Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

49.

E in trüber naßkalter Morgen dämmerte über der verregneten, menschenleeren Straße. Durch die hohen alten Bäume drüben hinter der Klostermauer sauste der Wind, daß die Aeste stöhnten und ächzten und die kahlen Zweiglein wie in toller Angst durcheinander fuhren. Von Zeit zu Zeit entluden sich die schwarzen tiefziehenden Wolken in einem kurzen heftigen Regenguß, der seine großen Tropfen klatschend gegen die Fenster sandte.

Wolfgang kam es wie ein Wahnsinn vor, daß er an einem solchen Morgen seine Mutter begraben sollte – seine sanfte, zarte Mutter, die den Sonnenschein geliebt hatte, wie eine freundliche Gottheit, und mit den singenden Vögeln, die durch die laubigen Kronen der Bäume schlüpften, verkehrt hatte, wie mit ihres Gleichen. Diese Brust, die nur in der warmen weichen Gartenluft hatte athmen können, verschließen in das enge Bretterhaus – das Bretterhaus versenken in die kalte feuchte Erde, auf die der Himmel Fluchen winterlichen Regens herabgießt! –

»Wer ist nun barbarischer? die Natur, die ihre herrlichsten Gebilde mitleidslos der schmählichsten Zerstörung preis giebt? oder der Mensch, der den schwarzen Mantel des Todes sogar noch mit schwarzen Floren und Bändern verbrämt und aufputzt? O Qual! nicht einmal allein sein zu dürfen mit dem Dämon des Schmerzes! Den Plunder der Gesellschaft schleppen müssen durch diese Augenblicke, wo wir, wenn je, mit dem tiefen Urgrund des Daseins – mit den Müttern – geheimnißvolle Zwiesprach halten! Elende Menschheit, die immer an der Oberfläche der Dinge kindisch haften bleibt, die mit ihren neugierig-gleichgültigen Alltagsgesichtern sich in die Hallen des Todes drängt, wie in einen Concertsaal, und sich hier ein wenig Rührung und dort ein wenig Enthusiasmus holt und das Eine wie das Andere als Nahrung ihrer Eitelkeit verbraucht. O, lieber wollte ich, ich wäre mit der geliebten Leiche allein, ganz allein auf öder Haide! mit meinen Händen wollte ich Dir ein Grab graben; und wenn Du von meinen Händen zur Ruhe gebracht würdest, mir ist, als wenn die schwere Erde Dir dann leichter sein würde.«

Wolfgang drückte die brennende Stirn gegen die kalte Fensterscheibe. Eine Hand legte sich sanft auf seine Schulter. Ottilie stand hinter ihm.

»Wolfgang, armer Wolfgang!«

Keine Thräne hatte des jungen Mannes Wimper benetzt all' diese entsetzlichen Stunden hindurch. Der schmerzenstillende Quell schien für immer in ihm vertrocknet; aber, als er dies liebe sanfte Mädchenantlitz sah, das so gefaßt zu bleiben versuchte, während es so schmerzlich um den freundlichen Mund zuckte und die hellen Tropfen aus den schönen tiefblauen Augen über die zarten Wangen rannen – da – als er den eigenen Schmerz so rührend verkörpert sah – löste sich der Krampf, der seine Brust so lange zusammengeschnürt hatte, in Thränen auf. Er streckte seine Hände wie um Vergebung bittend nach Ottilien aus, sie ergriff sie und drückte sie für einen Augenblick an ihren Busen.

»Ich möchte sie gern noch einmal sehen,« sagte sie leise.

»Komm!«

Wolfgang führte das junge Mädchen in das Zimmer nebenan, wo Margareth in dem offenen Sarge lag. Es war Niemand im Zimmer. Die Beiden traten Hand in Hand an den Sarg und blickten lange in das blasse geisterhaft schöne Antlitz der Todten.

»Weißt Du noch, Ottilie,« flüsterte Wolfgang, »was die Mutter an jenem Abend sagte, als wir Beide so an ihrem Bett standen, wie wir jetzt an ihrem Sarge stehen, und sie uns lange mit so seltsam freudigen Augen angesehen hatte?«

»Ja,« flüsterte Ottilie.

