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CVII.

Die Aussichten fangen an sich zu lichten.

Während er sich in dieser verlassenen Lage befand und eben so viel Abscheu gegen die Welt als sich selbst hegte, kam Hauptmann Gauntlet nach London in der Absicht, sich für seine weitere Beförderung in der Armee zu verwenden; zugleich gab er sich aber auch auf Antrieb seiner Frau alle Mühe, Peregrinen auszuforschen. Nirgends wollte ihm das Letztere jedoch gelingen; kein Mensch konnte ihm etwas von unserm Helden sagen, so daß er nun glaubte, Peregrine habe sich von London weg auf das Land gewendet; demnach nahm er sich vor, erst seine eigenen Angelegenheiten in Ordnung zu bringen und dann seine Nachforschungen von Neuem zu beginnen. Er wandte sich dieserhalb jetzt mit seinem Gesuch an den vermeintlichen Gönner, der sich das Verdienst angemaßt hatte, ihn zur Hauptmannstelle verholfen zu haben und auch so unverschämt gewesen war, ein reichliches Geschenk dafür in die Tasche zu stecken. Unterdessen machte Gauntlet aber auch mit einem Secretair vom Kriegsdepartement Bekanntschaft und da er nun einstmals mit diesem Manne über seine Aussichten sprach, so erfuhr er, daß der Lord, auf den er baute, ein Mann ohne allen Einfluß und durchaus nicht im Stande sey, ihm weiterzuhelfen. Zugleich gab ihm der Secretair sein Befremden darüber zu erkennen, daß er sich nicht lieber an den Pair wende, durch dessen Fürsprache er seinen jetzigen Posten erhalten hätte.

Diese Bemerkung veranlaßte nun eine Erläuterung, durch welche Geoffry zu seinem ungemeinen Erstaunen den Irrthum entdeckte, in welchem er bisher in Hinsicht seines Gönners gestanden hatte; doch vermochte er sich nicht den Beweggrund zu erklären, der diesen Herrn, mit dem er in gar keiner Bekanntschaft oder Verbindung stand, dahin vermocht hatte, sich seiner anzunehmen. Wie dem aber auch sey, so hielt er es doch für seine Pflicht, dem Lord seinen Dank dafür abzustatten und begab sich deshalb den anderen Morgen nach dessen Wohnung. Er wurde hier ungemein artig empfangen und erfuhr nun, daß Peregrine eigentlich derjenige war, dessen Freundschaft er seine letztere Beförderung zu verdanken habe.

Es ist schwer, die Regungen der Dankbarkeit, der Liebe und der Reue zu schildern, die sich jetzt Gauntlets bemächtigten. »Guter Gott!« rief er aus, »und ich habe mit meinem Wohlthäter in Feindschaft leben können? Schon eh' ich wußte, wie edel er an mir gehandelt hat, war es mein Vorsatz, mich unter jeder Bedingung mit ihm auszusöhnen, jetzt aber will ich keinen Augenblick ruhen, bis ich Gelegenheit gefunden habe, ihm meinen Dank für seine Freundschaft zu bezeigen. Ew. Herrlichkeit kennen also meinen Freund; wie glücklich würden Sie mich machen, wenn Sie mir sagen könnten, wo ich ihn jetzt zu treffen vermag, denn vergebens habe ich mich bis jetzt nach ihm an allen Orten erkundigt.«

Der Lord, dem sowohl Peregrinens Edelmuth als die Dankbarkeit von dessen Freunde rührte, bedauerte das Unglück unseres Helden und sagte dem Hauptmann: sein Freund habe über den Verlust seines Vermögens, das von ihm durchgebracht worden sey, schon seit lange den Verstand verloren und sey von seinen Gläubigern in das Fleet gesetzt worden. Ob er noch lebe oder durch den Tod von seinen Leiden sey befreit worden, könne er jedoch nicht sagen.

Kaum hatte Gauntlet diese Nachricht erhalten, als er den Lord um Verzeihung wegen seines plötzlichen Weggehens bat und sich voll Schmerz in den Wagen setzte, mit welchem er gekommen war, um ohne Aufenthalt nach dem Fleet hinzufahren. Während er aber so über den Marktplatz wegfuhr, überraschte ihn der Anblick von Hatchway und Pipes, die mit ziemlich schmutzigen Nachtmützen auf den Häuptern und kurzen Pfeifen in dem Munde, bei einer Gärtnerin standen und Gemüse feilschten. Der Hauptmann freute sich nicht wenig, die beiden Seeleute zu erblicken, denn er hielt dies für ein glückliches Zeichen, seinen Freund nun auch zu finden. Er ließ dieserhalb den Kutscher stillhalten und rief den Lieutenant beim Namen; Hatchway erwiederte diesen Zuruf mit einem lauten Hilloah! blickte sich dann um, erkannte seinen alten guten Bekannten und eilte nun schnell auf den Wagen zu, um ihm herzlich die Hand zu drücken.

