Oswald Spengler
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Oswald Spengler

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Die farbige Weltrevolution

19

Die abendländische Zivilisation dieses Jahrhunderts wird nicht von einer, sondern von zwei Weltrevolutionen größten Ausmaßes bedroht. Sie sind beide noch nicht in ihrem wahren Umfange, ihrer Tiefe und ihren Wirkungen erkannt worden. Die eine kommt von unten, die andere von außen: Klassenkampf und Rassenkampf. Die eine liegt zum großen Teil hinter uns, wenn auch ihre entscheidenden Schläge etwa in der angloamerikanischen Zone wahrscheinlich noch bevorstehen. Die andere hat erst im Weltkrieg mit Entschiedenheit begonnen und gewinnt sehr rasch feste Tendenz und Gestalt. In den nächsten Jahrzehnten werden beide nebeneinander kämpfen, vielleicht als Verbündete: es wird die schwerste Krise sein, durch welche die weißen Völker – ob einig oder nicht – gemeinsam hindurchgehen müssen, wenn sie noch eine Zukunft haben wollen.

Auch die »Revolution von außen« hat sich gegen jede der vergangenen Kulturen erhoben. Sie ging stets aus dem zähneknirschenden Haß hervor, den die unangreifbare Überlegenheit einer Gruppe von Kulturnationen, welche auf den zur Höhe gereiften politischen, militärischen, wirtschaftlichen und geistigen Formen und Mitteln beruhte, ringsum bei den hoffnungslos Unterlegenen, den »Wilden« oder »Barbaren«, den rechtlos Ausgebeuteten hervorrief. Dieser Kolonialstil fehlt keiner Hochkultur. Aber ein solcher Haß schloß eine geheime Verachtung der fremden Lebensform nicht aus, die man allmählich kennenlernte, spöttisch durchschaute und zuletzt hinsichtlich der Grenzen ihrer Wirkung abzuschätzen wagte. Man sah, daß sich vieles nachahmen ließ, daß anderes unschädlich gemacht werden konnte oder nicht die Kraft besaß, die man ihm anfangs in starrem Entsetzen zugeschrieben hatte. Man schaute den Kriegen und Revolutionen innerhalb der Welt dieser Herrenvölker zu, wurde durch zwangsweise Verwendung in die Geheimnisse der Bewaffnung, Wirtschaft und Diplomatie eingeweiht. Man zweifelte endlich an der wirklichen Überlegenheit der Fremden, und sobald man fühlte, daß deren Entschlossenheit zu herrschen nachließ, begann man über einen möglichen Angriff und Sieg nachzudenken. So war es im China des dritten Jahrhunderts v. Chr., wo die Barbarenvölker nördlich und westlich des Hoangho und südlich des Jangtsekiang in die Entscheidungskämpfe der Großmächte hineingezogen wurden, in der arabischen Welt der Abbasidenzeit, wo türkisch-mongolische Stämme erst als Söldner, dann als Herren auftraten, und so war es vor allem in der Antike, wo wir die Ereignisse genau übersehen können, die vollkommen denen gleichen, in die wir unwiderruflich hineinschreiten.

