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55.

I n dem hinter hohen Kastanienbäumen und dichtem Gebüsch versteckten Gartensaal des Wein- und Biergartens »Zum grünen Römer« ging es heute Abend außergewöhnlich lebhaft zu. Der joviale Wirth hatte dort für seine specielleren Freunde ein Fäßchen Achtzehnhundertsechsundvierziger aufgelegt.

Der joviale Wirth »Zum grünen Römer« mußte mit specielleren Freunden reich gesegnet sein, denn die Gesellschaft, welche sich nach und nach in dem Saale versammelte, war gegen neun Uhr auf vierzig bis funfzig angewachsen; auch konnte man ihn in der Wahl seiner Freunde nicht überbedenklich nennen, denn außer einigen wenigen Personen, die offenbar den besseren Ständen angehörten, waren die bei weitem Meisten Männer in Blousen mit derben Fäusten und zum Theil sehr verwegenen Gesichtern.

Die Gesellschaft unterhielt sich in kleineren Gruppen mit unterdrückten Stimmen, aber auf das angelegentlichste, ja hier und da mit großer Heftigkeit. Es hielt nicht schwer, zu entdecken, daß, um was es sich auch immer handeln mochte, die Meinungen der Anwesenden sehr getheilt waren, und daß der, welcher versuchen würde, diese heißblütigen, leidenschaftlichen Menschen zu einer gemeinschaftlichen That zu vereinigen, eine sehr schwere Aufgabe unternehmen würde. Doch schien Niemand unter den Anwesenden einer solchen Aufgabe sich gewachsen zu fühlen; im Gegentheil war der Ausdruck fast aller Gesichter der der Unschlüssigkeit und zugleich der ungeduldigen Erwartung.

»Sie werden uns sitzen lassen, ich hab's ja gleich gesagt;« brummte ein schmächtiger Gesell mit einem hungrigen, verschmitzten Gesicht.

»Halt's Maul,« sagte ein Anderer, »und mache die Andern nicht ebenso bange, wie Du selber bist.«

»Ich bange? ein Lump, der das sagt!« rief Jener und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Stille, Ihr Herren! Ist das der Ton, in welchem sich Männer unterhalten, die, wie wir, auf dem Vorposten vor dem Feinde stehen?« sagte ein Mann, der so eben in Begleitung eines andern in das Zimmer getreten war.

»Der Doctor! Der Doctor!« – so lief ein Murmeln durch die Versammlung und dann folgte eine tiefe Stille. Es war kein Zweifel, daß der, auf den Alle gewartet hatten, ohne den sich Alle rathlos und hülflos wußten, gekommen war.

Münzer trat hinter den Tisch, der schon zu diesem Zwecke an der schmalen Seite des Saales nahe an die Wand geschoben war und sagte mit leiser Stimme, die aber dennoch überall in dem Raume vernehmlich war: »Die Versammlung ist eröffnet. Bevor wir zur Tagesordnung übergehen, erlaube ich mir der Versammlung meinen Freund, den Major Degenfeld, vorzustellen.«

Der Major, welcher neben Münzer stand, verbeugte sich.

»Ich brauche der Versammlung wohl kaum zu bemerken,« fuhr Münzer fort, »daß der genannte Herr den üblichen Schwur in meine Hände geleistet hat. Sodann glaube ich Sie daran erinnern zu müssen, daß wir heute, wenn je, in dem Geiste der Einigkeit und Brüderlichkeit, welcher uns immerdar beseelt hat, rathen und thaten müssen. Die Tagesordnung ist, wie Sie wissen, Berathung über die Schritte, welche, angesichts der augenblicklichen Lage der Dinge im Vaterlande, und der Ereignisse, welche soeben in unserer unmittelbaren Nähe stattfinden, von uns zu thun sind. Hat Jemand in der Versammlung einen Antrag zu stellen?«

»Ich!« sagte eine tiefe Stimme aus der finstern Ecke des Zimmers, »Doctor Holm.«

Eine allgemeine Bewegung entstand in der Versammlung, während Doctor Holm in Begleitung von Peter Schmitz sich durch die dichten Reihen bis in die Nähe des Präsidententisches drängte. – »Wie kommt der hierher?« – »Er darf nicht mehr unter uns geduldet werden.« – »Werft ihn hinaus!« – Schlagt ihn todt!« – so murmelte es und grollte es durcheinander.