»Verdammt!« rief er dabei, »'s ist mir lieb, daß Du uns endlich aufstoßen thust; nu werden wir im Stande seyn, 's rechte Gewicht vom Schiffe zu finden, um es wieder in ein anderes Fahrwasser bringen zu können. Habe doch zu meiner Zeit manchen ehrlichen Cameraden gehabt und gelegentlich herumsteuern können, aber die halsstarrige Kröte fragt nichts nach Ruder und Steuer, und wird da wohl zu Grunde sinken thun, wo sie vor Anker liegt.«

Gauntlet, der des Lieutenants Meinung nur zum Theil verstand, stieg jetzt aus und ging mit diesem und Pipes nach der Wohnung der Seeleute, wo er nunmehr Alles erfuhr, was zwischen dem Lieutenant und Peregrinen vorgefallen war und Ersterem dafür die Entdeckung mittheilte, die er in Betreff seiner Beförderung eben gemacht hatte.

Bei dieser Erzählung gab Jack kein Zeichen der Verwunderung von sich, sondern nahm nur den Stummel aus dem Munde und sprach: »Seht, Capitain, das ist nicht das Einzige, was Ihr ihm zu danken habt; die alte Schuld, welche Euch der Commodore auszahlte, war auch nur eine von Perry ersonnene Finte zu Eurem Besten: er will aber jetzt lieber ohne Segel und Takelwerk in die wilde See hinaustreiben, als von irgend einem Menschen Beistand annehmen.«

Diese Entdeckung überraschte Geoffry nicht nur, sondern schmerzte ihn auch; er fühlte seinen Stolz etwas dadurch gekränkt und fürchtete die vielen Verbindlichkeiten, die er Peregrinen hatte, nicht gehörig abtragen zu können, und als er nun hörte, daß der Gefangene unpaß und mit den nothwendigsten Lebensbedürfnissen kaum noch versehen sey, dennoch aber keine Dienstleistung annehmen wolle, da ward ihm bange, der Stolz seines Freundes möchte ihn hindern, ihn in seinen Drangsalen unterstützen zu können. Doch beschloß er kein Mittel unversucht zu lassen, um dessen Hartnäckigkeit zu besiegen. Er ging demnach nach dem Gefängnisse und ward hier nach dem Gemache des Unglücklichen geführt, an dessen Thüre er sanft anklopfte. Voll Schreck und Erstaunen prallte er aber zurück, als sie geöffnet wurde, denn die Gestalt, welche ihm hier in die Augen fiel, war kaum mehr der Schatten seines Freundes. Der blühende, muntere, stolze Jüngling war in ein mattes, hohläugiges und schmutziges Gespenst verwandelt, das ein lebendes Bild der Krankheit des Mangels und der Verzweiflung war; doch hatten seine Augen noch eine gewisse Wildheit, die seinen Blicken etwas Schreckendes gab. Er sah jetzt seinen ehemaligen Gefährten mit einem Ausdruck von Verachtung und Verwirrung an, daß dieser fast erschrocken zurücktrat.

Unmöglich konnte Gauntlet einen so traurigen Glückswechsel ohne Erschütterung sehen; sein Schmerz war so groß, daß er sich nicht gleich in Worte zu äußern vermochte und Thränen ihm in die Augen traten. Dies Zeichen der Theilnahme schien Peregrine zu rühren, doch suchte er seine Empfindungen möglichst zu unterdrücken: er zog seine Stirn in finstere Falten, sein Blick wurde noch düsterer und er winkte Geoffry mit der Hand, zu gehen und einen so Elenden, wie er, seinem Schicksale zu überlassen: aber die stärkere Natur siegte und er begann überlaut zu weinen.

Jetzt vermochte Gauntlet dem Drange des Herzens nicht länger zu widerstehen; er trat näher und faßte den Freund in seine Arme, um ihn bei allem, was ihnen Beiden theuer gewesen, bei ihrer alten Freundschaft, bei Sophie's Anhänglichkeit an ihn und bei der immer noch regen Liebe seiner Schwester, zu beschwören, die helfende Hand des Bruders, des dankbaren Schuldners, nicht zurückzustoßen und ihm nicht die Kränkung zu machen, die Beweise seiner Freundschaft und Anhänglichkeit zu verschmähen.

