Heinrich Spiero
Raabe
Heinrich Spiero

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4. Kapitel

Romanversuche

Über die Niederschrift seiner Werke sind wir zwar durch Raabes Tagebücher genau unterrichtet, für ihre innere Entstehung fehlen uns fast alle Angaben und Anhaltspunkte. Entwürfe sind nur karg vorhanden, in Briefen hat er sich während der Arbeit und später selten ausgesprochen, und auch in der Unterhaltung war er in diesem Betracht äußerst spröde. Gerade von ihm gilt Nietzsches Wort:

Wer viel einst zu verkünden hat,
Schweigt viel in sich hinein;
Wer einst den Blitz zu zünden hat,
Wird lange – Wolke sein.

Wir wissen von Raabes zweitem Werk, dem als eigentlicher Roman gedachten, wenn auch noch nicht so benannten Frühling, daß es nach der Chronik entstanden ist. Dennoch scheinen mir Empfängnis und erste innere Durchbildung wesentlich früher zu liegen, und es sieht in vielem so aus, als ob einzelnes auch schon vordem entworfen und niedergeschrieben wäre. Auch hier werden Geschicke der Vergangenheit in der Gegenwart gelöst, auch hier finden sich getrennte Verwandte nach langer Zeit wieder. Der Sohn des harten, ehemals allmächtigen Ministers hat sich aus Eifersucht an dem schwächeren Bruder vergangen, irrt seitdem unter falschem Namen durch die Welt und tritt an der Hand reiner junger Menschen, ein ernster, 58 einsamer Mann geworden, spät wieder vor den Vater; er führt jener einst von beiden Brüdern geliebten Künstlerin auf ihrem Sterbebette die Tochter wieder zu. In derselben Stadt findet diese auch die um der Bühnenlaufbahn willen verlassenen Jugendgespielen und Adoptivgeschwister, sie entflammt den Bruder, und erst nach schweren, bis an das Tor des Todes führenden inneren Kämpfen kehrt der zu der wirklich Geliebten, der Braut seines Herzens, der weiblichen Mittelgestalt der Dichtung, zurück.

Aber was in der Chronik, trotz dem Vortrage von einem fliegenden Blatt zum andern, organisch aufwächst, erscheint hier, wo die Rahmentechnik aufgegeben ist, verzwickt, ja zum Teil verkünstelt. Der Erzähler will nicht wie Wachholder als ein Teil der Handlung mit darin stehn, aber der Dichter redet nur allzu oft hinein, ja, er spricht sich gewissermaßen zu, wenn er eine Hemmung fühlt, er wechselt zwischen direkter und indirekter Charakteristik. In der Chronik fiel doch zuletzt auf alle Teile der Handlung das ihnen gebührende Licht, alles stand nach seinem inneren Wert richtig im Raum; hier bleibt uns Raabe an einer tief entscheidenden Stelle fast alles schuldig. Der junge Georg wird in den Bann der wiedergefundenen Pflegeschwester, der großen Sängerin gerissen, und sein Herz löst sich von Klärchen Aldeck. Aber das geschieht wie nebenbei. Die Feder, die oft für Nebensächlichkeiten mit einem Allzuviel von Arabesken verwendet wird, setzt hier aus. Der Erzählung eines allzu durchsichtigen orientalischen Märchens fällt die Rolle der Schleierzerreißung für Gestalten und Leser zu.

In der Chronik hatte Raabe mit Glück begonnen, Individuelles zu Typischem zu erhöhen. Jede der tragenden Figuren hatte eigene Züge, jede wuchs zugleich zu einer gewissen Gemeingültigkeit empor. Der Tischler und der Lehrer, der Zeitungsschreiber und die Künstler, das 59 junge Mädchen und die Matrone, die Tänzerin, sie alle waren menschlich ins Enge gebracht und besaßen doch auch die Linie überpersönlicher Bedeutung. Anders im Frühling. Hier ist Raabe spürbar bei einer ganzen Anzahl seiner Gestalten vom Allgemeinen ausgegangen und hat dann versucht, sie mit persönlichen Zügen zu durchdringen. Das ist ihm häufig nicht gelungen. Der Minister von Hagenheim ist der exklusiv-adlige, starr-reaktionäre, übliche Minister des Vormärz, die beiden Künstlerinnen, Mutter und Tochter tragieren die unruhigen, zwischen Lebensgier und Bühnenleidenschaft verzehrten Kinder des Scheins. Der Kommis Schollenberger bleibt der unbeholfene, sentimentale Liebhaber des Schwanks, und selbst in dem Modensalon, für den Klärchen ihre Blumen arbeitet, geht es weit herkömmlicher zu als unter dem Künstlervölkchen der Chronik, von der abendlichen Tischlerstube der Sperlingsgasse ganz zu geschweigen. In Sprache, Gebärde, innerer und äußerer Haltung erlangen alle diese Menschen kein individuelles Lebensrecht, aber auch als Typen sind sie nicht bezeichnend, bleiben sie in dem Abstand vom Wirklichkeitsbilde, der die Schablone vom Typus trennt.

