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LXX.

Die Gesellschaft reist von Haag nach Amsterdam, sieht daselbst ein »hoochdütsches« Trauerspiel mit an und besucht ein Speelhuys, wo Peregrine mit einem Seecapitain Händel bekommt. Auf dem Wege nach Leyden reisen sie durch Harlem, von wo sie nach Rotterdam zurückkehren. Hier trennt sich die Gesellschaft und Peregrine kommt mit seinem Gefolge wohlbehalten zu Haarwich an.

Die anderen Reisegefährten trafen den folgenden Tag ebenfalls im Haag ein, wo sie alle Merkwürdigkeiten dieses berühmten Dorfes besahen und sowohl das Gießhaus als das Spinnhaus und die Gärten des Grafen Bentink in Augenschein nahmen. Den Abend gingen sie in das französische Theater, dessen Director ein berüchtigter Possenreisser war, der dem derben Geschmack der Holländer so kräftig zu schmeicheln wußte, daß sie ihn als den größten Schauspieler priesen, der jemals in ihrer Provinz aufgetreten sey. Diese berühmte Truppe gab übrigens keine regelmäßigen Stücke, sondern führte blos extemporirte Komödien auf, in welchen der Herr Director stets die Hauptrolle hatte.

Unter den vielen witzigen Einfällen, die diesem Genie jenen Abend entwischten, war ein Zug, der zu der Gemüthsstimmung und dem Genius der Zuhörer so gut paßte, daß es Schade wäre, ihn mit Stillschweigen zu übergehen. Es stand eine Windmühle auf dem Theater; Harlekin besah sie voller Neugierde und da man ihm auf seine Frage sagte: es sey eine Windmühle, so bedauerte er es sehr, daß er nicht das Vergnügen haben würde, die Maschine sich drehen zu sehen, weil kein Lüftchen ginge. Diese Betrachtung machte ihn mißmuthig und er nahm nun die Stellung eines Menschen an, der ernstlich über etwas nachdenkt: so stand er einige Secunden, dann lief er mit großer Freude auf den Müller zu und sagte ihm voller Freude: er habe ein Mittel gefunden, die Mühle in Gang zu bringen. Er stellte sich hierauf in einiger Entfernung hin, knöpfte ein gewisses Kleidungsstück auf, drehte seine Kehrseite der Mühle zu, es erfolgte ein Knall und die Mühle ging zum unendlichen Vergnügen der Zuschauer, die diesen seinen Spaß mit lautem Beifallsgelächter belohnten.

Unsere Reisenden blieben einige Tage in Haag. Peregrine machte in dieser Zeit dem englischen Gesandten seine Aufwartung, an den er von Paris aus Empfehlungsbriefe hatte; auch verlor er im Billard ungefähr dreißig Guineen an einen französischen Abentheurer, der ihn dadurch in die Schlinge lockte, daß er sein Spiel verdeckt hielt; dann reiste die Gesellschaft in einem Postwagen nach Amsterdam, wo ein dort wohnender Engländer, an den man Empfehlungsschreiben hatte, ihnen alle Merkwürdigkeiten zeigte und sie in das Theater führte, wo man eben ein »hoogdütsches Truerspeel« aufführte; ein Kunstgenuß, der eine ganz eigene Wirkung auf die Organe unseres Helden hervorbrachte. Der Anzug der Hauptpersonen war so altväterisch, das Benehmen so linkisch und abgeschmackt und die Sprache so geschroben und plump zugleich, daß diese Masse von Ungereimtheiten auf Pickle wie ein treibendes Mittel wirkte und ihn nöthigte, während der Vorstellung wohl zwanzig Male hinauszugehen.

Das Stück enthielt die bekannte Geschichte von Scipio's Edelmuth und Tugend, der die schöne Gefangene ihrem Geliebten wiedergab. Ein rundköpfiger Holländer in einem altfränkischen Bürgermeisterhabit und einer Pelzmütze, stellte den römischen Helden dar. Er saß an einem Tische, auf welchem ein Teller mit Tabak, eine Kanne Bier und ein Glas standen und schmauchte sein Pfeifchen: das Frauenzimmer war so beschaffen, daß keine große Enthaltsamkeit dazu gehörte, um Scipio's Tugend nachzuahmen und der celtiberische Prinz schien wirklich dieses Gefühl zu theilen, denn als er die Geliebte aus der Hand des Siegers wiederempfing, da ließ er durchaus nichts von jenen Entzückungen der Liebe und Dankbarkeit blicken, deren Livius bei Erzählung dieser Begebenheit gedenkt. An Höflichkeit ließ es jedoch der holländische Scipio nicht fehlen: er nöthigte die Damen mit der Benennung: Jouffrouw zum Sitzen, und stopfte mit eigner Hand eine Pfeife, die er dem Celtiberer sammt einem Schwefelhölzchen mit der Anrede »Beleeft yu, myn Heer?«, hinreichte. Das Uebrige war diesem ähnlich, sagte aber dessen ungeachtet den Zuhörern so zu, daß diese ihr natürliches Phlegma gänzlich zu vergessen schienen, und mehrmals in ein lautes Beifallsrufen ausbrachen.

