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D ie Untersuchungshaft des alten Generals von Hohenstein hatte nun bereits zwei Monate gedauert, ohne daß eine größere Klarheit in diese geheimnißvolle Angelegenheit gekommen wäre. Das Publikum fing an ungeduldig zu werden und der Untersuchungsrichter von Kessenich äußerte gegen den Referendar von Wyse, daß er viel darum geben würde, wenn er die Sache wieder von den Händen hätte. »Ganz im Vertrauen, lieber Wyse,« sagte Herr von Kessenich, »ich bin wahrlich in einer verzwickten Lage. Ihnen, als geborenem Rheinstädter und Katholiken, brauche ich nicht zu sagen, daß ich gar nichts dagegen hätte, wenn wir diesen prahlerischen Hohenstein's eins hätten anhängen können. Aber freilich, es mußte im ersten Anlauf geschehen; jetzt, nachdem die Sache so lange gedauert hat, fängt man im Publikum an, zu finden, daß sie bereits zu lange gedauert habe, daß bei der Untersuchung doch eigentlich Nichts herausgekommen sei und so weiter. Und bliebe es noch beim Publikum! Aber nun lesen Sie einmal diesen Brief.«
Der Referendar von Wyse warf einen Blick in das Schreiben. »Vom Minister!« rief er erstaunt.
»Vertraulich und privatim, lesen Sie nur!« sagte Herr von Kessenich.
»Man scheint allerdings allerhöchsten Orts sehr zu wünschen, daß – wir Nichts finden,« sagte Herr von Wyse, nachdem er das Schreiben gelesen hatte.
»Ohne Zweifel,« erwiderte Herr von Kessenich; »aber nun lesen Sie dies!«
»Vom –«
»St! lieber Freund, unser protestantischer Schreiber nebenan darf uns nicht hören. Wenn nicht eigenhändig, so doch aus seinem Cabinet. Was sagen Sie nun?«
»Aber wie ist dies möglich?«
»Das kann ich Ihnen erklären; Sie erinnern sich, daß unter unsern ersten Zeugen auch der alte verrückte Pfarrer von Kirchheim war, ein fataler Mensch, der, fürchte ich, ein sehr schlechter Pfeiler unserer allerheiligsten Kirche ist. Es war wenig aus ihm herauszukriegen; nur das war auffallend, daß er zugab, der Alte habe in einigen Gesprächen, die er kurz vor der Verhaftung mit ihm hatte, eine große Unruhe blicken lassen und den Wunsch geäußert, katholisch zu werden. Ich achtete damals nicht sonderlich auf die Aussage; sie war zweideutig, wie Alles, was in dieser Untersuchung vorgekommen ist. Nun scheint es aber doch, als ob sich der Pfarrer hinter unsern hochehrwürdigen Kirchenfürsten gesteckt hat; ja, es geht aus einer Stelle des Briefes – wollen Sie einmal erlauben – sehen Sie hier! – das kann doch nichts Anderes heißen, als daß Se. Heiligkeit selbst für die Sache interessirt ist. – Was sollen wir thun? Wir haben doch auch unser Gewissen.«
»Wenn wir nur das corpus delicti finden könnten!« sagte von Wyse; »so lange wir das nicht haben, ist doch die Untersuchung nicht abgeschlossen.«
»Freilich, freilich,« meinte der Andere, »aber ich habe die Hoffnung aufgegeben, der ganze Friedhof ist durchwühlt, wir haben Nichts gefunden, nicht die Spur. – Was bringen Sie?«
»Einen Brief durch die Stadtpost,« sagte der Amtsdiener.
»Was ist Ihnen?« sagte von Wyse, der bemerkte, daß sein Chef, während er den Brief las, die Farbe wechselte.
»Das ist aber doch merkwürdig,« sagte Herr von Kessenich, »es scheint, daß wir aus den Geheimnissen nicht herauskommen sollen.«
Der Brief bestand aus wenigen, augenscheinlich mit sehr verstellter Hand geschriebenen Zeilen und lautete:
»Das Grab des † † †, welches Sie suchen, befindet sich nicht auf dem Kirchhof der Kapelle, sondern in dem Parke von Rheinfelden, ungefähr zehn bis zwölf Schritte hinter dem letzten Baum der großen Kastanien-Allee, links von dem verfallenen Freundschaftstempel.«
»Was sagen Sie dazu?« fragte Herr von Kessenich.
»Daß dies ein Humbug ist.«
»Dem wir aber doch auf den Grund gehen müssen. Sie werden noch heute mit dem Medicinalrath hinausfahren, lieber Wyse. Möglicherweise vertrügen die Ueberreste einen Transport nicht.«
»So glauben Sie wirklich?«
»Ich glaube nicht, ich bin überzeugt, eilen Sie!«
Der Medicinalrath von Schnepper hatte, bevor er am Mittage mit Herrn von Wyse nach Rheinfelden hinausfuhr, eine Unterredung mit dem Präsidenten von Hohenstein, und als er am Abend spät zurückgekommen war, eine zweite Unterredung, die bis tief in die Nacht hinein dauerte. Der Medicinalrath erzählte, daß man genau an der im Briefe bezeichneten Stelle den Leichnam gefunden habe, und zwar, da der Platz rings umher aus schierem Sand bestehe, ausnehmend wohlerhalten. Besonders sei der Schädel so gut wie unversehrt, und es sei außer allem und jedem Zweifel, daß der Mann ermordet worden sei, und zwar durch einen Beilhieb, gerade, wie es die Brigitte in ihrer Aussage angegeben habe.
