Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mit der Erschließung Bachs erhielten mein Geschmack und meine musikalische Entwicklung die letzte Weihe. Sebastian Bach vor allem ist mir geworden Anker und Hafen für mein ganzes späteres musikalisches Leben. Im Verein mit Beethoven, selbstverständlich, und zuletzt noch Johannes Brahms, als den drei herrlichsten Meistern tiefster deutscher Innerlichkeit.
Ich saß nun in jeder freien Minute an meinem braven alten Fortepiano und studierte Bach. Schnell überwand ich alle die mannigfachen und großen Schwierigkeiten der Form und Technik, und ich drang immer tiefer ein in die Kunst, in das ungeheure Gefühlsleben des »Urvaters der Harmonie«. Der ungewohnte kontrapunktische, strenge Stil –: aber ich ließ nicht locker, übte mit zähem Fleiß, bis ich dahinter kam, warm wurde und auch die Poesie schließlich erfaßte, die die so herb und streng und in schärfster Logik gegeneinander geführten – kontrapunktierten Stimmen durchströmt! Wie aus dem Herzen das Blut fließt auch durch die winzigen Verästelungen der Adern.
Aus den mir mitgegebenen Sonaten für Violine und Klavier übte ich mir zunächst die F-Moll ein. Ihr seelenvoller erster Satz. Ein Dahinwandeln zu Zweien im Juni durch ein Ährenfeld. Im wogenden Korn ist's für Liebende so schön sicher. Ähren und nur immer Ähren, und hier und da ein blaues Auge, und freundlich zwinkernd, verstehend. Immer länger wünscht man sich den Weg, gar so viel hat man sich zu sagen. Gleich aber nach dem bang fragenden Halbschluß –: in der grausam zupackenden Fuge die Hatz durchs Leben. Und darauf im langsamen Satz, aus den Doppelgriffen der Violine klagt es, schluchzt es: verklungen ist mir Glück und Heil.
Regelmäßig jeden Sonnabend musizierten wir zusammen. Schon bald aber fielen Wermutstropfen hinein, und immer häufiger, schlimmer. Der Oberförster hatte seine besonderen bösen Zeiten, da stöhnte er mitten im Spiel, schrie auf, in seiner Angst vor den schreckhaften Ausgeburten seiner kranken Phantasie. Ich bekam ja gleich eine Vorahnung bei meinem ersten Besuch. So kam ich mir bei ihm am Klavier manchmal vor wie David, Duo spielend mit dem kranken König Saul zusammen. Und es ereignete sich: er bedrohte mich. Wie's David ja auch so erging. Saul tat's mit dem Spieß – der Oberförster mit dem Revolver. Vorher allerdings hatte er mich schon einmal vor sich gewarnt. Da hatte er mit besonderer Gier getrunken, er hatte sogar verschiedene Einsätze verpaßt, bis er schließlich mich gebeten hatte, ins Nebenzimmer zu gehen und hinter mir abzuschließen, daß ich da sicher wäre vor ihm. Kurz danach knallte er einmal in die ihm so unheimliche Ofenecke. Ein anderes Mal, nach dem Essen, und wir wollten gerade wieder anfangen, da ergriff er die Waffe, und lange betrachtete er sie, zuletzt sah er düster mich an: »Noch etwas Bach. Mein Ohr hat noch Appetit.«
Bald danach beobachtete ich: er zielte heimlich im Zimmer herum. In die Ofenecke. Auf alle möglichen Gegenstände. Sogar auf das Cello. Furchtbar, und jetzt auf mich! Gleich aber erblaßte er, setzte ab und tat die Waffe weg. Und dermaßen niedergedrückt war er danach, es war nichts mehr mit ihm anzufangen. Ich aber hielt's für geraten, bald mich zu empfehlen.
Jetzt war's lebensgefährlich geworden für mich geradezu, wieder hinzugehen. Ich kämpfte schwer. Ganz wegbleiben? Unmöglich! Denn wahrhaftig das Musizieren mit dem Oberförster, ach, es war ja das Einzigste, was mir das Leben in Mufrika überhaupt erträglich machte. Aber ich ging nun doch seltener hin. Das schien er zu verstehen, er machte mir nie auch nur den leisesten Vorwurf über mein Wegbleiben.