Nach Beendigung des Stückes begaben sich die Reisenden in das Haus ihres Bekannten, wo das Gespräch auf die Dichtkunst kam. Ein Holländer, welcher Englisch verstand, war zugegen und horchte aufmerksam der Unterredung zu; endlich ergriff er mit beiden Händen einen großen Chesterkäse, der auf dem Tische lag und rief: »Ick weet, wat Poetery is. Myn Broer is en groote Poet und heeft en Book schreeben, so dick as dat.«

Diese Methode, den Schriftsteller nach der Quantität seiner Werke zu schätzen, belustigte Peregrine nicht wenig, und er erkundigte sich nun nach dem Inhalt der Schriften dieses Dichters; davon konnte jedoch dessen Bruder keine Nachricht geben und wußte weiter nichts über ihn zu sagen, als daß er »einen schlechten Markt« mache und er wohl wünsche, sein Bruder möchte ein anderes Gewerbe ergriffen haben.

Die einzigen bemerkenswerthen Orte, welche unsere Reisenden in Amsterdam noch nicht gesehen hatten, waren die sogenannten Speelhuizen oder Musikhäuser, welche die Obrigkeit zum Besten derer duldet, die sonst auf die Tugend rechtlicher Frauenzimmer Angriffe machen würden. In eines dieser Häuser begab sich jetzt die Gesellschaft und der englische Kaufmann war ihr Führer. Er brachte sie an einen Ort, wie das ewig berühmte Caffeehaus von Moll-King ist, nur mit dem Unterschiede, daß die Gesellschaft hier nicht so ausgelassen war, als die Nachtvögel in Coventgarden. Die Anwesenden bildeten hier einen Kreis, innerhalb dessen einige Personen nach einer Drehorgel und einigen anderen Instrumenten tanzten und dabei war das ganze Zimmer mit einer solchen dicken Tabakswolke angefüllt, daß man sich kaum einander erkennen konnte. Als unsere Gesellschaft eintrat, befanden sich gerade zwei Frauenzimmer mit ihren Verehrern auf dem Tanzplatze: die Letzteren hoben die Beine gerade so empor, wie die Ochsen beim Pfluge und als dem Einen mitten im Tanz seine Pfeife ausging, da klopfte er sie, ohne sich unterbrechen zu lassen, ganz gemüthlich aus, stopfte sie von Neuem und zündete sie auch wieder an. Peregrine, nicht durch die Gegenwart seines Hofmeisters, der zu besorgt für seinen Leumund war, um an einen solchen Ort mitzugehen, zurückgehalten, machte sich jetzt an eine muntere junge französische Dirne, die in Erwartung eines Verehrers, dasaß, und beredete sie, seine Moitistin zu seyn, worauf er denn mit ihr, zur Bewunderung aller Anwesenden, ein Menuet tanzte. Eben war er willens, noch eine weitere Probe seiner Geschicklichkeit in dieser Kunst abzulegen, als der Capitain eines holländischen Kriegsschiffes hereintrat, der kaum das Mädchen, die er zu einer Amasia erkoren zu haben schien, mit einem Andern tanzen sah, nun sogleich auf sie zueilte, sie beim Arm ergriff und sie ohne weitere Umstände nach einer andern Seite des Saales hinführte. Eine solche grobe Beleidigung zu dulden, war unser junger Herr nicht der Mann; mit entrüsteten Blicken folgte er dem Holländer, stieß ihn auf die Seite, nahm ihm das Mädchen wieder ab und führte sie auf den vorigen Platz zurück. Diese Kühnheit brachte den Holländer aber gewaltig auf und er gab, in der Aufwallung seines Zornes seinem Nebenbuhler eine derbe Ohrfeige, die er jedoch auf der Stelle mit Zinsen zurückerhielt, worauf denn Peregrine die Hand an den Degen legte und den Capitain nach der Thüre hinwinkte.

