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U m dieselbe Zeit, als in dem »Grünen Römer« unter Münzer's Vorsitz so hochverrätherische Beschlüsse gefaßt wurden, überlegten auf dem Rathhause die Väter der Stadt unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters, Dr. beider Rechte Willibrod Dasch: welche Schritte in dieser gefährlichen Lage der Dinge zur Sicherung des Eigenthums und des Lebens der guten Bürger gethan werden müßten. Durch den jovialen Wirth des »Grünen Römer« wußte man bereits seit dem Nachmittage, daß der demokratische Club (zu dessen hervorragenden Mitgliedern der joviale Wirth selbst gehörte) heute Abend eine entscheidende Sitzung in seinem Lokal halten werde, und im Laufe des Abends war zwei oder drei Mal aus dem »Grünen Römer« geheime Botschaft gekommen, die über den Fortgang der Berathungen ziemlich sichere Nachricht gab. Jede dieser Botschaften hatte Oel in das Feuer der Aufregung und Angst gegossen, das in den Herzen der versammelten Väter brannte. Der Oberbürgermeister Dasch wischte sich einmal über das andere die von Angstschweiß triefende Stirn und zeigte sich jeden Augenblick weniger im Stande, die unaufhörlichen und stürmischen Debatten, welche um den grünen Tisch herum gepflogen wurden, zu beherrschen. Ueber das, was zu thun sei, gab es so viel verschiedene Ansichten, als die Versammlung Köpfe zählte; die Verwirrung war auf den höchsten Grad gestiegen. Der Stadtrath Heydtmann u. Comp., der Senator Westermeier und andre von Natur ängstliche Gemüther beschworen die Versammlung, ohne Verzug zu den äußersten Mitteln zu greifen und die Flamme des Aufruhrs im Blut seiner Urheber zu ersticken. »Wir haben jetzt das Nest beisammen,« rief Herr Heydtmann u. Comp., »schlagen wir, bevor wir selbst geschlagen werden. Mit jeder Minute, die wir zögern, wächst die Gefahr. Denken wir nicht an Schonung; die Zeit der Milde ist vorüber, bieten wir die bewaffnete Macht auf, umzingeln wir den Saal, in welchem die Empörer zusammensitzen; es sind verzweifelte Menschen, aber mit Gottes Hülfe wird es unsern braven Soldaten gelingen, ihrer Herr zu werden, und bei dem ersten Versuche des Widerstandes mache man ohne Gnade von den Waffen Gebrauch.«
Diese blutdürstigen Zumuthungen stießen nur bei sehr Wenigen in der Versammlung, deren Wortführer der Advokat Kaltebolt war, auf ernstlichen Widerspruch.
»Die von der andern Seite vorgeschlagenen Maßregeln sind ebenso grausam, als sie unpraktisch sind,« rief Herr Kaltebolt. »Es ist zehn gegen eins zu wetten, daß die heutige Sitzung des demokratischen Clubs resultatlos sein wird, wie unzählige andere vorhergehende, und gesetzt auch, dies wäre nicht der Fall, so sind wir auf unsrer Hut und können in jedem Augenblick eine Macht aufbieten, in Vergleich mit welcher die der Gegner zu einem Nichts verschwindet. Ich bin dafür, nicht eher einzuschreiten, als bis uns die Maßnahmen der Gegner einen Anhalt geben; wir treffen sonst den Unschuldigen mit dem Schuldigen.«
»In einer Mörderhöhle giebt es keine Unschuldige!« rief Herr Westermeier.
»Besonders, wenn man Jeden, der zufällig nicht unserer Meinung ist, für einen Mörder und Mordbrenner hält,« replicirte Herr Kaltebolt.
Diese Aeußerung erregte den heftigsten Unwillen der versammelten Väter. Man schrie über unverantwortlichen Leichtsinn, über frevelhaften Indifferentismus, ja, es fehlte nicht viel, so hätte man den tapfern Mann der heimlichen Verbindung mit den »Empörern« geziehen.
Herr Kaltebolt ließ sich durch den gegen ihn wüthenden Sturm nicht aus der Fassung bringen.