So verging der Sommer, im Kiekebusch die paar Laubbäume, meine Kummerbirken wurden kahl, die Heide wurde wieder grau und trübsinnig, und die Moorlöcher, die Kolke füllten, verbreiterten sich. Meine Heimwanderungen waren nun oft ziemlich ungemütlich. Trotzdem rastete ich noch manchmal am Kolk, und schaute ich hier in die mitgenommenen Noten – bei besonderen schönen Sätzen, wenn sie mein Blut neu wieder in Wallung brachten: an Adelaide dachte ich immer zuletzt, und mit wachsender Sorge, denn immer seltener hatte sie mir geschrieben und kürzer, einsilbiger. Kaum daß sie mit ein paar Worten einging auf alle meine wortreichen Schwärmereien über Bach, womit ich in letzter Zeit die Seiten hauptsächlich gefüllt hatte. Als hätte sie darüber eine geringschätzende Meinung.
Es verging der Herbst, der Winter, und es stieg wieder der Saft, es wurde wieder Frühling. Der Oberförster vernachlässigte immer ärger seinen Dienst. Es ging nicht mehr so weiter. So viele der Beschwerden, die »oben« über ihn eingelaufen waren, das Maß ist voll zum Überlaufen. Mein Verkehr mit ihm konnte natürlich nicht verborgen bleiben. Schon gleich die Kirchgänger, die mich gesehen hatten, am Kolk, und schlafend – betrunken also. Klatsch und Stank darob, Übertreibungen, Lügen, sich fortspinnend immer ärger. Unsere Musikabende waren natürlich Saufabende. Meine Bauern wandten sich nun gänzlich von mir ab. »Hei hat Grappen in'n Kopp, unse Schaulmester,« hieß es, »un wat da aewerst an schuld is, dat is sien oll dämlich Klavezimbel.« Wurde Hochwürden alles hinterbracht, und eine scharfe Verwarnung von ihm erfolgte, mit so einem »berüchtigten Trunkenbold und Atheisten« nicht mehr zu verkehren. Und ich ließ mich einschüchtern, ging ziemlich lange nicht mehr hin.
Plötzlich schreibt er mir, er möchte gern noch einmal mit mir musizieren. »Zum letztenmal.«
Vor der Partitur der Hohen Messe finde ich ihn, aufgeschlagen ist das erhabene sechsstimmige Sanktus, und zwischen den Partiturblättern aber liegt – ein unheimlicher Briefbeschwerer! – sein Revolver. Die Fensterläden sind geschlossen, brennen ringsum sämtliche Kerzen, es ist eine Stimmung im Zimmer, als wäre eine Leiche aufgebahrt.
Er stiert vor sich hin, tief und schlaff – so schlaff wie noch nie hängt ihm die Unterlippe herab. Wie Espenlaub zittern ihm die Hände. Nur mit einer Handbewegung begrüßt er mich.
»Gut, daß Sie noch einmal gekommen sind. Machte Ihnen gern noch eine Freude. Denken Sie nach: womit, kann ich nicht noch irgendwas für Sie tun?«
Sollte er mich durchschaut haben? Jetzt hat er mich direkt zu meiner Bitte aufgefordert. Zu stolz aber ist meine Zunge. Schamüberglüht schweige ich. Es arbeitet mächtig in mir, der Schweiß perlt mir von der Stirn, ich kämpfe einen Verzweiflungskampf. Ja nur ein Wort kostet mich's, so bin ich erlöst von Mufrika, von der Schulmeisterei, und mein Glück ist gemacht.
»Überlegen Sie sich's.«
Viel hat sich hier verändert seit unserm letzten Beisammensein. Ärger noch überall die Unordnung. Neben seinem Violoncello, einem dunkelrotbraunen, alten Maggini, lehnt sein Jagdgewehr. Schußspuren in der Ofenecke fallen mir auf. Verschiedene kristallene Leuchter sind zerschlagen. Eine drückende Luft ist im Zimmer. Und er selber – sein verwilderter Bart, sein unheimlicher Blick?
Ich merke bald, er ist innerlich nicht dabei, als wir nun spielen, und zwar auf seinen ausdrücklichen Wunsch die F-Moll, unser Leibstück. Unsicher ist sein Strich, er macht rhythmische Fehler, er kratzt, spielt unrein und oft ganz verworrenes Zeug. Er kommt überhaupt vollständig heraus, und wir brechen ab.
Sehr zu meiner Verwunderung fehlen heute die obligaten Flaschen.