»Sie sagte: von nun an habe ich zwei Kinder. – Ottilie, willst Du meine Schwester sein?«

»Ich will es,« flüsterte Ottilie, sich mit schüchternem Erröthen auf das Antlitz der Todten beugend, wie um den eben geschlossenen Bund durch einen Kuß auf die lieben Lippen zu besiegeln, die ihren Namen und Wolfgang's Namen so oft und so gern zusammen genannt hatten.

»Nun geh', Du Liebe!« sagte Wolfgang, die Weinende mit sanfter Gewalt aus dem Zimmer führend.

Wolfgang blieb. Er hatte vor dem Hause mehrere Wagen vorfahren hören. Der Augenblick, wo man den Sarg schließen würde, mußte bald kommen. Er blieb, zu wachen, daß keine plumpe Hand diese Heilige berührte. Er selbst, den sie zum Licht dieser Welt geboren hatte, wollte sie der ewigen Nacht übergeben.

Unterdessen hatten sich die Zimmer der andern Seite, die von dem Stadtrath bewohnt wurden, mit einer Menge von Herren gefüllt, zum größeren Theil Collegen des Stadtraths: Heydtmann u. Comp. und andere speciellere Freunde; auch der dicke Oberbürgermeister Dasch war da und strengte sich vergeblich an, sein fettglänzendes Gesicht in Trauerfalten zu legen, während er dem Stadtrath, der gebrochen in der entferntesten Ecke saß, zu beweisen suchte, daß alle Menschen sterben müßten. Der Präsident und der Oberst von Hohenstein standen in einem Fenster und unterhielten sich leise und angelegentlich; möglicherweise über Peter Schmitz, welcher, der ganzen Gesellschaft den Rücken zukehrend, an dem andern Fenster stand und leise mit den Fingerspitzen gegen die Scheiben trommelte. Der arme Peter Schmitz war in einer verzweifelten Stimmung. Er hatte es schon bitter bereut, daß er nicht seiner ersten Regung gefolgt und zu Hause geblieben war. Was sollte er hier unter diesen Menschen, die sich nie einen Deut um seine Margareth gekümmert und doch so viel dazu beigetragen hatten, daß ihr Leben so elend war, wie es war! Und doch ihnen jetzt das Feld räumen, nachdem sie ihn einmal gesehen hatten, das ging nicht, schon seiner Damen wegen nicht, die auf seinen Schutz angewiesen waren und von denen es ihm wenigstens seine Schwester Bella nie verziehen haben würde, wenn er sie in »diesem Wespennest« allein gelassen hätte.

Tante Bella war seit dem Morgen, an welchem Margareth starb, auf Wolfgang's Wunsch, beinahe fortwährend in dem Hause gewesen und hatte mit ihren scharfen Schmitz'schen Augen, in welche das Bewußtsein der Pflicht, »den Kopf oben zu behalten,« nur dann und wann eine verstohlene Thräne kommen ließ, überall »nach dem Rechten gesehen.« Sie hatte, da der Stadtrath in der gänzlichen Apathie, in die er seit der Todesnacht versunken war, sich um Nichts bekümmerte, alle nöthigen Anordnungen getroffen, und dem armen Wolfgang so eine große Last abgenommen. Auch an diesem Morgen war sie früher als die Andern gekommen, und hatte dafür gesorgt, daß Wolfgang so viel als möglich allein blieb.

»Laß mich nur machen, Wolf!« sagte sie; »bekümmere Dich um Nichts, um gar Nichts! ich will schon das Nöthige besorgen, und wenn, woran ich übrigens zweifle, die Damen kommen sollten, so will ich sie in Deinem Namen empfangen. Geh' nur, armer Wolf!«

Wer den tiefen Abscheu kannte, welchen Tante Bella vor »den Damen« hatte, würde den Heroismus, mit welchem sie sich erbot, den verhaßten ein freundliches, zum mindesten nicht ihr wahres Gesicht zu zeigen, bewundert haben. Es war das größte Opfer, das Tante Bella ihrer Liebe zu Wolfgang bringen konnte. Sie war entschlossen, ihr Herz zu bändigen, und in dieser entschlossenen Stimmung ging sie den »Damen« entgegen, die in dem Augenblick anlangten, als Ottilie, die mit Onkel Peter kurz vorher gekommen um, eben das Zimmer verlassen hatte, um ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen.

