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LXVII.

Die Reisenden gehen nach Antwerpen, woselbst der Maler seinen ganzen Enthusiasmus zur Schau legt.

Im Ganzen war Peregrine, so sehr ihn auch das Loos des jungen, blühenden Mädchens dauerte, der man zu ihrem Seelenheile den Schleier aufzudringen suchte, doch nicht übel zufrieden, ein Abentheuer beendigt zu sehen, das ihm über kurz oder lang leicht sehr verdrießliche Händel zuziehen konnte, und müde endlich der nutzlosen Nachforschungen nach der schönen Flamländerin, gab er nun den Vorstellungen des Hofmeisters und seiner Reisegefährten Gehör und entschloß sich, einen Ort zu verlassen, woselbst sie sich seinetwegen weit über die Zeit aufgehalten hatten, die sie erst hierzu bestimmten. Man miethete daher ein paar Postchaisen und drei Reitpferde und reisete so des Morgens von Brüssel ab, wo man dann zu Mittag in Mecheln und gegen Abend in der alten, ehrwürdigen Stadt Antwerpen anlangte.

Während des ganzen Laufes dieser Tagereise hatte sich Pallet in einer ungewöhnlichen Spannung befunden, die von der Aussicht, Rubens Geburtsort zu sehen, erzeugt ward. Er versicherte, das Vergnügen, das er jetzt empfände, gliche dem eines Muselmannes, der sich Mekka nähert, und es sey ihm, als solle er jetzt sein eigentliches und wahres Vaterland erst sehen, denn er betrachte sich gleichsam selbst als einen Antwerpner, indem er nicht allein auf das Innigste mit dem Geist des großen Mannes, auf den die Bewohner dieser Stadt mit so vielem Rechte stolz waren, vertraut sey, sondern auch Grund zu haben glaube, zu muthmaßen, daß er selbst wirklich von ihm abstamme, indem sein Pinsel nicht allein die Manier dieses Meisters mit der vollkommensten Leichtigkeit nachzuahmen vermöge, sondern er selbst ihm auch dermaßen gliche, daß ihm nichts als der Knebelbart und das Haar um das Kinn fehle, um das leibhafte Ebenbild des Flamländers zu seyn.

Diese Aehnlichkeit machte ihn nach seiner Versicherung so stolz, daß er wirklich einmal im Leben den Entschluß gefaßt habe, kein Scheermesser mehr über sein Angesicht streifen zu lassen, und daß er eine Zeitlang wirklich in diesem Vorsatz beharrt hätte, obschon seine theure Ehehälfte, die damals eben in andern Umständen gewesen sey, sich ganz außerordentlich darüber beschwert und geäußert habe: er sähe so scheußlich aus, daß sie jeden Augenblick eine unzeitige Niederkunft befürchten müsse. Zuletzt habe sie aber gar mit dürren Worten gedroht: sie würde, wenn er fortführe, sich so zu entstellen, bei dem Kanzler um eine Untersuchung anhalten, ob er noch bei gesunden Sinnen sey; eine Sache, die sie durchaus bezweifle, worauf er sich dann genöthigt gesehen hatte, sich seines männlichen und alterthümlichen Schmuckes wieder zu berauben.

Der Doctor konnte nicht umhin, die Anmerkung zu machen, daß ein Mann, der den Bitten und Forderungen eines Weibes nicht zu widerstehen vermöchte, nie erwarten dürfe, eine große Figur im Leben zu spielen. Maler und Dichter müßten, fuhr er fort, nur allein den Musen gehorchen, und habe sie ein böses Schicksal ja zufällig mit Familie beladen, so müßten sie sich wenigstens sorgfältig vor der Schwachheit in Acht nehmen, die man fälschlich mit dem Namen natürliche Zuneigung beehre; was aber gar die albernen Rücksichten in Betreff der Gebräuche der Welt anlange, so müßten sie sich um dieselben durchaus nicht bekümmern.