Auf seine Bitte um ein Präludium aus dem Wohltemperierten, wähle ich das trauermarschartige B-Moll des ersten Teils, und ich nehme mich zusammen, spiele es bei meiner tiefen Erregung so gut, wie ich's nur irgend vermag.
Wie hatte früher gerade dieses Präludium ihn immer ergriffen! Heute bleibt er teilnahmslos. Kurz vorm Schluß, just auf der Fermate mit ihrem Schmerzensschrei, höre ich verdächtige Geräusche. Er ist eingeschlafen. –
Ich bleibe am Klavier hocken und starre in die Noten, bis sie verschwimmen ineinander vor meinen Blicken.
Peinliche Minuten vergehen.
Plötzlich aber reißt er am Klingelzug.
Sie kommen, die Zwanzig. Ganz so wie früher. Unter den Ponylocken die Blicke der Harpye sind scheel und boshaft, auch ganz so wie früher. Einen Stoß versetzt sie dem Korb, daß die Flaschen durcheinander klappern, ganz wie früher ja auch schon manchmal.
In schrecklicher Weise fängt der Oberförster an zu trinken. Mir aber ist's unmöglich, auch nur einen Tropfen über meine Lippen zu bringen.
Plötzlich hat er seine Guarneri wieder in der Hand, und er stimmt lange und umständlich, immer drehen die Wirbel in seinen zitternden Händen sich wieder zurück.
»Wollen, bitte, die F-Moll zu Ende bringen. Die Fuge.«
In die Saiten fegt er, in einem sinnlosen Tempo, ich vermag ihm nicht zu folgen. Die [Saite] reißt, er aber behilft sich, spielt weiter. Accelerando, immer toller! Schließlich aber wirft er die Geige weg, auf den Tisch, in die Notenhaufen und hier gegen den harten Revolver, daß er dröhnt.
»Fine!« –
Meldet darauf ganz wie früher die rote Teufeline: »Is serviert.« Und dasselbe köstliche Gericht ist aufgetragen wie am ersten Abend. Funkelt und duftet dazu derselbe köstliche Moselwein. –
Indem wir nun wieder ins Musikzimmer zurückgehen, plötzlich fragt er mich wiederum und mit eigentümlichen, forschenden Blicken, ob ich mir's überlegt hätte.
Jedoch ich schweige auch jetzt. Nur: »Später« hauche ich ihm zu.
»Später. So. – Lassen Sie jetzt, bitte, mich allein. Und für immer. Ob lustig, ob traurig – alles nimmt einmal ein Ende. Auch die schönste Musik. Vergessen Sie mich nicht ganz. Bleiben Sie mir treu in der Pflege Bachs. Sie sind hineingekommen. Mich – mich brauchen Sie nicht mehr.«
Damit drückt er mir hastig die Hand und verschwindet. –
Tief erschüttert ob dem Erlebten wende ich mich endlich zum Gehen.
Ich finde keine Ruhe, das Schicksal des Oberförsters beschäftigt mich fortwährend, und auch meine, trotz wiederholter Aufforderung nicht ausgesprochene Bitte, die auch, allerdings.
Trotz alledem! Noch einmal – zum letztenmal will ich ihn sehen und ihm danken für alles, was er mir gewesen und was ich in der Musik durch ihn geworden bin. Und meine Bitte ihm doch noch sagen – vielleicht. War ich doch gar zu überrascht gewesen, gar nicht imstande zu sprechen überhaupt, beide Male, als er mich aufforderte.
Schon am nächsten Sonnabend – ich konnte den Tag kaum erwarten – gehe ich eilends wieder hin.
Voller böser Ahnungen betrete ich die Oberförsterei.
Totenstille auf dem Hofe. Kein Hund schlägt an. Die Holzdimmen fläzen gefühllos sich mir entgegen.
Ich nähere mich dem Hause, recke mich hoch und schiele in den Vorsaal. Die Geweihe sehe ich, die Waffen, den Eberkopf – er schaut mich an, grimmig und zugleich höhnisch. Als ich die Tür öffnen will, pralle ich zurück – ich sehe, sie ist versiegelt, gerichtlich, ja und das sagt mir genug! –
Endlich reiße ich mich aus meiner Betäubung und gehe in den Garten. Auf der mit Birkenrinde benagelten Naturbank lasse ich mich nieder, unter der schon halb weggeborstenen, alten Esche, von Efeu umrankt, Waldrebe, wildem Hopfen, schrägüber dem Musikzimmer. In tiefer Trauer gedenke ich seiner. Hinter den verrammelten Fenstern: im langsamen Satz der F-Moll seine schwermütigen Doppelgriffe –. Ja, ja, verklungen ist mir Glück und Heil! Alles, was wir zusammen spielten, ach, es hallt mir durch die Seele und wie in Requientönen. –
Die Harpye erscheint. Mit stummem Gruße geht sie an mir vorüber. Nicht scheel blickt sie heute mich an. Ihre üppigen Schultern umhüllt statt des roten ein schwarzes Tuch.