Die Barbarenangriffe auf die antike Welt beginnen mit den Keltenzügen seit 300, die immer wieder gegen Italien erfolgten, wo in der Entscheidungsschlacht bei Sentinum (295) gallische Stämme die Etrusker und Samniten gegen Rom unterstützten und noch Hannibal sich ihrer mit Erfolg bedient hat. Um 280 eroberten andere Kelten Makedonien und Nordgriechenland, wo infolge der innerpolitischen Kämpfe jede staatliche Macht zu existieren aufgehört hatte, und wurden erst vor Delphi aufgehalten. In Thrakien und Kleinasien gründeten sie Barbarenreiche über einer hellenisierten, zum Teil hellenischen Bevölkerung. Etwas später beginnt auch im Osten, in dem zerfallenen Reich Alexanders des Großen, die barbarische Reaktion unter zahllosen Aufständen gegen die hellenische Kultur, die Schritt für Schritt zurückweichen muß, so daß seit 100 etwa Mithridates in Verbindung mit südrussischen »Wilden« (Skythen und Bastarner) und auf das immer stärkere Vordringen der Parther von Ostiran gegen Syrien rechnend hoffen durfte, den im vollen Chaos der Klassenkämpfe befindlichen römischen Staat zu zerstören. Er konnte erst in Griechenland aufgehalten werden. Athen und andere Städte hatten sich ihm angeschlossen, auch keltische Stämme, die noch in Makedonien saßen. In den römischen Heeren herrschte offene Revolution. Die einzelnen Teile kämpften gegeneinander, und die Führer brachten sich gegenseitig um, selbst vor dem Feinde (Fimbria). Damals hörte das römische Heer auf, eine nationale Truppe zu sein, und verwandelte sich in die persönliche Gefolgschaft von einzelnen. Was Hannibal 218 gegen Rom geführt hatte, waren nicht eigentlich Karthager gewesen, sondern überwiegend Leute aus den wilden Stämmen des Atlas und Südspaniens, mit denen Rom dann seit 146 furchtbare und endlose Kämpfe zu führen hatte – die Verluste in diesen Kriegen waren es, die zur Auflehnung des römischen Bauerntums in den gracchischen Unruhen geführt haben – und mit denen der Römer Sertorius später einen gegen Rom gerichteten Staat zu gründen versuchte. Seit 113 erfolgte der keltisch-germanische Angriff der Kimbern und Teutonen, der erst nach der Vernichtung ganzer römischer Heere von dem Revolutionsführer Marius zurückgewiesen werden konnte, nachdem dieser von der Besiegung Jugurthas zurückgekehrt war, der Nordafrika gegen Rom in Waffen gebracht und durch Bestechung der römischen Politiker jahrelang jede Gegenwirkung verhindert hatte. Um 60 begann eine zweite keltisch-germanische Bewegung (Sueven, Helvetier), der Cäsar durch die Eroberung Galliens entgegentrat, während zur selben Zeit Crassus gegen die siegreichen Parther fiel. Aber dann war es mit dem Widerstand durch Ausdehnung zu Ende. Der Plan Cäsars, das Alexanderreich wieder zu erobern und damit die Parthergefahr zu beseitigen, blieb unausgeführt. Tiberius mußte die Grenze in Germanien zurückverlegen, nachdem es nicht gelungen war, die in der Varusschlacht vernichteten Truppen zu ersetzen, und beim Tode des Augustus der erste große Aufstand der Grenzlegionen stattgefunden hatte. Seitdem herrschte ein System der Defensive. Aber die Armee füllte sich mehr und mehr mit Barbaren. Sie wird eine unabhängige Macht. Germanen, Illyrier, Afrikaner, Araber kommen als Führer empor, während die Menschen des Imperiums im Fellachentum eines »ewigen Friedens« versinken, und als vom Norden und Osten her die großen Angriffe begannen, schloß nicht nur die Zivilbevölkerung Verträge mit den Eindringenden ab und ging freiwillig in ein Untertanenverhältnis zu ihnen über: der späte Pazifismus einer müden Zivilisation.

Aber immerhin war durch Jahrhunderte eine planmäßige Abwehr dieser Zustände möglich, weil der Orbis terrarum des Römischen Reiches ein geschlossenes Gebiet war, das Grenzen hatte, die verteidigt werden konnten. Viel schwerer ist die Lage beim heutigen Imperium der weißen Völker, das die ganze Erdoberfläche umfaßt und die »Farbigen« einschließt. Die weiße Menschheit hat sich in ihrem unbändigen Drang zur unendlichen Ferne überallhin zerstreut, über Nord- und Südamerika, Südafrika, Australien und über zahllose Stützpunkte dazwischen. Die gelbe, braune, schwarze und rote Gefahr lauert innerhalb des weißen Machtbereiches, dringt in die kriegerischen und revolutionären Auseinandersetzungen zwischen den weißen Mächten ein, beteiligt sich an ihnen und droht die Entscheidung zuletzt selbst in die Hand zu bekommen.