Mit alledem steckt Raabe noch in Entwicklungen, die er in der Chronik längst abgestreift hatte, und darum die Vermutung der früheren Empfängnis, ja auch der früheren ersten Besinnung und Klärung des Stoffs. Raabe spottet wohl über die Junker von Redwitz und von Putlitz, aber er hockt mit ihnen in der Romantik ganz tief drin, und zwar in der blassen Romantik kraftloser Spätzeit, da die großen Romantiker dahingegangen waren. Romantische Requisiten, wie der Planet mit der Voraussage von Klärchen Aldecks Charakter und Leben, ganz romantische Begebnisse, wie die Entdeckung der Sängerin im Walde durch den Impresario, der sie zu einer »Königin der Geister« zu machen verspricht, fehlen nicht; aber es sind eben 60 Requisiten und nicht echte Lebenselemente wahrhaft romantischen Märchenzaubers. Nicht Eichendorffs Waldhorn, nicht einmal das Posthorn aus Lenaus silberner Maiennacht tönt hier, sondern nur der Schall alter, im Lärm einer großen Stadt vergessener, nicht mehr volltöniger Instrumente.

Dennoch rauschen auch durch dies Werk Ströme, auf denen Raabe aus falscher romantischer Umklammerung seinem Eigenleben, seiner eignen Aussprache zustrebt, und zwar bezeichnenderweise erst gegen die Mitte hin und dann wieder am Ende, immer da wo die bunte Handlung aussetzt, wo der Dichter aufatmend zu Aussichts- und Ruhepunkten gelangt. Das zerstreute Licht sammelt sich auf zwei aus diesem Buche weiterweisenden, fortleuchtenden Gestalten. Nicht auf Klärchen Aldeck; die Strichelzeichnung, mit der Raabe sie gibt, bringt zuviel, die beiden Frauen Ralff, Mutter und Tochter, werden mit wenigen, aber charaktervolleren Linien viel deutlicher als dieses Klärchen, das trotz aller Bemühung schließlich irgendwie in der Konvention steckenbleibt. Ihre Freundinnen, das muntere Ännchen Seibold und die beiden gutherzigen und feinfühligen Töchter des Trödlers Rosenstein, haben mehr Leben als die im Vordergrunde stehende Hauptgestalt. Aber in Eugenie Leiding, der blinden Schwester des zwischen zwei Frauen irrenden und sich nahezu verlierenden Jünglings, gelang Raabe ein Mensch, der nun allerdings weit über die Chronik und sehr weit über das zweite Buch selbst hinausragt. Er gab der des Augenlichts Beraubten die Schicksalslast und das Gnadengeschenk, alles um sich her zu erkennen und viel klarer als die Sehenden auch über deren Leben Bescheid zu wissen. Was man Fingerspitzengefühl nennt hat Raabe hier umrissen, aber dies Fingerspitzengefühl wird ganz ins Geistige projiziert und so der Hauch eines zwischen Ahnung und Gegenwart 61 wirkenden, selbst verirrte und verhärtete Herzen ergreifenden Lebens gewonnen.

