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Kapitel 25.
Organo pleno, C-Dur

Wo kein Zaun ist, wird das Gut verwüstet,
und wo keine Hausfrau, da ist's dem Manne,
als ginge er in die Irre.

Jesus Sirach.

Der erste Frühzug hat uns zusammen aufs Land hinausgebracht, in ein abgelegenes und wundersam grün eingebettetes Dorf. Es hatte die Tage vorher geregnet, und davon erglänzen heute überall noch eins so schön die Farben. Weht ein frischer Atem über die vielfach bereits abgeernteten Getreidefelder, über die neuüberblumten Wiesen, die schon leise gilbenden Kartoffelfelder. Der Segen in den Obstbäumen fängt schon an sich verführerisch zu röten. Die Leute sind überall an der Feldarbeit, den letzten Weizen fährt man ein und Hafer, und rarrtschen hier und da auch schon die Sensen durch den Grummet.

Auf einer Anhöhe die schiefergedeckte kleine Dorfkirche und darum herum der Friedhof, und hier kann man die ganze Feldmark weitherum übersehen, bis wo am Fuß der Berge die Wälder ansetzen.

Nun ist's soweit. Im Zwiebeltürmchen oben fängt's an, und das Geläute aber, es gilt uns. Ein sonderbar Glöcklein, recht kesselig ist's im Klang, und es läutet so ungemein hurtig, ganz atemlos. Soll jeder eilige Ton viel Glück uns bringen in der Ehe.

Die Leute recken unterm Läuten neugierig den Hals. Schon recht, besser allemal eine Trauung als ein Begräbnis.

Auch mir ist's recht, der ich an ihrer Seite sitze und stolz im herrschaftlichen Wagen, und davor die Rappen trippeln und tänzeln, es prickt sie der Hafer.

Eine hochgestellte Freundin und Gönnerin von ihr stiftet uns die Hochzeit.

Marie, meine Brahmssängerin, im Schleier und Myrtenkranz! Ich halte fest ihre Hand in der meinen.

Man winkt, man nickt überall im Dorfe dem jungen Ehepaare freundlich zu.

Ein Pfauenauge vor uns. Nun zickzack, mit scharfem Gesurre ein stahlblauer Schillebold. In den Fensterchen und Hausgärten an der langen Dorfstraße blühen die Geranien, Dahlien, die Kressen, Petunien, und Goldlack-, Resedaduft, und auch aus den abgeblühten Linden kommt mit dem Winde hin und wieder immer noch ein Rüchlein.

Organo pleno empfängt uns im Kirchlein der wackere Herr Kantor mit allen seinen zwölf klingenden Stimmen, Koppeln und Mixturen. Die Orgel ist erst kürzlich umgebaut und erweitert worden, und so kann der Herr Kantor gehörig in die Vollen gehen. Ein langmächtig Präludium läßt er erbrausen. Eigene Invention. C-Dur, viel C-Dur. Nun F-Dur, G-Dur, schlecht und recht, und auch Moll, ein paar Takte, A-Moll. Ein riesenlanger Orgelpunkt zuletzt, nach der Regel und durch die ganze Kirche hin, auch noch ein Stück die Dorfstraße hinauf: will wohl der Herr Kantor das junge Paar ermahnen damit, immerdar ehrbarlich zu wandeln, den geraden Weg hin der Pflicht.

Auch danach die überschwenglich guten Worte des Herrn Pfarrers gehen in C-Dur!

Im Schloßpark die Feier. Unter dichtbelaubten, alten Platanen lassen wir's an prächtig blumengeschmückter Tafel uns wohl sein. Feiern noch mit sieben Personen. Freund Hasselbrink bringt das Hoch auf uns aus und in selbstgedichteten Versen, mit verschiedentlichen, hm, ironischen Spitzen. Darauf stellt man sich zusammen, Kammermusikus Lerchensporn gibt leise den Ton an, und es erklingt uns zu Ehren der Bachchoral, der herrliche:

»Gloria sei dir gesungen,
Mit Menschen- und mit Engelzungen,
Mit Harfen und mit Zymbeln schön!«

Die Gläser klingen zusammen. Man scherzt, man lacht, und auch manch erwecklich Wörtlein wird geredet.

Dabei enteilte die Zeit. Höchste Eile war schließlich vonnöten, um in der ziemlich entfernten Bahnstation die Züge zur Abfahrt noch zu erreichen, und zwar beiderseits: die Gäste den Zug stadteinwärts – das junge Ehepaar dagegen den Zug stadtabwärts, der in die Berge es bringen soll, auf die Hochzeitsreise. So kam's, gottleider, wahrhaftig es blieb unberührt die beste Hochzeitsschüssel, sie blieb stehen, als bloßes Schaugericht, wurde schmählich vergessen! Heringssalat, lukullisch zubereitet und abgeschmeckt von der sehr erfahrenen alten Exzellenz selber.