Leider waren »die Damen« in jener Laune, in welcher Conflicte so leicht entstehen, und, wenn sie einmal entstanden sind, meistens einen so sehr bösartigen Charakter annehmen. An dieser üblen Laune mochten die ungewöhnlich frühe Stunde und das ungewöhnlich schlechte Wetter einen nicht unbedeutenden Antheil haben; den bedeutenderen aber hatte wohl das Benehmen, welches Wolfgang in diesen Tagen beobachtet hatte. Wolfgang hatte sich nicht nur nicht sehen lassen, er hatte geradezu geschrieben, daß er sich außer Stande fühle, der Einladung seiner Schwiegermutter, »in ihrem stillen gemüthlichen Salon eine harmlose und doch wohlthätige Zerstreuung zu suchen,« nachkommen zu können. Die Präsidentin war indignirt; die Obristin fand Wolfgang's Betragen abscheulich; selbst Aurelie, die für gewöhnlich seine Partei nahm, meinte, daß er, wie es ihr scheine, sie (die Damen von Hohenstein) etwas cavalièrement behandle; nur Fräulein Camilla enthielt sich, wie sie das in solchen Fällen zu thun pflegte, jeder Bemerkung – aus »Delicatesse,« wie ihre Mama, aus Gleichgültigkeit, wie Aurelie behauptete.

Tante Bella machte beim Eintritt der Damen in das Zimmer ihre stattlichste Verbeugung, und hieß sie in einem Tone, welcher in Anbetracht von Tante Bella's Seelenzustand ein freundlicher zu nennen war, willkommen.

»Es scheint, daß Sie hier die Wirthin machen, meine Liebe?« sagte die Obristin, die, als geborene Comtesse von Düren-Lilienfelde, es ausnehmend unschicklich fand, von einer Person, die sie nicht kannte, und die aller Wahrscheinlichkeit nach eine von Wolfgang's bürgerlichen Verwandten war, empfangen zu werden.

»Wenn Sie erlauben, daß ich dem Wunsch Wolfgang's nachkomme, ja,« erwiderte Tante Bella; »wollen Sie sich nicht setzen, meine Damen?«

»Ich ziehe es vor zu stehen!« sagte die Präsidentin.

»Wie Sie wollen;« sagte Tante Bella.

»Mit wem habe ich eigentlich die Ehre?« fragte die Obristin, welche die Ruhe Tante Bella's sichtbar reizte.

»Wollen Sie mir verstatten, die Frage zurückzugeben?« sagte Tante Bella.

»Meine Name ist Selma von Hohenstein.«

»Ich heiße Arabella Schmitz;« entgegnete Bella, indem sie sich zu ihrer ganzen Höhe aufrichtete.

»Ich muß gestehen, das Benehmen Deines Herrn Bräutigams fangt an mir unbegreiflich zu werden,« sagte die Obristin, Tante Bella den Rücken wendend, zu Camilla.

Camilla zuckte die Achseln.

»Sie haben wohl noch keine Mutter begraben?« sagte Tante Bella, die es nicht über sich bringen konnte, Selma's Bemerkung ohne Erwiderung zu lassen.

»Ich sprach mit der Braut des Lieutenant von Hohenstein;« sagte die Obristin scharf.

»Ich wollte nur meine Verwunderung darüber äußern, daß die Braut meines Neffen auf eine Bemerkung, die ihren Bräutigam mindestens der Unschicklichkeit zeiht, kein Wort der Erwiderung findet.«

»Ihnen scheint es an Worten nicht zu fehlen?«

»Gott sei Dank, nein.«

Der Eintritt Ottilien's unterbrach diesen Wortwechsel. Ottilie hatte nicht gedacht, daß außer Tante Bella Jemand im Zimmer sei. Sie würde es sonst vermieden haben, gerade jetzt zu erscheinen, wo sie in der schmerzlichsten Aufregung mit verweinten Augen von dem Sarge der geliebten Todten kam. Tante Bella sah das Alles; sie sah auch, wie die jungen Damen von Hohenstein mit jenem Blick von oben herab, den nur ganz wohlerzogene junge Damen blicken können, die Erscheinung Ottilien's musterten, und die Präsidentin von ihrer Lorgnette Gebrauch machen mußte, während Selma, um den verwirrten Gruß der Erröthenden nicht erwidern zu müssen, über sie fort nach einem Gemälde an der Wand starrte.

