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D ennoch war dem alten Manne jetzt gar nicht sonderlich zu Muth, wie einem Arzte, der eine sehr starke Dosis einer gefährlichen Arzenei verschrieben hat und hinterher darüber zu grübeln anfängt, ob er denn wirklich seine Verordnung vor der Wissenschaft verantworten könne. Der jammervolle Blick, mit dem die junge Frau ihn angesehen hatte, als er ihren schönen Traum so mitleidslos zerriß, brannte in seiner Seele – es war der Blick des zum Tod verwundeten Rehes gewesen! Und je öfter sich Ambrosius diesen starren, thränenlosen, schmerzensreichen Blick in's Gedächtniß rief, desto ungeduldiger stieß er den Stock mit der eisernen Spitze in den Kies des Ufers, desto zorniger schauten die scharfen Augen unter den buschigen Brauen seitwärts über die Wasser des Stromes, die mit jedem Momente grauer und trüber zu werden schienen, und hinauf zu dem winterlichen Abendhimmel, an welchem schwere dunkle Wolken von dem naßkalten ächzenden und stöhnenden Winde langsam fortgeschoben wurden.
Ambrosius drückte den breitkrämpigen Hut tiefer in die Stirn, knöpfte den langen schwarzen Rock bis oben zu, und schritt eiliger den einsamen melancholischen Uferpfad dahin. Ein Stein, der in seinem Wege lag und an den er unsanft mit dem Fuße stieß, brachte das Gefäß seines Zornes zum Ueberlaufen.
»Eine dumme Welt, eine nichtsnutzige, aufdringliche, freche Welt,« brummte er, »mich wundert, wie man je auf den Gedanken kommen konnte, ein Gott habe sie geschaffen. Ein Narrenhaus ist die Welt, voll verschmitzter, boshafter, hämischer, verbuhlter, bornirter, überspannter junger und alter Narren. Ja und die alten Narren sind die schlimmsten, weil sie für ihre Narrheit gar keine Entschuldigung, nicht einmal die eines willenstollen, verstandumnebelten Blutes haben. Ich bin so ein alter Narr! Was habe ich, der ich vor einem halben Jahrhundert dem tollen Mischmasch von Eitelkeit und Sinnlichkeit, den die Menschen Liebe nennen, abgeschworen habe – mit den Liebesaffairen Anderer zu thun? Warum lasse ich sie nicht in dem dumpfen Brodem ihres Erdenlebens, wenn sie sich in der reinen Sphäre der Geister nun doch einmal nicht halten können? Weshalb stemme ich mich gegen den blinden Trieb, der die Menschen in's Dasein ruft und im Dasein fest hält? Warum bemühe ich mich, dem alten Narren auf Rheinfelden seine kindische Todesfurcht auszureden? Mag er sterben und verderben in seinen Sünden und die Last seiner Elendigkeit durch alle Ewigkeiten schleppen! Was geht denn mich das an? Was geht es mich mehr an, als das Leben der dumpfen Brut in dem Wasser dort, die sich immerfort verschlingt, um sich immerfort von Neuem zu erzeugen und nach Millionen von Jahren noch dieselbe zu sein, die sie heute ist? Muß ich deshalb mir auf dem elenden Wege die Stiefel und die Füße entzwei stoßen und in dieser grauen Nebelluft Schnupfen und Rheumatismus holen? – Holla! Werda?«
»Ich!«
»Ich!« rief der Pfarrer ärgerlich, »ich heißen alle Leute! Warum könnt Ihr denn nicht gleich sagen, daß Ihr der Balthasar seid? und was habt Ihr hier in der Dornenhecke zu hucken, und die Leute zu erschrecken, wie ein Wegelagerer?«
»Excellenz haben mich hergeschickt, um auf Hochwürden hier an der Parkecke zu lauern, und Hochwürden durch den Park in das Schloß zu führen.«
»So? und warum denn das?« brummte Ambrosius, indem er Balthasar durch die schmale, von wildem Gestrüpp fast verdeckte Pforte – die Balthasar stets zu seinen Aus- und Eingängen in den Park benutzte – folgte; »bin ich ein Mörder? bin ich ein Dieb?«