So traurig hat sich hier alles verändert. Nur die Bäume, die Vögel im Garten sind sich gleichgeblieben. Die Finken schlagen, die Singdrosseln schmettern ganz wie einst, die grauen Grasmücken – alle die holden Schnäbel, sie wetteifern wieder nur so miteinander.
Die Sonne sinkt. Schlägt im Haselbusch hinter mir jetzt auch noch die Nachtigall. »Ziküth – ziküth!« Ganz so goldfunkelnd ihre Strophen, so süß und hold, so anmutreich, so voller schluchzender Sehnsucht wie damals.
Endlich erhebe ich mich, und ich nehme von der Stätte für immer Abschied.
Im Dorfkrug spreche ich vor, und hier erfahre ich, noch in der Nacht vom Sonnabend auf Sonntag war's geschehen, gleich nach meinem Abschied. Der hemdärmliche Krugwirt, solange er an ihm und zwar an seinem Laster verdiente, lobte er immer den Oberförster. Heute aber schimpfte er auf ihn. Mit seiner Fiedel, ein Hansnarr wäre er gewesen, nur wegen seiner ewigen, dummen Fiedelei hätte es mit ihm so endigen müssen.
Ja, das Musikmachen, hüben wie drüben.
Ich gerate in scharfen Wortwechsel mit dem bornierten Kerl. Schließlich setzt er mich an die Luft.
Als ich mich dem Kolk nähere, in mitternächtiger Stunde, tönt heute mißtöniges Froschquaken mir von dort entgegen.
»Korax, borax – brekkekk!« Beide Parteien sind im Gange, die Boraxe: die Kathol'schen, und die Brekkekkse: die Protestant'schen.
»Korax – borax – brekkekk – Water un Dreck!« Es klingt wie eitel Hohn und Spott. Ja, so urteilt die Welt über das nicht Nützliche im Leben, über das Schöne, die Kunst. Immerdar von unten auf, wie die Frösche es sehen, mit dem Blick ins Niedrige, Platte, allen Gemeinsame. Behält immerdar der Philister das letzte Wort. Freilich er soff, und zu seinem Amte taugte er auch wohl nicht länger, aber – aber – –! Und hier erst entquellen Tränen meinen Augen, heiße, bittere.
»Korax – borax – brekkekk – potz Water un Dreck!« tönt's ununterbrochen zu mir herauf aus dem Kolk. Crescendo. Immer lauter, vielstimmiger.
Gewiß, er hatte seinen Beruf verfehlt. Und auch mein Leben, ach es ist verpfuscht. Was soll jetzt aus mir werden, wie hingelangen ans Ziel? Recht werden sie behalten, die Philister, auch über mich, die Koraxe – die Brekkekkse! –
Ich komme in den Busch. In den Fuhren surren schauerlich die Nachtmaren:
»Errrr – örrrr – arrrr – err – arr – arrrrr – örrrrr« –
Im Bunde stehend mit den bösen Undingern der Heide, so heraufbeschwören im Düster der Nacht alles Unheil – die Nachtmaren, sie machen dazu schauerlich die Musik. Alle bösen Undinger, so umgehen daheim in der Grube allnächtlich, in der Hellkuhle, auf dem Prachelberg, auch hier treiben sie offenbar ganz so ihr Wesen, um mich, in diesen dumpfen, schrecklichen Fuhren. Heraus sind sie aus ihren Schlupfwinkeln, alle, alle, die Nachtmaren lockten sie heraus. Werwölfe und der Nachtrabe, der Zaunhase, das Klageweib, der Pastor ohne Kopf, die milchweißen Rehe mit kuhlangen Schwänzen.