Was alles gehört denn zur »farbigen« Welt? Nicht nur Afrika, die Indianer – neben Negern und Mischlingen – in ganz Amerika, die islamischen Völker, China, Indien bis nach Java hin, sondern vor allem Japan und Rußland, das wieder eine asiatische, »mongolische« Großmacht geworden ist. Als die Japaner Rußland besiegten, leuchtete eine Hoffnung über ganz Asien auf: Ein junger asiatischer Staat hatte mit westlichen Mitteln die größte Macht des Westens in die Knie gezwungen und damit den Nimbus der Unüberwindlichkeit zerstört, der »Europa« umgab. Das wirkte wie ein Signal, in Indien, in der Türkei, selbst im Kapland und in der Sahara: Es war also möglich, den weißen Völkern die Leiden und Demütigungen eines Jahrhunderts heimzuzahlen. Seitdem sinnt die tiefe Schlauheit asiatischer Menschen über Mittel nach, die dem westeuropäischen Denken unzugänglich und überlegen sind. Und nun legte Rußland, nachdem es 1916 von Westen her die zweite entscheidende Niederlage erlitten hatte, nicht ohne die spöttische Befriedigung des verbündeten England, die »weiße« Maske ab und wurde wieder asiatisch, aus ganzer Seele und mit brennendem Haß gegen Europa. Es nahm die Erfahrungen von dessen innerer Schwäche mit und baute daraus neue, heimtückische Methoden des Kampfes auf, mit denen es die gesamte farbige Bevölkerung der Erde im Gedanken des gemeinsamen Widerstandes durchdrang. Das ist, neben dem Sieg des Arbeitersozialismus über die Gesellschaft der weißen Völker, die zweite wirkliche Folge des Weltkrieges, der von den eigentlichen Problemen der großen Politik keines dem Verstehen nähergebracht und keines entschieden hat. Dieser Krieg war eine Niederlage der weißen Rassen, und der Friede von 1918 war der erste große Triumph der farbigen Welt: Es ist ein Symbol, daß sie im Genfer »Völkerbund« – der nichts ist als das elende Symbol für schmachvolle Dinge – heute über die Streitfragen der weißen Staaten untereinander mitreden darf.

Daß die Auslandsdeutschen von Farbigen auf englischen und französischen Befehl mißhandelt wurden, war kein Vorgang von überraschender Neuheit. Diese Methode beginnt mit der liberalen Revolution des 18. Jahrhunderts: 1775 haben die Engländer Indianerstämme angeworben, die brennend und skalpierend über die republikanischen Amerikaner herfielen, und es sollte nicht vergessen sein, in welcher Weise die Jakobiner die Neger von Haiti für die »Menschenrechte« in Bewegung setzten. Aber daß die Farbigen der ganzen Welt in Masse auf europäischem Boden von Weißen gegen Weiße geführt wurden, die Geheimnisse der modernsten Kriegsmittel und die Grenzen ihrer Wirkung kennenlernten und in dem Glauben nach Hause geschickt wurden, weiße Mächte besiegt zu haben, das hat ihre Anschauung über die Machtverhältnisse der Erde von Grund auf verändert. Sie fühlten ihre gemeinsame Stärke und die Schwäche der andern; sie begannen die Weißen zu verachten wie einst Jugurtha das mächtige Rom. Nicht Deutschland, das Abendland hat den Weltkrieg verloren, als es die Achtung der Farbigen verlor.

Die Tragweite dieser Verschiebung des politischen Schwergewichts ist zuerst in Moskau begriffen worden. In Westeuropa begreift man sie noch heute nicht. Die weißen Herrenvölker sind von ihrem einstigen Rang herabgestiegen. Sie verhandeln heute, wo sie gestern befahlen, und werden morgen schmeicheln müssen, um verhandeln zu dürfen. Sie haben das Bewußtsein der Selbstverständlichkeit ihrer Macht verloren und merken es nicht einmal. Sie haben in der »Revolution von außen« die Wahl der Stunde aus der Hand gegeben, an Amerika und vor allem an Asien, dessen Grenze heute an der Weichsel und den Karpathen liegt. Sie sind seit der Belagerung Wiens durch die Türken zum erstenmal wieder in die Verteidigung gedrängt worden, und werden große Kräfte, seelisch wie militärisch, in der Hand sehr großer Männer aufbringen müssen, wenn sie den ersten gewaltigen Sturm überstehen wollen, der nicht lange auf sich warten lassen wird.