Tante Bella winkte Ottilie zu sich und sagte:

»Willst Du Dich zurecht machen, Kind? und mir meinen Mantel in der Küche durchwärmen? Thue es aber selbst!«

»Warum schicken Sie die Kleine fort?« fragte die Präsidentin.

»Um sie nicht länger den unfreundlichen Blicken dieser Gesellschaft auszusetzen;« sagte Tante Bella.

»Wir hätten besser gethan, wenn wir zu Hause geblieben wären, mes enfants;« sagte die Präsidentin.

»Ja, das weiß der Allmächtige!« sagte Tante Bella, einen Schritt vortretend und gegen die vier Damen von Hohenstein Front machend. »Warum sind Sie gekommen? aus Liebe zur Todten wahrhaftig nicht, denn Sie haben sie, so lange sie lebte, verachtet und verhöhnt. Ja, meine schönen jungen Damen, rümpfen Sie nur immer Ihre Nasen! ja, meine gnädige Frau, sehen Sie mich nur so grimmig an, wie Sie wollen. Auf mich macht das keinen Eindruck! ich habe einen härteren Kopf als meine arme Margareth hatte; sonst würde sie Ihnen gesagt haben, was ich Ihnen jetzt sage. Sie würde Ihnen gesagt haben: laßt mich in Ruh' mit Eurer falschen Freundlichkeit, die mich mehr ängstigt, als wenn Ihr Euch in Eurer wahren Gestalt zeigtet! laßt mich in Ruh'! ich fluche Euch nicht, obgleich Ihr der Fluch meines Lebens gewesen seid! ich hasse Euch nicht, obgleich Ihr mir geraubt habt, was mir das Theuerste war auf dieser Welt! ich will nichts von Euch als Ruhe im Leben und im Grabe, Ruhe vor Euch: den Stolzen, Hochmüthigen, Hartherzigen. Ja, ja, meine schönen Damen! so hätte sie gesprochen – aber sie wagte es nicht; und so sage ich's Ihnen denn in ihrem Namen, im Namen meiner armen unglücklichen Margareth, und nun gehen Sie hin und verklagen Sie mich bei meinem Schwager, oder bei meinem Neffen, oder wo Sie wollen und wie Sie wollen. Mir soll es gleich sein!«

Und Tante Bella warf noch einen flammensprühenden Blick aus ihren dunklen Augen, in den sich die Damen nach Belieben theilen mochten, und rauschte zur Thür hinaus.

»Die Person muß toll sein;« sagte die Präsidentin. »

»Nein, aber wir sind es, daß wir uns das gefallen lassen,« sagte die Obristin.

»Ja, aber was sollen wir thun, Selma?« erwiderte die Präsidentin.

Die Damen hatten nicht Zeit zu einem Entschlusse zu kommen, denn der Trauerzug setzte sich in Bewegung …

· · · · · · · · · · · · · · · · · ·

Der Sarg war in die Gruft gesenkt; die zahlreiche Begleitung hatte den Friedhof verlassen, selbst die Todtengräber hatten, nachdem sie die Grube eben zugeworfen, sich entfernt, da der Regen mit erneuter Heftigkeit losgebrochen war. Nur der Wagen, auf welchem der Sarg gestanden hatte, war noch da; der Fuhrmann desselben schien keine Eile zu haben, wegzukommen; er schürzte mit größter Gelassenheit an den Strängen, die zerrissen oder sonst schadhaft zu sein schienen. Als er sich aber ganz allein auf dem Friedhofe sah, trat er an das Grab, zog seinen Hut ab und murmelte: »Gute Frau, heilige Frau, bitt' für mich! bitt' für den alten Köbes!« – So stand der alte Mann lange Zeit in inbrünstiges Gebet versunken. Dann wischte er sich mit seinem baumwollenen Taschentuche die Thränen und den Regen aus dem Gesicht, setzte den Hut wieder auf und fuhr langsam in die Stadt zurück.



 << zurück weiter >>