Münzer war blaß geworden, als Doctor Holm seinen Namen nannte; aber er faßte sich sogleich wieder und sagte mit rauher Stimme: »Wenn Jemand an meiner Statt, ohne meine Erlaubniß das Wort ergreift, werde ich das mir von Ihnen ertheilte Amt sofort auf immer niederlegen. Doctor Holm hat das Wort.«

Holm war nicht ohne Mühe auf die niedrige Tribüne gestiegen, die neben dem Präsidententische aus ein paar leeren Fässern und einer ausgehobenen Thür für die Redner aufgerichtet war. Er nahm den großen Strohhut ab, einmal, um die Versammlung zu begrüßen, sodann vorzüglich, um sich den Schweiß von der hohen Stirn zu trocknen, blickte mit den großen braunen Augen freundlich-ernst in dem matterhellten Saale umher und sagte:

»Meine Herren! Ich höre, daß Sie sich über meine Anwesenheit wundern, indessen, hoffe ich, werden Sie mir, als einem der Gründer des demokratischen Vereins, das Recht einräumen, unter Ihnen zu erscheinen, wenn ich auch längere Zeit von diesem Rechte nicht Gebrauch gemacht habe. Heute sind wir, das heißt: ich und mein Freund Schmitz, hierher gekommen, weil wir der Ueberzeugung sind, daß es unsere Pflicht sei, Alles zu thun, was in unsern Kräften steht, um die Fassung eines Entschlusses zu hindern, dessen Ausführung Sie, meine werthen Herren, in's Verderben stürzen muß. – Murren und brummen Sie nicht, meine Herren, oder murren und brummen Sie, wenn ich fertig bin, denn in dieser etwas dumpfigen Atmosphäre fällt Einem das Sprechen schwer, und je stiller Sie sind, und je aufmerksamer Sie zuhören, desto eher haben Sie Hoffnung, von mir erlöst zu sein. Ich will mich kurz fassen. Sie sind, davon bin ich überzeugt, Alle, wie Sie da sind, kampfesmuthig und todesmuthig, aber Sie sind auch Alle so gescheidt, daß Sie sich nicht um des Kaisers Bart in den Kampf stürzen, und für des Kaisers Bart in den gewissen Tod rennen werden. Was geht Sie des Kaisers Bart? ja, was geht Sie der Kaiser an? wollen Sie einen Kaiser mit oder ohne Bart? Nein! Sie denken gar nicht daran. Und Sie haben ganz recht, nicht daran zu denken. Was kümmert Sie, nüchterne, prosaische Männer, der romantische Spuck, den man in Mainstadt aus der Rumpelkammer des Mittelalters an das Licht des neunzehnten Jahrhunderts gezerrt hat? Sie wollen kein wieder aufgewärmtes Mittelalter; Sie wollen die neue Zeit mit allen ihren Consequenzen; Sie wollen die reine demokratische Republik. Wie kommen Sie denn dazu, für eine Verfassung, die aus lauter Compromissen zusammengesetzt ist, in den Kampf zu ziehen? was fällt Ihnen ein, daß Sie sich für einen Kaiser aus gleich viel welchem der angestammten Fürstenhäuser todtschlagen lassen wollen? Oder meinen Sie vielleicht heimlich die Republik, während Sie offen für die Reichsverfassung einstehen? Ich vermuthe, daß dies der Fall ist; aber hüten Sie sich vor der Verirrung und Verwirrung, die jede Illoyalität im privaten und politischen Leben nothwendig im Gefolge hat. Sie werden sich plötzlich in eine Richtung gedrängt sehen, die der, wohin Sie wollen, ganz entgegengesetzt ist, und werden zu Ihrem Schrecken wahrnehmen, daß Sie Schweiß und Blut vergeblich aufgewandt haben. Die republikanische Idee, für die Sie begeistert sind, verträgt keine Beimischung; Sie müssen diese Idee schützen, wie den Apfel Ihres Auges, müssen Sie heilig halten, wie das Andenken Ihrer Eltern, wie die Unschuld Ihrer Kinder. Die republikanische Idee ist identisch mit dem Genius der Menschheit und unsterblich wie dieser. Was immer Großes und Gutes auf Erden geschehen ist, ist aus dieser allerheiligsten Quelle geflossen; was immer Gutes und Großes auf Erden geschehen wird, wird aus dieser Quelle fließen. Stehen Sie auf für diese Idee und lassen Sie sich für dieselbe an's Kreuz schlagen; ich werde sagen: daß Sie voreilig, daß Sie unbesonnen gehandelt haben; dennoch werde ich Sie hochachten müssen als Männer, die ihren Principien treu waren bis in den Tod. Fallen Sie aber von diesen Principien ab, so werden Sie nicht nur für sich selbst den Glauben an das Palladium der Menschheit verlieren, sondern Sie hören auch auf, für die Andern die Apostel des Evangeliums zu sein; hören auf, fort und fort für die Wahrheit zu zeugen. Deshalb dies mein Rath: lassen Sie sich auf nichts ein, was Sie weder in die Hand nehmen, noch ausführen können, ohne ihren Herrn und Meister jeden Augenblick zu verleugnen. Lassen Sie sich – ich wiederhole es – wenn es sein muß, kreuzigen für Ihre Idee, aber verstärken Sie nicht den großen Haufen Derer, die für ein falsches Princip in's Feuer gehen, und als Kämpfer eines falschen Princips unterliegen werden und unterliegen müssen. Ich habe gesprochen.«

