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XXII.

Von der Gräfin begab sich Augustinowitsch in das Hospital, wo er den ganzen Tag blieb. Schwarz befand sich sehr schlecht. Der Typhus hatte diesen starken Organismus ergriffen und drohte ihn zu vernichten. Die halbe Nacht lag der Kranke im Fieber, sprach mit sich selbst und stritt über die Unsterblichkeit der Seele mit einer schwarzen Katze, welche, wie er glaubte, auf dem Rande seines Bettes saß. Er schien sich vor dem Tode zu fürchten, da sein Gesicht den Ausdruck des Entsetzens zeigte. So oft Augustinowitsch eine Bewegung machte, erschrak er. Zuweilen sang er heitere oder traurige Lieder oder unterhielt sich mit Bekannten, die er zu sehen glaubte. Zuweilen waren seine Schlußfolgerungen ganz richtig und vernünftig.

Das alles erschreckte Augustinowitsch außerordentlich, welcher durch alles, was in der kurzen Zeit sich ereignet hatte, schon ziemlich erschüttert war. Mit Ungeduld sah er nach dem Fenster und erwartete den Morgen. Mit einförmigem Geräusch schlug der Regen an die Fenster des Krankenhauses.

Schon lange hatten solche unruhigen und kummervollen Gedanken wie in diesem Augenblick ihn nicht heimgesucht. Er stützte die Ellbogen auf die Knie, bedeckte das Gesicht mit den Händen und dachte über die ganze Verwickelung der Dinge in den letzten Tagen nach. Von Zeit zu Zeit blickte er nach dem Kranken, und zuweilen glaubte er auf seinen scharfen Zügen den Schatten des Todes zu bemerken. Er dachte daran, daß dieser noch vor kurzem so lebenskräftige Mensch in einem oder zwei Tagen eine Leiche sein könne, die in die Erde eingegraben wird, und » finita la comedia«. Endlich erblaßte nach und nach im Zimmer der gelbe Schein der Kerze, alle Gegenstände nahmen ihr natürliches Aussehen wieder an, im Korridor hörte man Schritte der Krankenwärter. Nach einer Stunde kam der Arzt.

»Wie geht's dem Kranken?« fragte er.

»Schlecht,« erwiderte Augustinowitsch.

Der Arzt griff nach dem Puls des Kranken.

»Was denken Sie?« fragte Augustinowitsch.

»Ich denke nichts, es steht schlecht.«

Der Arzt verschrieb ein kühlendes Getränk und ging. Augustinowitsch sah das Rezept an, schüttelte den Kopf und setzte sich wieder an das Bett des Kranken. Gegen Abend wurde es noch schlimmer, und um Mitternacht schien der Kranke im Sterben zu liegen.

Augustinowitsch weinte wie ein Kind und schlug mit dem Kopf an die Wand. Er durchwachte auch die zweite Nacht. Gegen Morgen bemerkte er eine leichte Besserung im Zustande des Kranken, aber das war eine trügerische Besserung. Auf dem Gesicht des Kranken traten weiße und rote Flecken hervor. Die Fieberhitze nahm zu, und der Kranke ging dem Erlöschen entgegen. Abends kam Frau Wisberg. Augustinowitsch ließ sie nicht in das Zimmer hinein, aber als sie sein Gesicht sah, vermutete sie Schlimmes.

»Lebt er noch?« fragte sie.

»Er liegt im Sterben,« antwortete er kurz.

Nach einigen Stunden kam der Geistliche des Krankenhauses. Augustinowitsch wollte bei der Ceremonie nicht anwesend sein und ging auf die Straße. Er fühlte das Bedürfnis, seine Gedanken zu ordnen und frische Luft zu atmen. Er mußte seine Lage überdenken. Der Tod von Schwarz beraubte ihn ganz und gar alles Gleichgewichts. Er wußte nicht, wohin er ging, und mehrmals hielt er an, als ob er befürchtete, zu spät zu dem Kranken zu kommen.

Plötzlich tauchte ein neuer Gedanke in ihm auf. Er blieb stehen und sah, daß er vor Helenens Wohnung stand.

»Ich muß es ihr sagen,« dachte er, »damit sie wenigstens Abschied von ihm nehmen kann.«

Nach einer halben Stunde stand Helene bei Schwarz am Fußende seines Bettes. Ihre dichten Haare lagen auf seinem Bett, sie hatte seine Füße umarmt und drückte sie an ihr Gesicht. Im Zimmer herrschte tiefe Stille wie in einem Grabe. Man hörte nur das keuchende Atmen des Kranken.

So verging wieder eine lange schwere Nacht. Jede Minute derselben schien für Schwarz die letzte zu sein.

So kam endlich der dreizehnte Tag heran, an welchem eine Wendung einzutreten schien. Der Kranke schien sich besser zu befinden.

Augustinowitsch und Helene wichen nicht von seinem Bett. Sie schien alles auf der Welt vergessen zu haben. Als die Gesundheit wiederkehrte, erwachte auch sie wieder zum Leben. Jede, auch die geringste Besserung war ihr ein Trost.

Endlich kam Schwarz zu sich.

Augustinowitsch war nicht zugegen, und die erste Person, die er erblickte, war Helene.

