Fjodor Ssologub
Der Kuß des Ungeborenen und andere Novellen
Fjodor Ssologub

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XXX.

Ein Vormittag. Die Mutter ist allein zu Hause. In wirre Gedanken vertieft, irrt sie von Zimmer zu Zimmer.

An der weißen Türe sieht sie ihren eigenen Schatten. Er ist im zerstreuten Lichte der durch den Nebel durchscheinenden Sonne verschwommen. Die Mutter bleibt vor der Türe stehen und hebt die Hand mit seltsamer Gebärde. Der Schatten an der Türe erzittert und raunt ihr etwas Bekanntes und Trauriges zu. Jewgenia Stepanownas Herz ist von einer seltsamen Wonne erfüllt. Sie bewegt, vor der Türe stehend, beide Hände und beobachtet mit wahnsinnigem Lächeln das Gleiten des Schattens.

In der Nähe ertönten Praskowjas Schritte, und Jewgenia Stepanowna kam zur Besinnung und sah, daß sie etwas Unsinniges machte . . .

Und wieder ist es ihr so bange zumute . . .

»Wir müssen in eine andere Umgebung kommen,« denkt sie sich: »Weit von hier fortreisen, irgendwohin, wo es Neues gibt . . .

»Fliehen, fliehen . . .«

Plötzlich fallen ihr Wolodjas Worte ein:

»Auch dort wird eine Wand sein . . . Überall sind Wände.«

»Es gibt keinen Ort, wohin ich entfliehen könnte!«

Verzweifelt ringt sie die blassen, schönen Hände.


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