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II.

Schwarz dachte lange nach über die Wahl einer Fakultät. »Ich habe mir selbst das Ehrenwort gegeben, meine Zeit hier nicht vergebens zuzubringen, und daran denke ich,« sagte er zu Wassilkjewitsch. Er war mit ernsten Gedanken zur Universität gekommen. Hierher strebte die Jugend aus allen Gegenden wie eine Herde Kraniche. Die einen kamen zu dem Zweck, ihren Geist zu bilden, die anderen kamen schon gebildet mit einem Vorrat von wissenschaftlichen Kräften und Kenntnissen. Hierher eilten die Menschen wie die Bienen zum Honig. Leise kamen sie zusammen, und geräuschvoll trennten sie sich. Sie schöpften aus der Wissenschaft, aus sich selbst, aus dem Leben, sie gaben dieses Leben aus und erhielten es zurück. Sie badeten in diesem Meer, wobei viele untergingen, einige aber trocken aus dem Wasser herauskamen. Hier herrschte Lärm, das Leben schäumte und kochte wie das Wasser in einem Kessel. Die Universität ist der gemeinsame Bienenkorb, in welchem das Gehirn des Menschen sich befruchtet. Jedes Jahr liefert sie reife Früchte und nimmt neue Schößlinge auf. Hier werden die Menschen wiedergeboren. Und welch schöner Anblick ist es, wie diese Jugend jedes Jahr wie Wellen sich in die Welt Gottes ergießt und fruchtbringende Kenntnisse mit sich nimmt zur Erleuchtung des niedrigen Volkes.

In ein solches Meer sah sich Schwarz versetzt. Aber nach welchem Ufer sollte er sein Boot wenden? Darüber dachte er lange nach, und endlich entschied er sich für die Medizin.

»Mag es geschehen nach dem Willen des Schicksals,« sagte er sich, als er die Frage entschieden hatte, »aber ich muß, wenn nicht reich, so doch wohlhabend werden.«

Dies langdauernde Schwanken von Schwarz ist leicht zu erklären, ihm gefielen alle Geheimnisse der Wissenschaft. Ihn zog die Litteratur an und das Recht, auch die Naturwissenschaften lockten ihn, da er sie für den Triumph des menschlichen Geistes hielt. Diese Meinung von den letzteren hatte er aus der Schule mitgebracht, in der ein Lehrer der Chemie, ein großer Enthusiast, gewesen war.

Als die Schüler die Schule beendigten, sagte er allen, indem er die Hand aufs Herz legte: »Glaubt mir, meine Lieben, es giebt nur eine Wissenschaft, die Naturkunde, alles andere ist leeres Geschwätz.«

Allerdings hatte auch der Präfekt der Schule sie versichert, daß nur die Lehre der Kirche zum ewigen Leben führt, aber Schwarz, welchen der Präfekt damals einen verworfenen Häretiker nannte, machte eine solche abscheuliche Grimasse, daß er das Gelächter seiner Kameraden erregte, während zugleich der Präfekt Donner und Blitz auf sein Haupt herniederrief.

Deshalb wählte er die medizinische Fakultät. Außerdem wirkte Wassilkjewitsch auf ihn ein, welcher im allgemeinen großen Einfluß auf die Jugend hatte.

Einmal suchte ein Philosoph in freundschaftlichem Gespräch mit mehr Spitzfindigkeit als Aufrichtigkeit zu beweisen, daß der Mensch, der nach Wissenschaft strebt, sich ausschließlich ihr allein widmen, die ganze Welt und ihre Teile vergessen, sich in die Wissenschaft vertiefen und nur ihr leben müsse. Natürlich war in dieser Beweisführung mehr Effekt als Wahrheit.

»Man sagt,« fuhr er fort, »ein isländischer Fischer habe sich in den Anblick des Glanzes des Abendrotes vertieft und sein Boot der Strömung überlassen. Er blickte unverwandt nach dem Abendrot, dessen Strahlen ihn rot färbten. Und als er in der Tiefe der gläsernen Wellen versank, blieb den Augen des Fischers für immer das Spiegelbild des Abendrots … Und das ist eben die Wissenschaft und das Leben. Wer einmal sich ihr hingegeben hat, der behält in seinen Augen das Licht, wenn auch die Wellen des Lebens ihn verschlingen.«

Es giebt Behauptungen, zu deren Widerlegung nicht wenig Kraft und Kühnheit erforderlich ist. Darum schwiegen viele junge Leute, nur Wassilkjewitsch pfiff ärgerlich und drehte sich auf seinem Stuhl. Endlich sprang er auf und spie heftig aus.