Der Kranke blickte sie an, und seine Miene zeigte, daß er sich anstrengte, sie zu erkennen. Er lächelte mit sichtlicher Anstrengung. Helene war hocherfreut, und warf sich vor ihm mit Freudenthränen auf die Knie. Als Augustinowitsch zurückkehrte, bemerkte er, daß seine Anwesenheit den Kranken beunruhigte. Keinen Augenblick wandte er von ihr seinen Blick ab und verfolgte jede ihrer Bewegungen. Augustinowitsch fürchtete davon schlimme Folgen. Wie das bei dieser Krankheit gewöhnlich der Fall ist, verstärkte sich gegen Abend wieder das Fieber, aber dennoch schlief der Kranke ein. Augustinowitsch beredete Helene, Erholung zu suchen, aber sie weigerte sich entschieden.

»Ich gehe keinen Augenblick von ihm,« erklärte sie.

Deshalb setzte sich Augustinowitsch auf einen Stuhl und verfiel in tiefes Nachsinnen. Sein Kopf wurde schwer, die Augenlider senkten sich bleischwer herab, und der Schlaf überfiel ihn mit unwiderstehlicher Macht.

Doch bald öffnete er wieder die Augen und fragte: »Schläft er?«

»Ja, aber sehr unruhig,« flüsterte Helene.

Wieder versank Augustinowitsch in einen unruhigen Schlummer, aus dem er plötzlich durch einen Aufschrei Helenens aufgeschreckt wurde.

Der Kranke saß auf dem Bett in einem Anfall heftigen Fiebers. Sein Gesicht glühte, seine Augen funkelten wie die eines Wolfes, und die abgemagerten Hände waren gegen Helene ausgestreckt.

»Was giebt es?« rief Augustinowitsch.

Helene ergriff Augustinowitsch bei der Hand, er fühlte, wie sie zitterte.

»Quäle mich nicht,« sprach die abgebrochene Stimme des Kranken, »Du hast Gustav gemordet und willst mich auch morden. Fort mit ihr, ich liebe Dich nicht.«

Er fiel auf die Kissen zurück.

»Lulu. Lulu, rette mich,« flüsterte der Kranke.

Augustinowitsch führte Helene fast gewaltsam aus dem Zimmer.

Im Korridor hörte man ihr hastiges Gespräch, in welchem der Name der Gräfin genannt wurde. Endlich kehrte Augustinowitsch allein ins Zimmer zurück. Er war bleich und setzte sich ermüdet nieder.

»Jetzt ist alles zu Ende,« flüsterte er.

Währenddessen verließ Helene das Hospital. Das kurze Gespräch mit Augustinowitsch hatte wie ein Blitz die ihr dunklen Vorgänge beleuchtet. Ziellos ging sie vorwärts, um nur zu gehen. Ihre Gedanken brannten wie Feuer. Doch es waren keine Gedanken, es waren Wolken von Funken, welche vom Winde in rasendem Lauf fortgetrieben wurden. Die Stadt wurde mit Tausenden von Lichtern beleuchtet. Helene lief immer weiter. Auf der Straße gingen wie gewöhnlich viele Leute nach dieser oder jener Richtung. Einige sahen sich nach ihr um, und ein junger Mensch sagte ihr einige Worte, aber als er sie ansah, erschrak er und eilte davon. Sie aber ging immer weiter und weiter. Endlich verschwanden die großen Straßen, sie kam durch kleinere menschenleere, dunkle Nebenstraßen, deren Fenster nicht erleuchtet waren.

Es war eine ruhige, aber feuchte Nacht, eine drückende Schwüle erfüllte die Luft. Vom Dnjepr her erhob sich ein grauer Nebel, der ihre Kleider und Haare befeuchtete. Sie achtete aber nicht darauf und eilte in nervöser Hast vorwärts. Ihr war, als ob ein Funkenregen vom Himmel herabstürzte und ihren Kopf, ihre Arme und ihre Brust bedeckte. Aus jedem Funken sah sie das Bild von Schwarz oder Gustav. Sie verlor ihren Umhang, der Wind riß ihr den Hut ab, oft fiel sie nieder.

Endlich befand sie sich ganz außerhalb der Stadt, deren Geräusch sie aus ihren Mauern hinausgetrieben hatte. Sie lief immer weiter, ohne sich umzusehen, als ob sie von wilden Tieren verfolgt würde. Sie fühlte keinen Schmerz, keine Ermüdung, alle ihre Gedanken vereinigten sich im Centrum ihres Unglücks. Die Liebe war ihr alles gewesen. Jetzt hatte ihr Dasein wieder keinen Sinn und keinen Zweck mehr. Der Kelch der Bitterkeit war geleert bis zum Grunde und zerschlagen. Für sie gab es nur noch Ruhe im Tode.

Endlich verließen sie die Kräfte. Ihre Augen trübten sich, ihre Kleider waren mit Schmutz und Wasser getränkt, immer öfter fiel sie nieder, erhob sich wieder und eilte weiter. Der Boden, auf dem sie lief, wurde feuchter, und von fernher hörte man schon das dumpfe Plätschern der Wellen. Bald stand sie an dem steilen Ufer des Flusses.

Plötzlich schloß sie die Augen, streckte die Arme aus und stürzte sich hinab. Plätschernd schlugen die Wellen zusammen. Darauf folgte ein kurzer Schrei, der von den Wellen erstickt wurde.

Nach diesem letzten Schrei herrschte tiefe Stille in der dunklen Nacht.


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