schmeckte jedoch der Wein auf einmal nicht, und er unterstand sich, einen furchtsamen Blick ängstlicher Frage auf Seraphin zu heften. – Da änderte Kölbl seine Sprache und befahl streng: »Trink und laß mich 211 sorgen, oder ich schlage Dich nieder. Mein Vorsatz ist gut, und Du mußt mir ihn ausführen helfen, oder . . . bei Gott! solltest Du Miene machen wollen, mir zu entlaufen, so kostet's Dich einen Flügel vom Leib, wo nicht gar das Leben! Was scheer ich mich darum? Ich geh' unter die Soldaten und damit holla!«

Seraphin schaute sich besorgt nach einem Beistand um; vergebens. Der Wirth hatte die Viehhändler hinaus begleitet, die Hausirer waren schon längst von dannen gegangen. Der Jäger schlief wie ein Stück Holz in seinem Winkel. Seraphin merkte bekümmert, daß ihm nur der Weg der Ueberredung übrig blieb, und daß derselbe leider vergeblich eingeschlagen werden würde. »Sey doch vernünftig, Kölbl!« sagte er begütigend. – »Vernünftig?« rief Coloman, und schlug wieder auf den Tisch, daß dem Peter, der gehorsam und über Macht getrunken, das Glas aus den Händen fiel: »ich will nicht vernünftig seyn: ich bin wild, fuchsteufelswild, und der Tammerl soll nun Haare lassen, oder bei Gott, es geht dem Buben da nicht gut. Mach' Dich durch, Kalfakter, sag' ich!«

»Jesus, Jesus! siehst Du Peter, in welche Hände Du Dich begeben? daß Gott erbarm'!« klagte Seraphin: »Merkst Du, was daraus entsteht, wenn man die Eltern nicht ehrt, und seinen Nächsten unchristlich verflucht, und ihn dem Teufel übergibt. Ja wohl hat der Liebl-Jäger recht gehabt: »Der Satan ist alleweil zur Hand, wenn ein Unglück geschehen soll.«

»Laß mich aus mit Deinem scheinheiligen Geschwätz,« schalt Kölbl, der sich immer mehr in Zorn jagte: »fort mit Dir, und Du, Peter, laß' das Rehren, es hilft nicht. Du bist einmal in meiner Gewalt, und mich soll der Schwarze . . .« – »Brav, daß Du weinst, Peter!« rief mit aufglimmender Hoffnung Seraphin: »komm, 212 komm, ein schneller Entschluß kann viel gut machen. Laß den schlechten Mann da sitzen, und lauf mit mir. Wir wollen sehen, ob der Kölbl mit seinem Rausch uns einholen kann!«

»Einen Rausch? Du Lästerschnabel!« zürnte Kölbl und sprang federleicht in die Höhe, während Seraphin den zitternden Peter gewaltsam durch die Stube riß, den Jäger heftig am Beine schüttelte, und ihn, zur Thüre stürmend, um Hülfe anrief. Der Mann verwußte sich kaum und rieb sich die Augen. Indessen war schon der Schauplatz des beginnenden Kampfs vor die Thüre verlegt. Kölbl hielt seinen ungeheuern Wanderknittel in der Faust, den Peter beim Schopfe fest, und bedrohte den an ihm zerrenden Seraphin mit seiner Waffe. »Schlag' mich todt, Kölbl!« schrie Seraphin: »ich lasse nicht los. Peterl, herzhaft, mach' Dich frei. Auf ein paar Haare kommt's nicht an, um Deiner Mutter willen.« – Aber Peter that, obgleich tüchtig gebaut, nichts als weinen und wehklagen, und der Wirth, den Seraphin aus Leibeskräften herbeirief, kam nur zögernd heran. »Halt den Betrunkenen auf!« flehte Seraphin, und biß eben, als Kölbl zuschlagen wollte, denselben in die Hand, die Peter'n festhielt. Der Schmerz, den Kölbl empfand, machte den Peter frei; Seraphin kümmerte sich nicht um den Schlag, der ihm den abwehrenden Arm beinahe zerschmettert hätte. Der Wirth stellte sich mit seiner ganzen Breite dem wilden Kölbl entgegen. Das Spiel schien für die jungen Leute gewonnen zu seyn. Sie entsprangen dem Hause. – Aber schnell wendete sich wieder das Blatt. »Auf die Seite, Wirth!« hatte Kölbl gerufen. Gehorsam war der Wirth zur Seite gesprungen. Im Nu war Coloman auf den Fersen der Flüchtlinge; mit einem Streiche erreichte er Peters Nacken, daß der Angsterfüllte wie todt zu Boden sank. Der zweite Streich sollte den sich umkehrenden Seraphin noch gewichtiger treffen und 213 zur Erde schlagen. Da klang das Fenster der Wirthsstube, eine helle Stimme rief heraus: »Willst Du den Seraphin auslassen, du Henkersknecht?« Und dem Anruf folgte alsobald ein Schuß, der dem Kölbl den Hut hoch in die Lüfte jagte, so daß der Wüthende plötzlich erschreckt im Boden wurzelte, schäumend wie ein Wolf, aber bebend wie ein Lamm. Er merkte, daß der Tod nur einen Zollbreit von ihm gewesen.