»Pfui, unnütze Worte!« rief er. »Mögen sich die Deutschen mit solcher Wissenschaft abgeben, aber nicht wir. Nach meiner Ansicht ist die Wissenschaft für die Menschen da, nicht aber die Menschen für die Wissenschaft. Mögen sich die Deutschen in Pergament verwandeln! Dein Fischer war ein Dummkopf; hätte er mit den Rudern gearbeitet, so hätte er auch das Abendrot gesehen und Fische seinen Kindern nach Hause gebracht. Aber was soll das heißen? Während das Volk vor Hunger und Kälte umkommt, wirst Du Dich mit dem Licht beschäftigen, und darum wirst Du für die Menschen nicht ein Retter, sondern eine Last. Ach, Tetwin (so hieß der vorhergehende Redner), Dir liegt weniger an der Bedeutung als an dem Klange Deiner Worte, und bei Dir liegen Dummheit und Geist beisammen. Heute meinst Du, Du seist fähig, dem Glück zu entsagen für einige klingende Phrasen, aber das ist ein Irrtum. Es kommt die Zeit, wo Dein Herz anfängt zu schmerzen und Du Dich grämst um das Glück und die Liebe. Sieh, zum Beispiel, mir zu Hause in Litauen leben zwei alte Leute, mein Vater und meine Mutter, schneeweiß, und beide sprechen von mir wie von einem Königssohn. Wollte ich mich nun so in die Bücher vertiefen, daß ich sie ganz vergäße und sie in ihrem Alter ohne Hilfe ließe, so wäre ich der größte Schurke. Ich bin hierhergekommen, um die Wissenschaft um Brot zu bitten, für mich und für sie.«

So sprach Wassilkjewitsch, und seine Worte hatten starken Einfluß auf Schwarz, der eine mehr praktische Natur war. Nach langem Überlegen entschied sich Schwarz dann für die medizinische Fakultät.

Schwarz war von Natur der Wirklichkeit zugeneigt und hatte mehr Sinn für Thaten als für Ideen. Er liebte auch Dialektik nicht und zog es vor, die Sachen so anzusehen, wie sie in Wirklichkeit sind, und nicht nur wie sie sein sollen.

Schwarz besaß die Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Er besaß sie nicht nur, sondern er wußte auch, daß er sie besaß. Diese Überzeugung bewahrte ihn im Leben vor vielen Mißgriffen und stellte ein gewisses Gleichgewicht zwischen seinen Wünschen und seinen Kräften her. Er unternahm nichts, was über seine Kräfte ging, und gab sich Rechenschaft über sein Thun und Können.

Mit Energie und einem Selbstvertrauen, das durch den Besitz eines Kapitals von zweitausend Rubel noch verstärkt wurde, widmete er sich dem Studium der Medizin.

Aber mit je größerem Eifer er begann, desto größer war anfangs seine Enttäuschung. Er liebte zu begreifen, aber hier mußte er auswendig lernen. Das aber versteht nicht jeder, da das eine Frage des Gedächtnisses, des Willens, aber nicht eine Frage des Geistes ist. Man muß das Gedächtnis der Augen und das Gedächtnis der Hände besitzen, man muß das eine und das andere, man muß hundert Thatsachen in seinem Kopfe unterbringen, wie das Getreide in den Speichern. Das war eine fast mechanische Arbeit. Der geistige Organismus konnte aus diesen Vorräten nicht Nutzen ziehen, weil er sie nicht verdauen und nicht einteilen konnte, da es ihm an Nahrung fehlte. Die Philosophie des physischen Baues des Organismus kommt an Feinheit und Masse der Resultate allen anderen gleich, aber Schwarz selbst begann schon den Organismus zu erforschen. Bis jetzt hatte er von niemand Anweisungen in Bezug auf das Dasein einer Philosophie dieser Wissenschaften erhalten. Aber nachdem er sich einmal in das Boot gesetzt hatte, mußte er auch rudern. – Und er ruderte.

Aber die technische Seite der Beschäftigung mit der Wissenschaft war langweilig, undankbar, voll verborgener Schwierigkeiten und unerwarteter Geheimnisse und oft von einer Dunkelheit, welche kaum zu bemerken war, welche aber immer widerstrebend und schwierig war. Es war, als ob die Natur selbst dem menschlichen Geist den Krieg erklärte.

Schwarz bekämpfte diese Eindrücke, riß sich von ihnen los und ruderte weiter. Sein Eifer überwand alle Schwierigkeiten und bald war er als einer der fähigsten Studenten bekannt.


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