»Was wollen Sie denn von mir, meine Herren?« rief er. »Gebehrden Sie sich doch gerade, als ob ich Einzelner der Ausführung Ihrer Entschlüsse hindernd in den Weg treten könnte. Thuen Sie, was Sie nicht lassen mögen, aber bedenken Sie wohl, daß Ihre übertriebene Besorgniß die Gefahr, welche Sie zu vermeiden wünschen, gerade heraufbeschwört, daß Sie durch Gewaltmaßregeln gegen jene harmlosen Schwätzer die allgemeine Aufregung nur vermehren und der ganzen Sache eine Wichtigkeit beilegen werden, welche dieselbe in meinen Augen, und ich glaube in den Augen jedes Nüchternen, gar nicht hat. Dieses Feuer erlischt von selbst, wenn Sie keine Nahrung hinzutragen, tappen Sie aber mit unvorsichtiger, ungeschickter Hand hinein, so sprühen die Funken nach allen Seiten und Sie werden sich dann allerdings nicht wundern können, wenn Ihre Häuser und Fabrikgebäude in Flammen aufgehen und die Verzweiflung Thaten erzeugt, zu welchen der dumpfe Unmuth sich niemals versteigen würde.«
»Sie haben gut reden,« rief Herr Westermeier, »Sie haben keine Fabriken, die in Flammen aufgehen können.«
»Es wird nächstens ein Verbrechen sein, wenn man zufälligerweise nicht Fabrikbesitzer ist,« sagte Herr Kaltebolt.
Der kaum beschwichtigte Sturm erhob sich von Neuem; der Oberbürgermeister läutete wie toll mit seiner silbernen Glocke; wer weiß, zu welchen lächerlichen und schimpflichen Auftritten es noch unter den uneinigen Vätern gekommen sein möchte, wenn nicht in diesem Augenblicke der Rathsdiener Pitter mit schreckensbleichem Gesicht in den Saal gestürzt wäre und dem Oberbürgermeister eine Botschaft in das Ohr geraunt hätte.
Ein banges Schweigen lagerte sich auf einmal über die eben noch so laute Versammlung.
Herr Willibrod Dasch erhob sich und sagte mit einer Stimme, welche die Angst heiser und fast unhörbar machte: »Meine Herren, draußen steht der Wirth vom Grünen Römer, der wackre Herr Pütz, und bittet um Gehör; er habe Nachrichten aus dem demokratischen Club von der äußersten Wichtigkeit mitzutheilen. Ich ersuche Sie, meine Herren, diese Nachrichten mit derjenigen Ruhe und Fassung, welche uns ziemt, entgegenzunehmen. Führen Sie den Mann herein, Pitter!«
Der joviale Wirth zum Grünen Römer, der wackere Herr Pütz trat alsbald, vom Rathsdiener begleitet, in den Saal und verbeugte sich in ungeschickter Weise vor den Vätern, indem er dabei sein dickes Gesicht zu einem widerwärtigen Grinsen verzog.
»Setzen Sie sich, Herr Pütz,« keuchte der Oberbürgermeister, »und sagen Sie, was Sie uns mitzutheilen haben.«
»Nicht viel Gutes, Ihr Herren,« sagte der joviale Herr Pütz, nachdem er von der erhaltenen Erlaubniß Gebrauch gemacht hatte; »die Katze ist aus dem Sack und Sie werden Ihre liebe Noth haben, sie wieder hineinzubringen. In diesem Augenblick ziehen sie aus allen Thoren zugleich hinaus, an die zwei- bis dreitausend Mann. Dann geht's nach Schloß Rheinfelden, wo der alte General von Hohenstein wohnt, da wollen sie sich Waffen verschaffen und hernach überall rings umher in den Dörfern die Glocken zum Aufruhr läuten. Dann wollen sie mit den Bauern zurückkommen und die Stadt an allen vier Ecken anzünden, daß kein Stein auf dem andern bleibt, und dann wollen sie Alles todtschlagen, was sich ihnen widersetzt; die Weiber wollen sie unter sich vertheilen und das Geld. Ja, meine Herren, unser schönes Geld; vor Allem wollen sie die Schatzkammern plündern. Es ist ein Graus, meine Herren, mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich daran denke, was ich Alles gehört habe. Es ist ein Graus, sage ich Ihnen.«
Der joviale Wirth grinzte von Neuem, besann sich dann schnell, wie wenig diese Miene zu seinen Worten passe, bekreuzigte sich und erhob die verschwollenen, zwinkernden schlauen Aeuglein zur Decke des Saales.