»Gesetzt auch,« sprach er, »man hätte Sie eine kurze Zeit lang für toll gehalten, so konnten Sie sich doch von dieser Beschuldigung sehr ehrenvoll durch irgendein Product Ihrer Phantasie oder Ihres Pinsels reinigen. Mußte sich doch selbst Sophokles, der große tragische Dichter, den man wegen seiner süßen Verification den Beinamen Μέλιττα oder die Biene gab, in seinem höheren Alter diese Anschuldigung von seinen eigenen Kindern machen lassen; denn da diese sahen, daß er seine häuslichen Angelegenheiten versäumte, um sich blos den Musen zu weihen, da klagten sie ihn bei der Obrigkeit als einen Mann an, dessen Verstandeskräfte gelitten hätten und der es nicht mehr vermöge, seinem Hauswesen vorzustehen; aber der ehrwürdige Dichter legte hierauf den Richtern sein eben erst beendetes Trauerspiel, Oedipus auf Colonos, vor, und nachdem diese das Werk gelesen hatten, wurde er, statt für verstandesschwach erklärt zu werden, mit Beifall und Bewunderung entlassen. Ich wünschte wohl, daß Ihre Knebelspitzen und Ihr Bart eine gleiche Sanction erhalten hätten; doch besorge ich sehr, daß Sie sich mit den Schülern eines gewissen Philosophen in einer Classe befunden haben, die, um bleich zu seyn wie ihr Meister, Kümmelsamenthee tranken. Die guten Leute hofften, wenn sie nur erst blaß wären, würden sie auch weise seyn.«

Den Maler verdroß diese Bemerkung sehr und er erwiederte: »Oder wie jene großen Geister, die, wenn sie nur etwas Griechisch plappern, Sillikikabey's essen und Erscheinungen vorspiegeln können, sich einbilden, Geschmack und Genie gleich den Griechen zu haben.« Der Arzt verfehlte nicht, hierauf wieder zu antworten und Pallet abermals dagegen zu reden, und so dauerte denn die Fehde fort bis man in die Thore von Antwerpen fuhr, wo der Verwandte und das Ebenbild von Rubens in eine hyperbolische Exclamation ausbrach, die dem Streite ein Ende machte und die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf sich zog, von denen mehrere mitleidsvoll die Achseln zuckten und auf die Stirne deuteten, um dadurch zu verstehen zu geben, sie hielten den Maler für ein unglückliches Geschöpf, dessen Gehirn in Unordnung gerathen sey.

Kaum war die Gesellschaft im Gasthofe abgestiegen, so that Pallet den Vorschlag, die große Kirche zu besehen, in welcher sich, wie er gehört hatte, einige Meisterwerke von Rubens befanden, und als er nun vernahm, daß es für heute zu spät hierzu sey, da ward er nicht wenig verdrießlich. Am folgenden Morgen stand er aber mit Tagesanbruch auf und verführte einen solchen Lärm im Hause, daß alle seine Reisegefährten in ihrer Ruhe gestört wurden, was denn Peregrinen zu dem Entschluß brachte, ihm von Neuem zu einer Züchtigung zu verhelfen und wo möglich einen Zweikampf zwischen ihm und dem Doctor einzuleiten. Von dem beiderseitigen Benehmen dieser Herren dabei versprach er sich eine reichhaltige Quelle von Belustigung.

Nachdem man sich mit einem Cicerone versehen hatte, begab man sich nun in das Haus eines vornehmen Herrn, der eine treffliche Gemäldesammlung besaß, die größtentheils aus Werken von Pallets Liebling bestand, dennoch aber durchaus nicht den Beifall des Malers erhielt, weil Pickle ihm vorhergesagt hatte, es befinde sich kein einziges Stück von Rubens darunter.

Das nächste Haus, was man besuchte, war die sogenannte Malerakademie, die eine große Menge ziemlich mittelmäßiger Stücke enthält, unter denen Pallet jedoch, auf den vorläufigen Bericht seines Freundes Peregrine, unter manchen Aeußerungen von Bewunderung, den Styl von Peter Paul erkannte. Von da begab man sich nun in die große Kirche, und als die Gesellschaft hier zu Rubens Grab geführt wurde, da geberdete sich der Maler so seltsam und fiel mit solchen Zeichen der Andacht auf die Knie nieder, daß der Lohnbediente hieran sein Aergerniß nahm und ihn mit den Worten in die Höhe zog: »Hier liegt kein Heiliger, sondern ein Sünder, wie Sie, begraben; wollen Sie aber Ihre Andacht verrichten, dann wenden Sie sich dort ein paar Schritte weiter zu der Kapelle der heil. Jungfrau, wo Sie Raum genug finden werden Ihrem Triebe zu folgen.«

