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So sieht das Zeitalter der Weltkriege aus, in dessen Anfängen wir uns erst befinden. Aber dahinter erscheint das zweite Element der ungeheuren Umwälzung, die Weltrevolution. Was will sie? Worin besteht sie? Was hat das Wort im tiefsten Grunde zu bedeuten? Man versteht seinen vollen Inhalt heute so wenig wie den geschichtlichen Sinn des ersten Weltkrieges, der eben erst hinter uns liegt. Es handelt sich nicht um die Bedrohung der Weltwirtschaft durch den Bolschewismus von Moskau, wie es die einen, und nicht um die »Befreiung« der Arbeiterklasse, wie es die andern meinen. Das sind nur Fragen der Oberfläche. Vor allem: diese Revolution droht nicht erst, sondern wir stehen mitten darin, und nicht erst seit gestern und heute, sondern seit mehr als einem Jahrhundert. Sie durchkreuzt den »horizontalen« Kampf zwischen den Staaten und Nationen durch den vertikalen zwischen den führenden Schichten der weißen Völker und den andern, und im Hintergrund hat schon der weit gefährlichere zweite Teil dieser Revolution begonnen: der Angriff auf die Weißen überhaupt von Seiten der gesamten Masse der farbigen Erdbevölkerung, die sich ihrer Gemeinschaft langsam bewußt wird.
Dieser Kampf herrscht nicht nur zwischen den Schichten von Menschen, sondern darüber hinaus zwischen den Schichten des Seelenlebens bis in den einzelnen Menschen hinein. Fast jeder von uns hat diesen Zwiespalt des Fühlens und Meinens in sich, obwohl er das gar nicht weiß. Deshalb kommen so wenige zu der klaren Einsicht, auf welcher Seite sie wirklich stehen. Aber gerade das zeigt die innere Notwendigkeit dieser Entscheidung, die weit über das persönliche Wünschen und Wirken hinausgeht. Mit den Schlagworten, welche der herrschenden Mode des Denkens entstammen, Bolschewismus, Kommunismus, Klassenkampf, Kapitalismus und Sozialismus, mit denen jeder die Frage genau umschrieben glaubt, weil er nicht in die Tiefe der Tatsachen zu sehen vermag, ist da sehr wenig gewonnen. Das gleiche hat sich in allen vergangenen Kulturen auf der gleichen Stufe zugetragen, so wenig wir im einzelnen davon wissen.
Aber von der Antike wissen wir genug. Der Höhepunkt der revolutionären Bewegung liegt in der Zeit von Tib. und C. Gracchus bis auf Sulla, aber der Kampf gegen die führende Schicht und deren gesamte Tradition begann schon ein volles Jahrhundert früher durch C. Flaminius, dessen Ackergesetz von 232 Polybius (II, 21) mit Recht als den Anfang der Demoralisation der Volksmasse bezeichnet hat. Diese Entwicklung wurde nur vorübergehend durch den Krieg gegen Hannibal unterbrochen und abgelenkt, gegen dessen Ende bereits Sklaven in das »Bürgerheer« eingestellt worden sind. Seit der Ermordung der beiden Gracchen – und ihres großen Gegners, des jüngeren Scipio Afrikanus – schwinden die staatserhaltenden Mächte altrömischer Tradition schnell dahin. Marius, aus dem niederen Volk und nicht einmal aus Rom stammend, stellte das erste Heer auf, das nicht mehr auf Grund der allgemeinen Wehrpflicht, sondern aus besoldeten, ihm persönlich anhängenden Freiwilligen gebildet war, und griff mit ihm rücksichtslos und blutig in die inneren Verhältnisse Roms ein. Die alten Geschlechter, in denen seit Jahrhunderten staatsmännische Begabung und sittliches Pflichtbewußtsein herangezüchtet worden waren und denen Rom seine Stellung als Weltmacht verdankte, wurden zum guten Teil ausgerottet. Der Römer Sertorius versuchte mit den barbarischen Stämmen Spaniens dort einen Gegenstaat zu gründen, und Spartakus rief die Sklaven Italiens zur Vernichtung des Römertums auf. Der Krieg gegen Jugurtha und die Verschwörung Catilinas zeigten den Verfall der herrschenden Schichten selbst, deren entwurzelte Elemente jeden Augenblick bereit waren, den Landesfeind und den Pöbel des Forums für ihre schmutzigen Geldinteressen zu Hilfe zu rufen. Sallust hatte vollkommen recht: Am baren Gelde, nach dem der Pöbel und die reichen Spekulanten gleich gierig waren, sind die Ehre und Größe Roms, seine Rasse, seine Idee zugrunde gegangen. Aber diese großstädtische, von allen Seiten her zusammengelaufene Masse wurde – wie heute – nicht von innen heraus mobilisiert und organisiert, um ihr »Recht« auf Selbstregierung, ihre »Freiheit« vom Druck der herrschenden Schichten zu erkämpfen, sondern als Mittel für die Zwecke von Geschäftspolitikern und Berufsrevolutionären. Aus diesen Kreisen hat sich die »Diktatur von unten« als die notwendige letzte Folge der radikalen demokratischen Anarchie entwickelt, damals wie heute. Polybius, der staatsmännische Erfahrung und einen scharfen Blick für den Gang der Ereignisse besaß, sah das schon dreißig Jahre vor C. Gracchus