Die Väter blickten einander an; dies übertraf die schlimmsten Erwartungen. Der Stadtrath Heydtmann u. Comp, rang die Hände und sagte: er sei ein geschlagener Mann. Vergebens, daß Herr Kaltebolt die Unwahrscheinlichkeit eines großen Theiles der Angaben des Herrn Pütz und überhaupt die Unglaubwürdigkeit eines Menschen, der an seiner Partei zum Verräther geworden sei, hervorhob; man schrie ihm entgegen, daß man von seinem Rath vollauf genug habe, er möge doch schweigen und den Verdacht, der auf ihm laste, nicht noch vergrößern. Die allgemeine Angst stellte die Einigkeit unter den Uebrigen sehr bald her. In überraschend kurzer Zeit hatte man die nöthigen Beschlüsse gefaßt. Man wollte eine Deputation an den Commandanten der Stadt, den General Grafen Hinkel von Gackelberg, entsenden und ihn auffordern, die Thore der Stadt sofort zu schließen und sodann mit einem angemessen starken Corps den Empörern nachzusetzen, um sie, wo möglich noch bevor sie ihren Plan auf Rheinfelden hätten ausführen können, zu überfallen und niederzumachen. Für die Stadt selbst traf man noch besondere Maßregeln. Von zwölf Uhr an, der frühesten Zeit, in welcher man die Expedition nach Rheinfelden zurückerwarten konnte, sollten alle Fenster erleuchtet werden, nachdem sämmtliche öffentliche Gebäude mit so viel Truppen besetzt waren, als der Commandant entbehren zu können glauben würde. Außerdem sollte sofort eine Translocirung und Revision aller öffentlichen Kassen stattfinden, um dieselben wo möglich den räuberischen Händen der Meuterer zu entziehen, oder, um im Falle der Plünderung trotz aller angewandten Vorsichtsmaßregeln zur Ausführung käme, wenigstens bei Heller und Pfennig constatiren zu können, wie viel die Banditen gestohlen hätten.
Als die an den General Hinkel zu entsendende Deputation erwählt war und man im Begriff stand, die Revision der Kassen einer andern Deputation zu überweisen, entdeckte man nicht ohne einige Verwunderung, daß der Stadtrath von Hohenstein inmitten der grenzenlosen Verwirrung, welche in dem Saale geherrscht hatte, verschwunden war. Man konnte nicht herausbringen, ob er sich schon vor der schließlichen Berathung, oder während, oder nach derselben entfernt hatte. Einige wollten ihn noch vor wenigen Minuten gesehen haben, Andre behaupteten, daß er während der letzten halben Stunde nicht mehr im Saale gewesen sein könne. Doch erinnerte man sich, daß er während der ganzen Session sehr theilnahmlos gewesen war und sehr blaß und angegriffen ausgesehen hatte. Man kam dahin überein, daß er vermuthlich von einem heftigen Unwohlsein befallen, und, um keine Sensation zu erregen, still nach Hause gegangen sei. Man bedauerte, ihn nicht der Ruhe überlassen zu können, da seine Anwesenheit Behufs der Revision der ihm anvertrauten Kasse unumgänglich nothwendig war. Einer der Rathsdiener wurde in Folge dessen abgesandt, den Herrn Stadtrath von Hohenstein um seine Gegenwart, und im Falle ihm das Kommen absolut unmöglich sei, mindestens um den Schlüssel zur Kasse zu ersuchen.
Nachdem diese Anordnungen getroffen waren, entließ der Oberbürgermeister die verschiedenen Deputationen, während sich der übrige Theil der Versammlung unter dem Vorsitz des vielgeprüften Mannes die Nacht hindurch für permanent erklärte.