Plangemäß ganze drei Tage dauerte die Hochzeitsreise, denn mit dem Wochenbeginn am Montag, pünktlich früh um acht, sollen die Stunden wieder beginnen, ihre Gesangs- und meine Klavier- und Theoriestunden, und zwar in der neuen gemeinsamen Wohnung jetzt, unter gemeinsamer Musikantenfirma.

* * *

Es glückte uns, in gemeinsamer Arbeit, vokaliter und instrumentaliter. Wir kamen aus, wir legten sogar zurück ein weniges und taten's mit Stolz. Bei ihren ausgesprochenen pädagogischen Anlagen – ihr geriet's besonders wohl. Mir dagegen pochte das pädagogische Pülslein freilich nur schwach, leider, nur der Not gehorchend, war ich Musikschulmeister, nicht aus innerem Trieb. Der Schulmeister lag mir nun einmal nicht, in keiner Form. Die Meinige aber, ich merkte es wohl, sinnend betrachtete sie mich manchmal: wie mir wohl wäre zu helfen?

Nach einiger Zeit heißt's, sich entschließen wohl oder übel zur Veranstaltung einer musikalischen Aufführung, um damit sich zu bringen in empfehlende Erinnerung, und nun hab' ich den Ehrgeiz, nicht nur als Begleiter, sondern auch selbständig mit einer eigenen Klaviernummer möchte ich hervortreten. Fliegt doch die Motte immer wieder ans Licht, so lange bis sie verbrennt. Die Räubersonate. Jawohl, die wähle ich. Und so übe ich natürlich wieder mehr, auch rein technisch, zur Vorbereitung, ich vergesse mich, komme in Übereifer, überanstrenge wieder meine Hände, meine Nerven. Die allerschlimmsten Folgen gleich wiederum, ich bin, ach, wieder in tiefster Verzweiflung! Vorbei ist's wieder mit mir als ausübender Musikus, und durch die Räubersonate, ach, sie ist jetzt mein Schwanenlied!

Als ich mit meinen jämmerlichen, gebrochenen Musenflügeln eines Abends elend so dasitze und grübele, tritt plötzlich keck die Meinige an mich heran:

»Weiß eine Rettung für dich. Versuch es wenigstens.«

Und sie entzupft gewissermaßen meinen jämmerlichen gebrochenen Musenflügeln für mich einen Federkiel:

»Schreibe – schreibe, was innerlich dir die Musik ist, was die Meister dir bedeuten, wie du in sie eingedrungen bist, in ihnen lebst, aufgehst, wie du sie auffaßt, empfindest, versuch das auszudeutschen, du hast ja wahrhaftig genug erlebt als Musikant, meine ich, um's zu können!«

Frauen sind findig, das lehrt auf jedem Blatt die Weltgeschichte.

Im Nachsinnen über mein Mißgeschick und wie mir wohl aufzuhelfen wäre, bei meinen vielfachen Anlagen – welche davon wohl nutzbar gemacht werden könnte und wie, alle Möglichkeiten erwägend, waren ihr endlich meine Briefe eingefallen, die ich ihr geschrieben hatte, so oft auch aus besonderer Laune heraus, aus reiner Lust wahrhaftig auch am Fabulieren. Viele davon, und zwar die besten, hatte sie nun wieder gelesen. Ihre Vermutung hatte ihre Bestätigung gefunden.

Ehe ich zu antworten vermag, wirft sie einen ganzen Packen davon auf den Tisch vor mich hin. Darauf setzt sie sich zu mir, wie der Engel zum verzagten Elias unterm Wacholderbusch, und einen nach dem anderen liest sie laut mir vor und schier übertrieben – fast unangenehm ausdrucksvoll, beinahe pathetisch.

Ich wehre ab, will aufbegehren, will davonlaufen. Sie aber hält am Rockschoß mich fest, ich muß ihr standhalten.

Mit meinen launigen Schilderungen von Menschen und Dingen, Natur, Leben und besonders Musik hatte ich ihr immer viel Freude gemacht, das wußte ich, und rein deshalb schon war ich mit meiner Feder immer kühner und unternehmender geworden. So wurden förmliche Geschichten manchmal daraus. Auch Verse widmete ich ihr, verliebte und andere. Unwillkürlich war ich damit wieder auf meine dritte Kraftstation zurückgekommen.

Ich schrieb ihr diese langen Briefe immer, wenn sie in den Ferien draußen auf dem Schlosse weilte, bei der alten Exzellenz.