In Rußland sind 1917 beide Revolutionen, die weiße und die farbige, zugleich ausgebrochen. Die eine, flach, städtisch, der Arbeitersozialismus mit dem westlichen Glauben an Partei und Programm, von Literaten, akademischen Proletariern und nihilistischen Hetzern vom Schlage Bakunins im Verein mit der Hefe der großen Städte gemacht, rhetorisch und literarisch durch und durch, schlachtete die petrinische Gesellschaft von großenteils westlicher Herkunft ab und setzte einen lärmenden Kultus »des Arbeiters« in Szene. Die Maschinentechnik, der russischen Seele so fremd und verhaßt, war plötzlich eine Gottheit und der Sinn des Lebens geworden. Darunter aber, langsam, zäh, schweigend, zukunftsreich, begann die andere Revolution des Muschiks, des Dorfes, der eigentlich asiatische Bolschewismus. Der ewige Landhunger des Bauern, der die Soldaten von der Front trieb, um die große Landverteilung mitzumachen, war ihr erster Ausdruck. Der Arbeitersozialismus hat die Gefahr sehr bald erkannt. Nach anfänglichem Bündnis begann er mit dem Bauernhaß aller städtischen Parteien, ob liberal oder sozialistisch, den Kampf gegen dies konservative Element, das stets in der Geschichte alle politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bildungen in den Städten überdauert hat. Er enteignete den Bauern, führte die tatsächliche Leibeigenschaft und Fronarbeit, die Alexander II. seit 1862 aufgehoben hatte, wieder ein und brachte es durch feindselige und bürokratische Verwaltung der Landwirtschaft – jeder Sozialismus, der von der Theorie zur Praxis übergeht, erstickt sehr bald in Bürokratie – dahin, daß heute die Felder verwildert sind, der Viehreichtum der Vergangenheit auf einen Bruchteil zusammengeschmolzen und die Hungersnot asiatischen Stils ein Dauerzustand geworden ist, den nur eine willensschwache, zum Sklavendasein geborene Rasse erträgt.

Aber der »weiße« Bolschewismus ist hier rasch im Schwinden begriffen. Man wahrt nur noch das marxistische Gesicht nach außen, um in Südasien, Afrika, Amerika den Aufstand gegen die weißen Mächte zu entfesseln und zu leiten. Eine neue, asiatischere Schicht von Regierenden hat die halbwestliche abgelöst. Sie wohnt wieder in den Villen und Schlössern rings um Moskau, hält sich Dienerschaft und wagt es bereits, einen barbarischen Luxus zu entfalten im Geschmack der beutereichen Mongolenkhane des 14. Jahrhunderts. Es gibt einen »Reichtum« in neuer Form, der sich mit proletarischen Begriffen umschreiben läßt.

Man wird auch zum bäuerlichen Eigentum, zum Privateigentum überhaupt zurückkehren, was die Tatsache der Leibeigenschaft nicht ausschließt, und kann das, denn das Heer hat die Macht, nicht mehr die zivile »Partei«. Der Soldat ist das einzige Wesen, das in Rußland nicht hungert, und er weiß warum und wie lange. Diese Macht ist von außen unangreifbar infolge der geographischen Weite des Reiches, aber sie greift selbst an. Sie hat Söldner und Verbündete überall in der Welt, verkleidet wie sie selbst. Ihre stärkste Waffe ist die neue, revolutionäre, echt asiatische Diplomatie, die handelt statt zu verhandeln, von unten und hinten, durch Propaganda, Mord und Aufstand, und die damit der großen Diplomatie der weißen Länder weit überlegen ist, die ihren alten aristokratischen Stil, der aus dem Eskorial stammt und dessen letzter großer Meister Bismarck gewesen ist, selbst durch politisierende Advokaten und Journalisten noch nicht ganz verloren hat.

Rußland ist der Herr Asiens. Rußland ist Asien. Japan gehört nur geographisch dazu. Seiner »Rasse« nach steht es den östlichsten Malayen, den Polynesiern und manchen Indianervölkern der Westseite Amerikas zweifellos näher. Aber es ist zur See, was Rußland zu Lande ist: Herr eines weiten Gebietes, in dem abendländische Mächte keine Geltung mehr besitzen. England ist nicht entfernt in demselben Grade Herr in »seinem« Empire, nicht einmal in den farbigen Kronkolonien. Japan dehnt seinen Einfluß weithin aus. Es hat ihn in Peru und am Panamakanal. Die angebliche Blutsverwandtschaft zwischen Japanern und Mexikanern ist auf beiden Seiten gelegentlich betont und gefeiert worden. In Mexiko entstand Anfang 1914 in führenden indianischen Kreisen der »Plan von San Diego«, wonach eine Armee von Indianern, Negern und Japanern in Texas und Arizona einbrechen sollte. Die weiße Bevölkerung sollte massakriert, die Negerstaaten selbständig werden und ein größeres Mexiko als rein indianischer Rassestaat entstehen. Wäre der Plan zur Ausführung gekommen, so hätte der Weltkrieg mit einer ganz andern Verteilung der Mächte und auf Grund andrer Probleme begonnen. Die Monroedoktrin in Gestalt des Dollarimperialismus mit ihrer Spitze gegen Lateinamerika wäre damit vernichtet worden. Rußland und Japan sind heute die einzigen aktiven Mächte der Welt. Durch sie ist Asien das entscheidende Element des Weltgeschehens geworden. Die weißen Mächte handeln unter seinem Druck und merken es nicht einmal.