Doctor Holm wischte sich mit dem rothseidenen Taschentuch den Schweiß von dem kahlen Schädel und stieg, auf Peter Schmitz gestützt, von dem Tritt. Es war augenscheinlich, daß die einfachen Worte des wackern Mannes nicht ohne allen Eindruck geblieben waren, wenigstens schien die tiefe Stille, die, als er geendet hatte, über der Versammlung hing, und ein leises, beifälliges Murmeln, das sich hier und da vernehmen ließ, dafür zu sprechen. Wie Münzer über die Rede seines ehemaligen Freundes dachte, konnte man nicht sagen; er saß, den Kopf in die Hand gestützt, an seinem Tisch und verharrte in derselben Stellung, als er jetzt mit dumpfer Stimme sagte: »Verlangt Jemand aus der Versammlung über den Vorschlag des Dr. Holm das Wort?«

»Ich!« sagte Peter Schmitz.

»Ich werde mich sehr kurz fassen,« sagte Peter Schmitz, nachdem er auf den Tritt gestiegen war, »ich will Ihnen nur für das, was mein Freund Holm, als Mann der Idee, vom Standpunkte der Idee behauptet hat, als praktischer Politiker den praktischen Commentar liefern. Er hat Ihnen gesagt: lassen Sie sich für Ihre Idee kreuzigen, wenn es sein muß; und ich sage Ihnen: es muß nicht sein, jetzt nicht sein, und weil es nicht sein muß, soll und darf es nicht sein. In der Politik gilt der Erfolg; ein Unternehmen, das ohne alle und jede Hoffnung auf Erfolg unternommen wird, und demgemäß kläglich endet, trifft der Fluch der Lächerlichkeit. Ein solches Unternehmen aber wäre eine republikanische Schilderhebung in diesem Augenblick. Vor einem Jahre bin ich es gewesen, der sich in diesem Club am entschiedensten von Allen für das Losschlagen erklärte. Damals, im ersten Aufschwung und Sturm der Begeisterung, war Alles möglich, heute, wo die Feigen sich auf ihre Feigheit, die Reichen sich auf ihren Reichthum, die Mächtigen sich auf ihre Macht besonnen haben, ist jede Hoffnung auf Erfolg verschwunden, und wer Ihnen eine solche Hoffnung zeigt, betrügt sich selbst und Sie.«

Bei diesen Worten, welche direct gegen Münzer gerichtet schienen, ließ sich ein drohendes Murren in der Versammlung hören. Aber Peter Schmitz war nicht der Mann, sich einschüchtern zu lassen.

»Ja,« rief er, die lebhaften dunkeln Augen auf Münzer heftend, »ich wiederhole es: betrügt – gleichviel ob absichtlich oder unabsichtlich – Sie, oder sich selbst, oder thut Beides zugleich, thut es um so gewisser, als seine Bildung ihn befähigen müßte, den schönen Schein von der traurigen Wirklichkeit zu trennen, und den Ausgang eines Unternehmens vorherzusehen, das unter diesen Umständen keine Heldenthat, sondern ein Donquixoterie, kein Werk ist, wofür ein Mann gern und willig sein Leben einsetzt, sondern ein frevles Spiel mit dem eigenen Leben und mit dem Leben der Anderen. Murren Sie immerhin und drohen Sie dem Manne, der ein freies Wort nach seinem besten Wissen und Gewissen zu sprechen wagt; ich wiederhole es: es ist kein Held, der Ihnen räth, Ihr Alles für ein Nichts in die Schanze zu schlagen; ein waghalsiger, oder verzweifelter Spieler ist es, er sei auch, wer er sei.«