Als der Medicinalrath bei diesem Punkte seiner Erzählung angekommen war, stand der Präsident mit ungewöhnlicher Schnelligkeit auf und ging mit langen Schritten im Zimmer auf und ab. Herr von Schnepper saß in seinem Stuhl zusammengekrümmt und betrachtete den Aufgeregten, wie eine Katze die Maus, die ihr nicht mehr entgehen kann; so ängstlich sie auch hin- und herhuscht.
»Ich habe den Schädel mitgebracht,« sagte er. »Derselbe liegt verschlossen in meinem Schranke. Niemand außer mir hat ihn gesehen, nicht einmal von Wyse, den im rechten Augenblick eine Uebelkeit anwandelte. Producire ich morgen den Schädel, wie er ist, so wird Ihr würdiger Herr Oheim geköpft und wenn er eine zehnfache Excellenz wäre; präparire ich ihn dergestalt, daß der Mann auch möglicherweise gefallen sein könnte – und die Sache läßt sich mit einiger Geschicklichkeit machen – so ist der General aller Wahrscheinlichkeit nach übermorgen ein freier Mann.«
»Aber, lieber Freund, Sie sprechen, als ob hier noch von einem Entweder – Oder die Rede sein könnte!« rief der Präsident.
Der kleine Mann zuckte die Achseln.
»Das käme jetzt nur auf Sie an.«
»Aber Sie wissen, daß ich zu Allem, was Sie verlangen, bereit bin; daß ich Sie mit Vergnügen meinen –«
Der Präsident pflegte es mit der Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen, aber diese Lüge wollte denn doch nicht glatt über seine Lippen.
»Meinen Schwiegersohn nennen werde,« ergänzte der Medicinalrath mit boshaftem Lächeln die abgebrochene Phrase. »Ha, ha! sehr gut! Aber wie steht's mit der schönen Braut? Wird man mir meine zwanzig Jahre, die ich allenfalls zu viel habe, verzeihen? he?«
»Meine Tochter ist gewohnt, sich nach den Wünschen ihrer Eltern zu richten,« sagte der Präsident.
»In der That?« sagte der Medicinalrath, »das Erste, was ich höre! bisher glaubte ich immer, das Umgekehrte sei der Fall. Wenn Sie mir keine andere Sicherheit geben können!«
»Aber, was verlangen Sie, liebster Freund?«
»Einmal, daß Sie mich morgen in Gegenwart zweier Freunde des Hauses – sagen wir Willamowsky und Kettenberg – als den Verlobten Camilla's vorstellen, ich meine nicht officiell, sondern officiös, das heißt in Worten, die die Sache nicht gerade heraussagen und doch keine andere Deutung zulassen. Zweitens muß ich die Bedingung stellen, daß Sie in Beziehung auf Wolfgang unser altes Programm inne halten, das heißt: durch Ihren Bruder den Burschen in eine Lage bringen lassen, wo er seinen Abschied nehmen muß, damit Sie dann Ihrerseits officiell mit ihm brechen können.«
»Ich will Alles thun, was Sie wünschen, – was Sie wünschen!« sagte der Präsident, dem Medicinalrath die lange, schmale Hand hinhaltend.
»So hätten sich die schönen Geister denn glücklich gefunden,« erwiderte der Medicinalrath, die Fingerspitzen der langen, schmalen Hand schüttelnd …
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Zwei Tage darauf las man in der Rheinstädtischen Zeitung unter den »Lokalnachrichten« Folgendes:
»Wir freuen uns, unsern Mitbürgern aus bester Quelle mittheilen zu können, daß die Untersuchung, welche auf Grund einer furchtbaren Bezüchtigung vor ungefähr zwei Monaten gegen eine in unserer Provinz allgemein bekannte und ebenso allgemein verehrte hochstehende Persönlichkeit eingeleitet werden mußte, in Folge höchst wichtiger Umstände, die ganz kürzlich an den Tag gekommen sind, das von Allen erwartete und erhoffte Ende erreicht hat. Der eines so schweren Verbrechens Beschuldigte ist bereits gestern aus der Haft entlassen worden und, wie wir hören, noch in derselben Stunde in Begleitung seines Arztes und einiger Damen seiner Verwandtschaft nach seinem Gute Rh… gefahren. Möge das unglückliche Opfer einer schändlichen Cabale sich von den unschuldig ausgestandenen Leiden recht schnell erholen und möge der Abend eines so reichbewegten, um den Staat so hochverdienten Lebens noch recht lang und friedlich sein!«