Und zum zweiten erreicht Raabes Kunst im Frühling eine neue Stufe in der Gestalt des ewigen Privatdozenten Doktor Justus Ostermeier, der wie eine Art Chorus durch das Buch geht. In einem knappen und tief hineinführenden Vorgang wird er mit voller künstlerischer Absicht mit Ulrich Strobel zusammengebracht. Der Doktor Hagen, der Ministersohn, trifft Ostermeier an des Künstlers Grabe auf dem Kirchhof, beide haben ihn gekannt und lesen gemeinsam die Umschrift auf dem Grabstein: securus adversus homines, securus adversus Deum. Wie Ostermeier dies Latein übersetzt, zeigt ihn blitzartig ganz. Zunächst verdeutscht er die erste Zeile: »Wer Pech angreift, besudelt sich!« und fragt zur zweiten: »Theist? Deist? Pantheist? Atheist? Soll ein verteufelter Gesell gewesen sein, dieser Strobel«, fügt er hinzu. Dann aber, im Abschied von Hagen, wird er ernst, er wiederholt die römischen Sätze aus des Tacitus Germania, dem Lieblingsbuch von Raabes Vater, und schließt hinausdeutend: »Ich habe diesen Mann wohl gekannt, Medikus! In diesem Spruche hängen doch viele im grünen Deutschland miteinander zusammen, die da glauben, sich nicht verstehen zu können!«

Er, Justus Ostermeier, dem die Reaktion die Professur verweigerte, hätte den Weg Strobels gehn, als ein Zerrissener enden können. Eine innige Neigung zur Natur und zur Naturwissenschaft, ein die Dinge dieser Welt verstehender Humor und eine knurrige Menschenliebe, besonders zu den Kleinen und Gedrückten, haben ihn aufrechterhalten – unbefangen gegen die Menschen, unbefangen gegen Gott, einen jener Freimaurer, die auch in der Stube der Mutter Karsten oder am Arbeitstische Johannes Wachholders mit hätten sitzen dürfen.

Und wie aus der schwer erlebten Weisheit solcher 62 Menschen heraus klingt die große Prophezeiung des siebenten Kapitels. Eben ist ein Bild sozialen Elends vorübergezogen – eine schwindsüchtige Blumenmacherin muß den Sonntag daran setzen, daß eine Baronin abends auf dem Hofball ihren Spitzenbesatz bekommt. Scheinbar ganz unvermittelt fährt der Dichter fort:

»Im Märchen liegt unten auf dem Grunde des Zauberbrunnens ein Unheimliches, Schreckliches, Unerkennbares, das herauf will und geheime, unbestimmte Schauder verursacht. Oben glitzern und funkeln die Bläschen und Wellchen im Sonnenlicht; und kocht die Oberfläche des Wassers auch einmal stärker auf, so haben die Wächter duftiges, farbiges Öl bereit, die Aufregung zu besänftigen. Aber unten, tief unten . . .

Wachet, wachet, ihr Wächter! Betet, betet, ihr Beter! Es ist da – es steigt empor! Ihr könnt es nicht weglachen, nicht wegleugnen. Ihr wißt nicht, wann und wie es kommen wird, aber ihr wißt, daß es kommen wird! Könige, Adel, Bürger, Bauern, Arbeiter; Stände, Zünfte, Vereine; Staatsreligionen, Sekten und Untersekten; Gläubige und Zweifler; Gelehrte und Ungelehrte; Reiche und Arme – was drückt und ängstigt euch und läßt euch auf jedes ferne Rollen in der Gewitternacht der Zeit erschreckt hinhorchen?

Zwei Sündfluten hat das Geschlecht der Menschen erlebt, vor der dritten steht es.

Die erste kennen die Urkunden aller Völker: das rohe Element besiegte die junge Menschheit und ihre Kultur!

Die zweite nennt die Geschichte: Völkerwanderung. Und die dritte? – –

Sie kommt, sie kommt! Wachet, wachet! Betet, betet, daß – der Geist Gottes über den – Wassern schweben möge! . . .«

Diese erschütternde weltgeschichtliche Rück- und 63 Vorschau erfährt noch eine Ergänzung. Ein paar Blumenverkäufer, Kinder ärmster Leute, sind in das offene Zimmer der Sängerin gedrungen, und der dazukommende Doktor Hagen hört, wie diese beiden Sprößlinge des Proletariats die Pracht der umherliegenden Kleidungs- und Schmuckstücke bestaunen. Das Mädchen möchte einen von den »Glassteinen« – es sind Diamanten – mitnehmen, der Bruder verbietet ihr auch das, und sie wollen das unbewachte Gemach mit leeren Händen verlassen. Da steht zwischen ihren letzten Worten und der ersten Äußerung des dazu gekommenen, seine Rührung nicht bemeisternden Doktors der auf jene Prophezeiung zurückweisende Satz: »Wer sagt, daß die neue Sündflut nur Verwüstung, Vernichtung, Untergang sein werde? Wer zweifelt, daß der ›Geist Gottes‹ in und über den Wassern sein werde?«