Der Maler ließ sich jedoch hierdurch nicht irre machen; er hielt es für seine Pflicht, an dem Orte, wo Rubens geboren worden war, eine außerordentliche Begeisterung zu offenbaren und sein ganzes Reden und Handeln war daher nichts als eine lange Reihe aberwitziger Exclamationen und lächerlicher Geberden. Mitten unter diesem unsinnigen Betragen bestieg ein alter, graubärtiger Kapuziner die Kanzel und begann so heftig und mit so lebhaften Bewegungen zu der Versammlung zu reden, daß Pallet dadurch noch mehr aufgeregt ward und nun laut ausrief: »Mein Seel'! was das doch für ein vortrefflicher Paulus ist, der zu Athen predigt!« Mit diesen Worten zog er einen Bleistift und ein Zeichenbuch aus der Tasche und begann sehr ämsig den Redner zu skizziren, indem er dabei sprach: »Wohlan, Freund Raphael, wollen doch mal sehen, wer von uns Beiden am schnellsten einen Apostel hervorbringen kann.«

Dieses Benehmen während des Gottesdienstes gereichte den Zuhörern zum Aergerniß und man begann gegen den ketzerischen Freigeist zu murren. Um allen übeln Folgen vorzubeugen, nahte sich aber jetzt einer der zum Chor gehörigen Priester und sagte ihm auf Französisch: dergleichen Freiheiten wären hier nicht passend, und er bäte ihn daher, seine Geräthschaften wegzulegen, damit das Volk nicht gereizt würde, ihn als einen ruchlosen Spötter zu bestrafen.

Als der Maler sah, daß sich ein Mönch an ihn wandte und sich während des Redens mehrmals höflich verneigte, glaubte er, es sey ein Bettelbruder, der seine Barmherzigkeit in Anspruch nähme, und da er sich in seiner Beschäftigung nicht wollte stören lassen, so klopfte er den Geistlichen sanft mit der Hand auf die Glatze und rief: » Autre temps! autre temps!« dann fing er aber seine Arbeit mit neuem Eifer wieder an. Jetzt zupfte ihn der Ordensbruder am Aermel und wiederholte das früher Gesagte auf Lateinisch: über diese Zudringlichkeit wurde nun Pallet aufgebracht und fluchte laut auf ihn als einen unverschämten, bettlerischen Lump und warf dabei ein kleines Geldstück mit allen Zeichen des Unwillens auf die Erde.

Dies Benehmen, das Einige vom Volke für eine öffentliche Verspottung ihrer Religion und ihrer Priester ansahen, entrüstete die Menge so, daß Mehrere von ihren Sitzen aufsprangen, den erstaunten Maler in einem Augenblick umringten und ihm das Buch aus den Händen und in tausend Stücken zerrissen. So erschrocken er auch hierüber war, so konnte er sich dennoch nicht enthalten voll Schmerz auszurufen: »Potz Element! da gehen alle meine Lieblingsgedanken vor die Hunde.« Zum Glück nahte sich ihm Peregrine jetzt und sicherte ihn vor der Gefahr, sehr rauh behandelt zu werden, durch die auf Französisch gegebene Erklärung: er sey ein armer unglücklicher, dessen Gehirn unter häufigen Erschütterungen litte.