mit Sicherheit voraus: »Wenn sie hinter hohen Staatsämtern her sind und sie nicht auf Grund persönlicher Vorzüge und Fähigkeiten erhalten können, dann verschwenden sie Geld, indem sie die Masse auf jede Art ködern und verführen. Die Folge ist, daß das Volk durch dies politische Strebertum ans Geschenknehmen gewöhnt und begehrlich nach Geld ohne Arbeit wird: Damit geht die Demokratie zu Ende, und es tritt die Gewalt und das Recht der Fäuste an ihre Stelle. Denn sobald die Menge, die von fremdem Eigentum zu leben und die Hoffnung für ihren Unterhalt auf den Besitz anderer zu gründen sich gewöhnt hat, einen ehrgeizigen und entschlossenen Führer findet, geht sie zur Anwendung der Macht ihrer Fäuste über. Und jetzt, sich zusammenrottend, wütet sie mit Mord und Vertreibung und eignet sich den Besitz der anderen an, bis sie völlig verwildert in die Gewalt eines unumschränkten Diktators gerät.« – »Die eigentliche Katastrophe wird jedoch durch die Schuld der Masse herbeigeführt werden, wenn sie durch die Geldgier der einen sich geschädigt glaubt, während der Ehrgeiz der andern, ihrer Eitelkeit schmeichelnd, sie zur Selbstüberschätzung verführt. In der Wut wird sie sich erheben, wird bei allen Verhandlungen nur der Leidenschaft Gehör geben, wird denen, welche den Staat leiten, keinen Gehorsam mehr leisten, ja ihnen nicht einmal Gleichberechtigung zugestehen, sondern in allem das Recht der Entscheidung für sich fordern. Wenn es dahin kommt, wird der Staat sich mit den schönsten Namen schmücken, denen der Freiheit und Regierung des Volkes durch sich selbst, aber in Wirklichkeit wird er die schlimmste Form erhalten haben, die Ochlokratie, die Diktatur des Pöbels.«
Diese Diktatur droht heute den weißen Völkern nicht etwa, sondern wir befinden uns unter ihrer vollen Herrschaft, und zwar so tief und so selbstverständlich, daß wir es gar nicht mehr bemerken. Die »Diktatur des Proletariats«, das heißt seiner Nutznießer, der Gewerkschaften und der Parteifunktionäre aller Richtungen, ist eine vollzogene Tatsache, ob die Regierungen nun von ihnen gebildet oder infolge der Angst des »Bürgertums« von ihnen beherrscht werden. Das hatte Marius gewollt, aber er scheiterte an seinem völligen Mangel staatsmännischer Begabung. Davon besaß sein Neffe Cäsar um so mehr, und er hat die furchtbare Revolutionszeit durch seine Form der »Diktatur von oben« beendet, die an die Stelle der parteimäßigen Anarchie die unumschränkte Autorität einer überlegenen Persönlichkeit setzte, eine Form, der er für immer den Namen gegeben hat. Seine Ermordung und deren Folgen konnten nichts mehr daran ändern. Von ihm an gehen die Kämpfe nicht mehr um Geld oder Befriedigung des sozialen Hasses, sondern nur noch um den Besitz der absoluten Macht.
Mit dem Kampf zwischen »Kapitalismus« und »Sozialismus« hat das gar nichts zu tun. Im Gegenteil: die Klasse der großen Finanzleute und Spekulanten, die römischen equites , was seit Mommsen ganz irreführend mit Ritterschaft übersetzt wird, haben sich mit dem Pöbel und seinen Organisationen, den Wahlklubs ( sodalicia ) und bewaffneten Banden wie denjenigen des Milo und Clodius, immer sehr gut verstanden. Sie gaben das Geld her für Wahlen, Aufstände und Bestechungen, und C. Gracchus hat ihnen dafür die Provinzen zur unumschränkten Ausbeutung unter staatlicher Deckung preisgegeben, in denen sie namenloses Elend durch Plünderung, Wucher und den Verkauf der Bevölkerung ganzer Städte in die Sklaverei verbreiteten, und darüber hinaus die Besetzung der Gerichte, in denen sie nun über ihre eigenen Verbrechen urteilen und sich gegenseitig freisprechen konnten. Dafür versprachen sie ihm alles, und sie ließen ihn und seine ernstgemeinten Reformen fallen, als sie ihren eigenen Vorteil in Sicherheit gebracht hatten. Dieses Bündnis zwischen Börse und Gewerkschaft besteht heute wie damals. Es liegt in der natürlichen Entwicklung solcher Zeiten begründet, weil es dem gemeinsamen Haß gegen staatliche Autorität und gegen die Führer der produktiven Wirtschaft entspringt, welche der anarchischen Tendenz auf Gelderwerb ohne Anstrengung im Wege stehen. Marius, ein politischer Tropf wie viele volkstümliche Parteiführer, und seine Hintermänner Saturninus und Cinna dachten nicht anders als Gracchus; und Sulla, der Diktator der nationalen Seite, richtete deshalb nach der Erstürmung Roms unter den Finanzleuten ein furchtbares Gemetzel an, von dem sich diese Klasse nie wieder erholt hat. Seit Cäsar verschwindet sie als politisches Element vollständig aus der Geschichte. Ihr Dasein als politische Macht war mit dem Zeitalter der demokratischen Parteianarchie aufs engste verbunden und hat es mithin nicht überlebt.