Ununterbrochen fort geht das Gesurre der Nachtmaren. Dazwischen ratschen sie und klatschen sie lautschallend mit den Flügeln, im Taumel der Brunst. Ich fahre zusammen jedesmal, mein Herz steht im Schreck mir fast still, meine Haare sträuben sich, quälende Erinnerungen erwachen in mir. Und zuletzt: böse Vorahnungen peinigen mich, als müsse ich noch erleben etwas Besonderes, Schlimmes. Noch in dieser selben schauerlichen Nacht. Noch vorm ersten matten Hauch des erwachenden Morgens, noch vorm spukverscheuchenden ersten Hahnenschrei.
»Örrrr – errrr! –« Und was verkünden mir die Nachtmaren? So viel Trauriges hab' ich schon erlebt! So viel hab' ich auf dem Gewissen! Wieschens Tod, die Sorgen meiner Eltern, meine schlechte Amtsführung, mein vergebliches Ringen, Musiker zu werden, und nach dem Verlust des Oberförsters, oh wie fuhrenhölzern öde wird mein Leben in Mufrika wieder sein, zum Verzweifeln ist's!
Der Oberförster – ich hab' ihn verloren, alles sonstige Gute, das noch mein ich nenne, wird sicherlich ihm nachfolgen alsbald. Denn nichts, nichts hat in der Welt Bestand, auch nicht – die Liebe. Was also verkünden mir die Nachtmaren? So lange hat sie mir nicht wiedergeschrieben, nicht beantwortet hat sie meine drei letzten, langen Briefe?
Wie ein von Furien Verfolgter rase ich zuletzt durch die Fuhren. Halbtot von der ausgestandenen Angst gelange ich endlich in meine Schulkate.
Einen inzwischen eingelaufenen Brief finde ich hier vor. »Von ihr,« jauchze ich. Jedoch die fremden, häßlichen, steifen Schriftzüge? Wie und doch ihr Poststempel? Und der Brief, er riecht: –: nach grüner Seife! Das Papier ist weiß und gewöhnlich, wie eine Rechnung. Das unheilverkündende Surren der Nachtmaren klingt mir wieder auf im Ohr, während ich den Brief aufbreche. Heißgeliebte, angebetete Adelaide! Ich entfalte ihn hastig. Wie? Was?
»Geehrter Herr!«
Aber nicht sie selber ist's, die so mich anredet, es ist ihre Frau Mama, und dieselbe teilt mir mit, wohldieselbe, ihre Tochter Adelheid wäre mir recht dankbar für alle meine mannigfachen Anregungen, dichterischer und musikalischer Natur. Und so möchte auch ich ihr ein freundliches Andenken bewahren, denn Adelheid werde sich demnächst –
Weiter komme ich nicht. Ist auch nicht nötig. Da hab' ich's, juchhe, ein anderer führt die Braut heim, Adelheid – Adelaide – Adalanthe, meine angebetete Seelenbraut, basta damit und punktum!
Das hatten die Nachtmaren mir verkündet. Ich nehme den Brief wieder zur Hand und betrachte die steifen Schriftzüge ihrer Frau Mama. Unwillkürlich führe ich ihn auch wieder an die Nase. Wahrhaftig, ich täusche mich nicht: grüne Seife.
Ihre Mutter ist ja eine sehr wirtschaftliche Dame, hat eine große Schülerpension und kümmert sich um alles in der Wirtschaft, ich weiß es ja. Der Brief bestätigt es. Grüne Seife.
Auch mit durch diesen häßlichen Geruch erkrankte – erstarb meine Liebe.
Wie das so ist mit dem Duft der Blumen, und ob sie im Garten duften, die holden Blumen, oder feinsymbolisch aus dem Briefpapier: so die Blumen, die spenden den Duft und die Liebe sinnig schmücken, wie auch die Liebe selber – die allerschönste Jugendliebe, nimmt alles poco a poco ein Ende, hat alles sein Diminuendo, Ritardando, seinen Schlußakkord.
Ich hab's erfahren. Ich kann ein Lied davon singen.
»So Veilchen, Lavendel und Rosen, Nelken
Blühn, verwelken,
Verweht wie ihr Duft auch die Liebe.«
So begann's, das entsprechende Gedicht, welches alsbald ich schrieb, nachdem ich ziemlich lange nichts mehr gedichtet hatte, jetzt aber unwiderstehlich dazu angeregt wurde, und worin ich meine tote Liebe einsargte. Sotanes Gedicht war in allen seinen 24 Versen ganz und gar philosophischen Inhalts.