Das Mitgefühl für die Lage der Kleinen und Armen, der um des Lebens Notdurft Arbeitenden und sie kaum Gewinnenden wird gleich hier zum entscheidenden sozialen Verständnis gesteigert.

Der Dichter fühlt sich in den Bewegungen des Vaterlandes, er sieht sich in die Bewegungen der Menschheit verflochten und weist rückwärts und vorwärts auf schicksalweisende Wegscheiden hin. In der Chronik hatte der Anbruch eines neuen nationalen Tages sein Licht vorausgeworfen, im Frühling weist Raabe auf das Herandämmern eines neuen Zeitalters der Menschheit und tut es mit dem Vertrauen auf den Kern derer, die eine dritte Sündflut nach oben tragen wird.

Nicht äußerer Mißerfolg, sondern inneres Gefühl kühlte bald Raabes Liebe zu seiner neuen Schöpfung ab. Gewiß erreichte der Frühling den Erfolg der Chronik nicht, aber er ward immerhin von Levin Schücking und noch später von Hermann Marggraf, von diesem allerdings unter lebhaften Zweifeln an Raabes konstruktiver Fähigkeit, sehr 64 gelobt. Der Dichter selber zog das Buch nach wenigen Jahren aus dem Handel, heizte mit den überflüssigen Exemplaren den Ofen, wie Keller den seinen mit der ersten Ausgabe des Grünen Heinrichs, und benutzte einzelne Bogen als Zwischenlage zwischen Teppich und Fußboden zur Abhaltung kalter Luft. Aber er tat mehr, er ging im Winter von 1865 auf 1866 an eine Umarbeitung, und als diese wegen Auflösung des gewonnenen Verlages nicht zum Drucke kam, 1870 an eine zweite. Sie war aber fast überall eine Verschlechterung. Hermann Anders Krüger hat das tiefgreifend nachgewiesen, und Wilhelm Raabe selber hat später die Umformung eine Verbesserung durch Johann Ballhorn genannt. Was an der Urfassung jugendlich-unbefangen war, erschien nun getilgt, aber die eigentlichen falschromantischen Züge waren nicht beseitigt, die Mittelstellung Ostermeiers verschoben und die große Prophezeiung gelöscht. Raabe war eben im Laufe von einem Dutzend Jahren des Aufstiegs der Jugendarbeit so fremd geworden, daß das Gerüst ihn nicht mehr zu neuem Bau trug.