»Wollen Hochwürden nur immer dicht hinter mir hergehen!« sagte Balthasar; »es ist hier im Winter etwas sumpfig, und man kann leicht im Morast stecken bleiben, wenn man vom Wege abkommt. – Warum Excellenz mir befohlen haben, Sie diesen selten betretenen und in der That wenig praktikabeln Weg zu führen? Es ist vielleicht ebenso gut, wenn ich Hochwürden den wahren Grund sage. Der wahre Grund ist, daß der Kilian – welcher keineswegs zu den guten Menschen gehört – seitdem Hochwürden gegen Abend ein paar Mal hier gewesen sind, gleich beim Anbruch der Dämmerung den großen und sehr blutgierigen Hofhund Pluto losläßt, so daß ein Fremder, der allein den Hof betritt, seines Lebens nicht sicher ist; und wenn Sie auch in meiner Begleitung –«
»Hört 'mal, Schmalhans,« sagte der Pfarrer Ambrosius, indem er jetzt neben dem Schulmeister einen langen schmalen Gang zwischen zwei hohen Buchenhecken, durch deren kahle Zweiglein der Abendwind sauste, dahinschritt; »Ich habe Euch niemals für so einfältig gehalten, wie die Leute behaupten, daß Ihr seid. Ich habe Euch im Gegentheil in Verdacht, daß Ihr mit Euren großen Ohren mehr hört, als Ihr aus Eurem großen Munde herauslaßt, und daß Ihr unter Eurem kahlgeschorenen und nebenbei höchst unschönen Schädel mehr Gedanken habt, als just für Eure Verhältnisse nöthig ist. Nun saget mir, weshalb hat der alte Mann, der General, mit einem Male eine so große Freundschaft für mich gefaßt, daß er mich nun schon zum dritten Mal innerhalb acht Tagen sehen muß?«
»Wissen Sie das nicht?«
»Wenn ich es wüßte, würde ich Euch nicht fragen!«
»Ich meine: hat er das Ihnen nicht selbst gesagt?«
»Der Kuckuck mag aus seinen verwirrten Reden klug werden. Was will er von mir? Heraus mit der Sprache!«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte Balthasar; »ich weiß nur, daß er mich neulich, als er im Rollstuhl in der Halle saß, und ich vorbeiging, mein Essen zu holen, zu sich gerufen und mich gefragt hat: kennst Du einen Menschen, Balthasar, der sich vor Nichts fürchtet? vor Menschen nicht, und auch vor dem Teufel nicht? Da habe ich nach einigem Besinnen geantwortet: ich glaube, daß der Herr Pfarrer Ambrosius Kandel so ein Mann ist. Da hat er gesagt: hole mir den Mann! Da bin ich hingegangen und habe Sie geholt.«
»Hm,« brummte Ambrosius; »sehr schmeichelhaft in der That! Aber angenommen einmal: ich fürchte mich vor Nichts – was übrigens entschieden nicht wahr ist, denn ich fürchte mich vor sehr Vielem, vor Rheumatismus zum Beispiel – wovor und vor wem fürchtet sich denn der Alte?«
»Vor Allem,« erwiderte Balthasar, »vor dem Leben, welches ihm seine Schmerzen zur Qual machen; vor dem Tode, den er als den Eingang zur Hölle ansieht; vor den Menschen, von denen er das Schlimmste erwartet; vor einem Gott, den er sich nach seinem Ebenbilde denkt, das heißt, als einen Gott des Zornes und der Rache.«
»Ihr haltet also den Alten auch für so schlecht, wie man allgemein behauptet?«
»Ja,« antwortete Balthasar nach einigem Zögern.
»Und aus welchem Grunde interessirt Ihr Euch für ihn? und kauert seinetwegen stundenlang in dem rauhen Nebelwind der Landstraße?«
»Aus demselben Grunde, meine ich, der Sie den langen Weg von Kirchheim nach Rheinfelden geführt hat.«
»Das ist etwas Anderes,« brummte Ambrosius; »ich thue, obgleich der Alte, als Nichtkatholik, gewissermaßen nicht zu meinem Ressort gehört, nur meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, indem ich einem Unglücklichen zu Hülfe komme.«
»Und so thue ich die meinige,« sagte Balthasar.