Trotz der Verwirrung und Unordnung, welche dieser Streit im Saale hervorbrachte, und trotz den Bemühungen von Pickle's Gesellschaftern, eilten die beiden Gegner dennoch auf die Straße, wo Peregrine, der sogleich den Degen zog, nicht wenig überrascht war, den Holländer mit einem langen Messer auf sich zukommen zu sehen, das er neben seinem Degen an der Seite trug. Dies Benehmen machte den jungen Mann so betroffen, daß er seinen Augenblick stutzte und dann den Holländer bat: sich wie ein Cavalier ihm zu nähern; dieser aber, der dies Gesuch weder verstand nach darein gewilligt haben würde, selbst wenn er es begriffen hätte, rannte wie ein Wahnsinniger auf Peregrinen zu und würde ihn sicher sehr übel gezeichnet haben, wenn dieser nicht mit großer Gewandtheit über Seite gesprungen wäre, wo dann der Holländer in seinem heftigen Anlaufe an ihm vorüberschoß und nun von Pickle einen so nachdrücklichen Stoß hintenhin empfing, daß er wie ein Pfeil in den Canal stürzte, wo er beinahe den Tod gefunden hätte, indem er hier auf einen der im Wasser stehenden Pfähle fiel.

Peregrine wartete nicht ab bis der Capitain sich wieder herausgearbeitet hatte, sondern begab sich auf Anrathen seines Führers, in aller Eile fort; den folgenden Tag fuhr er aber mit seinen Reisegefährten in einer Treckschuyte nach Harlem, wo sie zu Mittag speisten und dann gegen Abend in der alten Stadt Leyden anlangten, woselbst sie einige junge Engländer fanden, die hier studirten und von denen sie mit großer Gastfreundlichkeit aufgenommen wurden. Die gute Einigkeit wurde jedoch noch denselben Abend unter ihnen gestört: es erhob sich nämlich zwischen einem dieser jungen Leute und dem Arzte ein Streit über die beste Curart des Podagra's und der Rheumatismen, der bald von beiden Seiten zu so groben Schmähungen ausartete, daß Pickle, der sich der Unart seines Reisefährten schämte, in höchlicher Erbitterung die Parthei des Anderen ergriff und dem Arzte in dürren Worten sein unmanierliches, ungeschliffenes und unschickliches Benehmen verwies.

Diese unumwundene Erklärung bestürzte den Doctor nicht wenig und machte ihn den Augenblick verstummen, so daß er den ganzen Abend voll verbissenen Aergers dasaß und wahrscheinlich im Stillen mit sich zu Rathe ging, ob er die Kühnheit seines Reisegefährten rügen sollte oder nicht: da er jedoch erwog, daß er hier mit keinem Pallet zu thun hatte, so unterdrückte er klüglich seinen Zorn und verschluckte den Aerger.

Nachdem man nun noch den botanischen Garten, die Universität und alle andere Merkwürdigkeiten des Ortes gesehen hatte, kehrte die Gesellschaft wieder nach Rotterdam zurück, wo man eine Berathung über die Art hielt, wie man nach England überfahren wolle. Der Arzt, dessen Groll gegen Peregrine durch die Gleichgültigkeit noch mehr gestiegen war, mit welcher ihn dieser jetzt behandelte, hatte unterdessen das harmlose Geschöpf von Maler, der sich nicht wenig auf diese Annäherung zu Gute that, ganz wieder auf seine Seite gebracht, und ergriff nun die bequeme Gelegenheit, sich von Peregrine und dessen Gesellschaft zu trennen, indem er erklärte: er und sein Freund Pallet wären entschlossen, die Ueberfahrt mit einem Kauffahrteischiffe zu machen; eine Sache, die, wie er wußte, Pickle nicht zusagte. Den Grund dieser Erklärung merkte unser Held sogleich, und da ihm nichts mehr an der weitern Gesellschaft dieser beiden Leute gelegen war, so bemühte er sich auch durchaus nicht, sie von diesem Vorhaben abzubringen, oder auch nur das geringste Zeichen von Leidwesen über die Trennung von ihnen zu zeigen, sondern wünschte ihnen im Gegentheil ganz kaltblütig eine glückliche Reise, indem er zugleich seinen Leuten den Befehl gab, sein Gepäck nach Helvotsluys zu schicken, woselbst er sich den nächsten Tag in einem Packetboote einschiffte und nach einer Fahrt von achtzehn Stunden glücklich in Harwich anlangte.


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