Jedes Wort in dieser Rede, die Gauntlet mit den rührendsten Tönen der Freundschaft ihm ans Herz legte, machte Eindruck auf Peregrinen; er begann nach und nach sich erweicht zu fühlen, und als er sich bei Sophie's und Emiliens Namen beschworen hörte, da löste sich die Rinde von seinem Herzen und er fing an den Freund, den kein Wechsel des Schicksals zu entfremden vermochte, mit milderen Blicken zu betrachten; doch erklärte er, daß er alle Verbindungen mit den Menschen abgebrochen habe, und sie nicht wieder anzuknüpfen gedenke. »Mich verlangt,« sprach er, »nach der Stunde meiner Auflösung, und führt die Natur sie nicht bald herbei, so will ich sie lieber mit eigener Hand beschleunigen, als mich der Verachtung oder dem noch unerträglicheren Mitleide der Welt preis geben.«

Mit allem Feuer der Freundschaft bekämpfte Gauntlet diesen verzweiflungsvollen Entschluß, aber vergebens! Peregrine blieb bei seinen Ansichten und suchte die Rechtmäßigkeit seines Vorhabens mit Gründen der Vernunft und der Philosophie zu vertheidigen.

Mitten in diesem freundschaftlichen Streite ward Picklen jetzt ein Brief gebracht, den er ganz sorglos bei Seite warf und höchst wahrscheinlich nie gelesen haben würde, wenn nicht Gauntlet darauf bestanden hätte, daß er alles Ceremoniell bei Seite setzen und ihn erbrechen möchte. So nahm Peregrine das Schreiben wieder zur Hand und las nun, man kann denken, mit welchem Erstaunen und welcher freudigen Ueberraschung, die Nachricht, daß jener in Bombay krank zurückgebliebene Schiffsrheder, dem er, wie wir wissen, eine Summe geliehen hatte, nach manchen Abentheuern und Gefahren glücklich in den Dünen angelangt sey und daß ihm seine vorgeschossenen siebenhundert Pfund nebst guten Zinsen binnen Kurzem ausgezahlt werden sollten.

Während des Lesens hatte sich das Gesicht unseres Helden nach und nach immer mehr aufgehellt, als er aber mit dem Briefe zu Ende war, überreichte er denselben seinem Freunde lächelnd mit den Worten: »Hier ist ein überzeugenderer Beweis für die von Ihnen geführte Sache, als alle Casuisten der Welt zu geben vermöchten.« Verwundert über diese Aeußerung nahm Gauntlet das Papier und wünschte ihm, nachdem er es durchlaufen, mit der größten Freude Glück zu dieser frohen Nachricht. »Nicht wegen der Summe allein,« setzte er hinzu, »denn die hätte ich Ihnen gern dreifach gegeben, wenn es zu Ihrer Beruhigung hätte beitragen können, sondern darum, weil es scheint, daß Sie dadurch wieder mit dem Leben ausgesöhnt worden sind.«

Uebrigens benutzte Geoffry die günstige Stimmung, in welche dieser Hoffnungsstrahl unsern Freund gesetzt hatte; er erinnerte ihn an seine Jugend und alle die vorzüglichen Eigenschaften, die er besäße; er zeigte ihm die verschiedenen Bahnen, die ihm, wenn er nur wolle, zu Wohlstand und Ruhm noch immer offen lägen und drang dann in ihn, vorläufig eine Summe zur Bestreitung seiner nothwendigsten Bedürfnisse anzunehmen und ihm zu erlauben, die Schuld bezahlen zu dürfen, wegen welcher er in Haft säße; eine Sache, die ihm jetzt nicht schwer falle, da ihm der Besitz von dem Vermögen seiner Frau die hinreichenden Mittel dazu gäbe.

Alle diese Anerbietungen schlug Peregrine jedoch ein- für allemal bestimmt aus, doch versprach er nächstens, wenn sich die Gelegenheit fände, seine Zuflucht zu Geoffry's Freundschaft zu nehmen, jetzt aber hielte er sich verpflichtet, sich zuerst an den wackern Hatchway zu wenden, der ihn längst darum gebeten habe, seinen Beistand anzunehmen und der sich ohne Zweifel gekränkt fühlen würde, wenn er ihm nicht den Vorzug hierin geben wolle.


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