Damals, 1857, als er den Frühling beendet hatte, war er bald guten Mutes an den minder umfangreichen Roman der Kinder von Finkenrode gegangen. Die Erzählung beginnt und endet in einer großstädtischen Redaktion, dazwischen aber werden wir nach Finkenrode, in die kleinstädtische Heimat des Erzählers, des Redakteurs Bösenberg, geführt. Das Buch ist auf einen weit leichteren Ton gestimmt als die beiden ersten Dichtungen. Man hat das Gefühl (und dadurch, daß Raabe sich selbst als Corvinus in die Redaktionsstube einführt, wird es gesteigert), daß Raabe selber in seinen entscheidenden Jahren mit dem Gedanken an eine journalistische Tätigkeit gespielt hat. Er wird seine schon in der Chronik hervortretende Kenntnis des Zeitungslebens nicht nur aus Gustav Freytags, ihm 65 sicherlich damals schon vertraut gewordenen Journalisten geschöpft haben, und er hat auch zeitlebens mit Tagesschriftstellern wie Adolf Glaser, Eugen Sierke, Gustav Karpeles, Fritz Hartmann und den Stuttgartern nahe und gern verkehrt. Auch Wachholder stand ja der Presse nahe, aber – und das ist der charakteristische Unterschied zwischen der Chronik und den Kindern – er war kein journalistisches Temperament und Raabe ließ ihn auch nicht aus einem solchen heraus schreiben. Bösenberg aber bleibt in der Form der sich zum Romane rundenden Berichte durchaus großstädtischer Zeitungsschreiber. Er schreibt nicht aus dem Gesichtswinkel der Sperlingsgasse, sondern, auch unter den auf ihn eindringenden Erinnerungen und Stimmungen der Heimat und Kindheit, immer als der auf berliner Boden heimische Tagesschriftsteller. Wohl fällt er selbst in Liebe, aber sie wird ihm nicht Lebensmacht wie Wachholder, und in seinem »Feuilleton« spielt die Zusammenführung eines ihm geistesverwandten früheren Schauspielers mit der Tochter eines bärbeißigen alten Offiziers unter den Geistern des Bacchus eine erheblich größere Rolle als das eigene Geschick. Er, der glückliche Erbe seines Ohms, vom Testamentsvollstrecker nach Finkenrode heimberufen, steht im Grunde immer etwas daneben, während die andern das Leben heimführen – doch wohl eine echtes Journalistenschicksal. Auch Wachholder eroberte die Geliebte nicht und muß sie dem Freunde lassen, aber damit war über sein Leben entschieden; bei Bösenberg wird das, wie wir fühlen, nicht der Fall sein. Er kehrt in die Schriftleitung zurück. Ihm ist zwar noch sehr übel zumute, aber sicher gewinnt er allmählich die ihm gemäße Einstellung und könnte vielleicht aus seinem Erlebnis selber das Trauer- und Lustspiel Die Kinder von Finkenrode machen, das Corvinus in dem Ganzen sehn will. 66

So erzählt er denn auch mit übertreibenden Spitzen, mit starken Unterstreichungen, unter Hervorhebung der vordringlichsten Eindrücke, und mit seiner Berechnung sendet ihm Raabe den kalten oder doch scheinkalten Satiriker Weitenweber nach. Ihm, und nicht Bösenberg, fällt das Schlußwort in der tragischen Episode des Buches zu, in der Geschichte des wandernden Musikers Günther Wallinger, der weder Glück noch Stern hat und im Arme der von Bösenberg geliebten, aber nicht errungenen, überaus zart und hold gezeichneten Cäcilie zum Tode eingeht. Gewisse Töne aus der Chronik und dem Frühling erklingen leitmotivisch wieder, wenn Weitenweber dem Sterbenden auf die Frage: wie steht es im deutschen Land? antwortet:

»Es ist, wie es war! Auf derselben Stelle halten wir Schule für die Völker, die da kommen und gehen. Fühlende, denkende – zweifelnde Millionen quälen sich auf derselben Stelle, gleich unfähig zum Glauben, zur Liebe wie zum Haß, unfähig deshalb, ein großes Volk zu sein.«

»Und die großen Männer der Nation?«

»Tritt zu ihnen droben, Günther Wallinger, und sag ihnen, daß wir Götzendienst mit ihren Knochen treiben und Ketten schmieden in den Erzgruben, die sie uns aufgedeckt haben, Becher der Wollust aus den Gold- und Silberschätzen gießen, zu denen hinab sie den Weg gefunden und den Schacht gegraben haben.«

Trotz dieser, vielleicht schon im Angesicht Griepenkerls geschriebenen Episode, ist das Ganze einer unbesorgten Laune Kind, und der Fortschritt zur Verinnerlichung liegt wesentlich in dem, was gerade in diesen kleinen Roman aus Raabes Lyrik hineinfloß. Auch das freilich journalistisch paraphrasiert durch Verse, die Corvinus in die Schlußerzählung hineingibt: 67

Alles Genießliche
Hab' ich genossen;
Alles Verdrießliche
Hat mich verdrossen.

Brauch' es jetzt wacker
Nur auszuschrein,
Um ein gelesener
Dichter zu sein!

Auch da soll unbequeme Rührung abgeschüttelt werden, mit künstlerischer Absicht pastellmäßig Hingemaltes nicht zu starken Auftrag erhalten. Man fühlt, wie sicher der Dichter der Chronik nach dem Schwanken im Frühling jetzt den Boden zu neuem und ganz anderm Werk unter die Füße genommen und darunter behalten hatte. 68

 


 


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