Peter Schmitz hatte kaum das rasche Wort gesprochen, als der bis dahin kaum verhaltene Unwillen der Anhänger Münzer's stürmisch losbrach. Ein Murren, Zischen, Grollen, Stampfen, dazwischen drohende Worte: Nieder mit ihm! wir wollen's ihm eintränken! er soll nicht lebend vom Platz!

Münzer richtete sich von seinem Sitze empor: »Ruhe!« Sein Auge flammte über die Menge, die seinem Gebote nur widerstrebend Folge leistete. Dann wandte er sich wieder zu Schmitz. »Sind Sie zu Ende?«

»Ich bin es,« sagte Peter Schmitz, von dem Tritt herabsteigend.

»Meldet sich noch Jemand über den Vorschlag des Dr. Holm: für den Augenblick nichts zu unternehmen, zum Worte?«

»Ich!« rief eine tiefe, heisere Stimme, und der Schlossergesell Christoph Unkel brach sich Bahn durch die Umstehenden und sprang auf den Tritt.

Es war eine wilde, unheimliche Gestalt, der Mann aus dem Volke, in seiner schmutzigen Blouse, mit dem schwarzen, struppigen Haar, das in wirren, wahnsinnigen Streifen über die niedrige Stirn und fast über die wild funkelnden Augen hing. Die mächtigen Fäuste in die Seiten stemmend, oder mit denselben wüthende Schläge in die Luft führend, so stand er da und rief mit seiner von Wuth heiseren Stimme:

»Was soll das Schwatzen? Glatte Worte thun's nicht; wer nicht für uns ist, ist wider uns und mag zum Teufel gehen! Nieder mit den Aristokraten! nieder mit den Heuchlern! Wenn gewisse Leute Zeit haben, zu warten, bis ihnen die gebratenen Tauben in's Maul fliegen, wir Proletarier haben keine Zeit. Unsere Weiber hungern, unsere Kinder hungern, wir selber ziehen uns den Gurt enger, wenn uns der Magen knurrt, oder ersäufen unsern Jammer im Branntwein. Das muß ein Ende nehmen, wir sind auch Menschen, wir wollen's ihnen zeigen, wir wollen sie zusammenschmeißen, wir wollen –«

»Bürger Unkel!« unterbrach Münzer den Wüthenden, »wenn Sie nichts zur Sache Gehörendes vorzubringen haben, so thäten Sie besser, Andern das Wort zu lassen.«

Christoph Unkel warf einen zornigen Blick auf Münzer, aber er wagte nicht, offen zu widersprechen, sondern sprang, unverständliche Worte murmelnd, von dem Tritt hinab. An seiner Stelle bestieg Cajus die Rednerbühne.

Cajus war eine sehr angesehene Persönlichkeit im demokratischen Club; das Geheimniß, mit welchem sich der sonderbare Mann umgab, imponirte der Menge ebenso sehr, als der unveränderlich finstere ruhige Ernst, der ihn in keinem Augenblicke verließ, und die furchtbare Consequenz, mit welcher er die letzten Folgerungen seiner radicalen Grundsätze zog. Anfänglich als der treueste Anhänger Münzer's bekannt, hatte er durch jene Eigenschaften, die zur Verwunderung der Menge immer bedeutender hervortraten, sich bald eine selbstständige Position zu verschaffen gewußt, von der aus er Münzer nicht selten eine siegreiche Opposition machte. So trat denn auch, sobald seine mächtige, in den groben weißen Flausrock gehüllte Gestalt auf dem Tritt stand, tiefe Stille ein.