Dieser Druck besteht in der Tätigkeit der farbigen, rassemäßigen Revolution, welche sich der weißen des Klassenkampfes bereits als Mittel bedient. Von den Hintergründen der Wirtschaftskatastrophe ist schon gesprochen worden. Nachdem die Revolution von unten in Gestalt des Arbeitersozialismus durch die politischen Löhne Bresche gelegt hatte, drang die farbige Wirtschaft, von Rußland und Japan geführt, mit der Waffe niedriger Löhne ein und ist im Begriff, die Zerstörung zu vollenden. Dazu tritt aber die politisch-soziale Propaganda in ungeheurem Ausmaß, die eigentlich asiatische Diplomatie dieser Tage. Sie durchdringt ganz Indien und China. Sie hat auf Java und Sumatra zur Aufrichtung einer Rassefront gegen die Holländer und zur Zersetzung von Heer und Flotte geführt. Sie wirbt von Ostasien her um die sehr begabte indianische Rasse von Mexiko bis Chile und sie erzieht den Neger zum erstenmal zu einem Gemeinschaftsgefühl, das sich gegen die weißen Herrenvölker richtet.

Auch hier hat die weiße Revolution seit 1770 der farbigen den Boden bereitet. Die englisch-liberale Literatur von Mill und Spencer, deren Gedankengänge bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, liefert die »Weltanschauung« an den höheren Schulen Indiens. Den Weg von dort zu Marx finden dann die jungen Reforminder selbst. Der chinesische Revolutionsführer Sunyatsen hat ihn in Amerika gefunden. Daraus ist eine eigene Revolutionsliteratur entstanden, die in ihrem Radikalismus Marx und Borodin weitaus in den Schatten stellt.

Die Unabhängigkeitsbewegung des spanischen Amerika seit Bolivar (1811) ist ohne die englisch-französische Revolutionsliteratur von 1770 und das Vorbild Napoleons nicht zu denken, so wenig wie die nordamerikanische gegen England. Ursprünglich war das ein Kampf ausschließlich zwischen Weißen – der kreolischen, grundbesitzenden Aristokratie, die seit Generationen im Lande lebte, und der spanischen Beamtenschaft, die das koloniale Herrenverhältnis aufrechterhielt. Bolivar, ein reinblütiger Weißer wie Miranda und San Martin, hatte den Plan, eine Monarchie zu errichten, die von einer rein weißen Oligarchie gestützt werden sollte. Noch der argentinische Diktator Rosas – eine mächtige Gestalt »preußischen« Stils – vertrat diese Aristokratie gegen das Jakobinertum, das sehr bald von Mexiko bis zum äußersten Süden auftrat, in den kirchenfeindlichen Freimaurerklubs seine Stütze fand und die allgemeine Gleichheit, auch der Rassen, forderte: Damit begann die Bewegung der rein- und halbblütigen Indianer nicht nur gegen Spanien, sondern gegen das weiße Blut überhaupt. Sie ist unablässig fortgeschritten und steht heute nahe am Ziel. A. v. Humboldt schon hatte hier den Stolz auf die rein iberische Abkunft bemerkt, und noch heute lebt in den vornehmen Geschlechtern Chiles die Tradition der Herkunft von Westgoten und Basken fort. Aber in der Anarchie, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts herrschend wurde, ist diese Aristokratie zum großen Teil zugrunde gegangen oder nach Europa zurückgewandert. Die »caudillos«, kriegerische Demagogen aus der farbigen Bevölkerung, beherrschen die Politik. Darunter sind reinblütige Indianer von sehr großen Anlagen wie Juarez und Porfirio Diaz. Heute beträgt die weiße oder sich für weiß haltende Oberschicht, von Argentinien abgesehen, ein Viertel bis ein Zehntel der Bevölkerung. In manchen Staaten sind die Ärzte, Advokaten, Lehrer, sogar die Offiziere fast ausschließlich Indianer und fühlen sich dem Mischlingsproletariat der Städte, dem Mechopelo, im Haß gegen den weißen Besitz verwandt, ob er sich nun in kreolischen, englischen oder nordamerikanischen Händen befindet. In Peru, Bolivia und Ecuador ist das Aymara die zweite Verwaltungs- und Unterrichtssprache. Man treibt mit Betonung einen Kult mit dem angeblichen Kommunismus der Inkas und wird darin von Moskau unterstützt. Das Rasseideal einer reinen Indianerherrschaft steht vielleicht dicht vor seiner Verwirklichung.