»Hat Euch der Alte je etwas Gutes gethan?«
»Nie; er hat mich stets verhöhnt und gehänselt, und hat mich oft in seiner Zorneswuth gestoßen und geschlagen. Er ist, so lange ich ihn kenne, ein schrecklicher Herr gewesen und ich fürchtete ihn früher sehr.«
»Und jetzt?«
»Jetzt habe ich Mitleid mit ihm, wie mit einer giftigen Schlange, die sich halb zertreten am Boden krümmt.«
»Ist das Weib, Eure Frau, noch immer bei ihm? das letzte Mal, als ich hier war, wollte er sie ja fortjagen?«
»Sie ist noch bei ihm, sonst wäre ich nicht mehr hier.«
»Wie so?«
»Weil, wenn der General sie fortjagt, sie zu mir zu kommen gedroht hat, und weil, wenn sie zu mir kommt, ich fort müßte.«
»Fort? wohin?«
»Gleichviel wohin, und wäre es in den Strom.«
»Eine angenehme Gesellschaft,« brummte Ambrosius.
Die Beiden waren zwischen den, trotz ihrer Kahlheit noch immer undurchdringlich dichten Hecken und Büschen an die Stelle des kleinen Teiches gekommen, von dem aus die Präsidentin mit ihren Töchtern an jenem Frühlingsmorgen das Schloß beobachtet hatte.
»Wollen Sie hier einen Augenblick verziehen,« sagte Balthasar; »ich will vorausgehen und sehen, ob wir es wagen können.«
Balthasar schlich am Rande des Teiches fort und war bald unter den überhängenden Zweigen der Weiden verschwunden. Der Pfarrer lehnte sich an den halb umgesunkenen steinernen Tisch und schaute mit übereinandergeschlagenen Armen wachsam umher. Die Situation war dazu angethan, das Wort Balthasar's von der Furchtlosigkeit Herrn Ambrosius Kandel's auf die Probe zu stellen. Hinter ihm aus den Tiefen des Parks rauschte und raunte es in schauerlichen Accorden, um ihn her knisterte es und knackte es in den dürren, vom Winde durchschauerten Büschen; aus dem Teich vor ihm stieg der Nebel aus den sumpfigen Wassern und breitete sich wie ein Leichentuch über die tieferen Gründe; drüben jenseits des Teiches lag das Schloß, still und stumm und dunkel, wie ein riesiger Sarg; auf dem Thurme kreischte eine Wetterfahne, und ebenso oft ertönte von dem Hofe vor dem Schlosse das dumpfe Geheul »des blutgierigen Hundes, den der Kilian mit Einbruch der Dunkelheit losließ.«
Ambrosius richtete sich straff in die Höhe und faßte seinen Knotenstock fest in die alte, noch immer kräftige Faust.
»Ich wollte, der alte Kasten da drüben ginge in Flammen auf, oder es passirte sonst etwas Außerordentliches,– dies Hineinstarren in die geheimnißschwangere Dunkelheit ist unerträglich. Ich wollte, diese Hohensteins wären, wo der Pfeffer wächst! Aristokratie muß sein; Aristokratie ist ein Naturgesetz; überall herrscht der Bessere über den Schlechteren. Aber verbuhlte Weiber und wahnwitzige alte Narren sind keine Aristokratie. Ist diese Antonie von Hohenstein, diese moderne Messalina, besser als Clärchen? ist der graue Sünder da drüben besser als ich? Dennoch triumphirt die vornehme Buhlerin über das keusche Weib aus dem Volke; dennoch stehe ich einer Grille des Alten zu Liebe hier in dem kalten Abend am Sumpfesrand und werde mir einen fürchterlichen Rheumatismus holen. Wenn nur der hirnverbrannte Schulmeister wieder käme! Mir ist, als ob mir ein Mord auf der Seele läge. – Holla!«
»Pst, pst!« machte Balthasar, der plötzlich, dicht vor dem Pastor aus dem Nebel auftauchte; »wir müssen uns ganz ruhig verhalten. Sie sind auf ihrer Hut; aber es soll ihnen nichts helfen. Geben Sie mir Ihre Hand!«
Ambrosius schwankte einen Augenblick, ob er weiter gehen, oder lieber jetzt, ehe es zu spät sei, das Abenteuer aufgeben solle. Aber sein großer persönlicher Muth, der einer Gefahr nur ungern auswich, und sein im tiefsten Grunde edelmüthiges Herz, das einem Unglücklichen die erbetene Hülfe noch nie abgeschlagen hatte, ließen ihn die egoistische Regung bald überwinden.