Der Schütze war flink genug, seinem unverhofften Beistand den gehörigen Nachdruck zu geben. Er ließ die Sache nicht halbgethan liegen, und erschien alsobald auf dem Platze, seine Flinte ladend. »He, Du! bist damisch worden?« rief er den Kölbl verächtlich an, reichte dann dem Seraphin die Hand. »Tausend Willkommen, Bruder mein! hab' ich's errathen mit meinem Büchsel?« – »Ach Du liebe Frau! der Lex, der Liebl-Lex!« – Seraphin umarmte den schon recht freisam ausschauenden Waidmann mit wahrer Herzensergießung. – »Still, willst still seyn? nur keinen Dank. Wir sind noch nicht miteinander fertig. Du hast mir einen lieben Vater erhalten, und ich hab' nur einen schlechten Kerl nicht todtgeschossen, obschon es mir weh genug gethan hat, ihn am Leben zu lassen. Aber gelt, Du? 's ist ein gutes Büchsel, das meinige? Es war des Vaters Gewehr . . . weißt noch? das er im Schnee verloren hatte. Er hat mir's geschenkt, und so ist's grad, als hätt' Er Dich jetzo aus der Gefahr herausgeschossen, und nicht ich. Ich wart' auf ein andermal, für Dich meine Kunst zu verrichten.« –

Seraphin erinnerte sich, daß einst der Alte mit demselben Gewehr auf sein Leben gelauert, und pries die Vorsehung andächtiglich. Kölbl hatte indessen in seiner Verlegenheit dem daherschleichenden Peter, der mit dem Schrecken davon gekommen, einige Worte zugeraunt. Aber Lex verfolgte seinen Zweck bis zu Ende, schob den Kölbl bei Seite, und sprach hochfahrend zu ihm, der jetzt 214 so blöde, als vorhin gebieterisch erschien: »Du, soviel ich meine, bist Du bei den Beiden da wenigstens um einen Mann oder Spitzbuben zu viel. Du wirst Dir also schon gefallen lassen, dortaus gen Sterzing zu spolziren. Hast ja gesagt, daß Du dort unter die Soldaten willst? flieg ab, und denk' nicht dran, den jungen Mandln da nachzugehen. Ich werd' auf der Wacht stehen, und wenn Du nicht folgst, so pfeif' ich Dir mein Stückl einen Zoll tiefer. Mach' Dich durch!«

Lex schlug sein Gewehr an. Tückisch und mit wilder Zunge dumpf grollend, bei jedem Schritte grimmig umschauend, entfernte sich Kölbl. Er mußte die Vorsätze, die in Peters feiger Seele die Furcht geboren hatte, durch seine paar Flüsterworte schon wankend gemacht haben; denn Peter, da es jetzt darauf ankam, seinem aufdringlichen Hofmeister zu folgen, wollte sich wieder auf die Hinterfüße stellen. Aber Lex sagte scheelen Auges zu ihm: »Du bist ein Tagdieb und ein schlimmes Kräutl, das sich erst noch schlimmer auswachsen wird. Folg' darum für heute Deinem guten Engel, sonst geht's Dir nicht gut, weißt wohl? wie für Jenen eine Kugel, so hab' ich für Dich eine volle Ladung Prügel, und will sehen, ob wir Dich nicht damit weiter bringen. – Ich hab' eigentlich heute noch nicht in's Passeier hinunter gewollt; aber 's wird am besten seyn, wenn ich bei Dir bleibe, Seraphin. Ihr könntet in die Nacht hinein wandern, und sie ist keines Menschen Freund. Du brächtest auch vielleicht den eiterbissigen Buben da nicht ohne Mühe nach Meran. Ein anders wird seyn, wenn ich dabei bin. – So, macht euch auf den Weg. Der Schurke und Teufelsrekrut ist schon weit, und wir wollen keine Zeit verlieren. Unterwegs, Seraphin, magst Du mir erzählen, wie eigentlich die Geschichte hier zusammenhängt, und ich meinerseits will Dir berichten, wie's uns gegangen ist seit 215 letztem Winter. Marsch, voran, Du falsches Murmelthier; komm, Seraphin, mein Bruderherz.«

Mit Freuden schickte sich Seraphin zum Abzug an. Verdrossen und über Genickschmerzen unmäßig klagend, folgte Peter seinem Beispiel. Lex machte den bewaffneten Geleitsmann, spähte stets ringsum mit frischen Augen, und wußte Schritt und Tritt anzugeben, wo der Weg durch einen nähern Fußpfad abgekürzt werden konnte. So wanderten die Dreie mit einander übers Joch bergunter, durch Wald und Felsen dem wunderherrlich gelegenen St. Leonhard entgegen. –


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