In Afrika ist es der christliche Missionar, vor allem der englische Methodist, der in aller Unschuld – mit seiner Lehre von der Gleichheit aller Menschen vor Gott und der Sünde des Reichseins – den Boden pflügt, auf dem der bolschewistische Sendbote sät und erntet. Außerdem folgt von Norden und Osten her, heute schon gegen den Sambesi vordringend (Nyassaland), der islamische Missionar seinen Spuren mit weit größerem Erfolg. Wo gestern eine christliche Schule stand, steht morgen eine Moscheehütte. Der kriegerische, männliche Geist dieser Religion ist dem Neger verständlicher als die Lehre vom Mitleid, die ihm nur die Achtung vor den Weißen nimmt; und vor allem ist der christliche Priester verdächtig, weil er ein weißes Herrenvolk vertritt, gegen das sich die islamische Propaganda, mehr politisch als dogmatisch, mit kluger Entschiedenheit richtet.

Diese farbige Gesamtrevolution der Erde schreitet unter sehr verschiedenen Tendenzen vor, nationalen, wirtschaftlichen, sozialen; sie richtet sich öffentlich bald gegen weiße Regierungen von Kolonialreichen (Indien) oder im eigenen Lande (Kapland), bald gegen eine weiße Oberschicht (Chile), bald gegen die Macht des Pfundes oder Dollars, eine fremde Wirtschaft überhaupt, auch gegen die eigene Finanzwelt, weil sie mit der weißen Geschäfte macht (China), gegen die eigene Aristokratie oder Monarchie; religiöse Momente treten hinzu: der Haß gegen das Christentum oder gegen jede Art von Priestertum und Orthodoxie überhaupt, gegen Sitte und Brauch, Weltanschauung und Moral. Aber in der Tiefe liegt seit der Taipingrevolution in China, dem Sepoyaufstand in Indien, dem der Mexikaner gegen Kaiser Maximilian überall ein und dasselbe: der Haß gegen die weiße Rasse und der unbedingte Wille, sie zu vernichten. Es ist dabei gleichgültig, ob uralte müde Zivilisationen wie die indische und chinesische ohne fremde Herrschaft fähig sind, Ordnung zu halten; es kommt nur darauf an, ob sie imstande sind, das weiße Joch abzuwerfen, und das ist der Fall. Wer unter den farbigen Mächten der nächste Herr ist, ob Rußland, ob Japan, ob ein großer Abenteurer mit einem Heerhaufen hinter sich, gleichviel von welcher Herkunft, das wird später oder auch gar nicht entschieden. Die altägyptische Zivilisation hat seit 1000 v. Chr. sehr viele Herren gewechselt – Libyer, Assyrer, Perser, Griechen, Römer –, sie war zur Selbstregierung nie wieder fähig, aber immer wieder zu einem siegreichen Aufstand. Und ob von den vielen andern Zielen auch nur eines verwirklicht wird oder werden kann, das ist zunächst vollkommen Nebensache. Die große geschichtliche Frage ist, ob der Sturz der weißen Mächte gelingt oder nicht. Und darüber hat sich eine schwerwiegende Einheit des Entschlusses ausgebildet, die zu denken gibt. Und was besitzt die weiße Welt an Kräften des seelischen und materiellen Widerstandes gegen diese Gefahr?


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