»Kommt, Balthasar,« sagte er, entschlossen die schmale Hand des Schulmeisters ergreifend.
Sie gingen um den Teich herum und gelangten an die Glasthür, welche unter dem von vier großen Säulen getragenen Balcon aus dem Parke unmittelbar in den Gartensaal führte. An den Saal zur linken Hand stieß das Wohnzimmer des Generals. Ein schwacher Lichtschimmer drang durch die niedergelassenen Vorhänge dieses Gemaches.
»Sie glauben, der General sei in seinem Zimmer,« flüsterte Balthasar; »aber ich habe ihn durch den Gartensaal in den Rüstsaal geführt. Ich arbeite öfter um diese Stunde an den Gewaffen, weil ich am Tage keine Zeit habe; so sind sie das Rumoren gewohnt. Drüben würden sie an den Thüren horchen; ich dachte: es sei besser, in einem kalten Raume sicher sein, als in einem warmen Zimmer verrathen werden.«
Balthasar schloß mit einem Schlüssel, den er aus der Tasche nahm, die Thür zum Gartensaal vorsichtig leise auf und führte den Pfarrer durch den dunklen Raum rechts nach einer zweiten Thür, die er mit derselben Vorsicht aufschloß. Als sie eingetreten waren, schob er einen Riegel vor, und flüsterte seinem Begleiter zu: einen Augenblick stehen zu bleiben, bis er Licht anmachen könne. – In den Gartensaal war durch die hohen, bis zum Fußboden reichenden Fenster noch ein schwacher Lichtstrahl gefallen; in diesem Raume aber herrschte dichte undurchdringliche Finsterniß. Ein dumpfer modriger Duft versetzte dem Pfarrer, der eben aus der frischen Abendluft kam, fast den Athem. Er fühlte, daß sein Herz unruhig an die Rippen zu pochen begann und fast hätte er laut aufgeschrieen vor Entsetzen, als jetzt ein bläuliches Licht aufblitzte und eiserne Männer mit Schwertern und Hellebarden in den eisernen Fäusten ihn aus hohlen Helmen anstarrten. Der Schulmeister hatte eine Laterne angezündet, und der Pfarrer warf bei dem matten Schein derselben einen scheuen Blick auf seine Umgebung.
Er befand sich, so weit er sehen konnte, in einem hohen, weitläufigen Gemach, dessen Wände in der oberen Hälfte mit Fahnen, Standarten und anderen Emblemen bedeckt waren, während in offenen Schränken, die sich um den ganzen Raum herumzogen, zahllose Waffen von allen Formen aufgespeichert lagen und hingen. Ueberdies war das Gemach noch in der Länge und Breite von Gestellen durchschnitten, an welchen hunderte von Gewehren, Flinten, Büchsen, Karabinern und Pistolen befestigt waren. Dazu Gerümpel aller Art, das hier und da den Boden ellenhoch bedeckte: zerbrochene Harnische, eisernes Geräth, zertrümmerte Meubel – ein wüstes Durcheinander, welches bewies, daß der Waffensaal schon lange Jahre auch als Polterkammer benutzt wurde. Das Ganze erinnerte den Pfarrer so sehr an Alles, was er in seinem Leben von mittelalterlichen Folterkammern und ähnlichen Schreckensorten, gehört und gelesen, daß seine überdies schon aufgeregte Phantasie aus jedem Winkel, in welchen Balthasar's Laterne ihr verwirrendes Licht warf, ein unerhörtes Schreckbild heraufbeschwor.
Und ein Bild des Schreckens bot sich denn auch seinen Augen, als er plötzlich in einem abgelegensten Winkel des Saales, wohin ihn Balthasar geführt hatte, auf einer großen Kiste eine zusammengekauerte Gestalt sitzen sah, in der er nur mit Mühe den alten General erkannte.