Wie liebte sie das grüne Dorf! Ihre besten Freuden hatte sie dort genossen, frei von gemeinen Sorgen und allem, was ihr das Leben daheim so vielfach vergällte. Seit unserer Hochzeit da liebe natürlich auch ich das Dorf und Schloß, die vogelreichen Wälder, Wiesen, die großen schilf- und binsenumsäumten Teiche, worauf die Bläßhühner, Wildenten, Taucher herumschwimmen und locken. Auch ich weilte seitdem manchmal dort.

Ich bezwinge meinen Widerwillen, mir selber zuzuhören, und halte aus, meinen guten Willen soll sie wenigstens sehen.

»Ich bitte dich, versuch's, sofort, tu's, hier hast du Feder und Papier.«

Ich winde mich zwar erst noch eine Weile, immerhin ich gehorche ihr. Noch am selben Abend entwerfe ich meine erste musikalische Novelle. Ich denke an mein Heimatsdorf, im sonntäglichen Frieden. Mit seiner mir unendlich lieben, alten Kirche bringe ich in Verbindung den wackeren Kantor bei unserer Trauung. An seiner Orgel lasse ich ihn sitzen, und zwar am Tage seiner Orgelweihe, jedoch nicht sich selber spielt er, sondern von Bach das Präludium in C-Dur, aus der Orgelwerke drittem Band. Dies, mir vom Oberförster erschlossene C-Dur-Präludium – unzählige Male hab' ich selber es gespielt, entzückt, hingerissen immer davon, es ist ein Bachpräludium aber auch sondergleichen, »oh, daß ich tausend Zungen hätte« zu beschreiben diese Töne einer wahrhaft göttlichen, schöpferischen Kraft, ewig nicht loskomme ich von diesem C-Dur-Präludium!

Wie die Musik, die wahre, echte, seelenveredelnde – Bach! – das Leben eines solchen richtigen Kantors verklärt und damit auch den Gottesdienst der Gemeinde, schildere ich. In meine alte Heimat, deren Menschen und Verhältnisse mir genau vertraut sind, verlege ich natürlich alles. –

Die Sache gelingt mir. Und aus meiner Erinnerung greife ich immer neue Stoffe auf und gestalte sie in ähnlicher Weise zu Erzählungen, mit immer neuen Variationen über mein altes Thema: die Musik in ihrer Wirkung auf die Seelen einfacher Menschen, in der Stille, fernab vom Getriebe der Welt. Musikalische Schilderung verbindet darin sich mit reichlicher Naturschilderung, aus heimweherfülltem Herzen, mit Volks- und Sittenschilderung. Ein neues und – endlich! – fruchtbares Leben geht mir damit auf. Endlich, endlich ein ersprießliches Wirken, ich hab' nach langem Herumirren damit endlich mich selber gefunden in einer Betätigung, wie sie – endlich, endlich! – der Eigentümlichkeit meiner Veranlagung entspricht.

* * *

Nach einiger Zeit will ich das Fertiggewordene einmal wieder vornehmen und durchsehen. Ich finde aber die Schublade leer, und da hatte ich's doch, wie ich meinte, in sicherer Bewahrung.

Die Meinige kommt und sieht schlau mich an:

»Gedulde dich noch eine Weile, wirst's wiedersehen, wenn auch anders – aber das nur äußerlich und – und – na, kurz und gut, du wirst dich dann jedenfalls freuen!«

Ich lasse mich beruhigen. Denn ich bin geladen, ich beginne was Neues, das soll gipfeln in nichts Geringerem als einer feurigen Schilderung der Eroica, so wie ich sie erlebt habe damals unter Hans von Bülow.

Kurz danach, am frühen Morgen, und ich liege noch in den Federn, plötzlich klingelt's. Ich höre, wie man hineilt, herumhastet. Und jäh fliegt nun die Tür zu mir auf und die Meinige auf mich zu, triumphierend:

»Angenommen! Dein erstes Manuskript, du, Viktoria, es wird gedruckt! Der Geldbriefträger, schau, war eben schon da, und hier, halt deine Hand auf, nimm: pinkpink, das erste Honorar!«

Bleibt im freudigen Schreck mir der Mund offen stehen, starr, ganz abwesend schaue ich sie an, ich mache Augen wie ein jäh vom Himmel gefallener Frosch.

»Wenn auch verdorben,« fährt stürmisch sie fort und gibt mir einen herzhaften Kuß und immer noch einen, »gehörst dennoch weiter mit zu den Musikanten! Wer so viel Musik in sich hat, wer Musik so voller Begeisterung ausdeutschen kann wie du, – na, ich meine! Siehst du, Lieber, und so tun's Worte in deinem Falle freilich doch!«

* * *


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