»Unkel hat Recht,« sagte Cajus, »wir sind nicht hier, um zu schwatzen, aber Unkel weiß nicht, was er will; ich weiß, was ich will, und will es euch sagen. Wir müssen einen großen Schlag führen, um der Revolution wieder Muth zu machen. Dieser Schlag muß heimlich geführt werden, denn zur offenen Gewalt sind wir nicht stark genug, er muß schnell geführt werden, sonst kommt der Gegner zur Besinnung und wir haben uns vergeblich geopfert. Ein schneller, heimlicher Schlag aber ist eine Ueberrumpelung und auf eine solche habe ich es abgesehen. Sie Alle kennen das Fort Sebastian; wer das Fort Sebastian hat, ist Herr der Stadt. Wer Herr dieser Stadt ist, beherrscht die Provinz; wer die Provinz beherrscht, kann in Verbindung mit dem Süden für den Westen die Republik proclamiren. Fragt sich also nun noch, wie wir das Fort Sebastian in unsere Gewalt bekommen. Ich kenne eine Ausfallpforte, durch die wir unbemerkt bis zur Thorwache des Forts gelangen können. Diese Pforte wird uns durch einen Unterofficier der Wache, den ich nach Ablegung des üblichen Schwurs auf meine Verantwortung und Gefahr, wie es unser Statut vorschreibt, für uns geworben habe, heute Abend um 10 Uhr geöffnet werden. Die Besatzung muß über die Klinge springen – das versteht sich von selbst; sie ist sechszig Mann stark; sechszig überrumpelte und hier und da zerstreute Männer sind von den dreißig bis vierzig Männern, die zusammenhalten und den Tod nicht fürchten, leicht niedergemacht. Einmal im Fort können wir nur durch Hunger zur Uebergabe gezwungen werden. Entweder erklären sich Stadt und Provinz für uns – und ich glaube, daß es nur eines, von republikanischen Händen abgefeuerten Kanonenschusses bedarf, um dies Resultat herbeizuführen – oder man läßt uns im Stich. Im ersten Falle ist Deutschland in vier Wochen republikanisch; im zweiten sprengen wir uns in dem Augenblicke, wo unser letztes Brot verzehrt ist, in die Luft.«

Keine Miene in Cajus' finsterem Gesicht hatte sich verändert, während er diesen furchtbaren Plan entwickelte, und so ruhig, wie er aufgetreten war, verließ er die Tribüne.

Aber sein fanatisches Wort hatte in diesen überreizten Gehirnen gezündet; wie ein Schauer durchlief es die ganze Versammlung, ein dumpfes Rauschen, ein Murmeln des Beifalls, unterbrochen von wilden abgerissenen Worten, die in die Herzen der Aufgeregten wie Oeltropfen in glimmendes Feuer fielen.

»Wer verlangt über den eben vernommenen Vorschlag das Wort?« fragte Münzer.

Peter Schmitz sprang auf die Tribüne.

»Einer Versammlung,« rief er, »die einen so wahnsinnigen, bluttriefenden und gänzlich unausführbaren Plan nur einen Augenblick ernsthaft diskutiren kann, kann und will ich nicht länger angehören. Ich sage mich hiermit von der Gemeinschaft mit Ihnen los; ich –«

Der Sturm, der, sobald Peter Schmitz dies Wort gesprochen, losbrach, verschlang, was er etwa noch hinzufügen wollte. Verwünschungen und Drohungen rollten ihm entgegen, derbe Fäuste wurden geballt, in einer Ecke des Saales bildete sich ein Knäuel um einen Mann, der noch lauter als die Andern tobte. »Ich muß ihn umbringen, den Verräther, laßt mich!«

Es war der Schlossergeselle Christoph Unkel, der mit seiner ungeheuren Körperkraft den Widerstand der Verständigeren, die ihn halten wollten, überwand, und jetzt mit hochgeschwungenem Messer auf Schmitz heranstürzte. Münzer sprang von seinem Stuhle auf und warf sich dem Wüthenden entgegen. »Nur über mich, Christoph, kommst Du an Peter Schmitz,« rief er; »so lange ich lebe, soll ihm kein Haar gekrümmt werden. Stoß zu, wenn Du willst!«

Christoph blieb stehen und stierte Münzer an, wie ein Tobsüchtiger seinen Wärter. Er ließ das Messer sinken und drückte sich, immer noch wilde Worte murmelnd, auf die Seite.