Der General hatte seine lange dürre Gestalt in einen Schlafpelz gehüllt, den kahlen Schädel bedeckte eine langzipflige Nachtmütze. Das alte verwüstete Gesicht war vor Furcht und Kälte noch mehr als gewöhnlich zusammengeschrumpft; die dunkeln Augen, die sonst noch immer so zornige Blitze zu schießen verstanden, waren gläsern und starr; der lange weiße Schnurrbart, der bis dahin noch immer martialisch genug ausgesehen hatte, hing gleichgültig-albern über den zahnlosen Mund – der ganze Mann war, Alles in Allem, ein Bild des Jammers viel mehr, als des Schreckens, und bei diesem Anblick hülfsbedürftiger Elendigkeit kam Ambrosius die Fassung zurück, die er während der letzten Minuten einigermaßen eingebüßt hatte.
Der General murmelte Etwas, das Ambrosius nicht verstand; Balthasar aber klappte einen Feldstuhl auf, der an der Wand lehnte, und lud den Pfarrer, indem er den Stuhl dicht an den Platz schob, wo der General saß, zum Niedersitzen ein. Dann stellte er die Laterne in einiger Entfernung so auf, daß ihr Schein auf die Beiden fiel, tauchte in das Dunkel, das den übrigen Theil des Raumes erfüllte, machte sich mit den Rüstungen zu schaffen und verursachte dabei – wie es schien, absichtlich – mehr Geräusch, als zu seiner fingirten Beschäftigung eben nöthig war.
Balthasar hatte kaum den Rücken gewandt, als der General, mit den langen Knochenfingern die Hände des Pfarrers umklammernd, in einem unheimlich heiseren angstvollen Tone sagte:
»Rettet mich, Pfarrer!«
»Wovor? oder vor wem?« erwiderte Ambrosius, indem er unwillkürlich seine Hände aus den naßkalten Knochenfingern losmachte.
»Vor dem scheußlichen Weibe, vor der verdammten Hexe, die mir partout an den Galgen bringen will.«
»Welche Macht hat sie dazu? Um nichts und wieder nichts hängt man die Leute heut zu Tage nicht,« erwiderte der Pfarrer.
»Um nichts und wieder nichts,« murmelte das Gespenst in dem Pelz und nickte dazu mit der Zipfelmütze; »ja, ja – um nichts und wieder nichts. Und deswegen sollten sie mir heute hängen? nach so vielen Jahren? einen alten Mann, der schon mit einem Fuße im Grabe steht …«
»Ich will Ihnen etwas sagen,« unterbrach ihn der Pfarrer in noch strengerem und rauherem Ton; »daß Sie etwas auf dem Gewissen haben, liegt auf der Hand, sonst würden Sie die Alte, unbekümmert um ihre Drohungen, fortjagen. Ob ich Ihnen helfen kann, weiß ich nicht, bezweifle es aber, offen gestanden. Wenn ich Ihnen indessen helfen soll, müssen Sie mir erst einmal reinen Wein einschenken, – dann wird sich das Andre finden.«
»Damit Sie mir auch an den Galgen bringen können,« sagte der Alte und ein häßliches Grinsen zog über seine verwelkten Züge; »ich werde mich hüten.«
»Dann machen Sie, was Sie wollen,« sagte Ambrosius ärgerlich; »ich habe keine Lust, mich hier in diesem verdammten Eiskeller auf den Tod zu erkälten;« und er stand von seinem Sessel auf.
»Bleiben Sie sitzen, um Gotteswillen!« wimmerte das Gespenst in der Zipfelmütze; »und reden Sie nicht so laut, daß der Balthasar da hinten es hört. Ich will ja auch Alles sagen, wenn es sein muß.«
Ambrosius hatte sich wieder hingesetzt. Der Alte schien sich zu besinnen, wie er seine Beichte am besten anfangen könne. Endlich sagte er:
»Wenn ich nun katholisch würde, Pfarrer?«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich denke, wenn man katholisch ist, kann man thun, was man will, wenn man es nur hinterher dem Pfaffen sagt. Der betet dann für Einen und dann ist die Sache abgemacht.«
»So leicht geht das auch bei uns nicht,« erwiderte der Pfarrer.
»Ich will mir's auch gern ein Stück Geld kosten lassen; es soll mir auf ein paar tausend Thaler nicht ankommen,« sagte der Alte.