Diejenigen, welche diese Sprache verstanden, theilten diese Nachricht den Anderen mit, und so kam Pallet glücklich durch, doch mußte er sich alsbald entfernen, und da man das berühmte Gemälde, die Abnahme Christi vom Kreuz, nicht vor geendetem Gottesdienste zu sehen bekommen konnte, so führte der Lohnbediente die Gesellschaft einstweilen in die Wohnung eines Malers, wo man den Künstler eben beschäftigt fand, auf einem Gemälde, das einen Bettler vorstellte, eine große Laus zu verfertigen, die dem Bettler auf der Schulter kriechen sollte. Diese vortreffliche Idee behagte Pallet ganz ungemein: er nannte sie so neu als groß, und schwor, sie gelegentlich zu benutzen. Bei weiterer Ansicht der Gemälde des Flamländers fand man ein Stück, wo zwei Fliegen auf dem Cadaver eines schon halbverweseten Hundes saßen, und dieser abermalige Beweis von Genialität riß unsern Enthusiasten so hin, daß er auf seinen theuern Collegen zueilte, ihn fest in seine Arme schloß und hoch und theuer versicherte: er sey ein würdiger Mitbürger des unsterblichen Rubens; dann bedauerte er mit manchem Seufzer den Verlust seines Collectaneenbuches, in welchem er, seiner Angabe nach, tausenderlei ähnliche Ideen aufbewahrt habe, die sich ihm gelegentlich dargeboten hätten, und nahm dabei Veranlassung, seinen Reisegefährten zu erzählen, daß er einst ein Gemälde verfertigt, in welchem er den beiden alten Malern, die in der Darstellung einer Weintraube und eines Vorhanges einen Wettstreit gemacht, an Lebendigkeit des Eindruckes gleichgekommen sey, denn er habe da einen gewissen Gegenstand so naturgemäß dargestellt, daß ein ganzer Stall voll Schweine bei dessen Anblick in Aufruhr gerathen wäre.

Nachdem Pallet Alles in der Werkstatt dieses Künstlers nach seiner Art besehen und mit vollen Backen gepriesen hatte, ging die Gesellschaft in den Dom zurück, wo man sich an dem Anblick des berühmten Meisterwerkes von Rubens weidete, auf welchem dieser sich selbst und seine Familie dargestellt hatte. Kaum waren die Thüren, hinter welchen dies treffliche Stück aufbewahrt wird, geöffnet, so verlor der Maler, der mit Pickle vorher getroffenen Uebereinkunft gemäß, plötzlich den Gebrauch der Sprache, hob Hände und Augen empor und stand wie Hamlet in der Scene da, wo ihm der Geist seines Vaters erscheint; als man den Ort aber wieder verließ, da rechnete er sich diesen Starrkrampf noch zum Verdienst und behauptete, alle seine Seelenkräfte wären in Liebe und Bewunderung versunken gewesen. Er bekannte, daß er jetzt mehr als je in die niederländische Schule verliebt sey, polterte die ausschweifendsten Lobsprüche heraus und machte der Gesellschaft den Vorschlag, ohne Verzug nach dem Hause zu gehen, wo der göttliche Rubens gewohnt habe, und seinem Gedächtniß dadurch ihre Huldigung zu bringen, daß man sich in seinem Arbeitszimmer auf die Kniee niederwürfe.

Da in diesem Hause, das seit dem Tode des großen Mannes mehr als einmal wieder aufgebaut worden war, sich durchaus nichts Merkwürdiges befand, so entschuldigte sich Peregrine mit dem Vorwande, daß er bereits von vielem Herumgehen zu ermüdet sey; denselben Grund brachte auch Jolter vor, und als die Frage nun auch dem Arzte vorgelegt ward, da weigerte sich dieser mit einem stolzen und verächtlichen Blicke, dem Maler Gesellschaft zu leisten, worauf denn Pallet, den dieses Benehmen verdroß, ihn fragte, ob er nicht Pindars Wohnung besuchen würde, wenn er an den Ort käme, wo dieser Dichter gelebt hätte? – »Zwischen diesen Beiden,« entgegnete der Arzt, »ist ein unendlicher Unterschied.« – »Sehr wahr,« versetzte Pallet, »denn in ganz Griechenland oder Troja hat es nie einen Poeten gegeben, der würdig gewesen wäre, dem göttlichen Rubens die Pinsel auszuwaschen.«

Diese Lästerung vermochte der Doctor nicht mit Gelassenheit zu ertragen; er versetzte darauf: Pallet sey werth, daß ihm die Eulen die Augen aushackten. Der Streit zwischen Beiden gedieh nun auf diese Art, wie gewöhnlich, zu solchen Grobheiten und Unanständigkeiten, daß die Vorübergehenden auf der Straße stehen blieben und Peregrine seiner selbst willen sich genöthigt sah, sich ins Mittel zu schlagen.


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