»Gehen Sie!« sagte Münzer zu Peter Schmitz und Holm; »ich weiß nicht, ob ich Sie noch einmal werde schützen können.«

»Sie sollten mitkommen, Münzer,« erwiderte Holm leise; »es wäre bei Gott der beste Dienst, den Sie sich selbst und der gemeinen Sache thun könnten.«

»Sie mögen Recht haben,« murmelte Münzer, »aber, was Sie von mir verlangen, steht gar nicht mehr in meiner Gewalt. Leben Sie wohl!«

Er reichte beiden Männern die Hand und geleitete sie durch die Menge, die willig Platz machte, bis an den Ausgang des Saales; dann kehrte er zu seinem Stuhle zurück und sprach leise mit Degenfeld, der innerlich über Alles, was er hier gesehen und gehört hatte, auf das Aeußerste beunruhigt, ja erschrocken und empört war, aber um Münzer's Willen in Miene und Blick die größte Ruhe bewahrte.

»Sie sehen, etwas muß geschehen,« flüsterte Münzer, »ich kann nicht mehr zurück. Trennen Sie Ihr Schicksal von dem meinigen; überlassen Sie mich meinem Verhängniß.«

»Ich will Sie nicht verlassen,« entgegnete Degenfeld, »aber in einen so tollen Plan, wie den des Cajus, dürfen Sie nicht willigen. Schlagen Sie den Leuten den anderen Plan vor, den ich Ihnen, als wir hierher gingen, entworfen habe. Er ist freilich auch noch toll genug; aber es ist doch dabei wenigstens die Möglichkeit eines glücklichen Ausgangs.«

»Und wollen Sie wirklich an der Ausführung Theil nehmen?«

»Ja!« sagte Degenfeld nach kurzem Bedenken.

Münzer sprang auf die Tribüne. Sein Erscheinen brachte wieder Ruhe in die Menge, die während der letzten Minuten wie toll durch einander geschrieen hatte.

Münzer machte diesmal von seiner großen Kunst der Rede, mit welcher er so oft die größten Versammlungen bezaubert hatte, nicht den mindesten Gebrauch. Er sprach ruhig, ja theilnahmlos und kalt; er schien zu wollen, daß die Leute die Sache in ihrer nackten Wahrheit sähen; ja: er sagte es gerade heraus. »Ich will nicht,« sagte er, »daß Jemand hinterher kommt und zu mir spricht: Du hast mich unter Vorspiegelung von ich weiß nicht welchen leichten und herrlichen Erfolgen fortgelockt von Frau und Kind und Haus. Wer dem Plan zustimmt, den ich Ihnen sogleich entwickeln werde, muß sich im Gegentheil losreißen von Frau und Kind und Haus, er muß sein, wie jene ersten Anhänger des Evangeliums und darf nicht fragen, was Vater und Mutter zu seinen Thaten sagen, und ob ihn die Kinder der Welt verlassen, verspotten und mißhandeln werden. Wer mir nachfolgt, muß die Hoffnung hinter sich lassen.«

Er entwickelte darauf in kurzen Worten den von Degenfeld entworfenen Plan, welcher darauf hinauslief, sich von so viel Männern, als aufzubringen seien, in die benachbarte Stadt, in welcher die Revolution für den Augenblick gesiegt hatte, zu werfen, und, im Falle man sich dort nicht würde halten können, der Revolutionsarmee anzuschließen, die sich soeben im Süden zu bilden begann.

Man war im Allgemeinen mit diesem Plane einverstanden, nur die Beantwortung der Frage, wie man in der kurzen Zeit (noch heute Nacht mußte der Streich ausgeführt werden, da morgen schon ein Theil der Rheinstädtischen Garnison gegen die insurgirte Stadt entsandt werden sollte) Waffen herbeischaffen könne. Man machte alle möglichen unthunlichen Vorschläge, bis endlich Cajus den Ausschlag gab. Er erinnerte daran, daß Schloß Rheinfelden genau auf dem Wege lag, den man nehmen mußte, und daß dieses Schloß eine der größten Waffen-Sammlungen berge. Das Schloß selbst sei vollkommen wehrlos – in einer halben Stunde könne Alles gethan sein.