»Hilft Alles nichts,« brummte der Pfarrer; »einer oder der andre meiner Confratres würde sich vielleicht anheischig machen, Sie um diesen Preis mit der himmlischen Gerechtigkeit zu versöhnen; aber mit der irdischen Gerechtigkeit ist die Sache nicht ganz so bequem, und ich fürchte: es kommt Ihnen auf die letztere mehr, als auf die erste an.«
»Ihr könnt mir also nicht helfen?«
»Nein!«
»Nun, so könnt Ihr Euch zum Teufel scheeren!« rief der Alte wüthend und griff nach einer zufällig neben ihm auf der Kiste liegenden Streitaxt, um sie seinem Besucher an den Kopf zu schleudern.
Ohne Zweifel hätte er diese Absicht auch ausgeführt, wenn nicht in demselben Augenblick sehr heftig an die Thür des Waffensaales gepocht wäre.
»Wer ist da?« fragte Balthasar, der seit einiger Zeit zwischen den Harnischen und Helmen lauter als zuvor rumort hatte.
»Ich bin's, du Tölpel,« antwortete eine kreischende Stimme, »willst Du machen, daß Du nach Hause kommst! willst Du hier die ganze Nacht stecken?«
»Ich bin gleich fertig;« erwiderte Balthasar.
»Das will ich mir auch ausgebeten haben;« sagte die kreischende Stimme.
Das Gespenst im Schlafpelz war während dieser Unterhaltung so weit als möglich an die Wand gerutscht und hatte, an allen Gliedern zitternd, zusammengekauert dagesessen. Auch Ambrosius hatte, trotz seines Muthes, sich nach einer bessern Waffe, als sein Knotenstock war, umgesehen. Balthasar trat heran und flüsterte: »Ich wußte es, daß sie es nicht wagen würde hereinzukommen; sie fürchtet sich vor dem alten Gerümpel. Aber wir müssen fort, Hochwürden! Sie schließt jetzt die Fensterläden nach dem Hofe hinaus; wir müssen die Zeit benutzen.«
»So lassen Sie uns machen, daß wir fortkommen,« sagte der Pfarrer, »ich habe wahrhaftig nichts dagegen.«
»Aber Ihr kommt wieder, Pfarrer, nicht wahr, Ihr kommt wieder?« ächzte das Gespenst, das, in weiten Filzschuhen hinter den Beiden herschlurfend, die Krallenfinger in des Pfarrers Rockschöße schlug.
»Wir wollen sehen,« sagte Ambrosius, »aber ich glaube nicht, daß ich Ihnen helfen kann.«
»Ich will Euch gern mein halbes Vermögen geben, wenn Ihr mich katholisch macht, so daß sie mich nicht hängen können;« raunte das Gespenst dem Pfarrer in's Ohr.
»Wir wollen sehen!« sagte Ambrosius.
Sie waren bis zu dem Eingang in den Waffensaal gelangt. Balthasar öffnete vorsichtig die Thür und schaute hinaus. »Es ist Alles still,« flüsterte er zurück, »jetzt schnell!«
Ambrosius wollte hinaus, das Gespenst hielt ihn am Rockschooße fest: »Ich will Euch gern mein halbes Vermögen geben.«
»Schnell, oder es wird zu spät!« flüsterte Balthasar.
Das Gespenst ließ los und huschte mit langen unhörbaren Schritten über den parquettirten Fußboden nach der gegenüberliegenden Seite des Saales, wo es in der Thür, die in die inneren Gemächer führte, verschwand.
Ambrosius und Balthasar traten durch die Glasthür, die der Letztere wieder verschloß, in den Park. Es war vollkommen Nacht geworden. Balthasar hatte seine Laterne ausgelöscht und ging voran; der Pfarrer folgte ihm auf dem Fuße. Sie hatten kaum einige Schritte in das Dunkel hineingethan, als eine grobe Stimme aus einiger Entfernung: Such, Pluto, such! rief. Ein dumpfes Geheul antwortete diesem Ruf; dann hörten sie es durch die Büsche brechen, gerade nach dem Rande des Teiches zu, an dem sie jetzt eilig dahin schritten. Ambrosius konnte einen leisen Schreckensruf nicht unterdrücken; aber Balthasar raunte ihm zu: »Er thut mir nichts und Niemandem, mit dem ich gehe; da ist er schon; so, Pluto, so! bist ein gutes Thier, so!«
Der gewaltige Hund sprang mit freudigem Gebell an dem Schulmeister in die Höhe und legte ihm die gewaltigen Tatzen auf die Schulter; dann erwies er dem Pfarrer dieselbe Aufmerksamkeit.
