Fjodor Ssologub
Der Kuß des Ungeborenen und andere Novellen
Fjodor Ssologub

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XVIII.

Zwei Frauen waren aneinander geraten. Sie kämpften stumm und erbittert. Die eine hatte die Finger der andern in den Mund gesteckt und bemühte sich, ihr die Backe zu zerreißen. Man sah Blut und hörte ein durchdringendes Kreischen.

Man stach aufeinander mit Messern los, um sich einen Weg zu bahnen. Die Erstochenen wurden sofort niedergetrampelt. Der Mörder fiel manchmal auf den Ermordeten hin, und beide versanken unter den Füßen der rasenden Menge.

Viele waren in den Graben gestürzt. Andere fielen über sie hin. Der Graben war in kurzer Zeit von einer Menge röchelnder, in furchtbaren Qualen sterbender Menschen gefüllt. Die Teufel traten sie mit ihren schweren Stiefeln nieder.

Ein rothaariger Kerl, der dicht vor Ljoscha stand, bemühte sich schon seit geraumer Zeit, in die Höhe zu kommen. Er arbeitete verzweifelt mit den Ellenbogen und drückte auf die Schultern der neben ihm Stehenden. Er schrie etwas Unverständliches und lachte heiser.

Anfangs konnte man nicht begreifen, was er wollte und was mit ihm vorging. Plötzlich stieg er in die Höhe und verdeckte für einige Augenblicke alles, was Ljoscha vor Augen hatte.

Seine sinnlosen Schreie fielen auf die stumpfe Menge wie scharfe, pfeifende Peitschenhiebe nieder, und seine gleichsam vom Himmel tönende näselnde Stimme war seltsam anzuhören. Nun konnte man auch schon verstehen, was er schrie.

Seine Worte waren Gotteslästerung und Schmähen und unflätiges Fluchen.

Plötzlich fiel er um und stieß Ljoscha mit dem Stiefelabsatz in die Stirne.

Er erhob sich aber gleich wieder. Nun stand er schon auf allen Vieren und hielt sich am Zopf eines halberdrückten Mädchens fest. Dann stieg er auf jemands Schultern.

Rothaarig, mit rotem Kopf, wahnsinnig lachend, trat er auf die Köpfe und Schultern.

Einem Teufel ähnlich, schritt er mit seinen schweren Stiefeln über die zusammengepreßte, wild brüllende Menge dahin.

Der vor Übelkeit verschmachtende Ljoscha sah durch den blutroten Nebel, der ihm die Augen verhüllte, wie ein Riesengroßer, der mit dem Kopf bis in den Himmel und noch höher ragte, – ein Mensch oder ein Teufel, oder beides zugleich, – über die Köpfe der Sterbenden und Erstickenden dahinging, furchtbare Gotteslästerungen ausstoßend.

Die Menge drängte sich vorne in die schmalen Durchgänge zwischen den Bretterbuden hinein. Man hörte von dort ein Schreien, Winseln und Stöhnen. Man sah Mützen und Kleiderfetzen durch die Luft wirbeln.

Irgendein blonder Kopf stieß einige Mal an die scharfe Ecke einer der Buden an, blieb dann leblos hängen und verschwand plötzlich, vom Menschenstrome fortgetragen.

Es sah so aus, als ob sich um die Bretterbuden lauter Riesen drängten. Es war so seltsam, die Köpfe in der Höhe der Dächer zu sehen. Die Leute standen auf den Körpern der Niedergetrampelten.

Hinter den Buden erhob sich das triumphierende Geheul der Sieger. Bunte Fetzen flogen durch die Luft.

Ljoscha und seine Schwestern wurden in einen der Durchgänge zwischen den Buden hineingestoßen.

Hier war es unerträglich eng. Ljoscha glaubte, daß alle seine Knochen gebrochen seien. Schwer lasteten auf seinen Schultern die zermalmten Körper seiner Schwestern.

Nun war der schmale Durchgang zu Ende.

Hinter der Bude winkte Freiheit, Licht und Freude.

»Gleich werde ich sterben!« sagte sich Ljoscha und lächelte selig.

Einen Augenblick lang sah er irgendein rotes freudestrahlendes Gesicht und einen Mann, der ein Bündel mit Geschenken über dem Kopfe schwang.

Und er sank hin.

Beide Schwestern fielen über ihn und bedeckten ihn mit ihren zermalmten Körpern.

Ljoscha fühlte, wie viele Füße über ihn dahinliefen.

Jeder Schritt der teuflischen Füße tat dem Körper furchtbar weh.

Jemand trat ihm mit dem Absatz auf den Nacken.

Nur einen kurzen Augenblick fühlte er Übelkeit.

Dann kam der Tod.

 


 


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