Eine freudige Zustimmung belohnte den Redner; man sah sich im Geiste schon mit vortrefflichen Büchsen, Hirschfängern, Pistolen, Dolchen bewaffnet und diese herrliche Aussicht entflammte den Muth auch der Furchtsameren. Münzer und Degenfeld wagten nicht, einem so viel versprechenden Plane ernstlich entgegen zu sein. Der Vortheil lag zu sehr auf der Hand, als daß etwa geäußerte moralische Bedenken von irgend einem Gewicht gewesen wären. »Wer ein zu zartes Gewissen hat, um den Ueberfluß eines Aristokraten im Dienste des Vaterlandes und der Freiheit zu verwenden, der möge zu Hause bleiben; das Vaterland und die Freiheit verlieren nichts an ihm.«

Diese Worte, die Cajus in die Versammlung warf, rissen zu begeistertem Beifall hin. Der Zug selbst war beschlossene Sache; es handelte sich nur noch um das Wie? Auch darüber vereinigte man sich unter dem Einflusse des fanatischen Cajus, der jetzt augenscheinlich ein größeres Gewicht in der Versammlung hatte, als selbst Münzer. Da um 10 Uhr die Thore geschlossen wurden, so sollten zwischen 9 und 10, das heißt gleich nach dem Schlusse der Versammlung, der Auszug aus allen Thoren zugleich geschehen, am besten einzeln, höchstens in kleinen Trupps bis zu drei Mann. Als Versammlungsort wurde eine Waldwiese hart am Rande des Weges eine Viertelmeile vor der Stadt und nicht weit von dem ersten Dorfe, das man zu passiren hatte, bestimmt. Die Verschworenen sollten sich untereinander durch die Parole »Freiheit«, auf welche als Losung »oder Tod« gegeben war, erkennen.

»Wer verließ da eben das Zimmer?« rief Münzer, der aus dem helleren Garten einen Schein durch die Thür hatten fallen sehen. Von den Zunächststehenden hatte Keiner den Hinausgehenden bemerkt. »Verräther sind nicht mehr unter uns,« rief Christoph; »Ihr habt ihnen ja selbst die Thür aufgemacht.«

Alle hatten das Local durch eine kleine Pforte, die aus dem Garten in ein Seitengäßchen führte, verlassen; Münzer und Degenfeld waren die Letzten gewesen; sie gingen langsam das Gäßchen hinab.

»Ich komme mir vor wie der Zauberlehrling, der den heraufbeschworenen Sturm nicht mehr bewältigen kann,« sagte Münzer; »der Föhn, der uns mit dem heißen Athem dieser fanatischen Menschen anwehte, mußte sein Opfer haben; ich weiß es und ich habe mich nicht gesträubt, aber daß ich Sie mit in das Verderben gezogen habe, mein allzuedler Freund, das thut mir weh, sehr weh.«

»Glauben Sie denn,« versetzte der Andre, »daß ich mich zur Ausführung eines Entschlusses, den ich nicht frei gefaßt habe, verpflichtet fühlen würde, wenn ich für mich einen andern Ausweg sähe? Ich bin, wie Sie, zu weit gegangen, um noch zurück zu können, oder zurück zu mögen, selbst wenn ich es könnte. Und was liegt denn auch schließlich an mir? ich stehe so allein auf der Welt, wie ein Mensch nur möglicherweise stehen kann. Ich lasse außer Wolfgang Niemand hier, der einen herzlichen Antheil an mir nimmt; an dem ich einen herzlichen Antheil nähme. Wohl mir, daß ich meinem Entschlusse, ihn nicht weiter in unsere Pläne einzuweihen, treu geblieben bin; ich möchte nicht die Verantwortung, ihn in dieses Abenteuer verwickelt zu haben, auf mich nehmen! – Ich bin allein; aber Sie, mein Freund, haben Sie an Ihr Weib, an Ihre Kinder gedacht?«

»Ich habe kein Weib und habe keine Kinder,« entgegnete Münzer dumpf.

Degenfeld legte ihm die Hand auf den Arm.

»Sie haben in der letzten Zeit schon öfter etwas der Art angedeutet.« sagte er, »wie soll ich es verstehen?«

»Es ist eine alte Geschichte,« sagte Münzer. »Ein Mann liebt ein fremdes Weib, oder glaubt es zu lieben, bis dieses Weib sich einem andern Manne in die Arme wirft. Darüber hat er mittlerweile sein eigenes Weib verloren, und wenn er dann so, von allen Seiten verlassen oder verrathen, ein Narr des Glücks, dasteht, was kann er da Besseres thun, als sich eine Kugel durch den Kopf jagen, oder sich sonst auf eine passabel anständige Weise aus der Welt trollen. Und das sind wir ja wohl eben im Begriff zu thun? Adieu, mein Freund, auf Wiedersehen in einer halben Stunde an der Waldwiese.«



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