»Ist gut, Pluto! nun fort!« sagte Balthasar und der Hund stürzte wieder in die Büsche zurück, während die Beiden eilig und ohne ein Wort zu sprechen ihren Weg fortsetzten und bald an der Pforte, durch die sie in den Park getreten waren, anlangten.
Der Pfarrer athmete hoch auf, als der Wind vom Flusse her über das offene Feld ihm in's Gesicht wehte. Von dem Dorfe Rheinfelden, das nicht weit links von ihnen und etwas tiefer am Ufer lag, schimmerte hier und da ein schwaches Licht herüber. Der Weg nach Kirchheim zweigte sich an dieser Stelle ab, um etwas oberhalb des Dorfes in den Uferpfad zu fallen.
»Wollt Ihr mich bis an den Fluß begleiten, Balthasar!« fragte der Pfarrer.
Der Ton, in dem er das sagte, war ein gut Theil höflicher, als der, in welchem er sonst mit dem Schulmeister zu sprechen pflegte. Der kleine, scheu blickende Mann war während der letzten Stunde sehr in seiner Achtung gestiegen.
»Recht gern, Hochwürden;« erwiderte Balthasar.
»Sagt mir, Balthasar?« fing der Pfarrer nach einer Pause an: »Seit wann ist denn das Weib dem Alten so feindlich, da es doch ihr Vortheil scheint, mit ihm in Frieden zu leben?«
»Seit diesem Frühling, Hochwürden, wo die Herrschaften aus der Stadt hier waren. Sie hat nie gewollt, daß Excellenz mit den Verwandten Friede und Freundschaft hielten. Sie wirft ihm vor, daß er sein Geld an die Verwandten verzettle, besonders an den jungen Herrn Wolfgang, einen lieben leutseligen Jüngling, der, wie ich höre –«
»Ich weiß, ich weiß,« sagte Ambrosius, »der Alte hat's mir erzählt; er hat in letzter Zeit mehr als sonst für seine Verwandten gethan und das will das Weib nicht; aber dahinter steckt mehr. Glaubt Ihr, Balthasar, daß sie den Alten an den Galgen bringen kann, wenn sie will?«
»Sie sagt es freilich oft; ich halte es aber für eine leere Drohung.«
»Hm, hm,« summte der Pfarrer, »doch hier sind wir auf dem Uferwege; ich will Euch nicht weiter bemühen.«
»Bekomme ich heute Nichts zu copiren?« fragte Balthasar.
»Ja, das hätte ich beinahe vergessen, hier! Sprecht morgen im Laufe des Nachmittags einmal auf der Pfarre vor; hört Ihr, Balthasar?«
»Werde nicht verfehlen, Hochwürden.«
Der Pfarrer wandte sich und machte ein paar Schritte, dann blieb er wieder stehen und sagte:
»Balthasar! sagt mir doch, wie lange ist es her, daß der schöne lange Mensch, der Jürgens aus Kirchheim, der bei dem General als Jäger diente, todt ist?«
»Das mögen nun wohl so ein zehn Jahre sein, Hochwürden.«
»Und – ich war damals krank und erinnere mich der Geschichte nicht mehr genau – er starb ja wohl sehr plötzlich? Woran starb er denn nur?«
»Er war während der Nacht in der Trunkenheit die steile steinerne Wendeltreppe im Thurm herabgestürzt und so unglücklich gefallen, daß er mit der Schläfe auf die scharfe Kante der untersten Stufe fiel und augenblicklich todt war.«
»Das war ein sehr unglücklicher Fall,« brummte der Pfarrer; »gute Nacht, Balthasar.«
»Gute Nacht, Hochwürden.«
Die beiden Männer trennten sich und schon nach wenigen, Augenblicken waren sie einander in dem Dunkel, das heute ganz besonders dicht auf dem breiten Strom und den kahlen Feldern lag, verschwunden.